10 goldene Regeln für Spielleiter !
Die folgenden „Regeln“ sind eigentlich keine Regeln. Es sind Erfahrungen, die ich im Laufe der Jahre als DM (Dungeon Master / Spielleiter) in den verschiedensten Gruppen und Systemen gemacht habe. Daher erheben sie auch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder gar Absolutheit. Es sind einfach nur ein paar Tipps, die ich denjenigen, die neu in diesem ganzen „Meister-Job“ sind, wärmstens ans Herz legen möchte. Für Vorschläge und Ergänzungen bin ich wie immer dankbar und würde mich über Feedback von euch freuen…
Regel Nr.1 - Schätze die Stimmung immer VOR dem eigentlichen Spiel ein
Rollenspiel erfordert ein gewisses Maß an Konzentration von allen Seiten. Man spielt, um von den alltäglichen Dingen des Lebens ein wenig abzuschalten, um Spaß zu haben und aus Neugier, was wohl als nächstes in der anderen Welt passieren wird.
Doch es gibt Alltagsprobleme oder aktuelle Geschehnisse, die sind so dominant, das ein echtes Abschalten gar nicht möglich ist. Die Runde trifft sich zwar zu dem vereinbarten Termin, man holt die Würfel hervor, kramt die Bücher und Unterlagen raus, aber trotzdem will keine rechte Stimmung aufkommen, weil einer oder mehrere in der Runde nicht bei der Sache sind. Nach meiner Erfahrung ist es bei solchen Gelegenheiten besser, einfach mal NICHT zu spielen, sondern sich lieber über Gott und die Welt zu unterhalten, Pizza zu essen, über Freunde (und Freundinnen) zu sprechen oder von mir aus auch das alte Monopoly hervorzukramen. Wenn die Spieler oder der DM nicht bereit sind, sich auch wirklich in die Fantasy-Welt hineinzuversetzen, die Figuren tatsächlich zum Leben zu erwecken, so kommt am Ende nichts Gescheites dabei raus. Man hat zwar einige Stunden rum gebracht, aber im Grunde nicht wirklich etwas erlebt. Lieber einmal öfter nicht spielen, als einmal zu oft gespielt zu haben, um am Ende festzustellen, das der Spaß dabei auf der Strecke bleibt.
Regel Nr. 2 - Respektiere stets deine Spieler und deren alter Ego.
Rollenspieler, die eine Figur erschaffen haben und schon geraume Zeit damit spielen, entwickeln ein besonderes Verhältnis zu ihrem „alter ego“. Der Charakter hat einen eigenen Namen, eine Hintergrund-Geschichte, vielfältige Beziehungen innerhalb einer Fantasy-Welt.
Gemeinsam mit anderen hat er Abenteuer bestanden , Schätze erworben und ist mit zunehmender Spieldauer und damit auch wachsender Erfahrung mächtiger geworden. Es gibt sogar Figuren, die ein abwechslungsreicheres Sozialleben führen als der eigentliche menschliche Spieler dahinter (auch wenn das ein Alarmsignal sein sollte…).
Daraus folgt aber auch eine besondere Verantwortung des Spielleiters. Er entscheidet letztendlich „berufsbedingt“ über Wohl und Wehe der Figuren, über ihre Chancen, einen Kampf lebend zu überstehen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der imaginären Welt. Daher ist es nicht in Ordnung, Spielfiguren „aus einer Laune heraus“ zu verheizen und vor unlösbare Aufgaben zu stellen, die bereits von vorn herein dahingehend ausgelegt sind, den Spieler scheitern zu lassen. Spieler und Spielleiter treffen sich, um Spaß zu haben, dazu gehört auch der faire Umgang miteinander. Das bedeutet keinesfalls eine „quasi Unsterblichkeit“ der Figuren, das wäre im Gegenteil kontraproduktiv und der Spannung abträglich. Der Spieler sollte sich jederzeit über das Risiko einer Aktion bewusst sein, er trifft letztendlich die Entscheidung, was seine Figur tut. Doch er sollte dabei immer das Gefühl haben, eine faire Chance zu haben. Dazu zählt auch, das die Gegner niemals über einen vollkommen unrealistischen Wissensvorsprung und viel bessere Mittel als die Spieler verfügen sollten. Ausnahmen (zum Beispiel der ständig wiederkehrende Hauptgegner, der sich irgendwann zur Nemesis der Gruppe entwickelt) bestätigen natürlich die Regel.
Ich habe im Laufe der Jahre auf Conventions etliche DM´s getroffen, die stolz auf ihren Ruf waren, Spieler reihenweise zu verheizen und damit als besonders „hart“ zu gelten. Bitte schön, wer´s braucht. Aber bezeichnenderweise findet man die kreativsten, lustigsten Spielrunden zumeist an den Tischen, an denen der Spielleiter MIT den Leuten spielt, und nicht GEGEN sie…
Regel Nr. 3 - Sorge immer für die richtige Balance innerhalb einer Spielergruppe
Rollenspieler sind wie alle normalen Menschen – egoistisch, machtgierig und von Neid und Missgunst erfüllt. Ein erfahrener DM folgert daraus, das eine Gruppe auf Dauer nur dann harmonisch zusammen spielt, wenn die Balance innerhalb der Gruppe stimmt. Das beginnt schon bei der Erschaffung der Figuren durch das Werfen der magischen Würfel. Dieses sollte immer im Beisein des Spielleiters passieren, denn erstaunlicherweise werden die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Verteilung natürlicher Zahlen beim selber Erschaffen von Charakteren grundsätzlich außer Kraft gesetzt. Es ist manchmal geradezu unfassbar, wie viel Würfelglück Spieler daheim in ihrer Klause hatten, wenn sie anschließend dem DM ihren Charakterbogen präsentieren und glaubhaft versichern, das die drei 18´er, zwei 15´er und der eine 10´er Wert tatsächlich absolut zufällig entstanden sind, und das beim ersten Versuch…
Damit dieses „Glück“ auch nicht durch die Missgunst der Mitspieler anfechtbar ist und evtl. zu körperlichen oder verbalen Auseinandersetzungen führt („du mieser Betrüger, du beschei… doch sogar noch beim Bingo), empfiehlt es sich, grundsätzlich nur solche Figuren zu akzeptieren, die im Beisein des Spielleiters aus der Taufe gehoben wurden. Ausnahme sind da natürlich die Conventions, bei denen Spieler aus aller Herren Länder zusammen treffen und mit bereits fertigen Figuren antreten. Die sind aber meistens durchweg alle vom Glück verfolgt gewesen, so das sich dieser „irische“ Faktor ausgleicht.
Auch im Laufe des Spiels empfiehlt sich bei der Vergabe von Erfahrungspunkten und Schätzen ein wenig Fingerspitzengefühl. Dabei sollte immer gewährleistet sein, das nicht ein einzelner durch seine Fähigkeiten oder Ausrüstung den Rest der Gruppe dominiert und die anderen irgendwann das Gefühl haben, „überflüssig“ zu sein. Im Idealfall ist jeder Charakter einer Gruppe in etwa gleich stark bzw. wichtig, ein guter DM achtet schon bei der Erschaffung der Figuren und dem Design der späteren Abenteuer darauf. Ich persönlich entwickle sogar ab und zu Abenteuer, die speziell auf die besonderen Fähigkeiten einer Gruppe abgestimmt sind. Ist diese z.B. „Diebeslastig“, so wird ein Großteil der Abenteuer in Städten spielen, habe ich es dagegen vorwiegend mit „wandelnden Ein-Mann-Armeen“ zu tun, so wird der Anteil an Wildnis-Szenarien deutlich größer sein.
Damit verbunden bin ich übrigens kein Freund davon, Erfahrungspunkte automatisch für getötete Gegner zu verteilen. Es besteht ansonsten die Gefahr, das Kämpfe und Monster nur noch als BodyCount dienen, um möglichst rasch aufzusteigen. Doch das ist selbstverständlich jedem selbst überlassen.
Regel Nr. 4 - Geht nicht gibt´s nicht !
Vermeide unter allen Umständen als Spielleiter, eine Aktion der Spieler zu verbieten. Das zerstört die mühsam aufgebaute Atmosphäre und führt langfristig zu Frust und Langeweile. Die Spieler haben bald das Gefühl, nicht mehr frei agieren zu können, nur noch „an Schnüren“ zu hängen. Damit wir uns richtig verstehen: Das heißt nicht, das es keine Regeln mehr gibt, es geht vielmehr darum, innerhalb des akzeptierten Regelwerks möglichst große Spielräume zu gewähren. Wenn Spieler eine total hirnrissige Aktion unbedingt durchziehen möchten – lass sie. Dafür müssen sie dann eben auch die Konsequenzen ihres Handelns tragen. Am Ende sitzt der DM sowieso am längeren Hebel. Oftmals kommen Spieler auf Lösungen für Probleme, die man selbst beim Entwurf überhaupt nicht einkalkuliert hat, häufig geschieht dies auch unter teilweise abenteuerlicher Auslegung von magischen Effekten oder der angeblichen Kenntnis fortgeschrittener technologischer Entwicklungen (wieso kann mein Charakter nicht Schwefel, Salpeter und Holzkohle im Verhältnis 1:1:8 mischen und damit „rein zufällig“ Schwarzpulver erfinden ?). Nun, im letzteren Fall lächle ich zumeist nur milde und gehe geflissentlich über den Einwand hinweg, bei der Auslegung von Magie lese ich selbst noch mal genau die Beschreibung des Zaubers durch und entscheide dann von Fall zu Fall (und AD&D hat elend viele Zauber und ständig kommen neue hinzu).
Wenn aber die Spieler ganz einfach eine Hintertür finden, die mir selbst vorher entgangen ist, dann finde ich das im Endeffekt sogar klasse, denn es zeigt, das sie mitdenken und ernsthaft bemüht sind, ihren DM aufs Kreuz zu legen - was will man mehr. So etwas nur deshalb zu unterbinden, weil es einem selbst gerade nicht ins Konzept passt oder das Abenteuer gar vorzeitig beenden würde, zeugt von schlechtem Sportsgeist. Notfalls muss man eben den Handlungsverlauf „fliegend“ den neuen, veränderten Gegebenheiten anpassen, aber so was lernt ein erfahrener Spielleiter früher oder später sowieso. Manchmal kann man gar nicht so dumm denken, wie es dann kommt…
Regel Nr. 5 - Spieler und Spielleiter wollen gleichermaßen Spaß
Diese einfache Regel sollte man immer im Hinterkopf haben, wenn man ein Spiel leitet. Wie in der vorherigen These schon gesagt, sind Regeln zwar wichtig, sie sollten aber nicht dazu führen, das stundenlang nur über sie diskutiert wird und das eigentliche Abenteuer auf der Strecke bleibt. Daher sollte man auf Dauer auch nur mit „guten“ Spielern langfristige Gruppen bilden. Das klingt zwar provokant, hat aber einen Grund: Sogenannte „Regelritter“, Spieler, die alles und jeden in Frage stellen, immer das Maximum aus einer Situation rausholen wollen, ständig über Entscheidungen lamentieren und jedes Problem gleich mit Brachialgewalt lösen wollen, sprengen rasch jede Gruppe. Statt Rollenspiel findet nur noch ein Anhäufen von Werten und Statistiken statt, die Interaktion gerät zunehmend in die Defensive, es wird nur noch draufgehauen. Auch der eigentliche Gedanke, der ursprünglich hinter allen Rollenspielen steht, nämlich der Kampf des Guten (vertreten durch die Spieler) gegen das Böse (das ist euer Part) verliert immer stärker an Gewicht, bis am Ende jegliche Moral zum Teufel ist. Das ist nicht nur spieltechnisch schlecht, sondern verdirbt letztendlich auch jeglichen Spaß in der Gruppe. Klar, es ist mal zur Abwechslung toll, den „Bösen“ zu spielen, sämtliche moralischen Bedenken über Bord werfen zu dürfen und einfach „wilde Sau“ zu spielen, Aber das sollte die absolute Ausnahme bleiben. Denn wie bei allen großen Mythen, Sagen und Legenden: Am Ende siegt das Gute über das Böse, so steht es im großen Buch geschrieben, und so sollte es auch bleiben. Nur so können wahre Helden auch in Zukunft weiterleben.
Regel Nr. 6 - Versuche immer, Situationen detailliert zu SPIELEN, statt sie nur zu erzählen
Ein guter Spielleiter erzählt nicht einfach, was seine Spieler gerade sehen oder erleben. Er vermittelt mit seinen Worten Atmosphäre, spielt möglichst viele Rollen und gibt so den Spielern das Gefühl, aktiv am Geschehen teil zu nehmen. Ein Beispiel: Die Gruppe betritt eine üble Spelunke, um dort vom Wirt Informationen zu erhalten. Der Spielleiter erklärt:
„OK, ihr geht in das Wirtshaus. Um euch herum stehen Tische und Bänke aus grob gezimmerten Holzbalken. Ein offener Kamin an der linken Wand, in dem einige Holzscheite brennen, verbreitet mangels eines vernünftigen Abzugs stickigen Rauch im ganzen Raum, der sich unter der niedrigen Holzdecke sammelt. Diverse Leute sitzen an den Tischen und trinken. Im hinteren Teil des Raums steht hinter einem Tresen ein grobschlächtiger Mann, Mensch, so um die 40, und poliert lustlos die fleckige Theke. Hinter ihm stehen mehrere Fässer pyramidenförmig übereinander. Was tut ihr ?“
Das ist für eine kurze Beschreibung absolut ok, und wenn die Gruppe zum Wirt geht, Bier bestellt und sich nach Informationen erkundigt geht alles den gewohnten Gang. Alle notwendigen Infos über den Ort sind ja nun bekannt.
Trotzdem, es geht natürlich auch anders. Gehen wir noch mal an den Anfang der Szene, als die Gruppe den Raum betritt:
„OK, der Zwerg greift nach dem halb verrotteten Türriegel, um sie zu öffnen. In diesem Moment geht sie jedoch von selbst auf, ein bulliger Mann mit einer fleckigen Lederschürze und einer schweren Nagelkeule in der Rechten zerrt eine zerlumpte Gestalt hinter sich her, um sie gleich darauf mit einem Tritt in den stinkenden Strassenmorast zu befördern. „Komm erst wieder, wenn deine Alte dir wieder mal ein paar Kupferstücke zugesteckt hat, du verlauster Haufen Orkdung.“ Mit diesen Worten und einem hässlichen Lachen dreht er sich um und geht ohne die Gruppe auch nur eines Blickes zu würdigen wieder in die Kneipe. (Nach kurzer Diskussion folgt die Gruppe) Schon beim ersten Atemzug schlägt euch ein abenteuerlicher Mix aus Rauch (der offene Kamin scheint noch nie gereinigt worden zu sein), verbranntem Essen, stinkenden, ungewaschenen Leibern, verrottetem Stroh und Erbrochenem entgegen. Der Elf (ja du Anriel) macht einen Schritt in den Raum. Prompt trittst du in eine Lache aus vergossenem Bier und Kotze, die sich auf dem festgestampften Lehmboden ausbreitet. Auch das darüber gestreute Stroh hilft da wenig, da es mindestens schon seit letztem Frühjahr hier liegt und zusammen mit dem übrigen Dreck eine undefinierbare Masse bildet. Ihr habt schon Schweineställe gesehen, die sauberer waren.
Überall stehen ohne erkennbare Ordnung roh gezimmerte Tische und Bänke, Generationen von schnitzwütigen Gästen und Künstlern haben mit Dolchen, Essensresten und anderen Dingen die einstmals schlichten Bretter in wahre „Kunstwerke“ verwandelt. Gerade in diesem Moment schneidet ein geckenhaft gekleideter Jüngling, durch seine farbenfrohe Kleidung (rote, weite Beinkleider, gelbe Weste und ein federgeschmückter Hut mit breiter Krempe) unschwer als niederer Adliger zu erkennen mit einem kleinen spielzeug-artigen Dolch einen offenkundigen Liebesbeweis in die Tischplatte vor sich, während eine kichernde, ausgesprochen offenherzige „Dame“ in einem fadenscheinigen, tief dekolletierten Kleid aus billiger Parn-Seide auf seinen Knien sitzt, ihn anhimmelt und etwas verruchtes in sein Ohr flüstert. Dabei zwinkert sie jedoch routiniert zu eurer kleinen Gruppe hinüber, um rasch festzustellen, ob ihr nicht ein lohnenderes Ziel ihrer grenzenlosen Liebe sein könntet (sollte einer der Spieler darauf eingehen, so dürfte sich rasch ein interessantes Gespräch mit dem jungen Adligen ergeben). Am gegenüberliegenden Tisch sitzen zwei Zwerge vor ihren Bierkrügen und spielen eine Partie „Prügel den Elf“, sehr beliebt in Zwergenkreisen (vielleicht möchte Brok, der Zwerg der Gruppe, sich ja zu seinen Landsleuten gesellen, vielleicht sind sie aber auch von einem anderen Clan, evtl. sogar einem verfeindeten). Keiner der Gäste, es mögen so an die dreißig verwegene Gestalten sein, ist mehr ganz nüchtern, alle scheinen sich aber prächtig zu amüsieren. (Kelana, die Priesterin der Gruppe, macht rasch einen Prüfwurf, er gelingt und ihr fällt etwas auf). Bei näherem Hinsehen fällt dir im hinteren Bereich des Raums eine einzelne Gestalt auf, die allein an einem Tisch sitzt und oberflächlich betrachtet einfach nur Eintopf aus einem Holznapf löffelt und ab und zu einen Schluck Bier trinkt, sonst aber scheinbar desinteressiert vor sich hin stiert. Aber ab und zu scheinen die Augen des Mannes (es könnte aber auch eine Frau sein, der wollene Umhang verbirgt die Gestalt größtenteils), blitzartig die Umgebung abzusuchen und jeden Neuankömmling scharf zu mustern, bevor sie sich wieder betont gelangweilt abwendet. Der bullige Wirt, den ihr schon zur Begrüßung gesehen habt, hat seine Nagelkeule wieder beiseite gestellt und steht nun hinter einem einfachen Tresen, der auf mehren Fässern ruht, hinter ihm stehen weitere Fässer zu einer Pyramide aufgestellt. Statt aber Zapfhähne zu benutzen, scheint es hier ein eigenes Hausmodell des Ausschenkens zu geben. Gerade nämlich greift der untersetzte, Muskelbepackte Mann, er dürfte bereits so um die 40 Winter gesehen haben, das spärliche, filzig-dunkle Haar klebt ihm wie ein Kranz um die lichter werdenden Schläfen, nach einem weiteren Fass hinter sich. Dieses stellt er neben den Tresen und mit einer kurzen, rostigen Handaxt schlägt er einfach den runden Deckel ein. Dann taucht er einen Krug in das schäumende Gebräu und reicht ihn an einen Gast weiter, den das aber nicht im geringsten zu stören scheint. Von den Schmutzstarrenden Deckenbalken über der Theke fällt in diesem Moment etwas in das offenen Fass und ein schemenhafter Schatten huscht dort entlang (könnte sich evtl. um Rattenkot handeln), aber auch das stört hier niemanden. Toleranz wird in diesem Haus offenkundig groß geschrieben. (Brok, du wolltest doch als aller erstes mal ein schönes Bierchen haben, nun, jetzt ist die Gelegenheit da).
Der Unterschied zwischen beide Szenen ist unschwer erkennbar. Dabei ist nicht nur der Detailreichtum von Bedeutung. Vor allem biete ich den Spielern unabhängig vom eigentlichen Ziel Alternativen für ihr Handeln an. Sie haben die Wahl: Sie können gleich zum Wirt gehen, die Infos durch Fragen oder Bestechung bekommen und wieder gehen. Die Geschichte nimmt ihren weiteren Verlauf.
Aber sie haben eben auch die andere Möglichkeit, ihre Figuren auszuspielen, neue Erfahrungen zu sammeln und geben mir wiederum dadurch Gelegenheit, ein paar andere Rollen (den verzogenen Adligen, die professionelle Dirne, die zwei Zwerge, den mysteriösen Fremden, den Wirt) zu spielen. Gerade aus solchen, scheinbar belanglosen Situationen können sich Szenen entwickeln, die noch lange im Gedächtnis aller Beteiligten haften bleiben. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Sache mit der Rattenscheiße nur vom Elf bemerkt wird und der später ganz beiläufig davon erzählt – NACHDEM der Zwerg sein Bier getrunken hat, natürlich…
Im besten Fall haben wir dann einen ausrastenden Zwerg, einen geköpften Wirt, eine wüste Kneipenschlägerei, eine brennende Wirtshausruine und am Ende eine Abenteurergruppe im örtlichen Kerker, die wortlos den durchaus zufrieden wirkenden Zwerg anstarrt, während der Magier Radoras ihn wütend anfaucht: „Hast du ihn wenigstens wie abgesprochen nach der
verschwundenen Karte gefragt, BEVOR du ihm den Kopf abgehackt hast ?!“
Regel Nr. 7 - Vermeide es, vorhersagbar zu werden !
Das klingt auf den ersten Blick ein wenig abstrus, hat aber seinen Sinn. Im Laufe einer längeren Zeit kontinuierlichen Spiels kommt es beinahe zwangsläufig dazu, das die Spieler „ihren“ DM gut kennen lernen und seinen Stil einschätzen können. Ganz lässt sich das sicher nicht vermeiden, kein Mensch kann ständig vor Kreativität sprühen, jeder hat seine best. Vorlieben, was Plots, Gegner und Umgebung betrifft. Trotzdem sollte man darauf achten, selbst nach langer Zeit immer noch für eine Überraschung gut zu sein, ein Ass im Ärmel zu haben. Dabei helfen kann zum Beispiel der Trick, ganz bewusst Fantasy-typische Stereotypen zu durchbrechen. Jeder kennt und erwartet im Stillen die holde Maid, die vom bösen Drachen geraubt wird. Doch was ist, wenn der finstere Drache sich als ängstlicher, paranoider Vertreter einer aussterbenden Art entpuppt, und die holde Maid in Wahrheit eine eisenharte Kopfgeldjägerin ist, die sich ihr „nettes, süßes Auftreten“ zu nutze macht, um die Gruppe als nützliche Idioten zu benutzen, dem Drachen sein Fell abzuziehen und die Gefährten am Ende mit leeren Händen per Magie im Regen stehen zu lassen…
Ich werde in einem späteren Artikel noch näher auf das Thema „Abenteuer-Design“ eingehen, doch grundsätzlich sollte ein Spielleiter ein Abenteuer wie ein gutes Buch aufziehen, mit einem spannenden Anfang, einem durchdachten Handlungsstrang mit mehreren, teils unerwarteten Wendungen, Cliffhangern zwischen den einzelnen Kapiteln (der ideale Moment, den Fortgang einer Session auf das nächste Treffen zu verschieben) und einem dramatischen Höhepunkt. Allerdings sollte man immer damit rechnen, den Plot kurzfristig dem Handeln der Spieler anpassen zu müssen.
Regel Nr. 8 - Spiele deinen Wissensvorsprung nutzbringend aus
Spieler sind grundsätzlich paranoid. Das ist ein ehernes Gesetz. Hinter allem und jedem vermuten sie finsterste Abgründe und übelste Tricks. Und das noch nicht mal ganz zu Unrecht. Ein kluger DM nutzt diese Tatsache zu seinem Vorteil. Handlungsstränge müssen gar nicht mal so kompliziert aufgebaut sein, relativ einfach Grundmuster reichen zumeist. Denn man muss sich immer vergegenwärtigen, das man selbst ja die Geschichte von A-Z kennt, die Spieler aber bei Null anfangen. Daher genügen manchmal harmlose Einwürfe (die Wache am Tor scheint euch besonders intensiv zu mustern und schaut rasch auf ein zusammen gerolltes Plakat, bevor sie euch durch das Tor winkt), um die Spieler in absolute Hochspannung zu versetzen. Dabei handelt es sich in diesem Fall vielleicht nur um eine Routinemaßnahme, da ein hiesiger Bandit gerade gesucht wird – aber das wissen die Spieler ja nicht. Und wenn sie erst letztens Ärger mit einem Steuereintreiber des Barons hatten, werden sie diese harmlose kleine Episode umso besorgter zur Kenntnis nehmen…
Allerdings muss man sich davor hüten, dieses Mittel inflationär einzusetzen, ansonsten kommt die eigentliche Geschichte gar nicht voran, da die Gruppe sich in Scheingefechten erschöpft und schließlich sogar frustriert den Spaß verliert.
Regel Nr. 9 - Kenne deine Welt !
So simpel diese Aussage auch anmuten mag, so wichtig ist sie doch. Ein Spielleiter sollte die Welt, in der seine Spieler sich bewegen, möglichst genau kennen. Und damit meine ich nicht nur die direkte Umgebung um das Abenteuer herum und die dort handelnden Personen. Eine Welt ist ein dynamisches Gebilde, das sich ständig weiterentwickelt. Mit fortlaufender Spieldauer entstehen immer komplexere Beziehungsmuster zwischen den Spielern und den die Welt bevölkernden Figuren. Allgemeine Themen wie Politik und Wirtschaft, aber auch ganz individuelle Dinge wie Fehden zwischen zwei Häusern, Kriege zwischen zwei Nachbarstaaten oder Naturkatastrophen sollten in der fiktiven Welt genauso geschehen wie in der realen Welt. Dadurch bekommen die Spieler ein Gefühl von Authentizität und der Wiedererkennungswert steigt mit jedem Besuch weiter an. Dieses sich ständig erweiternde Wissen muss aber vom Spielleiter sorgfältig protokolliert werden, damit er selbst als quasi „Schöpfer“ auch immer auf dem Laufenden ist, was sein „Geschöpf“ betrifft. Egal, ob es sich um eine fertige Welt „out of the box“ oder um ein liebevoll kreiertes, eigenes Universum handelt, Veränderungen müssen immer schriftlich festgehalten und bei Gelegenheit in das eigene „Lexikon“ übernommen werden. Nur so kann man auf Dauer Herr seiner eigenen Welt bleiben. Zum Thema „Welten-Design“ kommt in den nächsten Ausgaben eine mehrteilige Reihe, in der ich auf die Erschaffung eines Fantasy-Universums, von der Auswahl des Planeten, über die Erschaffung der Meere und Kontinente, bis hin zur Besiedelung durch verschiedenen Völker und die Erschaffung politischer, wirtschaftlicher und religiöser Strukturen detailliert eingehe.
Regel Nr. 10 - Sorge immer dafür, das in deiner Nähe ein Stück des Tisches frei bleibt.
Diese goldenen Regel ist ein gut gehütetes Geheimnis unter allen erfolgreichen Spielleitern und wird eigentlich immer nur innerhalb einer Generation nach einem langen, erfüllten Leben vom alten an den neuen Meister unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit weitergegeben. Ich will aber hier und heute mit dieser Tradition brechen, und euch in das alte Geheimnis einweihen: Bereits nach wenigen Minuten ist ein durchschnittlicher Rollenspiel-Tisch mit 4qm Fläche bis zum äußersten Rand mit Ordnern, Regelwerken, Karten, Notizzetteln und natürlich Würfeln aller Art überladen. Das konsequent freigehaltene Stückchen Tischoberfläche sorgt dafür, das der obligatorische Pizzabote seine wertvolle Fracht direkt vor eurer Nase ablädt. Damit habt ihr eine reelle Chance, beim ersten Ansturm das beste Stück zu ergattern – angesichts der zeitraubenden, umfangreichen Vorarbeiten eines guten DM´s ein durchaus angemessener Lohn…