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Der Wald lichtete sich allmählich, Berge und Hügel traten zurück und gingen in ebeneres Gelände über. Hoffentlich ging es jetzt schneller und ohne Zwischenfälle voran, so dass man Vengard bald erreichte. Und dann?, dachte Thorwyn. Ob er dann schon wieder nach Hause konnte? Nachdenklich runzelte er die Stirn. Was während des vergangenen Sommers und im Herbst in der Küstenregion vor sich gegangen war, hatte er durch seine Gefangenschaft nicht mitbekommen. Je zahlreicher und je früher man die Bauern von den Feldern geholt hatte, desto schlechter waren vermutlich auch die Ernten ausgefallen. Wie lange hatte der Krieg in den Köpfen der Heerführer dauern sollen, wie groß waren die Vorräte, die man angelegt hatte? Davon hing ab, ob Thorwyn nun noch gebraucht wurde.
Plötzliche Unruhe riss den Jäger aus seinen Gedanken. Ein paar Soldaten gestikulierten herum und diskutierten miteinander, aber zu sehen war nichts. Doch dann spürte und hörte er es auch, ein leichtes, geradezu sanftes Dröhnen, das immer lauter zu werden schien. Und dann galoppierten die Bisons heran. Mit einmal Mal wurde die Unruhe zu heller Aufregung, als Soldaten durcheinander rannten, sich Warnungen und Befehle zuriefen und herauszufinden versuchten, was eigentlich los war. Thorwyn schluckte, als er sah, wie die Tiere dröhnend näherkamen. Er hatte einmal Bisons gejagt, vor Monaten. Zumindest hatte er es versucht. Um genau zu sein, hatte er eins der Tiere mit einem Pfeil getroffen, der dabei aber einfach im dichten Fell steckengeblieben war und keine weitere Aufregung, geschweige denn den Tod der vermeintlichen Beute zur Folge gehabt hatte. Und jetzt hielten die Viecher von der Seite auf die Wagenkolonne zu, als wollten sie sie einfach überrennen.
Scheiße, dachte der Jäger und beteiligte sich am allgemeinen Aufruhr, indem er ebenfalls hilflos hin und her zu rennen begann. Plötzlich wurde er jedoch von Marten gepackt, der auch schon ein paar der anderen Jäger um sich versammelt hatte.
„Feuer, verdammt!“, brüllte er Thorwyn an und deutete in Richtung der Wiederkäuer. Instinktiv – sein Lebtag hatte er immerhin kaum etwas anderes gemacht als Befehle zu befolgen – griff der Jäger nach seinem Bogen und legte an. Er wusste, dass er unglaubliches Glück brauchen würde, einen Treffer ins Auge oder etwas ähnliches, um wirklich eins der Tiere zu erlegen, aber derartige Bedenken zählten jetzt nicht. Ein paar Pfeile flogen, andere Soldaten brachten sich mit Speeren in Stellung, etwas Blut wurde vergossen, aber letztendlich war es schon zu spät. Ein unglaublicher Lärm entstand, als die Bisons von der Seite auf die Wagen prallten und ein paar von ihnen umwarfen. Thorwyn versuchte, sich schnell in Sicherheit zu bringen, konnte aber nicht verhindern, dass ihn irgendetwas am Rücken traf – das würde einen gewaltigen blauen Fleck geben – und wie eine Puppe beiseite schleuderte. Das verantwortliche Vieh, das gemeinsam mit den anderen die Kolonne gesprengt hatte, lief einfach weiter.
Scheiße, dachte Thorwyn erneut, und versuchte, sich aufzurichten. Es ging, wenn auch nur unter einem schmerzhaften Ziehen und Pochen und Drücken, das sich anfühlte, als hätte ihn ein Bison … wie auch immer. Was bei Beliars Reich war das gewesen? Hoffentlich hatten die Biester keinen zu großen Schaden angerichtet, noch mehr Verletzte waren jetzt wirklich nicht nötig.
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Gerade erst legte sich der aufgewirbelte Schnee wieder, wo die Bisons mit zerstörerischer Wucht durch die Wagenkolonne gebrochen waren — da drang erneutes Grollen unheilvoll an die Ohren der Soldaten: Es war noch nicht vorbei.
Iwein, vom Rücken seines Pferdes aus, sah die neue Gefahr als erster. Sein Warnruf geriet zu einem heiseren Röcheln, denn seine Stimme hatte sich noch nicht von den giftigen Orkfeuern erholt.
Aber schon Augenblicke später sahen auch die Fußsoldaten die Herde über die Hügelkuppe setzen und heranrollen.
»Da kommen noch mehr!!«
Kein Zweifel. DIES war die Hauptherde.
Ehe jemand das Ausmaß des ersten Zusammenstoßes überschauen konnte, brach erneut Panik aus. Männer hieben mit Peitschen und Gerten auf Ochsen und Zugpferde ein, in der Hoffnung, die Wagen und Kutschen aus der Gefahrenzone zu bringen. Einige mutige Soldaten sprangen herbei, aber als hätten die Götter ihnen allen nicht schon übel genug mitgespielt, blieben die Räder im Schnee stecken.
Noch waren die Bisons ein gutes Stück entfernt, doch ihr donnerndes Trampeln wurde rasch lauter.
Macht dass ihr da wegkommt, bei Innos!, fluchte Iwein, hilflos zum Zuschauen verdammt, und sah eine Katastrophe kommen.
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Was war das nur für eine schreckliche Nacht gewesen. Doch mit dem Sonnenaufgang war es nicht besser geworden. Eisige Kälte hatte nun selbst das Herz erreicht, jeder Schritt fiel unendlich schwer, die Glieder waren kaum mehr zu spüren und der Körper hatte schon längst aufgehört zu zittern, da die Bewegung der Muskeln keine Wärme brachte. Eisiger Wind wehte ihnen in diesem flachen Gelände erst recht entgegen.
Unfähig, an etwas anderes als Kälte, Krankheit und Tod zu denken, stapfte Freiya neben einem Karren her, die Arme hoffnungslos um sich geschlungen und die Hände unter ihren Achseln vergraben. Nichts schützte sie, der Winter hielt sie fest in der Hand. Die Sonne schien hell, doch kein einziger wärmender Strahl erreichte diese frostige Welt. Der Schnee knirschte unter den Füßen, ein weiteres Zeichen, dass die Kälte keine Einbildung war.
Die Magier waren immer zu damit beschäftigt, die Verwundeten zu wärmen, doch es war wie ein Kampf gegen Windmühlen.
Wollte Innos nicht, dass sie Vengard erreichten? Einzig und allein der Wille eines jeden einzelnen schien sie nach vorn zu treiben. Das Wissen, dass es nach Vengard ging, war der Grund, warum Freiya einen Fuß vor den anderen setze und so schien es bei einigen anderen auch.
Doch es wirkte, als hatten sie Beliars Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, er griff zu einer ganz besonderen List.
Freiya hatte nicht mehr reagieren können, das heranrollende Donnern war nur kurz zu spüren und schon sah sie die Bisons auf die Karren zuhalten. Sie stand genau hinter einem der Holzgefährte, doch es war zu spät, um sich ausreichend in Sicherheit zu bringen.
Nicht mehr fähig, sich irgendwie zu rühren, spürte Freiya, wie etwas sie plötzlich packte. Hiroga, der den Zug eigentlich an der Spitze auf seiner Stute begleitet hatte, war aus dem Nichts aufgetaucht und zog sie zu sich aufs Pferd, noch während er den Weg aus dieser Situation nahm.
Sie hang wie ein Sack Kartoffeln vor ihm auf Juna und musste mit Entsetzen ansehen, wie die wildgewordenen Tiere von nichts aufzuhalten waren, einige der Karren umstießen und Menschen niedertrampelten.
Nach nur wenigen Augenblicken war das Tosen vorrüber und ein Wehklagen erhob sich.
Der Schnee war an manchen Stellen vom Blut gefärbt.
Doch nach wenigen Augenblicken erhob sich eine neue Panik, erneute Warnrufe erklangen in der Kält, ein erneutes Grollen rollte auf sie heran und unendlicher Schrecken ergriff Freiyas Herz. Sie konnte nichts tun, die Herde hatte einen unerbittlichen Weg eingeschlagen.
Die, die unter den Karren begraben waren, waren dem Tod nun erst recht geweiht.
"Innos, lass das bitte nicht geschehen-"
Sie schloss die Augen. Das konnte sie nicht mit ansehen.
Geändert von Freiya (02.12.2010 um 15:45 Uhr)
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Wer das in diesem Moment zweifelhafte Privileg besaß, in einer Kutsche zu reisen, verabschiedete sich spätestens jetzt davon: Iwein sah den eitlen Lord Harold und die übrigen Mitgereisten vom Hofe eilends aus ihren Gefährten hüpfen. Verletzte wurden eilends von den bereits zerstörten Wagen geschleift. Die Hauptherde der Bisons kam indes näher und machte keine Anstalten, vom Kurs der Vorhut abzuweichen. Keine Viertelmeile trennte sie mehr voneinander.
Kann ich denn gar nichts tun?
Für einen Moment erwog Iwein, seine Armbrust zum Einsatz zu bringen. Aber er kannte die Herdendynamik der Bisons. Selbst wenn ein oder zwei von ihnen zu Fall kamen, so würden die anderen das Tier einfach niedertrampeln und schlimmstenfalls nur noch mehr in Aufregung geraten.
Kano, Iweins Wallach, schnaubte und warf unruhig seinen Kopf hin und her. Ein Fluchttier wie er war angesichts dieses heranpreschenden Donnerwetters nur schwer im Zaum zu halten.
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San saß im Schuppen, gleich neben dem großen Kochtopf, der verführerisch nach Kartoffelsuppe roch. In dem Duft konnte er noch einen Hauch von Kräutern und Pilzen entdecken. Als er vorhin seine Portion gegessen hatte, waren sogar einige kleine Würste drinnen gewesen. Dies war Luxus, zumal sie sich im Winter befanden und der Bauernhof viele Leute beschäftigte. Zum Glück hatte die Bäuerin und die Magd etwas mehr Suppe gemacht, denn der Tag war anstrengend und sehr kalt gewesen, weswegen die gesamte Knechtschaft viel von der warmen Speise zu sich nahm. Die meisten waren sogar so hungrig, dass sie sofort runterschluckten.
San nicht. Er genoss das Warme Gefühl im Mund und wollte soviel von dem Essen haben, wie nur irgend möglich. Die Kälte machte ihm nicht mehr so viel aus. Langsam hatte er sich daran gewöhnt. Außerdem hatte einer der Knechte ihm ein paar höherer Stiefel, eine innen gefütterte Hose und einen langen Mantel recht günstig verkauft.
Seinen Lederwams trug San nicht zurzeit, da wohl keine Kämpfe anstanden und er nicht zu viel auf einmal tragen wollte.
Trotzdem saß er jetzt hier bei dem Topf und wärmte sich die Hände an dem Feuer, das darunter brodelte. Solange er nicht arbeiten musste, war er gerne hier und wärmte sich. Zudem war draußen ein heftiger Wind, der einem den Schnee in das Gesicht wehte und in den Augen biss.
Das wollte er gerade nicht unbedingt haben. Er würde ja Messerwerfen, aber durch den Wind und das Schneetreiben würde er das Messer nie wieder finden. Es würde von seiner Flugbahn abkommen und sich irgendwo in den Boden graben.
Viele der Knechte saßen noch hier. Manche aßen Suppe, manche unterhielten sich, doch die Meisten schauten einfach nur in das warme, lustig tanzende Feuer.
Tom war auch hier, genau neben San. Wenige der Knechte waren beim arbeiten in der Scheune oder im Kuhstall, aber wahscheinlich nicht mehr lange.
Dies war einer der Tage, an denen man einfach nur im Warmen sitzen wollte und sich ausruhen.
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Gerade hatte Thorwyn sich ächzend erhoben und wollte sich einen Überblick darüber verschaffen, was die rücksichtslosen Bisons angerichtet hatten, als etwas nahte, das die Lage vollends ins Chaos zu stürzen drohte: Noch mehr Bisons. Wie Donnergrollen klangen ihre Hufe, die auf den Boden trommelten und sie immer näher herantrugen, zum Verderben der Menschen.
Scheiße, Scheiße, Scheiße, dachte der Jäger jetzt und sah sich hektisch um. Verwundete lagen herum – teilweise noch verletzt von der Schlacht, teilweise erst den Bisons zum Opfer gefallen – und Menschen liefen durcheinander, um sich oder andere in Sicherheit zu bringen. Eben wollte Thorwyn einem Mann zu Hilfe eilen, der versuchte, einen Verletzten zu bergen und dabei nach Unterstützung rief, aber schon als der Jäger den ersten Schritt machte, breitete sich sengender Schmerz in seinem Rücken aus. Zischend stieß er die Luft aus und blieb stehen. Der Bison, von dem er umgerannt worden war, hatte allem Anschein nach ganze Arbeit geleistet, eher würde Thorwyn selbst Hilfe brauchen, als dass er welche leisten könnte. Und so humpelte er zur Seite, verzog immer wieder vor Schmerzen das Gesicht und kämpfte gegen den Schwindel an, der ihn packen wollte.
Das konnte doch alles nicht wahr sein! Man hatte einen Krieg gewonnen, die Orks vertrieben, Faring erobert – und nun kam eine Herde Bisons und trampelte die Armee platt? Vor den Naturgewalten war eben niemand sicher, auch wenn man sich darunter normalerweise apokalyptische Erdbeben und vernichtende Vulkanausbrüche vorstellte. Konnte denn niemand etwas dagegen tun, vielleicht die Magier? Während er in Sicherheit schlurfte – nicht einmal, dass er das schaffte, schien sicher –, sah Thorwyn sich um. Es waren doch Magier auf den Wagen gewesen, die vielleicht etwas ausrichten konnten. Vielleicht. Denn wenn diese Herde wirklich groß war, ließ sie sich durch Menschen kaum aufhalten. Scheiße, Scheiße, Scheiße …
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Der Paladin fasste einen kühnen Entschluss.
»Hiroga!«, rief er krächzend dem einzigen weiteren Reiter zu, den er in der Nähe ausmachen konnte. Zu leise. Statt Iwein zu bemerken, lud der Ritter eine Verletzte auf sein Pferd. Fluchend und wohlwissend, dass ihn das wertvolle Zeit kostete, lenkte Iwein Kano zu dem Kamerad hinüber.
»Hiroga!!«
Seine Kehle schmerzte ihn, doch jetzt endlich hatte der Ritter ihn bemerkt.
»Wenn wir ihnen entgegenreiten, können wir sie vielleicht von ihrer Route abbringen!« Während er auf eine Antwort wartete, fiel sein Blick auf die junge Frau, die gebeugt vor Hiroga im Sattel saß. Es war seine Gehilfin Freiya. Iweins Ton wurde dringender. »Bist du dabei?«
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Sein Herz schlug rasch in der tiefgekühlten Brust. Es hatte sich aus seinem kalten Gefängnis befreit und ließ neue Wärme durch seinen Körper fahren. Die Angst vor dem Tod oder dem Verlust anderer ließ Ungeahntes vollbringen, ließ einen stark werden wie ein Oger oder schnell wie der Wind. Erleichterung erfüllte ihn als er Freiya sicher vor sich auf der Stute wusste. Einige Augenblicke kostete es ihn die neue Situation zu überblicken. Was hatte die sonst so friedlichen Tiere dermaßen verschreckt? War es ein letzter Racheakt der Grünfelle? Unwichtig, es galt Leben zu retten und diese Gefahr zu bannen.
Aus der Ferne hörte er eine Stimme nach ihm rufen. Überraschte wandte er sich um und erblickte Iwein. Der Paladin bedeutete ihm, ihm entgegen zu reiten um in Hörweite zu gelangen.
Nickend beantwortete er seinem ehemaligen Ausbilder die Frage und blickte Freiya besorgt an. Es war nirgends im Tross sich er für sie, solange diese Herde umher wütete. Ihm blieb nichts anderes übrig als sie mitzunehmen.
Tief einatmend lenkte er Juna neben Iweins Pferd und blickte dem seltsamen Feind entgegen. Der Plan des Paladins war riskant, doch eine andere Möglichkeit sah er nicht. Versuchte man die Tiere gezielt zu töten, würde der Aufruhr wohl noch größer werden. Doch zu zweit schien der Plan kaum durchsetzbar.
"Das schaffen wir niemals allein!", rief er Iwein zu und blickte sich nach weiteren Reitern um.
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Melaine schüttelte den Kopf, als wollte sie leugnen, was sie doch dank der Fürhung Cerons gespürt hatte. Diese Orkfrau hatte nicht mehr lange zu leben und der Tod war ihr näher, als alles anderes, was sich noch um sie herum befand, gar näher als das heftige Pumpen des eigenen Herzen, was sich wohl bis zuletzt dem erwehren wollte.
„Aber…“, entglitt es der Wassermagierin, die jetzt, wo sie sich dazu entschlossen hatte, diesem Wesen zu helfen, nicht verstand, warum sie aufgeben musste. „Ist nicht alles heilbar? Der Tod mag endgültig sein, aber das… was davor ist? Sie lebt doch noch und das, was sie belastet… es muss doch einen Weg geben, sie zu retten! Gerade ihr als Hohepriester…?!“, die Stimme der Rothaarigen versagte und Melaine schloss die Augen, tief einatmend und versuchend, das, was nach außen wollte, zu kontrollieren.
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Die beiden blickten sich nach Hilfe um. Der Heereszug war ein langer, schmaler Tross in der Ebene, länger als ihre Augen überblicken konnten. Aber ausgerechnet an diesem Abschnitt hier befanden sich kaum Reiter unter den Männern.
»Da ist Rod!«, krächzte Iwein, doch seine Stimme war nach den wenigen Worten schon wieder am Ende ihrer Kräfte.
»ROOOD!!«, brüllte Hiroga augenblicklich und Iwein winkte dazu mit den Armen. »HIERHEER!!«
»Reiten wir zu!«, drängte Iwein. »Es ist keine Zeit mehr!«
Kano mit dem Schnenkel antreibend, sandte er ein Stoßgebet an Innos, dass Rod sie bemerken und sich ihnen anschließen würde.
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Nicht mal genug Ruhe um ein paar Eiszapfen aus seinem Bart zu zupfen hatte man heutzutage.
Es wirkte irgendwie lächerlich, dass ihr großes mächtiges Heer gerade noch in Faring gegen die Orks gekämpft – und gesiegt – hatte und jetzt stellte sich ihnen ein Heer entgegen, dass noch gefährlicher wirkte als alle Orks dieser Welt zusammen.
„Ich bin ja da“, brüllte er Iwein und Hiroga zu, als er endlich aufgeschlossen hatte. Dem Paladin beschlich bereits ein ungutes Gefühl, als er die Bisonherde vor sich näher kommen sah.
„Habt ihr das vor, was ich denke was ihr vor habt?“, fragte Rod leicht verunsichert. Er schluckte.
Iwein nickte ihm zu.
„Umkehren kann ich wohl nicht mehr“, schrie er nun schon fast. Das Hufgetrampel wurde immer lauter.
Irgendwie schien ihm der Plan noch unausgereift. Nichtsdestotrotz erhöhten die Reiter das Tempo.
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Keuchend stolperte Thorwyn weiter und einen kleinen Hügel hinauf, auf dem sich auch schon andere Soldaten in Erwartung der bevorstehenden Stampede in Sicherheit gebracht hatten. Wenn hier irgendwelche Bisons entlangtrampelten, würden sie vielleicht den Weg des geringsten Widerstandes einschlagen und einfach um den Hügel herumlaufen. Oder die Herde war gar nicht so groß, wie das dumpfe Trommeln vermuten ließ, so dass sie in einiger Entfernung an diesem Zufluchtsort vorbeirennen würde.
Aber wie auch immer es sich verhielt, weiter würde Thorwyn jetzt nicht mehr kommen. Das Stechen und Ziehen in seinem Rücken brachte ihn fast um, so dass er sich nur ungeschickt zu Boden fallen lassen und außer Atem das Chaos ringsherum beobachten konnte. Die Wagenlenker vor der Unfallstelle versuchten, möglichst schnell so viel Platz wie möglich zwischen sich und die umgestürzten Karren zu bringen, während diejenigen weiter hinten entweder wendeten oder ihre Gefährte verließen, um zu Fuß zu fliehen. Und inmitten dieses Aufruhrs lagen Verletzte herum, rannten Soldaten auf und ab und versuchten Menschen, die verbliebenen Augenblicke für letzte Rettungsversuche zu nutzen. Der Jäger erbleichte, als er an das Schicksal derjenigen dachte, die es nicht schafften, den erbarmungslosen Hufen der Bisonherde zu entkommen.
Innos, das darf doch nicht wahr sein, dachte er fassungslos, während seine Augen ihn schonungslos mit der Realität konfrontierten. Und er konnte nicht einmal etwas dagegen tun. Niemand konnte … Was war das? Aufgeregt deuteten ein paar der Umstehenden in Richtung der näherkommenden Herde. Es schien, als würden sich dort einige Reiter formieren, um den Bisons die Stirn zu bieten. Große … Was machen die da? Fußsoldaten und womöglich auch Orks konnte man ja noch niederreiten, aber eine Bisonherde würde den Spieß schnell umdrehen, wenn man das versuchte. Dennoch schlug das Herz des Jägers höher, als er die paar Ritter und Paladine Stellung beziehen sah. Vielleicht gelang den Streitern ja das Unmögliche; erfahrenere und geschicktere Kämpfer gab es jedenfalls nicht, und mit Innos’ Hilfe …
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Es war riskant. Es war gefährlich. Es war in jedem Falle eine dumme Idee. Doch eine anderen, weniger dummen und waghalsigen Plan schien keiner der drei Reiter zu haben. Letzten Endes war es eine Möglichkeit, die Leben retten und Sicherheit bringen konnte, was war da schon das nahezu lächerliche Risiko von einer wild gewordenen Bisonherde zu Tode getrampelt zu werden?
Beunruhigt schluckte er. Orks waren eine halbwegs einschätzbare Gefahr, doch wer wusste schon wie sich die durchdrehenden Tiere verhalten würden, wenn man auf sie zu stürmte um sie zur Flucht nach hinten zu überreden?
Wieder warf er Freiya einen sorgvollen Blick zu. Die junge Frau schien nicht direkt gehört zu haben, was die Reiter planten, doch ihre Miene sprach von einer dunklen Vorahnung. Würde ihr Plan nicht aufgehen, würde er der Erste sein, welcher abdrehte um die Frau vor ihm zu schützen. Iwein und Rod trugen weniger kostbare Fracht mit sich. Doch brach er das Manöver zu früh ab, würde er den Viechern Angst signalisieren und sie in ihrem Sturm bestärken.
Jede Frage die er sich stellte, jede Spekulation und Überlegung, war im Endeffekt doch nur unbedeutend und verschwendete Zeit, hatten sie doch längst begonnen der Herde entgegen zu reiten. Immer schneller werdend hielten sie auf die bekloppten Tiere zu.
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"Da vorne!", rief Gilles, der als Erster das Donnern das die Reiterschar vernommen hatte, zu Gesicht bekam.
"...und der ganze Konvoi mitten drin.", kommentierte Giran. Jun setzte seinen Flügelhelm auf, um unerkannt zu bleiben - er war der Fürst von Quasar, mehr musste keiner wissen - zückte die Klinge aus dem Halfter und hob sie in die Höhe.
"Qel-Reiter rechte Flanke mit Lanzen bilden! Die Paladine halten sich bereit! Wir drängen sie zur Seite!", wies der einstige Rittmeister an und gab Xanthos die Sporen.
Die knapp 30 Reiter donnerten dann die Hügelkuppe herab, von der sie das Szenario betrachten durften. Jun mit den erfahrenen Qel-Reitern bildete die Front die den Büffeln in die Flanke reiten sollte und insbesondere die vordersten Tiere weglenken. De Paladine und anderen Reiter indes, hatten nachzusetzen und die Position zu halten, wenn die Qel-Reiter noch weiter nach vorne drücken würden. Ein gewagtes Manöver und seltsames Aufeinandertreffen. Denn sie kamen zu spät zur Schlacht um Faring und reisten zurück gen Vengard.
Hätte die Heeresführung gewusst, wen Jun da mitbrachte, hätten sie wohl gewartet. Doch so würden sie auch den einstigen Statthalter von Khorinis kennen lernen, auch wenn er und seine Paladine sicher keine so guten Reiter waren wie Jun und seine Clansbrüder.
Lanzen wurden langsam gesenkt, Klingen in die Höhe gehalten und ein lautes "Innos!" kündigte die Reiter an, die vor allem unter den Qel-Reitern eine eingespielte Reiterschar bot, die Vengard nie und nimmer besaß - wie auch ohne einen Jun?
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Wer hätte gedacht, dass einmal Menschenleben von seinen Reitkünsten abhängen würden?
Obwohl er schon an seinem tollkühnen Vorhaben zweifelte, war Iwein für jede einzelne Reitstunde bei Wenda und Exorbita dankbar. Dass sie auch jetzt von einer Frau begleitet wurden, wertete er kurzerhand als gutes Omen und grinste seinen Mitstreitern zu.
Die donnernden Hufe der Bisons ließen ihn den Blick aber schnell wieder nach vorne richten. Iwein schluckte und Kano riss rechts und links an den Zügeln. Wer rannte schon gerne dem Tod frontal entgegen? Der Wallach würde diesen Wahnsinn nicht mehr lange mitmachen.
»Wir näheren uns ihnen in einem Bogen von rechts, bis wir fast parallel zu ihnen reiten«, beschloss Iwein. »Und dann tut alles, um irgendwie die Leitbullen zu beeindrucken!«
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„Rechts, Reiter“, brüllte Rod, nachdem Iwein noch ein paar Takte zum weiteren Vorgehen von sich gegeben hatte. Auf einmal war das und die Bisonherde wie vergessen, alle Blicke waren auf die Neuankömmlinge gerichtet. Von weitem konnte man nicht erkennen um wen es sich handelte, aber sie konnten nichts Gutes im Schilde führen. Die gesamte Kavallerie des Reiches war mit dem Heer unterwegs und irgendwo ganz woanders, nein, es mussten andere Reiter sein. Fremde Reiter mit ungewissen Absichten.
„Innos, was ist heute nur los? Was haben die nur vor?“
Cador beschleunigte noch einmal, bald würden Bisons und Paladine aufeinander treffen. Doch neugierig beäugte Rod, was sich ein Stück weiter abspielte.
Irgendwann wurde ihm bewusst, dass Innos höchstselbst ihnen Unterstützung geschickt haben musste.
Oder es gab auf dieser Welt einfach nur ein paar Reiter, die genauso dumm waren wie sie und auf Selbstmord aus waren.
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Ein grimmiges »INNOS!« aus über zwei Dutzend Kehlen dröhnte den Reitern voraus, die plötzlich wie aus dem Nichts auf den Plan getreten waren und nun sehr schnell näher kamen. Während Rod, Iwein und Hiroga sich der linken Flanke der Bisons in einem Bogen von vorne näherten, hielten die unbekannten Reiter aus Vengarder Richtung von der Seite auf die linke Flanke der Herde zu.
»Sie sind auf unserer Seite!«, stellte Iwein unsicher fest, die neue Situation nur langsam überblickend. Was machen wir jetzt? Wer sind diese Reiter?
»Macht langsamer!«, wies er seine Freunde an und beobachtete die Unbekannten. Sie bewegten sich wie eine Einheit und hatten sogar bereits Waffen gezogen. Offensichtlich wollten sie den Bisons mit Schwert und Speer zuleibe rücken!
Was bei Innos … ? Die Kavallerie von Vengard hat solche Krieger seit Jahrzehnten nicht mehr hervorgebracht.
»Wir halten an unserem Plan fest!«, entschied Iwein dagegen, sich den Fremden anzuschließen. Man wäre diesen erfahrenen Reitern nur in die Quere gekommen. »Wir drängen sie in Richtung Faring soweit wir können, und den Rest besorgen die anderen!«
Der weite Bogen der drei Paladine kam zu einem Ende, und sie ritten jetzt nur vier, fünf Pferdelängen schräg vor den ersten Bullen her.
»HA! HAA!« Iwein drehte sich im Sattel um und gröhlte und johlte den Bullen entgegen, flehend, dass sie sich irgendwie gen Norden wenden würden.
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Und dann war es soweit.
Rod zog sein Schwert, obwohl er wusste, dass es ihm nicht wirklich viel bringen würde. Aber es gab ihm Zuversicht, warum auch immer. Vielleicht wollte er auch einfach nur mit einem Schwert in der Hand untergehen.
Von Nahem wirkte die Horde noch viel gefährlicher. Er mochte sich gar nicht vorstellen, was passieren würde sollte sie auf das Heer treffen.
„Jihaaa“, schrie Rod so laut er konnte. Warum es gerade darauf hinauslief konnte er nicht sagen, es überkam ihm einfach.
Die anderen jihaaten auch und brachten sie ihre Pferde in Position – wenn man überhaupt von einem in Position bringen reden konnte.
Die anderen Reiter schienen währenddessen ebenfalls die Herde zu ärgern. Unruhe machte sich spürbar breit unter den Tieren.
„So, und wo steckt nun dieser Bulle?“, fragte er sich laut, doch man hörte nur noch das Getrampel der Bisons.
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Iwein konnte den dampfenden Atem der Bisons jetzt förmlich an seinem Hintern spüren. Jedenfalls glaubte er das. Kaum zu fassen, dass Kano diesem Druck standhielt! Iwein mochte sich nicht ausmalen, was ihm bevorstand, sollte sein Wallach jetzt ins Straucheln geraten.
Wieder sah Iwein sich zur Herde um. Speichel und Schaum troffen vom Maul des vordersten Bullen, und selbst seine Augen schienen hinter dichtem wolligem Fell zu verschwinden. Er sah ziemlich dämlich aus, doch die zwei wuchtigen Hörner machten unmissverständlich klar, dass mit diesem Gesellen nicht zu scherzen war. Ebenso sah der Bulle rechts davon aus, und der links davon, und die in der zweiten Reihe und auch in der dritten — dahinter jedoch verschwamm alles in Schnee und in Donner.
Jedes Wort, ja selbst das kräftige Johlen und Schreien der drei wagemutigen Paladine — Iweins Schmerzen in der Kehle waren zum ersten Mal seit der Schlacht vergessen — schluckte der Lärm des Hufgetrappels.
Iwein winkte mit dem Arm nach rechts, nach Norden. Sie mussten spätestens jetzt abdrehen, wollten sie nicht am Ende selbst an vorderster Front zwischen die Bisons und den Menschentross geraten. Und während sie nun von links nach rechts vor den Bisons herritten, tatsächlich — schwenkten auch die Bisons ein Stück mit?
»Ja, es klappt!«
Doch noch war die Katastrophe nur aufgeschoben. Der Weg der Bisons würde sich etwas später, aber doch unweigerlich mit dem des Heereszuges schneiden.
Innos, lass diese Reiter etwas taugen, die deinen Namen rufen …
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Unruhig festigte er den Griff um die junge Frau vor ihm. Er wollte nicht daran denken, was wohl in ihrem Kopf vorging.
"Hier ist es sicherer als im Tross. Wenn die Herde den Heereszug trifft und du dort bist könnten sie dich niedermachen. Hab keine Angst, sind wir zu nahe drehe ich ab, dir wird nichts geschehen!", versicherte er ihr und versuchte die Sorgen und Zweifel aus ihrem Herzen zu bannen, wohl wissend, dass sein Wort allein nicht genügen würde.
Er presste sich enger an die dunkle Stute, drückte seine Stiefel noch ein wenig mehr in ihre Flanken. Es musste etwas geschehen. Aus den Augenwinkel konnte er sehen, wie die Herde dem Schwenk Iweins folgte, doch noch immer befanden sie sich auf Kollisionskurs. Das Manöver des Paladins hatte ihnen etwas Zeit gekauft. Zeit, die der Unterstützung nun die Chance geben würde ihren Dienst zu tun und die Gefahr endgültig zu bannen. Es war gut zwei Dutzend Reiter, mit Speeren und Schwertern bewaffnet und mit scharfem Ritt auf die Herde zu. Sie würden in jedem Fall ein wenig mehr Eindruck schinden und selbst wenn ihr imposantes Auftreten keinen Erfolg mit sich brachte, so würden es wohl ihre Waffen.
Waffen...
Fluchend stellte er fest, dass er keine Hand frei hatte um nach seinem Schwert zu greifen. Ein Arm hielt die Zügel und lenkte Juna notdürftig, der andere hielt Freiya und versuchte ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben.
So oder so wusste er nicht, wie Juna auf eine Waffe reagieren würde. Sie war schon ohne den scharfen, blanken Stahl nahe ihres Körpers nervös genug. Die Herde schien sie zu ängstigen. Er hatte nie die Gelegenheit gehabt sie auf einen Kampf vorzubereiten, kam sich unbeholfen und unfähig vor, im Vergleich zu den beiden Paladinen. Womöglich war der Mangel an einem freien Waffenarm in diesem Augenblick eher ein Segen als ein Fluch.
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