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Schweigend nahm die Jägerin das Seil entgegen, das Ornlu ihr reichte. Ein raues Hanfseil von etwa einer Manneslänge. Sie zog testweise daran und hörte befriedigt, wie es leise knarzte, wenn sie es strammzog. Es war ein Seil, wie sie selbst schon tausendfach in den Händen hatte, ebensoviel Knoten geknüpft hatte und vermutliche hunderte Fallen gestellt hatte, Beute zusammengebunden und sich ihr Lager eingerichtet hatte. Es zeigte, dass der Druide tatsächlich ein Mann war, der nicht nur davon sprach in der Natur zu sein, sondern es auch wirklich war. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass ein Städter ein Seil wie dieses zu schätzen wüsste oder daran denken würde eines einzupacken, wenn er doch einmal die Stadt verließ.
Die Nordmarerin legte das Seil ausgerollt hin und setzte sich selbst im Schneidersitz davor. Eine Weile betrachtete sie es, die Beschaffenheit und Farbe des Seiles, ehe sie die Magie in ihren Ohren dröhnen hörte. Eine seltsame Melodie war es, mit abgehackten Rhythmen und stakkatoähnlichen Läufen, und das Seil begann leicht zu zittern, ein Ende hob sich langsam wie der Kopf einer Schlange und zuckte etwas lustlos hin und her, wand sich zuerst weg vom Baum und fiel dann schlaff in sich zusammen.
Sie biss die Zähne zusammen und beschwor wieder ihre Magie herauf, und wieder erhob sich das Seilende und rückte näher zum Baum und zog den Rest des Seiles hinter sich her über den Boden. Es tapste etwas an der Rinde des Baumes und rutschte dann an der Seite des Stammes vorbei, wo er etwas unschlüssig in der Gegend hing.
Die Stimme der Jägerin war kaum hörbar, als sie in die Magie die sie hörte einstieg, sich in ihr einfügte und flüsternd eine Zauberformel an das Seil richtete.
Okända Krafter, knyta knuten
Knyta, kasta knuten kring trän*
Wie von Geisterhand bog sich das Ende des Seiles, schlang sich unten um das Seil herum, wand sich langsam um sich selbst, knüpfte sich selbst und zog sich fest und hing am Stamm des abgestorbenen Baumes, als hätte sie es selbst per Hand festgezurrt.
Sie grinste schief und selbstzufrieden und wandte sich dem anderen Ende zu.
Samma saker göra, snart
som en snara krama stammen**
Seinem entgegengesetzten Gegenstück gleich erhob sich das Seilende wie ein Schlangenkopf und gleitete um den Baumstamm herum, ehe es sich dem Ouroboros gleich selbst in den Schwanz biss.
„Inte dåligt!***“ sagte die Jägerin zu sich selbst und der Welt und lies die Magie wieder abebben. Dass ein Ende etwas los hing und das Seil nicht ganz so straff gespannt war, wie sie selbst und auch Ornlu es wohl gerne gesehen hätte juckte sie im Moment nicht. Mit der vollbrachten Leistung war sie vollkommen zufrieden.
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*nordmarisch: Unbekannte Kräfte, knüpft den Knoten
Knüpft, werft den Knoten um das Holz
**nordmarisch: Die selbe Sache mache, schnell
wie eine Schlinge umarme den Stamm
***nordmarisch: nicht schlecht!
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"Was für eine lustige Sprache.", sagte Ornlu mehr zu sich selbst und meinte viel mehr, dass er die Sprache Nordmars so noch nie gehört hatte. Fast reimend, einem Singsang gleich. Es nahm der Sprache das permanente Drohen, wie es die meisten - die nicht aus Nordmar kamen - wahrnahmen, wenn vor ihnen sich zwei Nordmarer unterhielten.
"Es wird noch etwas Übung brauchen, aber im Grunde hast du die Aufgabe erfüllt. Wer darüber stolpert, fliegt auf die Fresse.", sagte er und blickte gen Himmel. Ein seltsames Gefühl überkam ihn, als er den Mond erblickte, der gerade Aufstieg.
"Natürlich geht das besser und das wirst du auch sicherlich mal wiederholen. Aber du hast gezeigt, dass du deine ersten Zauber soweit sicher anwenden kannst. Gut so. Es ist trotzdem nur ein mickriger Anfang. Ruh dich aus und schau zu, dass du vor Einbruch der Nacht hier weg bist. Ich muss jetzt los und es darf kein Aufschub geben. Such mich auf, wenn du mehr lernen willst...", sagte der Druide und lief tatsächlich los wie der Wind selbst. Er zitterte, spürte was und fühlte sich unwohl und freudig zugleich.
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Der Mond im Zeichen des Wolfes - die Rückkehr des Hetzers
Er zitterte wie Espenlaub. Zusammengekauert und gewickelt in seinen Mantel hier oben in der Baumkrone. Nicht weil er krank war, nicht weil es kalt war. Seine wölfischen Augen blickten wie jene eines Süchtigen gen Himmel. Gen Vollmond, der zwischen Wolken immer wieder in ganzer Größe erschien und sein Licht auf Tooshoo und sein Tal warf.
Es war lange her. Sehr, sehr lange her, dass er das letzte Mal so sehr vom Mond beeinflusst wurde. Er hätte es ahnen können, er hätte es deuten können, er hätte es wissen müssen, in welchem Sternbild der Mond wieder stand. Und doch - so viele Jahre war nichts geschehen und heute war es dann soweit.
Der Mond stand im Zeichen des Wolfes. Eine Wolfsnacht, eine unheimliche Nacht, eine Nacht, die noch Blut und Opfer fordern würde.
Kurz hielt er seine Augen zu, summte vor sich hin, um den inneren Druck…ja...fast schon Pein los zu werden. Doch konnte er es nicht, würde es nicht können und…wollte es auch nicht.
Gier…das Versprechen auf Blut und Jagd. Der innere Trieb wurde genährt, wie schon lange nicht. Kein Sumpfkraut, kein klarer Gedanke konnte es jetzt verhindern. Zu viel Macht hatte der Mond und zu sehr war sein Druidenstein erwacht. Er war erwacht und gab dies seinem Druiden zu erkennen. Der Hetzer - der große Wolfsgeist - war zurück.
“Komm, mein Sohn.”, sagte eine innere Stimme und die große Narbe am Oberkörper brannte. Forderte den Druiden auf, die menschliche Hülle abzulegen und sein Innerstes rauszulassen.
Ornlu warf langsam seine Kleidung ab. Blickte wie hypnotisiert auf den Mond und hob die Mundwinkel zu einem wölfischen Grinsen an.
“Ja…”, knurrte er willentlich und sich seiner bewusst. Er war Ornlu der Wolfsdruide, er war Jadewolf von der Wolfssippe, er war Ornlu der Hetzer - der Mensch, der zum großen Wolfsgeist wurde.
Er rannte und sprang die Stufen hinab. Fast nackt und mit dem Blick eines Mondsüchtigen. Er rannte über die Stege, jagte barfuß durch das Unterholz und Brackwasser. Erklomm Fels und war dann irgendwann auf dem Plateau, das über dem Westen des Tooshoo-Tals ragte.
Der Mondsüchtige blickte hinauf zum Mond, ließ seine Magie endlich frei und gab sich der Bestie hin, die er innerlich war.
Seine Knochen knirschten und knackten, Muskeln und Fleisch regten sich, sein Herz pumpte ungemein schnell und überall traten seine Adern hervor. An den Händen und Füßen bildeten sich Krallen und Ornlu warf sich auf die Knie. Sein Rücken beugte sich durch, sein Brustkorb drohte zu explodieren und die Reißzähne bildeten sich am sich verformenden Kopf. Er schüttelte sich, biss die Zähne zusammen und schrie dann vor Schmerz bis der Schmerz verflogen war und Luft in seine großen Lungen strömte. Bis nichts mehr wuchs oder sich verformte. Bis er seine Bestienform angenommen hatte.
Die großen Augen der Wolfsbestie öffneten sich und die feuchte Nase sog allerhand Gerüche ein.
Dann erhob er sich und heulte den Mond an. Markerschütternd und nicht so hoch wie bei Wölfen. Tiefer und fast schon grollend. Unüberhörbar für alle, die im Tooshoo-Tal denselben Mond anblickten. Der Wolfskönig war da. In den nächsten Momenten heulten gefühlt auf der ganzen verdammten Insel Wölfe auf und die Nacht der Wölfe begann. Ornlu sprang das Plateau hinab. Zeit für die Beute, für ein Opfer für den Hetzer…
…Äste knackten unter seiner Last. Die mächtigen Krallen umgriffen einen Ast und zerrten an diesem, während die Schnauze nach vorne ging und Gerüche regelrecht einsaugte. Die spitzen Ohren jagten nach Geräusche und die Augen spähten in die Nacht. Dann kletterte er hinab und ließ sich mit einem Satz fallen.
Tief bohrten sich die Krallen in den Boden und dann spurtete er los. Einem vagen Geruch und vertrauten Gerüchen hinterher.
Die Augen erkannten Felsen. Das Felsennest im Mondschein. Langsam näherte er sich dem Ort. Witterte Feuer und Gekochtes. Witterte vier Menschen und bleckte die Zähne.
“Niradh…”, knurrte die Wolfsbestie unverständlich und lief einmal um die Felsenburg. Fand den Aufstieg und hielt dann inne.
Getrappel… - Ornlu drehte das Haupt und spitzte die Ohren. Vorsichtig setzte er einen Schritt vor den anderen und als er den dezenten Geruch dem Getrappel zuordnen konnte, rannte er los.
Mächtige Sprünge über Stein und Wurzeln endeten, als die Geräusche nah waren. Dann dieses Fiepen und Klackern.
Die Wolfsbestie schlich um die Bäume, bewegte sich gegen den Wind. Mal auf zwei Beinen, mal auf allen Vieren. Lauerte nicht, sondern suchte sich seine Beute aus.
Dann war es soweit und Ornlu kam aus dem Dickicht gestürmt. Ein Sprung und er krallte sich an einen Baum fest, um von da auf seine sich drehende Beute zu stürzen.
Die Krallen gruben sich den kugelförmigen Körper. Zerrissen die ledrige Haut des Insektoiden und ein Schwall grünlichen Blutes quoll heraus.
Knurrend und drohend näherte er sich der nächsten Drohne oder Arbeiterin und sprang sie an, um mit seinen Krallen dasselbe zu tun wie zuvor.
Erst als der dritte Insektoid im Bunde auftauchte, war es eine Herausforderung.
Denn das war ein Krieger, ein Beschützer, der schon versagt hatte. Mit seinem großen Chitinpanzer und dem keulenartigen Schwanz drohte das Insekt und attackierte dann. Es schnappte nach der Wolfsbestie, machte eine schnelle Drehung um zuzuschlagen, doch die Wolfsbestie wich zurück, um sich dann mit einem Sprung auf seinen Feind zu stürzen.
Mit vollem Körpereinsatz packte er den Schwanz, krallte sich fest und warf sich mit dem Gegner zur Seite, bevor er sich löste und seine bewährten Krallen im Angriffssprung in die Unterseite schlagen wollte. Doch sie zogen nur tiefe Furchen durch das Chitin.
Ornlu verbiss sich daraufhin sofort. Biss ein Bein ab und drückte seinen Kontrahenten zu Boden. Der wehrte sich, schlug mit dem Schwanz zu Boden und um sich. Die Kraft dahinter ließ die Bestie walten, ließ ab und nahm kurz Abstand.
Dann rannte er einen Halbkreis um das sich orientierende Wesen und sprang erneut auf dessen Rücken. Doch dieses Mal war es nicht der Schwanz, sondern die Vorderseite.
Die Krallen setzten an den Vorderbeinen an, knirschten, als sie sich in das Chitin bohrten und dann stürzte er sich mit den großen Fängen auf den Kopf des Insektoiden. Er verbiss sich, hörte das schrille Fiepen, riskierte einen Schlag des Schwanzes und riss mit brachialer Gewalt an seiner Beute, als er mit den Zähnen tief genug war. Ein Ruck, noch einer mit nachbeißen und das war die Entscheidung.
Der Kopf des Insekts löste sich vom Rest des Panzers und sie wälzten sich im Laub umher. Ornlu ließ nicht ab, hielt mit den Beinen gegen, knurrte und zerrte dann ruckartig weiter an Kopf und umschlag mit seine vorderen Krallen sein Ziel, so dass es nicht wendig genug wäre, um sich gefährlich zu drehen.
Drehend oder besser drehend abreißend, tat die Wolfsbestie es nun mit dem Kopf und riss mit Krallen und Zähnen die Lücke auf. Grüner, zäher Schleim trat aus und Ornlu schleuderte den abgebissenen Kopf von sich, um dann den um sich schlagenden restlichen Körper zu bändigen. Das waren keine Minecrawler und es wurde deutlich, dass die Wilde Jagd nicht alle erwischt hatte.
Mit vollem Gewicht stemmte er sich nun gegen die wütende Bewegung des Torsos und warf sich dann auf den Schwanz selbst.
An den Boden gedrückt und ohne Kopf schwanden die Kräfte des Insektoiden, bis selbst die Nerven aufgaben und der Körper zusammen sackte.
Ornlu der Hetzer rief zur Jagd und sammelte noch kurz seine Kräfte, um bald anzuführen.
Wölfe und Warge kreuzten auf. Heulten um die Wette und rannten im Kreis um den verwandelten Druiden. Dann bäumte er sich auf und heulte mit den Wölfen in die Nacht.
Die Meute war wie verrückt und rannte Ornlu hinterher, als der los lief. Die Nacht, der Mond und der Hetzer wollten Blut sehen. Rotes, dampfendes Blut…
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Auf dem Weg zum großen Baum - Onyx, Freiya, Ryu
-Die perfekte Waffe gibt es wohl nicht.-
Immer wieder dachte Ryu an diese Worte seiner rothaarigen Begleiterin, während er den ein oder anderen Blick auf den Griff ihrer Klinge warf, der an ihrem Haupt vorbei nach oben ragte. Dabei atmete er in aller Ruhe durch und kaute auf dem von Onyx so merkwürdig zubereiteten Buddlerfleisch. Wobei, konnte man da noch von zubereiten sprechen? Schließlich hatte er dem Zeug nur etwas zugeflüstert und doch … hatte es einen anderen Geschmack als man es von den vermutlich weit verbreitetsten Pilzen der Welt kannte. Als hätte der Torgaaner sie mit einer seltsamen Würze belegt, konnte der Hüter eine Art raues Kratzen auf seiner Zunger spüren. Wie eine gut angeröstete Panade, durchzogen von einem Hauch Pfeffer, Salz, Paprika und … Oliven? Wie schaffte er es, diese Kombination vorzugaukeln?
Mediterran war hier ein angebrachter Begriff. Aber da war noch etwas: noch bis eben hatte der Hayabusa die geschärften Sinne auf Habachtstellung gehabt, ein Echo des noch gar nicht so lange vergangenen Kampfes. Doch mit jeder Kaubewegung fand sein Herz Ruhe und das ansonsten so reißerische Gefühl gespitzter Ohren und aufmerksamer Beobachtung seiner Umgebung hielt sich in Grenzen. Lag es vielleicht an der Erschöpfung und der Tatsache, dass die Spuren des Kampfes gegen Garagh noch immer an ihm zehrten, oder war es vielleicht doch das Phänomen, das Onyx auf seine Weise wirklich zum Hüter machte?
„Onyx, wegen deiner Waffe und der Bezahlung.“, begann Ryu schließlich, als die Gruppe um ihn, Freiya, den Torgaaner, sowie Ambrose, Mani und den restlichen Tier-Hofstaat der Tooshoo’schen Elite-Waldläufer Ricklens, sich dem großen Baum näherten. „Ich mach‘ dir ‚nen Spezialpreis, wenn du mir mehr über dich, deine Beziehung zur … Olvara hieß sie? Und was sie mit dir angestellt hat, verrätst.“
Onyx brummte dezent, was so ziemlich alles heißen konnte. Vor allem wenn man ihm auf den Rücken blickte und seine Mimik nicht lesen konnte. Aber er würde schon mit dem Hauptmann darüber sprechen, wenn er es für richtig hielt. Ryu jedoch empfand es ebenso richtig wie wichtig, herauszufinden, was es mit dem Zustand und diesen neuen Fähigkeiten des Waldläufers zu tun hatte. Schließlich kannte er die Manipulation von Pflanzen bis dato nur von Ornlu und dessen eher für sich lebenden Brüdern und Schwestern bei den Druiden. Es gab einige Dinge zu ergründen, bedenken und allen voran: Entscheidungen zu treffen, die sowohl ihn als auch einen wichtigen Teil des Waldvolkes betrafen. Entscheidungen, die langsam an der Grenze ihrer Fälligkeit kratzten und in die Hitze der Überfälligkeit zu treten vermochten. Und dann war da ja noch der Turm. Es galt viel zu tun und der kühle, frische Nachtwind in seinem Haar bekräftigte nur, dass es auch für den Hüter an der Zeit für neuen Wind im Leben war. Ein wenig schmunzelte er bei diesen Überlegungen und biss noch ein Stück vom Buddlerfleisch ab. Ob Onyx auch unter Wasser grillen konnte?
Schließlich jedoch, aus dem Augenwinkel, fiel des Templers Blick wieder auf die rote Snapperin. Sie schien in Gedanken mit sich selbst und den Entdeckungen Ambrose. Es stimmte: diese Waffen, egal welche von beiden, waren nicht perfekt. Aber auch Freiya war … unvollständig. Das eine Leben in der Dunkelheit verborgen und das andere im Schatten des großen Baumes. Einmal mehr stellte sich dem Hayabusa dabei die Frage: wer würde sie sein, wenn beide Schatten sich kreuzten und vom Licht der Sonne gelüftet wurden? Wer würde sie sein? Wie würde sie leben, kämpfen oder atmen? Würde sie noch immer so wenig von sich selbst halten? Sich als so langweilig empfinden? Oder würde sie eine Sturmflut vergangener Abenteuer, Sünden und Unruhe aufdecken? Der Hüter legte die Stirn in Falten und blickte nach oben gen Sternenhimmel. Stumm seufzend. Er hoffte, dass sie am Ende erkennen würde, worüber sie gesprochen hatten. Und, dass sie sich für den Frieden in ihrem Leben wertschätzen und ihn nicht als etwas Schlechtes abtun sollte.
„Woran denkst du?“, erklang es schließlich von seiner Seite. Und als Ryu zur Seite blickte, sie in ihrer offenherzigen Art lächeln sah, konnte er nicht anders, als auch leicht die Mundwinkel zu heben. Im Gegenzug zu seinem Blick, der nun auf ihren Augen verblieb. „Egal, wieviel Sauerei wir bei den Goblins angerichtet haben – die Sterne strahlen noch immer friedlich vor sich hin. Manche Dinge sollten sich nie ändern.“
Den Rest des Weges, Ambrose hatte noch ein wenig aus dem Nähkästchen darüber erzählt, wie die jungen Molerats gediehen, verbrachte die kleine Gruppe eher schweigend. Nun, bis auf Sandy, die immer wieder echauffiert fauchte, wenn Freiya und der Hauptmann auf einem der engeren Stege nah beieinander gehen mussten, nur um dann nach einem mahnenden Blick, sei es nun durch das Grün oder Orange-Rot der jeweiligen Personen, entweder in Stillschweigen oder Totenstarre zu verfallen. Was von wem ausgelöst wurde, konnte man dabei nur erraten.
Und da standen sie schließlich wieder: am Aufgang zum großen Baum. „Also, Freunde. Ich werde mich nochmal bei Mama Hooqua melden! Sie verrät es zwar keinem, aber ich glaube, sie ist eine große Befürworterin von Mani! Aber behaltet das für euch. Bewahret und bis bald!“
Damit verabschiedete sich zumindest schon Mal ein Teil der Wandergruppe. Ryu indessen trat an die wachhabenden Wächter heran, man wechselte ein paar Worte und einer der beiden Männer verschwand schließlich auch in Richtung Taverne. Er würde ein paar andere Wächter und Jäger mobilisieren, um den Rest der Beute im Bau der Goblins zu bergen. Nun, und um bei der Hooqua die übliche Warmwasser-Menge zu bestellen. Der Hauptmann wollte sein Bad und würde es bekommen!
„Was sagen zu Buddlerfleisch?“, wollte Onyx schließlich wissen, woraufhin der Hayabusa die Arme verschränkte und den Kopf etwas schief legte. „Ich weiß nicht, wie du das so würzig bekommen hast, aber … ich fühl mich gut. Als hätte ich ‚nen warmen Eintopf gefuttert. Hoffe, das macht sich später nicht auf dem Sch …“, kurz blickte er zu Freiya die eine Braue gehoben hatte, dann wieder zu Onyx. „… Pott bemerkbar.“
Doch der Torgaaner schüttelte schlicht den Kopf. „Machen ohne Sorgen. Onyx machen Buddlerfleisch zu neue Essen. Nennen Waldläufer: Sein würzig wie Ricklen-Lachen. Knackig wie Kjal-Beleidigungen. Und zart wie Jilvie-Haar.“
„Und darum heißt dein Spezial-Buddlerfleisch also ‚Waldläufer‘?“, wollte der Hüter bestätigt haben, woraufhin Onyx nickte und mit einer Mischung aus Psychose im Blick und Zufriedenheit über seine Leistung in sein eigenes, letztes Stück „Waldläufer“ biss.
„Genau.“ Nun schaltete sich auch Freiya ein, die die Hände in die Hüften stemmte. „Waldläufer von Onyx. Vom Pilz das Beste. Du kommst auf Ideen, Onyx.“
Mit diesen Worten und der Erschaffung einer neuen Marke, deren Titel sicher noch Verbesserungspotential hatte, verabschiedete sich Onyx schließlich von Ryu und Freiya. Man würde sich demnächst sicher wieder über den Weg laufen und der Schmied würde ohnehin noch ein paar Materialien brauchen. So eine Griffwicklung war schließlich etwas sehr Privates und Intimes! Aber, als sie nun so allein dastanden, vor der Tür zur Kommandantur, blickte Ryu leicht der minimal kleineren Freiya hinunter. Etwas unsicher, welche Worte er wählen sollte. Und wollte. „Also, das sollten wir mal wieder machen. Betten aus Türmen werfen und so …“, begann er nach einer peinlichen Pause und kratzte sich etwas am Hinterkopf. Freiya hingegen begann ein wenig in sich hineinzukichern. „Aber nur, wenn ich nicht wieder in den Kamin kriechen muss.“
„Das nächste Mal schicken wir die vögelnden, äh, vögelfrei, also, die Goblins durch und zünden von unten an. Die machen das Rohr dann schon …“ er hielt inne und blinzelte ungläubig darüber, was er da gerade von sich gab. „Es wird nicht besser, oder?“
„Nein, aber mach ruhig weiter.“ Ryu seufzte und schüttelte nun seinerseits schmunzelnd den Kopf. „Heute nicht mehr.“
„Hm, schade.“
„Mit dem Rohr?“
„Nein, du …! Das … sag mal, was ist das eigentlich immer mit dem heißen Wasser von Mama Hooqua?“
Ryu grinste, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Tür. „Ach das… Naja, ich … bade einfach gerne heiß …“
„Du hast da drinnen ne WANNE!?“
Er nickte und blinzelte. „Für irgendwas muss man doch Schmied sein!“
Doch die rote Snapperin warf die Hände nur fassungslos in die Luft. „Der feine Herr Hauptmann hat also eine Wanne in seinen Gemächern. Was noch? Seidenlaken? Einen Kamm aus Drachenkno … entschuldige.“, doch der Hüter winkte nur lachend ab, formte seine Rechte wie eine Kralle und fuhr sich einmal damit durch das ungebändigte Haar. „Fünfkralliger Kamm. Immer dabei, immer am Mann.“, gab er nur zurück und legte Freiya dann sanft eben jene Hand an die Schulter. „Soll … ich dich noch zu Ricklen und Jilvie begleiten? Wird dir seinen Blödsinn ersparen, wenn er mich anmaulen kann.“
Aber die rote Snapperin blickte nur seufzend zur Seite. Man konnte klar das Bedauern ob des zu Ende gehenden Abend in ihren Augen erkennen. Und, irgendwo, tief in der Brust des Hüters nagte dieses Gefühl auch auf unangenehme Art und Weise. „Jilvie wird ihm schon die Leviten lesen. Ich kann auf mich achten und das sollte er spätestens seit der Jagd gelernt haben. Außerdem ist er nicht so ein übler Kerl.“
Ryu seufzte, löste die Hand von ihrer Schulter, rollte mit den Augen und verschränkte die Arme. „Ja, richtig. Schließlich ist er Teil eines sehr schmackhaften, aber obskuren Pilzgerichtes für Unterwegs. Also … dann bis morgen?“
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Baumkrone - Das kleine Thing der Waldläufer
“Bewahret, Freunde!”, grüßte Mertens die illustre Runde des Standes der Waldläufer von Argaan. So viele Gesichter, so viele verschiedene Persönlichkeiten, Spezialisten und Erfahrungsgrade. Von Valgus von den Füchsen und seinen Söhnen, Neffen und Nichten, hin zu Leuten aus aus Ricklens Kommando mit Kjal und Hjarti, mit der noch für die Waldläufer noch frischen Freiya und Onyx, dessen Geheimnis die Runde schon kannte, jedoch damit noch nicht viel anfangen konnte. Sein Blick ging zu Griffin der seinen Platz unter ihnen wieder finden wollte und auch zum Hauptmann, der hier natürlich auch geladen war, auch wenn er seinen eigenen Weg ging. Ja, er grüßte mit seinen Augen eine jeden und eine jede, die er allesamt mit Namen und persönlicher Geschichte kannte. Zoyt, der alte Gauner, grinste ihn an und Leute wie Okam, Iun und Vigo Telcontar saßen entspannt neben seiner Frau Boudicca und Turya. Zeigten, dass sie nicht nur dem Wolf folgten.
Jilvie stand dann auf und rief deutlich ein paar ältere Herren - ja die wirklich Ältesten hier und ihr Kommando wurde die Graubärte genannt - zur Ruhe. Adar wollte einen Altherrenwitz reißen, doch schwieg er, als sich Mertens und sein Blick trafen. Die Autorität des Waldläuferführers achtete jeder.
Mertens vermisste auch Gesichter. Es waren jene, die er vorgestern losgeschickt hatte und die heute auch bewusst fehlen würden. Wo sie waren, würden seine Leute noch erfahren.
Er stellte fest, dass keiner der Waldläuferschaft die Gefolgschaft verweigert hatte, indem er oder sie heute nicht erschienen waren. Ein gutes und wichtiges Zeichen. Damals auf dem Festland hatte er es noch mitbekommen, wie Falken und Snapper den doch recht jungen Waldläufer Dekker nicht für voll nahmen. Erst mit Arakos den Bären kam Stabilität rein und vor allem die Snapper zurück ins Volk.
“Ich begrüße euch zum ersten kleinen Thing dieser Zeit. Wir haben unsere Wunden seit der Wilden Jagd geleckt, haben Beltane sichtbar gut überstanden und den restlichen Sommer auch zum Glück keine größeren Konflikte erlebt. Heute werde ich euch berichten, wie es um unsere Heimat steht, ich werde meine ersten Entscheidungen mit euch teilen und will mit euch über die Zukunft, über kleine und große Reformen reden. Es gelten wie immer die Regeln wie zum großen Thing. Bewahrt sie und achtet sie. - Und nun beginnen wir damit, erst einmal Gerüchte aus der Welt zu schaffen. Kiyan Einauge und Hjarti der Nordmarer haben mir berichtet, dass sie einen Nordlandeork in einer Bärenhöhle gefunden haben. Jilvie hat Späher in den Osten geschickt und die konnten es bestätigen. Nordlandeorks in den Ruinen von Setarrif. Die Besatzung einer ganzen Galeere. Ein Kommando der Füchse unter Führung von Valad den Älteren und Unterstützung des alten Gundas, der den Osten sehr gut kennt, sind schon dort und beobachten die Orks.”, erzählte der Blonde und stoppte, weil sich Kjal erhoben hatte.
“Was ist mit den Karrek? Hat der Jadewolf mit ihnen gesprochen. Die Trommeln vor etwas Zeit am Silbersee, das waren doch die Karrek-Orks?”, fragte Kjal.
“Der Jadewolf hat tatsächlich am Feuer ihres Schamanen gesessen und sogar ihren Kriegsherrn oder Häuptling getroffen. Tat…ataunKa oder sowas. Der große, fiese Schwarzork. Er hatte mir berichtet, dass die Orks sich bereit machten, auf Kriegszug zu gehen. Die ganze Karrek-Horde. Ihr Schamane hat Jadewolf auf die Frage, ob der Frieden zu Ende ist, keine wirkliche Antwort gegeben. Für Jadewolf - der mit den Orks und ihren Sitten am meisten von uns vertraut ist - sollten wir uns auf alles gefasst machen. Weil der Frieden enden wird. Die Karrek und die Nordlandeorks werden sich entweder verbünden und eine Bedrohung für alle werden oder sich bekriegen - weil es Orks sind. Ersteres dürfte die Menschen der Städte zuerst treffen - dann aber auch uns. Letzteres betrifft uns, wenn die Karrek ausgelöscht werden. Egal wie - es zwingt uns, aktiv zu werden und zu reagieren. Der Frieden den Jadewolf vor über einem Jahrzehnt erwirkt hat, war immer nur ein Dulden der Grenzen…keine Koexistenz. Es liegt im Wesen der Orks nicht für den Frieden zu leben. Doch habe ich keine Angst. Wir sind kampferprobt und haben die Sümpfe. Die Wilde Jagd hat uns erneut stark gemacht. Wir werden wachsam bleiben. Prinzessin Turya…”, sagte dann Mertens.
Die Waldläuferin erhob sich, widmete Mertens auf das >Prinzessin< eine nicht ernstgemeinte Drohung und hob selbstbewusst das Kinn.
“Du, Onyx und Kiyan werdet wohl nach Samhain abreisen. Macht einen Schlenker nach Ostargaan und findet Valad den Älteren. Seinen Bericht übergebt ihr dann im Bluttal an Ricklens Kommando. Ricklens Kommando wird danach in der Silberseeburg das Gerücht über die Orks streuen und ihr in Thorniara. Aber nicht an die Obrigkeit. Ich möchte weder die eine Seite noch die andere Seite denken lassen, dass wir die anderen bevorzugen, weil wir Boten schicken.”, wies Mertens an und Turya nickte bestätigend. Genauso Ricklen und auch Onyx. Jilvie erhob sich.
“Es wäre die richtige Geste, wenn die Kommandos die Höfe außerhalb der Städte informieren. Die Bauern und einfachen Menschen Argaans werden die Ersten sein, die von den neuen Nachbarn Besuch bekommen. Sie sollten wenigstens bereit sein.”, erinnerte Jilvie und schien sehr nachdenklich. Natürlich war für sie als Argaanerin noch mehr los, wie für die meisten anderen mit ihrer Wahlheimat.
“Ja, das war auch mein Plan, wenn wir mehr wissen Jilvie. Sobald mehr bekannt ist, werden wir besonnen handeln. Ich will auch nicht ausschließen, dass wir beiden Königreichen ein Angebot machen, falls die Orks sich verbünden werden. Und dann will ich auch nicht ausschließen, dass wir den Karrek angreifen, bevor sie vom Karrek und über den Osten von Süden aus zu uns kommen.”, antwortete Mertens und wartete bis etwas Ruhe eingekehrt war. Er würde nicht zögern das Waldvolk darauf einzustellen und den Orks durch Aggressivität nahe zu legen, ihr Gebiet nur unter hohen Verlusten betreten zu dürfen. Diese Sprache kannten sie auch noch aus Silden.
“Und nun hört zu! Dieses kleine Thing, soll in Zukunft mein Stellvertreter sein. Ihr alle seid es und habt in meiner Abwesenheit euch zu organisieren. Ich trage gerne die Verantwortung als Waldläuferführer, aber ihr werdet noch lernen, dass auch ich die Last verteilen werde. Auf Kommandoführer, auf Einzelne mit einzigartigen Fähigkeiten und Spezialisten. Ich bin nicht euer König. Ich bin nur der Erste unter Gleichen. Deswegen bitte ich Jilvie und Ricklen zu mir kommen. Wir stellen euch die erste Reform vor.”, sagte der Waldläufer und grinste schon ein wenig. Jilvie war zuerst da und dann stellte sich auch Ricklen dazu.
“Zuerst einmal gilt es ein Versprechen einzulösen!”, sprach Mertens holte hinter seinem Rücken einen prächtigen grünen Jägerhut mit einer sehr langen, bunten Fasanfeder. Viel Lachen kam auf als Jilvie den Hut mit leuchtenden Augen erkannte und von Mertens zur Jagdmeisterin ‘gekrönt’ wurde. Applaus erklang und Jilvie zog mit einer vorbildlichen Verbeugung ihren Hut und schwenkte diesen.
“Horrido!”, rief Ricklen als Ehrbekundung für Jilvie.
“JOHO!”
“Horrido!”
“JOHO!”
“Horrido!”
JOHO!”, skandierte die Menge. Dann kam die Zeit der Rede für Jilvie und Ricklen.
“Ich danke euch herzlich für euren Gruß. Zwar habe ich noch nicht meinen Turm bekommen, aber der Hut macht was her. Da will ich dir nicht böse sein Mertens.” - Mertens verneigte sich dankend - “Ich will mich kurz halten - fürchte aber das geht heute nicht. Ich habe mit den beiden beschlossen, die Jäger in Zukunft auch vermehrt als Späherkommandos einzusetzen und vor allem auszubilden. Während der Wilden Jagd hatte ich schon solche Kommandos aufgestellt und das hat überwiegend gut funktioniert, bedarf aber mehr, wie die passenden Leute zusammenzusetzen. Karten anfertigen, Verstecke sichten und lokal die beste Ausgangslage sichern. Die Kampfverbände unterstützen und natürlich jegliche Informationen beschaffen. Tempo in jeglicher Hinsicht und bewusst den Kampf als letztes Mittel - was Disziplin erfordert und bei manchen Spähtrupps zur Wilden Jagd nicht funktioniert hat. Ein sehr guter Anfang, um daraus einmal Waldläufer zu machen und eine tolle Unterstützung für unsere gestandenen Jagdkommandos. - Ihr werdet euch jetzt fragen, wann sie denn auch noch jagen werden? Das werden sie, jedoch nicht mehr so häufig in den Bruchwäldern von Tooshoo, weswegen wir das eine mit dem anderen verbinden wollen. Ricklen und ich sind drei Mal durch alle Jagdgebiete des Tooshoo-Tals in den letzten Wochen gezogen und haben nochmal mit Jadewolf als besonderen Wildhüter gesprochen. Die Wilde Jagd hat nachhaltig die Bestände am Wild fast halbiert.” - lautes Gemurmel entstand und legte sich auf Jilvies Bitte hin - “Wir werden die Bestände sich erholen lassen. Ein Jahr, besser zwei Jahre. In dieser Zeit jagen wir nur eine bestimmte Anzahl an Tieren im Tooshoogebiet. Bis auf Blutfliegen und Sumpfratten. Davon gibt es immer zu viele. Ebenso werden wir im Tooshoo-Gebiet vermehrt sammeln. - Stattdessen ziehen auch die Jäger von Tooshoo los und werden über ganz Argaan jagen, was wir brauchen. Deswegen der zukünftige Fokus auf diese Art der Ausbildung für die Jäger von Tooshoo. Das wird meine Hauptaufgabe sein. Hauptmann Hayabusa muss sich auch keine Gedanken darüber machen, dass wir seine Wächter für uns vermehrt rekrutieren, da unsere Wege länger werden. Wir machen das wir bisher.
Und dann möchte ich euch noch sagen, dass ich mit Mertens eine besondere Aufgabe angehen werde.”, führte Jilvie aus und es gäbe später sicher noch Gelegenheit für Fragen zu den Beständen. Immerhin gingen die Waldläufer auch hin und wieder auf die Jagd für sich und die Gemeinschaft.. Allgemein schien man es aber mit dem Jagen genauso zu sehen und Unterstützung, ja gar besser ausgebildete reine Jägerkommandos sich auch zu wünschen.
“Unsere Brüder und Schwestern auf dem Festland haben seit dem Ende der Orks in Myrtana ganz andere Probleme wie wir hier gehabt. Vor allem mit den Myrtanern. Aber auch damit die Leute zu versorgen, weil es viele Alte und noch mehr junge Leute und Kinder gab, die vor allem in Beria lebten. In Silden war alles organisiert und man lebte fast städtisch. Die Leute mussten sich erst einmal umgewöhnen und anpassen. - Die Waldläufer um Arakos den Bären haben sich auf alte Pfade berufen und schon bei den Kindern begonnen. Kleine Gruppen möglichst Gleichaltriger. Altersgerecht werden sie ausgebildet. Kinder lernen Dinge für die Wildnis, den Bau von Fallen für Kleintiere, lernen klettern, laufen, Feuer zu machen, sich zu verstecken und sich ein sicheres Lager zu bauen. Für ein, zwei Tage in der Wildnis zu bestehen. Jugendliche ab zehn Sommern bekommen beigebracht für sich selbst sorgen zu können. Sie werden früh am Bogen ausgebildet und wie man als Jagdtrupp für mehrere Wochen gemeinsam besteht. Sie lernen die alte Sprache, Kräuterkunde und Jägerhandwerk. Jene die es wollen und alt genug sind, werden im Nahkampf ausgebildet und wieder andere zu noch besseren Schützen. Ihnen werden Werte und Pfade des Waldvolkes beigebracht und in den verschiedenen Lagern lernen sie von den Sippen und Druiden. Sie haben viele Väter und Mütter, Brüder und Schwestern mit denen sie einen Sommer oder Winter verbringen und von ihnen lernen. Innerhalb weniger Jahre lösten sich viele Probleme auf dem Festland und mittlerweile ist diese Generation erwachsen geworden und füllt die Jagdkommandos mit sehr jungen Waldläufern, die durch das Thing bestätigt wurden. Weil sie so gut sind und schon früh bereit waren. Turya hat dort auch Jugendliche ausgebildet und mir und Jilvie davon überhaupt erzählt. - Das wird hier auch passieren. Manche von euch machen das mit ihren Kindern selbst, doch wisst ihr wie ich, was gemeinsame Zeit mit Gleichaltrigen in einem Jagdkommando macht. Sie werden Freunde, sie werden Familie und das wird uns stärker machen. Ein Thanan, die kleine Rimbe, Ricky, Jazzy und Lee und so viele mehr hätten auf diesem Weg schon viel mehr gelernt und neue Bande schließen können. Jilvie und ich nehmen das mit ein paar Leuten mehr wie meiner Frau Boudicca in die Hand und werden die Kinder und Jugendlichen aufsuchen. Wir zwingen sie nicht, werden aber ihren Eltern deutlich machen, wie die Zukunft aussehen kann und dass ihre Kinder eine Ausbildung fürs Leben erhalten. Wir haben hier keine Einrichtungen wie in den Städten und wenige Handwerker. Mein Sohn wird das erste Mitglied der Kindergruppe und ab nächsten Monat werden sie von der alten Nerea lernen, welche Kräuter und Pilze in der Wildnis essbar sind. Erwachsene Waldläufer dürfen auch gerne teilnehmen, wenn sie nicht das nächste Mal ihrem Kommando wieder die Scheißerei servieren wollen.”, erzählte Mertens und alle blickten auf Kjal der rot anlief.
“Ja, tut mir leid! Die Pilze sahen so gut aus und Goblins hatten die wohl auch gut vertragen. Was gut für Goblins ist, ist auch gut für mein Kommando!”, redete Kjal launig und hatte Ricklens Herz, das wohl mit den Pilzen durch jegliche Leitung vor paar Tagen geflutscht war, natürlich nicht erreicht.
“Ohne Onyx Ogerschreck ist Ricklens Kommando wohl auf Diät.”, frotzelte Valgus von den Füchsen und sorgte für Gelächter. Als dieses verklang durfte endlich Ricklen sprechen.
“Ihr dürft gleich über die Dinge abstimmen und gerne noch Kjal Hosenschiss Witze über Pilze und die Anzahl an Unterhosen die man dabei haben sollte beibringen. Hört mich nur bezüglich der dritten Reform an, die im Paket mit beiden anderen steht. Denn ohne dass dies ganzheitlich steht, kann nichts alleine bestehen.
Die Ausbildung der Waldläufer übernehmen die Jagdkommandos. Jäger mit Potential lernen unsere Pfade und sind irgendwann einmal so weit. Danach lernen sie weniger und auch die Jagdkommandos ändern nicht viel an sich. Das ist auch in Ordnung so. Wahre Meister arbeiten beständig an ihrem Handwerk und sind die Besten ihres Fachs. Was heißt aber beständig. Ein Baum ist beständig, ein Fluss ist beständig. Viele Jagdkommandos hier auch. Ein Baum aber trägt Blüte, trägt Grün, wächst und verliert seine Blätter. Ein Fluss ist auf dem ersten Blick unverändert. Man läuft vorbei und es ist meist dasselbe Bild wie am Tag zuvor. Aber macht euch bewusst, dass in jedem Augenblick Unmengen an Wasser hinabfließen und das beständige Bild das wir haben, einfach falsch ist. Bäume und Flüsse erneuern sich permanent und das Freunde möchte ich auch für unsere gestandenen Jagdkommandos. Bei der Wilden Jagd hat kein Jagdkommando so wirklich gut zusammen mit einem anderen funktioniert. Auf dem Festland soll es eine Zeit gegeben haben wo dutzende Jagdkommandos zur Grünen Hölle wurden. Die wie ein Uhrwerk zusammen arbeiteten und unseren Feinden keine Chance in den Wäldern ließen. Ich zweifle nicht daran im Ernstfall nicht mit euch eine schlagkräftige Truppe zu bilden, aber Übung…haben wir nicht. Die Wilde Jagd hat es gezeigt. Ich werde jedem gestandenen Kommando helfen, sich selbst zu verbessern. Ich werde zwei und drei Jagdkommandos schulen, miteinander zu arbeiten und die Grüne Hölle los zu lassen. Ich werde bewusst eure Kommandos mal durchmischen, damit ihr alle was dazu lernt - einfach weil jedes Kommando anders tickt und Dinge weiß. Und ich werde, wenn es soweit ist, zusammen mit Mertens und Jilvie alle Jagdkommandos in einer großen Übung unterweisen. Dafür müsst ihr bereit sein. Dafür fordere ich eure Beständigkeit! Ich frage euch, ob ihr gut genug seid, um es denen vom Festland gleich zu tun und - falls sie alle kommen! - für Orks, Echsenmenschen, Myrtaner und die beschissenen Königstreuen bereit zu sein, ihnen die grüne Hölle zu zeigen?!”, peitschte sie Ricklen an und hatte auf seine unnachahmliche Art mit Gesten und den passenden Ton provoziert und bei manchen den Puls hoch gebracht. Jeder hatte ein Ego und ein Waldläufer der seinem Kommando treu war, hatte natürlich auch ein Konkurrenzdenken. Er und sie besaßen Stolz, würde sich doch nicht sagen lassen sie wären geringer wie die vom Festland oder zu blöd, um mit einem anderen Kommando zu agieren.
“Danke, Ricklen. Eine große erste Reform. Darin enthalten sind die intensivere Ausbildung der Kinder und Jugendlichen bis in das Erwachsenenalter. Ein Aufbau der Jäger von Tooshoo mit einer besseren Spähkommando-Ausbildung und wir Waldläufer selbst, die durch Ricklen lernen werden besser zusammenzuarbeiten und uns selbst zu erneuern. Ich bitte euch, uns und diese Reform zu bestätigen und mit zu tragen! Lasst uns wieder den alten Ruf der Waldläufer hoch leben lassen und die alten Pfade ehren. Die Zeiten zuvor waren nicht einfach und wir mussten wieder zusammen finden. Aber jetzt stehen wir da, wie die vom Festland damals. Wir können vieles schaffen.”, bat der Waldläuferführer und bekam für die Vorschläge eine deutliche Mehrheit. Es schmeckte vielleicht nicht jedem in allen Punkten so, aber klar war, dass sich was ändern musste und das Waldvolk für die Zukunft bereit sein sollte. Mertens bedankte sich danach und bat die Jagdmeisterin zu sprechen, während Ricklen und er Platz nahmen.
“Samhain steht an und wir brauchen noch Nahrung. Ich habe Leute, aber möchte da draußen auch Waldläufer und Waldläuferinnen dabei haben. Wie vorhin erwähnt, wir verlassen auch das Tooshoogebiet, wenn es nicht anders geht. Also wer mag? Ihr dürft euch die Leute auch aussuchen und das Kommando führen. Ich möchte nur, dass wir die Leute mit unserem Beitrag auch satt bekommen.”, sagte die Blonde und blickte in die große Runde des Standes der Waldläufer.
ornlu
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Dem Hetzer lauschend ...
Das Geheul von Wölfen und Wargen erfüllte die Sümpfe und Wälder um Tooshoo, klang aus den Bergen in Richtung des Weißauges ebenso wie aus dem Orkwald oder den finsteren, schwefelverpesteten Schluchten Richtung Setarrif. Welches Tier auch immer seine Herkunft auf die vierbeinigen Raubtiere berufen konnte, stimmte in den schaurigen Gesang mit ein, heulte den Mond an ... und ein weiteres Wesen antwortete. Kiyan schluckte, während er da so auf der fackelbeschienenen Übungsplattform stand und einer der Zuhörer des Spektakels war. Es fühlte sich für den Mann aus Gorthar an, als würde etwas an seiner Seele zerren, sein Herz mit einer pfotengleichen Hand packen und pressen. Schweiß trat ihm auf die Stirn.
Er dachte an den Jadewolf, als er den Orkgeist - Lugdrub - gebannt hatte. Den Wolfsgeist. Den Hetzer. Das Wesen, das dem Geheul der Wölfe, Warge und Wildhunde antwortete, war ganz ohne Zweifel der Hetzer. Da draußen jagte ein Wesen der Natur. Ornlu, dachte Kiyan, dieser Druide jagt da draußen, heult den Mond an und gibt sich diesem Wesen ganz und gar hin.
Kiyan schüttelte sich. Das Gefühl wollte nicht weichen. Vielleicht war es eine Nachwirkung des Zaubers, den der Druide während der Jagd auf ihn und andere gewirkt hatte. Die Wolfsseele. Blutwolf. Der dreieckige Kopf erschien ihm hinter geschlossenen Augenlidern. Die Schnauze blutverschmiert, rotes Herzblut, das von den Lefzen, dem halb geöffneten Maul tropft. Die rasenden Augen einer blutgeilen Kreatur. Der Jäger schluckte erneut. Nicht vor Übelkeit, nein, schlimmer noch: Gier. Es gierte ihn nach Blut, nach Beute. Die Zähne in den noch warmen Körper stoßen, am Fleisch reißen.
Die Hände des Mannes packten einander mit der Kraft eines Schraubstockes. Stoßweise atmete der Jäger ein und aus, beruhigte sich. Während das Wolfsspektakel scheinbar überall weiter zu gehen schien, ebbte die Gier des Blutwolfes ab, als Flügelschläge zu hören waren. Ein leises Krähen und das bekannte Gewicht Kor'has legte sich auf seine rechte Schulter.
Sofort durchfuhr Kiyan eine Art Ausgeglichenheit und Ruhe, die er nicht für möglich gehalten hatte. Er seufzte dankbar.
"Du bist eine wahre Wundertäterin, weißt du das?", fragte er den Vogel leise. Kor'ha legte den Kopf schief, zwickte ihn kurz sanft ins Ohr.
"Au!", machte er, zuckte aber nicht weiter zurück. Lange blickte der Jäger in die obsidianschwarzen Augen der Rabin.
Und er sah etwas. Fühlte etwas. Hörte es, roch es. Nasses Fell, dessen Geruch schwacher wird. Das Rot des Blutes, weggeschwemmt von einem Regenschauer. Die Tod lechzende Kreatur von Flügelschlägen in den Schatten, in die Tiefe zurückgetrieben. Eine Rabin, die auf das einzige Küken im Nest achtgibt und es bemuttert.
Kiyan schüttelte benommen den Kopf. Was war das gewesen? Ein Nachhall des Rufes des Hetzers?
Nein, für ihn selbst hatte es sich ... stärker angefühlt. Und nicht gefährlich, sondern behütend.
Der Kopf der Rabin berührte einen Moment Kiyans Kopf. Ein leises Krähen, fast ein Gurren.
Wirklich, ich bin mit diesem Wesen verbunden. Bei Adanos, Kor'ha ist dein Geschenk. Sie hält meine Seele im Gleichgewicht.
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Felsennest Niradh
Mit einem Löffel Gemüsebrühe im Mund sah Maris zwischen seiner Tochter und seinen beiden Schülerinnen umher, und ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Da waren sie, fernab aller anderen Menschen, und saßen bei einer warmen Mahlzeit beieinander.
„Ich bin stolz auf euch beide“, sagte Maris und blickte erst zu Vareesa, dann zu Zarra. „Ihr habt beide vor einer Herausforderung gestanden, die euch ratlos und frustriert zurückgelassen hat. Ihr hättet beide aufgeben können, weglaufen und alles so wie vorher machen. Aber ihr seid drangeblieben und habt euren Zugang zu den Zaubern gefunden. Zarra, deine Verbindung zu Ornlus Raben hat mir gezeigt, wie gut du es schon verstehst, dich mit Tieren zu verständigen. Alles andere kommt mit Übung und Zeit, und wenn du dich dabei immer noch ein Stück weiter aus deiner bequemen Zone herauswagst, wirst du daran weiter wachsen können. Und Vareesa, du hast bemerkenswerte Fortschritte in deiner Beziehung zu deinen Kräften gemacht. Du kämpfst nicht mehr dagegen an, sondern arbeitest mit der Magie und lenkst sie, statt dich von ihr beherrschen zu lassen. Was du da gerade mit dem Wurm gezeigt hast, war ein wirklich gutes Stück Arbeit! Ich denke, morgen können wir zu neuen Herausforderungen-“
Er hielt mitten im Satz inne. Ruckartig wandte Maris den Kopf in Richtung des Eingangs zum Felsennest und lief zum Kopf der engen Treppe hinüber, die zu ihrem Lager hinaufführte.
„Paps? Was ist denn los?“, rief Runa besorgt. Sie und die anderen beiden erhoben sich ebenfalls.
„Bleibt zurück!“, zischte Maris. Er zog seinen Skorpionssäbel und harrte mit erhobener Klinge, die Spitze voran, auf alles, was da kommen mochte. Doch während Zarra und Vareesa seiner Anweisung Folge leisteten, zog Runa ebenfalls ihren Säbel – die Schwester von Maris‘ Waffe – und postierte sich auf der anderen Seite des Aufgangs. Er riss die Augen auf und öffnete den Mund, um sie zurechtzuweisen, als die Geräusche der Bestie an sein Ohr drangen. Schnaufen und Getrappel, tief und schwer, schnell und kraftvoll. Das war ein Jäger, für den alles eine potenzielle Beute war. Und die schweren Schritte kamen genau zu ihnen hinauf!
Maris bedeutete Runa mit einem scharfen Kopfrucken, wieder zurückzugehen, doch das Kind war stur wie eh und je. Seine Augen richteten sich wieder auf den Treppenaufgang. Die Schritte verklangen. Das Schnaufen blieb, nah und bedrohlich. Noch nie zuvor hatte Maris eine solche Kraft gespürt – er kannte sie, doch weit schwächer, vorborgener. Sie erinnerte ihn an die Brutalität al-Hamzas, doch dieses Biest war keine Macht aus einer anderen Sphäre: es war fleischlich und präsent in dieser Welt.
„Lass es ja nicht drauf ankommen“, knurrte Maris zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber er wusste, dass das hier in einem Blutbad enden würde, wenn dieses Vieh zu ihnen hinaufkäme. Doch dann setzten die Schritte wieder ein, langsam, vorsichtig, und entfernten sich wieder von ihnen. Immer noch hielt Maris den Atem an. Erst als die Schritte sich im neu aufgenommenen Spurt entfernten und schließlich ganz in der Nacht verklungen, entspannte er sich und steckte den Säbel zurück in die Scheide.
„Was war das?“ Runa hielt ihre Waffe immer noch fest umklammert. In ihrem Blick war der Schrecken immer noch präsent.
„Ein gefährlicher Jäger“, entgegnete Maris. „Bin froh, dass er es sich anders überlegt hat.“
Er trat zurück an das Feuer zu den anderen beiden. „Besser, wir verbarrikadieren den Aufgang für heute Nacht. Ich will keine bösen Überraschungen erleben.“
Ein fernes Gebrüll ließ ihn erneut herumfahren. Einen Herzschlag später setzte das Geheul ein, ein blutdurstiger Ruf zum Kampf aus Dutzenden Kehlen. Das waren nicht nur gewöhnliche Wölfe. Es klang, als schloss sich diesem von der Leine gelassenen Monster jedes wolfsartige Wesen der Umgebung an. Dann ertönte ein weiteres Brüllen, ferner, ein einzelner Ruf. Maris horchte auf. Er kannte diesen klang.
„Verdammter Schwachkopf!“, zischte er. Warum mussten Löwenmännchen auch immer ihr verfluchtes Revier mit dem stumpfsinnigen Mut eines Todessehnsüchtigen verteidigen? Doch immer wusste Maris nun, wo er suchen musste.
„Ihr schnappt euch, was ihr finden könnt, und verrammelt den Aufgang, klar? Dann seid ihr sicher. Wir sehen uns morgen nach Sonnenaufgang. Dann seid ihr wieder sicher und könnt den Weg wieder freimachen.“
Maris gab seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn.
„Hör auf meine Worte und spiel nicht die Heldin! Hierbleiben, Ruhe bewahren! Ich muss jemandem den Arsch retten.“
Drei Stufen auf einmal nehmend sprang er die Treppe hinab in die Nacht und spurtete in die Richtung, als der das Gebrüll des Löwen der Jagdgesellschaft des Hetzers geantwortet hatte.
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Baumkrone - Das kleine Thing der Waldläufer
Freiya hatte jedem Wort von Mertens gelauscht und zugegebenermaßen war sie zutiefst beunruhigt über das, was er über die Orks berichtet hatte. Es könnte einen Krieg mit den Orks geben? Unbewusst legte sie sich mit klopfendem Herz die Hand an den Hals. Ein Krieg gegen die Orks. Ausgerechnet jene, gegen die das myrtanische Heer damals gezogen war. Freiya schloss die Augen. Wie war das damals gewesen? Oh, sie brauchte unbedingt ihre Erinnerungen … Einfach auch, um endlich diesem starken Gefühl, das sie heimsuchte, wenn sie daran dachte, Herrin zu werden.
Alles, was vorgestellt wurde, machte Sinn in ihren Augen. Die Ausbildung der Kinder. Das Ausweiten ihres Jagdgebietes. Das Wissen um diese Grüne Hölle. Dinge, die Freiya zu gerne anpacken würde. Nicht minder gerne als den Aufbau von Schwarzwasser oder Ryu vielleicht bei seinem Turm zu helfen. Wieder geriet sie ins Schwanken und fragte sich, ob sie wirklich gehen sollte oder den Absprung in den letzten Jahren unwideruflich verpasst hatte. Sie seufzte und blickte in die Runde. Sah die ganzen gestandenen Waldläufer und Waldläuferinnen und fragte sich, was diese wohl beschäftigte. Ihr Blick fiel auf Griffin, dessen innere Kämpfe sie erahnte, und Ryu, an dessen inneren Zwist er sie hatte teilhaben lassen. Hatte sie sich eigentlich dafür bedankt?
„Also … dann bis morgen?“, hatte er gefragt, als sie sich nach ihrem Ausflug voneinander verabschiedet hatten.
„Bis morgen, wenn du magst“, hatte sie geantwortet und innerlich geseufzt, einmal mehr nicht in der Lage gewesen zu sein, sich zu verabschieden, wie es in solch einer Situation wohl die Gepflogenheit gewesen wäre.
Nachdem sie gemeldet hatte, dass sie wieder da war, war sie müde die Planken hinauf geschlürft. Immerhin war sie nicht hungrig gewesen. Dieses Buddlerfleisch hatte, wie von Onyx versprochen, sämtlichen Hunger gestillt, wenngleich sie es viel weniger schmackhaft und eigentlich ziemlich fad empfunden hatte, im Gegensatz zu dem, was Ryu berichtet hatte.
Gerade war die Rothaarige dann an der Sumpflilie vorbei gekommen, als eine fast nackte Person ihr entgegen gestürmt kam. Freiya konnte gerade noch ausweichen, doch Ornlu, nur im Lendenschurz, schien sie gar nicht zu bemerken. Er stürmte einfach wieder wie ein Besessener den Baum hinab. Seine Augen, die Rothaarige hatte sie nur kurz gesehen im Mondlicht, waren wie von wilder Natur, als wäre er nicht mehr er gewesen. Als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, hörte sie ein Jaulen. Die Wölfe begannen den riesigen Mond, der über dem Sumpf aufgegangen war, anzuheulen. Das würde eine ungemütliche Nacht in den Sümpfen werden. Doch Freiya, die die Unterkunft, die sie mit Ronja teilte, leer vorgefunden hatte, hatte sich keine weiteren Gedanken gemacht, sie wollte nur noch schlafen.
„Da bist du ja!“, weckten sie mitten in der Nacht laute Worte von Ronja. Dann spürte sie, wie ihre Freundin zu ihr unter die Decke krabbelte.
„Was ist los?“, fragte Freiya schlaftrunken.
„Hab in Vareesas Hütte gepennt, aber dieses Wolfsgeheul jagt mir ne scheiß Angst ein!“, sprach der Lockenkopf. Freiya vernahm tatsächlich immer noch das Heulen im Sumpf.
„Uff, du hast ja eiskalte Füße“, ächzte die Waldläuferin mit Ronja im Rücken.
„Wo warst du denn eigentlich? Warst du wirklich mit Hayabusa unterwegs?“, begann eine für Freiyas Geschmack viel zu wache Ronja ihr Verhör.
„Hmhm, waren im Osten unterwegs. Am Wasserfall der Geister.“
Ronja atmete geräuschvoll ein. Freiya hatte die Augen geschlossen, spürte aber ganz genau, dass Ronja den Kopf auf ihren Arm aufgestützt hatte. Das würde dauern mit dem Schlaf …
„Aha? Und?“
„Wir haben einige Tage und Nächte miteinander verbracht. Jedoch nicht auf die Ronja-Art, sondern auf die Freiya-Art.“
Freiya konnte vor ihrem inneren Auge sehen, wie Ronja die Augen verdrehte.
„Lass mich raten, ihr habt euch stundenlang tief in die Augen geschaut und geredet?!“
Die Rothaarige öffnete ihre Augen und lächelte warm ob der Erinnerungen: „So wie du es sagst, klingt es, als wäre das was Schlechtes. War es aber nicht … es war … wundervoll …“ Sie schloss wieder kurz die Augen.
„Hat er dich wenigstens geküsst? Oder du ihn?“, hakte Ronja irgendwie hoffnungsvoll nach.
Freiya überlegte: „Hm, weiß nicht, also …“
„Echt jetzt? Was nun, ja oder nein?“
„Ronja, ich habe so vieles erfahren und gelernt. Das könnte kein Kuss der Welt aufwiegen!“
„Aha, also ist jetzt Reden quasi der neue Sex, ja? Hast du überhaupt schon einmal einen Mann geküsst? Also außer –“
„Ich war mal schwanger.“ Freiya hatte sich zu Ronja umgedreht.
„Ach ja … Stimmt. Das vergess ich hin und wieder – was ja auch kein Wunder ist! Krass. Das hatte ich bei all den Kerlen bisher zum Glück nie, Nerea sei Dank …“
Sie schwiegen für einen Augenblick, Freiya wurde das Herz schwer.
„Weißt du … je mehr ich mir wünsche, dass ich mich daran erinnere, wie es ist, mit jemanden zusammen zu sein und zu verstehen, wie ich diesen Mut damals hatte offensichtlich aufbringen können, desto stiller ist das Meer der Erinnerungen in meinem Kopf. Dabei ist … Ryu es doch eigentlich, der es mehr zum Sprechen bringt als sonst jemand!“
Tränen stiegen Freiya in die Augen.
„Wieso kann ich nicht so mutig sein wie du“, entfuhr es ihr traurig.
Ronja legte ihren Arm um ihre Freundin. „Du bist viel mutiger als ich. Du hast dich diesem Monster im Gebirge gestellt und all diesen Wesen bei der Jagd. Du hast uns angeführt beim großen Endkampf. Du hast so viel mehr Mut in dir, als es den Anschein hat. Du musst nicht ich sein. Du musst einfach nur du sein. Freiya eben. Mach die Dinge auf deine Art.“
Ronja blickte ihre Freundin an und legte den Kopf schief.
„Vielleicht solltest du dir vorstellen, dass Ryu der Tausendfüßer ist, den es zu bezwingen gilt!“
Freiya musste unwillkürlich lachen.
„Also bewerfe ich ihn mit Bergmehl und versuche, seine Platten zu knacken?“
„Klar! Was auch immer das heißt! Aber es klingt wunderbar verdorben“, erwiderte Ronja grinsend. Freiya wandte sich mit einem Schmunzeln ab, dann wurde sie wieder ernst, ihr Blick verlorener, während Ronja sich endlich hinlegte.
„Und was, wenn die Platten geknackt sind? Was mach ich dann? Einfach so gehen? Wie soll das funktionieren?“, sprach sie leise.
„Dann“, murmelte Ronja schlaftrunken, „machst du es doch so wie ich: Das Heute genießen und dir morgen über das Morgen Gedanken machen.“
Freiya lächelte leicht in sich hinein, als sie an Ronjas Fazit dachte, bevor sie Mertens wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen ließ. Für einen Augenblick bewunderte Freiya Jilvies wirklich feschen Hut noch einmal, bevor sie den Vorschlägen zustimmte, wie so viele der anderen Waldläufer hier ebenfalls. Dann war es an Jilvie zu sprechen, als es um die Beschaffung des Essens für das anstehende Samhaimfest ging (Wie konnte schon wieder Samhain sein? fragte sich Freiya erschrocken, Beltane war doch gefühlt gerade zwei Wochen oder so her?). Freiyas Herz begann schneller zu schlagen, als die Jagdmeisterin fragte, wer an den Jagden teilnehmen würde. Turya war die Erste, die sich erhob:
„Ich werde auf die Jagd gehen! Ich suche mir die Besten unter euch aus und werde Euch so viel Futter bringen, dass wir ne Woche feiern können!“
Sie klopfte mit ihren Speer auf den Holzboden, was mit Johlen und ebenfalls Klopfen erwidert wurde.
„Weiter!“, forderte Jilvie.
Bevor Freiya noch weiter überlegen konnte, erhob sie sich und sprach: „Ich jage! Mit meinem eigenen Kommando!“
Jilvie grinste und nickte. „Gut, du darfst dir deine Leute nach Turya aussuchen. Hab gehört, Ricklen ist ein passabler Speerkämpfer, vielleicht nimmst du ihn mit?“
Sie feixte, als ihr Blick auf ihren Gefährten traf, wieder johlten die anderen.
„Oder will sich vielleicht einer der Herren mal zu Wort melden, nachdem die Frauen hier das Heft in die Hand genommen haben?“
Herausfordernd blickte sie zuerst zu Ricklen und dann zu den anderen.
Freiya indessen ließ sich mit ihren leicht geröteten Wangen wieder nieder. Das war ihre Chance, sich erneut als Kommandoführerin zu beweisen, allerdings in einem weitaus entspannteren Rahmen als beim Kampf gegen Garagh und seinen Abschaum. Das würde sie zu nutzen wissen. Als sie in Gedanken durchging, wen sie mitnehmen könnte, huschte ihr Blick zu Ryu und sie lächelte leicht, als sich ihre Augen trafen. Der Hauptmann hatte sie schließlich zur Kommandoführerin gemacht und sie würde diesen Weg weitergehen.
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Ufer eines namenlosen Sees im Westen
Er kam beinahe zu spät.
Als Maris am Ort des Geschehens eintraf, verteidigten sich das Löwenmännchen und eines seiner Weibchen bereits mit dem Mut der Verzweiflung gegen ein halbes Dutzend Warge. Eine weitere Löwin lag bereits reglos auf der Lichtung, ihr Leib gemartert von unzähligen Kratzern und Bissen.
Der Hetzer selbst und der größte Teil seiner Meute waren zum Glück woanders hingezogen, um ihren Blutdurst zu stillen, doch die Löwen waren diesem Wargrudel in Zahl und Stärke hoffnungslos unterlegen. Sie kreisten die beiden Löwen ein und trieben sie am Ufer eines kleinen Sees zusammen, um ihnen gemeinsam den Garaus zu machen.
Maris verlor keine Zeit: er beschwor den Geist der toten Löwin und ließ sie mitten in die Phalanx der Warge hineinpreschen. Die Geisterlöwin riss einen der Warge nieder und biss ihm mit aller Kraft und allem Zorn, den ihr Ableben ihr bereitete, in die Kehle. Das Löwenmännchen nutzte seine Chance und ging ebenfalls zum Angriff auf einen zu Boden gerissenen Warg über, doch zwei weitere stürzten sich sofort auf ihn. Maris eilte mit gezogenem Säbel der Löwin zu Hilfe, die sich immer noch zweier Gegner erwehren musste. Einer der Warge ließ von ihr ab und wandte sich ihm zu. Geifernd und knurrend stellte er seinen pechschwarzen Rückenkamm auf und spannte seinen sehnigen Leib, bereit zum Sprung.
„Vergiss es!“, rief Maris. Er hielt an, starrte dem Warg in die Augen und ließ ihm mit dem lähmenden Blick die Glieder erstarren. Sein Opfer fiepte überrascht auf, doch das war seine letzte Regung. Als Maris sicher war, dass die Lähmung anhalten würde, ließ er den Blick ab, hob den Säbel und spurtete auf seinen Gegner zu. Ein sauberer Schnitt durch die Kehle, und der Warg verendete noch in Lauerstellung. Maris aber wandte sich direkt dem anderen Warg zu, der die Löwin bedrohte. Mit einem Kampfschrei stieß er dem Tier in die Seite, doch der Warg machte einen Satz zurück, sodass die Klinge nicht voll traf. Die Löwin sprang zurück und stand dann ihrem Rudelführer bei, doch der Warg wandte sich nun in Maris‘ Richtung und sprang ihn aus dem Stand an.
Er schlug hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. Das geifernde Biest landete auf seiner Brust und presste ihm die Luft aus den Lungen. Sein Säbel glitt ihm aus den Fingern.
„Scheiße!“
Maris versuchte mit aller Kraft, den Warg von sich wegzudrücken, doch das Biest verbiss sich in seinem Unterarm. Maris schrie vor Schmerz auf, doch der Warg war ihm überlegen. Seine Krallen fuhren durch Maris‘ Gesicht, gruben sich in seine Brust.
Maris bekam seinen Dolch zu fassen und rammte ihn dem Warg in die Flanke. Es genügte, um das Tier von ihm herunter zu treiben, doch der nächste Angriff folgte sofort. Maris ignorierte den Schmerz, ignorierte den Zorn und die Furcht, und konzentrierte sich allein auf seinen Zauber. Erneut sprang der Warg auf seine Brust und raubte ihm die Luft zum Atman. Wieder verbiss er sich in Maris‘ Arm. Doch diesmal – ja, diesmal hielt er inne, taumelte zurück, ließ von ihm ab. Es war zu spät – das Gift von Tamna Majka war bereits in seinem Körper und tat seine Arbeit. Der Warg torkelte noch zwei Schritte weit, dann brach er zusammen.
„Verdammte Scheiße, Mann“, brummte Maris. Er rollte sich auf den Bauch und drückte sich mit dem unversehrten Arm vom Boden ab. Als er sich umsah, bekam er Gewissheit: die Warge waren alle tot. Doch das Löwenmännchen war schwer verletzt. Schnaufend und grunzend schleppte es sich in das Schilf am Seeufer und brach dort zusammen. Maris wollte ihm folgen, doch als er einen Schritt tat, merkte er, welchen Tribut er in diesem Kampf gezollt hatte. Er sackte auf die Knie und ließ sich auf die Seite mit dem gesunden Arm fallen. Nur einen Moment ausruhen. Nur kurz Kräfte sammeln. Einen Herzschlag später schon umfing ihn die tiefe Nacht eines traumlosen Schlafes.
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Baumkrone - Das kleine Thing der Waldläufer
Es war eine etwas wilde Zeit seit ihrer Rückkehr in Tooshoo. Noch am späten Abend dieses grausige Wolfsgeheul über das viele Waldläufer ihre Theorien hatten, bis einer meinte, man hätte einen Wolfsmond. Für Onyx war egal was das für ein Mond war - er sah aus wie immer verdammt. Aber dieses Heulen. Das wollte er sich nicht näher ansehen.
Am Morgen dann hatte Onyx seine Beute verwertet, indem er den Waschweibern einen einfachen Silberring gab, die Lumpen aus seinem Sack zu waschen. Ein weiterer Silberring, jedoch mit einem kleinen Edelstein darin, ging an Dasha von den Waschweibern, die bei Onyx Maß genommen hatte und später aus den Lumpen passende Kleidung für den Waldläufer nähen und schneidern sollte.
Danach half er bis zum Nachmittag bei den Sägearbeiten aus, indem er Bretter nach Vorgabe für die Stege anfertige. Das war gute Arbeit, ohne dass irgendwer nervige Gespräche begann.
In dieser Zeit ging Onyx so manches durch und sammelte gedanklich alles was er über seine neue Gabe wusste. Er kombinierte Pflanzen und Pilze und überlegte sich, wie sie wirken würden. Aber auch Ryus Frage würde er beantworten. Scheinbar hatte er nicht mitbekommen, wessen Hilfe ihn überhaupt aus seinem tiefen Schlaf nach der Jagd geholt hatte.
Nun fast am Abend hatte er das letzte Buddlerfleisch oder besser seine Waldläufer aufgegessen und wusste, dass er die nächsten drei Tage nicht zu essen brauchte. Wusste, dass sein Eigengeruch verschwinden würde und sich an seine Umgebung anpassen würde. Ein guter Test, ob er dadurch menschliche Gerüche annehmen würde. Deswegen saß er bewusst hinter Freiya und neben Hjarti.
Die würde Onyx wohl auch noch erzählen können, wie das Buddlerfleisch bei ihr gewirkt hatte. So hatte er einen Hüter, der natürlich noch nie die Olvara gesehen hatte und einen ‘normalen’ Menschen probieren lassen.
Das kleine Thing verlief dann für Onyx sehr interessant. Vor allem die Neuigkeiten über die Orks waren maximal ernüchternd. Er fragte sich sogar, ob es so klug war, nun gen Festland aufzubrechen. Doch wenn man bedachte, dass sie auch Leute hierher holen sollten, war es wohl nicht verkehrt auf der Haben-Seite mehr Kampfkraft zu besitzen.
Die große Reform fand bei Onyx dann große Zustimmung. Er konnte sich sogar vorstellen, wie diese Rotznasen aus Gilanas Unterricht sich im Sumpf quälen würden und Blutfliegen die besonders schlauen stechen würden. Aber so sollte es recht sein. Da musste jeder durch und wenn daraus anständige Jäger oder sogar Waldläufer wurden - umso besser.
Aus den Vorbereitungen für Samhain würde er sich jedoch raus halten. Die Festlandreise stand an und Turya hatte Onyx gebeten keine großen Ausflüge mehr zu machen. Wenn sie dann noch durch das östliche Argaan ziehen würden, gab es genug vorzubereiten. Nicht zu vergessen, dass es da noch etwas Persönliches gab.
Freiya sollte da ruhig zeigen, was sie drauf hatte. Onyx traute ihr viel zu. Gleichzeitig war er verwundert, dass Turya sich gemeldet hatte. Sie durfte also und er nicht? Lag es daran, dass er noch gestern von Gobbos ein paar abbekam? Onyx dachte da nicht groß weiter. Er hörte noch Hjarti und Okam wie sie ebenso Anspruch auf ein eigenes Kommando setzten und dann war das Thema Samhain vorerst durch.
Mertens trat wieder vor und hatte eine längere Liste in der Hand.
“Wir sind mit den Dingen die uns betreffen soweit durch. Baumeister Melford hat mir eine Liste übergeben, die den aktuellen Stand der Bauphase beschreibt. Ich möchte jeden von euch anhalten immer mal auszuhelfen. Wir sind keine Handwerker, aber anpacken kann jeder. - Nun das ist der aktuelle Stand und weitere Plan: Die Stege rund um Tooshoo sind erneuert. Ein großer, wieder intakter Steg führt zum Moleratgehege, einer zum Schrein der Mutter und einer zum Baulager ok im Westen zu den Höhlen. Es wird die Phase beginnen, da Nebenstege entstehen sollen. Die mit denen dann Hütten verbunden sind. Die große Plattform unten habt ihr alle schon gesehen. Sie wurde schon ebenerdig gemacht und nun langsam mit einer Plattform verstärkt. Unser baldiger, neuer Schwarzwassermarkt. Desweiteren wurden schon fünf Hütten am Baum abgebaut und eine große, neue Hütte unweit der Bognerei errichtet. Sie dient erst einmal für die Bauarbeiter als Lager und Schlafstatt. Das nächste große Bauprojekt ist nämlich den Wächtern gewidmet. Zwei große Baracken werden entstehen und den Wächtern Wohnraum und ein Bett geben. Das hat auch oberste Priorität, um die Wohnsituation auf Tooshoo zu entlasten. Melford sagte es klar. Zuerst müssen wir den Leuten Wohnraum geben, danach verbessern wir die Versorgung und dann geht es an die Details wie Handwerksstätten. Solange die Handwerker und Schmiede so klar kommen, müssen sie warten. Sobald die Baracken stehen, werden sich die Leute von Melford der Sumpfkrautplantage widmen. Hütten, ein Krähennest und Zäune. Melford hofft bis dahin, dass der Marktplatz auch finalisiert wird. Shakes wartet natürlich auch schon ungeduldig darauf. Alles weitere sehen wir zum nächsten Vollmond, Freunde. Was wir immer brauchen, sind Werkzeuge und Material. Wir werden schauen, was wir womöglich in einer der Städte oder den Höfen besorgen können - mit unseren Mitteln. Das ist der Stand der Bauarbeiten. Fragen dazu? Hat sonst wer noch Themen, die uns Waldläufer betreffen?”, fragte Mertens in die große Runde und war kurz davor, das kleine Thing zu beenden. Onyx sah sich um, doch schien für dieses kurzweilige Treffen niemand noch bedeutungsschwangere Themen zu haben. Erst recht, wenn man sich zum nächsten Vollmond wieder sehen würde.
“Keine Themen.”, rief Onyx zu Mertens und begann zu stampfen. So wie alle anderen auch. Es war der Aufruf dazu, das Treffen offiziell zu beenden. Mertens nickte zum Rhytmus des Stampfens und hob dann die Hände.
“Dann gehen wir zum inoffiziellen Teil dieses Treffens über. Zoyt hat uns ein kleines Fass Bier besorgen können, damit wir nicht durstig ins Bett müssen und dank Hjarti und Kiyan gibt es heute guten Bärenschinken, mit Scavengerei auf etwas gerösteten Brot für jeden. Lasst es euch schmecken. Ich hab gehört Turya will heute jeden im Armdrücken herausfordern und Ricklen hat schon über alle Jagdkommandos gespottet, dass sie es mit seinem Kommando nicht im Tauziehen aufnehmen können. Nun wollen wir doch mal sehen. Habt Dank für euer Erscheinen und genießt den Abend. Tauscht euch ruhig mal aus, teilt Wissen und wundert euch nicht, über ein paar bekannte Gesichter die nicht zum Stand der Waldläufer gehören. Ich habe sie eingeladen. Für den Austausch oder um mal Danke für den Schinken zu sagen.”, sagte Mertens und zeigte auf Ambrose und Kalad, aber auch vor allem Kiyan und wenige andere, die heute sehr willkommen waren. Onyx hoffte, dass er seine Ruhe haben würde und interessanten Gesprächen zuhören konnte. Waldläuferwissen, Geschichten von unterwegs und Fachsimpeln über Spuren lesen, Pfeile und Ausrüstung.
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Felsennest Niradh
Gerade noch lachend, weil sie von einem kleinen Geisterwurm durchgekitzelt wurde, gesättigt und zufrieden mit einem vom Essen gewärmten Bauch hatte Zarra mit den anderen am Feuer gesessen. Sowohl Vareesa, als auch sie selbst wurden von Maris für ihre Fortschritte gelobt und es hatte nur noch eine friedvolle Nacht mit einem ruhigen Schlaf gefehlt, der ihr die innere Erschöpfung hätte nehmen sollen, deren Ursprung sie im Gebrauch der Magie vermutete. Sie würde ihren Mentor fragen müssen, ob es tatsächlich der übermäßige Gebrauch war, der sich bei ihr bemerkbar machte. Sie hatte wieder Ornlu vor Augen, wie er nach dem Kampf gegen den Schamanen in der Heilkammer gelegen hatte. Ambrose hatte ihm Tränke gegeben und davon gesprochen, dass er es mit der Magie übertrieben hatte, Wunden gerissen, die für das bloße Auge nicht sichtbar waren. War ihr derzeitiger Zustand vergleichbar?
Ein markerschütterndes Heulen klagte durch die Nacht, riss sie aus ihren Überlegungen. Ein Gefühl, so tief in ihrem Geist verborgen, dass sie es erst einmal in ihrem Leben gespürt zu haben schien, drang an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Wie an jenem Tag, an dem sie von einem Wolfsgeist beseelt gewesen war, erwachten Instinkte in ihr, die nicht menschlich sein konnten. Der Drang einzustimmen in das Heulen der Nacht, der Drang aufzuspringen und hoch auf die Zinnen Niradhs zu springen, dem Mond nahe zu sein.
Die Haare auf ihren Armen und in ihrem Nacken stellten sich auf und Zarra verengte krampfhaft die Augen, während sie Luft zwischen ihren Zähnen hindurchpresste, ein Ansatz von einem Knurren tief in ihrer Kehle, das jedoch niemals wahr wurde.
Draußen vor den Mauern des Felsennests war etwas. Unbekannte und gleichzeitig vertraute Laute mischten sich mit Drohendem und Warnendem. Ein Kaleidoskop der Empfindungen wirbelte durch das Bewusstsein der Weißhaarigen und ihre Muskeln begannen zu schmerzen. Ohne es bemerkt zu haben, hatte sie sich am ganzen Körper angespannt und erst, als sie sich dazu zwang zu entspannen, erlange sie zurück, was sie nicht einmal verloren gewusst hatte. Runa war da, Säbel in der Hand und den Eingang bewachend. Vareesa war da, mit undeutbarer Miene in die Nacht spähend. Doch von Maris fehlte jede Spur.
Geändert von Zarra (20.10.2024 um 12:06 Uhr)
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Völlig außer Atem hatte Griffin nur etwa die Hälfte von dem gehört, was während der kurzen Versammlung besprochen worden war. Zu laut hatte sein Herz gegen den plötzlichen Sprint durch ganz Schwarzwasser rebelliert. Aber die kleine sportliche Einlage war notwendig gewesen, damit er es zumindest noch halbwegs rechtzeitig zum Treffen der Waldläufer hatte schaffen können. Ein Treffen, dass zumindest von den wenigen Sätzen, die er zwischen laut pochendem Herzen und halblautem und unterdrücktem nach-Luft-Schnappen mitbekommen hatte, einige Änderung versprach. Es klang nach Aufbruch, nach Veränderung, nach Sorge und nicht zuletzt auch - und mal wieder - nach Krieg. Oder zumindest kleineren Auseinandersetzungen mit Orks.
Seine Gedanken wanderten zum zweiten Mal an diesem Tag zu der Ork Ska'ri, die vielleicht noch immer irgendwo auf Argaan ihren Bruder suchte. Er dachte dann auch zurück an die kurze Zeiten mit den Orks des Karrek, an die Faring-Orks und ihre Söldner. An die Bekannten, Freunde und Waffenbrüder, die er dort gemacht hatte. An die unzähligen Diskussionen, die er in Silden hatte führen müssen. Aber so sehr er sich auch bemüht hatte - die Orks blieben der liebste Feind der Menschen.
Die nur zu bekannte Stimme einer jungen, aufgeweckten und vor Tatendrang sprühenden Rothaarigen rissen ihn aus den Gedanken an das Früher. Der rothaarige Wildfang, der vermutlich vor einigen Monden noch nicht einmal den Blick hätte heben können, hatte sich nun kurz nach Turya selbst dazu bereiterklärt, ein ganzes Jagdkommando zu führen.
Mit einem vorfreudigen Lächeln blickte er zu Freiya und suchte ihren Blick. Die Rothaarige aber hatte in diesem Moment nur Augen für Ryu, der mit einem Funkeln in den Augen und einem zuversichtlichen Nicken ihr Angebot wahr- und vermutlich auch in wortkarg-hayabusischer Art annahm. Griffins noch immer angestrengt polterndes Herz stolperte für einen Moment und geriet aus dem Takt. Der schwere Mann sank etwas tiefer in seinen Stuhl und fingerte gedankenabwesend an dem uralten Holzschild herum.
Vermutlich hatten sie beide Recht mit ihrer unausgesprochen Einschätzung. Er war alt. Er war träge, laut, unberechenbar und in den meisten Situationen wenig hilfreich. Auch an guten Tagen spürte er noch immer ein leichtes Zittern in seinen Händen und seine Kehle fühlte sich so grauenhaft trocken an, egal wie viel Wasser er auch trank. Er wusste genau, dass er diesen Durst, ebenso wie das Zittern, nur durch einen kleinen, köstlichen Schluck Alkohol loswerden würde. An schlechten Tagen war er gewillt, diesem Verlangen endlich nachzugeben.
Welche Hilfe konnte ein solcher Mann bei der Jagd schon sein? Nein - die beiden hatten Recht, nur sich anzusehen. Im Köcher der Jagenden und der Jäger war für einen gebrochenen Pfeil eben kein Platz.
Mit wachsender Ungeduld verharrte er auf seinem Platz und ließ auch den Rest der Versammlung über sich ergehen, mehr körperlich als geistig anwesend.
Er fühlte sich nun noch schuldiger, die bunte Reisetruppe um Corsika und Dion so ganz aus dem Nichts und nur mit dem Versprechen, sich baldigst wieder bei ihnen blicken zu lassen, bei der Hooqua zurückgelassen zu haben. Seine neugewonnenen Verpflichtungen als wieder-aufgenommener Waldläufer und Teil des Waldvolks hatten ihn in seiner Wahrnehmung leider dazu gezwungen auch an diesen Sitzungen der Waldläufer teilzunehmen. Morgen aber, wenn all das hier vorbei war, so sein Versprechen, würden sie erneut bei der alten Rimbe vorsprechen, die ob der Vorbereitungen heute keine Zeit für sie gefunden hatte.
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Baumkrone - Das kleine Thing der Waldläufer - After work happy hour
Freiya kaute nachdenklich auf dem Bärenschinken herum. Sie war kein Fan des derben Geschmacks, aber der Jagderfolg von Kiyan und Hjarti wurde am besten damit geehrt, dass man sich an der Beute satt aß. Sie hatte den ganzen Tag keinen Hunger verspürt durch Onyx' Waldläufer, erst jetzt zum Abend hin wieder.
Dadurch, dass Hjarti selber ein Kommando anführen wollte, würde sie vielleicht tatsächlich auf Ricklen als Speerkämpfer zurückgreifen müssen. Was jetzt nicht die schlechteste Wahl war, ganz und gar nicht, aber konnte er sich ihr unterordnen? Da Fridtjof weg war, fehlte es an einem versierten Bogenschützen, aber da würde sie auf Ronja zählen. Allgemein könnte sie etwas weibliche Unterstützung gebrauchen. Ihre Gedanken wanderten zu Senna, die sie aus Darius‘ Truppe kannte. Eine hervorragende Jägerin, die ebenfalls Qualitäten an Speer und Bogen aufweisen konnte. Ob Freiya Senna überzeugen könnte? Weiterhin wäre da noch Kjal, aber … vielleicht fiel ihr jemand Anderes ein, der ähnliche Qualitäten aufwies wie der Schildkämpfer. Sie grinste, als ihr Blick auf Griffin fiel, doch bevor sie ihn ansprechen konnte, hatte Zoyt das Bierfass angezapft und die Humpen wurden gefüllt.
„Denkt dran, euch das Erz vom Herren des Sumpfes noch abzuholen, wer es von euch noch nicht gemacht hat“, erinnerte Mertens die Runde. Ach ja, dachte Freiya, da war ja noch was.
„Ambrose, wie geht es Mani?“, fragte Jilvie und der Seher, der neben Griffin stand, was die Ähnlichkeit der beiden einmal mehr untermalte, begann zu strahlen.
„Er hat sich von den Strapazen seiner Entführung erholt und dank der Moleratdamen und einer großen Portion Futter die Torturen schon wieder vergessen können“, sprach er.
„Klar, bei Essen und nem Harem, der sich um mich kümmert, würde ich auch alles vergessen“, kommentierte Hjarti und er und Okam stießen grinsend miteinander an.
„Die Goblins waren zum Teil alte Bekannte aus dem Bluttal“, sprach Freiya an Ricklen und Jilvie gewandt.
„Was, wirklich? Du meinst von damals, als wir dich aufgesammelt haben?“, staunte Hjarti und Freiya nickte.
„Der Anführer hat Onyx erkannt und es ihm ganz schön schwer gemacht, aber er hat vergessen, mit wem er sich angelegt hat. Sie werden uns sicherlich wieder beehren. Ich denke, wir sollten sie im Auge behalten“, sagte Freiya an Ricklen und Jilvie gewandt, die beide nickten.
„Dann sollten wir Melford noch einmal die Befestigung des Moleratgeheges überprüfen lassen“, schlussfolgerte Mertens.
„Hast du’s ihnen gezeigt, Onyx, mit dem, was du neulich bei Darius gelernt hast? Von wegen Bogen, was? Manchmal muss man einfach direkt volles Pfund aufs Maul hauen“, grinste Hjarti und prostete Onyx zu, der die Geste erwiderte.
„Was gibt es abgesehen von den Gobbos aus dem Osten zu berichten?“, fragte Ricklen und bemaß Freiya mit einem strengen Blick. Sie hatte sich am Vorabend bei Jilvie gemeldet und wusste natürlich, dass er alles andere als beglückt gewesen war über ihre unangekündigte Abwesenheit. Ihr war klar, wären sie nicht in der großen und eher festlichen Runde gewesen, hätte er ihr ein paar sehr deutliche, sicherlich auch berechtigte, Takte dazu gesagt und sie war ihm dankbar, dass er dieses Fass jetzt nicht vor versammelter Mannschaft öffnete.
Ihr Blick suchte kurz nach Ryu, der bisher stoisch und schweigsam dem Geschehen beigewohnt hatte. Er nickte kurz, also berichtete sie:
„Die Ruinen im Osten sind ruhig, keine weiteren Vorkommnisse. Wir sind zum Wasserfall der Geister und haben dort den alten Wachturm … untersucht.“ War das das richtige Wort? „In diesem hatten sich ein paar Goblins niedergelassen, die allerdings … freiwillig den Turm verlassen hatten. Er ist recht marode an einigen Stellen, aber sonst noch intakt. Oh, außerdem haben wir Baumgeister getroffen.“
„Baumgeister?“, wurde Ambrose sofort hellhörig, doch auch die anderen wandten sich Freiya nun etwas aufmerksamer zu, um zu hören, was sie zu sagen hatte.
„Ich dachte, die gibt es nur in Geschichten“, brummte Ricklen.
„Das dachte ich auch“, murmelte Freiya. Ihre Augen wanderten zu Ryu und sie musste lächeln ob der Erinnerung an Apfelblüte und Ahorn.
„Wie sehen die aus?“, fragte Hjarti.
„Was haben die da gemacht?“, begehrte Ambrose ebenfalls zu wissen.
Erneut blickte sie zu Ryu, der wieder kurz nickte und die Rothaarige diese Begebenheit berichten ließ.
„Sie sehen aus wie Bäume“, sagte sie und kicherte leise. „Große, alte Bäume. Aber sie bewegen sich. Und sie sprechen! Allerdings in der Alten Sprache. Jedoch, sie können über Gedankenbilder kommunizieren. Daher haben wir erfahren, dass sie aus dem Gebirge vertrieben wurden, und zwar von niemandem geringerem als dem korrumpierten Feuerwaran, den wir getötet hatten.“ Ihr Blick wanderte nun zu Griffin und an ihn gewandt sprach sie weiter: „Odos Verderbtheit hatte sie aus ihrem Tal vertrieben, sie waren die … Hüter der Bäume dort. Die Wilde Jagd und Garaghs Korruption haben sie ebenso aufgewühlt und hier gehalten. Doch die Gewissheit, dass sowohl Garagh als auch Odo Geschichte sind, hat sie wieder in Frieden zurückkehren lassen. Sie haben uns auf ihre Art und Weise gedankt zum Abschied.“
Sie verfiel in ein schweigendes Lächeln, als sie daran dachte.
„Ist ja höchst erstaunlich, normalerweise leben diese Geister sehr zurückgezogen“, sprach Ambrose. „Ihr hattet großes Glück, die Baumhirten einmal mit eigenen Augen zu sehen. Sie sind alte Kinder von der Mutter.“
Eine Gänsehaut überkam die Waldläuferin bei Ambrose‘ Worten und schweigend aß sie weiter ihren Bärenschinken, während die Runde sich anderen wichtigen Dingen – die Süffigkeit des Bieres und den Fettgehalt des Schinkens – widmete.
„Was war’n das eigentlich für ne beschissene Nacht? Dieses Gejaule war ja kaum zum Aushalten“, polterte Hjarti dann plötzlich. Ambrose‘ Gesicht verfinsterte sich.
„Ein Wolfsmond.“
„Hm, gabs schon lange nicht mehr, kann das sein?“, brummte Ricklen.
„Keine Ahnung, bin ja erst vor der Wilden Jagd hier angekommen“, erwiderte der Seher.
„Wo ist eigentlich Ornlu? Sollte der nicht heute hier teilnehmen? Der könnte uns bestimmt was dazu sagen.“
„Ist wie ein Besessener in den Sumpf gerannt bei dem Geheule letzte Nacht“, sprach Okam. Freiya nickte bestätigend.
Mertens‘ Miene hatte sich verfinstert.
„Irgendwas ist geschehen im Westen. Wir werden ein paar Späher losschicken, um nachzuschauen, was die Wölfe angerichtet haben. Könnte aber sein, dass wir mit den Nachwirkungen des Wolfsmonds unser Jagdgebiet noch weiter vergrößern müssen. Hoffentlich haben diese Raubtiere da draußen überhaupt was am Leben gelassen.“
Nachdenklich hatte Freiya zugehört und wieder verfiel sie in ihre Überlegungen, wer ihr Kommando bilden sollte und wohin es gehen sollte.
Als sie aufgegessen hatte, trat sie schließlich an Griffin heran, der sich zu Ryu gesellt hatte.
„Griffin, ich könnte jemanden mit deinen Fähigkeiten für mein Kommando gebrauchen. Hättest du vielleicht Lust, dich noch einmal von mir anführen zu lassen?“
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Stumm lächelnd hatte der ehemalige Hüter sich angehört, was Freiya und die Umstehenden berichtet und über was sie sich so ausgiebig unterhalten hatten. Die rothaarige Frau wahrlich in der Mitte der Waldläuferschaft angekommen. Wie vertraut sie mit den Leuten sprach, an deren Namen sich Griffin nicht mal erinnern konnte und wie sie einen jeden von ihnen mit ihrem herzlichen, ungezwungenen Charme einzufangen wusste, war wahrlich ein seltener Anblick. Freiya vermochte es auf eine ganz natürliche Art und Weise einem jeden der umstehenden das Gefühl zu geben, Teil der Unterhaltung und in der Folge ein bedeutender Teil der Gemeinschaft zu sein.
Als sich die begeisterten Augen der jungen Frau aber auf Griffin richteten, sank der großgewachsene Mann wieder in sich zusammen.
»Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, wenn du wieder die Führung übernimmst, werteste Freiya«, begann er schmunzelnd. Deutlich spürte er, wie die orangeroten Augen seines alten Waffenbruders sich langsam auf ihn richteten. Der Hayabusa hatte sich während der ganzen Unterhaltung wie so üblich bedeckt gehalten, stand im Hintergrund, die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete wie so üblich wortlos. Als Griffin die Stimme erhob, verengten sich seine Augen um ein winziges Stückchen. Abwartend. Lauernd? »- aber ich fürchte, dass ich euch nicht sonderlich hilfreich sein werde, weißt du?« Er klopfte sich wie zur Erklärung auf den Bauch. »Mit Speeren kann ich nicht, mein Schwertarm ist müde, mein Körper behäbig und wenn ich ehrlich bin, bin ich selbst mit dem Bogen auch nicht mehr so gut wie einst.«, gestand er ehrlich. Das leichte Zittern seiner Hände mochten ihn im Alltag zwar stören, im Kampf mit dem Bogen wäre es weit mehr als das.
Entschuldigend hob er die Hände und kratzte sich dann verlegen am Hinterkopf.
»Ich bin mir sicher, dass es genug fähige Männer und Frauen hier gibt, die begierig darauf sind, unter deinem Kommando zu dienen, meine Liebe!«, endete er schließlich und schenkte dem Rotschopf ein letztes, kurzes Lächeln, ehe er sich unter einem Vorwand davonschlich.
Er hatte seine Schuldigkeit getan und war Teil der Versammlung gewesen. Aber gerade fühlte er sich nicht nach Gesellschaft. Er hatte so lange alleine und zugedröhnt in verlassenen Häusern in Thorniara campiert, dass Lautstärke und Menschenmengen noch immer nicht wieder seins waren.
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Der Löwensee
Die raue Zunge schabte über sein zerschundenes Gesicht wie ein Schleifstein, gegen den er wieder und wieder gepresst wurde. Maris murrte und schlug hilflos ins Leere, um die Plage loszuwerden. Es brannte unerträglich.
„Marik, hör auf!“
Als Maris die verkrusteten Augen endlich auseinander bekam, begriff er, wo er war. Nein, Marik war schon lange nicht mehr da. Es war die Löwin, der er in der Nacht gegen die Warge beigestanden hatte. Sie brummte überrascht auf und tat einen Satz zurück. Die ersten Strahlen der aufgehenden Herbstsonne schienen in flacher Bahn durch Blätterdach und Morgennebel und ließen ihr sandfarbenes Fell aufleuchten.
„Geht es euch gut?“, fragte Maris. Er konnte die Frage für sich selbst getrost mit nein beantworten. Sein Gesicht fühlte sich an wie eine Schlachtplatte, sein Arm war trotz des dicken Stoffes seiner waldvölkischen Kluft, die er seit der Wilden Jagd notgedrungen trug, so blutig gebissen, dass er zu nichts mehr zu gebrauchen war. „Wo ist dein Mann, hmm?“
Er sah sich um, erblickte die Kadaver der getöteten Warge, von denen zwei in Richtung Ufer geschleift worden waren. Das Seeufer – Maris erinnerte sich, dass der Löwe sich dorthin geschleppt hatte. Er musste nicht lange suchen.
„Ah, verdammt nochmal …“
Der Löwe lag grau und reglos genau dort, die ersten Fliegen versammelten sich bereits auf seinem toten Leib. Doch ganz in der Nähe wackelte das Schilf. Als Maris langsam darauf zuging, raunte die Löwin, ließ ihn dann aber gewähren. Er verstand, als er an das Schilf herantrat und sah, was sich dahinter versteckte. Eine zweite Löwin lag dort, hatte vielleicht die ganze Nacht schon dort gelegen, vier junge Löwen an ihrer Brust versammelt. Sie trug Blut an ihrem Liefern, vermutlich das Blut der getöteten Warge. Ihr Leib versteifte sich bei seinem Anblick. Maris trat vorsichtig zurück und beließ die Tiere in ihrem Versteck.
„Deshalb seid ihr nicht geflohen.“
Er trat an die Löwin heran und sammelte das Bisschen an Kraft, das er noch hatte, um eine Verbindung zu ihr aufzubauen.
„Ich brauche Heilung, aber ich komme wieder und werde euch helfen“, murmelte er. „Haltet durch – ihr seid nicht allein.“
Er ließ die Verbindung jäh abbrechen, als er seine Botschaft übermittelt hatte, und schleppte sich davon. Niradh war nicht fern, nur ein Viertelstundenmarsch höchstens. Auch wenn er sich nach wenigen Schritten schon hinsetzen und ausruhen wollte, zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben, und erreichte schließlich völlig erschöpft das Felsennest. Er stolperte die Treppen mehr hoch, als dass er ging, und fand sich am oberen Absatz vor einer soliden Barrikade aus allem Möglichen wieder, was das Lager zu bieten hatte. Kraftlos lehnte er sich gegen die Felswand und ließ sich zu Boden gleiten. Er klopfte mit der unversehrten Hand gegen die Barrikade.
„Hey, geht es euch gut? Ihr könnt aufmachen, die Gefahr ist vorüber.“
Er lachte auf. „Ich könnt einen Schluck kalte Suppe vertragen.“
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Felsennest Niradh
An Schlaf war in der Nacht nicht mehr zu denken gewesen, stattdessen hatte Zarra viel Zeit darauf verwandt mit Vareesas Hilfe Runa davon abzubringen, nach ihrem Vater zu suchen. Die junge Jägerin war hin und hergerissen zwischen dem Wunsch ihrem Paps beizustehen und die ihr übertragene Aufgabe zu erfüllen. Irgendwann, es müssen Stunden ins Land gegangen sein, hatte Runa endlich aufgehört zu diskutieren und davon abgelassen die aufgebaute Barrikade wieder einreißen zu wollen. Das erste Blau hatte bereits das Schwarz am Himmel vertrieben und der gewaltige Mond war seiner Bahn gefolgt bis er vom Innern des Felsennestes nicht mehr zu sehen gewesen war. Lediglich einige schwache Sterne, überstrahl vom Mondlicht, waren übriggeblieben. Und die ganze Zeit über war entferntes Heulen von Wölfen zu hören gewesen, eine schaurige Stimmung verbreitend, die den drei Frauen die Haare zu Berge hatten stehen lassen.
Erschöpft und müde hatten sie schließlich schweigend um das Feuer gesessen, welches die Bognerin gekonnt am Leben erhalten hatte, vermutlich denselben Gedanken hegend: Wie ging es Maris?
Als hätten ihre Gedanken ihn erreicht, hörten sie mit den ersten Sonnenstrahlen schwere, schlurfende Schritte, die sich die natürliche Treppe hinaufkämpften. Wie weggeblasen war die Müdigkeit und die Alarmbereitschaft spiegelte sich in den Augen der drei Verbliebenen wider.
„Hört ihr das?“, fragte Runa im Flüsterton und wurde mit dem Nicken der beiden anderen bestätigt.
Langsam schlich die Jüngste von ihnen mit gezücktem Säbel zu der provisorischen Barrikade, doch noch ehe sie einen Blick durch den lückenhaften Wall verwerfen konnte, klopfte es von außen gegen die zum Großteil aus Holz bestehenden Gegenstände und die gedämpfte Stimme des Einäugigen drang zu ihnen herein.
„Paps!“, rief Runa laut und begann sogleich Holzbretter, Feuerholz, Kisten, Felle und Kochutensilien aus der Barrikade zu ziehen.
Zarra und Vareesa eilten erleichtert zu ihr und halfen tatkräftig mit, bis sie eine Öffnung geschaffen hatten, durch die der Varanter passte.
„Paps!“, rief Runa erneut, ebenso laut, doch erschrocken, als sie seinen zerschundenen Körper erblickte.
Zarra hielt sich die Hand vor den Mund. Das Gesicht von Maris war zerfurcht, nicht von Sorge oder frühzeitiger Alterung, sondern von blutigen Kratzspuren, die bereits zu gerinnen begannen. Sofort fielen der Weißhaarigen die geröteten Stellen um die Wunden auf, was auf eine Entzündung hindeutet, die vielleicht eine schwerwiegende Infektion nach sich ziehen würde. Doch sein Gesicht war nicht das Schlimmste an seiner Verfassung, sondern sein rechter Arm, dessen Blut den Ärmel tränkte und leblos an seiner Seite hinabhing. Ob aus Erschöpfung oder weil er kein Gefühl mehr in ihm hatte, war auf den ersten Blick unmöglich festzustellen. Sie mussten etwas tun.
Unwillkürlich wartete die junge Frau darauf, dass jemand Anweisungen gab, sie einteilte, um die Wunden zu versorgen. Doch die beiden anderen Frauen waren zu sehr damit beschäftigt, sich um Maris zu sorgen. Zarra erkannte, dass sie es war, die wohl am besten über die hiesigen Kräuter Bescheid wusste und wie man mit ihnen helfen konnte – wohl deutlich später, als es sich ihre Großmutter gewünscht hätte.
„Vareesa“, fiel Zarra Runa ins Wort, die gerade mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf ihren Vater einredete, „mach bitte etwas Wasser im Topf heiß“, übernahm ein Teil von ihr die Kontrolle, der sich nur sehr selten durchsetzen konnte.
Sie hörte in ihrem Kopf die Stimme ihrer Oma, wie sie immer laut vor sich hinsprach, was sie mit Verletzten tat, wenn ihre Enkelin dabei gewesen war. Denn so würde sie lernen und jetzt war der Moment gekommen, etwas davon anzuwenden.
„Runa, kannst du in den Wald gehen? Nicht weit von hier habe ich Heilpflanzen im Schatten der Birken gesehen. Weißt du, wie sie aussehen?“
„Ehm…natürlich, aber“, antwortet das Mädchen verwirrt, während Vareesa bereits die Suppe in eine Schüssel umfüllte und aus einem der Trinkschläuche, die hier gelagert hatten, Wasser hineingoss.
„Wir werden sie für die Wunden von deinem Paps brauchen“, verstärkte sie ihre Bitte noch einmal und wurde mit einem ernsten Nicken und einer schnell verschwindenden Runa belohnt.
„Wir werden dich nach Tooshoo schaffen müssen, Maris, zu den Heilern am besten“, wandte sie sich schließlich mit fester Stimme und einem Blick, den sie wohl tausende Male bei Nerea beobachtet hatte – eine Mischung aus hilfsbereiter Güte und unterschwelligem Tadel es soweit kommen gelassen zu haben - an ihren Mentor.
Dann begann sie in ihrer Kräutertasche zu wühlen. Sie hatte am Fluss, nachdem sie den Topf mit Buchenblättern gesäubert hatte, auch Pappelblätter gesammelt. Der Baum war nicht weit verbreitet im Sumpf, soweit sie wusste und da sie noch nicht ihre grüne Farbe eingebüßt hatten, würden sie ihre Wirkung noch entfalten können.
„Kocht das Wasser schon?“, fragte Zarra, wobei sie nicht ungeduldig wirkte.
„Noch nicht.“
„Gut, kannst du etwas von dem warmen Wasser in einen Eimer oder so geben? Ich muss die Wunden auswaschen.“
Kurze Zeit später kniete die Weißhaarige neben einem etwas perplexen Maris, der sich von ihr die tiefen Bisswunden auswaschen ließ und es besser ertrug, als die meisten Menschen, die Zarra bisher bei einer solchen Behandlung gesehen hatte. Wie war es bloß dazu gekommen?
„Das Wasser kocht, Schwester“, ließ Vareesa sie wissen.
„Sehr gut, kannst du diese Blätter in meiner Kräutertasche hineingeben? Sie sind herzförmig und etwas gelappt an den Rändern.“
„Hab sie! Einfach ins Wasser?“
„Ja, das wird ein Tee gegen die Schmerzen und sobald er wirkt, sollten wir uns auf den Weg machen.“
In diesem Moment kam Runa zurück gehechtet, außer Atem, aber mit einem ganzen Bündel von Heilpflanzen in den Händen. Einige der Blätter verloren bereits ihre Farbe, doch das beeinträchtigte die Wirkung glücklicherweise nicht.
„Hier, das waren alle, die ich tragen konnte!“, schnaufte sie und hielt sich die Seiten, nachdem sie die Kräuter abgeladen hatte.
„Das sind mehr als genug. Danke, Runa!“
Zarra begann sich einige der Blütenblätter in den Mund zu schieben und darauf zu kauen. Es schmeckte widerlich bitter, doch die Blüten waren wirksamer, als die Blätter, nur übertroffen von den Samen. Aber sie musste mit dem arbeiten, was sie hatte.
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Wasserfall der Geister, nord-östliches Tooshoogebiet
Müde setzte er einen Schritt nach dem anderen durch den Morast. Die Jagd war vorbei und die Gier nach Blut und der Angst der Beute gestillt. Sein ganzer Menschenkörper hatte blutige Spuren von Kämpfen, von der Jagd und der Geschmack im Mund von rohen Fleisch war als Mensch gewöhnungsbedürftig.
Sorgsam leckte er mit der Zunge an der Innenseite seiner Zähne, versuchte Fasern aus den Zwischenräumen zu drücken und entschied sich es gleich mit dünnem Holz zu versuchen. Ornlu warf sich am Ziel seiner Wanderung zu Boden und schöpfte sogleich vom eisig kalten Wasser an diesem Morgen. Durst wurde bekämpft, der müde Geist geweckt und dann warf er sich direkt in das Wasser.
Hier unten am Wasserfall der Geister rauschte es sanft und gefühlt hatte er die Wasserstelle für sich allein.
Er tauchte ab, hielt die Luft solange er konnte an und stieß sich dann kraftvoll vom nicht gerade tiefen Wasser ab.
Er schrie die Kälte an seiner Haut, den Schrei nach Sauerstoff für seine Lungen und das Erwachen seines Menschengeistes aus. Wasser spritzte umher und mit einer neuen Energie rieb er sich eilig und die Kälte nicht mehr genießend den Dreck und das Blut ab. Schüttelte sein nasses Haar und sprintete dann aus dem Wasser.
Frierend ließ er seine Magie erwachen und sog aus den bunten Blättern am Boden und Totholz die Reste von Magie. Fitzelchen und kleinste Tropfen die zu Ornlus Magie kamen und Blätter schneller welken ließen und Totholz noch morscher machten.
Was Steinkreise mit der Zeit selbst bewirkten, das konnte der Wolfsdruide auch.
Mit der neuen Magie begann er sich dann zu wärmen. Sie lag wie ein Mantel aus reiner Magie über seinem Körper und minderte das Zittern.
Dann suchte er Pflanzensamen am Boden und begann sie zu manipulieren. Dünne Ranken schlängelten sich über seinen Torso und Oberschenkel. Wickelten sich, verästelten sich in alle Richtungen und schufen ein loses Geflecht aus Pflanzenfasern die Ornlu als halbe Hose und kurzes Hemd dienten. Des Königs neue Kleider für wenige Stunden.
Dann, als er da zum Trocknen in die endlich hierher scheinende Sonne legte, fand er die Ruhe, die er brauchte und gesucht hatte.
Dann ließ er seine Erinnerungen Revue passieren und dachte an die Insektoiden, an den Tempelruinen-Eingang und das er es mit der Meute dann mied da hinab zu steigen. Wie sie dann durch die westlichen Wälder liefen und jagten, was zu jagen war. An die Kämpfe der Meute untereinander, um Rang und Beute und wie er die Schwäche im eigenen großen Rudel zerriss.
Es war wie immer, wie damals und doch war da eine Sache, die neu gewesen war.
Er als Hetzer, als fleischgewordene Wolfsbestie wollte noch mehr. Wollte nicht nur einfache Beute jagen, sondern auch andere Geister. Er hatte die grüne Bestie gesucht, hatte den Krötengeist gesucht und jagte der Fährte eines Hirsches hinterher, der den Fürsten angehörte.
Das war wirklich neu und das oder besser der Sinn dahinter war dem Wolfsdruiden noch nicht klar. Wieso Naturgeister und größere Konflikte und Umwälzungen provozieren? Der Hetzer war doch gerade erst zurück und musste erst einmal erstarken? Und was wollte er, als höchstes Wolfswesen, mit der Macht anderer Naturgeister?
Fragen, deren Antworten wohl in Zukunft kommen würden.
Wroc erschien und krächzte ihn an.
“Jaja…Ich bin doch wieder hier. Was hast du beobachtet?”, fragte er das Tier und verband sich magisch.
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Lehrling
Sumpflilie
Entgeistert starrte Dion auf die hölzerne Suppenschüssel, der vor ihm auf dem Tisch stand. Sie war unter Zuhilfenahme eines Brotkantens so gründlich von jedem noch so kleinen Suppenrest befreit worden, dass man sie getrost direkt wieder in den Schrank hätte packen können.
Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, denn das hätte ja bedeutet, dass die Suppe sich in Dions Bauch befand – nur, das war nicht der Fall. Suppe. Suppe! Das war doch kein Zombie-Essen! Obwohl er hungrig war wie ein Wolf, hatte er sie nicht angerührt. Corsika allerdings hatte das nur schulterzuckend zur Kenntnis genommen und sich über seinen Teller hergemacht, nachdem sie ihren eigenen geleert hatte. Jetzt lehnte sie sich zufrieden zurück und legte die Hände auf ihren vollen Bauch, während Dion der Magen knurrte. Untot sein war kein Zuckerschlecken … Wie lange würden sie wohl hier warten müssen?
Nachdem sie die Gänse und Ziegen in einem Gehege am Fuße des gigantischen Baumes unter den wachsamen Augen einiger mehr oder weniger freiwilliger Hirten untergebracht hatten, waren sie von Griffin zunächst zu einer alten Kräuterfrau gebracht worden, Nerea. Aber die konnte sich nicht sofort um Alfons kümmern. Sie hatte ihn nur kurz angesehen, festgestellt, dass sein Zustand wohl stabil war, und sich dann auf den Weg zu einer dringenderen Patientin begeben. Alfons lag nun in ihrer Hütte und wartete darauf, dass sie sich seiner annehmen konnte. Alois war bei seinem Sohn geblieben, Corsika und Dion hingegen waren von Griffin in dem örtlichen Gasthaus abgeliefert worden, bevor er sich mit einer knappen Entschuldigung aus dem Staub gemacht hatte.
Und da saßen sie nun und warteten. Corsika satt und zufrieden, Dion von bohrendem Hunger geplagt. Aber zumindest konnte er endlich mal wieder sitzen. Nach der mehr als anstrengenden Reise, auf der er zwei Tage lang allein den jungen Alfons hatte schleppen müssen, war das mehr als willkommen. Wenn es nach ihm ging, konnte Griffin ruhig noch eine Weile brauchen bei … wo auch immer er so dringend hingemusst hatte. Er würde so lange einfach hier sitzen und sich keinen Millimeter von der Stelle bewegen.
„Na, öfter hier?“
Die raue Stimme ließ Dion aufschrecken. Ein junger Mann, der Kleidung nach zu urteilen einer der örtlichen Bewohner, ein Jäger vielleicht, ließ sich grinsend auf einen freien Platz an der gegenüberliegenden Tischseite fallen, wobei er Corsika ungeniert von oben bis unten musterte. Dion, der neben ihr saß, beachtete er gar nicht.
„Is lange her, dass wir mal Besuch von sowas Hübschem bekommen haben! Ich bin Bryan – und wie heißt du?“
Dion ging der Kerl jetzt schon auf die Nerven. Sein selbstsicheres Grinsen, in dem noch ein paar Fleischfetzen seines Mittagessens hingen, die Art, wie er sich auf den Stuhl gefläzt hatte und mit einer weit ausholenden Geste einen tiefen Schluck aus seinem Bierhumpen nahm, während er weiterhin Corsika anstarrte – dieser Bryan war einer dieser Angeber, die glaubten, die Welt gehöre ihnen. Einer von denen, die Dion grundsätzlich das Leben schwer gemacht hatten (als er noch am Leben gewesen war).
Bevor Corsika etwas erwidern konnte, drang plötzlich ein tiefes, kehliges knurren aus Dions Brust, und er funkelte Bryan böse an. Erstmals, seit er sich zu ihnen gesetzt hatte, nahm Bryan seine Augen von Corsika und schaute stattdessen überrascht zu Dion.
„Ey, Dickerchen, was ist denn mit dir los? Hat dir das Essen nicht geschmeckt?“, frotzelte er, aber Dion starrte ihn nur weiterhin finster an und fletschte die Zähne.
„Fleiiisch…“, grollte er, und Bryons Grinsen wirkte auf einmal deutlich weniger selbstsicher.
„Ist der … noch ganz klar da oben?“, wandte er sich an Corsika und tippte sich dabei gegen die Schläfe.
„Er ist mein Zombie“, erwiderte Corsika trocken, „Er tut, was ich sage, und er beißt auch!“
„Dein … ? Ooookaaaaay…“ Bryan zog verwundert die Augenbrauen hoch und musterte Dion jetzt ganz genau. Plötzlich fing er wieder an zu grinsen.
„Also, ich weiß ja nicht, Süße. Die Zombies, die ich so kenne – und glaub‘ mir, ich hab schon gegen welche gekämpft, ohne Scheiß! – die sahen alle noch ein ganzes Stück übler aus als der da. Vielleicht … Wartet, ich habe eine Idee!“ Er hob einen Arm und schnipste, bis die Wirtin auf ihn aufmerksam wurde. „Mama, bring uns doch mal bitte zwei Becher Feuerbrand!“
Es dauerte nicht lange, und zwei kleine tönerne Schnapsbecher standen vor ihm und Dion, der das Getränk verständnislos anschaute.
„Das, mein Freund, ist eine Spezialmedizin!“, erklärte Bryan im Brustton der Überzeugung, „Die kann nämlich Tote wieder lebendig machen! Kein Witz! Da hat’s vor ein paar Monaten mal den Bierbauch-Franzl so zerlegt, wir dachten, das war’s, der is hin, aber dann hat ihm einer nen Feuerbrand eingeflößt und der ist gehupft und gesprungen wie ein junges Reh! Ha! Also, wenn du ein Zombie bist, oder so’n Halb-Zombie, oder so, dann muss ja irgendwo da drin noch sone Art Rest-Leben sein, und das wird dieses Zeug hier aus dir rauskitzeln, Kumpel, verlass dich drauf! Du wirst dich fühlen wie … neu geboren!“ Er lachte über seinen eigenen dummen Witz und hob erwartungsvoll den Becher. „Und, was ist nun, Zombie-Bursche? Kleiner Tipp: Alles mit einem Schluck runter, rein und runter, sonst kannst du es vergessen! Auf dich!“
Dion schnüffelte unschlüssig an dem Getränk – allein der Geruch war schon so scharf, dass es ihm beinahe die Tränen in die Augen trieb. Aber Corsika nickte nur. Sie wollte wohl sehen, was passierte, und als Zombie konnte er sich schlecht gegen den Willen seiner Meisterin auflehnen!
„Hnnnngg!“, stöhnte er und stieß unbeholfen mit Bryan an. Der Jäger grinste und kippte den Schnaps mit einem Mal herunter, woraufhin er das Gesicht verzog, sich an der Tischkante festkrallte und schüttelte.
„Puhuhuu! Das haut vielleicht rein!“, krächzte er, „Was ist? Du bist dran! Ufff…“
Dion seufzte, setzte den kleinen Becher an die Lippen und legte den Kopf ruckartig in den Nacken. Wie Bryan es ihm erläutert hatte, kippte er den Inhalt mit einem Mal in sich hinein und schluckte ihn herunter, bevor er Zeit hatte darüber nachzudenken …
Die Wirkung zeigte sich fast augenblicklich. Feuer. Reines, pures Feuer breitete sich in seiner Speiseröhre und seinen Eingeweiden aus. Seinen Augen begannen zu tränen und sein Kiefer verkrampfte sich, so dass er die Zähne aufeinanderpresste. Was auch immer dieses Zeug war, es fühlte sich an, als würde es seinen Magen auflösen!
„Oh bei Innos …!“, zischte er und ballte die Hände zu Fäusten. Er begann zu zittern und ihm wurde heiß und kalt zugleich, der Schweiß trat ihm auf die Stirn und seine Augen schienen aus den Höhlen springen zu wollen.
Bryan beobachtete ihn und hielt mühsam ein Lachen zurück. Etwa eine Minute saß Dion kerzengerade auf seinem Stuhl, dann sprang er plötzlich auf, rannte aus dem Wirtshaus und übergab sich über das Geländer. Er hörte nur noch, wie sich Bryan vor Lachen nicht mehr einkriegen konnte, aber es interessierte ihn nicht. Solange er nur dieses flüssige Feuer aus seinen armen Eingeweiden herausbekam!
Es dauerte eine Weile, bis sich Dions Inneres so weit wieder beruhigt hatte, dass er sich traute, seinen Platz am Geländer zu verlassen und sich einfach auf den Boden setzte. Seine Beine fühlten sich zu schwach an, um ihn noch weiter zu tragen. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und verfluchte Bryan dafür, ihm dieses furchtbare Gesöff angedreht zu haben!
Auf der anderen Seite …
Dion hob seine Hände vors Gesicht und drehte sie hin und her, als ob er sie noch nie gesehen hätte. Diese heftige Reaktion seines Körpers – konnte es wirklich sein, dass es die Wirkung von etwas wie Medizin war? Dass der Schnaps tatsächlich untote wieder lebendig machen konnte? Solche Magenkrämpfe sollten bei einem Zombie schließlich nicht vorkommen, ein Zombie sollte eigentlich alles fressen können, auch wenn das meiste ihm nichts mehr brachte! Also vielleicht … hatte Bryan gar nicht gelogen?
Dion hob den Blick, ließ ihn den Stamm des gewaltigen Baumes hochwandern bis zu dessen von hier unten fast endlos erscheinender Krone. Dies hier war kein gewöhnlicher Ort, und die Leute hier waren keine gewöhnlichen Leute. Magie lag in der Luft, sogar er konnte das spüren, wo er für die Zauberei doch sonst fast so taub war wie Primus Gabriel für die Stimme des Mitgefühls und der Vernunft. Was sollte also dagegensprechen, dass es im hiesigen Wirtshaus Schnäpse mit magischer Wirkung gab, die vielleicht sogar in der Lage waren, den Fluch einer Wu-Du-Hexe zu brechen?
Mühsam erhob sich Dion wieder. Er spürte seine Beine – spürte sie sehr deutlich! Genau wie er nun wieder den Hunger spürte und die Müdigkeit. Der Gedanke an die Suppe, die er nicht hatte essen können, ließ ihm auf einmal das Wasser im Mund zusammenlaufen. Bei Innos, hatte er einen Kohldampf! Und er wollte einfach normales Essen, keinen Zombiefraß! Brot, Suppe, Wurst und Käse, Obst und Gemüse!
Was auch immer in diesem Schnaps drin gewesen war, Dion fühlte sich so lebendig wie schon seit Langem nicht mehr. Und damit fasste er einen Entschluss:
Er war kein Zombie mehr!
„Du hattest recht!“, verkündete Dion, als er wieder die Taverne betrat und sich, zu Bryans Missfallen, auf seinem Platz neben Corsika niederließ, „Ich bin wieder lebendig! Und das heißt, ich habe einen Riesenhunger! Und nach dem Essen … werde ich erst einmal schlafen! Drei Tage – mindestens …“
-
Senna blickte zu Freiya, dann zuckte sie mit den Schultern.
„Klar, warum nicht. Musst aber Darius fragen oder halt den Hauptmann“, sagte die Jägerin und widmete sich einen Augenblick später wieder ihrer Speerspitze, an der sie gelangweilt ihre Fingernägel säuberte. „Wann solls losgehen?“
„Morgen Früh bei Sonnenaufgang. Ein Tagesausflug, ich plane, abends wieder da zu sein. Wir gehen nach Norden“, erwiderte Freiya. Senna nickte nur.
„Ich geh Darius suchen und mach das klar. Hab die Order bekommen, mir aussuchen zu dürfen, wen ich mag“, erklärte Freiya.
„Und da bin ich dir eingefallen?“, fragte Senna.
„Klar, eine Speerkämpferin und versierte Jägerin kann ich gut gebrauchen! Mit dem Bogen kannst du auch gut umgehen, hab ich gehört. Außerdem, hast du nicht ne Eule als Tiergefährten?“, fragte die Rothaarige.
„Ne Schleiereule, ja.“
Freiya nickte leicht und lächelte verstehend.
„Also, bis morgen, wenn du nichts anderes hörst.“
Die Waldläuferin hatte Senna bei den Unterkünften der Wächter gefunden und würde sich nun auf die Suche nach Darius machen. Wo konnte der Bartträger und passionierte Pfeifenraucher sein? Sie würde auf dem Übungsplatz suchen. Mit Senna hatte sie einen weiteren wichtigen Teil ihres Kommandos gewinnen können. Ronja hatte bereits zugestimmt. Also bräuchte sie noch jemanden, damit sie ihr Kommando vervollständigen konnte. Mehr Begleiter würde Freiya nicht mitnehmen wollen. Es ging darum, Nahrung zu jagen, keine Monster.
Griffin hatte sie ja nun bitterlich im Stich gelassen. Dieser … Lügenbold! Bei Beltane hatte er gesagt, dass er nicht tanzen könne und konnte es dann doch! Diesmal aber hatte er im Gebirge und bei der Wilden Jagd längst gezeigt, was er wirklich konnte und sie danach einfach so stehen gelassen! Ihn würde sie sich noch einmal vorknöpfen! Er war ja schlimmer als Jadewolf!
Leider war Freiya sich noch etwas unsicher, was die vierte Person ihres Kommandos betraf. Onyx und Kiyan hatten von Turya die Order bekommen, am Baum zu bleiben und ihren Aufbruch vorzubereiten, wenn Freiya es richtig verstanden hatte. Ärgerlich, die beiden wären natürlich auch eine gute Ergänzung gewesen. Am Ende würde sie wirklich Ricklen fragen müssen. Dabei wollte sie sich doch beweisen und ohne seine Hilfe auskommen …
„He, Darius!“, rief sie, als sie den stellvertretenden Hauptmann auf einem Steg erblickte. Er schien gerade von der Kommandantur zu kommen.
„Oh, die Rote Snapperin beehrt mich, wie komm ich dazu? Hab doch gar keine komischen Augen und starre auch nicht schweigsam und geheimnisvoll vor mich hin?“, sprach er und fischte schon wieder nach seiner Pfeife.
„Kann ich Senna morgen auf einen Jagdausflug mitnehmen? Wir jagen für Samhain. Sie hat zugestimmt, meinte aber, du hättest das letzte Wort“, überging sie seine Anmerkung und kam direkt zum Punkt.
„Hmmm …“, erwiderte Darius und rieb die Pfeife am Saum seiner Jacke sauber. „Wenn ich mich widersetze, gibt es Ärger, oder?“
Freiya legte den Kopf schief, erst auf die eine, dann auf die andere Seite.
„Nen Arschtritt von Jilvie persönlich“, sagte sie. Darius sog scharf die Luft ein.
„Hm, nein, darauf hab ich keine Lust. Aber du könntest mir gerne mal –“
„…“
„Ja, ist ja gut. Nimm Senna mit. Aber … pass gut auf“, sprach er dann. Freiya hob die Augenbraue:
„Auf den Stiefel, der dir in den Arsch tritt, oder auf Senna?“
Darius grinste und fuhr sich mit den Fingern über den Oberlippenbart. Sie verschränkte nachdenklich die Arme. Ein Gedanke formte sich in ihrem Kopf. Ihre Augen wurden schmal und sie fixierte ihn mit dem Blick, während er sich die Pfeife anzündete.
„Du, Darius, sag mal, … hast du nicht Lust, mitzukommen?“, fragte sie.
„Warum fragst du mich und nicht den Hayabusa?“, erwiderte er und schmauchte an seiner Pfeife. Sein Blick wanderte wieder zu ihr.
„Er ist der Hauptmann und kein Jäger. Also, zumindest jagt er keine Nahrung. Ach, du weißt schon, was ich meine!“, sprach Freiya und wedelte mit der Hand, um den Gedanken abzutun. „Aber es heißt, du kannst gut mit dem Speer umgehen, Bogen und Schwert sowieso. Und jemanden mit genau diesen Fähigkeiten könnte ich gebrauchen!“
Er nahm die Pfeife aus dem Mund.
„Was springt für mich da heraus?“, fragte er langsam.
„Du meinst, abgesehen von Ruhm, Ehre und Legendenbildung und den Beitrag für die Gemeinschaft?“
„Ich hätte lieber was Handfestes.“ Seine Augenbrauen zuckten entsprechend.
Freiya tat so, als würde sie überlegen:
„Ich könnte auch Ricklen fragen, der begleitet sicher gerne uns drei Frauen. Wenn wir Erfolg haben, wird er es den ganzen Baum wissen lassen.“
Darius steckte das Mundstück der Pfeife zurück zwischen seine Lippen, doch seine Nasenlöcher weiteten sich verräterisch.
„Siehst du nicht die unsichtbare aber sehr schwere Kette vom Hayabusa an meinem Bein?“
„Gut, dann fragen wir ihn halt“, sprach Freiya schulterzuckend, drehte sich um und stiefelte los Richtung Kommandantur. „Ist er grad da? Kamst du nicht gerade von dort?“
„Du meinst es wirklich ernst, hm?“
„Von nichts kommt nichts.“
Natürlich meinte sie es ernst. Sie wollte schließlich erfolgreich sein.
Also klopfte sie mit Darius im Schlepptau bei der Kommandantur an, um zu fragen, ob der Hauptmann seinen Stellvertreter für einen Tag entbehren konnte.
-
„Selber lustig.“ grummelte Ylva dem Druiden hinterher, der wie von der Tarantel gestochen in den Wald rannte. Irgendetwas trieb ihn, und es war nicht der Harndrang. Es war etwas anderes. Etwas animalisches. Wie ein Tier trieb es ihn zwischen die Bäume, von Instinkten gefolgt. Auf der Flucht? Nein. Auf der Jagd. Einer Fährte folgend, gehetzt. Oder hetzend?
„Helvete!“ fluchte sie, als ihr bewusst wurde, dass er nicht zurückkehren würde und strich sich durchs Haar. Kurz wandte sie sich unschlüssig hin und her, bevor sie sich auf den Rückweg machte. Weg vom Wasserfall, dem seltsamen Turm und dem Teich, und zurück nach Schwarzwasser. Der Weg sollte einfach genug zu finden sein, und vermutlich würde sie schon bald den Baum sehen, wie er sich über den Wipfeln aller anderen Bäume erhob.
Es begann schnell dunkel zu werden, während sie ihren Weg durch Sumpf und Morast bahnte. Sie beschwor eine kleine Lichtkugel, die ihr den Weg erhellte und sie vor ein paar Wasserlöchern bewahrte. In der Ferne meinte sie Tierlaute zu hören. Ein Heulen drang durch die Nachtluft, von weit her, langgezogen und hoch, wie ein Wolf, der von seinem Rudel getrennt wurde. Und kurz darauf hörte sie die Antworten, das wie ein Leuchtfeuer auf die Tiere aufmerksam machte. Die Jägerin bekam ein ungutes Gefühl. Zwar griffen Wölfe seltenst erwachsene Menschen an, wenn sie genauso gut auch ein Hirsch erlegen konnte, doch in dem Heulen lag etwas, das anders klang. Sie lockerte ihre Axt vom Gürtel. Auch wenn sie damit nicht umgehen konnte, würde sie im Zweifelsfall nicht kampflos untergehen.
Mit schnellen Füßen ging sie immer weiter, und wie wie es schien entfernte sie sich vom gespenstischen Wolfsgeheule. Das Rudel bewegte sich in eine andere Richtung. Sie atmete beruhig auf und setzte ihren Weg fort. Nach Tooshoo.
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