-
Lehrling
Rand des Bluttals - Wink mir das Schicksal
Nachdem Thelyron den Brief vorgelesen hatte, war das Funkeln in Caarelias Augen kaum zu übersehen. Henderson quittierte den Ausflug mit einem breiten Lächeln. Die Götter waren ihnen heute wirklich wohlgesonnen. Die Novizen bekamen ihre Pilze, Henderson seinen Schmalz und Caarelia schien ein neues, großes Abenteuer vor sich zu haben. Ein Pfiff seitens Calis‘ lotste die neugierige Gruppe wieder hinaus ins Tageslicht.
„Das sind genug Abenteuer für einen Tag“, entschied der Ordenskrieger und nickte Henderson und Caarelia zu. „Habt Dank für Eure Unterstützung. Wir werden uns jetzt wieder auf den Rückweg nach Thorniara machen. Wollt Ihr uns begleiten?“
„Nein danke“, antwortete Henderson. „Meine Hütte liegt in der Nähe im Wald und Lady Caarelia scheint eine Reise gen Süden zu planen.“
Bevor sie sich jedoch verabschiedeten, bot Henderson den Novizen noch die restlichen Dunkelpilze, die er und Caarelia gefunden hatten, zum Tausch gegen ein paar Münzen an. Dadurch musste erst selbst nicht erst in die Stadt und konnte sich den Rest des Abends um die Verarbeitung des Molerats kümmern.
„Seid vorsichtig, wenn Ihr gen Süden reist“, mahnte Calis sie noch, als sie sich zur Verabschiedung die Hände reichten. „Da gibt es nicht nur Räuber und wilde Tiere; auch die Widerstandskämpfer aus Stewark patrouillieren dort regelmäßig. Mit denen ist nicht gut Kirschen essen.“
„Danke für die Warnung“, antwortete Henderson. Er hätte schon ganz gern ein paar Kirschen gegessen, aber jetzt war eh nicht die Jahreszeit dafür. Stattdessen dachte er darüber nach, was für Möglichkeiten Caarelia hatte, sicher bis zur Taverne zu kommen. Er könnte sie freilich begleiten, bei Murdra gab es immer etwas zu tun für ihn. Aber auch er war kein geübter Kämpfer. Vielleicht konnten sie einen der Jäger um Hilfe bitten.
Als sie auf dem Rückweg waren, reichte Henderson seiner Begleiterin die Hälfte des Geldes, das sie durch das Sammeln der Pilze eingenommen hatten.
„Ehrliches Geld für ehrliche Arbeit“, sagte er und war davon überzeugt, dass Caarelia eine gute Verwendung für die Münzen finden würde.
„Hast du eine Idee, wer den Brief geschrieben hat?“, wollte Henderson dann wissen und fuhr sich dabei selbst nachdenklich über die Bartstoppeln. „Mädchen mit grünen Augen und güldenem Haar – damit musst doch du gemeint sein. Aber derjenige scheint nicht zu wissen, dass du nicht lesen kannst. Vielleicht ein heimlicher Verehrer? Oder jemand, der uns gefolgt ist?“
Es war schon ein eigenartiger Zufall, dass sie den Brief ausgerechnet in einer Höhle gefunden hatten. Ob er wirklich an Caarelia adressiert war oder handelte es sich hier nur um einen komischen Zufall? Ob sie sich wohl Sorgen machen mussten?
‚Nein‘, entschied Henderson für sich. ‚Das war gewiss ein Wink des Schicksals.‘
Die Götter hielten ihre schützenden Augen über ihn und solange Caarelia bei ihm war gewiss auch über sie.
-
Lagerplatz nahe Bluttal
„Nicht schlecht für den Anfang“ brummte der Kommandant, der ohne Absprache die Schlagfolge geändert hatte, um zu sehen, wie Jacques damit zurecht kommen würde. Der Jüngling brauchte einige Momente um zu begreifen und sich darauf einzustellen, dann hatte er wohl verstanden und reagierte dementsprechend mit Bedacht, vor allem aber vorsichtiger, was durchaus klug war. Anhand der Bewegungsabläufe des jungen Milizsoldaten, konnte Ulrich ablesen, das vieles davon verinnerlicht war, ohne darüber nachzudenken abrufbar war, ein Zeichen das Jacques fleißig trainiert hatte. Nun galt es herauszufinden, wie spontan der Jüngling wirklich agieren konnte, wie sehr ihm seine bislang einstudierten Muster tatsächlich helfen würden, einem unberechenbarem Gegner etwas entgegenzusetzen. Der Kommandant musste innerlich grinsen, weil er sich geradeselbst so bezeichnet hatte, vermutlich war das nicht mal an den Haaren herbeigezogen, es gab sicherlich den ein oder anderen, der das genauso sehen würde.
„Wir proben jetzt den Ernstfall“ kündigte der Paladin an, „du musst nicht jeden Angriff mit deiner Waffe parieren, ausweichen und zurückweichen sind meist die bessere Wahl“ gab er noch als Hinweis, bevor er zum Angriff überging. Der Kommandant ließ sein Schwert in einer acht förmigen Bewegung vor sich kreisen und bewegte sich langsam auf Jacques zu. Der Milizsoldat wich wie zu erwarten und vernünftigerweise zurück, immer weiter, „du musst dir Raum verschaffen“ brummte der Paladin. Der Jüngling zog die richtige Schlüsse und machte ein paar schnelle Schritte zur Seite, der Kommandant setzte nach und griff nun mit schwungvollen Hieben an, zwischendurch sprang er vor und ließ sein Schwert zum Stich vorschnellen.
„Jacques gelang es den Angriffen auszuweichen, das ein oder andere mal, Ulrichs Schwert zur Seite abzulenken, das sah schon mal nicht schlecht aus. Der Kommandant setzte den Jüngling mit variantenreichen Schlagfolgen weiter unter Druck, mitten im Angriff wechselte Ulrich sein Schwert von der rechten in die linke Hand und kämpfte nun so weiter. Der junge Milizsoldat wirkte für einen Augenblick verwirrt, der Paladin rückte mit schnellen Schritten vor und verpasste Jacques einen Kinnhaken, der Jüngling taumelte zurück, fing sich aber gleich wieder, „Das hätte auch ein Dolch in deiner Kehle sein können“ knurrte der Kommandant verärgert, bevor er signalisierte, das der Kampf noch nicht beendet war...
-
Wenn man Ulrich eines nicht nachsagen konnte, dann, ein nachsichtiger Lehrmeister zu sein. Jacques fühlte sich nach dem unerwarteten Fausthieb noch immer ein wenig wackelig auf den Beinen und in seinem Sichtfeld schwebte das eine oder andere Sternchen umher, außerdem fühlten sich seine Zähne irgendwie locker an und er schmeckte ein wenig Blut auf der Zunge.
Der Kommandant allerdings sah keinen Grund, deswegen die Lehrstunde zu beenden. Genau wie in einem echten Kampf auf Leben und Tod ein Feind Jacques keine Verschnaufpause gönnen würde.
Für die nächstem Minuten, bis er die Nachwirkungen des Treffers abschütteln konnte, hieß es für Jacques daher, schlicht und einfach zu überleben. Er wich zurück und bewegte sich dabei auch seitlich um Ulrich herum, damit er dem Paladin keinen günstigen Angriffswinkel bot. Das war jedoch leichter gesagt als getan, denn als erfahrener Veteran zahlloser Schlachten und Duelle stand dem Kommandanten ein ganzes Arsenal an Techniken und Tricks zur Verfügung, die sich Jacques nicht einmal hätte erträumen können.
Die Angriffe prasselten ununterbrochen auf ihn ein und mehrfach gelang es Jacques nur mit knapper Not, eine Attacke abzulenken oder zu parieren. Aber es gelang ihm – Ulrich landete keinen weiteren Treffer, auch wenn er seinem Schüler vollkommen in die Defensive drängte und ihm kaum Zeit zum Atmen ließ.
Immerhin gelang es Jacques, sich genügend Zeit zu erkaufen, dass die gröbsten Nachwirkungen des Kinnhakens nachließen und seine Beine ihm wieder gehorchten, die Welt vor seinen Augen nicht mehr schwankte wie ein Schiff im Sturm. Trotzdem, so wie der Kampf lief, würde er keinen Blumentopf gewinnen. Er musste sich irgendwie etwas Luft verschaffen, damit er selbst agieren konnte.
Ulrich hatte ihn inzwischen bis an den Rand der Lichtung gedrängt, auf der die Truppe ihr Lager aufgeschlagen hatte. Was Jacques auf eine Idee brachte – mit einem schnellen Sprung nach hinten entkam er kurzzeitig aus Ulrichs Reichweite und brachte sich hinter einem Baum in Sicherheit.
Ulrich zog die Augenbrauen hoch, wobei Jacques sich nicht ganz sicher war, ob er diese Mimik nun positiv oder negativ auszulegen hatte – aber ihm blieb ohnehin keine Zeit, sich diese Frage zu stellen, denn der Kommandant war keineswegs gewillt ihn so einfach davonkommen zu lassen. Obwohl der Baumstamm den frontalen Angriffsweg blockierte, war er nicht so dick, dass Ulrich nicht um ihn hätte herumschlagen können, was er folglich auch tat. Trotzdem fiel es Jacques auf diese Art deutlich leichter, die Attacken des Kommandanten abzuwehren, weil sie nur noch aus zwei Richtungen erfolgen konnten und er mehr Zeit hatte, zu reagieren. Es war eine sehr willkommene kleine Verschnaufpause für Jacques.
Während er und Ulrich sich umkreisten, den Baum immer zwischen ihnen, und Ulrich mit schnellen Attacken versuchte, das Hindernis zu umgehen, wurde Jacques aber auch schnell klar, dass der Kommandant keineswegs seine ganze Kraft in die Angriffe legten. Es waren Finten und Tests, um zu sehen, wie sein Schüler reagierte, und eine Lücke in der Verteidigung zu finden. Jacques musste etwas unternehmen – denn das Spiel auf Zeit konnte er gegen Ulrich nur verlieren. Gut, seine Chancen, zu gewinnen, standen ohnehin höchstens eintausend zu eins, aber das hieß nicht, dass er nicht trotzdem sein Bestes geben würde, es zu versuchen – immerhin konnte er in einem ernsthaften Kampf auch nicht einfach aufgeben, wenn er feststellte, dass sein Feind ihm in Sachen Können überlegen war. Ulrich erwartete, dass seine Männer alles gaben, und Jacques würde ihm beweisen, dass er genau das tat!
Als Ulrich erneut einen schnellen Stich nur knapp an dem Baumstamm vorbei führte, reagierte Jacques diesmal nicht nur, indem er zur anderen Seite hin auswich, sondern er sprang hinter der Sicherheit des Baumes hervor und vollführte einen Gegenangriff – den ersten, seit sie ihr Duell begonnen hatten! Ulrich reagierte mit den innewohnenden Reflexen eines Veteranen hunderter Kämpfe – er lehnte sich genau so weit zurück, dass Jacques Schwertspitze seinen Brustpanzer um kaum einen Fingerbreit verfehlte, und nicht mehr. Jacques ließ sofort einen Stich auf den Hieb folgen, doch auch diesmal ging die Attacke ins Leere, als Ulrich seinen Oberkörper zur Seite drehte. Ein rascher Konter des Kommandanten zwang Jacques, sich selbst wieder zu verteidigen. Er versuchte, seinerseits zu kontern, aber Ulrich band seine Klinge an Jacques‘ und hebelte ihm mit einer kräftigen Drehbewegung beinahe die Waffe aus der Hand. Jacques blieb nichts andere übrig, als wieder einige Schritte zurückzuweichen. Er überlegte, ob er wieder hinter einem Baum Deckung suchen sollte, doch Ulrich sah das voraus und schnitt ihm den Weg ab.
Wieder fand sich Jacques in die Defensive gedrängt. Ulrich trieb ihn mit seinen raschen Angriffen vor sich her und lenkte ihn dabei zurück auf die Lichtung – kein Versteckspiel hinter Baumstämmen mehr …
Die Waffen klirrten wieder und wieder aufeinander und Jacques merkte, wie ihm die Erschöpfung zuzusetzen begann. Es fiel ihm immer schwerer, im richtigen Moment zu reagieren, sein Atem ging keuchend und stoßweise und er musste immer wieder blinzeln, weil ihm der Schweiß in die Augen rann. Seine Beine ermüdeten und er verlor an Trittsicherheit. Wenn ihm nicht rasch etwas einfiel, wie er irgendwie die Initiative zurückgewinnen konnte, würde die Partie nicht mehr lange dauern!
Als er mal wieder einem von Ulrichs Angriffen auswich, stolperte Jacques beinahe über einen am Boden liegenden Ast. Zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig fangen und es gelang ihm einen Stich des Kommandanten zur Seite abzulenken, aber er presste einen Fluch zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. Bis ihm plötzlich eine Idee kam …
Ulrich machte einen schnellen Ausfallschritt zur Seite, um einen für ihn günstigen Angriffswinkel zu kreieren. Doch bevor er zur eigentlichen Attacke ansetzen konnte, hakte Jacques seien Fuß unter den Ast, der ihn beinahe zum Straucheln gebracht hätte, riss ihn hoch und schleuderte so das morsche Holzstück dem Kommandanten entgegen. Das war vielleicht nicht die feine ritterliche Art, aber es gelang ihm tatsächlich, Ulrich zu überraschen! Der Kommandant wehrte das heranfliegende Holzstück mit dem Knauf seines Schwertes ab, aber dieser kurze Moment genügte Jacques, um seinerseits zum Angriff überzugehen. Er führte einen kräftigen Hieb von oben, den Ulrich nur im letzten Moment parieren konnte, setze um und versuchte, mit einem Stich zu folgen. Eine Welle der Euphorie durchflutete ihn, als seine Schwertspitze für einen kurzen Augenblick über Ulrichs Schulterpanzer kratzte!
Das war aber auch schon alles an Erfolg, den Ulrich seinem Schüler gönnte. Die Distanz war zu kurz, um einen vernünftigen Schwertstreich auszuführen, aber das hinderte den Kommandanten nicht daran, sich seitlich wegzuducken und dabei Jacques den Schwertknauf in die Magengrube zu rammen. Der Hieb wurde durch den Gambeson zwar abgemildert, aber Jacques taumelte trotzdem einige Schritte nach hinten und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mit Mühe gelang es ihm, die zwei folgenden Angriffe abzuwehren, aber ohne Luft in den Lungen fehlten ihm die Kraft und die nötige Reaktionsschnelle, so dass es kam, wie es kommen musste: Mit einem kräftigen Hieb schlug Ulrich Jacques‘ zur Verteidigung erhobene Schwert zur Seite und die Klinge des Kommandanten kam nur einen Fingerbreit vor dem Hals des jungen Soldaten zum Stehen.
-
Lehrling
„Hast du eine Idee, wer den Brief geschrieben hat?“, hörte Caarelia Henderson sagen, woraufhin sie ihn nur anblinzelte. Die Worte, die Thelyron vorgelesen hatte, schwirrten immer noch kreuz und quer in ihrem Kopf und sie versuchte sehnlichst, sich einen Reim darauf zu machen.
Sie war sogar so in ihren Gedanken verloren, dass sie noch nicht einmal mitbekommen hat, wie die Novizen und der Ordenskrieger weitergezogen sind!
„Ich...ähm… ach, was weiß ich“, seufzte Caarelia, woraufhin Lord Streifenwind ihr behutsam über die Stirn strich. Die Diebin glaubte nicht an Zufälle. Oder gar an Schicksal. Und dennoch, kam es ihr seltsam vor, dass sie diesen Umschlag so zielstrebig gefunden hatte und die Beschreibung des Mädchens in dem Text genau auf sie passte. Es gab zwar bestimmt noch viele weitere Mädchen mit blonden Haaren und grünen Augen, doch die hatten den Umschlag nicht gefunden!
Liebend gerne wollte Caarelia Henderson die Wahrheit erzählen. Dass sie nicht bei einem Tabakhändler in Thorniara aufgewachsen war, sondern auf einer Farm mit ganz furchtbaren Adoptiveltern und vielen „Geschwistern“. Wo sie herkam, wusste sie selber nicht. Ihr Adoptivvater hatte ihr nur einmal erzählt, dass er sie eines Tages als Baby ausgesetzt auf der Straße gefunden hatte. Mehr nicht. Wie würde er reagieren, wenn sie ihm die Wahrheit erzählte? Wenn er erfuhr, dass sie ihn angelogen hatte?
Die Diebin fragte sich schon seit geraumer Zeit, wer sie nun wirklich war. Und für diese Erkenntnis fehlte, ihrer Meinung nach, ihre Herkunft. Diese schien nun zum Greifen nahe, doch Caarelia grübelte nun im Stillen, wie sie es zu der Taverne schaffen sollte. Ob Henderson sie begleiten würde? An Hempel war hier vermutlich gar nicht zu denken. So misstrauisch, wie er ihr gegenüber gesinnt war, fragte sie sich, ob er sie überhaupt wieder in die Hütte reinlassen würde, wenn sie und Henderson wieder zurückehren würden.
„Am besten wir gehen einfach wieder zurück“, murmelte Caarelia schließlich etwas grummelig und stapfte mit Henderson zusammen durch den Wald, in der Hoffnung, nicht noch weiteren Wölfen oder sich reimenden Rätseln zu begegnen.
***
„Hempel?“, rief Henderson in seine kleine Hütte hinein, als er und Caarelia sie betraten. Die Diebin legte ihr geflochtenes Körbchen auf den Küchentisch ab und seufzte. Auf dem gesamten Weg zur Hütte war sie in ihren Gedanken ertrunken und versuchte sich einen Weg zu überlegen, wie sie sicher zur Taverne gelangen konnte. Ihr tat Henderson ein bisschen leid, der versucht hatte ein Gespräch aufzubauen und sie alle Weile nur „Oh“, „Mhm“ oder „Aha“ von sich gegeben hatte.
Caarelia wollte sich gerade auf den Weg nach draußen begeben, als sie Hempel erblickte, der mit seinem massigen Körper plötzlich in der Tür stand und diese mehr als ausfüllte. Der Lehrling sah mit einem überlegenen grimmigen Grinsen auf die Diebin herab. Caarelia schluckte laut. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.
-
Gebirgszug Eberstein
"Irgendwas stimmt hier nicht..." knurrte Syrias, als er und Johanna mit brennenden Fackeln bewaffnet durch die Höhle streiften, in welcher er und Na-Cron damals das restliche Erz gelagert hatten. Es roch anders als beim ersten Besuch, strenger, fast schon Moschusartig mit einem Hauch von Verwesung. Auch lag viel mehr Dreck und Abfall herum als beim letzten Mal. Und einen Moment später entdeckte Syrias einen sauber abgenagten Knochen.
Der Söldner hob die Fackel ein Stück höher, damit sich das Licht mehr verteilen konnte und entdeckte dabei noch mehr Knochen. Es waren Tierknochen, soweit er es erkennen konnte, doch kein ganzes Gerippe. Das hätte darauf hingewiesen, dass sich hier einfach Tiere verkrochen hätten und gestorben wären.
Doch da sie überall verteilt waren, musste sich hier irgendwas anderes eingefunden haben.
Es wäre auch zu schön gewesen, wenn sie die Höhle immer noch unberührt vorgefunden hätten. Konnte er nicht einmal in seinem Leben Glück haben?
Er zog einen Sack aus seinem Gürtel und warf diesen Johanna zu, bevor er eine weitere Fackel entzündete und diese zwischen ein paar Steinen festklemmte. Dann wies er auf den Haufen Geröll in einer der Ecken.
"Der Haufen da, da befindet sich das Erz. Fang schon mal an einzupacken. Mir gefällt es hier nicht." Er zündete eine weitere Fackel an und schob sie in einen Spalt in der Wand. Ein bisschen Geruckel und sie war gut eingeklemmt. Sie würden sich beeilen müssen, wenn sie das Erz komplett mitnehmen wollten.
Sein Instinkt sagte ihm zwar, dass sie hier lieber verschwinden sollten, aber es blieb Syrias keine andere Möglichkeit. Taron brauchte das Erz und der Söldner war verpflichtet es ihm zu bringen. Und er hatte weder das Wissen noch die Zeit, neues zu schürfen. Er war kein erfahrener Bergarbeiter und wusste nicht, wo er gutes Erz finden konnte. Das war damals Na-Crons Angelegenheit gewesen. Und da der nicht hier war, mussten sie es durchziehen.
Also zog Syrias den zweiten Sack hervor und machte sich ebenfalls daran, die Mischung aus Erz und Geröll einzupacken.
"Ähm, Syrias...?" riss ihn Johannas Stimme nach einer Weile aus seinen Gedanken. Sie klang unsicher und zögerlich, blickte auf etwas, was sie am Boden entdeckt hatte, nachdem sie beide ihre Säcke gefüllt und Richtung Ausgang geschleppt hatten. Zwar hätten sie vermutlich noch den dritten Sack halbwegs füllen können, doch der Waffenschmied wollte so schnell wie möglich raus hier.
Johanna hob den Gegenstand, den sie gefunden hatte auf und hielt ihn so, dass Syrias ihn sehen konnte. Er konnte ein krudes Sammelsurium an Knochen, Tierhaaren und Schädeln erkennen, die irgendein merkwürdiges Ding darstellen sollten, vermutlich eine Standarte. Eine verfluchte Goblin-Standarte.
"SCheiße..." fluchte der Söldner. Hier hatten sich Goblins niedergelassen!
"Los, raus hier! Das ist eine beschissene Goblin-Standarte." Der Söldner wuchtete den Sack auf die Schulter und ignorierte den aufflammenden Schmerz in seiner Rechten.
"Wir wollen nicht hier sein, wenn sie wieder kommen." Plötzlich hörte er leises Kreischen hinter sich, dass rasch lauter wurde und näher kam. Es waren eindeutig Goblin Geschrei, hoch und unangenehm.
"Schnell jetzt!" Er schubste Johanna vor sich her, die sich sichtlich mit ihrem Sack abmühte. Doch der Ausgang war nicht mehr weit, vielleicht konnten sie es ja noch schaffen. Goblins kämpften nicht gern im Tageslicht, also mussten die beiden Menschen so schnell wie möglich raus. Außerdem würde der Höhlenausgang ihnen helfen, nicht umzingelt zu werden.
Doch kurz bevor sie den rettenden Ausgang erreichten, war das Kreischen und Johlen so nah gekommen, dass es eindeutig zu spät war. Syrias lies seinen Sack zu Boden fallen, der mit einem dumpfen Krachen aufschlug und aufplatzte. Einige Erzbrocken polterten heraus und verteilten sich am Boden, während er sein Kurzschwert zog und sich angriffsbereit machte.
"Zu Spät." wie zur Verdeutlichung flogen die ersten Steine heran, während vereinzelt Goblins aus dem Schatten hervor krochen und fauchend mit ihren Keulen fuchtelten. Noch waren es wenige, dementsprechend vorsichtig waren sie. Doch wenn sie Pech hatten, würden es bald mehr werden und dann gerieten sie in große Schwierigkeiten.
Syrias packte sein Kurzschwert fester und musterte die kleinen Kreaturen.
"Wir müssen sie jetzt loswerden, sonst haben wir bald ne ganze Horde hinter uns. Und die schaffen wir nicht. Ich geh links, du rechts und dann treffen wir uns in der Mitte. Viel Glück." Knurrte Syrias noch, bevor er Johanna zuzwinkerte und sich dann mit wildem Gebrüll auf die Goblins links von ihm warf. Jetzt würde sich zeigen, ob das üben mit Johanna ihm geholfen hätte, seine Linke ausreichend zum Kämpfen zu benutzen.
-
Gebirgszug Eberstein
„Scheiße“, zischte sie leise. „Scheiße, Scheiße, Scheiße …“
Es war eine Sache, gegen Syrias im freundschaftlichen Duell ihr Bestes zu versuchen und über die Fehlversuche und Erfolge zu fachsimpeln, die sie dabei erzielte. Aber es war eine ganz andere Angelegenheit, einer Gruppe von Gegnern gegenüberzustehen, die ganz offensichtlich Blut sehen wollten! Nicht nur, dass die Gefahr sich für sie selbst viel realer anfühlte – damit konnte sie leben, damit konnte sie umgehen. Doch dieser Kampf bedeutete auch, dass sie selbst kämpfen würde, um zu töten. Etwas, das sie noch nie getan hatte. Etwas, das sie in der Theorie bereit war, zu tun. Etwas, das sich ihr in der Realität aber wie ein furchtbares Hindernis in den Weg stellte.
Doch Johanna bekam keine Gelegenheit, ihre aus dem Takt gebrachte Gedankenwelt weiter um sich selbst rotieren zu lassen. Syrias hatte ihr seinen Plan mitgeteilt und verließ sich auf sie – nun war es Zeit, in die Initiative zu gehen!
Sie ließ ihren Sack zu Boden gleiten, sanfter als Syrias, nachdem sie seinen hatte aufplatzen sehen, und zog ihren Degen und Dolch hervor. Ein halbes Dutzend Goblins hatte sie erreicht und versuchte, sie einzukesseln und den Weg nach draußen abzuschneiden. Zu ihrem Glück war die Höhle hier so eng, dass die kleinen Mistkerle ihre Überzahl nicht ausspielen konnten. Johanna deckte ihre rechte Seite mit vorgestreckter Klinge ab und sorgte mit dem Dolch in ihren Linken dafür, dass sich Keines der Biester durch die Mitte quetschte. Dann stieß sie mit einem Ausfallschritt vor und attackierte den Goblin, der ihr am nächsten stand. Mit einem kehligen Schrei der Überraschung sprang der Quälgeist zurück und schlug wütend mit seiner Keule nach ihrem Schwert. Sie tat einen Schritt zurück und sprang sofort wieder nach vorn, als einer von Ihnen nachzusetzen versuchte. Die Spitze des Degens drang durch die kleine, grüne Schulter wie durch geschmolzene Butter.
Doch der Goblin sprang nicht zurück, wie sie erwartet hatte. Wild vor Schmerzen stürmte er auf sie zu, dass die Degenklinge bis zum Heft in seine Schulter drang, und schlug mit seiner Keule zu. Johanna gelang es, seine Hiebe mit ihrem Dolch abzuwehren, doch der Degen war zu weit in der Schulter versenkt, um ihn wieder hervorzuziehen! Sie versuchte, sich gegen den Goblin zu stemmen. Zu spät begriff sie, dass sie hätte ihre Waffe loslassen sollen. Sie stürzte rücklings zu Boden und schlug hart auf die Felsen an der Wand des Minenschachts. Stechender Schmerz durchfuhr ihren Rücken, und im nächsten Augenblick standen drei Goblins über ihr und schlugen mit aller Kraft und Wildheit auf sie ein. Johanna versuchte, ihren Kopf mit der freien Hand zu schützen, und rollte sich zusammen, doch die Goblins verdroschen sie ohne Erbarmen.
Ihr Atem ging schwer. Sie konnte an nichts denken als an die Schmerzen, die Schlag um Schlag durch ihren Körper pulsierten. Doch dann erblickte sie den Griff ihres Degens direkt vor ihren Augen, als der verletzte Goblin in völliger Rage mit seinem unverletzten Arm auf sie einschlug.
Eine plötzliche Klarheit überkam sie, als sie ihre Bewegungen genau vor sich sah. Johanna schlug einem der Goblins mit dem Gefäß ihres Parierdolches in das Gesicht, um sich Platz zu verschaffen, packte den Griff ihres Degens und trat dem Goblin, in dem die Klinge steckte, mit aller Kraft gegen die Brust. Mit einem klatschenden Geräusch trieb Stahl durch Fleisch, als das Schwert auf dem Weg aus dem kleinen, grünen Leib tief hinab in die Brust schnitt. Der Goblin flog durch den Tritt mehrere Schritt weit in Syrias‘ Richtung und schlug mitten in die Feinde ihres Lehrers ein.
Johanna atmete einen Herzschlag lang durch, aber der dritte Goblin ließ ihr nicht so viel Zeit. Er bleckte die Zähne, ließ seine Keule fallen und sprang auf Johannas Rücken. Von der Wucht des Aufpralls wurde sie erneut zu Boden geworfen und schlug mit der Wange auf den felsigen Untergrund. Im nächsten Moment durchfuhr ein gleißender Schmerz ihre Schulter.
„Verdammte Scheiße!“
Das Vieh hatte sich in ihr verbissen! Johanna sprang auf, stürzte wieder zu Boden. Die dolchartigen Zähne des Goblins fuhren noch tiefer in ihr Fleisch. Schreiend drückte sie sich von unten ab und warf sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sie riss die Augen auf und keuchte, als die Zähne auf ihren Schulterknochen trafen. Halb gewollt, halb aus fehlender Kraft geboren fiel sie rücklings um wie ein gefälltes Bäumchen und schlug hart auf. Der Schmerz war kaum zu ertragen, doch er währte nur für einen kurzen Augenblick. Der Goblin schrie nun seinerseits kehlig auf, schleppte sich unter ihr hervor und stürzte sich wieder tiefer in die Höhle hinein. Sie hatte es geschafft – irgendwie hatte sie ihren Teil des Schachtes gehalten und sich den Freiraum erkauft, den sie brauchte.
Eilends hob sie ihre Waffen vom Boden auf und griff nach dem Sack voller Erzbrocken. Erst jetzt gelange es ihr, zu Syrias hinüber zu schauen, als sie die wilde Kakophonie weiterer Goblins aus dem Höhleninneren hörte.
„Schnell raus hier!“, keuchte sie. „Jetzt oder nie! Der eine Sack muss reichen!“
-
Lehrling
Hendersons Hütte - lecker Schmalz, dicker Hals
Henderson hatte ein mächtig schlechtes Gewissen. Erst brachte er so kaltblütig vor den Augen der tierlieben Lady Caarelia das kleine Molerat um und dann löcherte er sie auch noch mit Fragen, obwohl das arme Ding nichts lieber wollte, als sich in Ruhe Gedanken über ihre verzwickte Situation zu machen. Er war so ein Tölpel, so ein unsensibler Taugenichts! Er hatte die Gegenwart dieser lieben Frau gar nicht verdient, vielleicht sollte er ihr einfach all das Geld geben, das sie heute verdient hatten und wieder so weiterleben, wie er schon seit zehn Jahren lebte: ein einfaches Leben, unauffällig und allein.
Na ja, er hatte ja immer noch seinen Lehrling Hempel und dessen Kater Knorpel. Besonders Letzterer genoss seine Rückkehr in die Hütte sehr und rückte kaum von seiner Seite. Ein äußerst seltenes Verhalten. Ob er sich auch fragte, wo Hempel wohl abgeblieben war? Nein, das war es wohl nicht. Knorpel hatte seinen Kopf schon in den Sack mit dem toten Molerat gesteckt.
„Nein Knorpel, so nicht.“
Henderson zog ihn heraus und setzte ihn auf den Boden. Neugierig blieb Knorpel neben dem Stuhl sitzen und beobachtete Henderson. Der breitete die drei Pfund große Beute auf dem Tisch aus und rief sich ins Gedächtnis, wie er hier vorgehen musste. Zunächst das Fettgewebe entfernen, in kleine Stücke schneiden und langsam in einem Kessel über dem Feuer erhitzen. Sobald das Fett geschmolzen ist, würde er es absieben und auskühlen lassen. Mit dem Fleisch und den Pilzen konnte eine leckere Pilzpfanne machen. Vielleicht noch eine Zwiebel und etwas Rosmarin dazugeben, das könnte schmecken.
Er lächelte, während er das Tier in seine Einzelteile zerhackte. Der Gedanke an Essen erhellte immer seine Stimmung und auch Kater Knorpel konnte sich freuen, denn bei diesem Schlachtvorgang fiel immer auch etwas vom Küchentisch herunter und genau ins Maul des Tieres. Nur Caarelia schien für den Anblick von spritzendem Fett, Blut und Knochensplittern nichts übrig zu haben und wollte sich gerade nach draußen begeben, um das Feuer zu entzünden, da stand plötzlich eine Gestalt in der Tür, die deren Rahmen vollends ausfüllte. Es war Hempel und er grinste fröhlich zu Caarelia herab. Seine Laune schien sich verbessert zu haben, das war schön.
„Da bist du ja. Du kommst gerade recht zum Essen, wir haben Pilze gesammelt und sogar ein Molerat erwischt. Ich mache heute Nacht noch etwas Schmalz, was sagst du dazu?“
„Glänznd“, erwiderte Hempel eloquent. Er konnte die Situation mit nur einem einzigen Wort einfangen. So ein gebildeter Mann. Dann trat er einen Schritt weiter in den Raum hinein. Für Caarelia gab es kein Vorbei an ihm.
„Du warst heute Morgen schon so zeitig weg, das kenne ich gar nicht von dir“, plauderte Henderson seelenruhig weiter, während er sich daran machte, den Kopf des Tieres zu zerlegen. Das Gehirn würde sicher niemand von den anderen essen – außer vielleicht Knorpel – also würde Henderson es separat kochen und sich selbst genehmigen. Die Augen pulte er heraus, ebenso Stücke vom Darm. Das würde alles prima Köder abgeben oder vielleicht auch Dünger. Er hatte überlegt, ein paar Würste zu machen, aber da hätte er ein großes Tier erlegen müssen. Von solchen Miniwürsten würde höchstens Knorpel sattwerden.
„Ich war inner Stadt. Hab’n bisschen Tabak geholt. War beim Marbollo-Mann.“
Er trat noch einen Schritt auf Caarelia zu, Lord Streifenwind gab ein verängstigtes Fiepen von sich.
„Ach wie nett. Hast du ihn schön gegrüßt von mir? Hätte ich das gewusst, hätte ich dir noch ein paar Kräuter mitgegeben, die mischt er gern an seinen Tabak.“
„Der Ahle war krank. Hab nur mit seim Sohn jesprochn. Seim einzign Kind, weeßte?“
Hempel ließ seine Fingerknöchel knacken. Henderson zuckte zusammen. Er mochte es nicht, wenn andere dieses Geräusch machten, konnte es sich aber selbst auch nicht abgewöhnen.
„Das tut mir leid. Ich werde ihn in meine Gebete einschließen.“
„Und sie besser auch!“
Henderson blickte auf. Hempel deutete mit seiner gelockerten Pranke auf Caarelia, die bereits mit dem Rücken zur Wand stand. Was sollte denn dieser Aufruhr?
„Worauf willst du hinaus? Ich bete für uns alle, für dich, für Knorpel, Caarelia, Lord Streifenwind, … wenn ich jemanden vergessen habe, mögen es mir die Brüder verzeihen.“
„Mann Hänno, du kapierst es nich oder? Diese Frau hat uns gackfrech anjelogen! Die is überhaupt nich die Tochter vom Marbollo-Mann, der hat gar keene Tochter!“
„Ach das meinst du.“ Henderson schmunzelte. „Aber das weiß ich doch.“
„Na dann schmeißen wir sie raus! Wer so lügt, hat nichts Jutes im Sinn! Was hast’n da, hä?“ Unwirsch griff er in Caarelias Tasche. „Aha! Geld! Ich wette zehn Münzen, dass das aus meim Sparschwein kommt.“
„Die Wette verlierst du, denn das Geld haben wir heute ehrlich bei einem Diener des Ordens gegen einen Korb Pilze eingetauscht.“
„W-Was?“
„Ungelogen, also gib Lady Caarelia ihre Kröten zurück und zehn Extramünzen. Wenn du das nicht machst, zieh ich’s dir vom Gehalt ab.“
Hempels wütender Blick wanderte von Caarelia zu Henderson und wieder zu ihr zurück. Dann warf er ihr das Geld vor die Füße und stapfte nach draußen. Das letzte Wort hier war sicher noch nicht gesprochen, aber vielleicht kamen sie wenigstens noch irgendwie über die Nacht.
-
Lehrling
Caarelia stand wie gelähmt da, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren.
Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie lange die Lüge über ihre Herkunft gehalten hätte, doch, dass sie so schnell auffliegen würde, hätte sie nicht gedacht. Sie hatte Hempel eindeutig unterschätzt.
Schweiß rann der Diebin über die Schläfe und sie versuchte den dicken Kloß, der sich ihn ihrer trockenen Kehle gebildet hatte, hinunter zu schlucken. Sie hatte schon das Gefühl gehabt, dass Hempel sie nicht leiden konnte, doch nun hatte sie schon fast Angst um ihr Leben, so wie dieser Koloss vor ihr stand und sie eindringlich anstarrte.
Tausende Gedanken und Ausreden schossen der Diebin durch den Kopf.
Wie konnte sie sich hier jetzt am besten rausreden?
Sie überlegte fieberhaft, doch es schien gar nicht mehr notwendig zu sein. Henderson schien von Anfang an Bescheid zu wissen.
Erstaunt und verwundert starrte sie den Abdecker an. Da hatte er sie doch tatsächlich vor seinem Lehrling in Schutz genommen! Eine eigentlich fremde Frau, die ihn angelogen hatte.
Nachdem Hempel wutentbrannt aus der Küche gestürmt war, wusste Caarelia erst einmal nicht, was sie sagen sollte. Was nicht allzu oft passierte.
Beschämt sah sie zu Boden und räusperte sich. Es passierte nicht oft, dass Menschen so nett zu ihr waren und mit einem Mal hatte sie ein schlechtes Gewissen Henderson gegenüber.
„Keine Sorge, er meint es bestimmt nicht so“, versuchte Henderson die Situation zu entschärfen und klopfte Caarelia behutsam auf die Schulter.
„Ruh dich ruhig ein bisschen aus. Ich rede mit ihm.“
Stumm und beschämt nickte die Diebin, sammelte das Geld vom Boden auf und verzog sich in das Schlafgemach.
***
„Psst, sonst weckst du noch die anderen!“, zischte Caarelia Lord Streifenwind zu, der sein aufgeregtes Fiepen nun einstellte. Sie packte das verwirrte Streifenhörnchen und setzte es in ihren Dutt.
Nach Hempels Konfrontation hatte sie einen Entschluss gefasst: sie musste Abhauen. Mal wieder. Sie hatte keinesfalls gewollt, dass Henderson und sein Lehrling sich in die Haare bekommen. Sie hatte Hendersons Gastfreundschaft schon genug ausgereizt und war nun mehr denn je der Überzeugung, dass es eine schlechte Idee gewesen war, mit ihm mitgegangen zu sein. Caarelias Mutter hatte recht gehabt: sie brachte nichts als Ärger! Zumindest, redete die Diebin sich das ein.
Vorsichtig öffnete Caarelia die Tür des Schlafgemachs. Sie hatte sich den Rest des Tages hier drinnen verzogen und abgewartet, bis die Nacht angebrochen war, sodass sie unbemerkt abhauen konnte.
Sie wollte einen Schritt nach vorne setzen, doch Lord Streifenwind fiepte leise in ihren Dutt. Das Streifenhörnchen flitzte an der Diebin hinunter und sprang auf einen Teller voller Essen, der sich vor der Tür befand.
Es schien die Pilzpfanne gewesen zu sein, die Henderson am Abend zubereitet hatte, die sich nun Lord Streifenwind geräuschvoll einverleibte.
„Du Vielfraß“, flüsterte Caarelia schweren Herzens während sie Lord Streifenwind dabei zusah, wie er die Pilzpfanne restlos verputzte. Selbst jetzt hatte Henderson noch an sie gedacht.
Caarelia bückte sich und hob ihren pelzigen Begleiter auf, der mit dickem vollgefutterten Bauch auf dem Boden lag. Sie legte ihn behutsam in ihren Dutt und versuchte sich leise rauszuschleichen. In der kurzen Zeit, in der sie hier war, hatte sie schon bemerkt, dass eine Dielen im Boden quietschten, wenn man auf sie trat. Mühevoll versuchte sie in der Dunkelheit auf die richtigen Stellen zu treten und keine Geräusche zu machen, als sie plötzlich auf Knorpel stieß.
Der Kater saß wie ein Wachhund vor der Tür und maunzte leise.
„Psst Knorpel. Alles gut, wir möchten nur raus“, flüsterte Caarelia, woraufhin der Kater nur wieder maunzte und sie mit seinen strahlenden gelben Augen anblickte.
Caarelia wagte es, die Tür langsam aufzumachen und den Kater so mit beiseite zu schieben. Hoffentlich war Knorpel ein besserer Mäusefänger. Einen besonders guten Wachhund, gab er nicht gerade ab.
Behutsam schloss Caarelia die Tür hinter sich und atmete erleichtert aus, als sie es geräuschlos aus der Hütte geschafft hatte. Selbstbewusst machte sie einen Schritt nach vorne und stolperte geradewegs über die Feuerschale, die mit einem lauten polternden Knall mit ihr zu Boden ging.
Fluchend stand die Diebin auf und hielt sich kurz ihr schmerzendes Knie. Den Knall hat man bestimmt noch in Thorniara gehört!
Caarelia raffte sich schnell auf und verschwand in dem dunklen Wald.
Geändert von Caarelia (24.11.2024 um 18:26 Uhr)
-
Lagerplatz nahe Bluttal
Der Kommandant senkte seine Waffe und klopfte Jacques anerkennend auf die Schulter, „hast dich gut geschlagen“ brummte er zufrieden. Der Jüngling hatte ohne Zweifel bewiesen, das er seine verinnerlichten Kampftechniken mit dem Schwert, selbst in brenzligen Situationen, ohne darüber nachzudenken, abrufen konnte. Nur so konnte der Milizsoldat im Kampf gegen den Paladin, der ihm wahrlich alles abverlangte, überhaupt bestehen Und obwohl der Kampf für Jacques in manchen Momenten ausweglos erschien, verzagte er nicht und blieb standhaft bis zum Schluss, wie es sich für einen wahren Kämpfer gehört. „Ich kann dir nichts mehr beibringen was dir weiterhelfen würde, du hast alles gelernt, was man im Umgang mit dem Schwert wissen muss. Nun liegt es an dir, deine Fähigkeiten zu erweitern, deinen eigenen Kampfstil zu finden und auch deine Grenzen zu finden“, sinnierte Ulrich. „Ein letzter Rat, nicht jeder Gegner muss bezwungen werden, es ist keine Schande, einem aussichtslosen Kampf aus dem Weg zu gehen..., tote Narren gibt es schon genug“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Auf dem Rückweg zum Lagerfeuer, erinnerte sich der Kommandant an die Anfänge von Jacques in seiner Mannschaft. Da zeigte er sich als naiver Bursche, mit Talent in jedes Fettnäpfchen zu treten, das sich ihm bot, der nur Flausen im Kopf hatte und davon träumte ein Ritter zu werden. Der Paladin hatte nicht viel Hoffnung, das aus diesem Jüngling etwas Vernünftiges werden könnte, erst recht nicht ein guter Soldat. Seiner inneren Stimme folgend, gab er dem Bursche dennoch eine Chance, eine gute, die richtige Entscheidung, wie Ulrich im nach hinein bestätigen konnte. In Jacques steckte tatsächlich mehr, als es Anfangs den Anschein hatte, das nach und nach zum Vorschein kam. Er trotze allen Widrigkeiten und Gefahren, lernte aus seinen Fehlern und verdiente sich mit seiner selbstlosen Einsatzbereitschaft, das Vertrauen und den Respekt der anderen Männer.
An Lagerfeuer angekommen, forderte der Kommandant mit einem lauten Pfiff, die Aufmerksamkeit seiner Truppe ein, dann wandte er sich Jacques zu und schaute ihm tief in die Augen. „Du hast mich zutiefst enttäuscht“ brummte der Paladin mit gespielt vorwurfsvoller Mine, „wie konntest du nur..., was hast du dir dabei gedacht“ legte der nach und legte bewusst eine lange Pause ein. „Dich so entwickeln..., ich fasse es nicht... und doch hast du es getan“ knurrte der Kommandant und schüttelte den Kopf. Jacques schaute ihn mit großen Augen an und war sichtlich angespannt, Ulrich ließ den Jüngling noch ein Weilchen im Ungewissen. „Deshalb befördere ich dich, aufgrund guter Leistungen, mit sofortiger Wirkung zum Gardisten“ verkündete der Paladin. „Du hast dich zu einem guten Soldaten entwickelt und gezeigt was in dir steckt, damit habe ich nicht gerechnet..., aber mit dieser Enttäuschung kann ich gut leben“ witzelte Ulrich mit breitem Grinsen im Gesicht. „Wir reden später darüber, wie es mit dir weitergehen kann“ der Paladin wandte sich zu Jon, „ich denke wir haben uns alle einen Schnaps verdient.“ „Aye Sir“ bestätigte der Kamerad, der kurzerhand aus seinem Gepäck einen Trinkschlauch mit Schnaps hervorkramte und ihn gleich an Jacques weitergab, ihm gebührte die Ehre, sich als erstes einen Schluck zu genehmigen...
-
Gebirgszug Eberstein
Mit einem wilden Schrei schlug Syrias nach dem kreischenden Goblin und enthauptete ihn kurzerhand. Noch während das wilde Geschrei der Kreatur verstummte und der Kopf, nun seines kompletten Halts beraubt, zur Seite fiel, trat Syrias den restlichen Körper nach hinten und damit tiefer in die Höhle. Zurück zu dem Rest der kreischenden Menge an Beliar verfluchten Kreaturen.
Für einen kleinen Moment hatte er Ruhe, konnte durchatmen und sich nach Johanna umschauen. Sie war eindeutig verletzt, hatte jedoch zumindest ihren Sack wieder griffbereit. Syrias wusste, seinen konnte er vergessen, insbesondere, weil das laute Geschrei der Goblins darauf schließen lies, dass dort, wo die herkamen, noch mehr auf die beiden warten würden. Es hatte keinen Sinn zu bleiben.
"Raus hier!" Knurrte er, während er fluchend ihren Rückzug deckte. Johanna mühte sich mit dem Sack ab und versuchte ihn sich über die Schulter zu werfen, doch ein schmerzhaftes Keuchen zeigte dem Söldner, dass sie das nicht lange durchhalten würde.
Gib her!" fauchte Er, packte ihren Erzsack und warf ihn sich sicherseits über die rechte Schulter. Schmerz durchfuhr seine rechte Hand, während er keuchend den Rückzug antrat. Jetzt war nicht die Zeit für sowas, spornte er sich selber an und schleppte sich und den Sack nach draußen. Johanna hatte er schon vorgeschickt, als erneut ein kreischendes "UTINI" hinter ihm erklang. Hektisch warf sich der Söldner herum, hob das Kurzschwert in seiner Linken und spießte damit unfreiwillig den Goblin auf, welcher sich hinterlistig hatte auf ihn werfen wollen. Dessen Glubschaugen wirkten fast unfreiwillig komisch in ihrer Verwirrung, als langsam das Leben aus ihnen wich. So als könnte es die Kreatur überhaupt nicht verstehen, dass sie jetzt nicht mit den Eingeweiden ihrer Beute spielen konnte.
Syrias ächzte unter dem zusätzlichen Gewicht und wollte den Goblin von dem Kurzschwert schütteln, auf welches sich das Ding selbst aufgespießt hatte. Doch stattdessen wurde es zu schwer für den Söldner, so dass er es fallen lassen musste. "Götter, was soll der Scheiß?! Kann hier nicht einmal was klappen?" Fluchend schleppte sich Syrias mit Johanna zusammen nach draußen, zurück ins Licht und an die frische Luft.
Dort angekommen, nahm er den Sack von den Schultern und zog ein Messer aus dem rechten Stiefel. Wütend blickte er zum Höhleneingang in der Hoffnung, dass sich noch einer dieser grüngesichtigen Bastarde zeigen würde. Und als wenn die Götter diesen Wunsch gehört hätten, zeigte sich kurz darauf noch einer der Goblins.
"FICK DICH!" brüllte Syrias dem Ding voller Hass entgegen und warf ihm das verdammte Messer genau zwischen die Rippen. Dumpf schmatzend drang es in die grünlich-ledrige Haut ein und direkt ins Herz.
Syrias zog aus dem anderen Stiefel ein weiteres seiner Wurfmesser und warf auch das in den noch stehenden Körper. Wieder dieses hässliche Geräusch und eine weitere Klinge steckte in dem Goblin, der durch den Schwung des zweiten Messers nach hinten fiel. Und bevor der Waffenschmied das dritte Messer, welches er aus dem Gürtel gezogen hatte, werfen konnte, hatte sich das wilde Kreischen wieder tiefer in die Höhle zurück gezogen. Anscheinend hatten die Viecher die Lust an ihrer Beute verloren, da die beiden ihnen wohl zu viel Widerstand geleistet hatten.
"Fickt euch alle! Fickt eure ganze Sippe, euer blödes Totem, eure ganze verdammte Verwandschaft!" fluchte und schrie Syrias den Kreaturen noch hinterher, bevor er mit einem wütenden Schrei auch das letzte Messer in Richtung Höhle warf. Dies flog in den dunklen Eingang hinein und landete dort irgendwo mit einem leisen Klirren.
Keuchend und schnaubend, die Schultern gebeugt, spürte der Söldner langsam den Schmerz der verschiedenen Kratzer, Prellungen und Schnitte an seinem ganzen Körper. Und als er sich über die Stirn wischte, um den Schweiß loszuwerden, fühlte sich seine Hand seltsam klebrig an. Ein kurzer Blick darauf zeigte Syrias, was er schon vermutet hatte: Blut.
Anscheinend hatte ihn irgendwas am Kopf getroffen und dabei war ihm das Blut übers halbe Gesicht gelaufen.
"Klasse. Einfach klasse. Müssen es denn immer götter verdammte Goblins sein?"
Seufzend blickte Syrias zu Johanna und erschrak. Er konnte ihre Verletzungen jetzt eindeutig besser erkennen. Einiges würde sich zu ordentlichen Prellungen entwickeln, doch die Schulter würde definitiv mehr brauchen als einfach nur Kühlung.
"Wir müssen zum Lager zurück und uns deine Schulter angucken. Schaffst du das noch?" Johanna nickte zögerlich, wirkte etwas blass um die Nase. Und erschrocken.
Syrias warf sich den Sack über die Schulter, nachdem er ihn aufgehoben hatte und nickte Johanna auffordernd zu. "Geh vor. Und wenn wir im Lager sind, hol den Branntwein raus. Deine Schulter muss gereinigt werden."
Der Waffenschmied folgte der kleinen Frau, während sie voran schritt. Sie hatte sich verdammt gut geschlagen, wenn man bedachte, dass sie das erste Mal gegen wirkliche Gegner gekämpft hatte. Auch wenn es nur verdammte Goblins gewesen waren, sich durch drei dieser Viecher zu prügeln erforderte Mut und Können.
Und als die beiden beim Lager angekommen waren, packte Syrias den Sack beiseite und griff sich den Branntwein Schlauch, welchen Johanna aus ihren Vorräten heraus gewühlt hatte. Nach einem kräftigen Schluck nickte Syrias der dunkelhaarigen Frau zu und hielt ihr den Schlauch hin.
"Trink." forderte er sie auf, als sie zögerlich den Schlauch entgegen nahm.
"Glaub mir, wenn ich dir das gleich über die Schulter kippe, willst du vorher nen ordentlichen Schluck genommen haben. Du kannst es als deine Feuertaufe sehen, wird nämlich genau so gut brennen. Und verdammt, Mädel, das mit den Goblins war ne verfluchte Feuertaufe. Du bist gut geworden."
Der Rest würde mit der Zeit kommen, wenn sie ihren eigenen Stil entwickelte. Doch Syrias Aufgabe war getan. Auch wenn er nur einen Sack voller Erz hatte bergen können. Doch das war etwas, was er mit Taron ausmachen musste.
"Los jetzt, furchtlose Fechterin. Wird nicht besser, wenn wir damit warten."
-
Irgendwo im Bluttal
Die Verfolgungsjagd dauerte weiter an. Trotz der Krähenfüße, in die er getreten war, verlangsamte der Wolf sein Tempo augenscheinlich nicht. Es stand außer Frage, dass er die Eisenhaken ohne fremde Hilfe aus seinen Pfoten entfernen konnte. Pure Willenskraft musste ihn jetzt vorantreiben und den Schmerz ignorieren lassen. Ein Wesenszug, den Vicious nicht von einer Bestie wie dieser erwartet hätte.
Sie selbst hatte längst in einen langsamen Dauerlauf gewechselt. Zwar mochte der Wolf schneller als sie sein, dafür hinterließ seine Flucht deutliche Spuren. Früher oder später, dessen war sich die Kopfgeldjägerin sicher, würde dem Tier die Puste ausgehen. Das würde der Augenblick sein, in dem sie zuschlug. Auch hier hielt der Wolf eine Überraschung für Vicious bereit. Ursprünglich hatte sie vermutet, die Höhle oder der Bau der Kreatur befände sich in nicht allzu weiter Entfernung von ihrem Jagdgebiet. Ein Trugschluss. Die Verfolgungsjagd brachte sie weiter und weiter nach Süden. Hätte sie schätzen müssen, hätte Vicious vermutet, bereits das halbe Bluttal hinter sich gelassen zu haben. Doch ihr letzter Aufenthalt auf der Insel lag weit zurück und sie konnte sich nur wenig an diese Gegend erinnern. Bald fiel ihr das Laufen leichter. Es ging bergab und in einiger Entfernung erkannte die Marmo die Ausläufer eines großen Sees. Wie weit hatte sie die Jagd nur gebracht?
Plötzlich stürmte etwas mit enormer Geschwindigkeit aus dem Dickicht des Waldes. Vicious sah nur Schlieren, bevor ein heftiger Knall sie zu Boden warf. Das Gewicht des Tieres nagelte sie an Ort und Stelle fest. Der Wolf hatte ihr tatsächlich eine Falle gestellt. Instinktiv griff Vicious nach einem ihrer Wurfmesser und rammte es gut ein Dutzend mal in die erstbeste Stelle am Körper der Bestie. Es reichte, um sie dazu zu zwingen, ihr Gewicht zu verlagern und Vicious zu ermöglichen, sich zur Seite abzurollen.
Jäger und Gejagter starrten sich in die Augen. Erst jetzt wurde sich die Fremdländerin der Größe des Wolfs gewahr. Der kantige Körperbau und die abnormal langen Läufe hoben ihn deutlich von anderen Exemplaren seiner Gattung ab. Wenn er überhaupt noch als Wolf gelten konnte. Denn nicht nur sein Äußeres unterschied ihn. Sein Verhalten war mindestens genauso absonderlich. Allein die Tatsache, dass er nicht Teil eines Rudels war. Andererseits war Vicious auch kein Jäger von Tieren, sondern von Menschen. Vielleicht täuschte sie sich. Doch für solche philosophischen Gedankenspiele hatte sie im Augenblick keine Zeit.
Als der Wolf zum Sprung ansetzte, riss die Kopfgeldjägerin so schnell es eben ging eines ihrer Schwerter aus der Scheide. Ihr Schild wäre gewiss die bessere Wahl gewesen, um sich der Fänge zu erwehren. Es vom Rucksack zu lösen dauerte viel zu lang. Selbst das Ziehen des Schwertes schaffte sie gerade so, um dem angreifenden Wolf mit der Klinge eine zu verpassen. Zu allem Überfluss hatte Vicious es gerade erst die Knie geschafft. Der Vorteil lag im Augenblick ohne jeden Zweifel bei der Bestie. Ihr nächster Angriff ließ auch nicht lange auf sich warten. Der breite Schädel der Kreatur schnellte nach vorn, um am Schwert vorbei die Marmo zwischen die Fänge zu bekommen.
All die Abgeklärtheit der Kopfgeldjägerin war jetzt Todesangst gewichen. Machte sie auch nur einen Fehler, wäre das ihr Ende. Doch das hatte sie sich geschworen: wer auch immer sie tötete, würde von Vicious mit in den Tod gerissen werden.
Mit Hieben und Stichen setzte sich die Fremdländerin erbittert zur Wehr und verschaffte sich genug Raum, um endlich wieder auf die Beine zu kommen. Der Wolf zeigte sich davon wenig beeindruckt. Statt dessen machte er erneut einen Satz nach vorn und warf abermals sein volles Gewicht auf die Marmo. Mit Mühe und Not gelang es Vicious ihr Breitschwert längs in das weite Maul zu schlagen. Ihr gingen die Augen über, als die Bestie unerwartet zubiss und die Klinge in drei Teile zerbrach. Geistesgegenwärtig rammte Vicious die scharfen Überreste am Ende des Schwertgriffs in den Hals der Kreatur. Drei Mal gelang es ihr, bevor der Wolf von ihr abließ.
Routiniert zog die Marmo das zweite Schwert von ihrem Rücken. Im Angesicht der Stärke und Robustheit der Kiefer des Wolfs, malte sich Vicious für diese Klinge keine besseren Chancen aus. Was ihr dann noch bliebe, wären Messer und ihr Streitkolben. Für die Art von rasantem Kampf keine besonders gute Auswahl. Davon einmal abgesehen, dass ihre Ausdauer allein durch den vorherigen Dauerlauf bereits stark angeschlagen war.
Dann kam ihr ein Geistesblitz. Mit der freien Hand griff Vicious an ihren Gürtel und zog eine Pergamentrolle hervor. Ohne wirklich zu wissen, wie sie es tat – denn Saraliels Instruktionen hatte sie längst vergessen – streckte die Kopfgeldjägerin die Hand mit der Pergamentrolle in einer werfenden Bewegung dem Wolf entgegen. Ein Feuerball manifestierte sich und rauschte in die Richtung der Kreatur. Ob überrascht durch die plötzlichen magischen Fertigkeiten der Fremdländerin oder vom Feuer selbst, blieb der Wolf wie angewurzelt stehen und sprang erst im allerletzten Augenblick aus der Flugbahn des magischen Projektils. Den gestreckten Hinterlauf traf der Feuerball gerade noch. Ein lautes Heulen ließ keinen Zweifel: die Magie der Spruchrolle hatte gewirkt!
Diesen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte Vicious zum Angriff. Noch bevor der Wolf wieder auf dem Boden landete, trieb die Kopfgeldjägerin ihr Schwert mit aller Kraft tief in seinen breiten Nacken und brachte damit sich selbst und ihren Gegner zu Fall. Das Tier gurgelte und keuchte. Sein großes, gelbes Auge stierte Vicious ausdruckslos an. So abrupt der Kampf begonnen hatte, so jäh endete er wieder. Nach wenigen Minuten hatte die Agonie des Wolfs ein Ende.
Schweißnass ließ sich Vicious auf dem regungslosen Körper zusammensacken. Lange hatte ihr Herz nicht mehr so schnell geschlagen. Sie konnte es bis hinauf zum Hals spüren. Wie viel hatte die alte Frau ihr noch versprochen? Hundert Goldstücke? Hundert Goldstücke und ein Rezept. Das war es definitiv nicht wert gewesen, dachte sich Vicious.
-
Lehrling
Hendersons Hütte - erster Schnee
Eine zweite Nacht in Folge wurde Henderson von einem lauten Knall geweckt. Heute hatte er sich mit seiner Schlafrolle selbst unter den Tisch gelegt, weil Hempel sich gestern beim Hochschrecken den Kopf gestoßen hatte. Diesmal erblickte er den Hünen, der in der Tür stand und vom Mondlicht konturiert wurde.
„Alles in Ordnung?“, fragte Henderson und krabbelte mühsam unter dem Tisch hervor.
„Jetze is widder alles jut. Ich war nur pissen. Lege dich hin.“
Hempel war bereits drauf und dran, die Tür zu schließen, doch jetzt, da Henderson schon mal wach war, drückte auch ihm die Blase.
Er schob sich an Hempel vorbei und stapfte durch die Dunkelheit in Richtung des Aborts. Der Frost lag bereits auf der Wiese, erste feine Schneeflocken fielen und irgendwo in der Ferne jaulte ein Wolf. Vielleicht sollten sie heute Nachtwachen einteilen und ihr Feuer ein wenig stärker entfachen.
„Leise pieseln im Schnee,
still und starr ruht der See …“
Mit einem kindlichen Grinsen auf den Lippen summte Henderson sein Winterlied und kehrte zur Feuerschale zurück, die Hempel gerade aufrichtete und neu mit Feuerholz bestückte.
„Ach die ist wohl umgefallen“, flüsterte Henderson, um Lady Caarelia nicht zu wecken.
„Jaa …“, brummte Hempel.
„Soll ich dir helfen?“
„Nee, das schaff ich schonne.“
„In Ordnung.“ Henderson streckte sich ausgiebig und kehrte ins Haus zurück. Gerade im richtigen Moment, denn Kater Knorpel war drauf und dran, sich ins Schlafgemach von Caarelia und Lord Streifenwind zu schleichen.
„Da hast du aber nichts verloren“, schimpfte Henderson und wollte nach dem Kater greifen, doch der maunzte nur böse, verteilte ihm eine Respektschelle und sprang von seiner Schulter direkt durch die Tür. Henderson purzelte ihm schwerfällig hinterher.
„Oh, Ihr Götter! Verzeih mir, Lady Caarelia, die Katze ist einfach von selbst in dein Gemach eingedrungen. Ich bin untröstlich, ich …“
Er hielt sich die Augen halb zu und tastete nach dem Kater, doch Knorpel war gewandt und zerwühlte bereits das Bett.
Das leere Bett.
Henderson blinzelte zweimal, die kleinen Schrauben in seinem Kopf drehten sich und plötzlich rasteten sie ein, einer Erkenntnis folgend.
„Hempel!“, schrie er und stürzte nach draußen. Der Hüne saß am Feuer und blickte teilnahmslos in die Glut.
„Wo ist sie?!“
„Wer?“
„Verschaukel mich nicht, das ist ernst!“
Henderson packte den viel größeren Kerl am Kragen, was ihm nur gelang, weil Hempel gerade vor dem Feuer hockte.
„Wo ist Caarelia?!“
Hempel zuckte mit den Schultern. „Fort, schätz ich. Hat sich verkrümelt. Is besser so, glaub’s mir.“
„Mitten in der Nacht? Hat sie noch etwas gesagt?“
„Keene Ahnung, mir doch egal. Sie kann doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.“
Diesmal war es Henderson, der eine Respektschelle verteilte. Eine Respektohrfeige, um genau zu sein. Hempel ließ es wortlos über sich ergehen. Mehr Worte wurden nicht ausgetauscht.
In für Hendersons Verhältnisse ungewohnter Geschwindigkeit packte er sich seinen Tornister und stopfte seine Schlafrolle und ein bisschen Proviant hinein. Den Schmalz natürlich, eine Öllampe, sein Hackmesser und den Fleischerhaken. Damit stapfte er nach draußen und suchte nach Spuren im Schnee. Er wurde schnell fündig.
„Ich suche sie. Bleib du hier und lass sie gefälligst rein, wenn sie hier aufschlägt! Sonst enthebe ich dich als meinen Lehrling!“
„Jaja …“
Mit verzweifelten Schritten stürzte er in den Wald. Er durfte Caarelia nicht an die Wölfe verlieren und betete zu den Göttern, dass es noch nicht zu spät war. Das war kein Schuldgefühl, das ihn plagte und auch nicht seine Hilfsbereitschaft. Sie hatte ihm ein Stück Gesellschaft gegeben, die er so lange vermisst hatte und die wollte er nicht einfach verlieren.
-
Lagerplatz in der Nähe des Bluttals
Es kam Jacques wie im Traum vor, als er den mit Schnaps gefüllten Becher hob und versuchte, aus dem Stegreif irgendeinen passenden Toast zu improvisieren. „Auf euch, auf Kommandant Ulrich, auf uns alle! Auf das erfolgreiche Ende einer anstrengenden und gefährlichen Mission! Auf Thorniara! Sollen diese Orks doch versuchen, sich mit uns anzulegen!“ Jacques grinste, noch immer schwer atmend nach dem anstrengenden Duell mit Ulrich. „Hoch!“, rief er schließlich. „Hoch!“, antworteten die anderen Männer (und Mina) im Chor, und stürzten den Schnaps herunter. Das scharfe, intensiv nach Kräutern schmeckende Gebräu verbreitete sogleich eine wohlige Wärme in Jacques‘ Eingeweiden und wirkte wie ein Signal an seinen Körper und Geist, sich endlich zu entspannen – die Anstrengungen waren vorüber, und er hatte den Lohn für seinen Einsatz erhalten!
Erschöpft verstaute er sein Schwert und ließ sich am Feuer nieder. Gardist! Ulrich hatte ihn zum Gardisten befördert! Er konnte es kaum glauben. Damit war er seinem großen Traum, eines Tages Ritter zu werden, einen gewaltigen Schritt nähergekommen. Die anderen klopften ihm anerkennend auf die Schulter und lobten ebenfalls seinen Einsatz, den er während der Mission gezeigt hatte, und es erfüllte Jacques mit Stolz, dass er es geschafft hatte, sich den Respekt dieser hartgesottenen Kriegsveteranen zu verdienen. Natürlich, mahnte er sich selbst im Stillen, durfte er sich jetzt keinesfalls auf diesen Lorbeeren ausruhen – es gab noch viel zu lernen!
Aber nicht mehr heute. Heute Abend wurde gefeiert! Die Männer gönnten sich noch die eine oder andere Runde Schnaps – nicht so viel natürlich, dass sie am Ende betrunken gewesen wären, sie befanden sich schließlich noch immer im Feld, wenn auch nicht mehr weit von Thorniara – und dazu einen guten Scavengerbraten. Was wollte man mehr? Es wurden Geschichten ausgetauscht und schmutzige Witze erzählt, gelacht und gesungen. Die Anspannung der vergangenen Wochen fiel endlich von den Männern ab und so zeigte sich, dass selbst die hartgesottenen Veteranen durchaus eine menschliche Seite hatten. Nur noch diese Nacht im Freien, und morgen würden sie wieder in Thorniara sein! Es gab niemanden unter ihnen, der sich nicht darauf freute, mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen – vielleicht sogar mit Gesellschaft …
Jacques feierte mit ihnen, lauschte gebannt wie ein kleiner Junge ihren Kriegs- und Abenteuergeschichten, lachte über dumme Witze und deftige Anekdoten, bis der Mond hoch am Himmel stand, das Feuer heruntergebrannt war und sie sich endlich zum Schlafen begaben.
Am nächsten Morgen ließ sich die kleine Truppe mehr Zeit als sonst mit dem Aufstehen. Sie hatten es nicht eilig, und nach all der Anspannung und den Strapazen der vergangenen Wochen wollte sich niemand unnötigen Stress machen. Man frühstückte in Ruhe, brach das Lager ab und machte sich schließlich auf den Weg, als die Sonne bereits weit über dem Horizont stand. Die Stimmung unter den Männern war gut – es war die letzte Etappe, und heute Abend würden sie Thorniara erreichen!
... continue ...
Geändert von Jacques Percheval (04.12.2024 um 16:54 Uhr)
-
Lehrling
„Verfluchter Mist“, schimpfte Caarelia, als sie nun über die bereits siebte Baumwurzel stolperte. Lord Streifenwind quietschte laut und klammerte sich verzweifelt an der Tunika der Diebin fest. In ihrem Dutt war es längst zu kalt, weshalb Caarelia beschlossen hatte, ihren kleinen Begleiter lieber nah bei sich wissen zu wollen und ihn in ihre Tunika gesteckt hatte. Dass es anfangen könnte zu schneien, hatte Caarelia nicht bedacht. Sie versuchte sich etwas an der improvisierten Fackel zu wärmen, deren Feuer langsam, aber sicher erlosch.
Ab und zu fragte sie sich, ob es ein Fehler gewesen war, Hendersons Hütte so überstürzt zu verlassen. Doch auf der anderen Seite wollte sie ihm nicht noch mehr Ärger einbrocken… Nun musste die Diebin doch leicht schmunzeln. Ihr Gewissen hatte sich schon lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Und dann musste es ihr auch ausgerechnet so einen kräftigen Hieb in die Magengrube versetzen.
„Moment mal“, sagte Caarelia fassungslos und blieb augenblicklich stehen. Der Baum vor ihr kam ihr erschreckend bekannt vor. War sie nicht erst an ihm vorbei gelaufen?
Doch! An die Steinformation neben ihn konnte sie sich ebenfalls erinnern.
Verzweifelt raufte die Diebin ihre Haare. Da hatte sie schon eine Karte, die sie zu der Taverne führen sollte und noch nicht einmal die konnte sie lesen?!
Frustriert lehnte Caarelia an einem Baum und starrte hinauf in den Himmel. Federleichte Schneeflocken tanzten hinab, die die Diebin genervt wegpustete.
Selbst, wenn sie zu Henderson zurückkehren wollte, konnte sie es nicht. Nicht nur wegen ihres schlechten Gewissens, sondern auch, weil sie offensichtlich die Orientierung verloren hatte und keine Ahnung hatte, wie sie aus dem dunklen Wald hinausfinden sollte!
Ein lautes Geräusch ließ die Caarelia aufschrecken. Wolfsgeheul. Lord Streifenwind, angetrieben durch Caarelias lauten heftigen Herzschlags, krabbelte aus ihrer Tunika hervor und sah sich um. Wieder Wolfsgeheul. Dieses Mal klang es sogar noch näher.
Caarelia schluckt laut, während Lord Streifenwind seine kleine Pfote zu seiner Faust ballte und wild quiekte.
„Dafür ist jetzt keine Zeit du kleine Kampfratte“, flüsterte Caarelia und hielt ihr Streifenhörnchen fest in der Hand. Verzweifelt sah sie sich um. Sie trug keine Waffe bei sich und es gab keine Möglichkeit auf einen der Bäume zu klettern. Also nahm die Diebin ihre schlotternden Beine in die Hand und rannte, in der Hoffnung dem Geheul entkommen zu können.
Sie wollte schon fast (aber auch nur fast) den Göttern danken, dass der Morgen anbrach und der Wald nicht mehr ganz so mysteriös und dunkel wirkte. Mit müden Beinen und brennender Lunge kämpfte die Diebin sich immer weiter vorwärts und wagte einen kurzen Blick nach hinten. Das Wolfsgeheul wurde immer leiser und sie wollte sich schon in Sicherheit wiegen, als sie plötzlich in jemanden reinrannte.
-
Lehrling
Im Herzen des Bluttals - Huci
Mit wachsender Sorge inspizierte Henderson die Kratzspuren an dem großen Baum vor sich. Die Natur offenbarte einem Bewohner der Wildnis viele Geheimnisse und Spuren, die den Städtern verborgen blieben. An diesem Baum hatte sich vor nicht allzu langer Zeit eine Rotte Wildschweine gescheuert, darauf deutete auch der zerwühlte Boden hin. Sie hatten einen Platz zum Suhlen gesucht und waren hier durchgezogen. Ihre Spuren kreuzten jene Fußspuren, die hoffentlich zu Lady Caarelia gehörten, doch es sah nicht so aus, als wären sie einander begegnet. Trotzdem, die Richtung, welche die junge Frau eingeschlagen hatte, beunruhigte den Abdecker. Sie schien ziellos durch den Wald zu wandern und irrte dabei immer tiefer hinein. Hendersons Hütte, die schützenden Mauern von Thorniara gar, lagen inzwischen in weiter Ferne. Nur das Geheul einiger Wölfe hallte durch den pechschwarzen Wald. Dass er ihr immer noch weiter durch die Kälte und Finsternis folgte, widersprach jeglicher Logik. Doch Henderson hatte seinen Verstand längst unter der Sorge in seinem Herzen begraben.
Er konnte sie einholen, ihre Spuren waren Zeuge ihres Umherirrens. Sie hinterließ Schnörkel, Zickzackbahnen. Wurde sie verfolgt? Von jemand anderem außer ihm? Er konnte es nicht sagen; je gründlicher er sich umschaute, desto weiter entfernte sie sich am Ende noch von ihm.
Plötzlich vernahm er ein Surren in der Ferne. Instinktiv warf er sich auf den Boden, löschte die Öllampe. Unzählige, verstörende Szenarien formten sich in seinem Kopf. Caarelia, die von einer Gruppe Banditen überfallen wurde. Lord Streifenwind, der todesmutig in die Fänge eines Wolfes sprang. Er konnte sich jetzt nicht verstecken, er musste weiter!
Dreimal atmete er tief durch und sammelte all seinen Mut. Dann stürmte er los, nichts als seinem Gespür folgend. Es sollte ihn nicht trügen. Er konnte kaum bremsen, als die junge Frau plötzlich in ihn hereinrannte.
„Hoppala!“ Von der Wucht des Zusammenstoßes plumpste seine Gegenüber zu Boden. Er konnte ein sehr vertrautes Fiepen aus ihrer Tunika vernehmen und auch das blonde Haar, das im fahlen Mondschein schimmerte, kam ihm sehr vertraut vor.
„L-Lady Caarelia, bist du das?“
Er konnte kaum etwas erkennen, doch ihre Antwort war ein zustimmendes Murmeln.
„Keine S-Sorge. Ich bringe d-dich r-raus aus dem Wald.“
Die Kälte war ihm ganz schön unter die Haut gefahren. Das bemerkte er erst jetzt, als sein Unterkiefer unentwegt bebte. Wie musste es ihr gehen?
„W-warte. Ich habe eine Schlafrolle mit. Die k-kannst du dir umwerfen.“
Er warf seinen Rucksack auf den Boden und bückte sich herab. Gerade im richtigen Augenblick, denn nur einen Herzschlag später sauste ein Pfeil geradewegs über ihn hinweg und donnerte in einen der nahegelegenen Baumstämme.
Ein Quieken von Lord Streifenwind.
Ein Schrei seitens Caarelia.
Ein lauter Ruf von Henderson.
„Nicht schießen! Wir ergeben uns!“
Er beugte sich vor Caarelia, versuchte sie abzuschirmen. Ein Licht näherte sich ihnen, eine Fackel. Das waren zwei Gestalten, bewaffnet mit Pfeil und Bogen. Es gab nur noch eine Frage, die wichtig war.
„Freund oder Feind?“
Henderson öffnete ein Auge. Diese Stimme. Diese hochfrequente Stimme. Er kannte nur eine Jägerin mit einer derart hohen Tonlage, sie war hier in der Gegend weit bekannt.
„Huci?!“
„Hänno?!“ Sie senkte den Bogen und streckte die Arme freudig aus. „Mensch, ich habe dich für ein Wildschwein gehalten. Beinahe hätte ich dich durchlöchert, das wäre aber unangenehm geworden. Hey! Wie geht’s wie steht’s? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Ich habe soooo viel zu erzählen. Ist das deine Freundin? Hat sie auch einen Namen? Ist Hempel auch da? Was sitzt ihr hier eigentlich herum in der Kälte? Wollt ihr einen Schluck Schnaps?“
Nun, zumindest waren sie sicher.
-
Lehrling
Überrumpelt starrte Caarelia die Jägerin vor sich an. In der einen Sekunde hatte sie noch einen Pfeil auf sie und Henderson geschossen und in der nächsten redete sie wie ein Wasserfall, als seien sie jahrelange alte Freunde. Wie sie und Henderson sich wohl kennengelernt haben?
Caarelia kuschelte sich in die Schlafrolle ein, die Henderson ihr in der Eile übergeworfen hatte. Stillschweigend musterte die Diebin Hucis Begleiter, der sich bislang noch selbst stillschweigend im Schatten verborgen hielt. Mit seinen dunklen Augen starrte er Caarelia an. Die eisige Kälte des Waldes war nicht das Einzige, was ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Fieberhaft überlegte sie, ob sie ihn irgendwo her kannte. Oder, ob sie ihn vielleicht schon mal beklaut hatte.
„Ach so ist das“, sagte Huci laut und kratzte sich an ihrem Kopf, nachdem Henderson ihr grob die Situation erklärt hatte. „Naja, ein Glück haben wir euch gefunden und nicht der alte Surrey. Junge, Junge, der ist schon so alt und blind und will das jagen einfach nicht aufgeben. Der hätte euch erst recht durchlöchert!“
Henderson und Lord Streifenwind schluckten zeitgleich laut, während Caarelia einfach nur verdutzt blinzelte.
„Jetzt kommt aber erst mal mit, ihr müsst ja halb erfroren sein!“, sagte Huci und hakte sich gut gelaunt unter Caarelias Arm ein, die ihre Fast-Mörderin mit großen Augen ansah.
„…und so habe ich versehentlich ein Huhn, statt eines Kaninchens erlegt. Das kleine pelzige Ding war aber auch flink und hat mich reingelegt! Du willst gar nicht wissen, welche Art von Flüchen der Bauer, dem das Huhn gehört hatte, ausgesprochen hatte! Junge, Junge, in meinem Leben bin ich noch nie so schnell gerannt!“, erzählte Huci immer weiter und weiter, während Caarelia nur geduldig nickte und lächelte (wobei das Lächeln vermutlich eher einem aufgesetzten krampfhaften Grinsen ähnelte). Die Jägerin kaute der Diebin unerbittlich das Ohr ab, sodass Caarelia sich ab und zu, zu Henderson und Arvid umdrehte (mittlerweile hatte Huci ihr den Namen ihres schweigsamen Gefährten verraten).
Dort war es genau umgekehrt: Hier war Henderson der wandelnde Wasserfall, während Arvid nur schweigend neben ihm herlief.
Caarelia kam es so vor, als würden sie schon seit Stunden durch den mittlerweile weiß beschneiten Wald laufen. Dabei waren vielleicht gerade mal fünf Minuten vergangen, als sie bei Hucis und Arvids Zeltlager angekommen waren.
„Hach, es ist so schön hier draußen Mal ein weibliches menschliches Wesen zu treffen!“, schwärmte Huci und griff nach Caarelias Händen. „Wenn du möchtest, kann ich dir und Hänno gerne das Hauptzelt hier überlassen.“ Mit einem verschwörerischen Blick und zuckenden Augenbrauen sah die Jägerin Caarelia eindringlich an, die nur tiefrot anlief. Wie bitte?!
„Schuhe ausziehen“, grummelte Arvid nur, woraufhin Huci seufzte.
„Arvid hat einen ziemlichen Sauberkeits-Wahn, müsst ihr wissen“, entschuldigte sich die Jägerin gewissermaßen und tat es ihrem Gefährten gleich und zog ihre Stiefel aus. „Aber keine Sorge: Wir haben drinnen noch Pantoffeln.“
„Ist ein Sauberkeits-Tick nicht ein bisschen ungünstig hier draußen im Wald?“, fragte Caarelia mit gerunzelter Stirn, während sie widerwillig ihre Schuhe auszog. Henderson tat es ihnen gleich und versuchte dabei sein Gleichgewicht zu halten. Selbst Lord Streifenwind spuckte in seine kleinen Pfötchen und putzte sorgfältig seine Füße.
Caarelia setzte nur einen Fuß in das recht große Zelt, als sie plötzlich von einem dunkelbraunen Jagdhund begrüßt wurde. Der Hund sprang sie direkt an und versuchte ihr Gesicht abzuschlabbern.
Lachend streichelte Caarelia dem Hund über den Kopf, während Lord Streifenwind sich panisch quiekend in ihrem Dutt versteckte, die kleine pelzige Faust dennoch geballt.
Mit einem Mal ließ der Hund von ihr ab und machte sich über Henderson her, der bei der wilden Begrüßung des Hundes sogar zu Boden ging.
„Schnüffelpfote! Aus! Lass den armen Hänno doch erst mal reinkommen!“, befahl Huci dem Jagdhund, der Henderson quer über das ganze Gesicht abschleckte. Caarelia wurde jäh von einem Plumps-Geräusch vom Geschehen abgelenkt. Arvid hatte ihr wortlos ein paar Pantoffeln hingeworfen, und wollte sich an Henderson wenden, als er jäh innehielt und Lord Streifenwind anstarrte. Arvid fixierte das Streifenhörnchen mit seinen dunklen Augen, während Huci im Hintergrund größte Mühen hatte, den Jagdhund von Henderson zu zerren.
„Für dich habe ich keine Pantoffeln“, murmelte Arvid und kam Lord Streifenwind immer näher. „Wehe dir, du machst meine Schlafrollte dreckig oder knabberst meinen Bogen an.“
Lord Streifenwind schluckte nervös, Arvid wandte sich ab und warf dem lachenden auf dem Boden liegenden Henderson sein Paar Pantoffeln hin. Er machte sich keine großen Mühen, dem Abdecker oder Huci zu helfen und setzte sich schließlich auf ein Sitzkissen in der Mitte des Zelts. Caarelia wollte dem Jäger schon wütend entgegnen, dass Lord Streifenwind so etwas nie tun würde. Doch dann erinnerte sie sich an das eine Mal, als er vor lauter Hunger schon Löcher in eine ihrer Lieblings-Tunikas gebissen hatte. Oder das andere Mal, als er ihre letzte Münze gefressen hatte, mit der sie ihm und sich im nächsten Moment etwas richtiges zu Essen kaufen wollte.
„Puh, na endlich“, keuchte Huci, als sie Schnüffelpfote von Henderson wegziehen konnte. „So, wollt ihr nun was trinken?“
Henderson nickte, während er sich den Hundespeichel aus dem Gesicht wischte und sich zu Caarelia und Arvid auf die Sitzkissen in die Mitte des Zeltes setzte.
„Sooo, bitte sehr“, murmelte Huci, die nun Schnapsgläser in die Runde verteilte. „Dann erzähl mal Hänno: Wann haben du und Caarelia vor zu heiraten? Wie viele Kinder sind geplant? Erzähl mir alles!“
-
Lehrling
Jägerlager im Bluttal - der Fünfjahresplan
Selten hatte Henderson einen Schnaps so schnell heruntergeschluckt wie in dieser Nacht. Dieses Auf und Ab der Gefühle ließ sein Herz mit aller Kraft in seiner Brust schlagen und bei Hucis intimen Fragen half nichts mehr als ein guter Schluck vom Selbstgebrannten. Vor dem Stoff hatte Henderson keine Angst, denn er kannte Huci und Arvid schon eine ganze Weile und es war Arvids Verwandtschaft, die eine Brennerei irgendwo mitten im Wald betrieb. Das Hochprozentigste davon nutzte der Abdecker immer zur Reinigung seiner Werkzeuge, er hatte mal gehört, das würde helfen, eine Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern und bislang hatte sich dieser Tipp für ihn ausgezahlt. Aber manchmal musste man nicht nur seine Werkzeuge, sondern auch Körper und Seele reinigen.
Er zwinkerte Caarelia zu und kippte sein Getränk in einem Zug herunter. Der scharfe Schnaps bahnte sich sogleich durch Mark und Bein und er fühlte, wie seine Anspannung allmählich von ihm abfiel. Sie waren bei den Jägern. Sie waren in Sicherheit. Den Göttern sei Dank.
„Also ich würde ja schon gern in den nächsten fünf Jahren heiraten, solange ich noch gut im Saft stehe, nicht wahr?“ Er nickte eifrig und ließ sich noch mal nachschenken. „Aber dafür müsste ich erst einmal eine Frau finden, die mich liebt und meine Tätigkeit verkraftet. Wir Abdecker bleiben eigentlich immer unter uns, aber hier auf der Insel habe ich bislang nur wenige andere Abdecker kennengelernt, leider. Ich habe mich eigentlich schon damit abgefunden, kinderlos zu bleiben. Mit Hempel habe ich ohnehin schon genug Ärger.“
Er versuchte zu schmunzeln, aber das Thema betrübte ihn schon sehr. Vor einigen Jahren hatte er ja selbst mal ein Auge auf Huci geworfen, aber sie hatte jeden Annäherungsversuch abprallen lassen und rückblickend betrachtet war das vielleicht auch ganz gut. Henderson hatte Gefallen an der Ruhe der Natur gefunden und die würde Huci ihm sicher nicht geben. Er war eigentlich ganz froh, dass Hempel immer die Aufträge der Jäger übernahm, dann konnte er unangenehmen Situationen wie dieser hier aus dem Weg gehen.
Er trank seinen zweiten Schnaps und fuhr fort: „Ich hoffe einfach, dass mein Bruder Anderson das Familienerbe erhält. Vielleicht kann ich dann eines Tages die Freuden eines Onkeldaseins erfahren, das wäre schön.“
Zumindest, wenn irgendjemand seinen Neffen oder Nichten erzählte, dass es auf der fernen Insel Argaan einen Onkel gab, den sie besuchen konnten. Henderson selbst konnte sich keine Überfahrt aufs Festland leisten, aber er hatte schon ein bisschen geübt, kleine Holzfiguren für die potenziellen Kinder zu schnitzen.
„Na ja, und Caarelia hier hat sicher ganz viele Verehrer. Einer hat ihr sogar einen Brief geschrieben und möchte sich mit ihr in der Gespaltenen Jungfrau treffen. Ich denke, wir werden zum Sonnenaufgang dorthin weiterreisen.“
Huci saugte bereits Luft ein, um eine weitere Salve von Fragen zu entladen, aber ihr kam ein brummender Arvid zuvor.
„Da solltet ihr aber nicht allein gehen. Oder kann sich irgendeiner von euch verteidigen?“
„Ich bin ganz gut im Tarnen“, meinte Henderson, „und Caarelia kann sehr gut klettern.“
„Hm, ob das reicht?“
„Was meinst du, Arvid?“
Der Jäger seufzte. „Ich spreche von Banditen, den Truppen Ethorns, Orks und Orkhunden. In der Baronie am Silbersee braut sich was zusammen. Ihr solltet da nicht allein und unbewaffnet unterwegs sein, jemand sollte euch begleiten.“
„Oh-oh-oh!“ Huci wippte schon aufgeregt auf ihrem Sitzkissen auf und ab. Schnüffelpfote spürte die erwartungsvolle Stimmung sofort und drehte sich im Kreis.
„Ja, Huci, von mir aus kannst du sie gern begleiten, aber nimm den Hund mit und ein paar Felle und eingelegtes Fleisch. Wir leben hier schließlich auch nicht nur von Luft und Liebe.“
Huci klatschte sich in die Hände und fiel Henderson und Caarelia gleichzeitig um die Hälse.
„Oh, das wird grooooßartig! Ich war schon ewig nicht mehr bei Murdra, da gibt es das beste Bier und die wildesten Typen. Wir werden auf Braut- und Bräutigamschau gehen, essen und tanzen, bis uns schlecht wird. Das wird suuuuper!“
„K-klingt toll“, meinte Henderson und langte nun zum Rest der Flasche.
-
Lehrling
„Ich bin wach!“, schreckte Caarelia aus ihrem seelenruhigen Schlaf hoch und richtete sich kerzengerade auf. Schweratmend fasste sie sich an den Kopf und sah sich in der Dunkelheit um. Sie brauchte einige Minuten, um zu verstehen, dass sie in Hucis und Arvids Zelt war.
Schmerzerfüllt kniff die Diebin die Augen zusammen. Der Schnaps schien ihr nicht wirklich gut zu bekommen. Sie fand es immer noch sehr bemerkenswert, wie Huci es geschafft hatte, Henderson und Arvid gnadenlos unter den Tisch zu trinken! Caarelia war schon nach einem kleinen Schnapsgläschen ganz schwindelig geworden. Was sie natürlich nicht zugeben wollte und weiter mitgetrunken hatte, bis sie wohl umgekippt war. Schließlich konnte sie sich nicht erinnern, wie sie in dem Schlafsack direkt neben Huci gelandet war.
Ein lautes Geräusch ließ die Diebin hochschrecken. Mit wild klopfendem Herzen drehte sie sich zu Arvid um, der seelenruhig in seinem Schlafsack vor sich hin schnarchte. Caarelia runzelte die Stirn.
Dafür, dass er kaum ein Wort spricht, schnarcht der aber ganz schön laut…, dachte die Diebin überrascht und bemerkte ein kleines Rascheln in der Nähe von Arvids Schlafsack. Der Jäger ließ noch ein durch Mark gehendes herzhaftes Schnarchen von sich, bevor er sich auf die Seite drehte und irgendetwas vor sich hinmurmelte.
Moment mal, dachte Caarelia misstrauisch und tastete ihren Körper und Schlafsack ab. Lord Streifenwind war nicht bei ihr!
Schon wieder ein Rascheln. Ein ungutes Gefühl beschlich die Diebin. Caarelia richtete sich auf und lief mit ihren schwankenden Beinen auf Arvid zu. Und tatsächlich konnte sie bei ihm ihren kleinen pelzigen Begleiter finden.
„Lord Streifenwind“, flüsterte Caarelia und massierte sich dabei die Stirn. Selbst das schien zu laut für sie und ihren schmerzenden Kopf zu sein. „Was tust du da?“
Langsam drehte sich das Streifenhörnchen zu der Diebin um, hörte jedoch nicht auf, an etwas herumzuknabbern. Caarelia riss die Augen auf. Schnell bückte sie sich zu Lord Streifenwind hinunter und sammelte ihn auf. Im Dunkeln konnte sie nicht ganz ausmachen, wie groß der Schaden an Arvids Bogen war, doch sie war sich sicher, dass er in jedem Falle mehr als wütend auf sie und Lord Streifenwind sein würde.
„Spuck‘ das wieder aus“, flüsterte Caarelia aufgeregt und versuchte die Holzsplitter aus Lord Streifenwinds Mund zu pulen, als ihre Beine nachgaben und sie sich auf den Boden knien musste. Sie atmete ein paar Mal tief durch und wollte sich gerade wieder aufrichten, als Arvid nach ihr schnappte und sie fest umschlungen hielt. Die Diebin war gezwungen, sich auf den Boden zu legen und versuchte sich zaghaft aus Arvids Griff zu schlängeln, doch je mehr sie sich bewegte, desto fester hielt er sie.
Was soll das denn?!, fragte Caarelia sich und überlegte fieberhaft, wie sie sich aus Arvids Griff lösen konnte, ohne ihn zu wecken. Seine Warnung, dass er jedem, der ihn wecken würde, den Hals umdrehen würde, nahm Caarelia sehr ernst.
Sie wollte sich schon mit ihrem Schicksal abfinden, als Lord Streifenwind Arvids Nase mit seinem Schweif kitzelte, sodass der Jäger sich dort kratzen musste. Caarelia nutzte die Gunst der Stunde und krabbelte schnell über Huci, zurück in ihren Schlafsack. Lord Streifenwind wollte sich gerade zu ihr gesellen, als Arvid das Streifenhörnchen packte und an sich kuschelte.
Hilfesuchend blickte Lord Streifenwind zu Caarelia, die sich nur mit einem Nicken verabschiedete und sich in ihren Schlafsack einkuschelte.
„Habt ihr auch alles was ihr braucht?“, fragte Arvid, während Huci sich eine große Tasche umlegte. Schnüffelpfote sprang enthusiastisch umher und hinterließ seine Pfotenabdrücke in der dünnen Schneeschicht des Waldbodens.
„Ich denke schon“, trällerte Huci fröhlich vor sich hin und hakte sich bei Henderson und Caarelia unter.
„Alles in Ordnung?“, fragte der Abdecker Caarelia besorgt, die nur benebelt starr geradeaus blickte. Sie hatte die Nacht kein Auge zugetan, nachdem sie das eine Mal wach war. Ihr Schädel brummte unerbittlich und drohte jede Sekunde zu zerplatzen.
„Geht schon“, murmelte die Diebin und versuchte ihr Bestes, sich das eben verspeiste Frühstück nicht wieder durch den Kopf gegen zu lassen.
„Ach, wir muntern dich wieder auf! Ich kenne da ein spitzen Reiselied: Auf der Straße, weit und fern. Jeder fügt am Ende des Refrains einen Vers ein, sodass das Lied niemals aufhört“, schlug Huci vor, woraufhin Henderson mit leuchtenden Augen nickte. Caarelia hingegen, hegte innerlich schon fast Todeswünsche.
„Das kenne ich noch von früher!“, sagte der Abdecker begeistert und stimmte die erste Strophe an.
„Bis bald, Arvid“, rief Huci über Hendersons Gesang dem Jäger zu und lief mit dem Abdecker und der Diebin im Schlepptau voraus. Arvid winkte der Gruppe zum Abschied und sah ihnen noch eine Weile nach. Schließlich betrat das Zelt und fand entsetzt seinen angeknabberten Bogen vor, den Caarelia vor dem Morgengrauen noch mühevoll unter ein paar Tüchern platziert hatte. Immerhin hatte Arvid erst jetzt bemerkt, dass sein Bogen beschädigt war.
Der Jäger schimpfte und fluchte was das Zeug hielt, während die drei Gefährten schon längst außer Hör- und Sichtweite waren.
-
Lehrling
Südliches Bluttal - Honigkuchen
Für Henderson gab es kaum etwas Schöneres im Leben als einen Marsch durch die Natur. Im Gegensatz zum gestrigen Abend hatte der Wald des Bluttals heute bei Tageslicht etwas geradezu Malerisches an sich. Eine dünne Frostdecke lag über dem Boden und die Sonnenstrahlen ließen das Tal magisch funkeln. Die Bäume waren kahl und ringsum zeigte sich keine Spur von Leben. Lediglich ein paar Krähen stritten sich um den Kadaver einer toten Ratte und flohen mit einem genervten Krächzen, als die Wandergruppe ihnen zu nahekam. Henderson unterbrach seinen heiteren Gesang und bückte sich herab, um nach dem toten Tier zu sehen. Die einzigen Spuren ringsum waren die feinen Linien der Krähenfüße, hier gab es kein anderes Wildtier.
Der Abdecker unterdrückte den Reflex, nach seiner kleinen Handschaufel zu greifen und das tote Tier zu vergraben. Die Krähen würden nicht viel davon übriglassen, hier in der tiefsten Natur musste er nicht in das Gleichgewicht eingreifen. Anders sähe das aus, wenn er tote Ratten in der Stadt fand. Dann galt es, schnell zu handeln, um den Ausbruch einer Seuche zu bekämpfen.
„Ich muss zugeben, ich habe ein wenig die Orientierung verloren“, gestand Henderson und kratzte sich beschämt über den Nacken, „aber die Götter mögen uns hold sein, kein einziges Raubtier kreuzte bislang unseren Weg.“
„Wenn du mich unbedingt Göttin nennen willst …“, sagte Huci mit einem Lachen. „Nur zu. Ich habe uns bewusst querfeldein in Richtung Silbersee geführt. In etwa einer halben Stunde erreichen wir den See, etwas weiter westlich mündet er in einen Fluss, den können wir über eine kleine Brücke überqueren und weiter nach Süden in Richtung der Gespaltenen Jungfrau reisen. Auf diese Weise umgehen wir die Patrouillen der Stewarker.“
Henderson nickte eifrig. Huci hatte einen ausgezeichneten Orientierungssinn und Schnüffelpfote würde sie rechtzeitig warnen, sollten sie sich einer Gefahr nähern.
Caarelia war den bisherigen Marsch hinweg recht ruhig gewesen. Ihr Gang war schleppend und ihr Kopf nickte mehrmals hin und her, selbst Lord Streifenwind musste sich bemühen, nicht aus ihrem Dutt geschleudert zu werden. Henderson konnte sich denken, was los war. Sie hatte nicht genug Fettreserven. Sie war ausgezehrt und der Schnaps letzte Nacht hatte ihr den Gnadenstoß verpasst. Das entging auch Huci nicht, die ihren Tornister um ein paar Streifen getrocknetes Fleisch erleichterte und an ihre Reisebegleiter verteilte. Lord Streifenwind bekam ein paar Kastanien ab, die konnte man immer dabeihaben. Geröstet schmeckten sie auch Henderson vorzüglich.
„Was ist eigentlich eure Leibspeise?“, wollte Henderson wissen, um Caarelia etwas in die Unterhaltung zu integrieren. Allerdings kam ihm Huci zuvor.
„Du stellst Fragen! Die Antwort müsstest du doch kennen. Hier, vielleicht hilft dir das hier auf die Sprünge.“
Sie krempelte ihren linken Ärmel hoch und offenbarte die Tätowierung eines wilden Bären. Die kannte Henderson noch nicht.
„Bärenfleisch? Das ist doch zäh …“
„Lachs! Bären lieben Lachs, genau wie ich.“
Sie verpasste Henderson einen Klaps mit dem Handrücken. Er errötete ein wenig. Stimmt, ihr Räucherlachs war legendär. Früher hatte sie ihr Lager immer in der Nähe des Silbersees aufgeschlagen, da gab es öfter Fisch.
„Für mich geht nichts über Fleisch“, sagte Henderson und biss dabei herzhaft von seinem Streifen Trockenfleisch ab. „Am liebsten Schwarz- oder Rotwild. Habt ihr schon mal Gehirn probiert? Eine Delikatesse!“
Huci rümpfte die Nase, während Caarelias Gesicht einen leichten Grünstich annahm. Oje, war das womöglich nicht das richtige Thema?
„Hab ich auch mal probiert, aber schlauer wird man davon nicht“, meinte Huci und legte ihren Arm nun um Caarelia. „Und was ist mit dir? Honigkuchen?“
Henderson war nicht sicher, ob es sich bei Honigkuchen um eine Schätzung oder einen peinlichen Spitznamen handelte. Er traute Huci beides zu.
-
Lehrling
Waldstück nahe Stewark
Die ersten Anzeichen des Tages brachen gerade erst an, als Thorek seine Habseligkeiten sorgfältig prüfte. Sein Jagdmesser war geschärft, und die kleinen Fallen, die er mit sich führte, waren vollständig und in gutem Zustand. Zufriedenheit machte sich in ihm breit, denn er war entschlossen, sein Versprechen zu halten.
Das Gasthaus war still, nur ein schwaches Licht schimmerte aus der Küche, wo der Wirt mit den Vorbereitungen für den Tag beschäftigt war. Thorek nickte ihm zum Abschied zu und schritt durch die Gassen von Stewark, die noch im Dämmerlicht lagen. Die Stadt war ruhig, und nur die leisen Schritte seiner Stiefel hallten von den Steinwänden wider.
Er erreichte das Stadttor, die Wachen musterten ihn kurz, hielten ihn jedoch nicht auf. Ein müdes Nicken reichte, um ihn passieren zu lassen. Kaum war er durch das Tor, empfing ihn die kühle, frische Luft der Morgendämmerung. Der Wald lag nicht weit vor ihm, und Thorek atmete tief durch, bevor er sich in die Richtung der Bäume aufmachte.
Das nahegelegene Waldstück war Thorek vertraut. Er hatte hier schon oft gejagt, auch wenn die Beute nicht immer reichlich gewesen war. Die dichten Bäume und das weiche Moos unter seinen Stiefeln verschluckten seine Schritte, während er tiefer in den Wald vordrang. Die Geräusche der erwachenden Natur – Vogelrufe, das Rascheln von Blättern im Wind – begleiteten ihn, während er die Umgebung aufmerksam beobachtete.
Thorek fand einen vielversprechenden Ort, an dem Spuren kleiner Tiere im weichen Boden sichtbar waren. Mit geübten Bewegungen richtete er eine seiner Fallen ein, überprüfte die Mechanik und tarnte sie mit Laub und Zweigen. Weiter ging es, immer auf der Suche nach weiteren geeigneten Stellen. Zwei weitere Fallen platzierte er entlang von Wildpfaden, die er an aufgewühltem Boden und zerbrochenen Ästen erkannte.
Die Sonne stieg langsam höher, als Thorek weiter durch den Wald wanderte. Plötzlich entdeckte er frische Spuren, die seine Aufmerksamkeit erregten. Tiefe Abdrücke im Boden und umgewühltes Laub deuteten darauf hin, dass ein Wildschwein hier vorbeigekommen war. Seine Sinne waren sofort geschärft, und er begann, den Spuren zu folgen.
Nach einiger Zeit entdeckte er das Tier in einer kleinen Lichtung. Das Wildschwein wühlte mit seinem kräftigen Rüssel im Boden und suchte nach Nahrung. Thorek beobachtete es aufmerksam aus der Deckung heraus. Sein Jagdmesser war bereit, aber er wusste, dass er vorsichtig sein musste. Wildschweine konnten gefährlich werden, wenn sie sich bedroht fühlten.
Langsam und lautlos näherte er sich, Schritt für Schritt. Doch just in dem Moment, als er eine günstige Position erreichte, trat er versehentlich auf einen trockenen Ast, der laut knackte. Das Wildschwein schreckte auf, hob den Kopf und stieß ein warnendes Schnauben aus. Ehe Thorek reagieren konnte, setzte es sich in Bewegung und verschwand im Unterholz, bevor er die Chance hatte, es zu erlegen.
Thorek fluchte leise, aber nur kurz. Enttäuschung machte sich in ihm breit, doch er wusste, dass die Jagd nicht immer erfolgreich war. Seufzend richtete er sich auf, strich die Erde von seinen Hosen und beschloss, die Fallen später zu überprüfen. Vielleicht würde ihm dort ein kleiner Erfolg vergönnt sein. Mit wachen Sinnen und einem leichten Lächeln auf den Lippen setzte er seinen Weg fort – es war erst der Anfang seiner Jagd.
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
|