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Wettbewerbsbeitrag von Xrystal
Wettbewerbsbeitrag von Xrystal
~ Fancy title coming soon ~
Diese Geschichte nimmt am »Schreim naoch Buchstohm 7« teil. Die zugehörigen Vorgaben befinden sich hier.
Die Buchstabenzuordnungen:
Geändert von Xrystal (01.10.2023 um 17:28 Uhr)
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E I N S
Marek
»He Marek, du alter Seebär! Lässt du dich auch mal wieder bei mir blicken!«
Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen hält Alfons mir seine rechte Hand hin. Die linke umklammert den Griff einer Spitzhacke. Alfons stützt sich auf ihr ab, als wäre sie ein Gehstock.
»Wer ist hier alt?«, kontere ich und schlage ein. »Du prahlst doch immer damit, dass du schon zu Zeiten von König Rhobar I. zur See gefahren bist.«
»Und wir wissen beide, dass die Welt damals eine bessere war.«
Alfons Grinsen wird breiter. Seine Zähne blitzen, obwohl sich Staub und Dreck darauf befinden. In der oberen Reihe klafft eine breite Lücke. Alfons hat mir mal erzählt, dass sich da früher ein Goldzahn befunden hat. Die Gardisten haben ihm den Zahn ausgeschlagen, als er gerade frisch am Austauschplatz angekommen war.
Das muss nun ein paar Jahre her sein. Alfons ist schon länger hier in der Kolonie. Schon seit ihrer Anfangszeit. Bevor er hineingeworfen wurde, hat er die Meere der Welt vom Bug eines Piratenschiffs aus unsicher gemacht. Das war es auch, was uns von Anfang an miteinander verbunden hat, obwohl Alfons mehr als doppelt so alt ist wie ich.
Wir beide kennen und lieben die raue See, aber wir haben sie unter verschiedenen Flaggen bereist - Alfons als Pirat, ich als einstiges Mitglied der königlichen Armee. Außerhalb der Barriere wären wir Feinde gewesen, aber hier, inmitten von Räubern, Mördern und noch viel übleren Verbrechern, gelten andere Regeln. Hier sind Alfons und ich Freunde.
Freunde, die einander helfen. Genau deshalb bin ich hierher gekommen, runter bis in die fünfte Ebene, rein in den rechten Minenstollen, den außer Alfons kaum jemand betritt, weil man hier das Zischen der Minecrawler besonders laut zu hören kriegt.
»Du, Alfons ...« Wie von alleine beginnen meine Finger damit, am Saum meines Buddlerhemds zu fummeln. Nur mit Mühe schaffe ich es, Alfons direkt anzusehen. »Ich ... glaub, ich hab ein Problem. Und ich brauche deine Hilfe dabei.«
»Worum geht’s?«
»Das Bier ist alle.«
»Oh.« Alfons hebt die Spitzhacke. »Das ist schlecht.«
»Ja. Besonders, weil ich das letzte getrunken habe. Jetzt sind ein paar Leute stinkig deswegen. Oleg hat sogar gedroht, mir die Zunge abzuschneiden, wenn ich nicht bis morgen früh neues beschafft habe.«
»Keine Sorge. Hier in der Mine weiß doch eh niemand, wann Tag und wann Nacht ist.«
»Genau deshalb mache ich mir ja Sorgen. Was hindert Oleg oder einen der anderen Buddler daran, zu beschließen, dass jetzt ein neuer Morgen anbricht und ich mir meine Tracht Prügel verdient habe?«
»Haben die Gardisten noch Bier?«
»Du meinst in ihrem Lager?«
»Ja. Wenn da noch was ist, könntest du es ihnen klauen.«
Ich schlucke. »Bist du lebensmüde? Ich kann doch nicht einfach so ins Vorratslager der Gardisten spazieren und ihr Bier mitnehmen.«
»An den Gardisten vorbeizukommen ist leicht. Diese Scavengerhirne haben doch keine Ahnung, was links und rechts von ihnen geschieht. Wirklich schwer wird es erst, wenn sie das Bier in verschlossenen Kisten lagern. Die musst du dann aufbrechen und zwar so, dass es niemand merkt.«
»Und wie kriege ich das hin?«
»Mit einem Dietrich. Jedenfalls, wenn du Schlösser knacken kannst.«
»Kann ich nicht.«
»Hm.« Alfons legt eine Hand an sein Kinn. Einen Augenblick lang scheint er innerlich etwas abzuwägen, dann seufzt er plötzlich. »Weißt du was? Ich helfe dir. Aber du musst mir Anschluss daran einen Gefallen tun.«
»Welchen?«
»Verrat ich dir später.« Wieder grinst er, aber diesmal liegt darin etwas Schelmisches. »Geh schon mal hoch. Wir treffen uns gleich vor den Schlafplätzen.«
*****
Alfons
Stahl trifft auf Erz. Blauschimmernde Brocken segeln hinab auf den Boden, direkt zu meinen Füßen. Ich sehe nur kurz hin, dann wende ich meinen Blick wieder auf den Ausgang des Minenstollens, in dem ich mich befinde.
Marek ist mittlerweile außer Sichtweite. Kurz lausche ich in die Dunkelheit hinein, höre jedoch nichts. Keine Schritte und selbst die Minecrawler sind heute außerordentlich still. Vielleicht ist das sogar ein schlechtes Omen. Ein Zeichen dafür, dass ich Marek doch nicht helfen sollte. Ich mag den Burschen, aber weil er vor seiner Zeit hier im Minental in der königlichen Armee gedient hat, fällt es mir manchmal schwer, ihm wirklich zu vertrauen.
Ich lehne meine Spitzhacke an die Wand und sammle die Erzbrocken vom Boden auf. Etwa die Hälfte davon lasse ich in einen Lederbeutel sinken. Das ist der Teil, den ich später bei den Gardisten abgeben werde. Im Vergleich zu dem, was die anderen Buddler hier schürfen, ist das wenig, aber ich habe die Rolle eines alten, gebrechlichen Mannes soweit perfektioniert, dass niemand Fragen stellt. Hauptsache, ich gebe überhaupt etwas ab.
Ich binde den zur Hälfte gefüllten Lederbeutel an meinen Gürtel, dann lasse ich die restlichen Brocken in meine Hosentaschen gleiten. Niemand wird je erfahren, dass ich mir einen guten Teil des geschürften Erzes in die eigenen Taschen stecke, weil niemand je von meinem kleinen Versteck erfahren wird. Der Gedanke allein macht mich so glücklich, dass ich grinsen muss.
Kurz halte ich inne und lausche wieder, um mich noch ein letztes Mal zu vergewissern, dass sich wirklich niemand außer mir hier auf der fünften Ebene befindet. Dann setze ich mich in Bewegung, tiefer in den Stollen hinein.
Es wird dunkel um mich herum. Stockfinster sogar. Meine Hand streift über die raue Felswand, bis sie schließlich auf einen Spalt trifft. Hier ist er. Der Eingang zu meiner Schatzkammer.
Ich halte den Atem an. Mache meinen Bauch so flach wie möglich. Es hilft, dass ich ohnehin schon dürr und sehnig bin, andernfalls würde ich wohl kaum durch den schmalen Spalt passen. Trotzdem kratze ich mir die Haut an meinen Schultern auf, als ich mich an der unebenen Felswand vorbei nach vorne quetsche.
Ich schaffe es auf die andere Seite. Sofort japse ich nach Luft, was nicht viel bringt. Hier drinnen ist es noch stickiger als in allen anderen Teilen der Mine. Aber das ist in Ordnung, denn ich halte mich ja nur kurz hier auf.
Das Geheimversteck hinter dem Spalt ist meine persönliche Schatzkammer. Auf einer morschen Kiste befindet sich eine Lampe, in der sich ein kleines Irrlicht befindet. Das arme Kerlchen sitzt darin gefangen wie in einem Käfig und die ihm innewohnende Magie spendet gerade genug Licht, um meine Schatzkammer auszuleuchten.
Kurz erwäge ich, die Irrlichtlampe mit nach draußen zu nehmen, immerhin hilft sie mir im alten Lager dabei, nachts in die Hütten der Schatten und Gardisten einzubrechen. Andererseits ist das Vorratslager der Gardisten hier in der Mine sehr gut beleuchtet und die Lampe mitsamt Irrlicht ist eigentlich auch viel zu wertvoll, um sie für ein paar Flaschen Bier zu riskieren.
Bei einem meiner kürzlichen Raubzüge hat mir das Lämpchen sogar dabei geholfen, ein teures Einhandschwert zu erbeuten. Ein Unikat, mit hübschen Ornamenten, das speziell für einen Schatten namens Whistler angefertigt wurde.
Der Gedanke lässt mich schnauben. Whistler. Ein ... Schatten. Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet er sich Gomez’ Leuten anschließen würde. Whistler, der immer am lautesten über die fetten Erzbarone gemeckert hat. Der stets davon sprach, wie unfair es ist, dass sich die Gardisten unser hart verdientes Erz in die Taschen stecken, um sich davon unnötigen Luxus zu leisten. Ausgerechnet dieser Whistler hat sich, kaum, dass er Schatten geworden war, ein teures Schwert mit Ornamenten anfertigen lassen. Und genau deshalb hat es mir auch so verdammt gut getan, es ihm nur wenige Tage später zu entwenden.
Nun liegt das Schwert hier in meiner Schatzkammer, zusammen mit ein paar anderen Waffen. Ich habe nicht vor, es jemals zu benutzen, weil ich kein Schwertkämpfer bin. Die Waffen meiner Wahl waren schon immer Messer und Dolche.
Trotzdem sollte ich mich bewaffnen. Nur zur Sicherheit, immerhin weiß ich nicht, wie gut oder schlecht Marek sich bei einem Diebstahl anstellt. Wenn es hart auf hart kommt brauche ich etwas, um mich zu verteidigen. Der Einhänder mit den Ornamenten ist sicher eine Option, aber angesichts meiner spärlichen Schwertkampfkünste definitiv keine gute.
Die bessere Option ist das Assassinenmesser, das mir vor einigen Wochen in die Hände gefallen ist. Auf den ersten Blick ist es völlig unscheinbar. Ein einfacher Stock, kaum mehr als ein etwas zu kurz geratener Knüppel. Aber wenn man das Geheimnis dieser Waffe kennt ...
Ich greife in meine Waffenkiste und ziehe es hervor. Raues Holz schmiegt sich an meine Handfläche, während mein Daumen den kleinen Knopf sucht, der sich zwischen all den Unebenheiten und Rillen verbirgt. Als er ihn findet, schießt blitzschnell eine Klinge hervor.
Das Assassinenmesser ist perfekt, um jemanden zu erdolchen. Besonders hier im Minental, wo kaum jemand solche raffinierten Waffen kennt. Eine scharfe Klinge zu haben, mag hier bereits ein großer Vorteil sein. Eine seltene Klinge dagegen, eine, mit der niemand rechnet und die niemand zu kontern vermag, ist ein waschechter Garant für ein einfaches Leben in der Kolonie.
Vielleicht wird es an der Zeit, das Assassinenmesser wieder mitzunehmen. Ich leere meine Hosentaschen und verstaue die Erzbrocken, die ich nicht an die Gardisten abdrücken möchte, in einer kleinen Schatulle, die sich neben der Irrlichtlampe befindet. Dann krame ich einen Dietrich hervor und schiebe ihn, zusammen mit dem Assassinenmesser, in meine Hosentasche. Anschließend verlasse ich meine kleine Schatzkammer, geradewegs zurück zum Minenstollen auf Ebene fünf.
*****
Marek
Ausgerechnet hier vor den Schlafplätzen zu warten ist mir höllisch unangenehm. Von Oleg fehlt zum Glück jede Spur, aber die übrigen Buddler werfen mir derart fiese Blicke zu, dass mein ganzer Körper zittert. Hoffentlich kommt keiner von ihnen auf die Idee, sich für das leergetrunkene Bier an mir zu rächen.
Unruhig trete ich von einem Fuß auf den anderen, als endlich Alfons erscheint. Er humpelt den Holzsteg entlang, der die unteren Ebenen mit den Schlafplätzen verbindet. Seine Spitzhacke hat er nicht mehr dabei. Vermutlich liegt sie noch im Minenstollen auf Ebene fünf, dort, wo sie sowieso niemand von ihm stehlen wird.
Ich muss schlucken. Stehlen. Das ist es, was Alfons vorhat. Er will das Bier aus dem Vorratslager der Gardisten stehlen. Einfach so. Als wäre es das Einfachste der Welt. Mir wird schwindelig.
Alfons schließt zu mir auf. Seine knochige Hand legt sich auf meine Schulter, während seine Lippen ihren Weg an mein Ohr finden.
»Also dann«, flüstert Alfons viel zu gut gelaunt. »Lass uns zum Lager gehen und das Bier beschaffen.«
Gemeinsam laufen wir los. Ich sehe zu meinem Freund, der zielstrebig den Steg zur nächsten Ebene ansteuert. Meine Mundwinkel zucken nervös.
Ich hoffe, Alfons hat einen Plan.
Geändert von Xrystal (17.09.2023 um 18:45 Uhr)
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Z W E I
Alfons
Marek bleibt stehen, schon zum gefühlt hundertsten Mal, seit wir uns vor den Schlafplätzen getroffen haben. Wir sind noch gar nicht weit gekommen, nur bis zur zweiten Ebene. Das Lager der Gardisten befindet sich auf der ersten, direkt unterhalb der Erdoberfläche.
»Was ist denn?«, frage ich genervt. Ich stoppe, nur wenige Schritte von Marek entfernt. »Hast du Schiss, dass die Gardisten uns erwischen? Ich hab dir doch schon gesagt, dass die Scavengerhirne -«
»Psst.«
»Was?«
»Psst!« Marek hält sich einen Finger vor die Lippen und starrt mir nachdrücklich an.
Was hat er denn jetzt? Hier ist doch niemand. Die zweite Ebene wird schon seit Jahren nur noch als Durchgang zwischen den unteren und den oberen Teilen der Mine genutzt. Links und rechts von uns erstrecken sich zwar ein paar Stollen, aber die sind so leer und verlassen, dass sich mittlerweile dichte Staubnetze an den Wänden entlang spannen. Manchmal frage ich mich, welche Mistviecher für diese Netze verantwortlich sind. Minecrawler können es nicht sein, die sitzen tiefer in der Mine. Vielleicht also Fleischwanzen?
Oder ... Lurker?
Denn genau das ist es, was ich Sekunden später höre. Den dröhnenden Ruf eines Lurkers.
»Scheiße, wieso ist denn ein Lurker hier in der Mine?«
»Keine Ahnung«, sagt Marek schnell. Er wirkt richtig panisch. »Vielleicht hat er sich von draußen hierher verirrt.«
»Nee. Das hätten die Gardisten gemerkt.«
»Du sagst doch ständig, dass die Gardisten Scavengerhirne sind, die nicht merken, was rechts und links von ihnen geschieht.«
»Auch wieder wahr.«
»Sollen wir das melden?«
»Was?«
»Na, den Lurker.« Marek schluckt. »Vielleicht ist hier irgendwo ein Nest oder sowas. Lurker sind aggressiv, oder? Und gefährlich.«
»Nicht so gefährlich wie Minecrawler«, sage ich und schiebe gleichzeitig eine Hand in meine Hosentasche. Meine Finger schließen sich um das raue Holz des Assassinenmessers. Ich will nicht gegen den Lurker kämpfen, auf gar keinen Fall, aber wenn es doch sein muss, will ich das Messer wenigstens griffbereit haben. »Er kommt näher.«
»Ja. Ich hör’s ja.«
»Sollen wir weiter?«
»Wohin?«
»Na, nach oben.« Mit der freien Hand deute ich auf die Ebene über uns. »Wir sind immerhin auf einer Mission, schon vergessen?«
»Nee. Aber -« Mareks Blick haftet am Minenstollen, aus dem die Lurkergeräusche kommen. Plötzlich zieht er sein Schwert. Ein altes und rostiges, das er angeblich in der Nähe des Austauschplatzes gefunden hat. »Wenn es nur ein Lurker ist, können wir gegen ihn kämpfen, oder?«
»Wieso willst du denn gegen ihn kämpfen?« Was ist denn jetzt los? »Lass den doch einfach hier verrotten. Lurker brauchen Wasser zum Überleben. Hier in der Mine hält der doch sowieso nicht lange durch.«
»Seemänner brauchen auch Wasser zum Überleben, trotzdem sind wir beide noch hier.«
»Wir verrotten einfach nur langsamer.«
»Langsamer als Lurker?«
»Offensichtlich.«
»Aber -« Marek umklammert sein Schwert fester. »Was, wenn der Lurker in die unteren Ebenen vordringt? Zu den Schlafplätzen? Er könnte die Buddler dort im Schlaf zerfetzen!«
»Na und? Wenn du Glück hast, erwischt er sogar Oleg.«
»Oleg hätte das verdient.« Kurz strauchelt Marek, aber dann begibt er sich doch noch in eine entschlossene Kampfposition. »Die anderen Buddler aber nicht. Ich lasse nicht zu, dass dieser Lurker unschuldige Leute tötet.«
»Unschuldig ist hier in der Kolonie doch niemand.«
»Ich bin unschuldig!«
»Du hast dich deinen Befehlen widersetzt.«
»Ja, um Menschenleben zu retten.«
»Zwei alte Fischer und ungefähr zweihundert Piraten, die jetzt meuchelnd durch die Meere segeln.«
»Du weißt doch gar nicht, ob die noch meucheln.«
»Stimmt. Ich weiß aber, dass du dich deinen Befehlen widersetzt hast und deswegen jetzt hier in der Kolonie festsitzt. So viel also zum königstreuen Soldaten und Retter der Menschheit.«
»Och, ich wär gerne der Retter der Menschheit.«
»Rette erstmal deinen eigenen Arsch. Dein Lurker kommt nämlich.«
»Scheiße.«
Panisch reißt Marek die Augen auf. Unser Gespräch hat ihn offenbar so abgelenkt, dass er gar nicht bemerkt hat, wie nah ihm der Lurker mittlerweile ist. Mit einem tiefen Brüllen springt er aus dem Minenstollen hervor, direkt auf Marek zu.
Der weicht zum Glück aus. Elegant springt er zur Seite und findet sofort einen sicheren Halt. Kämpfen kann der Bursche ja. Der Lurker leider auch. Er schlägt mit seiner Pranke nach Marek und verfehlt nur ganz knapp dessen Schulter.
Ich ziehe das Assassinenmesser hervor. Gerade, als ich den Knopf finde, um die Klinge auszufahren, stürmt Marek um den Lurker herum. Blitzschnell hebt er sein Schwert, um es direkt in die Flanke der Kreatur zu stoßen.
Ich halte den Atem an, glaube kurz, dass Marek den Lurker just in diesem Moment niederstreckt - dann bricht sein Schwert. Rostiges Metall scheppert zu Boden und hinterlässt nur noch einen unbrauchbaren Schwertgriff in Mareks Händen.
Der Lurker scheint nicht mal einen Kratzer abbekommen zu haben. Ungerührt stürzt er sich auf seinen Widersacher und holt mit seiner Pranke aus. Blut spritzt. Marek schreit. Ich stürme los.
Ein geschickter Stich, direkt am Schwanzansatz des Lurkers, lässt diesen aufheulen. Er rückt von Marek ab, dreht sich zu mir und brüllt mir geradewegs ins Gesicht. Stinkender Speichel tropft auf meine Wangen und ich kräusel die Nase.
Trotzdem nutze ich den Moment, um das Assassinenmesser in den Hals des Monsters zu stoßen. Die Klinge bohrt sich durch gelbgrüne Schuppen, leider nicht tief genug, um ihn lebensbedrohlich zu verletzen. Aber es reicht, damit der Lurker sich geschlagen gibt. Er zieht seinen Kopf zurück, wimmert elendig und verschwindet kurz darauf zurück in den Minenstollen, aus dem er gekommen ist.
Marek liegt blutend auf dem Boden. An seiner Schulter klafft eine Wunde, geformt wie die Klauen eines Lurkers. Der ganze Arm zuckt und ein paar Fetzen seines Buddlerhemds liegen klamm auf seiner Haut.
Ich lasse mein Messer zurück in meine Hosentasche gleiten, dann beuge ich mich zu Marek. Er krümmt sich vor Schmerzen, aber auf seinem Gesicht zeichnet sich seltsamerweise ein Grinsen ab.
»Du hast nicht zufällig einen Heiltrank dabei?«, fragt er.
»Nee. Aber vielleicht finden wir was bei den Gardisten.«
»Du willst immer noch ins Lager?«
»Du nicht?«
»Weiß nicht.« Sein Blick flackert. »Immerhin verblute ich gerade.«
»Tust du nicht.«
»Tu ich wohl.«
Seufzend greife ich nach dem Saum seines Buddlerhemds. Ich zerre am Stoff, bis ich einen dicken Streifen davon gelöst kriege. Diesen binde ich um Mareks Schulter, so eng, dass er vor Schmerz aufschreit.
»Du musst mich tragen«, sagt Marek dann. Seine Stimme klingt staubig.
»Muss ich nicht.«
»Doch.«
»Nein.«
»Hilfst du mir wenigstens beim Aufstehen?«
Ich reiche ihm meine Hand, dann ziehe ich ihn auf die Füße. Marek schwank dabei. Er blinzelt, so als hätte ihn irgendetwas geblendet, aber dann findet er doch noch einen stabilen Halt. Sein Blick ruht wieder auf dem Minenstollen. Kein einziger Laut dringt daraus hervor, fast so, als wäre der Lurker nie da gewesen.
»Willst du dem Mistvieh hinterher?«, frage ich.
Marek schüttelt den Kopf. »Scheiße, nein. Auf gar keinen Fall.«
*****
Faradai
Ich kannte den Gardisten mit der fetten Narbe auf der Glatze. Ich weiß nicht mehr genau, wie er hieß, aber ich kannte ihn. Er war derjenige, der mir vor drei Wochen eine verpasst hat. Drüben am Austauschplatz, als ich gerade erst hier reingeworfen wurde. Damals war er noch mit drei anderen Draufgängern unterwegs.
Jetzt ist er tot.
Begraben von einer Lawine aus Stein und Geröll. Er ist nicht der einzige, den es erwischt hat. Ein halbes Dutzend Leichen liegen hier herum, zwischen geborstenen Stützbalken, kaputten Kisten und Waren aus der Außenwelt, die durch den Staub kullern als wären sie Bälle.
Außer mir sind doch drei weitere Buddler hier. Zwei von ihnen durchsuchen die Taschen der toten Gardisten, der dritte räumt das Geröll von ein paar Kisten, die den Einsturz auf wundersame Weise überstanden haben.
»He Leute!«, ruft er einen Moment später. »Ich hab Bier gefunden!«
»Haha, sehr gut!«
Einer der Buddler, die sich neben die Leichen gehockt hatten, steht auf. Sein Name ist Oleg, das weiß ich mittlerweile. Die Namen der anderen beiden kenne ich nicht. Ich bin aber auch erst seit vier Tagen hier in der Mine. Oder sind es schon fünf? Hier drin ist es schwer, die Stunden zu zählen.
Ein plötzliches Knacken reißt mich aus den Gedanken. Ich wende meinen Blick von Oleg ab und richte ihn auf einen der Stützbalken, die noch intakt sind. Oder es zumindest waren, denn jetzt gerade bildet sich im morschen Holz ein feiner Riss, aus dem wenige Tropfen Wasser herausfließen.
»Leute!«, rufe ich, aber keiner hört mir zu. »Leute, ich glaub, die Mine stürzt noch weiter ein! Wir müssen hier weg!«
*****
Marek
»Wir müssen hier weg!«
Die panische Stimme des Buddlers lässt mich hochschrecken. Aus der Ferne sehe ich, wie der Typ hektisch gestikuliert. Ein paar Schritte von ihm entfernt ist das reinste Chaos ausgebrochen. Offenbar ist die Decke oberhalb des Vorratslagers eingestürzt.
»Faradai, mein Guter!« Alfons geht auf den panischen Buddler zu und reicht ihm die Hand. »Sieht aus als hätten wir hier was verpasst.«
»So einiges.«
Ich schließe zu den beiden auf. »Was ist passiert?«
»Ein Teil der Mine ist eingestürzt«, sagt Faradai. Seine Lippen zittern dabei so heftig, dass selbst die feinen Härchen seines Vollbarts dabei wippen. Seine Augen sind geweitet und sehen direkt zu mir. »Die gute Nachricht ist, dass Oleg Bier gefunden hat. Er wird dich also erstmal nicht töten.«
»Oh, sehr gut.« Das war ja einfach. »Und die schlechte?«
»Du wirst trotzdem sterben.«
»Oh.«
Mehr bringe ich nicht hervor. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass ich noch mehr sagen oder wenigstens panischer reagieren sollte, aber ich kann nicht. Mein Hirn ist völlig benebelt. Egal, was Alfons sagt, ich bin mir verdammt sicher, dass ich gerade verblute. Oder zumindest, dass ich durch meine Verletzung so viel Blut verliere, dass ich nicht mehr klar denken kann. Ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ich in Ohnmacht falle.
Aber wenigstens hat Oleg sein Bier. Jetzt gerade wirkt er sogar richtig freundlich. Mit einem breiten Grinsen im speckigen Gesicht torkelt er auf uns zu. Schwungvoll legt er seinen rechten Arm um Faradais Schulter, wobei ein großer Schwall Bier aus seiner Flasche schwappt und sich quer über Faradais Brust verteilt. Egal, Oleg hat ja noch eine zweite Flasche in der linken Hand.
»Ist echt nicht dein Glückstag, was?«, sagt er zu mir. »Was haste denn da anner Schulter?«
»Ist nur ein Kratzer«, lüge ich.
»Von nem Minecrawler?«
»Lurker.«
»Marek wollte den Helden spielen.« Alfons grinst mich neckend an. Mistkerl.
»Von einem Lurker?!« Faradai reißt seine Augen noch weiter auf. Hätte gar nicht gedacht, dass das überhaupt möglich ist. »Das ist ... das ist nicht gut. Das ist sogar eine völlige Katastrophe.«
»Wieso?« Oleg trinkt einen Schluck aus seiner Flasche. Der linken.
Irgendwie schafft es Faradai, sich aus Olegs Umarmung zu befreien. Hektisch deutet er auf den Stützbalken, neben dem wir stehen. Erst jetzt sehe ich, dass ein paar Stellen im Holz gebrochen sind. Ein paar andere sind seltsam feucht. Wo kommt denn das Wasser her?
»Versteht ihr denn nicht?«, fragt Faradai panisch. »Wir befinden uns hier auf Ebene eins. Die Stollen hier liegen direkt unter der Erdoberfläche.«
»Ist doch gut«, sagt Oleg. »Wenn da jetzt ein Loch ist, kommen wir mal wieder an die frische Luft.«
»Über uns befindet sich aber keine frische Luft, sondern Wasser.«
»Ein Fluss?« Alfons runzelt die Stirn. »Ist das nicht gefährlich, einen Tunnel direkt unter einen Fluss zu graben?«
»Ist es«, sagt Faradai. Seine Stimme quietsch mittlerweile. »Ehrlich gesagt wundert es mich, dass die Mine überhaupt so lange durchgehalten hat.«
»Und weiter?«, frage ich und komme mir dabei wie ein Trottel vor. Vielleicht sollte ich mich doch erstmal ausklinken und nach einem Heiltrank suchen. Wenn ich nicht mehr blute, kann ich dem Gespräch vielleicht besser folgen.
Andererseits wirkt Oleg auch nicht gerade so, als würde er verstehen, worum es geht. Alfons dagegen schon. Angespannt schaut er zum Stützbalken.
»Es sind bereits mehrere Balken eingestürzt«, erklärt Faradai weiter. »Ich glaube, wenn der hier auch noch bricht, dringt der Fluss endgültig in die Mine ein. Und das bedeutet, dass hier alles innerhalb kürzester Zeit unter Wasser steht.«
»Wir sollten die Mine also schleunigst evakulieren«, sagt Alfons. Wenigstens einer, der etwas Sinnvolles hierzu beiträgt.
Faradai nickt. »Sollten wir. Das Problem ist allerdings, dass die Gardisten, die den Einsturz überlebt haben, ähnlich wie ... Nun eben wie Oleg denken.«
»He!«, ruft Oleg empört. »Was meinst du jetzt damit?«
Ein Seufzen dringt aus Faradais Kehle. So langsam wirkt er nicht mehr panisch, sondern genervt. »Damit meine ich, dass die Gardisten den Ernst der Lage genauso wenig begreifen wie du.«
»Aber brauchen wir die Gardisten überhaupt?«, frage ich. »Wir müssen doch einfach nur allen Leuten hier Bescheid sagen und uns dann nach draußen begeben.«
»Theoretisch ja«, sagt Faradai. »Praktisch sind die Gardisten aber fest davon überzeugt, dass irgendwer die Mine zum Einsturz gebracht hat. Sie vermuten einen Mordanschlag.«
»Moment, was?« So langsam werde ich doch wieder klar im Kopf. »Die Gardisten denken, dass einer von uns Buddlern die Mine absichtlich zum Einsturz gebracht hat?«
Wieder nickt Faradai. »Sie haben offenbar mitbekommen, dass uns das Bier ausgegangen ist und gehen jetzt davon aus, dass der Einsturz der Mine ein Versuch war, ihr Lager zu plündern.«
»Was ja auch geglückt ist, haha!« Oleg hebt eine seiner Bierflaschen in die Höhe, so als wolle er uns zuprosten. Während er sie freudig an seine Lippen führt, ergreift Faradai wieder das Wort.
»Jedenfalls lassen die Gardisten niemandem mehr hier raus, bis sie nicht herausgefunden haben, wer für den Einsturz verantwortlich ist.«
»Moment.« Alfons reibt sich das Kinn. »Könnte denn jemand von uns dafür verantwortlich sein?«
»Vielleicht«, gibt Faradai zu. »Allerdings glaube ich das nicht. Wie gesagt, mich wundert es, dass diese Konstruktion hier überhaupt länger als ein paar Tage durchgehalten hat.«
»Mit anderen Worten«, sage ich. »Die Gardisten halten uns hier fest, bis sie einen Schuldigen gefunden haben. Und weil sie sehr wahrscheinlich keinen finden werden ... «
» ... werden wir hier drinnen sterben.«
Seine eigenen Worte kommen wohl erst jetzt so richtig bei Faradai an. Alle Anspannung scheint von ihm abzufallen und selbst die Panik in seinen Augen verschwindet. Wie ein Häufchen Elend steht er da, den Blick zu Boden gerichtet und die Lippen aufeinandergepresst, so als würde er gerade einen riesigen Schwall Tränen zurückhalten.
»He Leute, was is’ mit Hakun?«
»Halt endlich die Klappe, Oleg ... Moment.« Schlagartig richtet sich Faradai wieder auf. »Hakun! Das ist doch der Gardist, der unten den Schmelzofen bewacht, oder?«
»Stimmt«, sagt Alfons. »Wenn das Wasser die Mine flutet, wird er hier mit uns draufgehen.«
»Wir müssen ihm also nur erzählen, was los ist und dann hoffen, dass er die anderen Gardisten davon überzeugt, die Mine zu evakuieren.«
»Oder uns wenigstens rauszulassen.« Alfons schnaubt. »Ein Versuch ist es wert.«
»Dann auf zum Schmelzofen!«, brüllt Oleg. Saufend torkelt er voran.
*****
Hakun
Der Lederbeutel in der Hand des Buddlers ist so schmal, dass ich mir nicht mal sicher bin, ob sich auch nur ein Brocken Erz darin befindet.
»Das ist alles?«, frage ich. »Dafür hast du drei Stunden gebraucht?«
»K-K-Keine Ahnung.« Der Buddler zittert am ganzen Leib. Armer Kerl. Seine piepsige Stimme ist jedoch so nervig, dass sich mein Mitleid mit ihm in Grenzen hält. »I-Ich weiß nicht, wie lange ich geschürft habe.«
»Weißt du was, Kleiner?« Ich nehme den Sack an mir. »Du hast Glück. Ich habe heute einen guten Tag, deshalb werde ich jetzt einfach so tun, als hätte unser Gespräch nicht stattgefunden.«
»W-Was meinst du damit?«
»Na ganz einfach. Du gehst zurück zu deiner Spitzhacke und fängst an zu schürfen. Wenn du in einer Stunde nicht mit einem vollen Beutel wiederkommst, schicke ich meine Freunde vorbei. Die schauen dann mal, was du so treibst.«
»A-Aber ich brauch eine Pause.«
»Geh jetzt. Bevor ich’s mir anders überlege.«
Der Buddler zögert, aber er gehorcht mir. Niedergeschlagen dreht er sich um und geht.
»Guck nicht so traurig!«, rufe ich ihm hinterher. »Sei lieber froh, dass du noch lebst!«
Ich gebe zu, ein wenig Spaß macht es mir ja schon, die Buddler zu schikanieren. Es gibt zwei Arten von ihnen: Diejenigen, die zu schwach und zu schüchtern sind, um sich dagegen zu wehren und die anderen, die sich nicht von uns Gardisten einschüchtern lassen.
Buddler von der ersten Sorte sind mir am liebsten. Sie sind der unterhaltsamste Zeitvertreib, den es in dieser verdammten Kolonie gibt. Meistens sogar der einzige, es sei denn, ich habe Glück und es gibt Sumpfkraut oder Bier.
Die Buddler von der zweiten Sorte ignoriere ich dagegen, jedenfalls so lange sie nicht direkt auf mich zukommen. Leider ... kommen da wirklich gerade welche auf mich zu. Vier Stück. Ich seufze.
»Was wollt ihr Ratten?«, frage ich in ihre Richtung. »Bringt ihr mir Erz?«
»Nein.«
»Dann verpisst euch.«
»Hakun, oder?« Einer der Buddler schiebt sich an seinen drei Freunden vorbei. Ein schmächtiges Kerlchen mit dichtem Bart, vollem Haar und einer viel zu nervösen Ausstrahlung. Hektisch fuchtelt er mit seinen Armen herum. »Wir müssen dich um etwas bitten. Es ist dringend.«
»Verpisst euch«, sage ich nochmal.
»Ein Teil der Mine ist eingestürzt«, sagt einer der anderen Buddler. Er wäre völlig unauffällig, wenn da nicht massig Blut an seiner Schulter kleben würde.
»Ein Teil der Mine ist also eingestürzt, ja?« Mit dem Kopf deute ich auf die blutgetränkte Schulter. »Sieht mir ganz danach aus, als wärst du nicht gerade unschuldig daran.«
»Was?« Der Kerl scheint ernsthaft irritiert. »Nein, wir haben alle nichts damit zu tun. Es ist halt einfach passiert.«
»Sicher.« Ich muss lachen.
»Faradai, erklär es ihm bitte.«
»Also.« Der zappelige Buddler mit Vollbart ergreift wieder das Wort. Ich habe keine Lust darauf, mir seine nervige Stimme anzuhören, also unterbreche ich ihn sofort.
»Mir ist es scheißegal, wer oder was eingestürzt ist. Oder warum. Und jetzt verschwindet endlich.«
»Wir werd’n sterb’n!«, ruft ein weiterer Buddler plötzlich. Gleichzeitig wirft er eine Bierflasche auf den Boden. Sie ist leer.
Der vierte aus der Truppe ist ein alter Knacker, einer, den ich auf den ersten Blick in die Kategorie schwach und schüchtern einsortiert hätte. Aber jetzt, wo er sich lässig und ohne Furcht gegen die Wand lehnt, bin ich mir nicht mehr so sicher. Der Kerl hat etwas an sich, das mir nicht gefällt. Besser, ich behalte ihn im Auge.
»Oleg hat recht«, sagt der nervöse Buddler. Faradai oder so. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber: Oleg hat recht. Wir werden alle sterben.«
»Nur wenn wir nich rauskomm’n«, nuschelt dieser Oleg. Der hatte wohl mehr als nur ein Bierchen zu viel.
»Wenn die Mine weiter einstürzt«, erklärt dieser Faradai. »Dann steht hier bald alles unter Wasser. Wir müssen also jetzt raus, wenn wir nicht ertrinken wollen.«
»Un’ mit wir bissu mitgemeint.«
Ja, klar. Als ob das passiert. »Ich glaube euch Ratten kein Wort.«
»Was?« Der Kerl mit der verletzten Schulter starrt mich so entsetzt an, als würde ich gerade rohes Wanzenfleisch verspeisen. »Aber ... Du wirst mit uns sterben, wenn du uns nicht hilfst! Verstehst du das denn nicht?«
»Nenn mir einen Grund, wieso ich so dreckigen Buddlern wie euch glauben sollte.«
»Na, weil -« Er ringt um Worte. »Du kannst doch wenigstens mir glauben. Ich ... Ich bin kein Verbrecher! Kein verlogenes Arschloch wie viele andere hier. Ich hab sogar in der königlichen Armee gedient!«
Der alte Knacker, der sich bis eben aus allem rausgehalten hat, zieht nun scharf die Luft ein. »Ganz blöde Idee, Marek.«
»Aber wieso denn? Hakun kann doch ruhig wissen, dass ich ein rechtschaffender Soldat war und deshalb nie -«
»Du glaubst ernsthaft«, falle ich ihm ins Wort. »Dass ich einem dreckigen Soldaten wie dir glaube? Wenn es eine Sache gibt, die schlimmer ist als euer klägliches Dasein als Buddler, dann sind das Aufschneider wie du, die denken, dass sie unschuldig im Knast sitzen.«
»Aber -«
»Und jetzt verpisst euch endlich!«
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D R E I
Alfons
»Jetzt verpisst euch endlich.«
»Nein.«
Eigentlich ist es sogar recht amüsant, Faradai und Marek dabei zu beobachten, wie sie Hakun auf die Nerven gehen. Unter anderen Umständen hätte ich diesem Schauspiel noch eine ganze Weile lang zugesehen, aber leider steht mein eigenes Leben auf dem Spiel.
Vorsichtig löse ich mich von der Wand hinter mir. Mein Blick fällt auf das Kurzschwert, das sich an Hakuns Gürtel befindet. Ich bin kein Kämpfer, deshalb habe ich keine Ahnung, wie man eine solche Klinge führt, aber jemanden damit zu bedrohen sollte für mich ein Leichtes sein.
»Mann, jetzt hör uns doch wenigstens mal zu!« Faradai macht einen Schritt nach vorne, näher an Hakun heran. Für einen winzigen Moment widmet Hakun ihm seine volle Aufmerksamkeit - genau das, was ich gebraucht habe.
Ich strebe vorwärts, direkt auf Hakun zu. Bevor der überhaupt bemerkt, was gerade passiert, umklammern meine Finger bereits den Griff seines Schwertes. Ruckartig ziehe ich es aus dem Gürtel, dann halte ich die Klinge direkt an Hakuns Kehle.
Schlagartig wird es still. Oleg hat sich ohnehin schon vor Minuten ausgeklinkt, um in einer Ecke weiter hinten ein Nickerchen zu machen. Faradai und Marek dagegen sind hellwach und so panisch, als stünden sie gerade einem blutrünstigen Schattenläufer gegenüber und nicht einfach nur einem alten Mann mit einem ebenso alten Schwert in der Hand.
Plötzlich lacht Hakun auf. »Ich wusste doch, dass der alte Knacker hier mehr drauf hat, als ihr anderen drei Ratten zusammen.«
»Der alte Knacker schlitzt dir gleich die Kehle auf, wenn du seinen Freunden nicht langsam mal zuhörst.« Oder zumindest behauptet der alte Knacker das. Insgeheim bezweifle ich nämlich, dass ich jemandem die Kehle mit einem stumpfen Kurzschwert aufschneiden kann. Aber das muss Hakun ja nicht wissen. Und im schlimmsten Fall habe ich ja noch das Assassinenmesser in meiner Hosentasche.
»Ich hab euch Ratten doch zugehört. Ihr wollt euch aus der Mine verpissen, aber meine Kollegen auf der ersten Ebene lassen euch nicht raus.«
»Du verstehst nicht«, sagt Faradai. Er klingt immer noch panisch, aber auch ... vorsichtiger. So als hätte er plötzlich mehr Angst davor, einen falschen Schritt zu tun als vor der einsturzbedrohten Mine. »Wenn wir nicht alle schleunigst von hier verschwinden, werden wir sterben. Du wirst sterben, Hakun. Willst du das wirklich?«
»Nee«, sagt er. »Aber ich glaub euch ja nicht. Als ob die Mine einstürzt. Ihr Ratten seid doch einfach nur zu faul zum Schürfen und sucht jetzt eine Ausrede, um euch im Alten Lager einen faulen Lenz zu machen.«
»Hör mal.« Ich drücke die Klinge noch ein bisschen enger an Hakuns Kehle. »Mir ist es scheißegal ob du Faradai glaubst oder nicht, aber du wirst jetzt mitkommen und den anderen Gardisten sagen, dass sie uns hier rauslassen sollen.«
»Und du glaubst wirklich, dass die anderen Gardisten es einfach so zulassen werden, dass ihr Buddler einen von uns bedroht?«
»Hakun hat recht«, sagt Faradai. »Wenn wir ihn mit der Klinge am Hals nach oben bringen, käme das einer Kriegserklärung gleich. Die übrigen Gardisten würden uns angreifen. Und dann kommt keiner von uns hier raus.«
»Hast du eine bessere Idee?«
Faradai schüttelt langsam den Kopf. Stattdessen klingt sich Marek wieder ein.
»Tja, dann müssen wir Hakun wohl doch töten«, sagt er auf eine seltsam schnippische Art. So kenne ich den Burschen gar nicht.
Hakun muss wohl etwas Ähnliches denken. »Das sind ja ganz neue Töne von dir«, sagt er spöttisch. »Von wegen rechtschaffender Soldat. Du bist genauso Abschaum wie wir alle hier.«
Bevor Marek antworten kann, ergreife ich wieder das Wort. »Hakun, mein Guter. Wenn du die Gardisten nicht dazu überreden willst, uns hier rauszulassen, fällt dir doch sicher eine andere Möglichkeit ein, sie dazu zu bringen, den Weg für uns freizumachen. Ich weiß, du willst uns Buddlern nicht helfen, aber -« Ich drücke die Klinge wieder ein Stück fester an Hakuns Hals. Er versteht sofort.
»Mann, vielleicht könnt ihr sie einfach irgendwie weglocken. Oder ablenken. Was weiß denn ich?«
»Das könnte funktionieren«, sagt Faradai. »Wenn wir irgendetwas finden, womit wir die Gardisten ablenken ... Und wenn wir gleichzeitig die Buddler versammeln, damit wir alle in einem Schwung die Mine verlassen ...«
»Aber wie?«, fragt Marek.
»Minecrawler«, sage ich. »Wir könnten ein paar von ihnen nach oben locken.«
»Und dabei riskieren, dass unschuldige Buddler draufgehen?«
»Die unschuldigen Buddler sterben doch sowieso.« Mal davon abgesehen, dass niemand hier in der Kolonie unschuldig ist. Auch Marek nicht. Aber ich habe wenig Lust dazu, mit ihm darüber zu streiten.
»Ihr könntet das Nest freiräumen«, sagt Hakun plötzlich.
Moment, was? »Welches Nest?«
»In der zweiten Ebene gibt es ein Minecrawlernest«, erklärt Hakun. »Im rechten Stollen. Das Ding ist mit einem Gitter abgesperrt. Wenn ihr es öffnet, stürmen die Minecrawler raus und greifen alles an, was ihnen vor die Zangen fällt.«
»Wenn wir es öffnen«, sagt Marek.
Hakun runzelt die Stirn. »Wir?«
»Na, du kommst natürlich mit. Nicht wahr, Alfons?«
Ich grinse. »Auf jeden Fall.«
*****
Hakun
»Samma, wieso kommt’n der Faradai nich mit?«
Ich presse die Lippen aufeinander. Dieser Oleg ist ja wohl die größte Nervbratze, der ich je begegnet bin!
Alfons seufzt. »Hast du vorhin nicht zugehört? Faradai trommelt die übrigen Buddler zusammen, damit alle in Position sind, sobald die Minecrawler angreifen.«
»Ahso.« Oleg setzt seine Bierflasche an, hält dann aber inne. »Moment, was’n für Minecrawler?«
Ich setze gerade zu einer Antwort an, als Marek plötzlich zu Boden fällt. Ist er gestolpert. Was für ein Idiot! Nur mit Mühe schaffe ich es, mein Lachen zurückzuhalten. Erst Sekunden später realisiere ich, dass Marek sich überhaupt nicht mehr bewegt. Und sein Gesicht ist auch ganz schön blass.
»Scheiße, was’n jetz los?« Mit seinem Fuß stupst Oleg Mareks schlaffen Leib an.
»Vielleicht hatte er doch recht«, sagt Alfons plötzlich. »Marek verblutet gerade.«
»Hilft ‘n Bier?«
»Wenn ihr mich fragt, braucht euer Freund eher einen Heiltrank«, sage ich.
»Hab’sch nich.« Oleg zuckt mit den Schultern, dann trinkt er einen Schluck aus seiner Flasche. Endlich. Damit ist er wenigstens für ein paar Sekunden still.
»Hast du denn einen?«, fragt Alfons.
Ich stutze. »Was?«
»Na, einen Heiltrank.«
»Klar«, sage ich lachend. »Ich geh doch nicht ohne Heiltrank in einen Minenstollen. Bin doch nicht lebensmüde!«
»Dann lass Marek ihn trinken.«
»Ganz bestimmt nicht.«
»Willst du, dass ich dich dazu zwinge?« Genervt reibt sich Alfons den Nasenrücken. »Ich lass Marek nicht zurück. Entweder du trägst ihn oder du rückst deinen Heiltrank raus.«
»Nein«, sage ich.
Dann stürzt die Decke über uns ein.
*****
Leider weigerte sich Hakun, Marek seinen Heiltrank zu geben. Für den bekennenden Buddlerhasser wäre es ein viel zu großes, ja schier unüberwindbares Opfer gewesen.
Und so stürzte auch die zweite Ebene der Mine ein. Alle starben. Das Alte Lager unter der Führung der Erzbarone beschloss daraufhin, die Mine endgültig aufzugeben und das dringend benötigte Erz andernorts zu beschaffen.
Die Mine selbst wurde fortan als die Verlassene Mine bekannt. Alfons, Marek, Faradai, Oleg und selbst Hakun gerieten alsbald in Vergessenheit. Sie wurden demnach kein bekannter Teil der Annalen des Minentals von Khorinis.
Aber dafür sind sie nun auf ewig ein Teil von dir. 
Ende.
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