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    Post [Story]Tag der Crawler

    Tag der Crawler

    Vorwort
    Dies ist mein Beitrag zum Schreim naoch Bochstohm, Nummer 7!

    Spoiler mit den Zuordnungen:
    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)

    Person A: Grim
    Person B: Bloodwyn
    Person C: Ian
    Person D: Schachti

    Kreatur 1: Minecrawler

    Ort A: Wasserloch des Alten Lagers
    Ort B: Bloodwyns Versteck im umgestürzten Turm
    Ort C: Wald zwischen Altem Lager und Alter Mine
    Ort D: Wasserfall (mit versteckter Höhle unter der Brücke zwischen Neuem Lager und Alter Mine)
    Ort E: Der Buddlerschrein in der Mine

    Waffe 1: Jagdarmbrust "Lucy"
    Waffe 2: Peitsche aus Snapperleder

    Gegenstand 1: Hundepfeife "Stille Melodie"

    Hindernis 1: Der Geist in der Grube

    Problem 1: Grims Prüfung des Vertrauens
    Problem 2: Die verschütteten Bergleute retten

    Pfad 1: gewöhnlicher Nebenschacht
    Pfad 2: Röhre der Minecrawler

    Geändert von Ronsen (11.11.2023 um 14:27 Uhr)

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    „Bellamy, Gräuel, Wuffma!“
    Bloodwyn stieß unter Zuhilfenahme seiner Finger einen schrillen Pfiff aus. Die drei Hunde flitzten ihm entgegen, einer ulkiger als der andere. Bellamy führte sie an, laut und tapsig, in seinen munteren Augen tobte das Leben. Die graumelierte Hündin Gräuel sprintete hinterher. Als ihre sensible Nase jedoch einen neuen Geruch wahrnahm, richtete sich ihre ganze Aufmerksamkeit auf einen Lavendelstrauch, der nicht weit entfernt vom Nordtor des Alten Lagers wucherte. Der kleine Wuffma folgte ihr und knurrte das Gebüsch an. Anscheinend hatte sich eine Wühlmaus darin versteckt. Wenn die Hunde jetzt nach ihr gruben, konnte Bloodwyn sie gleich wieder saubermachen.
    „Kommt her, meine Kleinen. Ihr braucht euch heute kein Essen selbst zu jagen. Zuhause gibt es Fleisch!“
    Dieses kleine Wort wirkte besser als jeder Kontrollzauber. Die Hunde ließen von der Maus ab und spazierten das letzte Stück ihrer Gassi-Tour rund um das Alte Lager brav bei Fuß.
    Bloodwyn war das Alphatier; er hatte alles unter Kontrolle. Mit den kleinen Spielchen seiner neuen Hunde würde er schon fertig werden. Er liebte die Rabauken über alles. Nachdem er sich mit seinem großen Bluthund, seinem Püppchen, schon so viel Respekt wie kein anderer Gardist im Lager verschafft hatte, war es ein Leichtes für ihn gewesen, die Erzbarone davon zu überzeugen, ein Rudel junger Welpen aus der Außenwelt zu bestellen. Das war vor etwa einem halben Jahr gewesen; inzwischen waren sie fast ausgewachsen. Für Bloodwyn verging kein Tag mehr ohne Trainingseinheiten im Apportieren, der Spurensuche oder auf der Jagd. Schon bald würden sie es auch mit den hiesigen Wolfsrudeln aufnehmen können. Sie würden ihren Teil dazu beitragen, dass die Erzversorgung durch das Alte Lager in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gesichert war. Sie würden für mehr Sicherheit innerhalb der Kolonie sorgen und auch die Laune der Insassen heben. Bloodwyn liebte die Vierbeiner und er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand unter der von Göttern verlassenen Kuppel diese Liebe nicht teilte.

    Sie spazierten unter teils neugierigen, teils ehrfürchtigen Blicken der anderen Lagerbewohner durch das Nordtor und auf direktem Wege ans Wasserloch. Hier tranken sich die Hunde satt; Bellamy badete sogar. Einer der Buddler holte sich gerade ebenfalls einen Eimer Wasser zum Waschen und blickte Bloodwyn schief an.
    „Was glotzt du so, hm?“, reagierte der Gardist prompt. „Wurde dir heute etwa noch kein Schutzgeld abgenommen?“
    „Doch, natürlich“, erwiderte der Typ hastig. „Aber d-dein Hund, er macht in unser Trinkwasser.“
    Bloodwyn rümpfte die Nase. Oh ja, in der Hinsicht war Bellamy einfach noch nicht stubenrein. Aber dem Gardisten konnte das egal sein. Er trank ja nichts von der Plörre.
    „Du weißt aber schon, dass das das Abwasser aus der Burg ist, oder?“, merkte Bloodwyn an. „Das, womit Gomez seine Geschäfte wegspült.“
    Der Buddler verzog die Miene.
    „Wenn du sauberes Wasser willst, dann kauf dir was am Markt oder geh in die Mine, da gibt es klares Bergquellwasser.“
    Darauf hatte der andere nichts zu erwidern. Er konnte von Glück reden, dass Bloodwyn heute so unglaublich gut gelaunt war, sonst hätte er ihn für dieses ungefragte Gequatsche direkt wieder zum Buddeln geschickt. Aber das kurze Gespräch machte ihn auch ein wenig nachdenklich. Vielleicht sollte er seinen Hunden lieber sauberes Wasser zu trinken geben. Womöglich war deren gelegentliche Inkontinenz ja auf das verkeimte Wasser zurückzuführen. Er würde bei Gelegenheit mal seinen guten Kumpel, den Feuermagier Damarok, dazu befragen. Dieser Tränkepfuscher wusste sicher ganz genau, was gesund war und was nicht.

    „Bloodwyn!“, vernahm er plötzlich eine weitere, wenngleich deutlich rauere Stimme. „Auf ein Wort.“
    Er schloss die Augen kurz und atmete tief durch. Hatte er sich bis eben noch guter Laune zugesprochen, begann diese schon nach wenigen Minuten innerhalb des Lagers wieder zu kippen. Irgendjemand wollte immer irgendetwas von ihm. Die typischen Sorgen einer wichtigen Persönlichkeit.
    „Wehe, es ist nicht wichtig“, raunte er zurück und blickte etwas erstaunt zu einer Gestalt auf, die er sehr gut kannte. Ein Buddler, aber einer von der kräftigen Sorte. Er hatte den Nacken eines Stieres und Arme so dick wie Baumstämme. Aufgrund dieses kantigen Äußeren nannten viele ihn nur noch bei seinem Spitznamen „der Golem“. Bloodwyn kannte ihn aber schon länger, eigentlich seit dem Tag, an dem er in die Kolonie geworfen wurde.
    „Grim! So eine Überraschung. Mit dir habe ich eigentlich erst morgen gerechnet.“ Er streckte die Hand aus und der Buddler schlug ein. Er hatte einen immensen Händedruck, der Bloodwyn zwang, seine Zähne zusammenzubeißen.
    „Hast du mir was mitgebracht?“, fragte der Gardist mit einem herzlichen Lächeln auf den Lippen. Eine rhetorische Frage, er hatte den Sack mit Erz längst gesehen, den Grim in seiner Linken trug. Der Kerl war einfach der beste Handlanger, den sich Bloodwyn vorstellen konnte. Viel kompetenter als dieser Trottel Nek, den er dereinst zum Eintreiber ausgebildet hatte. Grim hatte einfach einen guten Draht zu den anderen Buddlern und anscheinend genügte das bereits, um sie dazu zu bringen, regelmäßig und pünktlich ihr Schutzgeld abzudrücken. Und wer nicht spurte, bekam eben eins mit dem Dampfhammer von rechtem Arm übergebraten, den Grim auf natürliche Weise mit sich herumschleppte.
    „Ich habe die Jungs diesmal etwas eher zur Kasse gebeten, weil doch morgen schon der nächste Konvoi ansteht.“
    „Ja richtig, gut mitgedacht.“
    Diese Buddler waren wie Schwämme. Sie kamen gut gefüllt aus der Mine ins Lager, um sich ein paar Tage zu erholen und in der Zeit konnte man sie immer ein bisschen ausquetschen, bis ihnen das Wasser zum Leben fehlte. Danach wurden sie wieder in die Mine geschickt und gegen gut gefüllte Schwämme ausgetauscht. Für Bloodwyn sprang dabei immer ein nettes Sümmchen Erz für seine Schutzdienste heraus. Und auch die Hunde wollten schließlich ernährt werden. Besonders Gräuel lief schon ungeduldig um Bloodwyns Füße herum. Sie hatte Hunger. Ob sie wohl seine Gedanken lesen konnte?

    „Das ist nicht der einzige Grund, warum ich mit dir sprechen wollte, alter Freund.“
    Bloodwyn hob erstaunt die Augenbrauen. Alter Freund? So hatte ihn schon lange niemand mehr genannt, zumindest nicht mit ehrlicher Haltung. Aber es freute ihn irgendwie. Er bot sich den Neuen immer als Freund an, bekam aber selten die Herzlichkeit zurück, die er anderen entgegenbrachte. Grim war da eine Ausnahme. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Bloodwyn ihm ein angenehmes Leben verschaffen konnte - wenn er ihm ein wenig bei der Drecksarbeit unter die Arme griff. Und diese großen Arme konnten zupacken, und wie!
    „Na dann lass mal hören mein … Freund.“
    Grim nickte freudig und führte ihn ein paar Schritt weg von der Wasserstelle, in eine finstere Ecke, in der sie niemand beobachten konnte. Sein Gebaren mutete eigenartig an. So ein großer, kräftiger Kerl, aber er tippte unruhig an der Stelle und nestelte sich am Hemd herum. Bloodwyn wusste ja, dass er respekteinflößend war, aber das hier erstaunte selbst ihn.
    „Also nun … wie du vielleicht weißt, bin ich jetzt seit etwa einem Jahr in der Barriere und habe mir eine ganz gute Stellung erarbeitet. Auch dank dir - nein - vor allem dank dir. Ich bekomme mehr Fleisch als alle anderen Buddler und muss nur halb so oft in der Mine schuften.“
    Bloodwyn setzte zwar eine freundliche Miene auf, aber von Lobhudeleien hielt er nicht viel. Seine Hündchen hatten Hunger.
    „Komm zur Sache.“
    „Ja, natürlich.“ Grim schluckte hörbar. Er hatte einen äußerst ausgeprägten Adamsapfel. Die nächsten Worte sprach er jedoch so leise wie möglich aus. „Also Diego hat mir eine neue Chance gegeben, mir einen Platz unter den Schatten zu verdienen und ich … nun ja. Ich brauche deine Hilfe bei meiner Prüfung des Vertrauens!“
    Bloodwyn nahm sich einen Moment Zeit, um die Information sacken zu lassen. Er sollte seinem Handlanger dabei helfen, in Rang und Namen aufzusteigen? Wie käme er dazu? Und was viel wichtiger war: was hätte er davon?
    Als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen, ging Grim direkt darauf ein: „Ich kann mir vorstellen, dass dir das nicht gefällt, aber lass mich erklären. Zuallererst habe ich es auch dir zu verdanken, dass ich immer noch Buddler bin.“
    „Ach ist das so?“, fuhr Bloodwyn kaltschnäuzig dazwischen. „Du hast es mir viel eher zu verdanken, dass du immer noch am Leben bist. Vergiss das mal nicht!“
    „Das mag sein und dafür stehe ich wohl auch in deiner Schuld“, sagte der Buddler eilig.
    „Schon besser.“
    „Aber“, grätschte Grim dazwischen, „ich könnte schon längst Schatten, ja vielleicht Gardist sein, wenn ich nicht damals auf dein Kommando hin diesen Neuling mit dem Pferdeschwanz hätte zusammenschlagen müssen. Du weißt schon, diesen Kumpel von Diego.“
    „Aha.“ Bloodwyn hatte keine Ahnung, wovon Grim redete. Er konnte sich ja wohl kaum jede Nase merken, die er einmal neu ausgerichtet hatte. Da kämen ja auf eine Person über den Daumen geschlagen drei neu ausgerichtete Nasen.
    „Als das damals geschah, sollte ich bereits eine Prüfung für Diego ablegen. Aber er hat mich durchfallen lassen, nachdem er zu Ohren bekam, was ich mit seinem Kumpel angestellt habe. Er hat mich ein ganzes Jahr warten lassen für eine neue Chance. Jetzt stehe ich am Scheideweg. Wenn ich sie nicht annehme oder scheitere, kann ich für den Rest meines Lebens in der Mine schuften. Man wird jedoch nicht jünger, nicht wahr? In letzter Zeit macht mir meine rechte Schulter zunehmend Probleme, da wäre ein Aufstieg im Rang sicher mit einer gewissen Entlastung verbunden.“
    Bloodwyns Augenlid begann zu zucken. Seit wann war der Kerl so schwatzhaft?
    „Außerdem könnte ich dir weiterhin beim Schutzgeldeintreiben helfen. Besser noch als vorher, weil ich immer hier im Viertel anwesend wäre. Ich könnte auch die Aufsicht über das Arenaviertel übernehmen, wo die Stelle doch gerade nicht besetzt ist.“
    „Das ist eine Aufgabe für Gardisten“, fuhr Bloodwyn ihm dazwischen, ließ sich aber schließlich doch zu einem leichten Lächeln hinreißen. „Aber mir gefällt dein Enthusiasmus. Ich würde zu gern das dumme Gesicht von unserem Schmied sehen, wenn er für diesen breiten Oberkörper eine Extrarüstung anfertigen muss, tehe. Na schön …“
    Er seufzte.
    „Was ist das denn für eine Prüfung, hm? Vielleicht kann ich dir ja für eine … entsprechende Gegenleistung helfen.“
    „Okay, ich verrat’s dir. Aber lass das niemanden sonst hören. Du weißt ja, die Prüfung des Vertrauens soll man eigentlich ganz allein bestehen, aber in dem Fall … ich bange einfach um mein Leben und brauche deine Hilfe.“
    „Jetzt. Spuck. Schon. Aus.“
    „Also gut. Es geht um Folgendes …“

    ***

    Später am Abend kehrten Bloodwyn und seine Hunde endlich nach Hause zurück. Gut gesättigt von einem fetten Scavengerbraten, den zwei Jäger des Lagers am Marktplatz zubereitet hatten. So eine öffentliche Zurschaustellung ihrer Jagd- und Kochkünste musste gewürdigt werden, deshalb schnitt sich Bloodwyn wie selbstverständlich die beiden Keulen für seine Hunde ab und bezahlte die beiden Jäger dafür mit einem gutgemeinten Nicken, das so viel bedeutete wie: „Gute Arbeit, ich erwarte eine solche Mahlzeit jetzt jeden Tag.“
    Auch die Hunde waren gesättigt und müde. Gräuel kratzte an der großen Holztür, die Bloodwyn erst vor Kurzem in sein neues Quartier hatte einbauen lassen. Es befand sich, ganz untypisch für einen Mann seines Ranges, außerhalb der Burg. Die Robenträger hatten sich beständig darüber beschwert, dass er sein Püppchen in einem riesigen Käfig innerhalb der Burg hielt und dann auch noch in direkter Nachbarschaft zu ihrem Magierturm. Sie fürchteten den riesigen Bluthund, den sie ihm einst selbst geschenkt hatten und leider konnten sie ihren Einfluss auch bei den Erzbaronen geltend machen. Einer davon hatte wohl ebenfalls die Hosen voll und so war Bloodwyn gezwungen, für die Tiere einen neuen Unterschlupf außerhalb der Burg zu finden. Nun, zumindest halb außerhalb der Burg, denn der Ort, an dem er sie unterbrachte, war kein geringerer als der umgestürzte Turm im Süden des Alten Lagers. Das Bauwerk war trotz des Sturzes vor vielen Jahren noch immer statisch intakt und in einem der großen Innenräume wohnten heute Bloodwyns Hunde.
    Er schloss die Tür auf und ließ seine Knuddelmonster nach drinnen. Bellamy und Gräuel flitzten sofort hinein, wahrscheinlich direkt auf ihre Schlafplätze. Nur Wuffma zögerte und begann plötzlich zu knurren. Die Hündin hatte etwas gewittert, wahrscheinlich jemanden mit einer negativen Aura. Und tatsächlich konnte Bloodwyn im selben Augenblick hören, wie sich eine Gestalt in laut klappernder Rüstung näherte. Eine Rüstung, die nicht nur imposant war, sondern auch in einem goldenen Glanz der Abendsonne schimmerte. Bloodwyn kannte nur eine Person im Lager, die einen solchen Auftritt hinlegte.
    „Jackal, na so eine Überraschung“, grüßte er den pompösen Mann, der zu den Hohen Gardisten zählte und damit leider auch einen Rang über Bloodwyn selbst. „Mal wieder auf Patrouille, was?“
    „Bloodwyn, sei gegrüßt.“ Sein Gegenüber lächelte ihn mit strahlend weißen Zähnen an. Alles an ihm strahlte Stolz und Gewissenhaftigkeit aus und dennoch fiel es ihm schwer, im Lager ernstgenommen zu werden. Dafür war er leider auch ein Spießer und Korinthenkacker.
    „Gut, dass ich dich treffe, Kollege. Ich wollte mich noch mal mit dir über die neue … häusliche Situation deiner Hunde unterhalten.“
    „Ah ja?“
    „Es geht um einige Beschwerden … Ruhestörung, um genau zu sein.“ Jackal räuspert sich. „Ja also, ich will hier keine Namen nennen, aber die Buddler vom Marktviertel können durch das regelmäßige nächtliche Gebell deiner Tiere nicht mehr richtig schlafen. Und wenn sie sich nicht erholen können, sinkt auch ihre Arbeitsleistung bei der nächsten Schicht. Du verstehst bestimmt, worauf ich hinauswill, oder?“
    ‚Dass du selbst derjenige bist, der Schiss vor den Hunden hat‘, dachte Bloodwyn bei sich.
    „Ich gehe jetzt regelmäßig mit ihnen Gassi und trainiere ihnen das ab“, antwortete er dann allerdings sehr ruhig und diplomatisch. „Der nächtliche Lärm wird sich ganz sicher bald gelegt haben.“
    „Oh, das ist … das ist gut, ja.“ Jackal patschte ihm auf die Schulter. „Danke, das ist sehr, sehr rücksichtsvoll von dir.“
    In Bloodwyns Kopf stieg Hitze auf. Er hasste wenige Dinge so sehr, wie ungefragt angefasst zu werden. Das waren klare Gesten der sozialen Hackordnung innerhalb des Lagers. Die Größeren durften die Kleineren herumschubsen und er konnte es nicht fassen, dass Jackal noch immer über ihm stand, nach allem, was er für das Lager tat. Doch er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken.
    „Falls sich noch mal jemand aus von mir völlig ungewollten Ursachen belästigt fühlen sollte, dann sei doch bitte so gut und schick ihn direkt zu mir, ja? Ich pflege mit den Buddlern aus meinem Viertel immer ein sehr brüderliches Verhältnis. Sowas lässt sich bestimmt unter vier Augen klären, darauf musst du deine kostbare Zeit nicht verwenden.“
    „In Ordnung. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, das macht mir gar nichts aus.“ Jackal zwinkerte ihm zu. „Ich sorge gern dafür, dass hier im Lager alles seinen gewohnten Gang geht.“
    „Jeder, was ihm am besten liegt“, erwiderte Bloodwyn mit einem freundlichen Lächeln und konnte sich daraufhin sogar ohne weiteren unnötigen Klatsch von ihm verabschieden. Wahrscheinlich hatte der Kerl den Zynismus in Bloodwyns Stimme gar nicht wahrgenommen.

    Als sich der Hundehalter selbst nach drinnen begab, konnte er bereits das zufriedene Schnarchen seiner vier süßen Vierbeiner vernehmen. Die drei Hunde lagen brav in ihren Kissen, die Bloodwyn ursprünglich großzügig im Raum verteilt hatte. Aber sie schienen es zu genießen, nah beieinander zu schlafen und hatten die Kissen irgendwann selbstständig auf einen Haufen in der linken Ecke geworfen - in die direkte Nähe von Bloodwyns riesigem Bluthund. Püppchen lag friedlich neben ihnen und wenn man von ihrer schieren Größe absah - ihre Schultern reichten bis zu Bloodwyns Brustkorb - und der stählernen Kette, die um ihren Hals lag, könnte man glatt meinen, sie wäre das friedlichste Wesen überhaupt. War sie im Prinzip auch, zumindest wenn man Bloodwyn fragte. Doch noch traute er sich nicht, sie außerhalb seiner Aufsicht von der stählernen Leine zu lassen. Wenn sie einmal Blut roch, was in einem Gefängnis leider schnell vorkommen konnte, dann bekam sie Blutdurst und geriet in eine Raserei, die nur durch eine möglichst blutige Mahlzeit gestoppt werden konnte. Das war bislang nur ein einziges Mal passiert und hatte einem der Gardisten in seiner Einheit, der ihn einmal füttern sollte, die Hand gekostet. Aber jetzt war Püppchen einfach ein Sonnenschein.
    Bloodwyn lächelte, als er sie im Halbschatten mit den anderen Hunden dort liegen sah. Er würde gleich noch eine Runde mit ihr Gassi gehen, sie war eher nachtaktiv. Das kam ihm ganz gelegen, denn dann ersparte er sich weitere neugierige Blicke und nerviges Getuschel der anderen Gefangenen. Für ihn selbst war es ein recht kräftezehrendes Vergnügen, zwei große Runden mit den Hunden am Tag zu gehen. Da kam es ihm wirklich gelegen, dass Grim so viel von seiner Arbeit übernommen hatte. Er wog den schweren Sack mit gesammeltem Erz in seinen Händen. Würden die Geschäfte wohl ähnlich gut weitergehen, wenn der Kerl einen anderen Rang bekleidete? Würde er wirklich zu ihm halten oder seine neu gewonnene Freiheit letztlich doch für andere Dienste verwenden? Wäre er ein Hund, müsste sich Bloodwyn gar keine Sorgen machen. Hunde waren treu. Aber Verbrecher wie er waren leider nur sich selbst am nächsten …
    Er schlich sich an seinen liebsten Vierbeinern vorbei etwas tiefer in den Turm. Ein Stückchen hinter Püppchen versteckt gab es eine Einbuchtung in der Wand, da lagerten alle seine Wertgegenstände. Püppchen war in dem Sinne sein perfekter Wachhund. Er legte den Sack mit dem Erz zu den anderen Schätzen und sah sich noch ein wenig um. Alles, was er hier sammelte, diente einem großen Zweck: Dem Training der Hunde, damit das Alte Lager zu einem sichereren Ort werden konnte und der Handel mit dem Erz für viele Jahre weitergeführt werden konnte. Auf diesen Lebensstandard würde er nicht verzichten, aber im Gegensatz zu vielen anderen Gefangenen war er auch bereit, freiwillig dafür einen Beitrag zu leisten. In dem Sinne kam ihm Grims Prüfung des Vertrauens sogar ganz recht, denn sie diente ebenfalls dem Wohl des Lagers.
    Als erstes griff Bloodwyn nach seiner Jagdarmbrust. Er hatte sie nach seiner Jugendliebe Lucy getauft. Es war eine Spezialanfertigung aus hochwertigem und sehr leichtem Holz, dennoch stand sie in Hinblick auf Durchschlagskraft den größeren Modellen in nichts nach. Wie die gute Lucy, die ebenfalls kaum fünf Fuß groß war, aber mehr Feuer im Arsch hatte als die meisten Gefangenen, die er kennenlernen durfte. Er überlegte einen Moment, ob er die Waffe am morgigen Tag gebrauchen könnte, entschied sich jedoch dagegen. Die Hunde waren noch nicht soweit und er wollte unter keinen Umständen versehentlich einen von ihnen treffen.
    „Was haben wir denn hier?“, flüsterte er, um seine Schätzchen nicht zu wecken. Seine gute alte Peitsche aus echtem Snapperleder. Die hatte er sich ursprünglich mal machen lassen, um sein Püppchen zu zähmen. Zuckerbrot und Peitsche, so war er selbst erzogen worden. Doch das Tier kannte und respektierte ihn schon so lange, dass derart barbarische Maßnahmen nicht erforderlich waren. Er wollte die Peitsche dennoch irgendwann mal in Aktion erleben, wenn es zum Beispiel darum ging, einen gefangenen Banditen zu verhören. Vielleicht gab es dafür schon bald eine Gelegenheit, wer weiß. Aber er war auf der Suche nach etwas anderem, etwas viel Handlicherem.
    Dafür musste Bloodwyn ziemlich in der Dunkelheit tasten, doch die Mühe lohnte sich. Er fand den kleinen, hölzernen Gegenstand, den er sich extra für das Hundetraining hatte anfertigen lassen; von Cavalorn, einem erfahrenen Jäger des Lagers und noch dazu ausgezeichneten Meister der Schnitzkunst. Er nannte das Stück die stille Melodie; für Bloodwyn war es zunächst nicht viel mehr als eine Pfeife, die keinen Ton herausbrachte. Aber wenn man dem Jäger glauben konnte, war das eine ganz besondere Pfeife, auf die nur Hunde reagierten. Ein geradezu magisches Signal, mit dem man die Tiere befehligte, ohne dass ein Feind davon etwas wahrnahm. Die dem Gegenstand innewohnende Magie war auch der Grund dafür, dass er sie nicht ständig mit sich herumschleppte. Langfinger gab es schließlich jede Menge in der Kolonie und mit dem Schmuckstück würde man bestimmt ein Vermögen verdienen. Aber irgendwie hatte Bloodwyn das Gefühl, dass dieses seltene Stück genau das Hilfsmittel war, das ihm und Grim bei der Prüfung des Vertrauens zum Erfolg verhelfen konnte. Es war höchste Zeit, dass er die stille Melodie einmal spielte.

    ***

    Am nächsten Morgen herrschte im gesamten Außenring des Alten Lagers eine gewisse Aufbruchsstimmung. Sie war nicht von Vorfreude geprägt, sondern vielmehr von Anspannung und natürlich jeder Menge Frust. Der monatliche Konvoi zur Alten Mine stand an; das bedeutete für die meisten Buddler im Lager, dass es mal wieder an der Zeit war, dem Tageslicht Lebewohl zu sagen und sich mit der Spitzhacke unter Tage zu verabschieden. Wenn sie Glück hatten … Die letzten Konvois waren immer wieder unter Beschuss durch die halsabschneiderischen Banditen des Neuen Lagers geraten. Allein im vergangenen halben Jahr gab es über zwei Dutzend Tote zu beklagen - und da waren die Opfer der schrecklichen Minecrawler innerhalb der Mine noch nicht einmal mitgezählt. Der Erzhandel lief schlecht und es war an der Zeit, neue Maßnahmen zu erproben, den Konvoi sicherer zu gestalten. Sei es durch eine bessere Bewachung durch die Gardisten, das Erschließen sicherer Routen oder anderen Vorbeugemaßnahmen. Hier kam der Buddler Grim ins Spiel, der bereits seit einer geschlagenen Stunde vor der Hütte seines Nachbarn Diego auf und ablief und sich selbst durch unkreative Floskeln Mut zusprach.
    „Du bist der Golem. Die Faust des Alten Lagers! Das ist keine Prüfung des Vertrauens, das ist eine Prüfung des Verhauens! Nichts da draußen kann dich aufhalten.“
    Er nahm noch einen Schluck vom Starkbier, das er sich extra für diesen Tag gekauft hatte. Es sollte sein aufgeregtes Nervenkostüm beruhigen. Er war noch nie gut bei Prüfungen gewesen. Schon früher in der Schule hatte er es nicht weiter als zum Schulhofschläger gebracht, aber bei dieser Prüfung durfte er nicht durchfallen. Hier drehte es sich immerhin um Leben und Tod!
    Endlich öffnete sich die quietschende Tür von Diegos Hütte und der Anführer der Schatten nahm sich die Zeit, seinem Prüfling die letzten Instruktionen zu geben. Er strahlte eine außergewöhnliche Präsenz aus. Er konnte die Ruhe in Person sein, das machte ihn wohl auch zu einem exzellenten Bogenschützen und Dieb. Andererseits war er auch ein geselliger Mensch mit vielen wertvollen Kontakten in alle drei Lager der Kolonie und durch alle Ränge des Alten Lagers hindurch. Wer es sich mit ihm einmal verschissen hatte, dem blieben nicht viele Freunde. Grim war vor allem Bloodwyn geblieben, aber zumindest die anderen Buddler respektierten ihn.
    „Na schön du Held. Das ist dein großer Tag.“ Er musterte Grim von oben bis unten und deutete schließlich auf das Bier in seiner Hand. „Ist vielleicht ein bisschen früh dafür. Aber eigentlich ist mir das auch egal.“
    Er räusperte sich, ehe er fortsetzte.
    „Also dann, deine Aufgabe ist klar. Du gehst jetzt da raus und stellst sicher, dass die Route zur Mine frei von Ärger ist. Der Konvoi erwartet dich dann bei deiner Rückkehr an der Brücke vorm Wald. Wenn du bis zur Mittagsstunde nicht aufschlägst, brauchst du dich hier im Lager nicht wieder blicken lassen. Irgendwelche letzten Fragen?“
    „Und wenn ich nun eine Stellung der Banditen aufspüre? Die kann ich ja wohl kaum allein aus dem Weg räumen.“
    „Dann lenkst du sie ab oder suchst uns eine alternative Route. Es ist deine Prüfung. Sorg einfach dafür, dass der Konvoi sicher sein Ziel erreicht, klar?“
    „Klar.“

    Grim war nicht unbedingt der Kaliber Mensch, der sich unbemerkt im Unterholz bewegen konnte. Er war keiner der typischen Schatten, geschickt und hinterlistig, geschult im Schleichen und Diebstahl. Aber das konnte auch nicht der einzige Weg sein, in die Reihen der Gardisten aufgenommen zu werden. Er schätzte Leute wie Bloodwyn oder Jackal auch nicht gerade als diskret ein, dennoch standen sie in der Rangfolge über Diego und den anderen Schatten. Es waren Kämpfer, so schätzte sich Grim auch ein. Mit einem Schwert wusste er schließlich umzugehen. Für die Mission hielt er sich an sein gutes altes Kurzschwert und hoffte dabei inständig, dass er davon keinen Gebrauch machen musste. Es bestand schließlich immer noch die Chance, dass die Banditen diesmal keinen Wind davon bekommen hatten, dass heute ein Konvoi anstand. Er befürchtete allerdings, dass es jemanden in ihren eigenen Reihen gab, der den Mistkerlen vom Neuen Lager steckte, wann ein weiterer Konvoi anstand. Jemanden, der alle Bemühungen des Alten Lagers sabotierte und sich damit womöglich seinen Ruf im Neuen Lager verbessern wollte. Man könnte ihn wohl als Grims unsichtbaren Gegenspieler bezeichnen. Aber heute würde Grim ihm zuvorkommen.
    Es wartete ungefähr eine halbe Stunde in einer muffigen Höhle vor dem Nordtor des Alten Lagers, ehe sein Kontaktmann endlich aufschlug. Für einen Moment schreckte Grim sogar auf, als er das energische Kläffen eines Hundes wahrnahm. Wenn Bloodwyn damit bezweckte, anderen Gefangenen Furcht und Respekt einzuflößen, dann machten die Hunde definitiv einen guten Job.
    „Du bist gekommen“, hauchte Grim erleichtert, als dem Bellen des Hundes auch die fröhlichen Pfiffe des Gardisten folgten.
    „Ich hätte deine dumme Visage schon gern gesehen, wenn du dich allein auf den Weg in den Wald hättest begeben müssen“, rief Bloodwyn amüsiert. „Aber so eine Chance, die Hunde im Einsatz zu erproben, kann ich mir einfach nicht entgehen lassen. Du kannst dich glücklich schätzen, so einen guten Freund wie mich zu haben.“
    „Und wie ich das bin“, sagte Grim.
    Bloodwyn fackelte nicht lange und drückte dem Buddler eine der Hundeleinen in die Hand.
    „Hier, du übernimmst Gräuel. Sie ist die beste Spürhündin. Du wirst vorausgehen, ich folge dir mit ein bisschen Abstand. Ist ja deine Prüfung.“ Er grinste. „Wenn sie etwas erschnüffelt, kommst du zu mir. Dann überlegen wir gemeinsam, wie wir die Situation entschärfen.“
    Dann wurde sein Blick ernst, eiskalt.
    „Und wehe du lässt zu, dass ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird! Dann verarbeite ich dich persönlich zu Hundefutter, hast du verstanden?“
    Grim schluckte. „Laut und deutlich.“
    „Fabelhaft, wir verstehen uns“, Bloodwyn klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken, nur um ihn im nächsten Moment von sich wegzuschubsen. Die soziale Hackordnung.
    „Jetzt schwing dein breites Kreuz in den Wald. Es gibt eine Prüfung zu bestehen.“
    Geändert von Ronsen (02.08.2024 um 22:40 Uhr)

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    Dichte, weiße Nebelschwaden empfingen Grim und seine Begleiterin Gräuel, als sie den großen Fluss erreichten, der sich einmal quer durch die gesamte Minenkolonie schlängelte. Er trennte das Alte Lager von dem gefährlichen Waldstück, das der Buddler für seine Prüfung des Vertrauens durchqueren musste. Es war ein kalter Morgen. Die Sonnenstrahlen schafften es nicht durch die dicke Wolkendecke und erst recht nicht durch die magische Barriere. Die Bäume verloren allmählich ihre Blätter. Der Herbst stand vor der Tür.
    Gräuel war eine äußerst gut erzogene Hündin. Sie folgte ihrem neuen Herrchen gehorsam und sah keinen Bedarf darin, am Ufer ihr Revier zu markieren. Grim konnte ihr allerdings ansehen, dass sie sehr aufmerksam war und ihre Ohren ständig anlegte. Wahrscheinlich konnte sie schon die Gefahren riechen, die auf der anderen Seite des Flusses auf sie lauerten. Doch sie zog den Schwanz nicht ein. Sie war mutig. Sie war ihm ein Vorbild.
    Mit der Hundeleine in der linken und seinem Kurzschwert in der rechten Hand überquerte Grim die alte Steinbrücke, die ihn über den Fluss führte. Er erwartete schon einen dummen Spruch von der Brückenwache, wie er ihn am ersten Tag seiner Gefangenschaft zu hören bekommen hatte. „Du suchst nach dem Alten Lager? Schau doch mal unter der Brücke.“
    Wie Grim durch Gespräche mit anderen Buddlern erfahren hatte, erzählte der Kerl diesen Kalauer so ziemlich jedem Neuankömmling, der die Brücke überqueren wollte. Manche, die besonders dämlich waren und tatsächlich ihren Kopf unter die Brücke steckten, soll er schon mit einem Arschtritt und höhnischem Gelächter ins kalte Nass befördert haben. Heute jedoch gab es an der Brücke nichts zu lachen. Denn von den Wachen fehlte jede Spur.
    Eine laute, zeternde Stimme ließ den Buddler hektisch herumfahren.
    „Wollen die mich eigentlich verarschen?!“ Bloodwyn und seine beiden übrigen Hunde hatten zu ihm aufgeschlossen. Der Gardist wagte tatsächlich selbst einen Blick unter die Brücke. Ihm würde natürlich niemand einen Arschtritt verpassen. „Wo sind die Faulpelze schon wieder? Wofür bezahlen wir die überhaupt?“
    „Jedenfalls nicht für ihre dummen Witze“, versuchte Grim die Situation aufzulockern, wofür der immer ach so gut gelaunte Bloodwyn allerdings gerade nicht in Stimmung war.
    „Schnauze. Ich will wissen, wo die Kerle hin sind. Letzte Nacht habe ich sie noch gesehen.“
    „Du warst letzte Nacht noch mal draußen?“
    Bloodwyn atmete hörbar genervt aus.
    „Ich bin noch mit meinem Püppchen spazieren gegangen. War aber eine kurze Runde. Hast du den Rums gehört?“
    Grim schüttelte den Kopf, verstehend, dass er seinen Mund lieber nur öffnen sollte, wenn er wirklich etwas zu sagen hatte.
    „Wir haben einen Knall gehört, einen Steinschlag oder so. Aus Richtung der Bergkette hinter dem Wald.“ Bloodwyn zuckte die Schultern. „Jedenfalls war mein Püppchen danach so aufgekratzt, dass ich sie kaum wieder beruhigen konnte. Vielleicht sind die beiden Jungs ja der Sache auf den Grund gegangen.“
    Hinter einem Baumstumpf entdeckte der Gardist einen zerschlissenen Tornister, den offensichtlich einer der Männer zurückgelassen hatte. Seine Laune hob sich sogleich merklich, als er ein Bier daraus hervorzauberte.
    „Wenn der nicht einer der Wachen gehört hat.“ Unverhohlen nahm er einen Schluck davon und bot auch Grim etwas an, doch der schüttelte den Kopf. „Jetzt hab‘ dich mal nicht so. Du hast doch selber schon eine Fahne! Aber gut, mehr für mich. Komm trotzdem mal näher.“
    Grim folgte der Bitte und erkannte, dass es Bloodwyn eigentlich nicht um ihn, sondern die Hündin Gräuel ging. Er ließ sie an dem Tornister schnüffeln und die Spur aufnehmen.
    „Gehen wir der Sache mal nach.“
    „Haben wir dafür wirklich Zeit?“, wollte Grim protestieren, doch da zerrte ihn die Hündin bereits in Richtung des Waldes. Bloodwyn und die beiden anderen Hunde folgten ihm mit bellendem Gelächter und lachendem Gebell.

    Es gefiel Grim ganz und gar nicht, derart schnell die Kontrolle über seine eigene Prüfung verloren zu haben, doch Gräuel war ein Spürhund und sie schien einer ganz eindeutigen Spur zu folgen. Er konnte nur hoffen, dass sie die Brückenwachen einfach nur irgendwo in einem Gebüsch liegend finden würden, wo sie einen Rausch ausschliefen. Gräuel führte die Gruppe auch gerade mal bis zum Waldrand, doch die Spur endete in einem Meer aus Nebel.
    „Wie soll ich bei dieser Milchsuppe nur irgendeinen Hinterhalt aufdecken?“, fragte sich Grim mit einem Hauch von Verzweiflung in der Stimme. Und erst durch mehrfaches Stupsen seitens der Hündin erkannte er, warum sie ihn genau hierhin geführt hatte. Der gesuchte Wachmann lag im Nebelbad zu Grims Füßen. Er schlief jedenfalls keinen Rausch aus. Aus seinem Torso klaffte eine riesige Wunde, als hätte man ihm ein Stück vom Brustkorb einfach herausgebissen. Grim stolperte schockiert zurück und fiel dabei beinahe über einen großen Ast. Dieser stellte sich jedoch als ein menschliches Bein heraus. Ein Bein, das nicht zu dem Körper gehörte, den er zuvor gefunden hatte.
    „Was für eine elende Hundescheiße ist das denn?!“
    Bloodwyn und seine anderen Hunde schlossen zu Grim und Gräuel auf. Der größte der Vierbeiner machte sich direkt daran, das herrenlose Bein, das knapp oberhalb vom Kniegelenk den Rest des Körpers verloren hatte, herumzuschleppen.
    „Aus Bellamy! Gib her.“
    Ohne eine Regung von Ekel hob Bloodwyn das Bein an und untersuchte den Stiefel.
    „Gardestiefel. Das gehört zu der anderen Wache. Verdammt.“
    Achtlos warf er das Körperteil davon, was Bellamy direkt als Ansporn zum Apportieren verstand und es ihm zurückbrachte.
    „Wir müssen hier … weg.“ Grim musste sich schwer zusammenreißen, sein Starkbier vom Frühstück nicht direkt über dem Boden zu verteilen. „Was immer das war …“
    „Vielleicht ein Schattenläufer“, meinte Bloodwyn nüchtern und beugte sich zu der vollständigeren Leiche herab, um die Wunde genauer zu betrachten. Sie wies einen fast schon purpurroten Rand auf. Das Blut war allerdings noch kaum geronnen.
    Plötzlich begann die kleine Wuffma zu knurren und schon einen Herzschlag später bellte sie in den dichten Nebel hinein.
    „Sieht so aus, als finden wir es gleich heraus.“
    Grim blickte sich hektisch im Nebel um, doch trotz der Warnung durch die Hunde konnte er den Angreifer nicht kommen sehen. Der lockere Boden unter ihm vibrierte für einen Augenblick und schneller als sein Fluchtreflex, schälten sich plötzlich zwei Paar messerscharfe Beißwerkzeuge aus der Erde und bissen sich tief in seine Wade hinein.
    „Ah! Nein, weg, weg!“
    Panisch schlug er mit dem Schwert nach was auch immer ihn erwischt hatte. Energie pumpte durch seinen ganzen Körper. Das Mistviech hatte sich verdammt fest verbissen und je mehr er mit dem Bein strampelte, desto mehr von dem Körper des Ungetüms zog er aus dem lockeren Boden. Vor Sekret und Blut triefende Beißwerkzeuge, einen Kopf, dessen leere Augen die Schwärze Beliars trugen und sechs Beine, die sich mit aller Kraft in der Erde verkeilten, um sein Opfer in das Loch unter ihm zu ziehen. Das Wesen stieß ein Zischen aus, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er kannte und fürchtete dieses Geräusch nur zu gut, hatte es allerdings noch nie außerhalb eines Tunnelschachtes vernommen.
    „Ein Minecrawler?“, stellte Bloodwyn ebenfalls überrascht fest und pfiff seine Hunde zum Angriff. Die furchtlosen Vierbeiner schnappten sich jeweils eines der sechs Beine und rissen mit aller Kraft daran. Das gab dem Monster eine Kostprobe von seiner eigenen Medizin. Laut zischend ließ es von Grim ab und wollte die Hunde angreifen, doch Bloodwyn nutzte die Ablenkung und rammte ihm mit einem gezielten Treffer sein Schwert zwischen die Panzerplatten am Rücken.
    „Ein Mistviech weniger“, rief er triumphierend und verpasste dem Crawler noch einen Tritt mit dem Stiefel auf den Kopf.
    Grim war indes auf den Boden gefallen und bemühte sich hektisch, wieder aufzustehen. Ein brennender Schmerz fuhr ihm durch das ganze Bein, er traute sich fast nicht, die Wunde zu betrachten. Er wollte nur noch weg hier.
    „Gut für dich, dass du so dicke Muskeln hast“, meinte Bloodwyn, „sonst wäre es dir so ähnlich wie unserem Kollegen Schnürschuh hier ergangen.“
    Demonstrativ hielt er das abgetrennte Bein des anderen Mannes in die Luft. Grim konnte gar nicht in Worte fassen, wie er sich gerade fühlte. Bloodwyn war so makaber, ihm schien wirklich jedes Gefühl von Menschlichkeit zu fehlen.
    „Kannst du laufen?“, fragte der Gardist plötzlich, als ob es ihn wirklich interessierte.
    Grim ließ es auf einen Versuch ankommen. Es ging tatsächlich, wenn auch nur unter Schmerzen. Aber Schmerzen waren ein gutes Zeichen. Der Crawler hatte keinen wichtigen Nerv oder Muskel erwischt.
    „Nur eine Fleischwunde“, erwiderte er hustend.
    „Dann lass uns die Sauerei melden, ehe wir auch noch als Häppchen für die Krabbeltiere enden.“
    Damit konnte Grim leben. Damit hatte er eine Chance zu überleben. Keine Prüfung der Welt war es wert, hier jetzt seinen Arsch zu riskieren.
    Doch das Schicksal schien andere Pläne für die beiden zu haben. Was Grim erst jetzt realisierte, war, dass er in der Hektik des Kampfes die Leine seiner Hündin losgelassen hatte. Sie war nirgends zu sehen. Grim ahnte es bereits, aber er wollte Bloodwyns folgende Worte dennoch nicht wahrhaben.
    „Du Vollidiot! Wieso hast du sie losgelassen? Los, wir müssen sie suchen!“
    Ihm blieb keine Wahl. Humpelnd folgte er Bloodwyn und den beiden übrigen Hunden, bis sie ein ganzes Stück tiefer in den Wald vorgedrungen waren. Zum Glück waren die Hunde so sehr aufeinander abgestimmt, dass auch Bellamy und Wuffma ihre vermisste Freundin schnell aufspüren konnten. Gräuel erwartete sie schon an einem großen Busch, den sie aufgeregt umrundete. Etwas versteckte sich darin.
    „Bitte, Innos, nicht noch ein Crawler“, japste Grim und hielt mit zittriger Hand die Klinge in Richtung des Gebüschs.
    „Komm raus, du bist umstellt!“, rief Bloodwyn plötzlich laut und voller Selbstbewusstsein. Er ging tatsächlich davon aus, dass es sich diesmal um einen Menschen handeln konnte. Er sollte Recht haben.

    „Bitte nicht angreifen! Ich komme in Frieden!“
    Ein schlanker Mann mittleren Alters schälte sich aus der Deckung und trat mit gehobenen Händen hervor. Er trug die dunkelroten Klamotten eines Schattens. Langes, schwarzes Haar, ein schmaler Schnauzbart, ein Hauttyp aus der Wüste Varants und ein Blick so scharf und neugierig wie der eines Falken. Grim kannte diesen Typen, aber er hatte ihn noch nie außerhalb der Alten Mine gesehen.
    „Ian?“, stellte der Buddler überrascht fest. „Was machst du denn hier?“
    „Grim! Du lebst. Ich bin also nicht der Einzige, der es geschafft hat. Den Göttern sei Dank!“
    Er blickte unschlüssig zwischen Grim und Bloodwyn hin und her und reichte dem Gardisten schließlich die Hand zum Gruß. Bloodwyn schlug nicht ein.
    „Ich bin Ian, der Chef der Mine.“
    „Blödsinn, die Mine gehört Gomez“, schnaubte Bloodwyn zurück. „Und mein Kumpel hier hat dir eine Frage gestellt. Was machst du hier, so weit weg von deiner geliebten Mine?“
    Ein Mantel der Erkenntnis legte sich über Ians Körper. Bei genauerem Hinsehen sah er völlig fertig aus. Dreckig und verschwitzt.
    „Es hat sich noch gar nicht herumgesprochen, was? Die Mine … es gab einen Erdrutsch. Der Eingang der Mine ist eingestürzt. Es haben nur eine Handvoll Leute rausgeschafft, aber wir wurden angegriffen. Minecrawler .... Sie müssen von dem Krach aufgescheucht worden sein. Es war ein Gemetzel.“
    „Das erklärt den lauten Knall von letzter Nacht“, realisierte Bloodwyn. „Scheiße.“
    „Dann kann ich meine Prüfung des Vertrauens wohl vergessen, was?“, seufzte Grim. Er erkannte erst einen Atemzug später, wie taktlos seine Aussage war.
    „Prüfung des Vertrauens?! Scheiß auf die Prüfung des Vertrauens“, giftete ihn Ian an. „Es sind wahrscheinlich ein Dutzend Menschen gestorben. Mindestens! Wir haben ein viel, viel größeres Problem als irgendeine Prüfung des Vertrauens.“
    „Was genau meinst du?“, fragte Bloodwyn. „Die Tatsache, dass der gesamte Erztransport zum Erliegen kommen wird? Der Fakt, dass eine Horde Minecrawler frei durch das Minental spaziert und uns beim gemütlichen Gassi gehen angreifen wird?“
    „Wenn es noch Überlebende da drin gibt, müssen wir sie rausholen. Ich will zum Alten Lager und ein paar Jungs zusammentrommeln, die uns helfen. Seid ihr dabei?“ Ian blickte Grim mit seinen durchdringenden Augen an. „Wenn du das schaffst, leg ich ein gutes Wort bei Diego für dich ein. Dann wird er dich mit Fahnen und Fanfare bei Gomez empfehlen, da kannst du sicher sein.“
    „Klar helfe ich“, erwiderte Grim, aber in erster Linie wollte er nichts wie raus aus dem Wald. Bloodwyn zuckte die Schultern und folgte den beiden. Für ihn schien nur wichtig zu sein, dass es seinen Hunden gut ging.

    ***

    Etwa drei Stunden später war der gesamte, längst vorbereitete Konvoi auf dem Weg zur Alten Mine. Sie hatten Diego und seinen Tross Buddler und Gardisten auf der anderen Seite des Flusses getroffen und über die Situation aufgeklärt. Von da an machten die Gerüchte von der eingestürzten Mine schnell Runde im Alten Lager und ein großes Einsatzkommando unter Führung von Erzbaron Raven, Feuermagier Torrez und Gardist Jackal wurde zusammengetrommelt, die mit einem weiteren Dutzend Gardisten und allen im Lager verbliebenen Buddlern aufbrachen, um sich an die Arbeit zu machen. Das Ziel war schnell definiert. Sie mussten mit aller Mannskraft versuchen, den Eingang der Alten Mine freizuschaufeln, wenn es eine Chance geben sollte, die darin gefangenen Männer zu retten und - viel wichtiger noch - den Erztransport aufrecht zu erhalten.
    Grim hatte die Nachricht, dass er sich direkt wieder auf den Weg machen könne, nicht gut verkraftet. Der Schock nach dem Angriff des Crawlers und dem Fund der toten Gardisten saß ihm wohl noch tief in den Knochen. Er humpelte missmutig zwischen den anderen Buddlern und hoffte vermutlich, durch das Schwarmverhalten eine bessere Chance zu haben, nicht noch einmal Opfer eines Crawlerangriffs zu werden. Die Hündin Gräuel hatte er wieder in Bloodwyns Obhut gegeben. Auch an dessen Nervenkostüm nagte das Erlebte der letzten Stunden, wenngleich er wie so oft gute Miene zu bösen Spiel machte. Seine Laune wurde schlagartig besser, als der ganze Tross tiefer durch den Wald zog und plötzlich auf eine aufgegebene Stellung der Banditen des Neuen Lagers traf.
    „Na sieh mal einer an, was wir hier haben.“
    Im Wald vor ihnen erstreckte sich ein wahrhaftiges Bild des Grauens und ein bestialischer Geruch zog ihnen in die Nasen. Anscheinend hatte sich tatsächlich eine Gruppe Banditen auf die Lauer gelegt, um den Konvoi zu überfallen, jedoch waren auch sie Opfer der gnadenlosen Welle an Minecrawlern geworden, die nach dem Einsturz der Mine den Wald heimsuchten. Sie fanden zahlreiche Leichen von Menschen und Crawlern; vereinzelte Fußabdrücke deuteten darauf hin, dass die Räuber ihr Heil in der Flucht gesucht hatten.
    „Da hat der Tag ja doch noch was Gutes“, meinte Bloodwyn und lachte dreckig. Aber die Leute um ihn herum schienen die Schadenfreude nicht zu teilen. Der Anblick schockierte sie zu sehr. Nur einer von ihnen wirkte etwas abgebrühter. Es war Ian, der von dem ganzen Gemetzel womöglich schon wusste.
    „Sieht so aus, als wären sie über den Fluss geflohen“, murmelte der Schatten. „Das war clever. Die Crawler scheuen nicht nur Licht, sondern auch Wasser.“
    „Genau wie die dreckigen Buddler“, sagte Bloodwyn entspannte sich augenblicklich. Der Nebel vom Morgen hatte sich inzwischen gelichtet. Er wusste die Sonnenstrahlen gleich viel mehr zu schätzen, die sich jetzt durch das herbstliche Blätterdach kämpften.
    „Aber Ian, was ich mich schon die ganze Zeit frage“, fuhr er fort. „Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet du es aus der Mine rausgeschafft hast? Sollte ein Kapitän nicht mit seinem sinkenden Schiff untergehen?“
    Der Kommentar traf einen Nerv, das erkannte Bloodwyn. Er liebte es, mit der Psyche von anderen zu spielen. Ians Mimik, seine Haltung, alles deutete darauf hin, dass er nicht viel mehr als ein riesiger Feigling war. Womöglich wusste er sogar mehr über den Einsturz der Mine, als er zugeben wollte.
    „Ich gehe eben nachts immer ein bisschen vor die Mine, um frische Luft zu schnuppern, ist das jetzt verboten, oder was? Kann doch nicht ahnen, dass die ausgerechnet einstürzt, wenn ich draußen bin. Natürlich wäre ich jetzt lieber da drin bei meinen Jungs, um ihnen in dieser schweren Stunde beizustehen, als hier draußen.“
    „Natürlich“, antwortete Bloodwyn wenig überzeugt. „Wer wäre das nicht?“

    Die große Gruppe durchquerte den Wald und erreichte den eingestürzten Eingang der Alten Mine ohne weitere unerwünschte Überraschungen auf dem Weg. Dafür blieb selbst dem sonst so standhaften Bloodwyn beim Anblick des verschütteten Höhleneingangs die Spucke weg. Eine gewaltige Kante, so groß wie der Südturm des Alten Lagers, musste sich aus dem Felsen gelöst haben und versperrte nun den Eingang. Das nachgerutschte, lockere Material hatte alle Lücken gefüllt, die groß genug für einen Menschen wären. Und wer weiß, wie es drinnen aussah. Der Hauptschacht war vermutlich ebenfalls eingestürzt. Wer nicht direkt gestorben ist, würde da drinnen jetzt vermutlich in der tiefsten Finsternis verhungern und verdursten oder zum Häppchen der Crawler werden. Ein wahrer Albtraum.
    Der mitgereiste Erzbaron Raven kümmerte sich natürlich erst einmal um das Wichtigste - nämlich, dass sein Kommandozelt aufgeschlagen wurde. Eine so wichtige Persönlichkeit konnte sich schließlich nicht einfach unter all den niederen Gefangenen bewegen wie ein gewöhnlicher Dreckfresser. Als das erledigt war, orderte er Torrez, Jackal und Ian zur Lagebesprechung in sein Privatgemach. Bloodwyn und seine Hunde durften mal wieder draußen bleiben und nach dem Rechten sehen. Klar, Bellamy war noch nicht ganz stubenrein, aber er ja wohl schon.

    Den Frust über seine Zweitklassigkeit wollte er an einigen der Buddler auslassen und sie in der Zwischenzeit schon mal zur Arbeit scheuchen. Was war schließlich so schwer daran, ein Loch in einen Felsen zu jagen? Das machten diese Knilche ohnehin den lieben langen Tag, also warum nicht direkt anfangen, ehe die Sonne unterging und die Crawler an die Oberfläche zurückkehrten?
    Doch ausgerechnet sein ach so guter Freund Grim kam ihm bei diesem Kommando in die Quere.
    „Wir sollten jetzt nicht blindlings draufloshacken“, warnte er Bloodwyn und humpelte in Richtung des großen Felsens. Mit einer Hand brach er ein Stück vom lockeren Stein heraus. „Siehst du? Das Material ist spröde. Wenn wir jetzt an der falschen Stelle hacken, könnte noch viel mehr davon in sich zusammenbrechen. Das ist wahnwitzig.“
    „Und wenn wir nicht hacken, sterben die Jungs da drin“, erwiderte der Gardist kühl. „Aber, wenn du eine bessere Idee hast, dann beehre meinen Gehörgang doch bitte damit.“
    „Es gibt Nebenschächte, aus dem die Minecrawler geflohen sind. Einen davon kenne ich, der führt auch nach drinnen in den Hauptschacht.“
    „Und was macht dich da so sicher, hm?“
    Grim rieb sich verschmitzt den Nacken. „Ich kenne da einen Typen, der die Nebenschächte wie seine Buddlerhose kennt. Wir nennen ihn Schachti.“
    „Ganz mein Humor“, erwiderte Bloodwyn grinsend.
    „Er lebt hier in der Nähe. Wir sollten ihn nach dem Weg fragen. Vielleicht lässt er sich überzeugen, uns zu helfen.“
    Bloodwyn legte die Stirn in Falten. „Du sagtest Buddlerhose. Sollte der Kerl nicht entweder in der Mine sein oder innerhalb unseres Konvois?“
    „Nein. Nun, wie soll ich sagen … er arbeitet nicht mehr fürs Alte Lager. Er ist ein Einsiedler.“
    „Und du weißt, wo er lebt?“, hakte Bloodwyn nach.
    „Ja …“, sagte Grim sichtlich zerknirscht. Irgendetwas verheimlichte der Kerl Bloodwyn noch, aber darüber konnte er sich auch noch später Gedanken machen.
    „Na dann wird er die längste Zeit Einsiedler gewesen sein, was? Komm mit, den holen wir uns. Wo müssen wir hin?“

    ***

    Ungefähr eine halbe Stunde Marsch später waren Grim, Bloodwyn und das Hundetrio wieder am Fluss angekommen, allerdings ein ganzes Stück weiter stromaufwärts, womöglich im inoffiziellen Feindesgebiet. Das Neue Lager lag von hier aus nur einen Katzensprung entfernt und für gewöhnlich mieden die Konvois exakt aus diesem Grund die Gegend. Grim war schon öfter mal hier gewesen. Ein einfacher Buddler wurde schneller Opfer eines Wolfsangriffs als dass er die Keule eines betrunkenen Banditen abbekam - zumal man ihn viel eher zum Dienst auf den Reisfeldern verpflichten würde, als ihn zu töten. Für Bloodwyn sah das anders aus. Ein Kerl, der die Alarmfarbe der Gardisten zur Schau trug, bat geradezu darum, einen Pfeil ins Knie zu bekommen. Zumindest hatten sie die drei Hunde dabei, die im Falle einer nahenden Gefahr Alarm schlagen würden. Momentan waren sie aber mehr mit sich selbst beschäftigt, sie tollten herum, markierten ihr Revier und erfreuten sich einfach an all den neuen Ecken der Kolonie, die sie bislang noch nicht hatten erkunden können. Bloodwyn ließ sie hier sogar ohne Leine herumlaufen. Er schien großes Vertrauen in die Vierbeiner zu haben. Das konnte man über sein Vertrauen in Grim nicht unbedingt sagen.
    „Du willst mich doch verarschen … hier wohnt dieser Schachti?“
    Der Buddler deutete auf den Wasserfall vor ihnen, der mit tosender Kraft den Fluss speiste.
    „Als ich zuletzt bei ihm war schon, ja. Dahinter ist eine Höhle, da hat er sich eingenistet.“
    „Was für ein ausgefallenes Versteck“, merkte Bloodwyn mit einer gehörigen Portion Ironie an. „Und diese dicke Luft … Hier könnten auch irgendwelche Verrückten illegal Sumpfkraut anbauen.“
    Er seufzte. „Na dann machen wir uns mal die Füße nass, was?“
    „Lass mich lieber vorgehen. Ich will nicht, dass er … irgendwie seltsam reagiert.“

    „Was soll das heißen, seltsam reagieren?“, rief ihnen plötzlich eine fremde Stimme von irgendwo entgegen.
    Grim schreckte herum, Bloodwyn zückte blitzschnell die Klinge, doch es dauerte eine ganze Weile, ehe die beiden den Ursprung der Stimme ausmachen konnte.
    „Hier oben bin ich!“
    Ein älterer Mann mit langem, struppigen Bart und nur in eine kurze, zerschlissene Hose gekleidet, winkte ihnen aus dem Geäst einer Blutbuche entgegen. Grim hätte ihn kaum wiedererkannt, sein ganzer Körper war sonnengebräunt, ganz anders als zu den Zeiten innerhalb der Mine. Das Leben hier draußen schien ihn verändert zu haben, er hatte auch eine ganze Menge abgenommen.
    „Hallo Schachti, kennst du mich noch? Ich bin’s, Grim. Aus der Alten Mine.“
    Der ehemalige Buddler ließ sich kopfüber am Geäst herabhängen, nur getragen von seinen sehnigen Beinen. Er wirkte mehr wie ein Affe, als ein Mensch. Ein mit einem Speer bewaffneter Affe.
    „Klar kenn ich dich noch und was immer du von mir willst, die Antwort ist Nein. Ich traue dir nicht, das weißt du! Erst recht nicht, wenn du einen der Roten mitbringst. Einen dieser Schwartenrutscher.“
    „Oho, große Worte, du Eichhörnchen“, pampte Bloodwyn zurück. „Hast du noch mehr davon?“
    „Na sicher, du Wurstgesicht! Wie wäre es mit Bettbrunzer? Oder mein Favorit: Arschmonarch!“
    „Komm da runter und ich schleif‘ dich persönlich am Bart zurück in die Mine, du Knilch!“

    Grim atmete tief durch. Das konnte ja noch heiter werden.
    Geändert von Ronsen (02.08.2024 um 22:36 Uhr)

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    Das Leben in der Wildnis hatte Schachti verändert.
    Grim hatte geahnt, dass die Begegnung mit dem Eremiten unangenehme Erinnerungen wecken könnte, aber der Kerl war sogar noch verrückter und nachtragender, als er es für möglich gehalten hatte. Er dachte an ihre gemeinsame Zeit in der Mine zurück, das musste ungefähr ein halbes Jahr her sein. Schachti war damals der erfahrenste Bergmann, den Grim jemals kennenlernen durfte. Ihm kam die Tatsache zugute, dass er bereits vor seiner Gefangenschaft in der Kolonie in einem Bergwerk in Nordmar nach Erz geschürft hatte. Er besaß ein natürliches Talent dafür, fast so, als könne er das magische Erz mit seinem großen Zinken riechen. Hinzu kam, dass er, da er wohl schon sein ganzes Leben unter Tage arbeitete, ein unglaublich gutes Gespür für den Berg und die Orientierung in der Finsternis hatte. Während seiner Schichten in der Alten Mine hatte es weniger Arbeitsunfälle und eine bessere Ausbeute gegeben als jemals zuvor.
    Zu jener Zeit war Grim der Vorarbeiter unter den Buddlern und damit Schachti trotz eines geringeren Erfahrungsschatzes übergeordnet. Das mochte an seiner Größe liegen, vielleicht auch an seinem Charme oder der Tatsache, dass er sich mit einflussreichen Gardisten wie Bloodwyn gutgestellt hatte. Über diese Rangfolge hatte sich Schachti nie beschwert, generell hegten die beiden Buddler ein freundschaftliches Verhältnis. Grim war stets bemüht, seinem Job als fairer Vermittler zwischen den Arbeitern und den Aufsehern gerecht zu werden und das schien Schachti zu respektieren.
    Doch je mehr Grim in seiner Rolle als Handlanger der Gardisten aufging, desto mehr wurde ihre Freundschaft auf die Probe gestellt, denn die Rotröcke wussten die Ratschläge des exzentrischen Buddlers nicht zu schätzen. Grim erinnerte sich noch gut an eine Situation, in der Schachti mit einem Kerl namens Brandick aneinandergeraten war, weil letzterer der Meinung war, einen Nebenschacht zu erschließen, in dem er große Mengen Erz vermutete. Dem war auch so, doch der Schacht war ebenso befallen von Minecrawlern und alles, was sie letztlich zu Tage förderten, waren die Leichen von einem halben Dutzend Arbeiter.
    „Lass dich nicht mit diesen Speckbuben ein, Junge. Das endet nicht gut für dich“, hatte Schachti ihn einst gewarnt und ihm dabei ein schelmisches Grinsen zugeworfen. „Ich habe mich mal ein bisschen umgeschaut. Es gibt noch einen anderen Weg raus aus der Mine. Er führt direkt zu diesem Wasserfall am großen Fluss. Wir müssen nur den richtigen Moment abwarten, dann schnappen wir uns unsere sieben Sachen und lassen den Wahnsinn hier hinter uns. Ich würde meinen Lebensabend gern über der Erde verbringen und mir mal einen Sonnenbrand holen.“
    Das mit dem Sonnenbrand war ihm jedenfalls gelungen, sogar so gut, dass er sich im Laufe des Sommers eine knusprige Bräune geholt hatte. Den Wahnsinn hatte er jedoch nicht hinter sich gelassen, so wie er sich heute aufführte.

    „Du wirst entweder lebend oder tot von dem Baum runterkommen, mir ist das scheißegal!“, giftete Bloodwyn den Kerl an. Zur Antwort bewarf Schachti den Gardisten mit seinen Schuhen oder besser gesagt dem, was davon noch übrig war. Das versetzte sogar die Hunde in Aufregung, die jetzt jeder auf seine Art auf diesen Angriff gegen ihr Herrchen reagierten. Wuffma knurrte und kläffte den Eremiten an, Gräuel sprang hoch und versuchte, nach ihm zu schnappen und Bellamy … nun, der begann einen Stellungskrieg und setzte einen Haufen direkt unterhalb des Baumes.
    Am Ende war es Bloodwyn selbst, der Schachti mit der Androhung einiger Schwerthiebe von dem großen Ast herunterholte. Der Kerl schimpfte und zeterte, aber letztlich blieb ihm keine Wahl als zu kooperieren, wenn ihm sein Leben lieb war.
    „Kameradenschwein!“, warf er Grim an den Kopf. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir nie von meinem Versteck erzählt!“
    Grim seufzte. Der Frust seines ehemaligen Freundes hatte keinen Deut nachgelassen, er war wohl eher noch schlimmer geworden. Schachti hatte ihm nie verziehen, dass Grim lieber mit den Gardisten gemeinsame Sache machte, als sich allein durch die Wildnis schlagen zu wollen. Das war nicht Grims Stil, er wollte Sicherheit und eine Perspektive in seinem Leben. Aber er war kein Kameradenschwein. Aus Kameradschaft hatte er nie jemandem davon erzählt, dass er wusste, wo Schachti abgeblieben war. Die anderen Buddler und auch die Wachen dachten, er sei tot, umgekommen bei einem Steinschlag oder einem Angriff der Crawler. So etwas kam immer mal wieder vor, aber ab dem Zeitpunkt seines Verschwindens war es schlimmer geworden, denn Schachtis Expertise fehlte den anderen Minenarbeitern.
    „Wir werden dich nicht zurück zum Arbeiten schicken“, versuchte Grim ihn zu beruhigen. „Falls du es nicht bemerkt hast, der Hauptschacht der Mine ist eingestürzt. Wir brauchen deine Hilfe, um die anderen zu retten. Du musst uns den Nebenschacht zeigen.“
    Den Nebenschacht?“, stieß Schachti hysterisch auf. „Den einen meinst du? Es gibt vermutlich hunderte kleine Gänge und Erdgruben hier in der Wildnis und alle sind wie ein Labyrinth vernetzt. Ohne mich findet ihr den richtigen Weg niemals.“
    „Und genau deshalb wirst du schön vorangehen“, sagte Bloodwyn ruhig, aber mit Nachdruck und noch immer gezückter Klinge.
    „Dich soll der Geist des Berges holen, Schwartenrutscher!“
    Für den Spruch kassierte Schachti einen Schlag mit dem Knauf der Klinge gegen den haarigen Hinterkopf. Grim wollte etwas sagen, doch gleichzeitig konnte er nicht riskieren, dass Bloodwyn noch wütender wurde. Daher wandte er sich nur mit flehendem Blick an Schachti. „Mach einfach, was er sagt, dann bist du heute Abend wieder ein freier Mann.“
    Der Wilde senkte seinen Blick und krümmte seinen Rücken. Sein Widerstand war gebrochen. „Der Nebenschacht beginnt genau hinter dem Wasserfall. Er ist relativ sicher. Die Crawler hassen das Wasser.“
    „Ein Glücksfall“, meinte Grim. Sie wollten sich gerade auf den Weg machen, da war es ausgerechnet Bloodwyn, der sich noch einmal kurz verabschiedete. Er nahm einen der Hunde - Wuffma - mit und verschwand für einige Augenblicke in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er kehrte ohne den Hund zurück, dafür allerdings mit drei Fackeln.
    „Ich habe die Kleine bei den anderen gelassen. Sie ist … etwas zu laut für meinen Geschmack, wenn wir durch eine crawlerverseuchte Höhle kriechen wollen.“
    „Wolltest du sonst niemanden mitbringen?“, fragte Grim erstaunt.
    „Und wieder hinter Jackal die zweite Geige spielen? Nein, ganz sicher nicht. Wenn ich die Leute allein befreie, dann ernte auch ich allein die Lorbeeren dafür.“
    Ein „Wir“ gab es in diesem Augenblick nicht in seinem Wortschatz.

    ***

    Ian scharrte unruhig mit den Füßen über den staubigen Boden. Ein paar Buddler schleppten gerade eine Pritsche und einige Kissen in das Kommandozelt. Erzbaron Raven würde es sich hier wohl ein wenig gemütlich machen müssen, denn ihre Mission könnte sich durchaus einige Tage hinziehen. Wahrscheinlich war schon ein weiterer Konvoi losgeschickt worden, um auch ein paar Betten für Magier Torrez und Gardisten Jackal heranzuschleppen.
    Die drei hohen Herren und Ian saßen auf einigen Kisten im Zelt und besprachen die Lage. Ian fühlte sich unter den gut Betuchten völlig fehl am Platze. Jackal glänzte in seinem vergoldeten Panzer, Torrez‘ Robe war vermutlich aus feinster Seide und die edle schwarze Rüstung von Erzbaron Raven wurde sogar von einem Schattenläuferfell komplettiert. Dagegen kam sich Ian sich in seiner zerschlissenen Schattenkluft wie ein Mann zweiter Klasse vor. In der Mine war er der Boss, da respektierten ihn sogar die Gardisten. Aber hier draußen war er nichts als ein Schatten seiner selbst. Der einzige Grund, warum er an der aktuellen Krisensituation dabei sein durfte, war, dass es sonst niemanden gab, der eine Ahnung vom Ausmaß der Katastrophe hatte.
    Raven brachte dies mit seiner ersten Aussage direkt auf den Punkt. „Wäret ihr wohl so freundlich, mir zu erklären, warum ich immer noch niemanden da draußen hacken höre?“
    „Ich bin für die Arbeitssicherheit zuständig“, meldete sich Jackal zu Wort. „Das Gestein ist stellenweise viel zu brüchig. Wir müssen einen sicheren Abschnitt zum Buddeln finden. Ein paar der Jungs nehmen gerade Proben vom Gestein. Wenn wir jetzt einfach am alten Eingang der Höhle draufloshacken, besteht das Risiko, dass noch mehr einstürzt.“
    „Mag sein“, erwiderte Raven scharf. „Wenn wir jedoch nur hier herumsitzen, kommen wir auch nicht mehr an das Erz heran. Die nächste Lieferung an die Außenwelt steht in drei Tagen an. Liefern wir nichts ab, gibt es auch keine Rohstoffe, keine neuen Waffen … und kein Essen.“
    „Der oberste Feuermagier Corristo setzt bereits ein Schreiben an unsere Brüder in der Außenwelt auf“, sagte Torrez ruhig. „Sie werden die Umstände sicherlich verstehen. Bestimmt werden sie besseres Werkzeug und fachkundige Arbeiter schicken, um die Bergung zu beschleunigen. Darum geht es schließlich auch. Schnelle Hilfe für die Verschütteten. Kann jemand abschätzen, wie lange sie da drin überleben können?“
    Jetzt waren alle Blicke auf Ian gerichtet. Der Chef der Mine räusperte sich kurz. Er war furchtbar nervös.
    „Nun ... sofern die Lagerräume noch intakt sind und sie Zugang haben … mindestens zwei Wochen. Am ehesten geht wohl das Trinkwasser zur Neige. Oder aber sie versuchen, sich selbst zu befreien und erwischen einen weiteren, gefährlichen Schacht.“
    „Falls du die Minecrawler meinst“, überlegte Jackal laut. „Damit werden sie doch sicher fertig, nicht wahr? Immerhin haben sich die meisten der Viecher verzogen und terrorisieren stattdessen die Oberfläche.“
    „Mag sein, aber ich meine nicht die Minecrawler.“ Ian schluckte. Er traute sich kaum, darüber zu sprechen, aber es stand einfach zu viel auf dem Spiel. „Ich spreche von einer bislang unbekannten Gefahr unter der Erde, die vermutlich auch den Einsturz der Mine verursacht hat.“
    Raven hielt die Hand empor, um direkt jede Zwischenfrage im Keim zu ersticken. Er zückte einen silbernen Dolch und ließ ihn ein wenig zwischen seinen Fingern tanzen, ehe er ihn auf Ian richtete.
    „Na dann lass mal hören, was das für eine neue Gefahr sein soll, von der wir bislang noch nie gehört haben. Das interessiert uns alle sicher brennend.“

    ***

    Bloodwyn seufzte innerlich. Er sah sich durch seine Position oft mit Vorurteilen konfrontiert. Die Leute glaubten, nur weil er Gardist war und sich eine Gruppe von Schlägern und Handlangern zusammengestellt hatte, würde er den lieben langen Tag auf der faulen Haut liegen, statt sich die Hände schmutzig zu machen. Aber das Gegenteil war der Fall: Gerade weil er Helfer für die Routineaufgaben hatte, konnte er sich um die wirklich schwierigen Jobs kümmern. Dinge, die seines Ranges würdig waren, die dem Wohl des Alten Lagers zugutekamen. Darum kroch er hier durch eine nasse, pechschwarze Höhle auf der Suche nach den verschütteten Bergarbeitern.

    Weil er ein Vorbild war.

    „Na los, leg mal einen Zahn zu da vorn!“, blaffte er Schachti an, der direkt vor ihm lief. Der lahme Grim und die Hunde bildeten die Nachhut. Der bärtige Wilde drehte sich wütend um und hielt sich dabei die Fackel unters Gesicht, als wolle er besonders einschüchternd sein.
    „Hier ist eine Kreuzung. Diese Höhlensysteme sind unser aller Grab, wenn ich den falschen Weg nehme, also gib mir gefälligst Zeit, mich zu orientieren!“
    „Pass nur auf, dass dir dein Bart nicht anbrennt“, erwiderte Bloodwyn trocken. Das wäre zwar irgendwie witzig, aber gleichsam wollte er, dass der Kerl am Leben blieb. Zumindest bis sie die Höhle wieder verlassen hatten.
    „Okay, an diese beiden runden Felsen kann ich mich erinnern. Hier entlang.“
    „Lass mich raten …“, wollte Bloodwyn bereits ausholen, doch Grim plapperte ihm einfach dazwischen.
    „Was denkst du, Schachti. Wie hoch ist die Chance, dass jemand den Einsturz überlebt hat?“
    „Njahaha, das kommt drauf an, wie stark ihr Glaube ist.“ Er schnäuzte sich die große Nase, ehe er weiter ausholte. „Der sicherste Ort ist wahrscheinlich der Buddlerschrein. Gesegnet von dem heiligen Meister Torrez persönlich.“
    „Ihr habt hier unten tatsächlich einen Schrein?“, fragte Bloodwyn ehrlich verblüfft.
    „Bergleute sind sehr fromme Menschen“, erzählte Grim. „Jene, die so schreckliche Katastrophen wie Crawlerangriffe, Wassereinbrüche oder Felsstürze überlebten, sehen sich im Glauben gestärkt und geschützt durch unseren Herren Innos.“
    „Dabei hat der alte Schachti den Platz für den Schrein vorgeschlagen“, erzählte selbiger stolz. „Die stabilste Kaverne in der ganzen Höhle. Tief im Herzen des Berges.“
    „Schlag das nächste Mal etwas Oberflächennahes vor, du Spinner“, seufzte Bloodwyn und trieb den Kerl weiter vor sich her.

    Sie setzten ihren Weg für eine ganze Weile schweigend fort. Immer wieder hielt Schachti inne und lauschte am Gestein. Er schien tatsächlich einen sechsten Sinn für den Untergrund zu haben, denn sie waren noch keinem einzigen Crawler begegnet. Bloodwyn hatte es längst aufgegeben, sich den genauen Rückweg zu merken. Hier sah doch alles gleich aus und auch die Stille zehrte an seinen Nerven.
    Es war ausgerechnet seine Hündin Gräuel, die mit einem leisen Winseln die in Gedanken versunkenen Männer wieder ins Hier und Jetzt zurückbrachte. Bloodwyn beugte sich zu ihr herab und tröstete sie mit liebevollen Streicheleinheiten. Dass seine beiden Hunde eine derartige Tortur bislang so besonnen mitmachten, war ihm ein tiefer Vertrauensbeweis.
    „Sie kann ihn spüren, was?“, murmelte Schachti. „Den Geist des Berges. Wir sind fast da. Wenn wir an ihm vorbei sind, führen alle nachfolgenden Wege zum Schrein.“
    „Du bist so voller Hirngespinste, da hat ja jeder Sektenspinner einen klareren Verstand“, giftete Bloodwyn weiter. Er hatte langsam echt genug von dem Kerl und seinem Geschwurbel. Vor allem aber lief es ihm allmählich kalt den Rücken runter, als ihm in den Sinn kam, dass Schachti sie hier womöglich absichtlich in eine Falle locken könnte. Wenn er ihnen wegrannte, waren sie am Arsch.
    „Wovon sprichst du, Schachti?“, fragte Grim von hinten. „Was für ein Geist?“
    „Nicht weit vor uns ist eine Grube? Dort lebt er. Wir müssen uns vorsichtig nähern, er ist sehr launenhaft.“
    Bloodwyn packte Schachti von hinten am Hemd. „Ich warne dich, wenn du hier irgendwelche Spielchen versuchst, reiße ich dich mit in den Tod.“
    „Wie oft soll ich dir noch klarmachen, dass ich versuche, euch zu helfen, undankbares Pack!? Und jetzt seid still und schaut in die Grube, wenn ihr mir nicht glaubt.“
    Da Gräuel immer unruhiger wurde und bereits begann, mit eingeklemmten Schwanz zwischen Bloodwyns Füßen herumzulaufen, zog er vorsichtshalber sein Schwert. Im fahlen Fackelschein war in der Grube kaum etwas zu erkennen, aber er konnte ein leises Säuseln vernehmen, als ob der Berg mit ihnen spreche. Womöglich ein Luftzug. Bei genauerem Hinsehen konnte er in der Grube weißen Nebel erkennen. Ob Schachti das für einen Geist hielt?
    „Wir müssen ihm jeder ein Opfer darbringen!“, sagte der verrückte Buddler und kramte aus seiner Tasche einen faustgroßen Klumpen magisches Erz. „Sonst wird er uns nicht durchlassen.“
    „Ich habe kein Erz bei mir“, gab Grim mit einem bedauerlichen Seufzen von sich.
    „Und ich werde bestimmt nicht mein eigenes Erz für diesen Firlefanz in die Grube werfen“, sagte Bloodwyn und streckte die Hand nach Schachtis Erzbrocken aus. Es war seltsam. Normalerweise würde er überhaupt nichts auf diesen Hokuspokus geben, aber eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass er hier wirklich ein Opfer in die Grube werfen müsste. Vielleicht lag es an den unruhigen Hunden, vielleicht an dem seltsamen Dampf.
    „Lass die Finger von mir, du Taugenichts! Das ist mein Opfer, such dir was eigenes!“
    Bloodwyn packte den Kerl am Kragen und hob ihn an sich heran.
    „Wie wäre es, wenn ich dich einfach als Opfer nehme, hm?“
    „Bloodwyn, nicht!“, japste Grim, doch der Griff des Gardisten blieb so eisern wie der Blick des Irren. Schachti hob die Hand mit dem Erzbrocken hoch und hielt sie Bloodwyn mit verbissenem Gesicht entgegen.
    „Na geht doch“, sagte jener, doch im letzten Augenblick entschied sich der Irre anders und warf den Klumpen selbst in die Grube. Er landete klimpernd auf dem Boden, sie war nicht besonders tief. Nicht so tief, dass man bei einem Sturz sterben würde, aber tief genug, um sich ein wenig wehzutun. Genau das hatte Bloodwyn jetzt vor.
    „Du hast es so gewollt. Mich verarscht niemand!“
    Mit diesen Worten schubste er Schachti rücklings in die Grube. Im Sturz ließ der Kerl seine Fackel fallen und landete mit einem unsanften Knacken am Boden des kleinen Lochs. Er stöhnte bitterlich, war aber noch am Leben. Das war der letzte Warnschuss, den Bloodwyn abfeuern würde.
    „War das wirklich nötig?“, fragte Grim vorwurfsvoll. Der Gardist schenkte ihm lediglich einen Blick, der jedes weitere Wort im Keim erstickte. Dann griff er nach der Fackel.
    „Hey, du da unten! Genug geschlafen. Hier, fang!“
    Bloodwyn warf den brennenden Stock hinab in die Grube.

    Schachti fing die Fackel auf …

    … und explodierte an Ort und Stelle.

    ***

    Ians Blick ruhte auf der Spitze des silbernen Dolches in Ravens Hand. Seine Kehle fühlte sich plötzlich unglaublich trocken an. Es war absurd, doch er hatte das Gefühl, man gebe ihm die Schuld am Einsturz der Mine. Weil er von der Gefahr darin geahnt, davon jedoch niemals etwas an die Erzbarone weitergetragen hatte. Weil es eine Schauergeschichte war.
    „Na los, spuck schon aus“, forderte Raven ungeduldig. „Oder muss ich dir erst ein wenig die Zunge lockern?“
    Ian kratzte sich nervös am Nacken. „Unter den Buddlern geht das Gerücht um, dass es in der Mine - nun ja - spukt. Einige von ihnen haben angeblich Geister gesehen. Ich habe dem keinen Glauben geschenkt, aber der Buddlerschrein war selten so gut besucht, wie in den letzten Tagen.“
    „Das freut mich zu hören“, sagte Torrez und legte dabei ein sanftes Lächeln auf. „In dunklen Stunden suchen die Menschen nach dem Licht, dass unser Herr Innos ihnen schenkt.“
    Raven unterbrach den Feuermagier, ehe er zu einer ganzen Predigt ausholen konnte. „Soso. Diese Geister haben also einen Erdrutsch verursacht und die Mine zum Einsturz gebracht.“
    „Nein, also … nicht direkt.“ Ian seufzte. „Ein lauter Knall hat den Erdrutsch verursacht. Diese Geister sind, wenn ihr mich fragt, nichts anderes als ein explosives Grubengas. Sobald es mit Feuer in Kontakt gerät, entlädt es sich, wie ein gewaltiger Feuerball.“
    Wieder deutete Ian in Richtung des Feuermagiers, in der leisen Hoffnung, er könnte dazu Stellung beziehen und seine Erklärung untermauern. Doch Torrez runzelte nur die Stirn.
    „Innos stellt uns Menschen und unseren Glauben immer wieder auf eine harte Probe. Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um die Verschütteten zu bergen. Wenn Feuer dabei ein Problem ist, kann ich uns ein paar magische Spruchrollen vom heiligen Lichtzauber erschaffen.“
    „Ausgezeichnet", sagte Raven, ohne eine Regung im Gesicht. "Dann hast du ja eine Beschäftigung. Ihr anderen kümmert euch darum, dass die Buddler endlich ihrem Titel gerecht werden und buddeln. Ich werde -“
    Ein lautes Kläffen unterbrach den Erzbaron mitten in seiner Order. Jackal erhob sich und blickte durch den Zelteingang nach draußen, als plötzlich zwischen seinen Beinen ein kleiner Hund ins Innere stürmte. Er war schrecklich aufgeregt, als wolle er sie vor etwas warnen. Ein ungutes Gefühl beschlich Ian und er ging mit dem Hund nach draußen.
    „Das ist einer von Bloodwyns Hunden“, sagte Jackal. „Wo ist der Kerl überhaupt?“
    Kaum hatte Ian das Zelt verlassen, war ein Knall aus dem Berg zu vernehmen und für einen Augenblick bebte sogar die Erde. Es hatte noch eine Explosion gegeben. Ein Lebenszeichen vielleicht? Oder war es vielmehr das Zeichen dafür, dass jetzt garantiert niemand mehr darin am Leben war?

    ***

    Ein durchdringendes Klingeln hallte durch Bloodwyns Ohren, als er wieder zur Besinnung kam. Sein Gesicht fühlte sich heiß an, seine Kehle staubtrocken. Um ihn herum nur tiefschwarze Finsternis. Er wollte aufstehen, doch rammte sich dabei den Kopf am Felsen. Langsam dämmerte es ihm. Er war noch der Höhle. Mit seinen Hunden, Grim und … Schachti. Die Bilder der Explosion tauchten wieder vor seinem inneren Auge auf. Was bei allen Göttern war nur vorgefallen? War Schachti in eine magische Falle gelaufen? War hier tatsächlich ein Geist am Werk?
    „Bellamy? Gräuel?“, rief er keuchend. Panik machte sich in ihm breit. Was, wenn seine Hunde bei dem Knall umgekommen waren? Das könnte er sich in seinem Leben nicht verzeihen. Dann könnte dieser Berg auch zu seinem Grab werden, er würde das Licht der Außenwelt nicht mehr sehen wollen.
    Er vernahm ein leises Fiepen. Das musste Bellamy sein. Dieser große Hund war zu erstaunlich hohen Tönen fähig.
    „Hierher mein Junge“, rief Bloodwyn in die Finsternis und tastete am Boden nach allem, was sich wie Fell anfühlen könnte. Er spürte etwas Hölzernes. Seine Fackel! Sie war erloschen. Plötzlich bemerkte er, wie eine kalte Nase an sein Bein stupste.
    „Bellamy!“
    Die Freude von Hund und Herrchen, einander in dieser dunkelsten Stunde gefunden zu haben, war unbeschreiblich. Sie waren wahrscheinlich verschüttet und verloren, aber sie hatten einander.
    „Alles wird gut, mein Großer. Wir finden schon einen Weg hier raus. Einfach … einfach der Nase nach, was?“
    Er nahm den Hund an der Leine und ließ sich von dessen Nase führen. Der Weg war steil und holprig, für einen Augenblick ging es sogar hinab. Ob sie in der Grube waren? Aus welcher Richtung war er gekommen? Und was viel wichtiger war: ging es Gräuel gut?

    Sie kämpften sich weiter vorwärts und vermutlich auch um eine Ecke, denn plötzlich konnte Bloodwyn ein Flackern in der Ferne erkennen. Fackelschein.
    „Hey! Ist da jemand?“
    „Bloodwyn? Innos sei Dank!“
    Es war nur Grim. Für einen Moment hatte Bloodwyn gedacht, er wäre womöglich auf die anderen Überlebenden gestoßen, aber er würde sich wohl oder übel mit seinem humpelnden Handlanger zufriedengeben müssen. Er hatte sogar noch eine funktionierende Fackel bei sich. Bloodwyn hielt seine eigene Fackel dagegen und erweckte seine eigene Lichtquelle zurück zum Leben.
    „Geht es dir gut, Boss?“, fragte der Buddler. Er musste dabei ein Husten unterdrücken. Sein Gesicht war rußverschmiert, die Augenbrauen versengt. Wahrscheinlich saß Bloodwyn genau so aus.
    „Blendend. Hast du Gräuel gesehen?“
    „Ja, sie war hier, aber ich konnte ihr nicht weiter folgen.“
    „Ist das dein Ernst?!“
    „Schau dich mal genau um. Wir sind an einer Weggabelung und dein Hund hat … nun ja … den Weg genommen, den ich nicht nehmen würde.“
    „Was verflucht noch mal …?“ Bloodwyn rieb sich die Augen. Er konnte nur einen Weg erkennen, die Fortsetzung des Tunnels, den sie schon die ganze Zeit über entlangmarschierten. Aber dann erkannte er, worauf Grim anspielte. In der Tunnelwand links schimmerte ein tiefrotes Loch. Eine Röhre, gerade so groß, dass man sich gebückt und mit angelegten Armen durchbewegen konnte.
    „Das ist eine Röhre der Minecrawler“, erklärte Grim. „Die bauen die Biester, um sich schneller und sicherer durch die Höhlen zu bewegen. Sie sind ziemlich robust und dienen vermutlich auch der Durchlüftung.“
    „Hätte ich mir ja denken können, dass wir es noch mal mit den Mistviechern zu tun bekommen. Na schön, dann geh mal voraus, ich folge dir.“
    Grim schien für einen Augenblick nach den Worten zu ringen. „Bist du … bist du wahnsinnig? Ich krabbele doch nicht in eine monsterverseuchte Röhre, die was weiß ich in welches Höllennest führt.“
    „Dein verrückter Kumpel hat gesagt, nach dem Geist führen alle Wege zum Ziel. Also los, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Die Hunde wollen schließlich auch pünktlich ihr Abendessen bekommen.“
    Widerwillig ließ sich Grim von seinem Vorgesetzten in die Crawlerröhre schieben. Wahrscheinlich verfluchte er ihn, aber es war auch ein guter Vorgeschmack dafür, was für eine Scheiße man durchmachen musste, um auf der Karriereleiter hochzukriechen.

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    Er war auserwählt.
    Gor Bobas Herz pumpte ruhig und gleichmäßig. Die Stille und Dunkelheit ringsum mochte jene, deren Geist weniger robust war, in den Wahnsinn treiben. Doch für seine Seele war es Balsam. Er fühlte sich dem heiligen Schläfer so nah wie nie zuvor in seinem Leben. Er konnte sich in eine tiefe Meditation begeben und war sich sicher: wenn sein Glaube nur stark genug war, würde ihm der Allmächtige einen Ausweg aus dieser Hölle zeigen. Er war sein Werkzeug. Alles, was geschah, geschah im Sinne des Schläfers. Wenn er sein Leben geben musste, um seine Vision zu vollenden, dann würde er dies mit einem Lächeln auf den Lippen tun.
    Es war eine Ehre für ihn, heute hier in der Alten Mine zu sein und das Schicksal der gesamten Kolonie mitbestimmen zu können. Cor Kalom höchstpersönlich hatte ihn ausgeschickt, nach dem Nest der Minecrawler zu suchen, damit sie endlich genug von dem magischen Sekret dieser Bestien gewinnen konnten. Mit dessen magischer Essenz würden die Gurus des Sumpfes in der Lage sein, die große Anrufung ihres Gottes abzuhalten, auf dass er sie in die Freiheit führe. Der Einsturz der Mine war das Ultimatum, das ihnen der Schläfer persönlich setzte. Sollte er die Mine mit leeren Händen verlassen, könnte die letzte Chance auf Freiheit vertan sein. Er durfte nicht versagen. Im Moment blieb ihm nicht viel mehr, als auf eine Vision, ein Zeichen seines Meisters zu hoffen. Leider hatte er kein Sumpfkraut mehr übrig, um sich auf eine höhere astrale Ebene zu begeben. Er musste es aus der Kraft der Meditation heraus schaffen.
    Doch das Knurren seines Magens störte jegliche Chance auf Transzendenz. Er konnte etwas Herzhaftes riechen. Seraphis und Pilze. Jemand von den anderen Überlebenden kochte eine Suppe. Etwa zwei Dutzend Menschen waren während des großen Knalls auf der unteren Ebene gewesen. Sie hatten überlebt. Die meisten von ihnen waren Buddler, dann war da noch der Schmelzer Viper, einige Gardisten und ein Orksklave. Von den anderen Templern, Gor Na Vid, Gor Na Kosh und Gor Na Bar, die gemeinsam mit Gor Boba auf Crawlerjagd waren, fehlte jede Spur. Da sie sich zum Zeitpunkt des Einsturzes auf den oberen Ebenen aufgehalten hatten, war vom Schlimmsten auszugehen.
    Er konnte Schritte vernehmen. Jemand näherte sich ihm. Zur Waffe musste er nicht greifen, es waren menschliche Schritte. Dennoch … seine Meditation war nun vollends unterbrochen. Er blickte auf. Nur einer der Buddler. Wenn er sich recht erinnerte, hieß der Kerl Grimes. Er war definitiv der älteste Überlebende von ihnen. Er könnte Bobas Vater sein.
    „Komm zu uns ans Feuer, mein Junge. Ich habe Buddlerfleisch gekocht.“
    Gor Boba wandte sich nicht zu dem anderen um. „Esst ihr es. Ihr habt es nötiger als ich.“
    „Jetzt rede mal keinen Unsinn“, erwiderte Grimes und ein Hauch von Empörung schwang in seiner rauen Stimme mit. „Soll ich dir mal verraten, wie ich es verstanden habe, zehn Jahre in den Minen zu schuften und immer noch am Leben zu sein? Weil ich auf meinen Körper achte. Weil ich vernünftig bin.“
    Er hielt kurz inne.
    „Und ich bin noch nicht bereit, den Löffel abzugeben. Ich habe schon ganze andere Katastrophen überlebt. Wie damals, als ich noch in der inzwischen verlassenen Mine gearbeitet habe und mich Korgur vor den Minecrawlern gerettet hat. Aber … das sind alte Geschichten.“
    „Korgur?“, wiederholte Gor Boba hellhörig. „Meinst du Drei-Finger-Korgur? Den legendären Crawlerjäger?“
    „Genau den. Er war kein Kostverächter. Hat mir fast die Haare vom Kopf gefressen, der Junge.“
    Gor Bobas Herz machte einen Hüpfer. Drei-Finger-Korgur war sein Idol. Als er selbst noch ein Novize war, lehrte ihn dieser Mann, was Kampfkraft und Wendigkeit bedeuteten. Die Grundprinzipien eines jeden starken Templers.
    „Es wäre mir eine Ehre, wenn du mir bei einem Teller Suppe noch mehr von euren gemeinsamen Abenteuern erzählst.“
    „Na bitte, geht doch.“

    Grimes Eintopf war köstlich und Gor Boba war etwas erleichtert, als er erfuhr, dass es sich beim Buddlerfleisch lediglich um einen großen Pilz handelte, der hier in der Höhle wuchs. Die anderen Überlebenden waren also noch nicht zum Kannibalismus übergegangen. Es würde aber nur eine Frage der Zeit sein und dann würden vermutlich die Schwächsten zuerst dran glauben müssen und das waren nun einmal die Buddler.
    Gor Boba blickte in die müde Runde. Die Überlebenden hatten ihr provisorisches Lager am Buddlerschrein aufgeschlagen und dort auch ein kleines Lagerfeuer entzündet. Ihnen allen war bewusst, wie gefährlich es war, auf engem Raum ein Feuer zu entzünden, doch der Rauch fand einen Weg hinaus, also blieb die Hoffnung, dass es noch irgendwo einen Gang gab, der sie mit Außenluft versorgte.
    „Warum kriegt er etwas zu essen?“, fragte eine frustrierte Gestalt plötzlich und richtete ihren Finger auf Gor Boba. „Er ist keiner von unseren Männern.“
    Bei dem Kritiker handelte es sich um einen der Gardisten; einen, der es nicht gewohnt war zu hungern.
    „Lass gut sein, Brandick“, schnaubte ihn ein anderer an. „Der Kerl hat schon mehr Crawler getötet, als du Männer an sie verloren hast. Er muss bei Kräften bleiben. Hier, nimm noch einen Nachschlag!“
    „Schon gut“, erwiderte Boba dankend. „Ich werde mich wieder auf meinen Wachtposten begeben.“

    Er erhob sich, deutete eine höfliche Verbeugung in Richtung von Grimes an und wandte sich wieder der Finsternis zu. Im schwachen Schein des Lagerfeuers fiel sein Blick auf den Buddlerschrein - zwei gekreuzte Spitzhacken auf einem mit magischem Erz verzierten Sockel. Ob die alten Götter tatsächlich über die Überlebenden wachten? Wo war der Schläfer in diesen schweren Zeiten? Würde er ihm ein Zeichen schicken? Wie konnte er nur ohne Sumpfkraut noch Kontakt zu ihm aufnehmen? Alles, was ihm noch an Ausrüstung geblieben war, war seine Klinge und ein magisches Elixier, das der Guru Cor Kalom persönlich für die Crawlerjäger gebraut hatte. Es sollte nur im äußersten Notfall verwendet werden. War dieser nicht längst erreicht? Ob es ihn dem Schläfer näherbringen konnte?
    Das Geräusch von leisen, aber schnellen Schritten riss ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Geistesgegenwärtig zückte er seine Klinge. Etwas näherte sich ihm und diesmal klang es nicht menschlich. Wie sollte er es in dieser Finsternis mit den Crawlern aufnehmen? Er konnte nicht zurück zum Lagerfeuer und die Bestie zu den anderen locken. In ihrem Zustand waren sie eine leichte Beute für die riesigen Spinnen. Er musste ihnen selbst mutig entgegentreten. Wie Drei-Finger-Korgur! Für den Schläfer!

    ***

    Bloodwyn fühlte sich wie ein Regenwurm, der sich durch sein Erdloch grub. Als Kind hatte er Würmer öfter gefangen. Sein Vater brauchte sie zum Angeln, aber dann und wann hatte Bloodwyn einige von ihnen für sich behalten und seziert. Sie waren erstaunlich robust und überlebenswillig. Schnitt man ein hinteres Segment von ihnen ab, waren sie durchaus in der Lage, dieses zu regenerieren. Davon sollten sich die trägen Buddler mal eine Scheibe abschneiden. Grim war das beste Beispiel. Er lief vor ihm und wurde immer langsamer. Seinen hinkenden Fuß schleifte er inzwischen nur noch hinter sich her, fast wie einer dieser Untoten.
    „Dir gefällt es wohl doch so gut in der Röhre, dass du dich hier niederlassen willst, was?“, stichelte Bloodwyn, aber Grim reagierte nicht. Er bewegte sich inzwischen geradezu apathisch vorwärts. Glücklicherweise erreichten sie bald einen etwas geräumigeren Hohlraum innerhalb der Röhre, wo sie sich etwas ausbreiten konnten.
    „Na schön, kurze Pause“, meinte Bloodwyn und zumindest dieses Kommando nahm Grim auf und ließ sich dankbar in eine Ecke fallen. Der Gardist hielt die Waffe in der Rechten und die Fackel in der Linken. Bellamy blieb dicht bei ihm und gab ein gelegentliches Winseln von sich. Das arme Tier war wahrscheinlich auch völlig fertig.
    Bloodwyn tastete vorsichtig entlang der Röhrenwand. Sie war … lauwarm und schien eine leicht schmierige Substanz abzusondern. Es wirkte auch so, als ob sich Nervenbahnen entlang der Röhre bewegten. Als ob sie sich innerhalb eines Lebewesens befanden. Neugierig pikste Bloodwyn mit der Spitze seines Schwertes gegen die Wand, kam aber nicht durch. Was für ein eigenartiges Material.
    „Hey Grim, sieh dir das mal an.“ Bloodwyn wandte sich an seinen Begleiter, aber der war in seiner Ecke zusammengesackt und hob nicht einmal seinen Kopf. „Hey! Ich habe gesagt Pause, nicht Schläfchen!“
    Er stupste den Buddler mit dem Fuß an, doch das war ein Fehler. Er erwischte wohl seine wunde Stelle am Bein, denn Grim bäumte sich plötzlich vor Schmerzen auf. Bei genauerem Hinsehen, konnte Bloodwyn erkennen, dass sein Begleiter geradezu glühte. Wahrscheinlich hatte sich die Wunde entzündet und nun begann das Fieber.
    „Kannst du … vielleicht mal einen Blick darauf werfen?“, bat Grim ihn. Bloodwyn beugte sich herab und riss ihm das vom Crawler angebissene Stück von der Buddlerhose einfach ab. Darunter eröffnete sich ihm ein ganz und gar widerlicher Anblick. Rings um die Wunde hatten sich tiefpurpurne Äderchen gebildet, die sich bis zu Grims Fuß, aber auch weiter in Richtung seines Oberkörpers bewegten. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick ins Gras beißen. Und doch hatte er sich bis hierhin scheuchen lassen und war seinem Vorgesetzten ohne wirklichen Protest gefolgt. Bloodwyn fühlte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete.
    „Nichts, was die Magier nicht wieder hinbekommen. Mach dir keine Sorgen.“ Er schloss die Augen. Im Trostspenden war er miserabel. „Nimm dir alle Zeit, die du brauchst.“
    „Du solltest gehen“, brachte Grim leise hervor. „Hilf den anderen und deinem Hund. Ich bin dir doch nur noch ein Klotz am Bein.“
    „Erspar mir doch dieses sentimentale Gefasel! Du bist meine rechte Hand. Ich werde dich nicht einfach zum Sterben zurücklassen.“
    Grim lächelte schwach in seinen dichten Bart hinein. „Kennst du … kennst du die Legende von Drei-Finger-Korgur?“
    „Nein.“
    „Er ist … er war ein legendärer Crawlerjäger. Einer der wenigen Menschen, die von Minecrawlern gebissen worden und überlebt haben.“
    „Mit drei Fingern?“
    „Ja“, Grim schluckte schwer. „Bei einem seiner Kämpfe hat ihn das Gift der Crawler an seiner Schwerthand erwischt. Man sagt, er habe die Infektion nur überlebt, weil er sich selbst die Hand abgetrennt hat, ehe es in seine Blutbahn geriet.“
    „Und was war mit den beiden übrigen Fingern an der anderen Hand?“, wollte Bloodwyn wissen.
    „Keine Ahnung. Kam vielleicht von einer früheren Verletzung im Sägewerk.“
    „Aha.“
    „Fakt ist… es sind keine Fälle von Crawlerangriffen bekannt, bei denen es Überlebende gab. Die meisten Toten in der Mine sind entweder direkt an ihrer Wunde verendet oder wurden von den Crawlern in ihre Höhlen und Röhren verschleppt. Ich denke, dass ihr Gift … tödlich ist.“
    Bloodwyns Brustkorb schien sich zusammenzuziehen. Wenn das Gift der Crawler so tödlich war, hatten sie bald noch ein viel größeres Problem als eine eingestürzte Mine, jetzt, da sich die Monster anscheinend frei durch die Kolonie bewegten. Aber darum konnten sie sich kümmern, wenn sie einen Ausweg aus dieser Hölle gefunden hatten.

    Bloodwyn griff in seine Tasche und hoffte inständig, dass seine Hundepfeife trotz der Explosion noch intakt war. Das war aber schwer zu beurteilen, immerhin konnte er so oder so kein Geräusch hören, das sie von sich gab. Sie hieß ja nicht umsonst „Stille Melodie“.
    „Was hast du vor?“, fragte Grim.
    „Damit rufe ich nach meinem Hund. Ich hoffe, Gräuel reagiert darauf. Wenn sie wieder bei uns ist, verschwinden wir so schnell wie möglich aus dieser Hölle.“
    „Aber …“
    „Ich werde die Bergleute retten und du bist einer davon, also keine Widerrede.“
    Er spielte die stille Melodie und wartete einen Moment ab. Wie erwartet, konnte er selbst nichts davon hören, aber Bellamy begann mit dem Schwanz zu wedeln und sich um ihn zu drehen. Also schien die Pfeife noch zu funktionieren. Bloodwyn pfiff noch einmal, konnte jedoch keine Reaktion von der vermissten Gräuel wahrnehmen. Doch es kam zu einer anderen, unerwarteten Reaktion. Der verletzte Grim begann plötzlich wieder, sich vor Schmerzen zu winden und hielt sich auch die Hände an die Ohren.
    „Aufhören! Das ist ja fürchterlich!“
    „Du kannst das hören?“, fragte Bloodwyn verblüfft, doch was dann folgen sollte, sprengt sein komplettes Vorstellungsvermögen.

    Die feinen violetten Äderchen, die inzwischen Grims gesamten Körper bedeckten, platzten plötzlich auf und setzten eine seltsame, milchige Flüssigkeit frei, die in kürzester Zeit den gesamten Körper des Buddlers bedeckte. Grims Schreie verebbten schnell und sein gesamter, massiger Körper krümmte sich zusammen. Es erinnerte vage an den Kokon einer Raupe, doch am Ende dieser Metamorphose würde garantiert kein wunderschöner Schmetterling entstehen.
    Bellamy fiepte ängstlich und zog den Schwanz ein. Bloodwyn hielt sein Schwert kampfbereit, konnte es jedoch vor blanker Panik kaum heben. An Flucht war auch nicht zu denken, die Schockstarre übermannte ihn. Letztlich war es auf bizarre Art fast schon erleichternd, als Grims Metamorphose abgeschlossen war und sich aus dem seltsam schleimigen Kokon plötzlich ein Minecrawler schälte. So eine Bestie hatte er schon einmal erlegt, das könnte er wieder schaffen. Er durfte sich bloß nicht beißen lassen, sonst würde es ihm genauso ergehen, wie seinem alten Freund.
    „Scheiße, Grim, wie soll ich dich denn lebend hier rausbringen, wenn du dich in so ein Krabbelvieh verwandelst?“
    Und in was für eins! Grims Bestienform war ebenso groß und kräftig, wie der Mensch, der hoffentlich noch irgendwo hinter den hässlichen Crawlerplatten steckte. Bloodwyn hielt sein Schwert nun etwas sicherer vor sich, zögerte aber dabei, anzugreifen. Der Crawler fauchte mit seinem gewaltigen Kiefer und scharrte mit den langen Beinen. Aber auch er schien zu zögern. Ganz so als ob Grims Bewusstsein mit aller Kraft dagegen ank, die Kontrolle zu bewahren.
    Doch er verlor den Kampf.
    Der Crawler setzte zu einem Angriff an und biss sich an der Klinge des Gardisten fest. Zum Glück war Bellamy instinktiv zur Stelle und schnappte nach einem der langen Beine der Kreatur. Und wie ein eingespieltes Team schnappte sich Gräuel das andere Vorderbein der Bestie. Moment. Gräuel?
    „Da bist du ja! Du hast mich wohl wirklich gehört, was?“
    Statt einer Antwort des Hundes, war nur das wutentbrannte Fauchen des Crawlers zu vernehmen. Bloodwyn entriss ihm das Schwert und umrundete das Biest. Er suchte nach der empfindlichen Stelle am Rücken. Sie lag frei. Er könnte jetzt einfach zustechen und ihm das Leben aushauchen. Würde das die Verwandlung rückgängig machen? Oder würde er Grim damit auch umbringen?

    „Stich doch zu!“, vernahm er plötzlich eine fremde Stimme.
    „Grim?“, fragte Bloodwyn in die Dunkelheit. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Nein. Das war nicht Grim. Die Stimme war tiefer, härter.
    „Wenn du es nicht tust, tu ich es!“
    Endlich trat der Fremde in sein Sichtfeld. Es war ein Templer, einer dieser Crawlerjäger, die gelegentlich in der Mine unterwegs waren. Die Erzbarone hatten ein Abkommen mit den Sektenspinnern getroffen, dass sie die Bestien in der Mine erlegen und ihre Zangen sammeln können, solange sie den Erzabbau nicht störten. Sie waren viel geschulter im Kampf mit den Monstern als die Gardisten. Der Kerl könnte seine Rettung sein.
    „Das ist kein gewöhnlicher Minecrawler!“, rief Bloodwyn ihm zu. „Einer unserer Buddler hat sich in ihn verwandelt.“
    „Wie viel Zeit ist seit der Metamorphose vergangen?“
    „Nur wenige Augenblicke. Scheiße!“
    Er musste nach dem Kopf des Biestes schlagen, weil es drauf und dran war, Bellamy zu beißen.
    „Dann besteht vielleicht noch eine Chance. Halt ihn in Schach!“
    Der Kerl öffnete eine kleine Flasche und träufelte ihren Inhalt auf seine Klinge. Dann hielt er sie dem Monster vor das Maul und wie schon zuvor, verbiss sich der Crawler in dem Schwert.
    „Beim Schläfer! Hoffen wir, dass es wirkt.“

    ***

    Grims Albtraum endete mit einem Gefühl, als ob ihm die Zähne ausfallen würden. Nur anders als bei einem gewöhnlichen Traum, schmerzte sein Kiefer beim Aufwachen tatsächlich. Er fühlte sich, als ob er eine ganze Schüssel voller Nägel gegessen hatte. In seinem Mund hatte sich Blut angesammelt und wie er mit der Zunge über seine Zähne wanderte, musste er erschrocken feststellen, dass sich einige davon nicht normal anfühlten. Locker, angeknackst, einer fehlte sogar ganz. Er wollte sich erheben, sackte dann aber von Schwindel und Kopfschmerz geplagt wieder zurück. Mit einer Hand tastete er nach seiner Schläfe. Er ertastete warmes Blut. Auch sein verletztes Bein brannte, als hätte sich Beliar selbst ein Stück davon herausgeschnitten. Was bei allen Göttern war ihm passiert? Waren das noch Nachwirkungen der Explosion?
    Er konnte Stimmen wahrnehmen, auch ein flackerndes Licht nicht weit entfernt. Dann die tapsigen Schritte eines Vierbeiners, der es sich nicht nehmen ließ, ihm das Ohr auszuschlabbern. War das einer von Bloodwyns Hunden?
    „Bellamy, aus! Wir wollen doch nichts mehr essen, was wir nicht kennen.“
    Diese Stimme. Bloodwyn war am Leben. Und er war nicht allein. Hatte er die anderen Überlebenden des Einsturzes gefunden?
    „Na sieh mal einer an, wer wieder seine fleischliche Form angenommen hat.“
    „Bloodwyn? Was ist denn passiert?“
    „Du bist noch hässlicher geworden, als du ohnehin schon bist. Hast dich in einen Crawler verwandelt und mein halbes Schwert verspeist. Das wirst du mir bezahlen, klar?“
    Er hielt ihm eine gebrochene Klinge entgegen. Die soll er gegessen haben?
    „Ver-verwandelt?“
    „Du kannst von Glück reden, dass ich meine Hundepfeife dabeihatte und Gräuel rufen konnte. Sie brachte diesen Typen da drüben mit, einen richtigen Babo.“
    „Boba“, korrigierte sich der Fremde und trat ebenfalls an Grim heran. „Gor Boba. Crawlerjäger, heiliger Templer der Bruderschaft und demütiger Diener des Schläfers.“
    Bloodwyn winkte ab.
    „Er hatte ein Gegenmittel bei sich, mit dem wir dich wieder zurückverwandeln können.“ Der Gardist wandte sich mit einem finsteren Blick an den Templer. „Ein Mittel, von dem wir vielleicht mal eher hätten wissen sollen.“
    „Das war ein extrem seltenes Elixier, das uns unser Meister Cor Kalom persönlich mitgegeben hat, damit wir es mit den Crawlern aufnehmen können. Normalerweise reichen ein paar Tropfen auf der Bisswunde, um das Gift zu neutralisieren. In deinem Fall habe ich alles einsetzen müssen. Aber das beweist uns auch die grenzenlose Genialität unseres Meisters.“
    In Grims Kopf drehte sich noch immer alles. Das alles würde er noch verdauen müssen, aber für den Moment war es wichtiger, diese verfluchte Höhle endlich zu verlassen.
    „Kannst du laufen?“, fragte Boba. „Wir sind nicht weit von eurem Buddlerschrein entfernt. Die Überlebenden haben Suppe gekocht. Dort könnt ihr euch stärken.“
    „Die ersten guten Nachrichten“, meinte Bloodwyn.
    „Aber sagt mir eins“, bat der Templer. „Aus welchem Schacht der Mine seid ihr gekommen? Gibt es noch andere Überlebende?“
    „Wir kommen von draußen“, antwortete Bloodwyn stolz. „Wir sind hier, um euch zu retten.“

    Grim lächelte. Diesmal sagte er sogar „Wir“.

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    Im Minental wurden die Abendstunden vom Zwielicht beherrscht. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Sonne hinter den zahlreichen Bergen und Hügelkämmen verschwunden war. Jetzt waren die Schatten am längsten und schienen geradezu nach den Bewohnern der Kolonie zu greifen. Ian schluckte schwer. Der neuerliche Knall aus der Mine hallte immer noch in seinen Ohren nach. Er hatte Angst. Er wollte nicht mehr hier sein. Ihm war, als könnte er den Fluch spüren, der jene Opfer des Mineneinsturzes ereilt hatte. Ihm wurde übel.
    „Hey Mann, du siehst gar nicht gut aus.“ Jackal war an ihn herangetreten und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. „Warum machst du nicht einen Spaziergang mit dem Hund und suchst nach seinem Besitzer, hm? Du hast eine Menge durchgemacht. Wir kommen hier schon klar, keine Sorge.“
    Ein Lächeln stahl sich auf Ians Lippen. Er betrachtete den kleinen Hund von Bloodwyn, der ungeduldig um ihn herumwuselte. Ja, ein Spaziergang. Ein schöner, langer Spaziergang. Vielleicht war das die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. Nach dem Gespräch mit Raven war er sich sicher, dass die Erzbarone einen Schuldigen für die Misere suchen würden. Und er war der Chef der Mine. Wäre er ein Kapitän, müsste er schließlich auch mit dem sinkenden Schiff untergehen. Im Alten Lager war er nicht mehr sicher. Vielleicht sollte er sich zu den Sektenspinnern absetzen. Wenn er sich jetzt auf den Weg machen würde, könnte er noch vor Mitternacht -
    „Alarm!“, schallte es plötzlich über den Vorplatz der Mine und binnen weniger Herzschläge brach die Hölle über ihnen aus. Schreie waren zu vernehmen, Schwerter wurden gezückt und Pfeile surrten durch die Luft. „Minecrawler!“
    Die nahende Dunkelheit musste die Bestien aus ihren Löchern gelockt haben. Ian wäre vermutlich keine hundert Schritt weit gekommen. Er war bis zuletzt davon überzeugt, dass sich die lichtscheuen Wesen niemals an die Oberfläche trauen würden. Dass sie die Mine niemals verlassen würden. Doch es waren Unzählige, die über sie herfielen. Die Buddler waren ihren Angriffen hoffnungslos ausgesetzt. Ian konnte beobachten, wie eines der armen Schweine am Bein gepackt und in die Dunkelheit gezerrt wurde. Die Gardisten kämpften verbissen, Jackal führte sie an, schrie Kommandos und schoss donnernde Bolzen aus seiner Armbrust ab. Selbst der Feuermagier Torrez beteiligte sich mit seiner mächtigen Magie an der Verteidigung des Lagers.
    „Es sind so viele“, japste Ian, der in der Nähe von Jackal blieb und ihm den Rücken freihielt. Er konnte eigentlich nicht mehr viel machen, als sich eine Fackel zu schnappen und die Crawler damit auf Abstand zu halten. Die Biester hassten Feuer.
    „Verflucht!“, schimpfte Jackal, ehe er den letzten Bolzen aus seiner Armbrust verschoss. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mit seiner Axt und einem Kampfgeschrei auf den Lippen in den Nahkampf überzugehen.
    „Durchhalten!“, schrie Ian und warf seine Fackel einem der Biester ins Maul.

    ***

    „Durchhalten! Wir sind gleich am Lager!“
    Von Bloodwyn und Gor Boba gestützt kämpfte sich Grim seinen Weg durch die schier endlose Crawlerröhre. Dass sich diese immer mal wieder verengte, machte es nicht einfacher, denn so musste er zeitweise gezogen und geschoben werden. Die Verletzung an seinem Bein strahlte zwar keinen entzündeten Rand oder feine Äderchen mehr aus, doch sie tat noch immer höllisch weh.
    Es war eine unvergleichliche Erleichterung, als sie die Röhre endlich hinter sich ließen und das Lager der Überlebenden erreichten. Der Duft von herzhaftem Essen stieg ihm in die Nase. Buddlerfleisch, den Geruch würde er nie vergessen. Sein Magen knurrte sogleich wie verrückt. Er deutete dies als ein gutes Zeichen, was die Gesundung seines Körpers betraf.

    Sie wurden von den restlichen Überlebenden des Mineneinsturzes überwiegend herzlich empfangen. Es waren etwa zwei Dutzend Menschen und ein Orksklave. Sogar der alte Grimes hatte es verstanden, am Leben zu bleiben. Grim umarmte seine Freunde und Arbeitskollegen und ließ sich ohne Umschweife auf einen freien Platz fallen und mit einem Teller Eintopf versorgen. Die Neugier und Vorfreude war natürlich riesig, als die Überlebenden erfuhren, dass Grim und Bloodwyn von draußen kamen und einen Weg hineingefunden hatten.
    „Und werdet ihr uns auch hinausführen können?“, fragte der Gardist Brandick. „Ich kann es kaum erwarten, dieses Grab zu verlassen.“
    „Davon gehe ich aus. Schachti hat uns den Weg durch einen Nebenschacht gezeigt. Ich denke, ich habe ihn mir merken können.“
    „Schachti? Der Penner lebt noch? Sagtest du nicht, die Crawler hätten ihn geholt?“
    „Nein, er ist …“ Grim schluckte. Während der ganzen Strapazen hatte er noch gar nicht verarbeiten können, was in dem Schacht mit seinem Kumpel geschehen war. Der Geist der Mine hatte ihn geholt, er hatte ihn einfach ohne Vorwarnung in die Luft gejagt. Schachti hatte sich gewünscht, seinen Lebensabend über der Erde zu verbringen. Er hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, wieder in die Mine zu kriechen, doch sie hatten ihn dazu gezwungen und jetzt war er tot. Grim fühlte sich hundeelend.
    „Er ist auf dem Weg durch die Mine gestorben. Er ist einem … Erdrutsch zum Opfer gefallen.“
    Niemand von den Überlebenden musste wissen, was wirklich geschehen war. Das würde sie nur noch weiter verängstigen.
    „Erzähl keinen Müll! Es hat ihn in tausend Teile zerfetzt“, mischte sich Bloodwyn ein. „Ich habe wahrscheinlich immer noch Stückchen von ihm an mir kleben. Das war so widerlich. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was meinem Kumpel Grim danach noch widerfahren ist.“
    „Was denn?“, wurde sofort nachgehakt.
    „Es spielt keine Rolle“, sagte Grim ernst und wollte so schnell wie möglich das Thema wechseln. „Ich bin hier und am Leben. Wenn wir es hier hineingeschafft haben, dann schaffen wir es als Gruppe auch hinaus. Allerdings …“
    Er blickte an seinem Bein hinab. Ein hässlicher Anblick, er würde wohl auch auf dem Rückweg gestützt werden müssen.
    „Wir haben noch ein paar Heiltränke gelagert. Davon kannst du einen haben“, schlug Grimes vor. „Und dann werde ich noch deine Verletzung verarzten, mit etwas Schnaps desinfizieren und einen Verband umlegen.“
    „Ich werde bestimmt keinen Heiltrank für einen Dreckfresser rausrücken“, schnaubte Brandick erbost. „Und erst recht nicht den guten Schnaps.“
    Bloodwyn hatte Brandick so schnell am Kragen gepackt, dass dieser gar nicht wusste, wie ihm geschah. Mit einer geübten Bewegung presste er den Kerl gegen eine Wand.
    „Du tust lieber, was der alte Mann vorschlägt und rückst deinen Schnaps raus. Ich habe auch Durst. Und dieser sogenannte Dreckfresser hat sein Leben mehr als einmal riskiert, um hierher zu kommen, während du dir hier nur den Arsch breitgesessen hast. Jetzt gib uns das Zeug, bevor ich meine Hunde darauf abrichte, dir deinen verkümmerten Schwanz abzubeißen.“
    „Verfluchte Scheiße! Ja doch! Aber nur, weil du es bist, Mann!“
    Man konnte über Bloodwyn denken, was man mochte, aber eins war für Grim schon von Anfang an klar: es war besser mit, als gegen ihn zu arbeiten.

    ***

    Ian stand am Wasserfall und wusch sich gründlich das ganze Blut vom Körper. Blut von Crawlern, Blut von Menschen, vielleicht auch irgendetwas dazwischen. Er wusste, was mit jenen geschah, die sich von den Crawlern beißen ließen, er hatte es erst vor Kurzem erst mit eigenen Augen gesehen. Sie waren nicht mehr zu retten. Die Glücklichen starben direkt an den verheerenden Wunden, aber jene, die einfach nur gebissen wurden, ereilte ein abartiges Schicksal als eine dieser schrecklichen Kreaturen, die wahrscheinlich direkt aus Beliars Höllenschlund gekrochen waren.
    „Ich werde nie wieder auch nur einen Schritt in diese verfluchte Mine setzen“, murmelte er vor sich hin und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er zitterte am ganzen Leib. Vielleicht lag es an der Kälte der Nacht oder dem eisigen Wasser, aber wahrscheinlich wurde er von den ganzen Schuldgefühlen einfach zerfressen. Er musste abhauen, neu anfangen. Gleich morgen früh, im Schutze des Tageslichts, dann würden sich die Crawler wieder unter der Erde vergraben haben. Dann nichts wie auf ins Sumpflager. Der Sumpf war nass, die Biester hassten die Nässe, er würde überleben. Er musste nur noch diese eine Nacht überstehen, dann war dieser, sein persönlicher Albtraum, vorüber.
    Niemand würde nach ihm suchen. Er hatte sich mitten im Getümmel aus dem Staub gemacht. Die Crawler hatten bei ihrem Angriff so viele Männer aus Ravens Einsatzgruppe verschleppt, man würde ihn einfach für tot halten. Jetzt war er unsichtbar, seinem Rang gerecht, ein Schatten. Er würde einfach hier ausharren. In dieser Höhle am Wasserfall, an die sich die Crawler nicht herantrauen sollten. Hier würde kein Mensch nach ihm suchen.

    Er wurde dennoch gefunden.
    Wie aus dem Nichts sprang plötzlich die kläffende Töle von Bloodwyn zwischen seinen Beinen herum. Und damit nicht genug, sie hatte ausgerechnet den einzigen fürsorglichen Gardisten mitgebracht, dem er zu entkommen versuchte. Die klappernde Rüstung von Jackal hätte er längst hören sollen, aber hier übertönte das Rauschen des Wasserfalls jedes andere Geräusch.
    „Bei Innos! Ian, du lebst!“
    „Jackal, ich …“
    „Der kleine Hund hat mich hierhergeführt. So ein Sonnenschein. Und schlau noch dazu. Ich glaube, ich habe Bloodwyn Unrecht getan, als ich ihn auf die Lärmbelästigung angesprochen habe. Dieser Hund hat mich todesmutig im Kampf gegen die Crawler unterstützt. Er hat gebellt, hat die Crawler abgelenkt und ich konnte mit ihnen kurzen Prozess machen. So einen lege ich mir definitiv auch mal zu!“
    Der Gardist brachte die Euphorie des Blutrausches mit sich. Er ließ Ian gar nicht zu Wort kommen.
    „Als der Kampf vorbei war, hat mich der Hund hierhergeführt. Er wollte mich zu dir führen oder … Moment mal, diese Höhle? Führt da ein Schacht entlang?“
    Ian seufzte innerlich. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich auf das Spiel einzulassen.
    „Ja, die habe ich auch gerade erst entdeckt. Wahrscheinlich ist Bloodwyn da drin und sucht einen Weg in die Mine. Vielleicht solltest du mal nach ihm sehen?“
    Das wäre vermutlich die einzige Möglichkeit, den aufdringlichen Jackal loszuwerden. Da drinnen würde er sich sicher hoffnungslos verlaufen und Ian konnte indes im Schutze der Dunkelheit ins Sumpflager fliehen.
    „Gute Idee“, stimmte Jackal ihm zu und nahm den Hund in den Arm. „Geh du voraus. Du kennst dich unter der Erde schließlich am besten aus.“
    Scheiße.

    ***

    Mit einem freudigen Lied auf den Lippen durchstöberte Bloodwyn die wenigen Kisten und Fässer mit Proviant, die die Überlebenden des Minenangriffs hatten sicherstellen können. Neben einem Heiltrank für Grim fand er sogar noch ein bisschen Trockenfleisch und Wasser, das er den größten Helden dieses Abenteuers reichte - seinen Hunden. Wie durch ein Wunder hatten Bellamy und Gräuel sowohl die Explosion, als auch den Kampf mit dem vercrawlerten Grim unbeschadet überlebt. Es war fast so, als würden sie das Schicksal der beiden Männer leiten. Er hoffte nur, dass es auch Wuffma gutging und fragte sich insgeheim, ob sie wohl auch irgendjemandem das Leben gerettet hatte.
    Der Heiltrank brauchte einige Stunden, ehe er seine Wirkung entfaltete. Grim hatte ihn bis auf den letzten Tropfen in sich hineingekippt, während Grimes ihm einen Verband anlegte. Obwohl sie sich in der tiefdunklen Höhle befanden, sagte Bloodwyns innere Uhr, dass es längst Schlafenszeit war. Am nächsten Morgen würden sie sich auf den beschwerlichen Weg raus in die Freiheit begeben. Auf die paar Stunden kam es nun auch nicht mehr an.

    Unglücklicherweise währte ihre Nachtruhe kaum mehr als drei Stunden, als sie ein erneutes Krachen aus dem Schlaf riss. Die Hunde schlugen Alarm und Bloodwyn schnappte sich geistesgegenwärtig eine Fackel und die Hundeleinen. Noch einmal wollte er die beiden nicht verlieren.
    „Was ist los? Noch eine Explosion?“, fragte jemand, dessen Stimme der Gardist nicht erkannte.
    „Das hat sich eher nach einem Einbruch angehört“, gab Grimes seine Meinung als Bergmann zum Besten. „Die ganze Mine ist instabil. Wir sind hier nicht mehr sicher.“
    „Dann nichts wie raus hier!“ Das war Brandick. „Los Bloodwyn, bring uns hier raus. Bitte Mann!“
    „Nicht ohne meine rechte Hand.“
    Er suchte das Nachtlager nach Grim ab, konnte ihn aber nirgends entdecken.
    „Wo zum Henker …?!“
    „Am Buddlerschrein“, sagte Gor Boba und deutete etwas tiefer in die Kaverne hinein. Bloodwyn fand seinen Freund, der vor dem Schrein kniete und atmete erleichtert aus.
    „Ich hoffe, du hast dein letztes Gebet gesprochen. Wir müssen hier raus! Kannst du auftreten?“
    „Ja, das sollte gehen.“ Der Hüne erhob sich. Er hatte einen großen Erzbrocken vor den Schrein gelegt. Bloodwyn erkannte ihn, das war Schachtis Opfergabe für den Geist der Mine. Grim hatte für ihn gebetet. „Eine Sekunde noch.“
    Er beugte sich näher an den Schrein heran und entknotete die beiden überkreuz stehenden Spitzhacken. „Die könnten wir brauchen.“
    „Gute Idee.“
    Bloodwyn nahm ihm eine der Spitzhacken ab und gab ihm im Gegenzug die Leine für Gräuel.
    „Führ du den Trupp an, ich mache den Abschluss. Und wage es bloß nicht, den Hund noch einmal zu verlieren.“
    „Geht klar!“

    Und so setzte sich der gesamte Tross an Überlebenden in Bewegung. Natürlich wählten sie für den Rückweg nicht die Crawlerröhre, sondern den wesentlich leichteren Pfad, der, laut Schachtis Worten, ebenfalls zum Ziel führen sollte. Grim konnte zwar das Tempo vorgeben, aber Gor Boba bestand darauf, vor ihm zu bleiben, um sie vor eventuellen Crawlerangriffen zu schützen.
    „Ich muss auch dich im Auge behalten“, sagte er an Grim gewandt. „Ich habe kein Gegengift mehr. Wenn du dich noch einmal verwandelst, werde ich dich töten.“
    „Sehr beruhigend. Ist es denn schon mal vorgekommen, dass sich jemand nach einer Heilung erneut verwandelt?“
    „Nein“, erwiderte Boba knapp. Grim lächelte erleichtert. Doch dann fügte der Templer an: „Du bist aber auch der Erste, der die Verwandlung überlebt hat. Mein Meister Cor Kalom ist sicher sehr interessiert, einige Experimente an dir durchzuführen, falls du dazu bereit bist. Er wird dich gewiss reich entlohnen.“
    „Uff … ich … danke für das Angebot. Ich … komme vielleicht darauf zurück.“
    „Wenn das der Wille des Schläfers ist, dann wirst du das.“

    Ohne weitere Energie auf Gespräche zu verschwenden, liefen sie weiter. Bei dem Tunnel handelte es sich um einen von den Bergarbeitern angelegten Pfad, dessen magische Erzreserven bereits abgebaut waren. Grim war selbst nie in diesem Bereich der Mine unterwegs gewesen, sie hatten den Schacht irgendwann aufgegeben. Jetzt erkannte er auch warum: der Schacht vor ihnen war verschüttet. Grim machte sich sofort daran, die Felsen zu untersuchen. Er konnte einen Luftzug spüren, wenn sie Glück hatten, handelte es sich nur um lockeres Gestein, das sie aus dem Weg räumen konnten.
    „Los Buddler, ihr wisst, was zu tun ist“, führte er seine Männer an und begann zu graben.
    „Die anderen auch!“, befahl Bloodwyn und machte sich seinerseits ebenfalls daran, den Weg freizuräumen.

    Und tatsächlich gelang es ihnen nach einer Weile, mit gemeinsamer Kraftanstrengung eine Lücke zu erzeugen, die groß genug war, dass die Menschen durchpassten. Grim blieb zur Sicherheit stehen und stemmte sich gegen den Felsen über ihnen, der schon erschreckend locker war. Er lotste alle Überlebenden durch das Loch. Das ging auch so lange gut, bis nur noch der Orksklave und Bloodwyn übrig waren. Die Hunde waren bereits auf der anderen Seite.
    „Na los, jetzt du“, forderte Grim den Ork auf, der nur skeptisch auf das Loch starrte.
    „Der passt da niemals durch. Lassen wir ihn zurück!“, rief Bloodwyn.
    „Das können wir doch nicht machen.“
    „Ich kann ihn auch aufspießen, kein Problem.“
    Der Ork musste der menschlichen Sprache mächtig sein, denn als er die Worte von Bloodwyn vernahm, wurde er plötzlich unruhig und begann, das Loch mit seinen Pranken zu vergrößern. Doch das machte die Statik nicht mit.
    „Beeil dich!“, herrschte Grim den Ork an, ohne zu wissen, ob er ihn verstand. Sein Bein, sein Rücken, er fühlte sich, als laste der gesamte Berg auf ihm. Gleich würde er wie ein Zahnstocher entzweibrechen.
    „Na los jetzt!“, schrie Bloodwyn und gab dem Ork einen Arschtritt, der ihn endgültig durch das Loch beförderte. Und mit der nächsten Bewegung warf er sich in Grim hinein und beförderte ihn ebenfalls auf die andere Seite. Keine Sekunde zu spät, denn kurz darauf wurde das Loch erneut von er Felslawine gefüllt.

    „Haha, Scheiße! Jetzt verstehe ich, warum man dich den Golem nennt!“
    Bloodwyn spuckte Blut und Staub aus und humpelte in Richtung seines Freundes. Grim lag mit schmerzverzerrtem Gesicht im Dreck, aber als er Bloodwyns Worte hörte, begann er zu lachen.
    „Ich will in meinem ganzen Leben nie wieder in ein Bergwerk steigen …“
    „Kannst du laufen?“, Bloodwyn konnte sehen, dass die Fleischwunde an Grims Bein wieder aufgerissen war.
    „Nun ja … ein bisschen Hilfe wäre nicht schlecht.“
    Und so stützte Bloodwyn seinen Kameraden bis sie zum Rest der Gruppe aufgeschlossen hatten. Man konnte von einem geradezu epischen Kraftaufwand sprechen, denn dieser Kerl wog sicher fast so viel wie der Ork.

    Mit seiner Pfeife rief Bloodwyn nach seinen Hunden, die diesmal glücklicherweise schnell auf ihn reagierten und wieder einmal wohlauf waren. Sie waren überglücklich, wieder bei den beiden zu sein. Bellamy führte einen Freudentanz auf und schien dabei seinem Schwanz hinterherzurennen, Gräuel gab ein zufriedenes Jaulen von sich und sogar Wuffma sprang fröhlich zwischen den Beinen des Gardisten herum. Moment … Wuffma?
    „Was machst du denn hier, meine Kleine?“
    „Bloodwyn?“
    Er blickte auf. Im Schein einer Fackel trat eine golden glänzende Gestalt auf sie zu, deren schwere Rüstung laut klapperte.
    „Jackal“, grüßte Bloodwyn seinen Konkurrenten. „Wieso wundert es mich nicht, dass du gerade dann auftauchst, wenn alles vorbei ist?“
    „Bei den Göttern, ihr habt es geschafft!“
    „Ihr … ihr seid Helden“, sprach eine andere Stimme. Das war der der feige Ian. Anscheinend hatte er sich gemeinsam mit Jackal auf den Weg gemacht, sie zu finden.
    „Wir sollten schnell zu Raven ins Lager zurückkehren“, sagte Jackal. „Es gibt viel zu besprechen.“


    ***

    - Eine Woche später -

    Grim saß am Wasserloch im Alten Lager und begutachtete sein Spiegelbild in der dreckigen Wasseroberfläche. Die Schattenkluft stand ihm nicht besonders gut, sie war viel zu eng. Die Nachrichten, dass er und Bloodwyn die verschütteten Bergarbeiter gerettet hatten, hatte sich schnell herumgesprochen und obwohl er seine ursprüngliche Prüfung des Vertrauens nicht erfüllen konnte, war Diego bereit, ihn beim obersten Erzbaron Gomez zu empfehlen. Leider hatte Bloodwyn im Rahmen dieser Beförderung kein Mitspracherecht erhalten; Grim wurde keine Extrawurst zugesprochen und er würde sich wie jeder andere Anwärter auf den Rang eines Gardisten auch erst als Schatten unter Beweis stellen. Außerdem war gerade der Posten eines Schattens freigeworden, auf den Grim scheinbar hervorragend passte.
    Er seufzte und öffnete sich ein Bier. Es war noch Vormittag, aber das hatte er sich verdient. In Anbetracht seiner neuen Aufgabe würde er es brauchen. Die einzige gute Nachricht der letzten Woche war, dass er nicht für irgendwelche verrückten Experimente ins Sumpflager geschickt wurde.
    „Hey Mann, du trinkst doch wohl nicht etwa ohne mich?“
    Er drehte sich um und erkannte, dass Bloodwyn mal wieder mit seinen drei Hunden von einer Gassirunde zurückgekehrt war.
    „Ich hatte gehofft, dich noch mal zu sehen“, erwiderte Grim mit einem leichten Schmunzeln und reichte Bloodwyn ebenfalls eine Flasche.
    „Unglaublich oder? Die große Belohnung für die Rettung von zwei Dutzend Menschen ist … ein verfluchter Kasten Bier.“ Bloodwyn schüttelte den Kopf. „Für sowas riskiere ich meinen Arsch jedenfalls nicht nochmal. Auch wenn es ganz gut schmeckt.“
    „Wenigstens musst du nicht noch mal in die Mine“, merkte Grim an. „Ich darf jetzt Ians Job übernehmen und die Mine leiten. So eine Scheiße.“
    „Mir kommen die Tränen“, sagte Bloodwyn. „Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass du mir wieder unterstellt wirst. Dem ersten Crawlerjäger des Alten Lagers.“
    Bloodwyn, der eigentlich darauf spekuliert hatte, denselben Rang wie Jackal zu erhalten, wurde damit abgefrühstückt, sich jetzt um die Crawlerplage im Minental zu kümmern. Seit diese Biester sich nachts frei durch die Wälder bewegten, kam es fast täglich zu Todesfällen oder - im schlimmsten Fall - zur Metamorphose. Da hatten Bloodwyn und seine Hunde alle Pfoten voll zu tun. Insbesondere freute sich der Gardist darauf, auch mit seinem Püppchen jagen gehen zu können. Aber einen Rangaufstieg hat er nicht bekommen. Es machte ja auch keinen Sinn, mit einer schwer klappernden Rüstung wie der von Jackal durch die Wälder zu spazieren.
    „Wie dem auch sei“, sagte Grim seufzend. „Mein Konvoi startet bald. Tagsüber sind wenigstens keine Crawler unterwegs, dafür müssen wir uns wieder vor den Pennern aus dem Neuen Lager in Acht nehmen. Also alles wie immer.“
    „Dann viel Spaß. Ich hau mich jetzt auf’s Ohr. Hab ja noch eine Nachtschicht.“
    Die beiden Helden der Alten Mine schlugen sich in die Hände und verabschiedeten sich auf unbestimmte Zeit. Wenn es das Schicksal weiterhin gut mit ihnen meinte, würden sie sich bestimmt irgendwann wiedersehen.

    ***

    Ians stand der pure Angstschweiß auf der Stirn. Die beißenden Gerüche im Labor brachten ihn zum Würgen, aber selbst wenn er wollte, könnte er nichts erbrechen. Er hatte seit zwölf Stunden nichts mehr zu essen bekommen. Die Therapie müsse auf nüchternem Magen erfolgen.
    Er lag auf einem Untersuchungsbett in Cor Kaloms Labor, die Hände und Füße ausgestreckt und gefesselt. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er sein Geheimnis ausgeplaudert hatte, doch die Gurus beherrschten eine sehr mächtige Magie, die den Geist beeinflusst und die Zunge lockert. Dabei war alles so gut gelaufen! Nachdem er gemeinsam mit Jackal Bloodwyn und die anderen aus der Mine geholt hatte, konnte er seinen Fluchtplan endlich in die Tat umsetzen und sich ins Sumpflager absetzen. Hier war er fünf Tage lang untergetaucht, hatte sich sogar die Haare abrasiert und das Geschwafel über den Schläfer angehört. Alles nur, um sich der drakonischen Strafe der Erzbarone zu entziehen. Wer hätte ahnen können, dass es die Sektenspinner waren, die hinter sein Geheimnis kamen?
    Schließlich war es Gor Boba, der ihn erkannt hatte, der ihn zu seinem Guru brachte und den schrecklichen Verdacht äußerte.

    An jenem Tag, an dem die Mine einstürzte, war der erste Fall einer Metamorphose bekanntgeworden. Ian hatte in einer Kurzschlussreaktion die Explosion im Mineneingang verursacht, um die Crawler und ihre schreckliche Krankheit für immer unter der Erde zu verbannen. Er hatte nicht geahnt, dass es noch andere Schächte gab, aus denen diese Bestien an die Freiheit gelangen konnten. So hatte er nicht nur zahlreiche Menschenleben gefährdet, sondern auch den Erztransport zum Erliegen gebracht und eine drohende Apokalypse im Minental freigesetzt. Wahrscheinlich verdiente er alles, was ihm geschehen sollte. Doch er hatte fürchterliche Angst.
    „Bitte, habt Gnade mit mir. Ich habe das alles nicht gewollt.“
    „Du hast drei meiner Brüder auf dem Gewissen“, sagte Gor Boba streng. „Alles, was dir geschieht, geschieht im Namen des Schläfers. Wenn es sein Wille ist, werden wir mit deiner Hilfe ein noch effektiveres Gegengift entwickeln.“
    „Ruhe!“, hallte es plötzlich durch den Raum. Eine scharfe Stimme sprach zu ihnen, die Ian das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das war der oberste Alchimist der Bruderschaft, Cor Kalom. „Das Elixier ist destilliert. Ich habe eine extra große Menge vom Crawlergift eingesetzt, damit du dich schnell verwandelst. Außerdem habe ich eine Reihe verschiedener Gegengifte entwickelt, wir müssen alle testen und zwar in jedem Stadium der Erkrankung, nur so können wir das richtige Mittel finden, um uns alle hinreichend zu schützen. Das wolltest du doch: die Menschen in der Kolonie schützen. Ist es nicht so?“
    „Bitte nicht …“
    „Hör auf zu jammern und sei gefälligst stolz darauf, ein Werkzeug für den Schläfer sein zu dürfen. Er wird uns eines Tages in die Freiheit führen!“
    Ians Protest verklang in einem Schreien, während ihm eine riesige Spritze voller Crawlergift mitten in den Unterarm gejagt wurde.

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