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Sie war erst wieder angekommen. War es da so klug, direkt Einladungen auszuschlagen? Einerseits war die Kapuzenträgerin erleichtert darüber, dass Freiya ihr die Wahl gelassen hatte, andererseits... Was wäre nun die klügere Entscheidung gewesen? Als sie in die Stube eintrat, stiegen ihr sofort die vertrauten Gerüche von Alkohol, Sumpfkraut und Bratenfett in die Nase. Warum Bratenfett? Nun, seit dem großen Bratenfettvorfall vor einigen Jahren hatte sich dieser Geruch sehr in den Erinnerungen Vareesas eingebrannt. Doch, auch wenn diese Note ihr eher Unbehagen bereitete war es am Ende doch das Gemisch aus allem, das so ein wenig nach Heimat roch. Unweigerlich begann sie für einen Augenblick zu lächeln und ließ ihren Blick schweifen. Dort hinten, bei einer Gruppe von Jägern stand Freiya. Was sie den Leuten wohl zu erzählen hatte? Nur einige Wortfetzen bekam die grünsträhnige Frau mit. Orkfrau... Welpe... Hauptmann... Grenzschlappen... Nein, das ergab herzlich wenig Sinn. Also beließ sie es dabei und trat schließlich, wenn auch etwas unsicher und noch mit Abstand an den Tisch heran an dem Kisha und der beleibte Frauenheld saßen.
Und auch hier nahm Freiya ihr nun die Entscheidung ab, ließ sich neben dem Bartträger nieder, womit wohl nur noch eine Möglichkeit übrig blieb: Der Platz neben Kisha. "Danke... Für die Einladung, meine ich...", gab sie schließlich zu verstehen, nachdem die Rothaarige sie vorgestellt hatte und ließ sich dann vorsichtig auf dem leicht knarrenden Stuhl nieder. Dabei neigte sie leicht das Haupt und blickte dann kurz durch die Runde. Kisha schien weniger angetan von ihrer Anwesenheit, doch sagte die Bognerin vorerst nichts. Ihr Blick jedoch ließ durchblicken, dass es ihr nicht wirklich angenehm war, zwischen ihr und der kugelrunden Liebelei zu rein zu grätschen. Andererseits... Was bildete sie sich auch ein? Schließlich hatte der Dicke die Einladung ausgesprochen, als musste das wohl in Ordnung sein. Innerlich schüttelte die Kapuzenträgerin den Kopf. Doch bevor irgendeine peinliche Stille eintreten konnte, kam auch schon die nächste Frage seitens ihrer 'Schwester'.
Freiya musste hier wohl schon einen Ruf haben, so wie sie die Situationen beherrschte. Auf der einen Seite trug sie Instruktionen weiter, auf der anderen gab sie 'Neuankömmlingen' freudig die Hand und bewahrte sie davor, den ganz Verrückten in die Arme zu laufen. Ohne weiteres und nur in Begleitung eines beschwichtigenden "Ach, das...", friemelte sie schließlich das Ladenschild, welches mit der bemalten und gravierten Seite die ganze Zeit nach innen gezeigt hatte unter ihrem Poncho hervor und legte es, als ihren momentan größten Schatz äußerst behutsam auf den Tisch. Es war durchaus zu erkennen, dass sie das gute Stück ordentlich und sauber nachgearbeitet hatte. Auf einem blauen Hintergrund war ein messingfarbener Bogen zu sehen, dessen Griffholz mit einer Art Bandage fixiert schien und am Ausbrechen war. Auch die Sehne war so schnörkelhaft gearbeitet, dass es wirkte als wäre sie gerissen. Darunter waren in geschwungener, feiner Schrift die Worte 'Zum überspannten Bogen' zu lesen. "Nichts besonderes. Nur, was von meiner Bognerei noch übrig war, nachdem ich mich in Schwarzwasser umgesehen habe. Ich war hier mal die örtliche Bognerin und dachte mir... Also... Jetzt, da ich wieder da bin... Könnte ich das Geschäft ja wieder aufnehmen."
Liebevoll und mit einem Hauch von Nostalgie in ihrem Blick strich sie lächelnd mit den Fingerkuppen über die frisch aufgearbeiteten Linien. Ja. Momentan war es ihr wichtigster Besitz. "Und... Ihr drei? Ich hab' euch noch nie hier gesehen."
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Ein wenig überrascht und sprachlos darüber, wie die Frauen aus einer Einladung, die eindeutig nur in Freiyas Richtung gegangen war, so eindeutig eine Einladung an die ganze Gruppe heraushören konnten, wägte der Braunhaarige seine Optionen ab. Er spielte gedankenabwesend mit den wenigen Münzen in seiner Tasche, stets in der Hoffnung, sie könnten sich vielleicht auf magische Art und Weise vermehren und so seine Probleme lösen. Keine der Optionen stellte ihn zufrieden. Das Nudelholz der Hooqua würde ihn vermutlich so oder so ereilen. Da konnte er auch vorher noch ein wenig den Schein wahren. Er entschied sich trotzdem dafür, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit der Hooqua zu sprechen. Grundsätzlich war es zwar leichter, um Verzeihung als um Erlaubnis zu bitten, aber das galt nur für Leute, die irgendwann auch aufhörten, mit dem Nudelholz auf einen einzuprügeln. Bei allen anderen sollte man im Zweifelsfall auch früher das Gespräch suchen.
»Ich bin das erste Mal an diesem Ort.« Er war Freiya verstohlen einen entschuldigenden Seitenblick zu, da er sich erneut der Notlüge bedienen musste. Er hatte sein Innerstes heute schon oft genug nach Außen gekehrt - eine fremde Bognerin und eine noch immer hosenlose Torgaanerin waren sicherlich nicht an seiner Hintergrundschichte interessiert. »Ich stamme ursprünglich von den südlichen Inseln... Wobei so südlich sind die hier ja gar nicht.« Er grinste. »Sagen wir einfach, bin in den letzten Jahren viel herumgekommen und habe Teile von der Welt gesehen, die zu sehen ich nicht unbedingt geplant hatte.« Er blickte jetzt zu Kisha. »Aber bei Goblins und Ogern habe ich noch nie gelebt.« Entschuldigend zog er die Schultern hoch. »Aber das klingt definitiv nach einer Geschichte, die ich gern hören würde!«, fügte er grinsend an.
Er konnte über Vareesas Kopf hinweg sehen, dass die Mama gerade mit der Milch aus der Küche zurückgekommen war und sich jetzt mit dem Wischen des Tresens beschäftigte. Er atmete tief ein. Jetzt oder nie.
»Entschuldigt mich ganz kurz.«
Mit schnellen Schritten bewegte er sich zielstrebig auf die Hooqua zu. Nicht, weil er es eilig hatte, sondern weil er fürchtete, der Anflug von jugendlichem Leichtsinn könne aus seinem Körper verschwinden, ehe er den Tresen erreicht hatte.
Er schaffte es leider rechtzeitig.
»Was gibt's? Manon kümmert sich um die Bestellungen.« Die Mama sah nicht vom Tresen auf, sondern widmete sich mit ihrem Lappen weiter einem besonders hartnäckigen Fleck.
»Würdest du mir glauben, wenn ich sage, die Rechnung für unseren Tisch geht auf den Hauptmann?« Er grinste verlegen. Die Hooqua blickte ihn an und hob fragend eine Augenbraue. Mehr brauchte es nicht. Das Wort Nudelholz schwebte unausgesprochen zwischen den beiden. Abwehrend hob er die Hände. »Ich bin jung und kräftig. Kann ich dir nicht zu Hand gehen, um meine Schuld zu begleichen? Ein paar Goldmünzen kann ich dir als Vorschuss überreichen.«
»Für eine Bedienung bist du zu hässlich - nimm's mir nicht übel, aber Trinkgeld kriegst du sicher keins.«, brummte sie. Er versuchte, sich den gekränkten Stolz nicht anmerken zu lassen. »Und für die Küche bist du zu haarig. Hm. Hmm. Ah. Komm nachher vorbei.« Sie lächelte ihn verwegen an. Ihn schauderte es. Eine lächelnde Hooqua verhieß selten etwas Gutes. »Ich hab da eine grandiose Idee.«
Eilig schnappte er sich die Krüge und marschierte zum Tisch zurück, wo er sie wortlos abstellte. Freiya war gerade mitten in Ihrer Erzählung - er wollte sie nicht mit einem stumpfen Prost unterbrechen. Stattdessen setzte er den Krug Milch an und verleibte sich ein paar Schlucke von dem bekömmlichen Getränk ein. Wenigstens war es kein Bier.
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Valerion lag immer noch auf seiner pritsche in der Hütte der Heilerin. Erst wollte er aufstehen, wieder seinen Wachdienst aufnehmen aber die Heilerin war ziemlich ernst, hatte ihn sofort wieder auf die Pritsche gedrückt und ihm gedroht sie würde ihn festbinden, bis er wieder gesund wäre. Dieses Schicksal wollte er nun eher nicht schmecken, also hatte er es sich gemütlich gemacht und auch diesen wiederwärtigen Suff getrunken, den sie ihm hingestellt hatte. Sie hatte ihm noch den guten Rat gegeben, alles leer zu trinken da dieses Gesöff ihm sicher helfen würde, die Visionen und Entzugserscheinungen zu bekämpfen. Immerhin ein guter Gedanke war, dass er von seiner Träumerei sein Zukünftiges ich schon sah? Oder war das einfach nur ein Wunschgedanke? Er wusste es nicht, wie konnte er es auch wissen, er war noch in einer Zeit des Wandels. Vielleicht war das auch der Zauber dieses Ortes. Zeigte ihm der Baum, was sein würde, wenn er sich nun anders verhalten würde?
Eigentlich hasste er solche Gedankengänge, aber aktuell war ja nicht viel los. Leider bekam er auch keinen Besuch, außer der netten Heilerin, die immer wieder nach ihm schaute und ihm einen neuen Krug hinstellte. Er seufzte schwer, auch wenn er das Zeug nur ungern trank, wusste er, das es ihm helfen würde. Sobald er diese merkwürdige Frau wieder finden würde, er würde sie höchstpersönlich vom Baum werfen. Vielleicht war es auch ein Fehler gewesen, diese komische Pampe, von den Goblins zu trinken oder zu sich zu nehmen. In Zukunft würde er auf komische Abenteuer von dieser Frau gerne verzichten.
Er schnaubte kurz und merkte dann, wie seine Augen sich wieder langsam schlossen. Wahrscheinlich hatte die Heilerin doch auch etwas zum Schlafen in den Humpen getan. Schlafen war wahrscheinlich doch das Beste in diesem Moment.
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29.08.2023 23:00
#264
Sumpflilie
Manon hatte sich abgewandt, um die Bestellung der drei Jäger bei der Wirtin aufzugeben, als sie ein leises Winzeln vernahm.
Tala Ruckartig drehte sie sich um und sah, wie Ricklen den Wolfswelpen hoch hielt.
Die anderen beiden sagten irgendwas, doch Manon registrierte dies nicht so wirklich, war nur auf den kleinen, sich windenden Welpen konzentriert.
Eine große dunkle Frau, die selbe, die Manon vorhin noch zugezwinkert hatte, bevor sie sich von Mama Hooqua verabschiedet hatte und ein Mann, groß, mit Bart traten in die Taverne.
„Ricklen, lass die Kleine runter, du machst ihr Angst.“ Mama Hooqua kam hinter dem Tresen vor und nahm dem Jäger den Welpen ab.
„Dieser kleine Wolfswelpe heißt Tala und...“ Mama Hooqua brach ab, als unter dem Tisch der kleine Serval Kater hervor tigerte und gleich zu Manon lief.
„... Das ist Serval Kater Kymani, gehören zu Manon und somit auch vorübergehend in diese Taverne. Also, gewöhnt euch daran.“ erklärte Mama Hooqua weiter, so das die meisten Gäste sie hören konnten.
„Sollen wir die Kleinen solange in die Speisekammer sperren?“ wollte Manon wissen, als sie zum Tresen gingen.
„Nein, die sollen sich wirklich an die kleinen Scheisserchen hier gewöhnen.“ antwortete die Wirtin und knuddelte die Wölfin liebevoll
Manon schüttelte grinsend den Kopf. Das sie diese Kleinen akzeptierte, überraschte die junge Blonde. Wäre sie mit den Eichhörnchen angekommen... Sie dachte lieber nicht weiter nach.
Mama Hooqua kümmerte sich dann um die Bestellung, während Manon die beiden kleinen schnell versorgte, woraufhin diese sich dann auf eine Decke legten und schliefen.
Manon verteilte dann die Speisen, als sie im Augenwinkel zwei neue Gesichter entdeckte. Zwei Frauen, etwa gleich groß. Die eine Frau hatte lange, wellige rote Haare, die andere rot braun, wobei da das meiste von ihrem Schopf von einer Kapuze verdeckt wurde.
Was Manon bei ihr auffiel, sie hatte einen kleinen Vogel... bei sich, unter der Kapuze linste der Piepsi hervor.
Noch jemand, die Tiere mag...? schoss es der jungen Blonden freudig durch den Kopf. Sie hatte aber keine Zeit, sich näher damit zu befassen.
Mama Hooqua war gerade mit einem Mann am Tresen beschäftigt und deutete ihr kurz an, dass die nächsten Gerichte fertig waren.
Manon hollte diese am Tresen ab und verteilte diese.
Dann schritt sie zu dem Tisch, wo eben der Mann noch saß und die dunkelhaarige, sie hieß glaub ich Kisha, sehnsüchtig auf ihn wartete, während die beiden Frauen, die eben rein kamen unschlüssig am Tisch standen.
„Hallöchen. Ich bin Manon und bediene euch heute.“ stellte sie sich knapp, aber freundlich vor.
Sie blickte zu den beiden stehenden Frauen. „Möchtet ihr euch nicht setzen?“ Manon lächelte.
„Habt ihr euch schon für ein Gericht entschieden, oder braucht ihr noch einen Moment?“ Sie warf schüchtern einen Blick in die Runde, als auch der Mann wieder dazu kam...
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Freiyas Kopf schwirrte, denn es passierten mehrere Dinge auf einmal.
Da war als erstes das neue Gesicht, was da plötzlich auftauchte. Eine zierliche junge Frau mit blonden Haaren, die sich als Manon vorstellte. Da hatte Mama Hooqua ja schnell Ersatz für Kisha gefunden! Und dabei kannte Freiya das Gesicht noch nicht einmal. Es schien Freiya für einen Wimpernschlag unglaublich, wie viele Leute zurzeit ihren Weg zum Baum fanden. Jahrelang Ruhe. Nichts. Und nun so viele auf einmal. Und jeder von ihnen mit seiner eigenen Geschichte!
Sie musste sich sammlen, um alle Gedanken zusammenzunehmen. All die Leute ... für einen kurzen Augenblick hätte sie doch lieber draußen Wache geschoben. Zumal sie gedanklich immer wieder abzudriften drohte. Wahrscheinlich war sie doch müde.
Aber da stand nun diese junge Frau und Freiya wollte natürlich nicht unhöflich sein. Griffin hatte sie mit Getränken versorgt und Kisha löffelte bereits die erste Schüssel.
"Ist das der heutige Eintopf?", fragte Freiya und deutete auf eine der Schüsseln, die vor Kisha standen. Kisha hatte ja nichts anbrennen lassen, so lange war Freiya mit Vareesa doch gar nicht draußen geblieben. Die Rothaarige musste ein Grinsen unterdrücken. Kisha schien einfach immer aus den vollen zu Schöpfen. Aber jetzt, da die Rothaarige den Eintopf roch, bekam sie selber richtigen Hunger.
"Ich nehm auch eine Schüssel, Manon, vielen Dank!", sagte sie schließlich und blickte zu Vareesa.
"Für mich auch", sagte diese zu Manon.
Als Manon wieder ging, blickte Freiya ihr einen kurzen Augenblick hinterher, dann wandte sie sich wieder zu ihren Tischgenossen. Hatte sie da im Augenwinkel etwa wirklich den Bierbauchfranzl gesehen? Sie horchte kurz auf.
"Da hoat der jesacht, dass isch nisch so dumme glotzn sull, sonst gibts woas uff de Gusch. Abor, hasch du mein Gusch gesehn, als obs misch interessieren tun täte!"
Ja, es war tatsächlich der Bierbrauchfranzl. Faszinierend, dass ausgerechnet auch der wieder seinen Weg hierher gefunden hatte.
Die Rote Snapperin versuchte den Faden zu ihrem Gespräch wiederzufinden. Griffin hatte berichtet, wo er her- und rumkam und Vareesa hatte von ihren Brett erzählt.
"Wie ich gerade sagte: Von deiner Bognerei würde ich sehr gerne noch mehr hören, wenn du es mir mal in Ruhe erzählen möchtest", sagte Freiya zu der Frau mit dem Vogel in der Kapuze. "Ich bin vor zehn Jahren das erste Mal nach Schwarzwasser gekommen. Eigentlich stamme ich vom Festland. Ich habe zu den Truppen des Königs gehört und war in Thorniara stationiert. Dorthin wollte ich eigentlich auch wieder zurück, da ich einen Teil meiner Erinnerungen verloren habe und ... naja ..." sie stockte, "ich ... wollte diese Erinnerungen wiederfinden, bin aber letztendlich doch wieder erst im Bluttal und dann vor ein paar Jahren wieder hier auf Tooshoo gelandet."
Und diesmal ... wie würde es diesmal ausgehen? fragte sie sich einen kurzen Augenblick. Diesmal würde sie sich besser vorbereiten! Sie war ja schon dabei.
Manon stellte ihnen das Essen hin und Freiya bedankte sich abermals. Endlich! Wie Kisha da die ganze Zeit so kaute, als würde sie einen Esswettbewerb gewinnen wollen, hatte ihren Magen ähnlich laut brummen lassen wie Vareesas zuvor.
"Danke für die Einladung, Griffin", sagte sie zu ihm gewandt und lächelte. Fürs Erste hieß es essen und nur zuhören, aber nicht mehr reden. Das war gut so.
Dafür war es jetzt Kishas Part zu erzählen, denn Vareesa hatte sie alle drei gefragt.
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Die Sumpflilie
Verwundert hatte Kisha mit angesehen, wie Hooqua Partei für die beiden Tiere ergriffen hatte. Hatte die Alte sie nicht erst gestern dazu verdonnert, jeden noch so kleinen Flecken Sumpfdreck vom Boden zu wischen, den sie nach ihren Botengang in den Schankraum mitgebracht hatte? Und nun duldete sie nicht nur diese zwei Tiere, die ihr jeden Moment alles vollpinkeln konnten, sondern verteidigte sie auch noch gegen Ricklen? Kisha betrachtete das Schauspiel am Nachbartisch mit tief gerunzelter Stirn und wollte gerade etwas dazu sagen, als die Bedienung mit dem Eintopf am Tisch aufschlug.
"Ah, endlich was zu Essen, eh?", rief sie fröhlich und schnappte sich umgehend eine der Schüsseln, während Griffin ebenfalls eine zu sich herüber zog. Als die Frau namens Manon dann aber Vareesa und Freiya fragte, ob sie auch etwas wollten, hielt sie beim Kauen inne und deutete mit beiden Händen auf die beiden übrigen Schüsseln, die noch unangetastet vor ihr standen. Waren vier Schüsseln bei vier Gästen am Tisch noch nicht offensichtlich genug? Offenbar nicht, denn Freiya und Vareesa bestellten noch einmal eigene Portionen. Kisha deutete noch einmal auf die Schüsseln vor sich, hatte aber den Mund zu voll und war beileibe nicht motiviert genug, den Frauen die anderen Portionen länger als nötig anzubieten. Schließlich hob sie resignierend die Schultern und widmete sich weiter der immer leerer werdenden ersten Schüssel.
Während Freiya ihre Geschichte erzählte, fand Schüssel Nummer eins ihr Ende, und die zweite Portion wurde nach einem tiefen Schluck Molerat-Milch umgehend angegangen. Vermutlich sah Kisha nicht allzu teilnahmsvoll aus, wie sie da fraß, als gäbe es kein Morgen, während die Rothaarige von ihrem Gedächtnisverlust und ihrer Zeit in der Armee berichtete. Doch der Eindruck mochte täuschen. Zwischen den einzelnen Happen ihrer Fressorgie wunderte sie sich durchaus über diese seltsame Geschichte und fragte sich, was sie wohl alles vergessen haben mochte. Kisha hätte diese ruhige Frau nie für eine Soldatin gehalten!
Und schließlich, als das Essen für Freiya und Vareesa kam, lag der Ball bei ihr, etwas von sich zu erzählen. Sie legte ihren Löffel ab und nahm noch einmal einen tiefen Zug von der erstaunlich fettigen und nahrhaften Molerat-Milch, bevor sie zu sprechen begann.
"Ich komme von Torgaan. Bin vor kurzem im Boot meines Freundes Ngogo über das Meer hierher gekommen."
Kisha pulte sich ein Stück Fleisch aus den Zähnen und schluckte es hinunter.
"In meinem Dorf war ich mweusi. Schmiedin. Ich hab alles aus Eisen gemacht für die anderen im Stamm. Aber ich höre die Stimmen der mababu, und deshalb wollten mich die anderen zur neuen sikio ya roho machen. Da bin ich gegangen. Das wollte ich nicht."
Sie verzog unwillig das Gesicht. "Aber hier auf der Insel bin ich, weil ich meine Tochter finden will. Philile. Ist schon seit zehn Jahren weg, meine Kleine. Und die verdammten Mistkerle haben mich nie nach ihr suchen lassen. 'Wir machen das schon', haben sie gesagt, 'Du bist mweusi und keine Kriegerin.' Haben sie die mjinga Piraten gefunden, die meine Philile geraubt haben? Nein! Und jetzt ist sie schon kaum noch ein Kind und kann sich vermutlich gar nicht mehr an mich erinnern!"
Kisha ballte die Hände zu Fäusten und presste die Kiefer aufeinander. Sie brauchte Ablenkung. Also griff sie wieder nach dem Löffel und erstach ihren Eintopf, um sich ruppig einen weiteren Löffel zu Gemüte zu führen.
"Und jetzt gehe ich in die Stadt, um herauszufinden, was ich kann. Ich finde sie und hole sie zurück", sagte sie schmatzend. "Und weil das Schicksal mir gesagt hat, dass ich aufbrechen soll... breche ich auf!"
Sie klopfte auf das Stück Holz, das an ihr Bein gelehnt neben ihr auf dem Boden stand.
"Das Schicksal hat mir auch ein heiliges Geschenk gemacht, damit ich jedem den Kopf einschlagen kann, der sich zwischen mich und Philile stellt. Das heißt, sobald aus dem Stück Holz ein echtes Rungu gemacht wurde, natürlich."
Und damit hatte sie genug gesagt. Kisha widmete sich umso emsiger wieder dem Essen, um den Gefühlen nicht noch mehr Raum zuzugestehen, als sie sich ohnehin schon nahmen. Man sollte doch meinen, nach so vielen Jahren wären alle Tränen der Trauer über ihren Verlust versiegt. Doch sie wurde immer wieder eines besseren belehrt.
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Vier Reisende saßen an diesem Tisch. Alle mit ihrer eigenen Geschichte und ihren eigenen Zielen, Träumen und Hoffnungen. Der eine schien einfach im Hier und Jetzt zu leben. Genoss, seinem Grinsen nach zu urteilen einfach das Leben und die gute Küche Argaans. dann waren da die drei Frauen:
Die eine suchte nach ihrer Vergangenheit.
Die andere suchte in ihrer Vergangenheit.
Und Vareesa? Sie versuchte, die Vergangenheit zu vergessen. Im Jetzt zu leben und den Blick in die Zukunft zu richten. Zu gerne hätte sie mit Freiya getauscht. Ihr die Fähigkeit gelassen sich zu erinnern und selbst zu vergessen. Aber so lief das nun mal nicht im Leben. Ihre vernarbte Schulter war ihr stets ein Mahnmal dafür. Dennoch, es war nur ein kurzer, nachdenklicher Blick den sie während der letzten Erzählung Kishas auf ihrem Eintopf hatte harren lassen. Beide Hände im Schoß und in diesen tiefen Gedanken an die Menschen um sich herum. Doch fiel ihr urplötzlich etwas ein. Ruckartig hob sie den Kopf in die Richtung, in der ihre Bedienung, Manon verschwunden war. Dann begann sie zu lächeln. Sie hatte sie nicht erkannt. Nun, wie auch? Es war ja viel Zeit vergangen und damals, als sie in den ersten Kreis der Druiden geführt wurden hatte man auch nicht wirklich die Möglichkeit gehabt miteinander zu sprechen. Schön zu sehen, dass noch einige der alten Gesichter neben der Hooqua hier auf dem Baum lebten. Und da war noch etwas... Dieser andere Name, Griffin, läutete auch irgendwo in ihrem Unterbewusstsein dunkel die Glocken. Hatte Ryu ihn nicht einmal erwähnt? Hatte sie ihn nicht sogar einmal in Silden getroffen? Kurz fixierten die tiefblauen Augen den eifrig essenden Mann ihr gegenüber. Es steckte vermutlich mehr hinter ihm als er den Anschein machte. War sie zu voreilig gewesen mit ihrem Urteil? Nun, das würde sich vielleicht noch heraus kristallisieren. Was in ihrem Kopf die nächste Frage aufwarf. Doch diese hatte Zeit für später. Stattdessen blickte die Bognerin zu dem Holzprügel der dort an Kishas Bein lehnte. "Darf ich? Keine Sorge, mit Holz kann ich umgehen..."
Nach einem kurzen, wenn auch unter skeptischen Blick folgenden Nickens seitens Kisha nahm Vareesa das Holzstück zur Hand, schob ihren Eintopf ein wenig von sich weg und legte es dann der Breite nach auf den Tisch. Die, in diesem Fall lästige Kapuze ließ sie daraufhin nach hinten auf ihre Schultern fallen und offenbarte dabei die grünen Strähnen ihres Haupthaares die vornehmlich dicker wurden in Richtung ihrer Spitzen. Der kleine Spatz indessen piepte, gestört vom plötzlichen Lichteinfall in sein natürliches Habitat und verkroch sich daraufhin abermals unter den im Nacken zusammengebundenen Haaren.
Vareesa selbst achtete auf diesen Umstand, dessen sie immer wieder schief angeschaut wurde nicht. Also, die Haare. Nicht den Vogel. Sie war nun gedanklich völlig auf das Material fixiert. Vorsichtig tänzelten ihre Fingerspitzen entlang der Maserung, stoppten jedoch immer wieder für einen Augenschlag an den kleinen, feinen Poren die die Linien unterbrachen und sie stellte sich die Frage, ob es sich dabei um Wurmstich handelte oder einfach eine Verwachsung der Natur. Schließlich war sie kein Wurmexperte. Bei weitem nicht. Aber irgendwoher mussten die Löcher ja kommen. Schließlich nahm sie das Holz vom Tisch, hob und senkte es einige male um das Gewicht noch einmal einzuschätzen. Dann reichte sie es der mysteriösen Südländerin zurück und begann ihre Bewertung. "Das ist Ebenholz... Ziemlich hart und vor allem unter Schreinern ziemlich begehrt. Aber ich glaube kaum, dass du daraus einen Schemel oder ein Instrument fertigen willst... Vielleicht, also wenn du doch noch ein wenig bleibst und ich hier einen Ort zum Arbeiten finde, helfe ich dir mit deinem Bumbu. Auch wenn ich kaum glaube, dass es sich dabei um einen Bogen handelt...", dabei deutete sie kurz auf den entspannten, fein gearbeiteten Bogen der aus dem Köcher ragte der neben ihr an der Tischkante lehnte. "Das ist kein Bumbu, oder?", Kisha schüttelte den Kopf, hatte sie schließlich gerade wieder den Mund voll. Hoffentlich verstand sie diese subtile Form der Entschuldigung für ihr vorheriges Auftreten. Dass Kisha nach ihrer Tochter suchte, selbst nach all den Jahren rührte die Bognerin am Ende doch sehr. Auch wenn sie sich fragte, warum sie sich nicht sofort daran gemacht hatte, sie zu finden. Warum erst zehn Jahre vergehen lassen? Nun, sie würde ihre Gründe haben. Indessen legte Vareesa das Holzstück wieder an seinen Ursprungsort und griff nun auch endlich beherzt nach dem Eintopf und riss sich dazu ein Stück Brot ab. Es folgte ein tiefer Atemzug und ein breites, fast schon kindliches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Endlich Essen! Und das ohne den faden Beigeschmack wie man es sich verdient hatte! Mittlerweile betrachtete sie jedes Essen dieser Art als Geschenk. Und sie war dankbar. Dann jedoch, zwischen einem Bissen getunkten Brotes und einem Löffel des Eintopfes blickte sie noch einmal auf. Die einfachste Möglichkeit, sich einen Platz für ihr Handwerk zu suchen wäre wohl der Hauptmann gewesen. Was zu der Frage von vorhin führte.
"Übrigens... Der Hauptmann... Hayabusa, ist der noch im Amt oder haben ihn die Vielweiberei und Jagd nach Ungeheuern am Ende doch erwischt?"
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»Ryu ist noch im Amt.«, antwortete Griffin zwischen zwei großen Löffeln Eintopf knapp. Die Damen fraßen sich nach allen Regeln der Kunst auf seine Kosten den Wanst voll und das in einer Geschwindigkeit, die insbesondere bei Kisha durchaus eindrucksvoll war. Wenn er sich also heute schon bis ans Ende seiner Tage in einen Berg voll Schulden werfen musste, dann wollte er doch wenigstens auch etwas von den Eintöpfen abbekommen. Er wollte zumindest nicht hungrig und verschuldete vor Mama Hooqua treten müssen. Und Kisha wirkte beim besten Willen nicht so, als würde sie nach der zweiten Schüssel stoppen. Dafür beäugte sie zu sehr die bisher noch unberührte vierte Portion Eintopf.
»En biffn merkwürfig iff daff fon.« Er setzte die Schüssel an und schob sich mit dem Holzlöffel die Reste in den Rachen und griff eilig nach der verbliebenen Portion. Kisha hatte ihre zweite Schüssel bereits zur Hälfte geleert.
Er nutzte den Augenblick, in dem Manon sich im Schankraum umsah und gab ihr ein kurzes Zeichen. »Verzeihung - Manon - war das dein Name? Wie dem auch sei. Könnten wir vielleicht noch ein bisschen Brot haben? Das passt ganz vorzüglich zu dem Eintopf.« So bekömmlich das Brot auch sein mochte und so gut es zu einem Eintopf auch passen mochte, insbesondere stopfte es. Es stopfte und es war billig. Genau das richtige für die drei Vielfraße, die sich hier am Tisch so genüsslich eine Portion nach der nächsten einverleibten, ohne dabei an einen armen, geschundenen und mittellosen Mann wie ihn zu denken. Beim Schläfer! Mit wem war er hier nur wieder unterwegs.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder seinen Tischgenossinnen zu. »Die arme Sau war eigentlich nie jemand, der groß an einem Platz geblieben ist.« Er lachte lautstark und erinnerte sich an all die vielen Reisen, die er mit seinem Waffenbruder und all den anderen unternommen hatte. Manche davon freiwillig, andere aus Zwang, die meisten unter einer nicht unerheblichen Menge Alkohol. »Hätte nie gedacht, dass ein Mann wie er es mal so lange an einem Fleckchen aushalten würde. Und dann auch noch als Hauptmann der Wächter.« Er erinnerte sich an den Schreibtisch zurück, hinter dem der Hayabusa sich zu Beginn ihrer Unterredung platziert hatte. Mit seinen orangen, feurigen Augen, seinem gestählten Körper und seinen Waffen. Über ihm an den Wänden all die Wesen, die er erschlagen hatte. Jetzt, da er so darüber nachdachte, hatte sich sein Freund noch nie irgendwo so falsch angefühlt wie hinter diesem verdammten Schreibtisch, verborgen hinter unzähligen, unwichtigen Dokumenten. Ungemütliche Stühle und Krüge voll Wasser für Besucher und ein ernster Blick für ernste Themen. Die Schädel der Erschlagenen wie ein Erinnerungsstück an alte, bessere Tage. Wann er wohl das letzte Mal mit seinem Schwert zum Streich ausgeholt hatte? Wann er die Klinge das letzte Mal gegen etwas erhoben hatte, das kein Brief war, der geöffnet werden wollte?
Griffin würgte ein besonders hartnäckiges Stück des Eintopfes herunter, das vermutlich irgendwie als Fleisch durchging. »Ich glaube, ein wenig Freilauf würde ihm nicht schaden. Kisha, für dich geht es nach Stewark oder?« Er funkelte Freiya herausfordernd an. »Brauchst du zufällig Reisebegleitung?«
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30.08.2023 18:00
#269
Sumpflilie
Manon schmunzelte, als sie im Augenwinkel beobachtete, wie drei der vier Gäste sich über die Schüsseln Eintöpfe her machten.
Muss wohl wirklich sehr gut sein?! dachte sich die Blonde. Sie selbst mochte kein fettiges Fleisch, aus dem Grund probierte sie den Eintopf erst gar nicht.
Kisha und Freiya erzählten etwas aus ihrem Leben, bzw. was sie vor hatten. Manon konnte nur ein Bruchteil hören. Kisha suchte ihre Tochter und Freiya ihre Erinnerungen.
Sie warf den beiden Frauen einen nachdenklichen Blick zu und wünschte ihnen von Herzen, dass sie finden würden, wonach sie suchten. Aber zu ihnen hingehen und es ihnen einfach zu sagen, dass traute sie sich dann doch irgendwie nicht.
Ihr Blick fiel wieder auf die schweigsame Frau mit dem kleinen Spatz. Irgendwoher kam ihr das Gesicht bekannt vor und den Namen Vareesa hatte sie auch schon mal gehört... Aber wo? In welchem Zusammenhang? Es wollte ihr einfach nicht einfallen.
Der Mann, sie glaubte den Namen Griffin im Zusammenhang mit ihm aufgeschnappt zu haben, machte ihr ein Zeichen.
„Könnten wir vielleicht noch ein bisschen Brot haben? Das passt ganz vorzüglich zu dem Eintopf.“ bestellte er freundlich.
„Kommt sofort.“ antwortete sie lächelnd und verschwand hinter dem Tresen.
Mama Hooqua zeigte ihr, wo sie das Brot verstaut hatte, schien aber nicht wirklich bei der Sache zu sein.
„Alles in Ordnung?“ erkundigte sich die Blonde und betrachtete die Wirtin nachdenklich von der Seite.
„Ich sollte mich bei ihm entschuldigen, er hat nur seinen Job gemacht.“ sagte Mama Hoqqua leise, von Schuldgefühlen geplagt, schnappte sich einen vollen Krug Bier und ging zu Ricklen.
Manon schnitt derweil einige Scheiben Brot zurecht und legte sie sorgfältig in ein Körbchen.
Die Wirtin stellte den Krug direkt vor dem blonden Jäger ab, der sie verdutzt und gleichzeitig fragend ansah. Sie sah ihn an und flüsterte:
„Eine kleine Entschuldigung für meinen Ausbruch vorhin.“ Mehr brauchte Mama Hooqua nicht zu sagen, dass dieses Bier aufs Haus ging, war selbstverständlich und Ricklen verstand diese Geste auch.
Währenddessen brachte Manon das Brotkörbchen zu Griffin, Kisha, Freiya und Vareesa und stellte eswortlos in die Mitte des Tisches.
Sie blickte freundlich lächelnd in die Runde und entfernte sich dann wieder...
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Zehn Jahre hatte Kisha ihre Tochter nicht mehr gesehen.
Eine verdammt lange Zeit, ganz besonders bei so jungen Menschen. Freiya fühlte sich der Torgaanerin verbunden. Auch die Rothaarige musste los, musste auf die Suche gehen. All die Jahre hatte sie rumgesessen und nun war es an der Zeit. Ausgerechnet jetzt, wo ihr all diese Menschen begegneten, deren Geschichten sie gerne näher gehört hätte. Ausgerechnet jetzt, wo sie sich so lebendig fühlte, wie lange schon nicht mehr. All diese Neuheiten machten etwas mit der Roten Snapperin. Aber sie konnte noch nicht erkennen, was.
Freiya jedenfalls bewunderte Kisha einmal mehr. Sie war eine starke Frau. Freiya war sich sicher, dass sie ihre Tochter finden würde. Gleichzeitig fragte sie sich, wie weit sie selbst kommen würde. Gerne hätte sie ein bisschen mehr von Kishas Auftreten gehabt, von ihrer Entschlossenheit und Leidenschaft. Freiya war sich sicher, dass Kisha jeden Stein umdrehen würde, um ihre Antworten zu finden. Das wollte Freiya auch. Aber während Kisha die Steine eher umschmiss, würde sie sie anheben und das Getier untendrunter, was sie aufschreckte, um Entschuldigung bitten.
Schweigend hörte Freiya zu, wie Kisha und Vareesa über das Stück Holz sprachen, das Kisha bei sich trug, und Freiya mochte es den beiden dabei zuzuhören. Vareesa schien auf einmal gelöster und fokussierter zugleich. Sie setzte sogar ihre Kapuze ab - was für eine ungewöhnliche Haarfarbe an den Spitzen! - und Freiya konnte erneut den kleinen Federfreund sehen. Da fiel ihr etwas ein.
Bevor sie jedoch etwas tun konnte, fragte Vareesa nach Ryu und die Art, wie sie es tat, ließ in Freiyas Hals ein Stückchen irgendwas falsch abbiegen. Freiya verschluckte sich und hustete. Griffin indessen beantwortete Vareesas Frage und kam dabei ins erzählen. Freiya nahm einen Schluck Milch und beruhigte sich wieder. Das Bild, was Griffin von seinem Waffenbruderzeichnete, war das, was zu den Geschichten und zu den Gerüchten passte.
"Er macht seine Aufgabe allerdings sehr gut", murmelte Freiya und griff ebenfalls nach einem Stück Brot, bevor sie sich zurücklehnte. Ihr Eintopf war fast alle und sie hatte von ihrer Husterei Moleratfleischgeschmack in der Nase, den sie loswerden wollte. Sie fragte sich, ob Ryu seinen Posten erfüllte, weil er es wollte oder weil vielleicht niemand anderes da war.
Griffin unterbrach ihre Gedanken, in dem er sie und Kisha ansprach. Freiya wusste gar nicht, was sie ihm antworten sollte, sie war etwas überrumpelt. Zum Glück ergriff Kisha das Wort, obwohl es erstaunlich war, dass sie zwischen der Esserei dafür Zeit fand:
"Mijusi hat mir versprochen, jemanden mitzuschicken, wenn ich gehe."
Die Torgaanerin stopfte sich noch einen weiteren übervollen Löffel in den Mund und schlang den Eintopf beinahe ungekaut herunter. Nichts daran wunderte Freiya und sie musste schmunzeln.
"Hauptmann Mijusi, meine ich. Aber wer das ist..."
Sie zuckte die Schultern und lächelte, auch wenn es ungewohnt verhalten für sie wirkte.
Griffin jedenfalls schien von seinem plötzlichen Einfall ziemlich überzeugt, Freiya aber hatte da einige Bedenken. Doch sie wollte zunächst noch etwas anderes klären:
"Manon?", rief sie nach der blonden Aushilfe. "Sei doch so gut, und bring uns ein kleines Schälchen Wasser und ein kleines Schälchen mit Körnern. Ich weiß, dass die Mama irgendwo welche hat."
Manon nickte und machte sich auf den Weg, Freiyas Wunsch zu erfüllen.
Die Rothaarige indessen beugte sich wieder nach vorne und stemmte die Ellebogen auf den Tisch.
"Ich möchte nach Thorniara gehen, mein Weg könnte durchaus über Stewark führen. Aber ich könnte nicht gleich aufbrechen. Ich benötige einerseits einen neuen Bogen und anderseits bildet Ryu mich zurzeit tatsächlich ... aus."
Freiya blickte Griffin an. Sie verstand, dass er sich um Ryu sorgte. Ganz besonders jetzt, nach dem, was in der Kommandatur zur Sprache gekommen war und wie sie auseinander gegangen waren, wollte er ihm wahrscheinlich wirklich etwas Gutes tun. Ob das in Ryus Sinne war, konnte sie nicht wissen, dafür kannte sie ihn nicht gut genug.
"Du kennst ihn sicherlich am besten von uns", dieses Urteil erlaubte sie sich nun, "du weißt sicher, was er brauchen könnte. Lass uns das doch morgen mit ihm besprechen, was hälst du davon? Ich persönlich brauche dringend eine Mütze Schlaf. Ich merke allmählich, was mir so alles wehtut, schließlich hat er mich heute gut über die Felle gescheucht, bevor ich in den Wald gegangen bin und wir uns dort begegnet sind", sagte sie, dann lächelte sie Griffin zu. In diesem Augenblick erhob sich Ricklen am Nebentisch.
"Freiya, auf ein Wort nochmal", sagte er und nickte mit den Kopf in Richtung Ausgang.
"Entschuldigt mich kurz", sagte Freiya zu ihren Tischgenossen, bevor sie Ricklen nach draußen folgte.
Als sie vor die Sumpflilie traten, schlug ihr kühle Abendluft entgegen. Wie warm es in der Kneipe war, merkte man immer erst, wenn man nach einer Weile wieder rauskam. Aber die Luft war angenehm nach all den Sinneseindrücken.
Ricklen lehnte sich ans Geländer:
"Also, erzähl mir noch einmal, was du über das Grünfell weißt."
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Die Sumpflilie
Und schon war Freiya verschwunden. Kisha stutze - war es tatsächlich schon so spät? Sie musste ein anderes Zeitempfinden haben als die Rothaarige. Wie seltsam verschieden etwas scheinbar so Festgeschriebenes wie die Zeit doch für die Leute verlaufen konnte.
Die zweite Schüssel landete klappernd in der ersten, und da niemand die verbliebene Portion nehmen wollte, schnappte sich Kisha einfach auch diese. Wäre doch schade gewesen, die einfach verkommen zu lassen. Als sie Vareesa dabei zusah, wie sie das Holz begutachtete, fühlte sie sich vom Schicksal wahrhaft auf die Probe gestellt. Auf der einen Seite war ihr ein unmissverständliches Zeichen gegeben worden, aufzubrechen. Auf der anderen hatten die sieben Winde ihr nun eine Frau vor die Füße geweht, die ganz offensichtlich mit Holz umzugehen verstand und Willens war, ihr das Objekt ihrer Wünsche daraus zu fertigen.
"Keine Ahnung, was ein Bumbu sein soll, Bibi Kijani", sagte sie und raffte sich einige Stücken Brot. "Ein Rungu", sie betonte rollend den ersten Laut, "das ist eine besondere Waffe dort, wo ich herkomme. Etwa so lang", sie zeigte die Länge ihres Unterarms entlang und vielleicht ein wenig darüber hinaus.
"Wenn wir ein Stück Kohle finden, male ich dir auf, wie es aussieht. Für euch ist das vielleicht nicht mehr als ein Knüppel, aber bei uns tragen das nur Watu Muhimu. Leute, die wichtig sind. Die Ahnen haben mich zu diesem Geschenk hier geführt", sie strich über das glatte, dichte Holz, dessen Poren im Gegensatz zu anderen Hölzern so fein waren, dass man sie kaum sah. "Das hier, erzählen wir uns, ist eine Aziza, ein versteckter Geist aus dem Wald. Weil sie mir geschenkt wurde, muss ich ein Rungu aus ihr fertigen lassen."
Nachdem ihr letztes Lächeln noch von der Trauer getrübt gewesen war, die sie nach dem Erzählen ihrer Geschichte empfunden hatte, strahlten ihre Augen diesmal wieder mit, als sie der zurückhaltenden Frau ihre Zähne zeigte. Hatte sie zu Beginn noch einen unfreundlichen Eindruck auf Kisha gemacht, wirkte Vareesa nun doch ganz anders auf sie.
"Und du würdest das wirklich für mich machen? Ich habe aber leider gerade nicht viel, was ich dir dafür geben kann. Höchstens ein kaputtes Messer und die paar Goldstücke, die Mama Bossi mir für meine Arbeit gegeben hat."
Nun also sollte sie doch noch einige Tage bleiben. Was würde sie so lange tun? Für Hooqua arbeiten konnte sie nun wohl nicht mehr. Ob Toro ihr im Moleratgehege eine Schlafgelegenheit ermöglichen konnte? Oder sollte sie noch einmal Gloks Goblin-Freunde aufsuchen?
"Hey Griffin! Tanzt du gerne?" Sie stürzte sich auf die letzte Schüssel und stieß zwischen zwei Löffeln und einem Brotstück mit vollem Mund hervor: "Gib mir nur einen Moment, dann bin ich hier fertig, sawa?"
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So wie die Botin gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Und alles was blieb war die Botschaft ohne Absender. Der Inhalt der Erinnerungen aus der Ecke kramte, die man fein säuberlich mit anderen Dingen voll gestellt hatte. Wie ein junges Kind, das urplötzlich wieder Lust darauf hatte, seine alten Bausteine aus der hintersten Ecke des Dachbodenspeichers herauszukramen. Nur um das Obergeschoß mit aufgewirbelten, dunklen Staubflocken zu erfüllen. Und am Ende völlig schmutzig und staubig die Leiter hinab zu steigen und das ganze Haus zu verdrecken weil es mit den alten Spielsachen in die Stube rannte, ohne sich vorher abzuklopfen. Und dann... Wenn man diesem Kind einige Tage später, nach viel Schimpfe, Tränen und Stirnfalten auf jenem Dachboden hinterher räumte, stieß man auf eigene Memento Mori. War es nun ein Bild aus der eigenen Kinderzeit. Ein Gedicht, welches man in der Jugend verfasst hatte in dem Glauben, soviel poetischer und tiefgehender als andere zu sein. Oder einfach nur das Überbleibsel einer Erinnerung... Die getrocknete Rose die man der ersten Liebschaft übergeben hatte. Ein Liebesbrief. Ein Abschiedsbrief vor dem Wegzug des besten Freundes in eine andere Stadt. Wie eine kindliche Absicht, ein Wunsch nach Zerstreuung so eine Kaskade an Erinnerungen und Nostalgie in einem lostreten konnte. Und das nur obwohl man die Ordnung wiederherstellen wollte.
So auch das Blatt der Kirschblüte in seinen Fingern. Seit Stunden fuhr die Kuppe seines Daumens immer wieder zärtlich über die empfindlich feinen Fasern des Blütenblattes. Er selbst stand auf dem kleinen Balkon der an der Kommandantur angebaut war. Gestützt auf die Unterarme und den Blick weit in die Ferne gerichtet. Vorbei an den Bergen, hin zum großen Meer. Aber galt sein Blick weder der Schönheit der Natur, noch der des unendlichen Horizontes. Sein Augenmerk lag auf der Erinnerung die sich in seinen Gedanken abspielte. Den Worten die in seinen Ohren süß wieder hallten. Und dem lieblich süßen Geschmack den er noch wie damals auf seinen Lippen zu spüren vermochte. "Überstürze nichts, auch ich bin nur ein Mädchen, das sich nach Zuneigung sehnt. Bleib in meiner Nähe, aber überstürze nichts."
Überstürze nichts. Bleib in meiner Nähe. Überstürze nichts. Bleib in meiner Nähe. Überstürze nichts.
Wieder und wieder hörte er diese Worte und sah dabei ihren unsicheren, nach einer Zuflucht suchenden Blick. Immer wieder spielte sich die Szene in seinen Gedanken ab. In der er gerade gehen wollte und sie zwischen ihm und die Tür eilte. Sie zuknallte und rasch seine Lippen suchte. Die warme Spur die ihre Fingerspitzen auf seiner Wange hinterlassen hatten war noch immer fühlbar und verschwand doch sogleich, als ein kühler Windzug vom Meer her über sein Gesicht streifte. Ryu schloss die Augen und nutzte den Moment. Tief sog er den frühabendlichen Wind in seine Lunge ein. Es fühlte sich gut an. Befreiend. Und irgendwie... Fröstelnd. Trotz der vorhin noch wärmenden Mittagssonne konnte es durchaus kühl werden, hier unter dem Blätterdach von Tooshoo.
Doch in alledem schmerzte es nicht. Nun, doch, schon irgendwie. Aber nicht auf die Art und Weise in der man seinem gebrochenen Herzen selbstmitleidig beim Bluten zusah. Es war mehr eine Form von Bedauern. Das Bedauern, nicht mehr Zeit gemeinsam verbracht zu haben. Das Bedauern, nie wirklich das Gefühl gehabt zu haben, die eigenen, innersten Emotionen zu offenbaren. Auch wenn sie es sicher geahnt hatte. Es war das Bedauern, in der eigenen Arroganz den Waffenbruder zu übersehen, der sich ohne zu zögern in eine Klinge für einen geworfen hätte. Es war das Bedauern, nicht mehr getan zu haben. Nicht mehr erreicht zu haben. Das Bedauern, nicht in der Lage gewesen zu sein, wozu Helden in Geschichten immer in der Lage waren. Den Tag zwar am Ende zu retten, doch zu welchem Preis? Unter welchen Verlusten? Das Bewusstsein, dass man nicht immer alle retten konnte war schon immer da gewesen. Es jedoch in so einem nahen Umfeld zu spüren? Jetzt, mit all den Echos der Vergangenheit die im eigenen Geiste widerhallten? Das war anders. Das stimmte nachdenklich. Ein inneres Requiem an all jene, die in den Jahren verschollen waren. An jene, die einem nahe standen. Jene, die man um jeden Preis hatte schützen und retten wollen. Nur um nun dazustehen. Mit diesen Gedanken und einer seltsamen, inneren Ruhe im ganzen Körper, die einen dort hielt wo man gerade war. Mit einem Blick in die Ferne. Die ferne Vergangenheit. Wieder hatte er es nicht geschafft. Und dabei noch andere mit ins Unglück gestürzt. War das der Weg des Hüters? War das dieses sogenannte Gleichgewicht? Ryus Blick wanderte über die Ruinen von Schwarzwasser. Dieser Ort... Endete jeder Ort so, nachdem das Waldvolk dort lange Zeit lebte? Der Templer dachte zurück. An Silden. Wie es dort nach dem Weggang des Waldvolkes aussah. Die Dinge waren verwildert. Viele davon gezogen. Die Natur hatte sich zurückgeholt was ihr gehörte. Nicht komplett, doch etwas an der Seele des Dorfes war schlussendlich mit dem Waldvolk gegangen. Und hier? In Schwarzwasser? Sie waren noch hier und doch... Doch spürte Ryu die Melancholie die über der einstigen Siedlung hing und es fühlte sich fast so an, als steckte sie ihm schon lange in den Knochen. Ohne es wirklich bemerkt zu haben.
Wieder schloss er die Augen. Die Fasern des Blütenblattes nachwievor unter seiner Fingerkuppe. Das sanfte Gefühl ihrer Lippen auf den seinen. Überstürze nichts. Bleib in meiner Nähe. In ihrer Nähe... Wo er sich einst am lebendigsten gefühlt hatte. Der Hayabusa fühlte, für einen einzigen Moment einen lauten, seinen Körper erwärmenden Herzschlag der, entgegen des erneuten, kühlen Abendwindes wieder Regung in seine Glieder trieb. Dann fasste er einen Entschluss.
"Oi! Bud!"
"Ich hab gleich Feierabend - Was ist denn!?"
"Wenn du ihn siehst, schick mir Darius nach oben! Ist wichtig!"
"Jaajaaa... Ist es immer!"
Geändert von Ryu Hayabusa (01.09.2023 um 01:53 Uhr)
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Er klebte förmlich an Kishas Lippen, während sie sprach.
Er hatte sich eingebildet, mit den paar Brocken ihrer Sprache, die er vor Jahrzehnten mal beigebracht bekam, und den paar Erzählungen über Torgaan, die es in seiner Heimat gegeben hatte, ein halbwegs vernünftiges Bild von ihr, ihrer Lebensweise und ihrer Heimat gehabt zu haben. Aber mit jedem Wort, jedem Satz, den sie sprach, mit jedem noch so kleinen Einblick in ihre Kultur, die Gepflogenheiten Torgaans und ja, manchmal auch die Einblicke in ihr bisheriges Leben, wurde ihm bewusst, wie wenig er doch eigentlich wusste. Er versuchte jede winzige Kleinigkeit aufzusaugen, lauschte ihren Worten mit der jugendlichen Verwunderung eines Kleinkindes, das zum ersten Mal das Leben erlebte. Er war schon immer neugierig gewesen, aber die Art und Weise wie Kisha ihr Leben lebte, wie sie sich bewegte, wie sie sprach, wie sie sich gab, erfüllte ihn mit einem Gefühl von Bewunderung und Begeisterung. Wäre sie ein Buch gewesen, er hätte es Tag und Nacht lesen und jedes Geheimnis hinter jedem Buchstaben ergründen wollen. Er war - schlicht und ergreifend - fasziniert von dieser fremden Frau. Nicht so, wie ein wilder Straßenhund an einer läufigen Hündin interessiert war, sondern eher wie ein Gelehrter, der ein neues, verschollen geglaubtes Buch in die Hände bekam.
»Ehm, sawa-was?« Die Frage der Frau riss ihn aus seinen Gedanken. »Tanzen?« Er lachte laut. Wann hatte er das letzte Mal getanzt? »Manchmal hilft es, wenn du zwischen all den Gedanken, die du hast, den ein oder anderen Satz auch laut aussprichst, damit wir dir folgen können.« Er blickte hilfesuchend zu Vareesa, aber die zuckte auch nur mit den Schultern. »Ich meine - ich kann mich im Takt bewegen, glaube ich. Wenn dir das reicht?« Ein gellendes Lachen hallte durch den Schankraum und sein gesamter Körper bebte.
»Gebt mir einen Augenblick - ich bin sofort wieder da.«
»Na, Jungchen? Endlich fertig. Ihr hab ja ganz schön reingehauen dafür, dass du kein Geld hast, du armer Schlucker!« Die Hooqua funkelte ihn frech an. »Komm mal, du hast da« Als er sich nach vorn beugte schnellte die Hand der Hooqua vor und packte ihn am Kragen. Mit einer ungeahnten Leichtigkeit zog sie sein Gesicht ganz nah an ihres. Sie kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. Erst in die eine, dann in die andere Richtung. »Beim haarigen Arsch Adanos' - ich glaub's nicht.« Ihre kräftige Rechte ließ von ihm ab. Er räusperte sich kurz und blickte verlegen auf den Tresen. »Freundchen - wenn du glaubst, dass ich dir vergesse, was du regelmäßig für einen Saustall hinterlassen hast, dann hast du dich aber geschnitten. Glaub man's denn. Kommt hier rein, sagt kein Wort des Grußes, nicht mal ein Wink in Richtung der armen, alten Mama und dann glaubt der wirklich, ich erkenn' ihn nicht. Aber nicht mit mir, Freundchen! Nicht mit mir. Das Lachen erkenne ich doch überall.« Ihr ernster Blick wandelte sich zu einem Lächeln.
»Bist du also doch nicht mit irgendwem durchgebrannt, was? Gut sieht du aus. Stattlich.« Sie klopfte ihm auf die Wampe und lachte. »Und wegen der paar Münzen mach dir mal keine Sorgen. Geh erstmal mit deinen zwei Freundinnen einen schönen Abend haben.« Sie zwinkerte ihm neckisch zu. »Aber komm morgen bloß wieder, dann erkläre ich dir, was hier zu tun ist.« Sie musste nicht nach dem Nudelholz greifen. Das sonst... schwebte unausgesprochen in der Luft. Eilig bedankte er sich, schob der Hooqua eine einzelne seiner drei Goldmünzen zu, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und stiefelte dann frohen Mutes zurück an den Tisch.
»Also wenn wir noch tanzen gehen wollen, dann musst du dich langsam mal von deinem Eintopf und dem Brot trennen, Mpenzi.« Er zwinkerte seiner neuen Freundin verwegen zu. »Wie steht es mit euch beiden? Haben dein gefiederter Freund und du auch Lust, dass Tanzbein zu schwingen?« Er zögerte kurz und grinste dann breit. »Oder den... Tanzflügel?«
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02.09.2023 09:31
#274
Sumpflilie
"Manon?" hörte sie Freiya durch den Schankraum rufen und die Blonde drehte den Kopf in ihre Richtung.
"Sei doch so gut, und bring uns ein kleines Schälchen Wasser und ein kleines Schälchen mit Körnern. Ich weiß, dass die Mama irgendwo welche hat."
Manon nickte und ging zu Mama Hooqua.
„Wasser ist hier, die Schälchen findest du im Schrank und Körner hinten im Lager.“ gab die Wirtin knapp von sich und deutete mit ihrer Hand die Fundorte an.
Manon bedankte sie freundlich und suchte alles zusammen.
Als sie wieder mit den gefüllten Schälchen zurück kam, war Freiya verschwunden.
„Hm“, machte sie leise und zuckte ratlos mit den Schultern. Sie ging zum Tisch, wo sich Kisha und Vareesa über Holz unterhielten. Sie wusste nichts über Holz und deren Verarbeitung, daher mischte sie sich nicht ein und hörte einfach nur zu, während sie leise die Schälchen abstellte.
Sie wurde von Kisha und Vareesa beobachtet, worauf sie ihr Gespräch kurz unterbrachen.
„Freiya´s Bestellung.“ sagte sie leise und lächelte freundlich. Dann wandte sie sich wieder ab und ging zum Tresen.
Sie ging hinter Griffin vorbei, der gerade eine Unterredung mit Mama Hooqua hatte. Manon wusste nicht genau, worum es ging, aber sie hörte die Wirtin sagen:
»Aber komm morgen bloß wieder, dann erkläre ich dir, was hier zu tun ist.«
Holte sich Mama Hooqua noch eine Aushilfskraft in die Taverne? überlegte die junge Blonde verwirrt und begann damit, dass Geschirr ab zu spülen.
„Harter Tag, hm?“ Die Wirtin stand plötzlich neben ihr und musterte sie von der Seite.
„Es ging..“ antwortete die Blonde beiläufig, während sie sich weiterhin dem sauber machen des Geschirr´s widmete.
Die Wirtin suchte Blickkontakt und fand ihn schließlich.
„Du hast dich für den ersten Tag gut geschlagen und ich mag dich. Du arbeitest sorgfältig, sauber und hast jede Anweisung von mir ohne motzen umgesetzt.“ sagte Mama Hooqua.
Manon neigte ihren Kopf leicht zur Seite und warf ihr einen fragenden Blick zu. Die Art und Weise, wie die Wirtin das sagte, schrie förmlich nach einem Aber!
„Du bist ein sehr freundlicher, ruhiger und schüchterner Mensch.... ich akzeptiere das, keine Sorge. Aber wenn du in Zukunft ein kleinwenig mehr aus dir heraus kannst, also.... wenn du das schaffst, dann wäre es perfekt.“ schloss Mama Hooqua ihre Einschätzung ab.
Manon blickte auf ihre Hände.
„Ich weiß ja, du bist gerade erst wieder zurück gekehrt, alles ist irgendwie neu für dich und diese vielen fremden Gesichter. Versuche es einfach.“ Aufmunternd legte die Wirtin ihre Hand auf Manon´s Schulter, woraufhin die jüngere sie ansah.
„Ich versuch´s.“ versprach sie verlegen lächelnd.
Die Wirtin lächelte und wandte sich ab.
„Mama Hooqua?“
Die Abgesprochene drehte sich mit fragendem Blick um.
„Warum hast du das vorhin gemacht? Ich meine,.... die kleinen gegen Ricklen verteidigt?“ wollte nun Manon wissen.
„Ich erhoffe mir zum einen davon, dass du bleibst und zweitens, dass die beiden Scheisserchen irgendwann sogar nützlich sein könnten. Du weißt schon, Ungeziefer jagen und so....?!“ antwortete die Wirtin. „Außerdem mag ich Tala und Kymani irgendwie.“ Mama Hooqua lachte, während sie über die Schulter blickte und die kleinen beobachtete, die gerade wach geworden waren.
„Vielleicht solltest du gleich mal mit den beiden raus gehen, bevor sie...... und ich sie dann nicht mehr mag.“ gab die Wirtin halb scherzend von sich.
„Aber...“ Manon deutete auf die Taverne und die ganze Arbeit, die noch vor ihnen lag.
Mama Hooqua hielt mahnend den Zeigefinger nach oben.
„Nichts aber!“ sagte sie in einem Tonfall, der kein Widerspruch duldete und warf schließlich einen prüfenden Blick durch den Schankraum.
„Es sieht eher nach Aufbruchstimmung aus und die paar Gäste schaffe ich auch kurz alleine. Also, geh ruhig...“ sagte sie und zwinkerte ihr zu.
Manon schmunzelte, trocknete sich die Hände ab und ging zu den kleinen.
„Kommt mit, wir gehen raus.“ sagte sie leise. Tala und Kymani blickten sie an und folgten ihr, raus aus der Taverne, an die frische Luft.
Draußen entdeckte sie Freiya und Ricklen, die leise miteinander sprachen. Manon lächelte freundlich, als die beiden auf sie aufmerksam wurden und winkte wortlos zum Gruß.
Sie ging weiter, wobei ihr die kleinen nicht von der Seite weichten....
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Der kleine, gefiederte Federmann fiepte empört! Konnte dieser nicht ganz so nackte Bärenmann denn nicht sehen, dass er verletzt war!? Aufgeregt hüpfte er kleine Lebewesen auf der Schulter seiner Begleiterin hin und her, plusterte seine mächtige Brust auf und legte den Kopf soweit in den Nacken wie er nur konnte. Dem würde er es schon zeigen! Ihn einfach mit diesem lauernden Grinsen eines Tieres anzustarren! Er war hier schließlich keine Mahlzeit! Aber was war das? Verrat! Bösartiger Verrat, als die, für seinen Geschmack mit zu vielen Ausläufern versehene Kralle seiner Begleiterin nach ihm griff. Alles wurde dunkel! Aber... Es war schön warm... Ganz angenehm sogar... Dann spürte, von seinen Fängen ausgehend dieses seltsame Gefühl. Als würde alles in Ordnung werden. Vielleicht... War es ja doch nicht so eine bedrohliche Situation wie sie anfänglich wirkte. Außerdem war dieses Aufplustern wirklich anstrengend und er war heute schon genug umher gehüpft. Ein Schläfchen wäre sicher eine gute Wahl gewesen!
"Ein Rungu also..."
Die Wanderin hatte bis eben mit halber Aufmerksamkeit gelauscht und sich bereits Gedanken über dieses merkwürdige Knüppeldings gemacht, das Kisha da haben wollte. So wirklich kannte sich die Bognerin nicht mit kruden Totschlägern und Werkzeugen für den 'nahen und persönlichen' Umgang aus. Aber vielleicht würden ihr die Schmiede da ein wenig weiterhelfen können. Und, auch wenn Ryu vermutlich beschäftigt war und die Anwesenden doch irgendwie in Sorge um ihn schienen... Das würde ihm als Oberschmied sicher die Langeweile vertreiben. Und wer weiß, vielleicht erinnerte der Kerl mit dem seltsam stechenden Blick sogar noch an sie. Bestimmt tat er das. So hoffte die Kapuzenträgerin zumindest. Andererseits? Wie würde er reagieren, nachdem sie über Jahre kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte? Es war nicht so, als stünden sich die beiden sehr nahe, aber dennoch... Sie hatte während ihrer Zeit in Silden und auch in Schwarzwasser ein dünnes und doch freundschaftliches Band mit dem Templer geknüpft das sie tief in ihrem Inneren sehr wertschätzen gelernt hatte. Bestimmt würde er sich freuen. Das tat man doch, wenn man nach einer Ewigkeit einen Freund wieder traf! Aber so genau... Hatte sie nie darüber nachgedacht. Was genau definierte für sie einen Freund? Die Anzahl derer, die sie, soweit ihre Erinnerungen reichten, besaß hielt sich wirklich in Grenzen. Da war Suzuran gewesen. Wie es ihr wohl ging? Schweigend senkte die Bognerin den Blick auf die Tischplatte. Bestimmt war sie wohlauf. Turnte irgendwo durch die Wildnis und erfreute sich an den Wundern der Natur gegebenen Magie.
Doch dann wurde sie je von einer Frage aus den Gedanken gerissen. Eine Frage, auf die eine unglaubliche Schimpftirade auf ihrer Schulter los brach. "Ta-Tanzen!?", sie blinzelte mit nun geweiteten Augen und bemerkte dabei gar nicht, wie sich eine dieser widerspenstigen Haarsträhnen quer über ihr Gesicht legte. Kurz gingen ihre Gedanken an ihren 'Tanz' in der alten Bognerei während dem sie für den großen Baum gesungen hatte. Sie tat so etwas nicht oft. Hatte es eigentlich hassen gelernt in Vengard. Die einzigen male, in denen sie sich ganz dem Rhythmus und Tanz hingab war, wenn sie es fühlte. Wenn sie spürte, dass der Moment der richtige war. Nur dann wollte sie sich dazu hinreißen lassen. Sich ganz diesem unbeschreiblichen Gefühl hingeben zu können. Ohne nervösen Blick über die Schulter oder Angst vor ihrem 'Fluch' haben zu müssen. Und ganz davon ab hatte ihre dunkle Sitznachbarin offensichtlich nur Griffin gefragt. Sie schien wirklich ein gewisses Interesse an dem haarigen Burschen zu haben. Nun, wer war Vareesa schon zu urteilen? Nein. Das war kein richtiger Moment. Und der empörte Spatz auf ihrer Schulter gab dies auch lauthals zum besten.
Sanft wanderte ihre rechte Hand nach oben und senkte sich mit gekrümmten Fingern über dem Köpfchen des kleinen Piepmatzes. Dann, sehr behutsam, griff sie zu und hob ihn sachte auf ihre linke. Egal wie, der kleine Spatz lockte ihr immer wieder ein sanftes Lächeln hervor. Die tiefblauen Augen schlossen sich im nächsten Moment und ihr Atem wurde ruhiger. Vareesa hatte das schon öfter gemacht um ihn zu beruhigen. Und nun tat sie es wieder. Sie konzentrierte sich auf ihren Herzschlag. Fühlte dabei jede aufmüpfige Bewegung des kleinen Spatzen und das empörte Piepsen. Dann, vorsichtig und mit einer inneren Ruhe im Herzen ließ sie die Magie fließen. Nicht in den Maßen wie sie es für gewöhnlich bei der Lichtkugel tat. Es entstand kein großes Leuchten entlang ihrer Adern. Lediglich ein sanftes Aufglimmen, als sich die Magie fast schon gleich eines Rinnsales langsam aber beständig durch ihren Körper bewegte. Die kleineren Äderchen erfüllte und das ganze Gebilde fast schon wie das Geäst eines alten Baumes wirken ließ. Es war sehr subtil, würde unter ihrem Poncho wohl kaum auffallen. Doch waren zumindest ihre Gelenke und Hände sichtbar. Dann hob sie den von jenen Händen umschlossenen Vogel sachte an und formte eine kleine Öffnung in der sie zu ihm Blickkontakt aufbauen konnte. Sie trafen sich. Hielten inne. Vareesa lächelte, ließ dabei sanft die Magie zu ihm gleiten und baute damit ein vertrautes Band auf.
Sie sah Bilder, wie das Vögelchen, unfähig zu fliegen nach oben zu seinem Nest starrte. Gefühle von Angst und Schmerz erfüllten sie, als spräche der Kleine davon. Dann der Blick auf seine Umgebung. Ein Fuchs im Gebüsch, der bereits darauf wartete ihn zu fressen, wäre die Bognerin nicht erschienen. Vareesa hingegen begann, kaum hörbar zu summen. Ihre Worte formten ein altes Wiegenlied das sie auf ihren Reisen aufgeschnappt hatte. Sie besann sich auf Erinnerungen ruhiger Tage. Das Rauschen des Meeres, als sie zum ersten mal auf einem Schiff gereist war. Die Ruhe der See. Das Rauschen der Wellen. Der Spatz neigte den Kopf in seiner üblichen, ruckartigen Art hin und her. Dann, als er verstanden hatte, dass er keine Angst haben musste, setzte er sich auf ihrer Handfläche nieder. Sie beobachtete, wie ihm die Augen immer wieder zu fielen. Die Reise war wohl nicht nur für sie anstrengend gewesen. Schließlich so sie die von Alkohol und Sumpfkraut durchzogene Luft einmal tief ein und ließ die magischen Ströme wieder verglimmen. Dann schaute sie auf und blickte wieder zu Griffin, ehe sie die obere Hand von ihrem kleinen Begleiter herunter nahm und auf die kleine, blaue Schleife an seinem Flügel deutete.
"Ich glaube, den Tanzflügel wird unser kleiner Fratz hier nicht so schnell schwingen können. Und ich...", die Bognerin begann hinter vorgehaltener Hand zu gähnen, schloss dabei die Augen und drückte eine obligatorische Müdigkeitsträne hervor. "... Ich werde jetzt noch jemanden besuchen und dann auch mal Federn horchen gehen, die mir nicht die ganze Zeit ins Ohr fiepen. Kisha, du kannst mir morgen gerne deine Zeichnung bringen. Bis dahin werd' ich auch einen Ort zum Arbeiten gefunden haben. Und wenn nicht...", sie dachte an die verfallene Bognerei und runzelte die Stirn. "... Wir finden schon einen Weg. Und über die Bezahlung reden wir dann."
Sanft verstaute sie den kleinen Spatz wieder im Rande ihrer Kapuze und erhob sich dann. Nach einem beherzten Griff in ihren Münzbeutel kramte sie ein paar davon heraus und legte sie auf den Tisch. "Danke für die Einladung. Es war schön, während dem ersten Essen seit meiner Rückkehr nicht alleine zu sein.". Dann deutete sie, wie schon zuvor beim Gruß an Freiya mit den Fingerspitzen auf ihr Herz, richtete diese dann in Richtung der beiden Tänzer in Spe und neigte leicht das Haupt. "Bewahret, ihr beiden."
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Ruinen von Schwarzwasser
Was Vareesa da tat, war nach außen kaum zu sehen. Nur, wenn man genau hinsah, konnte man ein fahles Glimmen auf ihrer Haut erkennen. Selbst das war schon erstaunlich, völlig übernatürlich gar! Doch was Kisha wahrhaft unvorbereitet traf wie ein Schlag mit dem Schmiedehammer, war das Flüstern der Ahnen, das just in diesem Moment an ihr Ohr drang. Es war ein verzerrtes, dröhnendes Durcheinander fremdartiger Stimmen; eine Sprache, die für sie ganz und gar keinen Sinn ergeben mochte. Doch die Kraft, die hinter dem Flüstern steckte, die kam ihr nur allzu bekannt vor. Mama Nwate hatte stets eine ähnliche Aura umgeben. Konnte Vareesa etwa auch zu den Ahnen sprechen? Das war kein Thema, das sie mit ihr in aller Öffentlichkeit besprechen wollte, doch bei Gelegenheit musste Kisha sie danach fragen.
"Kwaheri, Vareesa. Und danke für deine Hilfe - das bedeutet mir sehr viel", antwortete sie schließlich auf Vareesas Abschied und legte sich die geschlossene Faust zum Gruß auf die Brust.
Ohne es zu merken, waren sie zu den letzten Gästen des Abends geworden. Kisha half aus der Gewohnheit der letzten Tage heraus noch schnell, das Geschirr zusammenzutragen, und bezahlte mit einem Drittel ihres bei Mama Hooqua verdienten Vermögens für eine weitere Nacht in der Unterkunft.
"Deine neue Bedienung scheinst du ja richtig zu mögen, Mama Bossi. Mich hättest du allein für die Tiere doch schon dreimal in Stücke gerissen, eh?"
"Jede, wie sie es braucht, Kleines", entgegnete Hooqua mit einem Lächeln. "Und den da brauche ich noch, also lass ihn mir in einem Stück, ja?"
Kisha folgte ihrem Blick in Richtung Griffin und grinste. "Kann nix versprechen."
Eine Sache fiel ihr noch ein. "Mama Bossi, kann ich mein Holz hier bei dir abstellen? Ist wirklich heilig, und wenn es irgendwo sicher ist, dann bei dir."
Hooqua verzog das Gesicht. "Na, wenn's sein muss. Aber nur das eine Mal! Lass dir das nicht zur Gewohnheit werden! Die Mama ist doch kein Lagerhaus."
"Danke, Mama Bossi. Bist die Beste!", sagte Kisha und kehrte gut gelaunt zu Griffin zurück.
"So, Mpenzi! Jetzt zeig ich dir, wo der richtige Spaß hier zu finden ist, eh?"
Sie nahm ihn an der Hand und stürmte voran, durch die Tür und über die Stege hinab zum Fuß des Baumes. Griffin hatte zu seinem Glück eine recht robust gebaute Hand, denn Kishas Griff war der einer Schmiedin um ihren Hammer, und sie zog aus voller Kraft.
Da es schon dunkelte, hatten die Wächter bereits Fackeln entzündet, von denen sie sich kurzerhand einfach eine nahm, die den Aufgang flankierte.
"Komm schon! Das wird gut!", rief sie und zog ungeduldig. Sie führte Griffin über die Stege von Schwarzwasser, zielsicher in die Richtung des Goblin-Lagers. Je näher sie kamen, desto besser konnte man das derzeit noch recht verhaltene Schlagen der Trommeln hören. Die kleinen Teufel machten sich vermutlich gerade erst warm für den späten Abend.
Die Dunkelheit spuckte sie direkt in der Mitte des hell erleuchteten Lagerplatzes aus, umgeben von einem knappen Dutzend Goblins, die sich alle mit einem überraschten Knurren zu ihnen umdrehten. Die Trommel verstummte. Alle starrten Kisha und Griffin an.
"Salamu, ihr kleinen Wanuka! Ich habe einen Freund mitgebracht, eh?" Sie schaute begeistert in die Runde und riss die strahlenden Augen in heller Vorfreude weit auf. "Lasst uns tanzen!"
Die Goblins schrien auf und rissen die Arme in die Höhe. Mit einem Schlag setzten die Trommeln wieder ein, und die ersten Goblins tanzten direkt mit vollem Körpereinsatz los.
"Komm, mtu mrefu! Zeig mir, was du kannst! Und iss auf keinen Fall irgendwelche Beeren oder den Brei davon, sawa? Den Fehler hab ich beim letzten Mal gemacht."
Sie sprang hinein in den Reigen und wandte sich im Tanzen noch einmal zu ihm, um ihm mit einem dicken Grinsen zu bedeuten, dass er ihr folgen sollte. Es war Zeit für Spaß!
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Als Freiya die Augen aufschlug, bemerkte sie sogleich zwei Dinge. Als Erstes fiel ihr auf, dass nicht mehr früher Morgen war. Da war kein Nebel mehr, der mit spätsommerlicher Frische den Tau über das Gras legte, sondern da war eine wärmende Septembersonne, die alles in ein wunderbare Grün tauchte. Hier im Sumpf würde der Herbst und der Winter nicht so über sie hereinbrechen, wie über den Rest der Insel, aber die Luft veränderte sich und trotzdem wurden die Nächte wieder länger, während manche der Tiere im Herbst ihre Brunftaktivitäten aufnahmen und der ganze Wald voll von den merkwürdigen Rufen war. Noch bevor ihre Gedanken die Konsequenzen der zeitlichen Abweichung erfassen konnten, wanderten sie noch einmal zum Vorabend zurück. Nachdem sie mit Ricklen wegen der verletzten Orkfrau gesprochen hatte, hatte sich der Jäger aufgemacht, um dem auf den Grund zu gehen. Freiya indessen hatte eigentlich vorgehabt, wieder in die Lilie zurückzukehren, schließlich waren da noch Griffin, Kisha und Vareesa und alle drei waren eine ganz wunderbare, wenn auch jeder für sich völlig unterschiedliche Gesellschaft. Sie hatte eigentlich mehr hören wollen, was ein jeder von ihnen zu erzählen hatte, doch sie hatte gemerkt, wie erschöpft sie gewesen war. Die körperliche Erschöpfung war davon das eine. Doch auch ihre geistige Erschöpfung war nach den Ereignissen des Tages groß gewesen. Und die Luft war so angenehm kühl geworden, dass sie ihre Hand, die sie schon auf die Klinke der Eingangstür gelegt hatte, wieder zurückgezogen hatte und ein leises, von den betreffenden Personen nicht gehörtes Gute Nacht gehaucht hatte. Dann war sie allein zum Flett hoch gegangen, dass sie mit ihrer Gruppe bewohnte. Die Stille, die sie umfangen hatte, war wunderbar gewesen und hatte sie mit ihren schmerzenden Knochen und ihrem aufgeriebenen Geist weich gebettet, dass sie schnell eingeschlafen war. Und nun schien es, dass ihr Körper nach zwei zu kurzen und unruhigen Nächten seine Ruhe eingefordert hatte und sie nicht aufgewacht war, als sie es eigentlich hätte tun wollen.
Denn eigentlich wollte sie wie die Tage zuvor zur Übungsplattform gehen. Einerseits wollte sie sehen, ob Ryu da war und anderseits, wenn er es nicht war, ein bisschen wiederholen, was er ihr gezeigt hatte. Als sie schließlich aufstand und sich streckte, bemerkte sie, dass ihre Muskeln den vorigen Tag noch verarbeiten mussten. Sie spürte, wie der Muskelkater hier und da ordentlich zwickte. Das würde wohl heute erst einmal weitaus unangenehmer werden als in den letzten Tagen. Jetzt wollte sie sich trotzdem sputen und nicht noch länger Zeit vertrödeln. Selbst Ronja war schon auf den Beinen und nicht mehr anzutreffen.
Freiya wusch sich das Gesicht und bürstete ihr Haar, bevor sie es mit ihrer Schmetterlingshaarspange zusammenband. Wieder nahm sie sich einen Happen, musste dabei aber feststellen, dass das Brot komplett hart geworden war. Dann lieber einen der saftigen Äpfel, die so herrlich grünrot glänzten. Genüsslich biss sie hinein und wandte sich zum Gehen um, als abermals der zweite Gedanke, den sie direkt nach dem Aufstehen gehabt hatte, an die Oberfläche ihres Bewusstseins trat: Sie hatte Musik im Kopf. Sie wusste nicht, woher und wieso. Aber sie war da. Erst geheimnisvoll und unbekannt, aber dann einladend und herzlich, wie … Tooshoo. Sie folgte der Musik, als sie die Stufen hinabstieg und begann sich im Klang der Melodie zu wiegen. Machte kurze Schritte, dann lange Schritte, tippte hier vorsichtig mit dem Fuß auf und dann dort. Sie ließ ihre Bewegungen fließen mit der Schönheit der Instrumente, die da in ihrem Kopf spielten und die sie kaum kannte. Die sanfte und zugleich beschwingte Melodie trieb ihr ein Lächeln auf die Lippen und der Apfel in ihrer Hand schwang unbeachtet mit ihren Bewegungen mit. Was für eine interessante Aufgabe ihr Kopf ihr da gestellt hatte! Sie musste aufpassen, wo sie hintrat und gleichzeitig wollte sie der Musik folgen, so wie Sibylla, die Tänzerin, es ihr einst gezeigt hatte. Beseelt kam Freiya so den Baum hinunter.
Als der letzte Ton in ihrem Kopf am Verklingen war, wagte sie eine sanfte Drehung und tippte einmal mehr vorsichtig mit dem Fuß auf. Dann atmete sie kurz durch und lächelte noch einmal, bevor sie sich mit ihrem Apfel im Mund dem Übungsplatz zu wandte. Da waren schon einige der Wächter daran, sich zu ertüchtigen, doch ihr Lehrmeister war nicht zu entdecken. Ob Griffin ihn schon erwischt hatte?
Freiya lenkte ihre Schritte schließlich hinunter zur Kommandatur, den Apfel hatte sie inzwischen abgenagt und warf den Rest weit ins hohe Gras hinaus. Sie hob ihre Hand, um zu klopfen, als in diesem Augenblick die Tür schwungvoll von innen geöffnet wurde.
Überrascht blickte die Rothaarige in ein paar orangfarbene Augen.
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"Und du bist sicher, dass du mir den Laden anvertrauen willst?"
Darius saß da, eine Braue in die Höhe gezogen, während seine Faust auf der er sich stützte den Rest seines Gesichtes ebenso verzog. Der Veteran unter den Wächtern wirkte spektisch, wenig begeistert von der Aufgabe die ihm der Hauptmann ihm da zugesprochen hatte. Doch Ryu stand nur da und wischte sich die restlichen Wasserperlen vom Gesicht. Die letzte Nacht war voll gewesen von Überlegungen und Meditation. Gefolgt von einem überaus harten Training in den frühen Morgenstunden. Aber er fühlte sich gut. Eine angenehme Schwere zog sich durch das Muskelgewebe des Hüters und er fühlte, bereits zur jetzigen Zeit diese entspannte Müdigkeit, als habe man alles für den Tag erledigt und nach hinen so viel freie Zeit, dass man gar nicht wusste wohin damit. Das Bad nach dem Training war da am Ende der krönende Abschluss gewesen. Diese Ruhe hatte er auch nicht von Darius stören lassen, der bereits geduldig im Hauptraum gewartet hatte, bis der Templer aus seinem Wohnbereich zu ihm gekommen war. War ja nicht das erste mal, dass man sich in Geduld üben musste.
Was dem bärtigen Krieger jedoch eher nicht gefiel war, dass der Hayabusa offenbar nach einigen übernachteten Fieberträumen beschlossen hatte, er müsse Tooshoo für ein paar Tage verlassen. Und gerade Darius hatte ihn vertreten sollen. "Du hast mir schon desöfteren geholfen, diesen chaotischen Haufen zu ordnen und kennst die Wachpläne von allen am besten.", gab Ryu zurück, als er das Handtuch über seine Schulter schwang und zu der Kommode neben den Wasserfässern ging. Dort hatte er, sauber zusammengelegt sein ärmelloses Hemd auf der darunter liegenden Weste abgelegt. Das Handtuch wanderte unter einem klangvollen 'Fltsch!' über seine Stuhllehne und dann schlupfte er in das Hemd hinein. "Hrrm... Ich weiß nich! Meine Jungs haben sicher keine Lust auf..."
Ryu fiel ihm ins Wort. "Deine Jungs haben gerade über mehrere Tage am äußeren Rand Stege abgerissen und das Material zur Verstärkung unserer Hauptwege umverteilt. Die werden über ein paar Blutfliegen freie Tage sicher froh sein. Da. Hast den Bericht selbst geschrieben."
Blind zog der Templer einen teils von Schlamm verkrusteten Zettel zwischen einem Stapel anderer, von fragwürdiger Herkunft geprägter Papiere hervor und hielt ihm diesen unter die Nase. Verdammt, Ryu hatte aber auch wirklich einen Überblick über dieses Wirrwarr aus Unterlagen und Dokumenten. "Na gut. Hast gewonnen... Und wenn jemand Hilfe beim Hüttenbau oder sonst was braucht?"
Darius hob nun schwer seufzend den Kopf und begann sich auf beide Unterarme zu stützen. Ryu indessen ließ sich salopp auf seinen Stuhl fallen und überschlug die Beine. Die Arme dabei hinter seinem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen. "Sprich die mit Kiyan ab, was Vorräte und Baumaterial angeht. Er meinte, er will Yareds verwaiste Ordnung wieder in Ordnung bringen."
Das Gegenüber des Hüters legte den Kopf schief und murmelte mehrmals nachdenklich. "Kiyan... Kiyan... Das sagt mir was... War doch der Kerl, der den Warg angeschleppt hat, oder?", Ryu nickte. "Aaah, ja der scheint was auf dem Kasten zu haben. Nicht so ein Emporkömmling wie die anderen Jungdspunde.", wieder nickte der Templer und öffnete dabei das rechte Auge zur Hälfte. "Uuund... Sieh mal nach Valerion."
Nun runzelte der Veteran die Stirn und verzog den Mund. "Das war der Typ, der vor zwei Tagen herumgeblökt hat, unten vorm Baum? Der mit dem Mädel aus der Schenke Pilze gefressen hat? Tze... Der liegt doch immernoch im Krankenbett und schwitzt die Laken voll!", ein weiteres Nicken kam von Seite des Templers. "Hoffen wir, dass es nur das Schwitzen ist. Wenn er wieder einigermaßen auf den Beinen ist, gib ihm ein paar grundlegende Lektionen im Schwertkampf und ein paar Aufgaben. Wenn ich wieder zurück bin, übernehm ich dann wieder. Und, auch wenn er gerade gegen das Gift in seinem Körper kämpft - Sei nicht zu sanft. Du weißt schon... Hayabusa-Schule und so."
Jetzt war es an Darius, breit zu grinsen. Er nickte einmal kräftig und schmunzelte vor sich hin. "Keine Sorge. Den halten wir beschäftigt! Und die kleine Rote mit der du dich über den Platz gewälzt hast? Soll ich da auch weitermachen?", kam es nun und er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. Die Antwort darauf war nur ein zerknülltes Papier, welches ihm dumpf am Kopf abprallte und zu Boden kullerte. Ryu schmunzelte nun doch ein wenig. Er wusste, von wem diese Anmerkung kam und wie sie gemeint war. "Blödmann. Nein, ich werd' sie mitnehmen. Wäre schade, ihr Talent mit dem flappsigen Verhalten der Jungs zu versauen, findest du nicht?"
Der Veteran griff sich betroffen an die linke Brust und wandte seinen Kopf pikiert zur Seite, blickte dabei jedoch aus den Winkeln zum Hauptmann. "Also, werter Hauptmann Hayabusa! Die Wächter von Tooshoo sind ja wohl eine Elite-Truppe mit der Grazie und Eleganz tanzender Sumpfhaie im Mondlicht!"
Die Antwort des Hauptmannes bestand nur daraus, dass seine beiden Augen Darius nun nur auf Halbmast anblickten. Er schmatzte einmal resigniert, schüttelte sachte den Kopf und erhob sich. Sein Ziel war nun die Tür, vor der er einige, wenn auch unregelmäßige Schritte vernahm. "Wie jetzt, du gibst auf?" - "Nein, wir kriegen Besuch..."
Im Vorbeigehen boxte der Hauptmann seinem künftigen Stellvertreter freundschaftlich auf die Schulter bis er schließlich vor der Tür stand und diese öffnete. Und da stand sie: die rote Snapperin, Freiya. Unweigerlich musste Ryu ein wenig lächeln, als er sie so sah. Völlig frisch und ausgeruht, die Haare gebändigt von dem einem Schmetterling nachempfundenen Kleinod. Er verdrängte die gestrige Szene, die sie da hatte miterleben müssen und beschloss erst einmal, ihr von dem Glück zu berichten, welches sie in Form eines Ausfluges erwarten würde. "Erwache, Freiya. Gut siehst du aus! Also, ausgeruht, meine ich! Komm rein, wir haben was zu besprechen."
Als die beiden eintraten, erhob sich Darius, Kavalier der er war und verbeugte sich sachte. "Bewahre, Freiya!". Ungefragt zog er ihr den zweiten Stuhl ein wenig zurück, ließ sich dann selbst wieder auf seinen fallen. Ryu indessen ging kurz zum Wasserfass herüber. Als er schon einen Krug in der Hand hielt, blickte er zu seiner Schülerin. "Wasser?"
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Irgendwo in der Finsternis einer Höhle am Rande des Sumpfes...
„Wo willst du hin, hm? Denkst du etwa, du könntest deinem Schicksal entkommen? Ha!“
Brandons höhnisches Lachen hallte in Yariks Kopf wider. Es schien von überall und nirgends zu kommen. Yarik versuchte, dem mörderischen Barden keine Aufmerksamkeit zu schenken, aber Brandon ließ sich nicht so einfach bei Seite schieben.
„Gib einfach auf, alter Mann. Gib auf, wie du es schon vor Jahren hättest tun sollen. Ein Strick ist nicht schwer zu knüpfen und es geht schnell, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann.“
Brandon kicherte hämisch. Für einen Moment sah Yarik die grinsende Fratze des Mörders in der Dunkelheit aufblitzen. Sein Kopf saß in einem seltsamen Winkel auf dem Hals, aber das herablassende, spöttische Grinsen war dasselbe wie zu seinen Lebzeiten.
„Verschwinde…“, knurrte Yarik, „Mach endlich, dass du wegkommst! Du hast hier nichts mehr verloren! Du bist tot! Also warum bist du nicht bei den Toten?“
„Warum bist du nicht bei den Toten?“, konterte Brandon, „Was willst du noch auf dieser Welt, hm? Wo willst du hin? Sieh dich nur an… Du weiß nicht, wo du bist, du weißt nicht, wo du hinwillst, und doch schleppst du dich vorwärts, statt endlich loszulassen! Pah! Dabei wäre es so einfach! Du musst nur liegenbleiben…“
Brandon hatte recht. Yarik wusste weder, wo er war, noch, wo er hinwollte, und doch schleppte er sich vorwärts. Meter für Meter, und jeder einzelne eine Qual. Es war stockfinster, so dunkel, dass sein Geist ihm bereits Dinge vorzugaukeln begann, die gar nicht da waren. Es war nass und kalt und stank nach Verwesung. Er wusste, er war verwundet, aber er konnte nicht sagen, wie schwer. Laufen konnte er nicht… stattdessen kroch er. Schleppte sich auf den Ellenbogen voran, über nasse Felsen und durch stinkenden Morast, und immer wieder ertastete er die Überreste toter Tiere. Fauliges Fleisch, dass unter seinen Händen zu Übelkeit erregendem Brei zerfloss. Schwärme von Fliegen, die sich auf seinem Gesicht niederließen, ihm in die Augen und die Nase kriechen wollten, und er hatte kaum die Kraft, sie zu verscheuchen.
Und trotzdem schleppte er sich vorwärts. Warum? Wohin?
Er hat mich gerufen…
„Dich gerufen?“, spottete Brandon, „Glaubst du das wirklich? Du stirbst, alter Mann, und fängst an, dir Dinge einzubilden. Das ist alles…“ Der Barde seufzte theatralisch. „Sieh der Wahrheit ins Auge, alter Freund. Du hast dein Leben in Dunkelheit verbracht und bist einem Phantom nachgejagt. Und jetzt wirst du in der Dunkelheit sterben, während du einem Phantom nachjagst. Wie passend! Du kannst es einfach nicht lassen, was?“
„Nein! Nein, ich kann es nicht lassen!“, krächzte Yarik und ballte die Faust, „Ich kann nicht… werde nicht einfach aufgeben!“
„Und du glaubst, das macht deine Existenz weniger sinnlos? Dieses… sich abmühen für nichts und wieder nichts?“, erwiderte der Barde verächtlich, als sich plötzlich eine weitere Stimme in das Gespräch einmischte:
„Du kannst es schaffen!“
Yarik lächelte. Endlich jemand anderes als Brandon. Warum musste dieses Arschloch auch so präsent sein? Erschöpft drehte er sich auf den Rücken – ein Kraftakt, der von stechenden Schmerzen in seinem Unterleib begleitet wurde – und lag einfach nur da, schwer atmend.
„Eine kleine Pause, Lyz… eine kleine Pause nur“, flüsterte er und streckte die Hand nach seiner Tochter aus. Lysbeth musterte ihn mit ihren toten, weißen Augen, aber er glaubte dennoch zumindest einen Hauch von Liebe in ihnen erkennen zu können. Konnte sie ihm vergeben?
„Du musst es schaffen!“, sagte sie mit ihrer Stimme voller Blut und Erde. Yarik schloss die Augen.
„Ich werde“, versprach er, auch wenn er nicht wusste, was er eigentlich schaffen wollte. Er lebte in der Dunkelheit und versuchte ein Ziel zu erreichen, das er nicht kannte.
In einer Höhle am Rande des Sumpfes glitt Yarik in einen erschöpften Schlaf und träumte von einem bleichen Baum.
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Wie lange hatte der ehemalige Hüter jetzt schon in den Wäldern Myrtanas und den Sümpfen Argaans gelebt? Wie oft hatte er Goblins ohne einen weiteren Hintergedanken getötet? Wie oft hatte er Geschichten über die Brutalität, die Blutrünstigkeit, die Mordlust und die Einfachheit der wilden, furchterregenden Goblins gehört? Ihn schauderte es, als er das Camp der Grünhäute betrat. Nicht, weil er sich vor den offensichtlich feierwütigen Goblins fürchtete, sondern weil vor seinem inneren Auge die erschlagenen, enthaupteten, mit Pfeilen bespickten Körper toter Goblins vorbeizogen, die er entweder selbst oder aber seine Kampfgefährten ins Jenseits geschickt hatte. Ob auch sie ausladende Feste gefeiert, euphorisch mit Fremden getanzt und merkwürdig anmutende Beerenpampe ausgetauscht hatten?
Sein Magen verkrampfte sich. Er war stets ein Gegner davon gewesen, einzelne Orks ob ihrer Stammesbrüder und -schwestern zu verurteilen. Für ihn galten die Taten des Einzelnen, nicht des Volkes. Aber hatte er den Goblins in der Vergangenheit dieselbe Chance gegeben, sich zu bewähren? Wie oft war das Klicken, Klackern und Gurren dieser kleinen Wesen vielleicht einfach ein für ihn unverständlicher Hinweis darauf gewesen, dass er ihr Gebiet betreten hatte und dieses friedlich aber schleunigst zu verlassen hatte. Da war er wieder: Der Stein in seinem Magen. Die grauenvolle Selbsterkenntnis, die einen mitunter härter traf als das Nudelholz der Hooqua. Er schluckte. Mehrfach. Aber die Tanzenden ließen ihm keine Chance darauf, in Gedanken abzudriften. Das laute Gluckern hinter sich gefolgt von dem Stoß eines kleinen Wesens beförderte ihn einige Schritte weiter in die Menge der Tanzenden, in welcher sich auch Kisha ganz hemmungslos dem Rhythmus der Trommeln hingab. Griffin wollte gerade ihre ausgestreckte Hand nehmen und ihrer Bitte zum Tanz folgen, als ein markerschütterndes Brüllen den Wald erfüllte.
»Kiiiiiiishaaaaaaaaaaa!«
Die Trommelschläge erstarben mit einem Mal, als sich der lederne Vorhang der heruntergekommenen Hütte beiseite schob und ein Oger, sich mühsam durch die kleine Öffnung zwängte. Auf seinem Kopf trug er etwas, das ganz offenbar mal ein haariges Lebewesen gewesen war. Zusammengerollt zu etwas, das entfernt an Haare erinnern mochte. Und um seine Hüfte gewickelt trug er einen bedenklich kurzen Lendenschurz. Ansonsten war der Oger komplett nackt.
Er stürmte auf Kisha zu und drückte sie an seine schwabbelige Brust. »Du gekommen! Glok froh. Heute guter Tag!« Er klatschte begeistert in die Hände.
»Muss dir zeigen. Das Plok.« Er strahlte voller Stolz über das ganze Gesicht und entblößte eine doch recht unvollständige Reihe von Zähnen, die in die unterschiedlichsten Richtungen zeigten. Er beugte sich ein wenig vor und flüsterte halblaut und nur hinter hervorgehaltener Hand »Plok nicht schlau, aber dafür schönste von Insel.« Für einen Moment schien es dem Braunhaarigen so, als betrachte der Oger Kisha... wehmütig? Dann straffte er die Schultern. »Ja, Plok schönste! Glok Lied für sie gemacht und Plok verliebt. Jetzt die zwei sind eins.«
Er trat beiseite und ließ die beiden einen Blick auf Plok werfen. Sie überragte den Oger um gut einen Kopf und war noch einmal breiter als Glok selbst. Sie hob die Hand und brummte etwas vollkommen unverständliches. Viel eindrucksvoller war eigentlich nur, dass sie wie Glok einen kurzen Lendenschurz trug, die wenigen fransig an ihrem Kopf herunterhängenden Haare aber von etwas gehalten wurden, das man im Zwielicht nur als Schleier identifizieren konnte. Sie kratzte sich geistesabwesend am Hintern.
»Kommen! Und haariger Freund auch!« Einige der Goblins flitzten wie auf ein unhörbares Signal tiefer in den Wald. »Heute gute Tag. Heute machen Hochzeit! Kisha muss Rede machen für Glok und Frau! Gast von Ehre!«
Mit diesen Worten stapfte der Oger den kleinen Grünhäuten hinterher. Plok folgte ihm wortlos. Ob sie wirklich verstand, was passierte, vermochte Griffin nicht zu sagen. Seine Kenntnisse in der Kultur der Oger und Goblins war zugegeben sehr eingeschränkt. Kisha drehe sich mit einem begeisterten Funkeln in den Augen um und grinste so breit über das gesamte Gesicht, dass dem Südländer nichts anderes übrig blieb, als das strahlende Grinsen zu erwidern.
Er reichte ihr feierlich den Arm, damit sie sich einhaken konnte und bereute es sogleich. Sie verpasste ihm einen kräftigen Schlag gegen die Schulter und schwang sogleich ihren kräftigen Arm über seine Schultern. Er ergab sich nicht ganz unzufrieden seinem Schicksal und legte seinerseits den Arm um ihre Hüfte.
»Dann wollen wir doch mal - man wird schließlich nicht alle Tage auf eine Ogerhochzeit eingeladen. Und dann auch noch als Trauzeugin.« Spitzbübisch funkelte er sie an. Wenn andere Frauen mit ihrem Äußeren und ihrem Wesen einen Raum erhellen konnten, war diese Frau ein unkontrollierbarer Großbrand, der über die gesamte Insel hinweg den Nachthimmel erhellte.
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