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Lehrling
Seit Tagen hungerte Djarg. Diese ewig währenden zischelnden Laute der Echsen, gemischt mit ihrem Stampfen sorgten für Kopfschmerzen. Das erste mal in seinem Leben vermisste der Psychopath Menschen. Vielleicht vermisste er es auch nur niedere Wesen zu beleidigen... Er musste raus hier. Doch wie? Seine Zelle war verschlossen, und über ihm herrschten die Diener des Bösen. Die Diener des Bösen... Waren sie stark genug eine Zelle einzureißen? Zweifelsohne. Bisher hatte sich der Mörder versteckt sobald eine der Geschuppten den Kerker betrat... Doch das nächste mal würde er die Dummheit der mächtigen Wesen ausnutzen.
Einige Stunden später war es dann auch so weit. Eines der Monstren stand vor seiner Zelle. Würde das Vieh ihn verstehen? Eher nicht. Es zu reizen würde dennoch eine leichte Aufgabe sein.
"Hey, du jämmerliche Blindschleiche! Hat Mamadrache euch Scheißechsen wieder alleingelassen?! Oder ist die feuerspuckende Missgeburt gerade dabei eine andere Heimat zu zerstören?!",brüllte Djarg aus voller Kehle. Es funktionierte. Die Echse drehte sich zu ihm um und begann unter komischen unverständlichen zischenden Schreien, auf die Eisenstangen einzudreschen. Knarzend bog sich das Gitter in die Richtung des Menschen.
KRACH
Die Stangen hatten ein großes Stück der Decke mit sich gerissen, bevor sie knapp vor dem Mageren auf den Boden knallte. Wie ein Blitz sprintete er los, an der Echse vorbei, über den langen Gefängnistrakt, durch das große offenstehende Tor direkt in die Freiheit. Wobei Freiheit in diesem Fall bedeutete: In eine große ruinierte Stadt voller feindlich gesinnter Echsen, ohne jegliche Anzeichen an menschliches Leben...
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Unter der Kuppel - Alleine im Haus der Magier?
Schreie. Immer diese Schreie. Diese schmerzerfüllten Schreie.
Dunkel war es, nur das entfernte bläuliche Glimmen eines magischen Lichts spendete einen Tropfen Hoffnung in dieser allgegenwärtigen Dunkelheit. In der Luft lag ein schauerlicher Geruch. Staub und Muff, unterlegt mit dem süßlichen Duft des Verwesens. Wie eine verblasste Erinnerung, die stets nur knapp unter der Oberfläche des Bewusstseins verharrte. Kein Lüftchen wehte, nichts bewegte sich in den verlassenen Gängen. Nur ein Etwas. Nur ein Wesen.
Langsam tastete sich dieses Wesen vor, die rechte Hand an der Wand, die linke an den Körper gepresst. Die ersten Tage in dieser Dunkelheit war sie noch ausgestreckt, führte einen Stock oder einen anderen Gegenstand, um sich, wenn nötig, verteidigen zu können. Doch aus Tagen wurden Wochen und Nichts begegnete dem Wesen. Keine andere Kreatur. Nur die aschfahlen Knochen, die überall in den Räumen lagen. Große Knochen, die von einem noch größeren Wesen stammen mussten als von ihr. Von vielen Wesen. Allmählich ging es voran, immer weiter durch die Düsternis, immer weiter ohne Ziel. Es gab nichts zu tun. Nichts, was dieses Wesen machen konnte. Nur essen. Ziellos rumlaufen. Nichts Bedeutendes.
Doch irgendetwas musste es doch tun. Etwas erfahren. Sich auch nur an das Zuvor erinnern. Ja, das Zuvor. Was war geschehen? Wieso war sie alleine hier? Wo waren alle anderen? Träumte sie nur? Nur Knochen und Gestank, altes Essen, abgestandenes Wasser. Alptraum. Schmerz. Leid.
Was war nur geschehen? Wer war sie?
Tinquilius
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Dunkelheit. Dauerhaft und endlos. Muffige, stehende Luft. Stille. Kein Mucks, kein Zischen oder Knacken. Einfach nur Stille.
Mühselig tastete sich das Wesen, das einst eine Frau war, durch die dunklen Hallen. Immer wieder musste sie stoppen, heruntergefallenen Steinen ausweichen oder über Gebeine von großen Wesen treten, ohne dabei zu stürzen. Man mochte meinen, ihre Sinne wären in all der Zeit, die sie nun schon hier untern verbracht hatte, geschärft, hätten sich den neuen Umständen angepasst, doch alles hatte etwas Unnatürliches, etwas von finsterer Hand Erschaffenes. Wie auch immer diese Dunkelheit erschaffen worden war, sie hatte einen negativen Effekt auf ihre Sinne. Nichts schien einfacher zu werden. Wenn überhaupt, so schien es immer schlimmer zu werden. Die Luft wirkte dichter, die Temperaturen wärmer. Als würde etwas Schlimmes bevorstehen.
Doch vielleicht lag es auch nur daran, dass sie weiter und weiter nach unten schritt. Sie war nicht konstant in Bewegung in eine Richtung, schließlich musste sie immer ihren Weg zurück zu der Kammer finden, in der noch einigermaßen essbare Sachen lagen, doch sie wollte diese Dunkelheit auch erkunden. Ein kleiner Funken Hoffnung auf Freiheit hatte sich erst vor kurzer Zeit ergeben, wurde aber kurzerhand wieder zerschmettert. Sie glaubte endlich einen Weg aus dem ganzen hinaus zu haben, eine Möglichkeit freizukommen, als sie ein kurzer aber deutlich zu spürender Windstoß umgab. Dazu ein Knarren, das nur von einer Tür stammen konnte. Doch egal wie weit sie lief, nirgendwo war eine offene Tür und auch der Windstoß wiederholte sich nicht mehr.
Wo war das Wesen, das einst eine Frau gewesen sein musste, nur? Was tat es hier? Wieso gab es keinen Ausweg? Es musste doch einen Ausweg geben?!
Wieder von jeder Hoffnung befreit schritt sie weiter und weiter. Ohne Anfang. Ohne Ziel. Einfach nur nach vorne—wenn es denn nach vorne ging.
Tinquilius
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Hin und her. Runter und rauf. Wände und verschlossene Türen, nur selten ein Einblick in einen Raum. So gestaltete sich die Zeit, die das Wesen, welches einst eine Frau gewesen sein musste und vermutlich noch eine war, in den dunklen Hallen verbrachte. Unwissenheit war allgegenwärtig, ein Ziel in weiter Ferne. Nur die wenigen magischen Leuchten, die immer mal wieder auftraten, gaben der ganzen Umgebung überhaupt eine Kontur, ein Gesicht. Doch diese waren schwach, als wären sie durch irgendetwas gedämpft. Dies war dem Wesen aber natürlich nicht bewusst. Sie lief nur durch die vielen Räume, suchte sich passende Orte zum Schlafen und kam immer wieder zu dem einen Raum zurück, der all das beherbergte, was sie aß; was auch immer dies war.
Langsam drückte sie wieder einmal gegen eine hölzerne Tür. Auch dahinter offenbarte sich ein dunkler Raum, doch, wie schon vor einer ganzen Weile, kam ihr dieses Mal ein Windstoß entgegen. Er war nicht kräftig und roch auch nicht unbedingt anders als die restliche Luft, doch sie wusste, dass dieser nicht einfach so auftreten konnte. Irgendwoher musste er kommen. Eilig—oder was man bei dieser Dunkelheit als eilig bezeichnen mochte—begab sich das Wesen hinein in den Raum. Unvorsichtig, wie sich sogleich herausstellen sollte: Ihr linker Fuß verhakte sich unter etwas, dass sich wie Knochen anfühlte, und ließ sie zunächst erschreckt taumeln. Mit Händen und Füßen versuchte sie die Balance zu halten, doch es war schlussendlich vergeblich. Mit einem lauten ‚Plumps‘ prallte das Wesen auf den Boden. Nur gerade so eben hatte sie noch die Hände zum Schutz vor ihr Gesicht halten können, abzufedern wusste sie den Sturz aber nicht.
„Autsch“, entwich es ihr, oder zumindest sollte es sich so anhören. Stattdessen kam nur ein Krächzen hervor, ihre Stimme einfach zu ungenutzt.
Schwerfällig drehte sie sich auf den Rücken, versuchte dabei den Gebeinen weiterer Wesen auszuweichen und schnaufte. Alles tat weh. Von oben bis unten. Doch sie vermochte langsam wieder aufzustehen. Nun aber war sie inmitten eines Raumes, dessen Größe sie nicht kannte. Sie glaubte er war groß, größer als die meisten anderen, doch was bedeutete das für sie?
Und gerade, als sie wieder losgehen wollte, vernahm sie das erste Mal seit einer Ewigkeit ein lautes, einzelnes Klopfen. Dann herrschte wieder Stille. Sich die Arme vor Schmerzen reibend aber dennoch hoffnungsvoll machte sie sich auf den Weg in die Richtung, aus derer sie das Klopfen zu hören geglaubt hatte. Woher es wohl stammte? Von wem oder was?
Tinquilius
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Immer wieder drang eine frischere Brise an das Gesicht des Wesens, welches einst einmal eine Frau gewesen sein musste und dies vermutlich auch noch war. Manchmal kam sie von vorne, manchmal von der Seite. Manchmal sogar aus der ihr entgegengesetzten Richtung, doch nie zweimal aus der gleichen. Immer änderte sie sich, sobald sie glaubte dem Ursprung näher zu sein. So, als wollte das, was diese Windstöße verursachte, sie nicht näher an sich herankommen lassen. So als hätte es ein Bewusstsein. Doch das Wesen, das einst eine Frau gewesen war, wusste es besser: Wie konnte so etwas schließlich existieren? Zu alledem kam aber noch das Klopfen, das in unregelmäßigen Abständen—zumindest konnte sie keine Regelmäßigkeit ausmachen—immer mal wieder auftrat. Dieses aber, im Gegensatz zu den Windstößen, nicht aus wechselnden Richtungen, sondern immer aus der gleichen. Nur der Ursprung dessen blieb ihr verborgen, denn egal wie weit sie schritt, das Klopfen wurde weder lauter noch leiser. Es war so, als wäre es allgegenwärtig. Käme von überall und doch nur aus einer Richtung. Ein weiteres Mysterium.
In diesem Moment aber machte sich das Wesen keine Gedanken darüber, vielmehr würgte sie ein paar Bissen herunter. Was dieses sie da aber aß, wusste sie nicht. Etwas altes, fades, das schon lange nicht mehr verkauft würde. Doch es reichte, um ihren Hunger soweit zu stillen, dass ihr Magen nicht dauerhaft knurrte. Genauso wie die Informationen, die dieses Wesen über sich selbst hatte. Ein Mensch, ein lebendes Wesen. Nicht genug, um ihren eigenen Namen zu wissen, doch genug um nicht ganz verrückt zu werden—wer aber konnte sagen, dass sie das nicht schon war?
Ein plötzliches Knarren einer Tür ließ sie aufschrecken, in die Dunkelheit starren. Einen Moment wartete sie, versuche jedes Geräusch wahrzunehmen. Gerade als sie einen weiteren Bissen nehmen wollte, kam ein Geräusch, das nur von einem Gegenstand kommen konnte, der gegen eine Mauer geworfen wurde. Stein auf Stein.
Kein Zufall.
Sie leckte ihre Nahrung bei Seite, nachdem sie ein Tuch darum gewickelt hatte, und stand dann auf. Vorsichtig tastete sie sich an einer der Wände entlang. Erneut ein Klopfen, dann ein Knarren. Unabhängig voneinander. Erneut klang es so, als würde Stein auf Stein treffe. Im Vergleich zu dem Klopfen aber schien dies nicht allgegenwärtig, sondern klar aus einer Richtung zu stammen. Hinaus ging es, in einen der langen Gänge. Dort wurde sie nicht enttäuscht: Erneut erklang das Geräusch, eindeutig aus der Richtung, in derer sie auf den neuen Raum gestoßen war vor einer Weile. Dort, wo die Windstöße am kräftigsten zu spüren waren.
Ruhig bewegte sie sich, machte langsam einen Schritt vor den anderen. Dieses Mal aber hatte sie etwas, was ihr vorher noch fehlte: Ein Ziel.
Tinquilius
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Es herrschte eine tiefe, stille und alles erdrückende Nacht. Die Luft schien beinahe greifbar zu sein. Es fühlte sich an, als würde man durch sirupartige Tinte laufen, welchem sich eine über den ganzen Körper legte. Der Nieselregen tat sein Übriges dazu. Die vierundzwanzig finsteren Gestalten verschmolzen zwar mit der Dunkelheit, muteten wie Schatten längst vergangener Krieger an, dennoch fühlten sie sich nicht gut. Zuerst hatte der Mantel und die Rüstung das meiste an Regen abgehalten…aber mittlerweile, nun, die meisten waren nasser als sonst.
Die schwarze Welle schwappte über einen zerstörten Mauerkeil, auseinandergerissen von einer starken Macht, welche sich nun als Glück herausstellte. Damals jedoch musste hier während der Zerstörung der Stadt der Tod in Form von unzähligen Echsenmenschen durchgekommen sein. Niemand sprach ein Wort, während sie sich im Schutz eines eingerissenen Hauses sammelten. Während der letzten Tage hatten die Späher herausgefunden, dass die Monster tagsüber aktiver als in der Nacht waren. Sie schienen nicht alle mit selbst erstellten Waffen ausgerüstet zu sein, allerdings mussten sie das auch nicht. Immerhin besitzen sie Klauen und einen kräftigen Schwanz.
Mit einem kurzen Kopfnicken gab Madlen das Zeichen zum Aufbruch. Seit sie in die Nähe der Stadt gekommen waren, hatte die junge Frau ein flaues Gefühl im Magen. Wie vor jeder großen Schlacht, wie vor jedem kleinen Kampf…ein komisches Ziehen, als würde sie jemand zurückhalten wollen. Und im Endeffekt wäre das auch besser gewesen. Überall waren noch Zeichen eines beispiellosen Massakers zu erkennen. Verwesende Leichen, kaum mehr als bleiche Knochen mit letzten Fetzen einst blühenden Lebens. Sie kamen in eine Stadt der Toten, sie gehörte nicht mehr dem Diesseits. Hier waren sie zu Gast, nicht die Echsenmenschen. Jetzt kam es nur darauf an, dass sich die Gruppe auch so verhielt.
Die Piratin atmete tief ein, zählte die Sekunden, achtete auf das kaum hörbare Trippeln von einem Dutzend Füße…sechs ihrer Männer hatten gerade das schützende Haus – beziehungsweise dessen Überreste – verlassen und machten sich Richtung Königsplatz auf. Die Späher hatten dort zwar die größte Zerstörung gemeldet, aber vielleicht ließ sich noch etwas holen. Sie hatten nur eine Nacht Zeit…lediglich ein paar Stunden, um verlassene, wertvolle Güter an sich zu bringen. Niemand kannte den wahren Grund, warum sie hier ihr Leben riskierten. Unheilvolle, dunkle Gedanken strömten mit dem stärker werdenden Regen auf Madlen ein. Sie schickte bewusste ihre Männer in den Tod. Natürlich hatten sie die Kuppel über dem Magierviertel bemerkt…dann das beständige, matte, rötliche Glühen aus dem Stadtinneren. Aber es war ihr egal. Sie hatte eine Mission und ihre Leute haben ihr die Treue geschworen. Sie mussten sich einfach im Klaren sein, worauf sie sich da einließen.
Die junge Frau spürte ein kurzes Tippen auf ihrer Schulter, bemerkte den Windhauch, als sich ihre Gruppe Richtung Handwerksstraße aufmachte. Dieser Teil war nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, wie der Rest der Stadt. Ein letztes Mal bewusst ein tiefes Einatmen, dann ein leises Ausatmen…
So unauffällig wie möglich liefen die sechs Piraten über glitschiges Kopfsteinpflaster. Schlichen sich von Haus zu Haus, von Vorsprung zu Vorsprung und duckten sich unter Fensterläden hinweg. Nach einer Weile erreichten sie ein kaum zerstörtes Haus. Um ihre Tarnung weiter aufrecht zu erhalten, stimmte Madlen mit den anderen ein, eine Durchsuchung nach wertvollen Dingen zu beginnen. Die Fensterläden unten waren geschlossen und scheinbar kaum beschädigt worden, deswegen war darüber kein Zugang möglich. Es blieb also nur die traditionelle Variante der Tür übrig.
Natürlich, sie klemmt. Die Bardin schüttelte den Kopf. Scheinbar konnte nie etwas so laufen, wie sie es gerne hätte. Einer ihrer Männer half mit einem paar kräftigen Tritten nach. Dreimal traf sein mit schweren Stiefel geschützter Fuß unterhalb des Schlosses gegen das Holz und erst beim vierten Mal gab es nach und die Pforte flog auf. Lautstark krachte sie nach ihnen und fiel wieder zurück. Während zwei Männer als Vorhut den Raum so leise wie möglich betraten, blieben die anderen draußen und blickten sich um, auf der Suche nach alarmierten Echsenmenschen, angelockt von dem Lärm. Nervös schluckte Madlen, denn sie waren nicht mehr weit von ihrem alten Haus entfernt. Vielleicht waren nur noch vier oder fünf Wohnungen dazwischen. Dann endlich konnte sie ein lang angestrebtes Ziel erreichen. Vielleicht fand sie dann etwas Ruhe in sich selbst, ein wenig Seelenfrieden. Dass Männer dafür in den Tod gingen, welche ihr bedingungslos folgten…nun, sie versuchte es im Moment zu verdrängen.
Ein Tippen auf ihre Schulter gab ihr zu verstehen, dass das Haus sauber war und ging von dem mittlerweile starken Regen in die muffige, abgekochte Luft eines lange verlassenen Raumes. Spinnweben fand man in fast jeder Ecke, stehen gelassene Teller – kaum erkennbar waren die Überreste eines letztens Essens – ließen auf eine übereilte Flucht hindeuten. Hocker lagen umgestoßen auf dem Boden, ein Regal war zerbrochenen worden. Überall lagen Scherben von Tonkrügen oder Amphoren. All das erkannte Madlen im Dunkel, denn selbst in einer solchen Nacht war es nicht völlig finster. Das Hintergrundglühen aus dem Inneren der Stadt und das der Kuppel kämpften sich durch die Ritzen im Mauerwerk, die Fensterläden und die offene Tür, ermöglichten einen kaum nennenswerten Sichtradius und reichten dennoch völlig aus, um zu erkennen, ob etwas wertvoll war oder nicht.
Oder, ob jemand eine dumme Idee hatte. Die Piratin sah mit Entsetzen, wie einer ihrer Männer damit beschäftigt war, eine in Wachs getränkte Fackel anzuzünden. Noch ehe sie ihn erreichen konnte, hatte er es auch geschafft. Geblendet von der plötzlichen Helligkeit, schlug Madlen die Augen zu. In der erneuten Dunkelheit ihrer Lider blitzten bunte Farben auf und nahmen der jungen Frau für einige Sekunden die Sehkraft.
Taumelnd ging sie einige Schritte rückwärts. Stieß gegen etwas hartes, spürte aber durch die Rüstung nicht, was oder wer es war. Mit einem Mal, ein stechender Schmerz in ihrem linken Arm, sie wurde in die Luft gehoben – als würde sie nichts wiegen. Dann ein Bohren an ihrer linken Schulter. Madlen fühlte, wie etwas unter ihrem Schlüsselbein durch die dort liegenden Muskeln drang und auf der anderen Seite wieder hervortrat. Spitz war es, aber vor Schmerz und von der Fackel immer noch geblendet, konnte die Bardin nicht erkennen, was es war.
Mit einem Mal flog sie durch die Luft, knallte mit ihrem Brustkorb gegen die gegenüberliegende Wand, rutschte zu Boden und blieb mit dem Gesicht Richtung Tür liegen. Sie konnte sie nicht rühren, sah nichts – außer wieder die bunten Lichter und Schlieren vor ihren inneren Augen. Sie hörte lediglich, was vor sich ging. Durch einen Nebel des Schmerzes nahm sie Schreie war, Schwerter wurden gezogen und ein Kampf schien stattzufinden. Allerdings nicht für lange. Denn die undefinierbaren Zischlaute und das Bersten von Knochen, sowie das Fehlen jeglicher menschlicher Laute ließ darauf schließen, dass der Feind gewonnen hatte. Verschwommene Bilder erschienen vor Madlens Augen. Echsenähnliche Wesen streckten ihre Männer nieder. Zerfleischten sie, brachen ihre Knochen, rissen ihnen Arme und Beine aus. Niemand schien sie zu beachten.
Der Wurf des Monsters hatte die junge Frau hinter einen umgefallenen Schrank befördert, der nun schräg dalag und ihr einen Blick darunter durch ermöglichte, sie aber nicht wirklich von den Echsenwesen war genommen werden konnte. Ihr Glück, denn auch wenn ihre Freunde eines niederstrecken konnten – wahrscheinlich reiner Zufall – kamen doch auf jeden von ihnen mindestens zwei. Schon nach kurzer Zeit war der Kampf vorbei und es befand sich niemand mehr im Raum, der noch lebte. Ein grausames Röcheln ging von den sterbenden Piraten aus. Während sie ihre letzten Sekunden im Diesseits verbrachten, bekam Madlen noch mit, wie die Flamme der Fackel langsam ausging.
…erst war es noch ein helles Brennen…
…dann ein mattes Leuchten…
…dann ein unheilvolles Glühen…
All dies bekam die Bardin durch den Schleier des Schmerzes mit. Auch sie atmete rasselnd, spürte Blut im Mund. Die Welt vor ihren Augen verschwamm und mit einem letzten Blick sah sie ein Schafsfell an der Wand gegenüber hängen. Sie versuchte sich hochzustemmen, dorthin zu gelangen. Sackte aber sogleich wieder zusammen. Sie spürte wie sie immer mehr an Zeit verlor, konnte aber nichts dagegen machen. Mit keinerlei Kraft mehr im Körper fielen ihre Augen zu. Sie sah nur noch einen weiteren Schatten den Ort des Schreckens betreten und wusste, dass ihre Stunde geschlagen hatte. Doch ihr Herz schlug weiterhin, wollte nicht aufgeben. Nicht so kurz vor dem Ziel.
…und mit einem Mal herrschte völlige Dunkelheit…
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Eine Welt aus schwarzer Nacht, plötzlich auftauchenden, rötlich schimmernden Blitzen. Stumme Schreie versuchten in diese Welt zu gelangen, wurden aber durch den Schmerz aufgehalten, der die Kiefer daran hinderte sich zu öffnen. Klauen, die sich einem tief in das Fleisch rammten…sie rissen den gesamten Körper auf, hinterließen nur eine tote, leere, erkaltenden Hülle, während das Leben langsam daraus entwich. Dann, eine eiskalte Hand kam aus der Dunkelheit an die dort liegende Finsternis. Himmelblaue Finger langten an eine zerfurchte Stirn, flößten die Kraft des ewigen Winters in die Schatten ein und hauchten für einen Moment die Lust des Lebens wieder ein…
Keuchend riss Madlen die Augen auf, blinzelte im matten Schein einer abgeblendeten Laterne. Ihre Lippen waren aufgerissen, schmeckten rostig von dem eingetrockneten Blut. Ihr gesamter Körper schien vor Schmerz zu schreien. Sie orientierte sich oder versuchte es zumindest. Allmählich gewannen die vor ihr befindlichen Schatten Konturen. Die meisten von ihnen waren einfach nur ehemalige Möbelstücke oder Ähnliches. Zwei allerdings entpuppten sich als menschliche Wesen, eines weiblich, das andere männlich.
Die unbekannte Frau beugte sich über sich und legte etwas auf ihren Mund. Mit einem Mal wurden alle Gedanken verdrängt, als kühles Nass ihre ausgetrocknete Kehle benetzte und den Geschmack des Todes fortspülte. Erneut hielt sie keuchend inne, hustete und der Mann schien irgendetwas zu sagen, da sich verschwommene Lippen bewegten und dumpfe Laute an die Ohren von Madlen drangen.
Als sie sich hochzustemmen versuchte, scheiterte sie nicht nur aufgrund der Schmerzen, die ihren ganzen Körper durchzogen, sondern auch weil der fremde Mann sie mit festen, aber sanften Druck zurück auf…ja, auf was legte? Prüfend konzentrierte sich die Bardin darauf. Nach kurzem, gründlichem Gedankengang kam sie zu dem Schluss, dass es sich um ein Bett handelte. Aber wie war sie dort hingelangt? Und was war eigentlich passiert?
Die junge Frau wusste noch, dass sie die Stadt betreten hatten, auf der Suche nach Erinnerungsstücken aus früherer Zeit. Ein Bogen, ein Schwert und ein Lammfell. Sie betraten deswegen ein Haus und jemand zündete eine Fackel an. Und dann? Sie wurde geblendet, so viel war klar. Allerdings stieß sie dann gegen etwas. Aber was?
Mit einem Mal machte sich ihre Schulter ganz besonders bemerkbar und der Piratin war klar, was passiert sein musste. Angelockt von dem Lärm hatte sich eine Gruppe Echsenwesen auf den Weg zu dem Haus gemacht, hatte sie gefunden und schließlich bekämpft. Wie auch immer Madlen das überlebt hatte, wusste sie nicht. Denn innere Bilder zeigten ihr ein Massaker in dem Haus, was sie so schon lange nicht mehr erlebt hatte. Eines der Wesen durchbohrte sie mit seinen Klauen und schleuderte sie an die Wand. Damit wären die Schmerzen geklärt. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wer die fremden Menschen waren, die sich scheinbar ihrer angenommen hatten.
Mit glasigem, verschwommenem Blick sah sich die junge Frau um, bemerkte gerade noch, wie die beiden Schatten das Zimmer verließen und die Tür hinter ihr schlossen. Ein Klicken ließ darauf schließen, dass sie die Tür verriegelten. Langsam entfernten sich die Stimmen und mit ihnen eine Möglichkeit der Erklärung.
Verzweifelt blickte sich Madlen um, erkannte nur noch drei andere Gegenstände neben ihrem Bett. Zu ihrem Entsetzen und Erstaunen waren es ein Bogen, ein Schwert und ein Lammfell. Sie musste sie näher betrachten und versuchte sich erneut hochzustemmen. Ein weiteres Mal meldete sich der Schmerz zurück und ließ sich keuchend, hustend und zuckend auf das Bett zurücksacken. Um die roten Schlieren vor ihren Augen zu verscheuchen, schloss sie diese. Gleich darauf stellte sie fest, dass das keine gute Idee war, denn ihre innere Sicht verstärkte diese Bilder nur.
Im Rausch des Schmerzes fiel die Bardin langsam in eine Art Wachtraum, bevor sie schließlich in einen tiefen Schlaf kam und zurück in das Land der Schatten wanderte, aus welchem sie gekommen war…
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Es gab nicht nur eine scheinbar wandelnde Person. Auch Redsonja hatte einen seltsamen Zustand erreicht. Die Erinnerungen, die Bilder der Fliehenden wühlten sie auf. Obwohl die Trümmer Setarrifs in den frühen Morgenstunden beinahe friedlich wirkten. Aber Erinnerungen liessen sich manchmal nicht so einfach auslöschen und sie wollte nicht vergessen. Sie war sich der Gefahr bewusst, die es in sich barg nach Setarrif zurück zu kehren, doch wie sie Madlen kannte, brauchte diese Hilfe und wenn Redsonja für jemanden blind ins Verderben sprang, dann war es für Madlen. Wobei nicht ganz blind. Sie durchkämmte die Stadt ganz vorsichtig, um endlich einen Anhaltspunkt zu finden, wo sich die leichtsinnige Freundin befand.
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Er war vorsichtig zum Bergsee hinunter gestiegen und hatte sich von dort aus der Stadt genähert. Dabei trug er nur das Wichtigste bei sich: Sein Schwert und den Dolch, etwas Proviant und Wasser, den Feuerstein, etwas Geld und ein kleines Gefäß mit Öl, welches zur Schwertpflege bestimmt war. Außerdem hatte er sich ein kurzes Seil, kaum drei Mannslängen lang, um den Oberkörper gewunden. Den Bogen, die Pfeile und alles sperrige Gepäck hatte er versteckt. Wenn alles gut lief, dann würde er zu dem Versteck zurückkehren und alles wieder an sich nehmen. Wenn es weniger gut lief, dann würde er es irgendwann wieder holen und im schlechtesten Falle würde irgendwann ein Wanderer auf Adsons Hab und Gut stoßen und sich vielleicht einen Moment fragen, welches Schicksal dem Eigentümer wohl bestimmt gewesen war.
Adson hatte sich mit verschiedenen Kräutern und Gräsern eingerieben, um den menschentypischen Körpergeruch zu verbergen. Ein klares Ziel hatte er nicht vor Augen, doch trieb es ihn entgegen aller Vernunft hinunter in die Stadt, in der er einst einen Namen gehabt hatte. Sein erstes Ziel war die Arena. Unendlich vorsichtig war er dem Weg vom Bergsee herunter gefolgt und kauerte nun im Schatten einer niedrigen Mauer am Rande der Stadt. Er atmete kaum hörbar und spähte ins nächtliche Zwielicht. Noch konnte er einfach umkehren. Doch es war unerwartet ruhig in der Stadt. Scheinbar hatte ihn der Eindruck nicht getrogen, dass die Echsen ohne die wärmende Sonne weniger aktiv waren. Er lugte um die Mauer herum und konnte im fahlen Licht der Sterne die Umrisse der Arena erkennen. Erinnerungen stiegen in ihm auf, Bilder von Arbeiten am Schreibtisch, von stundenlanger Übung im Sand, von interessanten Kämpfen und von dem großen Turnier. Seine Hand suchte unbewusst den Schwertknauf, während in seine Augen ein entschlossenes Glitzern trat. Lautlos löste sich der Jäger aus dem Schatten der Mauer und huschte hinter die Überreste einer großen Marmorfigur auf der anderen Straßenseite. Er hatte sich entschieden und würde nicht umkehren, ohne die Arena besucht zu haben.
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Sein Herz raste und er lehnte sich gegen den kalten Stein und lauschte. Ein Schlurfen und Gurgeln war zu hören, begleitet von einem scharfen Zischen. Unweigerlich entfernte Adson sich lautlos ein Stück weiter von der geheimen Tür, die wohl aktuell seine Lebensversicherung war. Was hatte ihn bloß hierher getrieben? Wie hatte er nur so verblendet sein können, einfach in diese Stadt hinein zu spazieren? Die Einwohner der Stadt und selbst die Truppen des Königs hatten sich vor Monaten für die Flucht entschieden, aber er hatte ohne Not den entgegengesetzten Weg gewählt.
Ein paar Schritte schlich Adson noch weiter, dann sank er in der Dunkelheit auf die Knie und versuchte sich zu beruhigen. Er hatte sich im Schutz der Nacht bis zur Arena vorgeschlichen und schließlich sogar sein altes Arbeitszimmer erreicht. Von der Einrichtung war nichts übriggeblieben. Holzteile und Papier lagen wahllos in der Gegend, auf manchen Dokumenten erkannte Adson seine unsaubere Handschrift, auf anderen zeugten geschwungenere Buchstaben davon, dass der Betrieb nach Adsons Verschwinden weitergegangen war. Und hatte er die Echsen gehört. Er wusste noch immer nicht, ob er sie selber aufgestört hatte oder ob sie zufällig auf ihn aufmerksam geworden waren. Jedenfalls war er panisch geflüchtet, den Gang entlang und in den Raum, in welchen er einst Nazarg einquartiert hatte. In Windeseile hatte er die versteckte Falltür geöffnet und war in dem steinernen Gang verschwunden, der nach unten führte. Dann hatte er die Tür verschlossen und gewartet. Und dort war er noch immer. In der Dunkelheit eines Ganges, der irgendwo ins Nichts führte. Er war nicht das erste Mal hier unten, so viel sagte ihm sein Instinkt, doch an konkrete Details konnte er sich nicht erinnern. Lediglich das Gesicht von Nazarg, einige sonderbare Gestalten und die Fratzen von Goblins tauchten in seiner Erinnerung auf. Er würde vorsichtig sein müssen.
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Unter der Stadt
Adson schritt langsam vorwärts. Einerseits wollte er nichts übersehen, andererseits galt es jedes Geräusch zu vermeiden. Denn auch wenn er bisher noch keinem feindlichen Wesen begegnet war, so konnte er sich keineswegs sicher sein, dass er hier unten wirklich allein war. Und er hatte schon hier und da Anzeichen auf andere Lebewesen entdeckt! Alter Kot, Abfälle und verschiedener Tand waren dem Jäger nicht entgangen. Von wann all dies allerdings stammte, das wusste Adson nicht zu sagen. Gut möglich, dass die unterirdischen Gänge seit dem Einmarsch der Echsen vollkommen verwaist lagen.
Adson erreichte eine Weggabelung und stockte. Dann wandte er sich nach rechts und folgte einem in Fels geschlagenen Gang, bis er einen etwas größeren Raum erreichte, in den vier verschiedene Gänge einmündeten. Er nickte zufrieden. Nach und nach fand er sich in diesem Wirrwarr von Gängen zurecht. Er ließ sich in einer Ecke nieder und ein wenig von dem trockenen Fleisch, das er sich mitgenommen hatte. Dies war aktuell wohl seine größte Schwachstelle. Wie sollte er hier ohne Nahrungsquelle lange überleben? Wasser würde sich sicher finden lassen, aber Beutetiere suchte man hier unten wohl vergeblich. Adson schob diesen Gedanken beiseite und nahm den verkohlten Rest einer Fackel zur Hand. Kurz überlegte er, dann zeichnete Adson einige Striche an die Wand, die sich in ein scheinbar ungeordnetes System von Linien und Bögen einfügten. Adson betrachtete sein Werk. Karte konnte man das Geschmiere kaum nennen, doch es war besser als ohne jede Orientierung durch die Katakomben zu stolpern.
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Unter der Stadt
Sie kamen, sie hatten ihn entdeckt! Adson erschrak und griff zur Waffe. Zwei Echsenmenschen, nein drei und da noch ein vierter. Lange war das Versteckspiel gut gegangen, aber nun war es gekommen, wie es hatte kommen müssen. Er hatte nach etwas Essbarem gesucht und hatte eine der Kreaturen übersehen. Nun lief er, so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Er war der Gejagte, die Jäger waren in der Überzahl. Er schnellte um eine Ecke und strauchelte, hinter sich hörte er schwere Schritte und das sonderbare Zischeln und Glucksen, dass diese Wesen mitunter ausstießen. Er bog um die nächste Ecke und wäre fast mit einem Echsenmenschen zusammengestoßen. Hatte er auf ihn gewartet? Egal. Adsons Klinge schnellte nach vorn und hinterließ einen tiefen Schnitt am Unterleib der Echse, die zischend zurückwich, worauf Adson einfach weitereilte. Er musste raus aus dieser Stadt, weg von hier, irgendwo anders hin.
Keuchend eilte er durch eine schmale Gasse und verbarg sich schließlich einer eingebrochenen Mauer. Er würde nicht mehr lange fliehen können. Irgendwann würden sie ihn erwischen. Er musste zurück in die Katakomben und dort nach einem Ausweg suchen. Manch einer der Gänge hatte schon den Eindruck erweckt, dass er ihn nach draußen führen würde, doch Adson war dem bisher nicht nachgegangen. Dafür kannte er mittlerweile einige versteckte Eingänge in der ganzen Stadt. Ein Kratzen ließ ihn aufschrecken und plötzlich, kaum das er zur Seite gesprungen war, landete eine der Echsen direkt neben ihm und schlug mit der Klaue nach ihm. Adson konnte dem Angriff ausweichen und stach nach der Schnauze des Wesens, um sich anschließend zur Flucht umzudrehen. Doch entlang des Weges warteten bereits vier Echsen, auch alle anderen Richtungen waren besetzt. In der Gewissheit des Sieges näherten sich die Bestien und Adson schaute verzweifelt von rechts nach links, auf der Suche nach einem Ausweg. Doch er fand keinen. Der Schrecken verschwand aus dem Gesicht des Narbigen. Seine Hand fasste das Schwert fester, dann trat ein amüsiertes Lächeln in sein Gesicht. Er ließ den Kopf noch einmal kreisen, dann hob er die Waffe und stürmte nach vorn.
Der erste Schlag traf eine der Echsen am Maul, Adson entging den wütenden Angriffen und trennte einer zweiten die rechte Klaue ab, bevor er einer dritten einen breiten Schnitt über den Bauch verpasste. Er tänzelte zurück und wirbelte herum, wo seine hungrige Klinge das Fleisch einer kleineren Echse fand, die unter Zischen zusammenbrach. Ein herausfordernder Schrei schallte aus Adsons Kehle, als seine Schwertspitze sich in den Hals einer leicht bräunlichen Echse bohrte. Er keuchte, doch dieser Tanz hielt ihn gefangen. Sein Schwert flog wie von selbst, dunkles Blut klebte an der Klinge. Er sah weitere Echse herzueilen, doch er wusste, er konnte sie alle besiegen, er konnte sie alle erschlagen, er konnte diese Stadt befreien und er würde als König über diese Stadt und die Insel herrschen. Er - Adson der Befreier der Perle Argaans, Adson der Drachentöter. Seine Klinge durchtrennte den Arm einer Echse, als ihn der Schlag von der Seite traf. Luft entwich seinen Lungen und mit verklärtem Blick ging der Narbige auf die Knie. Noch einmal ließ er die Klinge wirbeln, dann verschwand der junge Mann unter einem Wirrwarr von scharfen Klauen und schartigen Waffen.
Adson schreckte hoch und tastete umher. Sein Atem ging schnell und sein Herz raste und beruhigte sich erst, als Adson den kalten Stein der unterirdischen Gänge eine Weile befühlt hatte. Was für ein Traum! So langsam schien er hier unten verrückt zu werden. Er lauschte und hört nichts als der Trippeln einer Ratte, die sich irgendwo im Dunkel entfernte. Langsam richtete er sich auf. Er musste hier wieder raus! Weg von der Stadt, bevor sein Traum doch noch zu Realität werden würde.
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Unter der Stadt
Mit einem Stirnrunzeln betrachtete Adson den dünnen, silbrigen Draht, der quer durch den schmalen Gang verlief und irgendwo in der Wand verschwand. Er hatte weite Teile unterirdischen Gangsystems erforscht und war dabei immer wieder auf derartige Drähte gestoßen, doch hatte er es stets vermieden, sie zu berühren. Ein Ruck an den Drähten würde Goblins auf den Plan rufen und bisher hatte Adson unliebsame Aufeinandertreffen vermeiden wollen. Doch nun hatten sich seine Pläne geändert.
Grund dafür war der Hunger. Seine Rationen waren kleiner und kleiner geworden und trotzdem hatte er kaum noch etwas Essbares übrig. Die Stollen gaben kaum etwas her und in der Stadt sah es nicht besser aus. Adson hatte sich nachts manchmal kurz nach oben getraut, doch hatten ihm diese Ausflüge nie etwas Nennenswertes eingebracht. Er hatte sogar einen Tunnelausgang unter der Sturzkampfmöwe gefunden, doch war nach all den Wochen nur wenig Genießbares zu finden gewesen. Mit einem amüsierten Schmunzeln hatte er ein paar Münzen auf dem Tresen hinterlassen, schließlich sollte Sarpedon bei der ganzen Sache ja nicht leer ausgehen. Doch lange würde er nicht mehr verweilen können und noch hatte er keinen Weg in die Akademie gefunden. Und ohne einen Besuch in diesen heiligen Hallen der Kampfeskunst wollte Adson sich nicht zurückziehen. Und so kamen die Drähte ins Spiel.
Die Drähte würden die Goblins rufen. Und wo Goblins waren, da war auch Nahrung. Auch wenn Adson lieber nicht darüber nachdachte, was die kleinen Biester wohl zu sich nahmen. Aber allemal besser als zu Verhungern! Adson bestätigte diesen Gedanken durch ein Nicken und trat dann kräftig auf den Draht. Einen Moment wartete er, dann zog er das Schwert und verbarg sich im Schatten einer Gangöffnung. Sollten die Biester doch kommen!
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Königsplatz - Rückkehr
Ein Donner zerriss die feuchtwarme Frühlingsluft einer Stadt, die nur noch die Toten beherbergte, doch statt eines Blitzes ging ihm nur ein bläuliches Zucken auf dem von der Sonne strahlenden Marmor des Königsplatzes voraus. Kniend fand sich dort eine verhüllte Gestalt wie aus dem nichts wieder, schnell die Lage sondierend, die Hand am Degen. Doch der Stahl verließ die Schwertscheide nicht.
Es war viel Zeit vergangen, seit er zuletzt an diesem Ort gestanden hatte. Die Rückkehr war so einfach - der Teleport war selbstverständlich immer noch möglich, schließlich waren die magischen Ströme durch die Zerstörung der Stadt nicht beeinflusst worden - und dennoch war es für ihn wie die Reise in eine längst vergessene Zeit, als die Hoffnungen noch groß und das Leben einfacher, sorgenfreier waren. Die Trümmer Setarrifs waren die stummen Zeugen einer bitteren Niederlage der Menschen gegen einen übermächtigen Feind, gegen den sie selbst jetzt noch hilflos waren.
Stumm... ja, es war still. So still, dass er die Brandung an der Steilküste bis hierher vernehmen konnte, wenn er seine Ohren spitzte. Beinahe zu ruhig.
Mit der gebotenen Eile eines Eindringlings in Feindesland brachte sich Maris möglichst still in Deckung. Derer gab es aufgrund der vielen Narben, die der verlorene Verteidigungskampf im Antlitz der Stadt verursacht hatte, glücklicherweise mehr als genug, und er würde sie mehr als nötig haben. Wenn dieser Ort nicht vollends verlassen war - und davon war wirklich nicht auszugehen - würde der Knall eines erfolgten Teleports innerhalb kürzester Zeit einige Echsen anlocken. So verbarg sich der Nomade zwischen den Trümmern - und wartete.
Die Echsen kamen, und derer gleich zwei Dutzend innerhalb weniger Augenblicke. Mit seltsamer Gleichgültigkeit untersuchten sie den Platz und die nähere Umgebung. Der Diener des Löwen harrte aus, beobachtete, doch er verbarg sich auf konventionellem Wege. Der Zauber der Tarnung, den Ornlu ihm gezeigt hatte, würde ihm nicht weiterhelfen, solange er kein Versteck für seine Ausrüstung hatte und sie noch brauchte.
Je länger er den Echsen dabei zusah, wie sie die Umgebung durchkämmten, und sich schließlich sicherheitshalber so weit in die Trümmer zurückzog, dass er nicht länger hinschauen konnte, desto mehr wurde er sich seines Glücks bewusst, hier tatsächlich angekommen zu sein, ohne direkt in den rostigen Spaten einer der Echsen gefallen zu sein.
Dann, irgendwann, wurde es wieder still. Nur das ferne Rauschen erfüllte die milde Abendluft, während die Sonne langsam gen Horizont kroch. Maris wagte sich vorsichtig aus seinem Versteck und hielt sich am Rande des Platzes, auf dem eine kleine Gruppe von Wachen zurückgeblieben war. Ein flüchtiger Blick gen Osten verriet ihm, dass die magische Kuppel über dem Tempelviertel immer noch ihre schützende Hand über den Besitz des Ordens ausbreitete, doch mehr als einen kleinen Vermerk für etwaige Nachfragen bei späteren Treffen in den Untiefen seines erweiterten Gedächtnisses war diese Beobachtung nicht wert. Das erste Ziel des Löwenkriegers lag außerhalb der Stadtruinen, draußen im Dschungel.
"Hoffentlich haben die keine Befestigung errichtet...", murmelte er fast tonlos vor sich hin, als er sich in Bewegung setzte. Je schneller er in die Schutz versprechende Wildnis kam, desto besser.
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Künstlerviertel - Ruinen der Vergangenheit
Schwere, betäubende Stille umfing ihn, als er in den Überresten seiner Vergangenheit stand. Der strahlend blaue Himmel täuschte über die Düsternis hinweg, die die Seele des Nomaden umfing, als er auf all die Zerstörung blickte, die in seinem Heim angerichtet worden war - dem Ort, an dem er mit seinen eigenen Händen, mit der Unterstützung von Freunden und der Liebe seiner Familie eine neue Heimat geschaffen hatte, einen Ort, an dem seine Kinder groß werden sollten. Nun lag alles in Trümmern...
Kopfschüttelnd schritt Maris über den Innenhof, ließ seinen Blick über die kaputten Holzspielzeuge und Bänke streifen, die Arvo mit seiner Hilfe hergestellt hatte. Die Barrikade zum Innenhof, die Maris angelegt hatte, und die Treppe in das Obergeschoss war zerstört - es schien, als hatte hier bei der Verteidigung der Stadt ein Kampf stattgefunden. Welchen Schrecken die Ruinen dieser Stadt gesehen haben mussten... und doch lag alles so fern, als hätte Maris all dies in einem anderen Leben bezeugt. Dabei waren nur anderthalb Jahre vergangen, seit sie die Stadt an die Echsen verloren hatten.
Vorsichtig öffnete der Löwenkrieger die Tür zur Küche und lugte hinein. Die einfallenden Lichtstrahlen schnitten durch eine dicke Suppe umherfliegenden Staubes und auch hier schien Unordnung zu herrschen, doch Spuren eines Kampfes waren keine zu sehen. Ob sich wohl jemand damals ein behelfsmäßiges Lager in seinem Haus eingerichtet hatte? Auf einer Arbeitsfläche lag immer noch ein Stück, das vermutlich einmal Brot dargestellt hatte. Nun war es eine von Schimmel überwachsene Masse. Maris trat wieder hinaus an die frische Luft und machte sich an den dank der zerstörten Treppe etwas umständlichen Aufstieg auf den hölzernen Außengang im Obergeschoss. Schweigend blickte er in jedes der Zimmer, ob weitere Spuren eines Kampfes zu sehen waren - und erstarrte, als er die Tür zu seinem und Anirons Schlafkammer öffnete.
Der stechende Geruch von Verwesung hing nur noch wie ein grausamer Schatten in der Luft und genügte dennoch, um einen heftigen Brechreiz bei dem Nomaden auszulösen. Das Gesumm zahlloser Insekten erfüllte die Stille mit makabrem Leben, denn es war der Tod, der das Bild bestimmte. Zwei bis zur Unkenntlichkeit verweste Körper lagen vor dem Bett auf dem Boden, ein kleinerer Ausgestreckt, mit dem Kopf auf dem Schoß eines größeren, durch dessen Brust ein Schwert bis zum Heft getrieben steckte. Maris stockte der Atem - er erkannte den Mann an der durch den fortschreitenden Verfall mittlerweile mit seinem Gesicht verwachsenen Augenklappe. Er wusste nicht, wie der Kerl hieß, doch er hatte unweit von hier mit seiner Tochter gelebt. Seine Tochter - nicht viel älter als Runa, und nun lag sie da mit ihrem Vater, selbst im Tode verbunden durch die Liebe eines Mannes zu seiner Tochter.
Angeekelt wandte sich der Nomade ab und stolperte über eine auf dem Boden liegende Holzfälleraxt, mit der der Mann die äußere Treppe abgebrochen haben musste, aus dem Zimmer hinaus. Keuchend lehnte er sich über das Geländer und sog die frische Luft ein, um wieder zu Sinnen zu kommen. Das Entsetzen hatte sich tief in sein Herz gegraben. Wie viel Tod Maris bereits ins einem Leben gesehen hatte, wie viel er auch selbst verursacht hatte, auf diesen Anblick war er nicht vorbereitet gewesen. Es war, als blickte er auf die toten Leiber Runas und seiner Selbst - und ihm wurde schmerzlich bewusst, wie schnell er alles verlieren konnte, was er hatte. Nicht dieses Haus, nicht irgendeine Stadt, die er zu seiner Heimat gemacht hatte, sondern seine Familie, seine Kinder.
Tief atmete er durch, langsam beruhigte sich sein Herz wieder. Er hatte das unbändige Verlangen, zu Aniron, Runa und Sinan zurückzukehren, sie in den Arm zu nehmen und nicht mehr loszulassen, doch er wusste, dass er noch etwas zu erledigen hatte. Und wenn es ihm vorher nur vage bewusst gewesen sein sollte, wofür er dies tat, wusste er es spätestens jetzt. Um seine Familie zu beschützen, um andere vor solch einem Schicksal zu bewahren. Der Tod gehörte zum Leben, doch das hier war nicht Teil des natürlichen Kreises... es war ein bestialisches Schlachten, ohne Sinn und Verstand.
Maris ging hinüber in die Kammer der Kinder - zumindest hier sah es immer noch weitestgehend unverändert aus, wenngleich auch hier eine dicke Staubschicht über der Einrichtung lag. Hier wollte er sich auf das vorbereiten, was vor ihm lag. Maris hatte sich nach seinem Abenteuer im Dschungel auf verworrenen Pfaden durch ausgebrannte Ruinen zu seinem Haus im kleinen Künstlerviertel am Fuß der Treppe zum Bergsee begeben, da er einen Ort brauchte, an dem er seine Ausrüstung zurücklassen konnte. Er wollte auf sein Können in der Magie vertrauen, den Tarnzauber anwenden, den Ornlu ihm gezeigt und den er in den letzten Wochen so akribisch zu meistern versucht hatte - und dazu musste er völlig nackt sein.
Es war ein seltsames Gefühl, als er seinen Degen, das Jagdmesser und die zerrissene, schwere Nomadenkluft ablegte. Das unweigerliche Gefühl völliger Wehrlosigkeit eines Mannes, der seit fast zehn Jahren stets den schweren Stahl an seiner Seite führte, ließ sich nur schwerlich unterdrücken, aber was würden ihm Klingen schon nützen im Angesicht des Drachen? Maris rieb sich das Gesicht, kniete noch einmal nieder und nahm das gravierte Erzmesser zur Hand, um die Suren auf der Klinge still zu lesen. Der Segen der Mutter Wüste, so fern sie auch schien, und Adanos' konnte nun wirklich nicht schaden, wenn er sich freiwillig zu einer Personifikation des Todes begab.
Schließlich wurde es Zeit - die Sonne stand tief, den Weg hatte er auf seiner Reise vom Dschungel hierher bereits ausgekundschaftet. Der Drache schien sich in irgendeinem Teil des Palastes niedergelassen zu haben - dem Ort, dessen Kuppeln am goldensten glänzten. Noch einmal atmete er tief durch, dann trat er völlig nackt und ohne jede Ausrüstung aus dem Zimmer.
"Es muss sein", murmelte er entschlossen.
Den Beweis dafür hatte er gleich hier gefunden.
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Palasthof - Der Drache
Der Königsplatz stand seit dem Auftauchen des Nomaden und dem folgenden Aufruhr im Dschungel unter schärferer Bewachung, doch die Echsen waren trotz ihrer hohen Zahl scheinbar keine sonderlich effizienten Wachen. Maris hatte sich einige Zeit genommen, die Diener des Drachen zu beobachten, und feststellen müssen, dass einige der Biester sich in all der Zeit keinen Deut breit bewegt hatten. Es schien fast so, als seien sie völlig leblos, wenn sie nicht gebraucht wurden, und regten sich nur bei Bedarf. So hatte er es geschafft, bis an den Rand des Platzes zu gelangen, ohne auf seine Magie zurückgreifen zu müssen - nun aber gab es so kein Weiterkommen mehr.
Maris sammelte seine Kräfte und überzog seine Haut mit der Mischung aus magischer Energie und der charakteristischen Färbung der Umgebung. Sorgfältig achtete er auf Details, versuchte Strukturen zu verwenden, die die Illusion perfekt machen sollten - und binnen weniger Momente verschwand der Diener des großen Löwen scheinbar vor den marmornen Bruchstücken am Rande des Platzes. Langsam setzte er sich in Bewegung, in vollem Wissen, dass seine Tarnung dadurch nicht mehr perfekt war, jedoch immer noch genügend. Sein Äußeres passte sich recht langsam an, weshalb er sich effektiv nur schleichend vorwärts bewegte, doch dafür konnte er nun den direkten Weg zum Tor des Palastgeländes einschlagen.
Die Echsen nahmen keine Notiz von ihm, ließen ihn ohne sonderliche Regungen passieren - doch es hatte ohnehin nicht den Anschein, als würden sie den Palast tatsächlich bewachen. Warum auch? Der Drache war das vielleicht mächtigste Wesen auf dieser Insel (wenngleich man sich dessen wohl nicht zu sicher sein sollte) - er brauchte keinen Schutz. Wer wäre schon dumm genug, sich in seinen Palast zu wagen?
Wachen Auges trat er auf den Vorplatz, von dem die Quartiere der Hofmagier und Schwerter des Königs abgingen. Er erblickte keine Echsen mehr. Es schien, als hätte er nun das Reich des neuen Königs der Insel betreten. Der Nomade riskierte, den Platz etwas schneller zu überqueren, und machte sich zu einem der beiden Türme am Rande des Palastes auf. Ein seltsames Gefühl bemächtigte sich seiner, als er die Wendeltreppe hinauf ging: es war, als beschritt man einen toten Ort, einen leeren Ort. Kein Geräusch außer dem Heulen des Windes durch die Fensteröffnungen drang an das Ohr des Nomaden - dafür aber spürte er etwas anderes. Es war wie ein Schatten, der schwer auf seiner Seele lastete.
Nach unzähligen Stufen erreichte er schließlich eine Öffnung, von der aus eine schmale Brücke - mehr Zierde als funktioneller Übergang - zum feuerrot im Schein der untergehenden Sonne glänzenden kuppelbewehrten Dach des Palastes hinüber führte.
"Na herzlichen Glückwunsch..."
Maris hatte keine Angst vor großer Höhe, aber auf dieser schmalen Brücke zu balancieren mit dem steten Wissen, dass der Verlust des Gleichgewichts einen tiefen Sturz und den definitiven Tod bedeutete, war definitiv kein angenehmes Erlebnis. Früher, als das von Lobedan erlernte Wissen um vernünftige Körperbeherrschung noch etwas präsenter gewesen war, hätte er damit wahrscheinlich keine Mühe gehabt, doch als er nun das rettende Dach erreichte, atmete er erleichtert auf. Er fand sich auf dem obersten Absatz der marmornen Fassade wieder, direkt am Rand einer goldenen Kuppel, und fragte sich, wie bei allen Heiligen es die Setarrifer Könige geschafft hatten, solch einen unermesslichen Reichtum zusammenzutragen. Vorsichtig, darauf bedacht, nicht nach unten zu schauen, bahnte er sich seinen Weg zu einer Stelle, an der er endlich auf die goldenen Schindeln einer Dachschräge klettern und darüber den Rand des Daches verlassen konnte.
Froh darüber, endlich die Spitze erreicht zu haben, blickte Maris voraus - und sein Lächeln erfror schlagartig. Einige Dutzend Meter vor ihm blickte er in das Antlitz des Schreckens von Argaan. Angst stieg in ihm auf - doch er ermahnte sich dazu, seine Konzentration nicht sinken zu lassen und die magische Tarnung aufrecht zu erhalten. Der Drache war eine furchterregende Gestalt, selbst nun, da er zusammengerollt in einer Senke des Daches saß, doch bei all der Imposanz fiel dem Nomaden ein ungewöhnliches Detail auf.
Er hat ein Auge verloren...
Jemand hatte es geschafft, diesem Herrn aller Bestien Schaden zuzufügen! Wer hatte das fertig gebracht - und vor allem: wie? Maris' Herz fasste neuen Mut, als er sah, dass der Drache bluten konnte. Doch es setzte sofort wieder aus, als sich das Ungetüm plötzlich ganz unvermittelt zu regen begann. Der gewaltige Leib der riesigen Echse entfaltete sich unter dem kratzenden Geräusch über die goldenen Kuppeln schabender Schuppen, und in schrecklicher Gewaltigkeit stellte sich der todbringende Drache auf.
Maris stockte der Atem. Es war eine Sache, das Biest aus der Ferne im Kampf zu beobachten, zu sehen, wie er mit unheimlicher Macht Leben um Leben vernichtete, jedoch eine ganz andere, ihm nun so nah gegenüber zu stehen. Doch es war nicht der Augenblick, um Furcht zuzulassen. Er musste dagegen ankämpfen!
Nun konnte jeder Fehler seinen Tod bedeuten.
Das Spiel begann.
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Lehrling
Etwas stimmte nicht.
Eine unbestimmte Unruhe hatte hatte den mächtigen Weißaugendrachen ergriffen, den Herrscher über diese Insel, gewaltigstes Wesen dieses Landes. Es war nur eine Ahnung, doch irgendeine Kleinigkeit war nicht so, wie sie sein sollte. Der Drache hatte sich unlängst zur Ruhe niedergelassen, wohlgenährt dank fetter Beute nahe der Urwälder. Hier oben auf seinem goldenen Thron, den die nichtswürdigen Menschen vor langer Zeit erbaut hatten und der erst nun seinen Zweck erfüllen konnte, da ein würdiger König erschienen war, diesen Platz einzunehmen - hier oben gab es nur ihn. Kein Wesen, und sei es nur ein kleiner dummer Vogel, hätte es gewagt, sich diesem Ort zu weit zu nähern, und wahrhaft drakonisch - selten passte die Bezeichnung besser als in diesem Falle - wäre die Strafe. Denn der Drache duldete es nicht, wenn jemand in seine Ägide eindrang. Er duldete niemanden neben sich, denn er war der alleinige Herrscher.
Umso mehr beschäftigte ihn diese vage Ahnung, dass die Dinge nicht wie gewohnt verliefen. In den letzten Tagen waren zu viele Dinge geschehen, die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen; allen voran war da die Vernichtung seiner Dienerkreaturen am Eingang des Urwaldes, dessen Bewohner nun wie von Sinnen schienen und sich mit aller Macht gegen die Anwesenheit der Echsen wehrten. Und nun? Etwas war hier, doch er konnte nicht sagen, was oder wo es war. Und dieser Kontrollverlust war ganz und gar nicht nach seinem Geschmack.
Drohend richtete sich der geflügelte Herrscher auf und blickte mit scharfen Augen um sich. Die Sonne verschwand hinter der Kammlinie des Berges und ließ den Palast in einem fahlen, düsteren Licht zurück. Nichts, woran sich der Drache tatsächlich störte; sein Auge sah bei Tag und Nacht, hielt Beute und Feinde (wobei jeder Feind für ihn irgendwann zur Beute wurde) stets im Blick und verlor nie sein Ziel. Und dennoch: er wandte sich in die eine, dann in die andere Richtung, sah wieder und wieder nach, aber er konnte kein Wesen ausmachen, das es gewagt hätte, hier einzudringen.
Doch das Gefühl war da, es täuschte ihn nicht. Die Anwesenheit einer Kreatur hinterließ zu viele Spuren im Gefüge der Welt, um sie alle zu verwischen. Seine anderen Sinne nahmen es immer deutlicher wahr: er war nicht allein.
Wütend streckte er den Kopf in die Höhe und ließ seinen markerschütternden Schrei erklingen, der bei der Zerstörung dieser Stadt so manchem kümmerlichen Menschen Mut und Hoffnung geraubt hatte. Wo war diese jämmerliche Gestalt? Wo war sie nur?
Geändert von Weissauge (24.04.2016 um 01:47 Uhr)
Grund: Nur ein Auge, nicht zwei
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Goldene Kuppeln - Der Drache
Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete Maris die Zurschaustellung des Schreckens, den diese Bestie ausstrahlte. Der Drache war ein Meister von Angst und Schrecken, und nur dank eines gewaltigen Willensaktes hielt der Nomade stand und regte sich nicht von Ort und Stelle. Zu groß war die Furcht davor, entdeckt zu werden, zu gewaltig die Gefahr. Das Weißauge ragte gewaltig vor seinen Augen auf, blickte sich wieder und wieder um - die Bestie hatte die Bedrohung gespürt, doch sie wusste nicht, wo sie suchen musste!
Vorsichtig erklomm Maris eine der goldenen Kuppeln, die den Drachenhort umgaben, als der Herr des Hauses sich auf der Suche nach ihm in die andere Richtung wandte. Wenn der Drache suchen würde, dann sicher nicht an einem Ort, an dem man sich ganz und gar nicht verstecken konnte. Und ganz davon abgesehen nahm es dem Biest zumindest einen winzigen Teil seines Schreckens, wenn der Nomade ein wenig erhöht stand.
Nun galt es also: es musste ihm gelingen, den Drachen aus der Reserve zu locken und sich selbst dabei nicht zu sehr aus der Deckung zu wagen. Es musste Schwachstellen geben, die er ausnutzen konnte! Doch welcher Weg war der richtige, der Echse dieses Geheimnis zu entlocken? Welche Rolle sollte er spielen?
"Hihihihihi", lachte er hämisch, so laut und so selbstbewusst er konnte. Der Schall brach sich an den vielen Kuppeln und machte es unmöglich, die Quelle der Worte auszumachen. Sehr gut!
"Warum so besorgt, mein Großer? Du fürchtest dich doch nicht etwa vor dem Unbekannten?"
In aufwallendem Zorn sprang der Drache umher, blickte wild um sich, doch er konnte einfach kein Ziel ausmachen. Es musste ihn wahnsinnig machen!
"Nanana, wer wird denn so wild sein? Das ist nicht gut für's Herz!"
Was bei Beliar tat er hier? Er musste völlig verrückt geworden sein!
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Lehrling
Welche impertinente Kreatur wagte es, seinen Hort zu betreten und seiner derart zu höhnen? Welche nichtswürdige Gestalt erdreistete sich zu solch tödlichem Übermut? Der Drache geriet mehr und mehr in Rage, stapfte wutschnaubend auf dem goldenen Dach umher und grub die Klauen in das glänzende Metall der Menschen. Menschen... das Wesen benutzte ihre Sprache! Doch er nahm nicht den typischen Geruch der unwürdigen Kreaturen wahr, nicht den sauren Geruch ihres Schweißes oder den bitteren Gestank ihrer Angst. Die Stimme brach sich zu oft, um auszumachen, wo der Eindringling sich aufhielt. Wer war das und wie konnte er es nur wagen?
Der Drache besann sich eines Besseren. Er machte sich ja lächerlich in seinem Zorn - vor wem sollte er schon Angst haben? Er würde den Kriecher schon finden und dann leiden lassen...
"Furcht? ich kenne keine Furcht!", sprach er mit neu gewonnener Ruhe und Überlegenheit in der tiefen Stimme. Die Sprache der Menschen war ein widerlicher Missklang, den er erst einmal zuvor in den Mund genommen hatte: als dieser rot gekleidete Wurm auf dem Turm der anderen Menschenstadt ihm das Auge genommen hatte! Das Blut des Weißauges kochte schon beim bloßen Gedanken an diese Schmach! Wer auch immer hier war, verhöhnte ihn selbst mit der Wahl der Sprache.
"Nun gut", raunte der Drache mit sonorem Klang, "Wer bist du, dass du es wagst, in mein Heim einzudringen, mich mit diesem Menschendreck aus deinem Mund zu besudeln und mit jedem Wort aus deinem Mund zu beleidigen? Und wieso denkst du, dass du hier lebendig davon kommen wirst? Was hindert mich daran, diesen Ort in einen Feuersturm zu verwandeln und dich vom Antlitz dieser Welt zu tilgen?"
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Goldene Kuppeln - Der Drache
Es funktionierte! Der Diener des großen Löwen konnte es kaum fassen - die Bestie war derart verunsichert über den Kontrollverlust, dass sie sich sogar dazu herabließ, in seiner Sprache mit ihm zu sprechen! Es war erstaunlich, mit welcher Sicherheit der Drache die Sprache der Menschen beherrschte. Diese Kreatur musste einen unheimlich wachen Geist besitzen. Welche Intelligenz doch an diesen Hochmut und diese Grausamkeit verschwendet wurde! Doch eben dieser Hochmut, der es nicht für möglich hielt, dass ein nichtswürdiger Mensch ihn derart übertölpeln könnte, war jetzt die größte Sicherheit, über die Maris verfügte. Er musste das Spiel weiter treiben, ihn weiter reizen.
"Wer ich bin?", rief er spöttisch, "Ich bin der Sohn von Sand und Kies, von Wasser und Fels. Ich wuchs auf unter der brennenden Hitze, ich reise wie der Wind. Meine Wurzeln reichen weit und kehren doch immer zu ihrer Quelle zurück. Ich flüstere zu Pflanz' und Tier, bringe Tod und diene doch dem Leben, bin selbst tot und lebendig. Meine Seele ist Eins und doch tausendfach. Ich bin Diener und Herr. Sohn und Wächter, Vater und Bewachter. Ich stehe mit Mächtigen im Bunde und diene den Schwachen. Ich bin jung, doch meine Erinnerungen sind uralt."
Er erstaunte beinahe selbst darüber, wie kryptisch er sein Ich zu beschreiben imstande war. Wie viel vom ursprünglichen Maris, dem Jungen aus Mora Sul vor zehn Jahren, mochte wohl noch in ihm stecken?
"Du wirst dein Feuer nicht entfachen, wenn du so schlau bist, wie ich es von einem wie dir erwarte", fügte er schließlich hinzu.
"Die Hitze würde deinen geliebten goldenen Hort zerstören, du würdest dich seines wundervollen Glanzes für immer berauben. Warum solltest du dir ohne Not so schaden?"
Der Drache blickte ihn nun direkt an, saß direkt auf der nächstgelegenen Kuppel, nur ein Dutzend Mannslängen entfernt vielleicht. Maris zögerte, weiter zu sprechen. Was, wenn der Drache die Bewegungen seines Mundes wahrnahm? Der Tarnzauber war alles andere als perfekt, wenn er sich regte.
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