Auch er schien angesichts der freundlichen Reaktion Delias wieder etwas aufgehellter, rang sich sogar zu einem sehr zarten, geschlossenen Lächeln durch, das aber gerade weil es so viel unauffälliger war als sonst um so vieles ehrlicher wirkte. Als sein Durst auf Alkoholisches aus ihm sprach, konnte er diese aus seiner Sicht übertriebende Sentimentalität jedoch gut kaschieren, hielt stattdessen sein Glas mit beiden Händen Delia entgegen, als diese ihm den letzten Rest des im Grunde doch eher ungeliebten Getränks eingoss. Wie einen heiligen Kelch hielt er den Tumbler, während dieser sich füllte, verneigte sich dann ehrfürchtig und ging dabei einige Schritte rückwärts, bevor er die alberne Scharade auflöste, mit einem Lachen herumwirbelte und den letzten Schluck noch auf dem Weg zu Bar hinunterschüttete wie Medizin. Nach wie vor sah er Abuyins angekündigtem Auftritt eher skeptisch entgegen, doch aufgeladen mit diesem Funken der vielleicht auch nur aus Trunkenheit erwachsenen Lebensfreude hatte er vor, sich der Sache zumindest aus Interesse zu stellen.
Und es war gar nicht mal so schlecht, wie er wenig später feststellte. Inhaltlich nichts, was einen Literaturnobelpreis verdiente, aber der Menge gefiel es scheinbar und tatsächlich ertappte er sich selbst dabei, wie er immer wieder in den instrumentalen Pausen des Songs kurz klatschte und ungläubig lachend den Kopf schüttelte. Bei so viel geladenem Selbstbewusstsein war klar, dass der Iraner später wohl einiges an Auswahl bezüglich seiner Abendgesellschaft haben würde.
Nachdenklich betrachtete Julian Delia neben sich für einige Sekunden, stimmte dann aber in ihre Freude lachend mit ein, was er beibehielt noch während er den Schlussapplaus für Abu unterstützte. Der Ernst kehrte erst zurück, als Julian etwas entfernt eine Gruppe von drei Frauen erblickte, die in typischer Tuschelformation leicht zueinander nach vorne gebeugt am Rand der Menge standen und immer wieder unauffällige Blicke in Julians Richtung warfen. Erst, als eine davon mehr oder weniger beiläufig auf ihn zeigte, obwohl sich gerade auf der Bühne etwas viel interessanteres abspielte, begriff er, dass er selbst es war, über den man dort schlecht sprach und dem man die eisigen, strafenden Blicke zuwarf - wessen Freundinnen das wohl waren...
Der Klang eines spitzen Septakkords auf einer akustischen Gitarre riss ihn aus seinen Gedanken, als kurz darauf ein treibender aber ruhiger
Bossa Nova-Rhythmus von der Bühne einsetzte, wohl als eine Art Kontrastprogramm zu der ekstatischen Psychologen-Performance von zuvor. Angesichts der tuschelnden Gruppe dort drüben spürte er einen Moment lang soetwas wie Trotz, der ihn durchfuhr. Er entschloss kurzerhand, diesen Trotz in nützlichere Energie zu verwandeln. Daher stellte er sich nun vor Delia, verneigte sich leicht vor ihr und breitete einladend einen Arm aus, wobei sein offenes Hemd wie ein Umhang an Armen und Schulter hinabfiel.
"Tanzen Sie?", fragte er dann mit einer Mischung aus charmantem Lächeln und spöttischem Grinsen und streckte ihr wieder die Hand entgegen. Eine seltsame Pose, denn so stilvoll er sie auch ausführte, sie stand in völligem Kontrast zu seinem eher verwahrlosten Äußeren.
Den gerade von der Bühne hinabsteigenden und gebührend gefeierten Abuyin hingegen empfing derweil eine Traube von jubelnden Menschen am Ende der Treppe. Besonders interessiert und vielleicht auch aufdringlich, wenn man es negativ betrachtete, war dabei eine nicht unansehnliche Frau Anfang Zwanzig, deren leicht gewellte, dunkelbraune Haare dem Doktor in den Weg wirbelten, bevor sie sich vor ihn stellte und eine Hand an desssen rechte Hüfte legte, jedoch sofort wieder zurückschnellen ließ, als sei dies nur ein dummer Unfall gewesen.
"Entschuldigen Sie bitte, Doktor", warf sie dann eilig mit einem unschuldigen Blick ein, wobei sie sich beunruhigt die Hand vor den Mund hielt und Abuyin mit ihren tiefschwarzen, großen Augen von unten herab entschuldigend ansah, zweimals blinzelte und sich dann umwandte.
"Kommen Sie doch nachher zu mir an die Bar, wenn Sie wollen", hauchte sie ihm noch über ihre unbedeckte Schulter hinweg zu, ehe sie im Davongehen ihre feingliedrigen Finger über Abuyins Wange und Lippen streifen ließ, dann in verführerischem Hüftschwung sich an der tanzenden Menschenmenge vorbei in Richtung Bar bewegte.