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Thorniara #16
»Ihr befindet Euch in Thorniara, Hauptstadt der südlichen Inseln und Teil des myrtanischen Königreiches. Dem gesetzestreuen Wanderer bieten die Mauern und Häuser der Stadt Schutz und Obdach, doch gelten hier auch die Gebote Innos’, deren Übertretung unangenehme Konsequenzen nach sich zieht. Wer aber die Regeln achtet und auf ehrliche Weise seinem Handwerk nachzugehen gedenkt, der wird hier die Unterstützung finden, die es ihm mit Innos’ Hilfe erlaubt, ein angesehener Bürger der Stadt zu werden. Vor allen Dingen beachtet dies:
Erstens: Wenn Ihr Thorniara betretet und kein Bürger des Reiches seid, so gebt Eure Waffen ab. Keine Sorge, beim Verlassen der Stadt erhaltet Ihr sie selbstverständlich zurück!
Zweitens: Anders als in weniger frommen Städten wie Setarrif ist Sumpfkraut hier verboten, also denkt gar nicht erst daran, welches in die Stadt zu bringen!
Drittens: Es gibt Bereiche in der Stadt, die nicht jedem zugänglich sind. Man darf als Fremder natürlich nicht einfach in den Kerker spazieren, höchstens in Begleitung einer Wache! Das Tempelviertel dagegen ist jedem zugänglich, aber wenn man nicht zu einem der Orden gehört, hat man auch dort seine Waffen abzulegen. Und auch die Zitadelle darf man nur in Begleitung betreten, wenn man kein Milizsoldat oder Novize ist. Ansonsten fühlt Euch frei, hier Euren Angelegenheiten nachzugehen, solange Ihr niemanden bestehlt oder umbringt.
Ach, und eine Sache noch! Seht Ihr die Steckbriefe dort drüben? Darauf sind verschiedene Schwerverbrecher zu sehen, die im ganzen Reich gesucht werden - tot oder lebendig. Wenn Ihr also etwas über einen davon wisst, gebt uns Bescheid, und Ihr werdet belohnt. Die Liste der Übeltäter ist wahrlich lang ...
- Alon (Beihilfe zum Mord)
- Calintz (Mord)
- Damh (Mord, Desertion)
- Faren (Hochverrat, Mord)
- Medin (Hochverrat)
- Redsonja (Mord)
- Rethus (Desertion, Beihilfe zur Flucht)
- Sir Jarved de Maradras aus Gorthar (ein Deckname, der echte Name - Yared - ist der Obrigkeit nicht bekannt; Aufwieglung, Mord)
- Solveg (Mord)
- Taeris (Raubmord, Verrat)
- Trilo (Mord, Hochverrat, Desertion, Ketzerei, Gotteslästerung)
Aber genug geredet! Jetzt wisst Ihr alles, was Ihr hier zu beachten habt. Gehabt Euch wohl!«
Karte von Thorniara
Geändert von Die Stadtwache (12.09.2012 um 01:07 Uhr)
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Es war ein Spaziergang. Nur ein Spaziergang mit seinem Hund. Und trotzdem hatte Curt Vielor gesehen, besser gesagt gerochen, und war ihm ganz selbstverständlich gefolgt, neugierig, weil er nicht in Richtung Hafen, nein, in Richtung Oberstadt marschierte. Hatte er nun tatsächlich Aufträge für die Reichen der Stadt und nicht mehr die armen Gestalten wie die Kinder vom Waisenhaus? War er womöglich doch vom Alkohol losgekommen und konnte sich sogleich großartiger Aufträgen frönen? Das musste Curt nun einfach wissen.
Rasch zeigte er seine Bürgerurkunde bei den Wachen vor und drückte dem einen die Leine samt Hund in die Hand.
"Ich bin gleich wieder da, passt bitte solange auf Sandow auf."
"Was zum... HEY!"
Doch der Soldat konnte ihm nicht hinterher laufen, immerhin hatte er ein Tor zu bewachen. Der Edelmann beobachtete indes, wohin es Vielor verschlug. Der Fischer stand ganz verloren auf der Straße, links und rechts thronten die Häuser der Edlen und Schönen auf und vermutlich hatte er gerade die Erkenntnis erlangt, dass für ihn nur eine Zukunft auf der Straße blieb, wenn er sich nicht endlich zusammenriss und dem Alkohol entsagte. Gerade wollte Curt auf ihn zugehen, da wurde er von einer anderen Gestalt abgeholt und zu einer großen Villa gebracht. Was bei allen Göttern ging da vor sich? Curt haftete sich an die Fersen der beiden, kletterte über einen Zaun und fand sich alsbald in einem Gebüsch wieder, von welchem aus er die Fenster des Hauses beobachtete. Eines stand offen. Er schlich sich heran und schlunste herein.
"WAU WAU!"
Sandow, sein Hund, schien den Wachen entkommen zu sein und rannte nun geradewegs auf ihn zu. Wie war er über den Zaun gekommen? Keine Zeit für Fragen; Curt flüchtete sich durch das offene Fenster ins Haus, der Hund sprang ihm hinterher. Und drinnen fühlte sich irgendjemand schon schwer ertappt. Eine ganz peinliche Situation anscheinend... für alle Beteiligten.
"Gestatten, Curt Savant", stellte er sich vor und lief dabei rot an, "Ich ähm... bin mit Vielor hier, ich sollte aufpassen, dass er keinen Unsinn macht. Wie läuft der Fischhandel, Junge?!"
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Villa Thorn
„WAS im Namen des Allmächtigen geht hier vor?“, wollte der Hausherr wissen, der sich nicht mehr wirklich als solcher fühlte.
Innerhalb weniger Herzschläge waren so viele Dinge passiert, die seine Existenz und seinen Verstand bedrohten, dass er glaubte, Innos persönlich sorge für einen Witz auf seine Kosten. Dabei richtete er all sein Tun nur darauf, der Gemeinschaft von Innos' Kindern zu dienen, so gut er konnte und dazu gehörte eben in seiner Position das Verdienen von Geld. Wie dieser Reichtum erworben wurde, spielte dabei eine weniger wichtige Rolle und wenn man dabei das ein oder andere Gesetz umgehen musste, würde der Stadtwache sicher auch keine Probleme bereiten, denn schließlich förderte der Fürst diese regelmäßig mit Teilen seines Erwirtschafteten.
Noch nie hatte Bastan dermaßen die Beherrschung verloren, wie in diesem Moment. Sein Gesicht hatte die Farbe reifer Tomaten, seine Augen traten gequält hervor und seine Lippen bildeten weniger als einen einfachen Strich. Seine Nasenflügel bebten unter seinem schweren Atem, den er zu Regulieren versuchte.
„Wer bei der läuternden Flamme seid Ihr? Sprecht!“, forderte der Edelmann von dem soeben durchs Fenster Geschlüpften, der sich – als sei nahezu nichts gewesen - als Curt Savant vorstellte mit einer Randbemerkung, die so etwas wie „wie ich bereits sagte“ bedeutet haben mochte.
„Was wollt Ihr in meinem Haus und was hat dieser Flohfänger hier verloren?“, donnerte Thorn, während ein Hund um ihn herumtollte und immerzu mit seinem Schwanz gegen seine Beine stieß, „Und was viel wichtiger ist, wie viel habt Ihr gehört, Wicht?“, wollte er nun von dem Fischer wissen, der von zwei Dienern zurückgeholt worden war.
"Schließt vielleicht endlich mal jemand Türen und Fenster, bevor das halbe Viertel Bescheid weiß?“, knurrte der Adlige seinen Bediensteten drohend zu, die beinahe übereinander stolperten, als sie zur Tür und zu den Fenstern eilten.
„Nun denn, meine Herren“, der Fürst atmete tief durch, gewann allmählich die Kontrolle über sein Temperament und seine Stimme wieder, „Willkommen in meinem Heim“, grüßte er zähneknirschend den Lauscher und den Eindringling, „Ich möchte Euch zu einem guten Wein einladen und muss darauf bestehen, dass Ihr dieser Einladung nachkommt. Ein „Nein“ akzeptiere ich nicht“, fuhr er fort, während er immer ruhiger wurde.
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„Sollen wir die Stücke gleich in die Fische einsetzen, Hoheit?“
Jetzt hatte Vielor verstanden, wofür er die Extramünze erhalten hatte. Er sollte nur schnell verschwinden und diese Begegnung, die offensichtlich nie stattgefunden hatte, vergessen. Doch der sich verplappernde Lakai machte diesen schönen Plan zunichte. Anstatt einfach verschwinden zu können und die Extramünze in seinen Sparstrumpf für ein eigenes Boot zu legen, packte den Fischer nun eine kräftige Hand an der Schulter.
„Einen Moment noch“, sagte eine tiefe Stimme, passen zur kräftigen Gestalt hinter dem Arm an dem jene fest zu greifende Hand hing. Der Ausspruch „Mist“ wäre in dieser Situation wohl mehr als passend gewesen, doch Vielor verkniff es sich lieber irgendein verräterisches Anzeichen von sich zu geben. Stattdessen antwortete er ein wenig kleinlaut:
„Aber sicher doch.“
Doch damit hatte das Übel noch nicht seinen Höhepunkt erreicht. Selten zuvor hatte sich Vielor derart danach gesehnt, sturz betrunken in der Gosse zu schlafen als an diesem Abend. Denn beinahe alles was schief gehen konnte, schien nun auch schief zu gehen. Anstelle der Chance, sich irgendwie auch der Sache rausreden zu können, oder für sein Schweigen eine weitere Münze abgreifen zu können, platzte nun Curt ins Geschehen. Sichtlich verärgert mussten die Beiden dem Händler nun Rede und Antwort stehen. Doch bereits die ersten Sätze Curts hatten nur weiteren Verdacht auf eine Konspiration des Verrückten mit dem Fischer gelenkt.
Zumindest fand der Händler bald seine Ruhe zurück, sodass sich dieses Missverständnis bei einem Glas Wein aufklären ließ, wobei Vielor an dem Getränk immerzu nur nippte. Nicht, dass es ihm nicht schmecken würde, doch zog er es in dieser unangenehmen Situation vor einen klaren Kopf zu behalten.
„Seht das bitte nicht im falschen Licht“, begann Vielor den Versucht sich zu erklären, wobei er entgegen seiner üblichen Gewohnheiten dieses Mal sogar die Höflichkeitsform wahrte. „Dieser Mann ist ebenfalls ein Kunde von mir, den ich mit Fisch beliefere. Doch hat er sich aus irgendeinem verqueren Grund in den Kopf gesetzt mich auf einen tugendhafteren Pfad zu führen.“ Nun galt es noch zu erklären, was er gehört und was nicht hatte. Sollte Vielor lügen oder die Wahrheit sagen? Er entschloss sich für Zweiteres, denn alles Andere wäre nun ohnehin unglaubwürdig.
„Ihr habt gefragt, wieviel ich mitbekommen hätte. Nun, ich denke die Frage dürfte inzwischen nicht mehr von Relevanz sein, denn die Situation spricht ohnehin für sich selbst. Mir ist allerdings schon daran gelegen, hier wieder heil raus zu kommen, ebenso wie Euch wohl daran gelegen ist, kein weiteres allzu großes Aufsehen zu erregen. Deshalb habe ich einen Vorschlag:
Ich bin Rekrut bei der Stadtwache und lerne derzeit den Umgang mit dem einhändigen Schwert, sowie mit dem Schild, meine Ausbildung ist als recht fortgeschritten einzustufen. Deshalb würde ich Euch anbieten, Euch bei diesem Unterfangen, worum es auch immer geht, zu unterstützen. Gegen eine angemessene Bezahlung versteht sich.“
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Curt ließ den Hund von einem der Bediensteten raus bringen und kümmerte sich nicht weiter darum. Viel mehr als Sandows Hals fürchtete er gerade seinen eigenen. Das war unglaublich naiv von ihm gewesen, was hatte ihn nur geritten? Glücklicherweise schienen sie es mit einem Herren zu tun zu haben, der ebenfalls nicht erpicht auf ein Treffen mit den Stadtwachen war. Curt ließ sich gern zu einem Schluck Wein einladen und trotz aller misstrauischen Blicke von Vielor schmeckte dieser recht angenehm. Ja, den guten Alkohol vom schlechten zu unterscheiden, das war seine Lehre für den Fischer an diesem Abend. A propos Lehre.
"Ich bin ein Lehrer im Waisenhaus, falls euch das interessiert", erzählte er dem Hausherren, "Und Verfechter der Tugend und Nüchternheit. Es ist so, wie dieser Dummkopf sagt, ich bin ihm gefolgt, um ihm zu helfen. Anscheinend habe ich selbst nun Hilfe gefunden."
Er schmunzelte leicht, als ob er die Kontrolle über die Situation hatte, was allerdings ganz und gar nicht der Fall war.
"Ich habe nämlich gehört, was ihr vorhabt. Eure Schmuggelwaren unter diesem Fisch verstecken und das Zeug dann in Setarrif verhökern. Nun, die Wände scheinen doch Ohren zu haben. Aber ich mache euch ein Angebot: Nehmt mich mit nach Setarrif und ich verrate euch nicht an die Stadtwache, die, ihr könnt es glauben oder nicht, gut auf mich zu sprechen ist."
Das waren also ihre Forderungen. Der Hausherr, der sich als Bastan Thorn vorstellte, schien nicht gerade erpicht auf Erpressung zu sein. Dennoch gab er nach einigem Hin und Her den Forderungen nach. Oder behauptete es wenigstens.
Auf ihre Bitten hin, noch ein paar Sachen für die Reise mitzunehmen, sandte der Hausherr ihnen Leibwachen mit, welche Vielor und Curt in den Hafen begleiten sollten, wo sie ihr Zeug holen würden. Morgen bei Sonnenaufgang sollte die spontane Reise beginnen. Und diese kam dem Bärtigen, der ohnehin keine Lust mehr auf die Waisenhausbengel hatte, sehr gelegen. Denn in seinem Landhaus lagerten noch viele Schätze, die es zu bergen gab. Geld, mit welchem er problemlos in den Orden der hiesigen Magier aufgenommen werden würde...
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Tempelviertel
Gedankenverloren strich sie langsam mit ihren Fingern über den Stoff ihrer neuen Tracht. Die Wolle war noch sehr grob und zeugte davon, wie neu die Sachen waren. Eine bereits oft getragene Robe wäre weicher und würde nicht so furchtbar kratzen. Die vielen schwarzen und roten Fäden des benutzten Garns waren noch leuchtend und hell. Vielleicht waren sie vor kurzem erst gefärbt worden. Das schwarze Leder, welches den Hauptteil ihrer Oberbekleidung ausmachte, war noch ganz steif und nicht wirklich flexibel. Die Robe der Novizen...
Neraida befand sich in der kleinen Kammer, die man ihr zugewiesen hatte. Es war keine fürstliche Unterkunft, einfach nur ein kleiner Raum mit einem schmalen Fenster, unverputzten Wänden und einem staubigen Steinboden. Drei einfache Betten und drei kleine Truhen waren die einzigen Möbel, die man den Novizen zugestand. Kargheit und Genügsamkeit gingen im Tempelviertel scheinbar Hand in Hand.
Seufzend erhob sich die junge Frau von ihrem neuen Bett und strich ihre neue Tracht glatt. Die Uniform der Stadtwache, die ihren Rand als Edelmagd des Reiches wiederspiegelte, hatte sie in ihrer kleinen Truhe verstaut. Im Moment war sie neben ihrer neuen Novizenrobe das Einzige, was sich in ihrem Besitz befand. Ihre anderen habe, zum Beispiel ihr dicker Goldbeutel und der Langbogen, den Grimbar ihr einst in Varant geschenkt hatte, befanden sich noch in der Bastion in ihrem alten Quartier. Was ihre Kameraden wohl von ihrem Sprung ins Kloster halten würden? Ob sie es überhaupt bemerkt hatten?
Schulter zuckend verließ Neraida die Schlafkammer und begab sich auf die Suche nach Feuer. Bisher war ihr junger Mentor der Einzige gewesen, der sie in irgendeiner Weise ins Leben als Novizin eingeführt hatte. Die beiden anderen Mädchen, mit denen sie die Kammer teilte, waren zwar äußerst nett, aber noch nicht sonderlich hilfreich in der Hinsicht gewesen. Wie sah nun ihr neues Leben aus? Was für Aufgaben hatte sie zu erledigen und was waren ihre Pflichten?
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Schneller … schneller … schneller! Ja! Den Blick konzentriert auf das Ziel gerichtet, die Lanze unter die Achsel geklemmt galoppierte Kerdric wieder auf die Strohpuppe zu, bewegte die Lanzenspitze kurz vor dem Aufeinandertreffen noch ein wenig und sammelte damit den Ring ein, der vom Arm der Puppe herabbaumelte.
Guuut, dachte der Soldat, bremste das Pferd und nahm den Ring von der Waffe, um ihn seinem Übungsziel zurückzugeben. Dass er es überhaupt schaffte, diesen verhältnismäßig kleinen Ring zu treffen, war schon ein gutes Zeichen. Zwar ritt er noch nicht mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit auf die Puppe zu, aber sehr viel fehlte nicht mehr, und wenn er dann zumindest ab und zu den Ring traf und ihn ansonsten zumindest nicht allzu sehr verfehlte, würde das sicher für die meisten Belange ausreichen. Menschen waren schließlich noch größer als dieser Ring.
»Los!«, spornte Kerdric den Braunen also ein weiteres Mal an und beschleunigte. Der Übungshelm nahm ihm etwas die Sicht, doch das Ziel konnte er trotzdem im Auge behalten, für die Lanzenspitze hatte er inzwischen ebenfalls ein gutes Gefühl – aber den Ring verfehlte er dennoch. Na ja. Man kann nicht alles haben, dachte der Soldat und ging erneut in Position.
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Nach dem Zwischenfall mit Damh und dem Essen mit Faren hatte sie erstmal Zerstreuung in der Bibliothek gesucht. Die Biografien der bekanntesten Paladine hatte sie nun durch, auch wenn ihr noch etliche andere Lektüren angeboten wurden, wenn sie nachfragte. Aus Verzweiflung oder auf der Suche nach Inspiration hatte sie sich zuletzt mit einem Gebetsbüchlein in eine Ecke verkrümelt und dort lange gelesen.
Nun tränten ihre Augen und sie gähnte, was Kalidas aber nicht halb so sehr zu irritieren schien wie ihre Stummheit. Er war relativ jung, schien allerdings eine gute Ausbildung genossen zu haben, bisher hatte er sich um die Kavalleristen vom Festland gekümmert. Wenn die Zeit es erlaubte, würde sie in den nächsten Tagen ihre ausgebildeten Boten in die Truppe integrieren und sich die anderen Männer mal anschauen. Die meisten von ihnen waren im Varantfeldzug dabeigewesen, so auch Kalidas, den man danach zum Leutnant gemacht hatte. Mit der Verstärkung vom Festland war Ravenne zum Hauptmann erklärt worden, was sie bisweilen immer noch irritierte, genau wie Kalidas, der es einfach nicht gewohnt war, beim Sprechen auf mögliche Beleidigungen durch seinen Ausdruck zu achten. Er war selbstbewusst - bis er bemerkte, dass er irgendwas gesagt hatte, was sie als Stumme womöglich beleidigte. Meistens gab sie ihm dann einfach einen Wink, weiterzusprechen, solche kleinen Patzer trafen sie schon lange nicht mehr direkt. Schriftlich fragte sie den Leutnant, ob sonst noch etwas sei, und auf seine Verneinung hin war das "Gespräch" rasch beendet. Nun hatte sie also etwas freie Zeit.
Nach der Unterredung spazierte sie durch Thorniara, achtete nicht darauf, wohin sie ging, bis sie merkte, dass sie ohne irgendeinen Grund zur Kapelle gegangen war. Brauchte man wirklich einen Grund, um zu beten? Es gab viele, die nur zu Innos beteten, weil sie gerade in Not waren, und sonst keinen Gedanken an ihn verschwendeten. Beim Gedanken daran schüttelte sie den Kopf und betrat die Kapelle. Es war wirklich praktisch, dass sie dieses Buch mit Gebeten gelesen hatte, es half ihr, sich auf Innos zu konzentrieren, wenn die Möglichkeit lockte, ein kleines Nickerchen zu halten.
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Löblich, löblich, dachte sich Rod, der versuchte die schwere Eichentür möglichst leise hinter sich zu schließen um die Betende nicht unnötig zu stören.
Ravennes Zuckungen und dem darauf folgenden Blick in seine Richungen zufolge blieb es jedoch beim Versuch.
„Moin“, begrüßte er die Ordensmaid nun ohne Rücksicht auf die Lautstärke zu nehmen. „Na, alles klar?“
Ihm war es grad ziemlich egal, dass es eigentlich unhöflich war jemanden so rüde beim Gebet zu stören, aber das Tolle an Ravenne war ja, dass sie keine Widerworte geben konnte. Rod hatte einen Gefallen daran gefunden das auszukosten. Und sonst war er ja auch ein ganz netter Kerl.
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Die Tür holte sie aus der Konzentration. Auch wenn sie nun öfter in die Kapelle kam als üblich, wusste sie doch nicht, ob es Leute gab, die regelmäßig hier einkehrten. Ein Blick zur Seite sagte ihr, dass es Rod war, und sie wappnete sich für seine üblichen Anspielungen. Es wäre nicht Rod, wenn im Gespräch nicht mindestens ein Seitenhieb auf ihre Stummheit fallen würde. Er kam auf sie zu und grüßte, da gab sie es auf, weiterhin zu versuchen, ihn zu ignorieren und weiterzubeten.
Hallo, Rod.
Es ist alles klar, wie man's nehmen will. Ich bezweifle, dass meine Wehwehchen dich interessieren. Auch wenn eins davon durchgedreht ist, seine Waffenbruder getötet hat und anschließend aus der Armee desertierte. Aber um die Steckbriefe kümmert sich der Hauptmann, also soll das nicht mehr meine Sorge sein, es sei denn, ich erhalte einen anders lautenden Befehl.
Sie reichte ihm die Tafel und betrachtete die Innosstatue, dachte an den versteckten Mechanismus und den Gang zu Dominiques Grab. Wer nicht davon wusste, würde vermutlich gar nicht damit rechnen, etwas so Wichtiges hier zu finden.
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„Ah ha“, gab der Paladin in seiner ersten Reaktion von sich. Erst mit der zweiten versuchte er auf Ravennes Probleme einzugehen.
„Aber warum ist das ein Wehwechen? Ich nehme an du kennst diese Person, wenn du es so persönlich nimmst. Dir muss aber bewusst sein, dass du jetzt eine Streiterin Innos’ bist und du so für etwas Höheres eintrittst als deine privaten Konflikte.
Dieser Mann, von dem du sprichst, hatte anscheinend seine Chance und er hat sie nicht genutzt. Schlimmer noch, er hat so viel Schuld auf sich geladen, dass es deine Pflicht und die Pflicht eines jeden anderen Angehörigen unseres Ordens ist, Innos’ göttlichen Willen zu erfüllen und sein Leben auf der Stelle zu beenden. Und das hörst du aus meinem Munde, normalerweise bin ich derjenige, der ein menschliches Leben über jeden unangebrachten religiösen Eifer stellt, aber selbst ich weiß, wann es besser ist ein kleines Übel zu begehen um größere zu verhindern.
Ich sag dir jetzt nicht, dass du losziehen sollst um ihn auf der Stelle zu suchen. Wie du schon sagst, das ist Sache des Hauptmanns. Du darfst dir dein Leben deswegen aber auch nicht unnötig schwer machen. Du weißt, was du tun musst, also wirst du es tun, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Sei dir dessen immer bewusst und fang nicht an zu zweifeln. Wie gesagt, deine Verantwortung gilt dem Orden und dem Reich. Das muss dir immer bewusst sein.
Aber jetzt mal ich irgendwelche Horrorszenarien an die Wand, die dir das Leben wahrscheinlich noch schwerer machen. Mach es dir nicht schwerer als es ohnehin schon ist. Du bist auch irgendwie selbst Schuld, dass ich jetzt die ganze Zeit rumgeschwätzt hab. Du kannst mich ruhig unterbrechen, wenn ich zu weit aushol. Aber stimmt, da war was mit der Stimme.“
Er trat einen Schritt vor.
„Kenn ich den Typen eigentlich?“
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Damh hatte eine Chance nicht wahrgenommen, eine, die sie ihm sogar gegeben hatte, immerhin hätte er seine Möglichkeiten gehabt, sich weiterzubilden und sich zu beweisen, nachdem er diese Ausbildung bei ihr abgeschlossen hatte. Einmal davon abgesehen war Thade nicht durch ihre Hand gestorben. Sie hatte zwar das Duell provoziert, aber beide kannten die Bedingungen schon von anderen Balgereien auf dem Übungsplatz. Damh hatte sein Leben verwirkt, er konnte nicht behaupten, das nicht gewusst zu haben, wenn sie ihn fänden.
Ich bezweifle es, er war nur ein Rekrut. Im Bluttal ist er negativ aufgefallen, völlig verrückt geworden und hat den Hauptmann und mich angegriffen, während er etwas über einen Luchs brüllte. Wir mussten ihn entwaffnen und gefesselt nach Thorniara bringen. Schöne Geschichte, wenn wir unsere eigenen Leute wie Gefangene mit zurücknehmen müssen, wenn wir mal ausrücken.
Auf jeden Fall danke für deine Worte. Sie haben geholfen.
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Nach einer Weile hatte sie die Kapelle verlassen, war zum Handwerkerviertel zurückgekehrt, zum Goldschmiedemeister neben dem Böttcher. Es machte niemandem etwas aus, dass zwei Handwerksmeister an dieser Schmiede arbeiteten, es war ja nicht so, als würde Ravenne den Nachbarn Ärger machen oder irgendwem die Kundschaft ausstechen. Manchmal zog sie sogar einen Kunden mehr an Land, mit varantischen Mustern und Techniken, die auf Argaan eher selten zu finden waren. Techniken, die sie in Setarrif gelernt hatte, verwendete sie selten, sparsam, falls ein Kunstkenner da etwas drin erkennen könnte. So oder so, diese varantisch-setarrifsche Mischung kam bei einigen Kunden, die ihre Sachen gern exotisch mochten, gut an.
Der Meister hatte sich längst zu Bett gegeben. Es wirkte wie Verschwendung, dass er allein in einer Kammer mit mehreren Betten schlief, aber seinen letzten Lehrling hatte er gehabt, lange bevor Ravenne gekommen war. Wenn er stürbe, würde sie die Werkstatt einfach übernehmen, hatten sie abgemacht. Er musste sie dafür nicht einmal ausbilden, wodurch er sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Glut schimmerte in der Esse, offenbar hatte er gerade keinen drängenden Auftrag. Sie fachte das Feuer wieder an, jedoch nicht für die Arbeit. Und auch wenn sie müde war, wollte sie nicht schlafen. Stattdessen schaute sie einfach in die Flammen und begann irgendwann, zu beten. Sie hatte sich nicht einmal richtig ausgezogen, saß einfach in Rüstung und mit dem Wams des Ordens der Paladine vor der Esse. Die Kuse lag neben ihr, wie griffbereit, obwohl sie keinen Angriff fürchtete.
Feuer hatte sie stets begleitet. In Varant zur Mittagszeit sengte die Sonne wie Feuer, der Sand erhitzte sich und man verließ den Schatten nicht, wenn es nicht unbedingt notwendig war. Das waren die ersten Lektionen gewesen, "Ravenne, komm aus der Mittagssonne, du verbrennst dir die Füße!" Sie konnte Rahelia hören, wie sie rief. Nach diesen Jahren des Wanderns in der Wüste war sie zu ihrem Großvater gekommen, in die Werkstatt. Draußen war es zur Mittagssonne heiß gewesen, an der Esse noch heißer. Sie hatte das Feuer am Brennen gehalten, während ihr Großvater gearbeitet hatte, hatte Luft zugeführt und von ihm gelernt, bis zu ihrem Gesellenstück, gegossen, geformt, graviert und geätzt im Feuer der Werkstatt. In Al Shedim hatte Bardasch sie aufgegriffen, ihr Vater, und allen Widrigkeiten zum Trotz hatte sie dort ihre eigene Werkstatt gehabt, eine Esse unter dem Tempel von Adanos. Sie hatte einen Lehrling gehabt und war viel gereist, aber das Schmiedefeuer war ihre Heimat gewesen, solange sie in Al Shedim gewohnt hatte. Nach der Überfahrt nach Argaan war sie in Setarrif bei einem anderen Schmied, Kilijan, untergekommen und hatte mit Silmacil an einem Schwert gearbeitet, außerdem hatte sie sich die Goldschmiedekunst der Setarrifer angeschaut, die man so sehr gelobt hatte. Als sie nach Thorniara gekommen war, hatte sie im Handwerkerviertel den Meister kennengelernt und war in seine Werkstatt gezogen, nachdem sie ihm ihren Meisterbrief gezeigt hatte. Zu ihrer Aufnahme in den Orden waren sie nach Nordmar gereist, wenn auch nicht zur Heiligen Esse, aber sie war im Weißaugengebirge dabei, bei der Suche nach der Schmiede. In ihrem Leben hatte es immer Feuer gegeben, und das war das Element Innos'. Nicht umsonst hießen seine Priester die Feuermagier. Als Kind hatte sie das Beten aufgegeben, weil ihr doch nie eine Stimme geschenkt worden war, die Zeichen Innos' hatte sie stets übersehen. Nun saß sie hier, Ordensmaid, berittene Speerkämpferin, Schützin, Frau Ritthauptmann. Saß vor der Esse und sinnierte.
Das Werkzeug lag griffbereit auf einem Tisch aufgereiht. Wenn sie wollte, könnte sie arbeiten, ein Stück fertigen oder reparieren. Sie stand kurz auf und betätigte den Blasebalg, um die Flammen anzufachen, setzte sich allerdings wieder hin, statt zu den Werkzeugen zu greifen, eine Form zu modellieren oder Metall vorzubereiten. In Setarrif hatte sie noch etwas ganz anderes geschmiedet, was nie hätte geschmiedet werden sollen, ein dämonisches Amulett, in dem ein Geist hauste, der seinen Träger übernahm und nach Blut lechzte. Und doch ... und doch schien Innos gnädig mit seinem Kind gewesen zu sein, ein myrtanischer Kriegsgefangener hatte sie mit der Hilfe Innos' gereinigt von diesem Makel. Sie kannte den Namen des Mannes nicht, wusste nicht, was er war, aber er hatte sie reinigen können. Sie schämte sich, dass es eines derart deutlichen Zeichens bedurft hatte, um sie auf den Weg zu führen, den sie danach eingeschlagen war. In der Armee hatte man sie willkommen geheißen, wo sie in Setarrif auf der Straße gestanden und zugeschaut hatte.
Nachdem sie die Vergangenheit rekapituliert hatte, stellte sich die Frage nach der Zukunft. Sie hatte keinen Grund, aus dem Orden auszutreten, sie würde sich weiterhin um die Speerkämpfer kümmern und sich mit den Reitern herumschlagen. Es würde seinen Grund haben, dass sie nun Ritthauptmann war ... allerdings war das nicht die einzige Möglichkeit. Sie konnte auch noch versuchen, es im Orden zu mehr zu schaffen, dazu müsste sie nicht einmal von ihren Posten und Beschäftigungen abrücken, vom Training der Rekruten und der Reiter. Die Flammen loderten in der Esse. Hier war ihr Platz, beim Feuer, denn es war immer bei ihr gewesen. Wenn etwas passiert war, hatte sie sich immer auf das Feuer in der Esse verlassen können, Arbeit und Hitze, die durch den Schweiß die Sorgen zumindest eine Weile wegspülten.
Ihr Platz war beim Feuer. Bei Innos.
Sie stand wieder auf, das Kettenhemd unter dem Wams des Ordens klirrte. Die Ordensmaid bemerkte das nicht, sie hatte seit gestern so gut wie nichts gegessen, die Hitze der Esse hatte sie in eine Art Trance fallen lassen. Ihre Füße blieben vor der Tasche stehen, die sie über eine Stuhllehne gehängt hatte, ihre Finger nestelten am Verschluss, wie so häufig, wenn sie nach der Tafel griff. Im Laufe der Zeit waren ihre Finger so gut wie immer weiß, durch die Kreide. Sorgfältig breitete sie den Inhalt der Tasche aus. Eine Geldkatze, ein Beutelchen mit Kreide, die Tafel ... und ihr Gesellenstück. Sie besaß schon seit einiger Zeit keine Schreibfeder mehr und die Tinte war vertrocknet. Die Silberlegierung war im Laufe der Jahre ohne Pflege angelaufen, und sie rieb mit dem Ärmel drüber. Dann stand sie auf, schritt zu einer Art Erzschale mit langem Griff, die der Meister und sie nutzten, wenn sie Metall in sehr heißem Feuer schmolzen, man wollte ja nicht, dass das Metal auf das Feuer tropfte, insbesondere, wenn man es weiterverwenden wollte. Sorgsam legte sie das Tintenfässchen in die Schale und setzte sie über das Feuer in der Esse, dann wartete sie, heizte die Flammen an und sah zu, wie das Metall schmolz, mit dem sie sich einst so viel Mühe gemacht hatte. Im Schweiß war kaum zu sehen, dass einer der Tropfen eine Träne war, sie verband viel mit diesem Gesellenstück, welches sie nun dem reinigenden Feuer übergab. Nach diesem Opfer fiel sie auf die Knie und verharrte, dort, wo sie zuvor auf dem Hocker gesessen hatte, zu ihrer Rechten noch immer der Speer. Sie ignorierte das Ächzen ihres Körpers und betete.
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Am Morgen war sie wieder aufgestanden, hatte den Speer genommen und beiseite gestellt, dann hatte sie sich der Rüstung entledigt und gearbeitet. Das Metall, das sie verwendet hatte, um das Tintenfässchen zu formen, hatte sie nun in eine andere Form gebracht, als Erinnerung an das Opfer. Es war ein Siegelring, der keiner war, immerhin hatte sie ja eigentlich kein Wappen oder Siegel hatte. Als Motiv hatte sie den Raben gewählt, symbolisch für ihren Namen. Allgemein war es kein Siegelring, sondern eher eine Art Symbol dafür, dass sie den Weg Innos' gewählt hatte.
Nach dieser Arbeit haderte sie mit sich, zog dann aber doch Rüstung und Wams wieder an und machte sich mit den Waffen auf den Weg zur Bastion. Nach der Nacht in der Schmiede, bei brennendem Feuer, war ihr ein wenig nach Frischluft und Bewegung. Nun stellten sich die Fragen, die sie sich immer stellte, wenn sie zur Bastion kam. Bogen oder Speer, auf dem Boden oder zu Pferd? Heute gewann die Faulheit den Kampf, beim Bogenschießen und allgemein beim Reiten hätte sie Vorbereitungen treffen müssen, also nahm sie einfach den Speer, stellte sich ihren Gegner vor und begann mit ihren Übungen. Im Kampf gegen einen Schattengegner konnte sie Stil und Geschwindigkeit frei entscheiden. Sie begann langsam, zum Warmwerden, ehe sie einen Zahn zulegte und anfing, den Speer herumzuwirbeln und auf ihren imaginären Gegner einzuprügeln. Zum Teil erstaunte es sie selbst, wie gut ihr die Übungen von der Hand gingen, aber sie konzentrierte sich auf die Bewegungsabläufe und verdrängte den Gedanken.
Als sie mit den Übungen aufhörte, vernahm sie einen erstaunten Pfiff und bemerkte Kalidas, der wohl zugeschaut hatte, abgesehen von ein paar anderen Soldaten.
»Euer Gegner will ich nicht sein, Frau Ritthauptmann«, grüßte er grinsend. »Was ist das für eine Waffe? Auf dem Festland hab ich ein paar Speere dieser Art gesehen, aber nie einen in der Hand gehalten.«
Ravenne bedeutete ihm, vorzutreten, und reichte ihm die Kuse, die er interessiert betrachtete. So bekäme sie vielleicht auch einen ersten Eindruck von seinen Fähigkeiten. Kalidas musterte die Klingenform, dann fasste er den Schaft und versuchte sich an ein paar Stößen und Schlägen. Das Ergebnis fiel enttäuschend aus. Mit einem seltsam nachdenklichen Gesichtsausdruck gab er ihr die Kuse zurück.
»Kompliment, wie gut Ihr damit umgeht. Mir wäre sie viel zu leicht. Und irgendwie ... manchmal war mir, als hätte die Waffe Widerstand geleistet. Passiert das bei Euch auch? Ich habe mir vorgestellt, einen normalen Soldaten mit Schild anzugreifen, einfacher Frontalangriff, aber es war, als wollte der Speer nicht auf den Schild zielen, wie ich es vorhatte. Dabei weht nicht einmal scharfer Wind vom Meer rüber!«
Erstaunt zog Ravenne die Augenbrauen hoch. Widerstand hatte ihre Waffe ihr nie geleistet, seit sie in der Ausbildung bei Calan von Stöcken auf richtige Speere übergegangen waren, hatte sie sich mit den Eigenheiten dieser Waffe vertraut gemacht, sowie mit möglichen Kampfstilen für unterschiedliche Waffen. Was ihr an Kalidas' Schilderung seltsam vorkam, war auch, dass sie einen so sinnlosen Frontalangriff höchstens als Beginn einer Finte nutzen würde, was Kalidas eindeutig nicht vorhatte. Kurzum, sie hätte überall anders hingezielt, bloß nicht auf den Schild, da das einen Gegner ja nicht beeindrucken würde ... und genau das schien laut Kalidas das Bestreben des Speers gewesen zu sein. Aber eine Waffe hatte doch keinen eigenen Willen!
Bevor sie sich darüber weiter Gedanken machte, wollte sie erstmal ihren Leutnant beruhigen, also zog sie die Tafel hervor und schrieb ihm, sie habe nur mit anderen Waffen gekämpft, um einmal zu wissen, wie es sich anfühlt, und sich sonst auf die Kuse beschränkt, sei also an deren Handhabung einfach gewöhnt, im Gegensatz zu ihm. Diese Erklärung schien ihn zufrieden zu stellen, auch wenn er nicht ganz überzeugt wirkte.
Nachdem er gegangen war, wog sie die Kuse in ihrer Hand. Das Gewicht war normal, wie es immer gewesen war. Vielleicht war der Schaft sogar etwas schwerer, was sie jedoch als Vorteil nahm, denn so konnte sie die Waffe besser herumwirbeln, rotieren lassen, stumpfe Schläge austeilen und Angriffe abwehren. Ihre Taktik war es, den Gegner mit der Vielseitigkeit des Speeres zu überraschen, deshalb trug sie beim Schildkampf auch nur einen kleinen Buckler zum Festschnallen, keinen Turmschild oder so. Rasch schaute sie sich um und pfiff einen anderen Soldaten zu sich, von dem sie wusste, dass er ebenfalls mit dem Speerkampf vertraut war. Auch er merkte an, er habe Probleme gehabt, damit anzugreifen. Komisch, sie kam mit der Waffe besser zurecht als zuvor. Sie erinnerte sich daran, dass der Speer während des Gebets und des Opfers am gestrigen Abend ebenfalls an der Esse gewesen war, während des Gebets griffbereit neben ihr.
Vielleicht ist der Funke übergesprungen?
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Die Zeit war bedeutungslos geworden. Er lebte und das Tag für Tag und Nacht für Nacht. Er hätte sie sogar zählen können, wenn er gewollt hätte. Doch anfangs war ja nicht abzusehen gewesen, dass sie ihn so lange hier behuelten. Inzwischen waren Wochen vergangen, die an ihm vorbei zogen, als wären es Jahre. Ein einziger Tag fühlte sich manchmal an, als war er eine nicht enden wollende Ewigkeit. Man hatte ihn zur Tatenlosigkeit verdonnert und zur Bedeutungslosigkeit verkommen lassen. Was dort draußen in der Welt vor sich ging, es blieb ihm verwehrt. Lediglich ein schmaler Streifen Himmel war durch den kleinen Lichteinlass zu erkennen, der seinem edlen Gefängnis einen Unterschied zwischen Tag und Nacht verlieh. Und natürlich das regelmäßige Auftauchen von Tempelangehörigen, die ihm Nahrung brachten und in schier unregelmäßigen Abständen nach seinem Befinden fragten. Es müssten aber wohl sein Tod oder andere schlimme Dinge bevorstehen, bevor eine Antwort auf diese Fragen irgendeine Art von Veränderung bewirkten.
Ein Leben ohne Arme und Hände erschien im Angesicht dieser Lage fast schon gütig. Solveg hatte sich daran gewöhnt, sich zum Essen wie ein Tier auf den Boden zu kauern und die Schüsseln allein mit dem Mund zu leeren. Genauso erschien es inzwischen wie Routine, sich ohne die Hilfe stützender Hände hinzusetzen, zu legen oder wieder aufzustehen. Er tat es einfach, wenn es nötig war, genau wie er in dieser unbequemen Haltung Schlaf zu finden vermochte. Und in den unzähligen stillen Stunden der Gebete oder wirren Gedanken fand er Ablenkung zum Nichts, das sonst seinen Tag bestimmte.
Er lebte und bewegte sich nicht auf seinen Tod zu, das allein war wichtig. Seine Bemühungen für einen allumfassenden Frieden würde er eines Tages fortsetzen können. Dessen war er sich nach wie vor sicher.
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„Ich such mir auch immer blöde Zeiten aus“, grummelte Rod in seinen Helm hinein und versuchte am anderen Ende der Arena Kerdric zu erkennen. Warum er sich unbedingt so eine beknackte Zeit ausgesucht hatte konnte er schon gar nicht mehr nachvollziehen. Es war wohl seine Idee, die Bedingungen durch die Dunkelheit etwas zu erschweren, aber jetzt wo er hier war bereute er bereits seine Entscheidung.
„Also, du weißt, was jetzt passiert!“, schrie Rod so laut er konnte, bevor ihm einfiel, dass er das Visier grad eben heruntergeklappt hatte und es so im inneren des Helms ganz schon rumschallte. Zu dieser Uhrzeit war er wohl einfach nicht mehr auf seiner geistigen Höhe.
„Also, du weißt, was jetzt passiert!“, wiederholte er diesmal mit hochgeklapptem Visier. „Diese tolle Rüstung da hast du nicht umsonst angezogen. Wir reiten jetzt ein paar mal an und versuchte mit dem Rennspieß den anderen vom Pferd zu stoßen. Oder zumindest den Schild oder den Helm zu treffen. Naja, wirst schon sehen.“
Warum er die Regeln nochmal erklärte, wusste er selber nicht. Eigentlich war es ja ziemlich offensichtlich, wo sich die Waffenknechte schon so viel Mühe beim Tjostfeld gegeben hatten, das sie innerhalb weniger Stunden mal eben so zusammengezimmert hatten.
Er klappte das Visier wieder herunter und winkte einen der Waffenknechte heran, die er sich für diesen Abend von Mansk geborgt hatte. Kurze Zeit später befand sich der Rennspieß in seiner Hand.
„Dann mal schauen, was du drauf hast, wenn es gegen einen Paladin geht“, grummelte er weiter in seinen Helm hinein. Diesmal achtete er darauf nicht zu laut zu sein.
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»Innos steh mir bei«, murmelte Kerdric in den Helm, den Rodeon aus irgendeiner Waffenkammer für ihn aufgetrieben hatte. Auch die Qualität der übrigen Ausrüstung war jenseits von allem, was man als Milizsoldat normalerweise trug, aber es war ja nur für diese Lektion. Vermutlich. Denn diese versprach, die bisher schmerzhafteste zu werden, ging es doch nun gegen einen echten Gegner und nicht nur gegen Strohpuppen, die zwar manchmal auch um sich schlugen, dabei aber nicht wirklich gefährlich wurden.
Die Tatsache, dass der gerüstete Paladin im nächsten Moment losritt, verhinderte aber weitere Überlegungen; auch Kerdric trieb sein Pferd nun zum Galopp an, Lanze und Schild in den Händen und dabei noch irgendwie die Zügel umklammernd, während der Braune ihn in beängstigender Geschwindigkeit auf den Kontrahenten zu trug. Der hölzerne Zaun in der Arena würde verhindern, dass die Pferde aneinanderstießen, nur die Waffen würden hier entscheiden.
Lanze senken!, sagte sich der Ausbilder und richtete das Stück Holz auf Rodeon, den er wenige Momente später erreichte. Der Paladin ritt auf der – von Kerdric aus gesehen – linken Seite der Barriere, so dass jeder von ihnen durch den Schild geschützt wurde, aber der krachende Aufprall von Rodeons Lanze schüttelte den Soldaten dennoch so stark durch, dass er beinahe aus dem Sattel fiel und sich nur mit Mühe halten konnte.
Es dauerte einige Augenblicke, bis er realisierte, was geschehen war und dass er sich immer noch an Ort und Stelle befand. Habe ich getroffen?, fragte er sich dann und starrte auf seine Lanze. Sie war noch intakt. Anscheinend zumindest nicht besonders stark.
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Er konnte es kaum glauben, dass er sich noch nie im Tjost versucht hatte. Ja, sogar für ihn war das eine neue Erfahrung. Irgendwie traute sich ja doch keiner der paar Berittenen die es in der Stadt gab gegen einen waschechten Paladin anzutreten. Kerdric hatte halt keine Wahl, so konnte Rod endlich mal sein Können unter Beweis stellen.
Zumindest die erste Runde war ziemlich zufrieden stellend verlaufen. Selbst unter diesen miserablen Lichtverhältnissen erkannte er im Fackelschein, dass Kerdrics Lanze noch ganz war. Er hatte es schon vermutet, war sich aber nicht ganz sicher gewesen. Irgendwie hörte er ja doch nur das Bersten von Holz und erkennen konnte man schon gar nicht was jetzt genau passiert war, dafür ging alles viel zu schnell.
„Du da, neue Lanze!“, wies er einen ihrer Helfer forsch an und brachte sich und Cador wieder in Ausgangsposition. Diesmal hol ich dich vom Pferd, dachte er sich, während er die Lanze mit dem stumpfen Ende wieder in die Hand nahm.
Zum Zeichen, dass es weitergehen konnte, hob er die Lanze in die Höhe. Mit Kerdrics Antwort ging es in die zweite Runde.
Er wusste nicht, ob es nur an der Dunkelheit lag, aber es fiel ihm unglaublich schwer den richtigen Zeitpunkt einzuschätzen, an dem er und Kerdric sich trafen. Rod konnte gar nicht oft genug über seine Entscheidung fluchen zu so einer Uhrzeit anzutreten, aber dafür war es jetzt zu spät.
Jetzt die Lanze, dachte er sich und brachte sie in Angriffsstellung. Kerdric zögerte anscheinend noch damit, jedenfalls hatte er sie immer noch hoch erhoben.
Verdammt, runter damit, fluchte er innerlich und versuchte seinen Schild möglichst weit oben zu treffen um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Verdammt, verdammt!
Holz splitterte, diesmal auf beiden Seiten. Das war aber auch schon alles, was er mitbekommen hatte von seinem Schlag. Er fand sich auf einmal darin wieder verzweifelt sein Gleichgewicht zu halten, während sein Schädel dröhnte wie am Morgen, dem ein getränkereicher Abend vorhergegangen war.
Er stoppte Cador und versuchte sein Visier aufzuklappen, aber irgendwas klemmte.
„Wartet, mein Herr“, sagte einer der Waffenknechte. Rod beugte sich vor, um dessen Arbeit zu erleichtern.
Kurze Zeit später hielt er dem Paladin ein übergroßes Holzstück vors Gesicht, das sich wohl dort verfangen hatte.
„Dieser Hund“, fluchte er und ritt wieder zum Start zurück. Auf einmal war er froh, sich so eine Uhrzeit ausgesucht zu haben. So hatte wenigstens keiner mit angesehen, wie sich ein Paladin derart düpieren ließ.
Geändert von Rodeon (14.09.2012 um 23:21 Uhr)
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Anscheinend wirklich so schmerzhaft, wie es sich anfühlt, stellte Kerdric schließlich fest, als es den ersten Schlag- oder eher Stoßabtausch gegeben hatte, und verzog in seinem Helm das Gesicht. Zuerst hatte er gar nichts gespürt, doch dann war er doch noch gekommen, der Schmerz an der Stelle, die Rodeon mit seiner Lanze getroffen hatte, zusätzlich noch der in seinem Rücken … aber der Soldat versuchte, das zu verdrängen.
Konzentrieren. Erneut stießen die beiden Reiter dann unter lautem Krachen aneinander, erneut musste Kerdric damit kämpfen, im Sattel zu bleiben, aber als er danach seine Lanze betrachtete, stellte er zufrieden fest, dass sie zerbrochen war. Turnierlanzen zerbrachen zwar leicht, um schwere Wunden zu verhindern, aber dennoch musste man einen ordentlichen Stoß anbringen, um das zu bewerkstelligen. Dann gleich noch mal!, sagte der Ausbilder sich, als er eine neue Lanze in der Hand hielt. So langsam schien er … Gefallen an dieser Sache zu finden.
Zum Zeichen seiner Bereitschaft hob er die Waffe, nachdem auch Rodeon mit seinem Helm fertig war, und galoppierte los. Die donnernden Hufe der Pferde trugen die Reiter schnell und immer schneller aufeinander zu, wieder senkten sie die Lanzen, erschrocken sah Kerdric im letzten Moment, dass die des Paladins viel zu gut zielte, und dann ertönte wieder das Krachen von splitterndem Holz auf Metall. Ein gewaltiger Ruck ging durch den Soldaten, so dass er sich an den Zügeln festhalten wollte – aber da waren keine Zügel mehr. Im nächsten Moment geriet plötzlich der Boden der Arena in sein Blickfeld, und wieder rumste es, als er auf der Erde aufschlug.
Autsch.
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Wenigstens etwas, stellte Rod zufrieden fest, nachdem er die Orientierung wiedergefunden hatte. Der Treffer am Kopf hatte ihm doch anfangs mehr zugesetzt als er sich eingestehen wollte, aber der Unmut war schnell verfolgen, nachdem er den jungen Milizsoldaten im Sand liegen sah.
„Du solltest nicht den Boden knutschen“, rief Rod ihm zu. „Hier oben spielt die Musik.“
Für einen Moment sah es so aus, als hätte Kerdric sich ernsthaft verletzt, aber einen nach oben gestreckten Daumen später rappelte er sich wieder auf und saß schon bald wieder auf dem Rücken seines Pferdes.
„Wir können auch eine Pause machen, falls du den Sand so lieb gewonnen hast“, schlug der Paladin vor. Statt eine Antwort zu geben ritt Kerdric jedoch zum Start zurück und ließ sich von einem der Waffenknechte eine weitere Lanze geben.
Wie du willst, dachte Rod und tat es ihm gleich. Nachdem beide ihre Bereitschaft signalisiert hatten, ging es wieder los.
Diesmal den Kopf, nahm er sich vor, während sich die beiden Reiter immer näher kamen. Nicht nur du kannst die Lanze erst im letzten Moment senken, glaub’s mir.
Ein weiteres Mal barst das Holz. Zufrieden blickte Rod auf seine zerbrochene Lanze.
Hab ich jetzt seinen Kopf getroffen?
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