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    Whovian Avatar von Silva
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    There's no Shepard without Vakarian
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    Silva ist offline
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    AC - Fresko  Avatar von Krysos1962
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    Anfang: D
    [Bild: lucia-dl5jex.jpg]


    Ein bißchen Glück hat jedes kleine unschuldige Herz verdient!

    [Bild: d5pu4u.png]er Winter war nun auch von den Bergen des ewigen Schnees, in die Täler Himmelsrand gezogen. Die Landschaft in den tiefer gelegenen Regionen verwandelte sich in ein strahlend weißes Laken, welches von unsichtbarer Hand, über das Land liebevoll gelegt wurde. Die Bäume wurden zu Engeln und deren Äste zu deren Flügel. Als der Wind sich durch das Geäst bewegte, sah es fast so aus, als ob diese bildlichen Engel gen Himmel aufsteigen würden. Die Flüsse und Bäche, die sich durch die Landschaft schlängelten, konnte man fast mit Kristallfäden aus Eis vergleichen. Der Winter kann so schön sein, aber auch einsam und tödlich kalt. Der manch kleines Herz zu erfrieren drohte.
    ...
    Weißlauf lag in einer frischen Decke pulverartigen Schnees. Die Mittagssonne ließ das leichte Schneien in kleinen kristallinen Lichteffekten erstrahlen. Kinder rannten um den Güldengrünbaum, bewarfen sich mit Schneebällen oder rollten vergnügt größere Kugeln zusammen, um kleine Schneemänner zu bauen. Sie hatte ihren Spaß. Nur jemand ließ man einfach außer acht, als wenn es aus Luft wäre.
    Dieses Jemand war ein kleines Mädchen. Sie saß auf der Bank unter dem bekannten Baum, welche schon seit ewiger Zeit ihr Lieblingsplatz war. Hier konnte sie immer all die Menschen beobachten, mit ihnen reden oder von manch einem freundlichen Geber einen Septime einheimsen. Das machte sie nun Tag ein, Tag aus, solange sie schon zurückdenken konnte. Leider war sie auch dadurch den Spott der anderen Kinder ausgesetzt, wurde gehänselt oder manchmal sogar von ihren Lieblingsplatz vertrieben. Und nur weil die anderen Kinder einfach nicht verstanden oder verstehen wollten, warum sie jeden ganzen Tag hier saß, die Menschen anbettelte und sich mit dem Baum unterhielt. Sie verstanden einfach nicht, was es hieß, eine Waise zu sein. Welches Los dieses kleine Mädchen mit sich trug. Oder sie wussten es und trieben damit ihren Schabernack mit ihr. Bis dann ein mitleidender Erwachsener vorbeikam und die bösartigen Kinder davonjagte.
    Es störte sie nicht, das sie auf dem kalten Holz der Bank saß. Das dunkelhaarige Mädchen spielte mit den kleinen Flocken fangen. Dabei betrachtete sie die zarte und zerbrechliche Feinheit der Schneeflocken. Und war traurig, wenn sich diese dann kurz darauf zu einem Tropfen Wasser verwandelten. Also fing sie sich eine Neue. Dabei fing sie leise an zu weinen. Eine Träne wanderte an ihrer Wange herunter und fiel auf ihre kleine Hand. Dabei vermischte sich die Träne mit dem Wassertropfen, welches vorher noch eine Schneeflocke war.

    Sie war gern draußen. Die Luft war ihre Mutter. Der Güldengrünbaum ihr Vater. Das war auch der Grund, warum sie immer mit dem Baum Selbstgespräche führte. So war sie ihrer verlorenen Familie nahe. Wenn die Äste sich bewegten oder die Rinde knarrte, glaubte sie, das ihr Vater zu ihr spricht. Und wenn der Wind die Luft durch ihr Haar und durch die Äste wehte, dachte sie, das ihre Mutter sie streichelte. Für einen, der das Mädchen nicht kannte, musste es aussehen, dass das kleine Wesen geistig nicht bei sich wäre. Aber wer sie kannte, wusste von ihrem Schicksal. Nur das Mädchen wollte das Mitleid nicht.
    Auch wenn sie noch ziemlich jung war, verstand sie, was es hieß eine Waise zu sein. Sie erlebte dies doch jeden Tag von Neuem. Spürte es mit jedem Nerv in ihrem kleinen Körper.
    Nach einiger Zeit kam Danica, die Priesterin der Kynareth vorbei und setzte sich zu ihr. Sie merkte, wie sich das kleine Mädchen ihren traurigen Gedanken hingab. Sie kannte das Schicksal der Kleinen. Warum ihre Eltern gestorben sind und ihr selbst tat es im Herzen weh, sie so leiden zu sehen. Die Priesterin hatte oft bei Familien oder kinderlosen Ehepaaren nachgefragt, ob es möglich wäre, der kleinen Waise ein Zuhause, eine Familie zu geben. Doch jegliches Bitten stieß auf taube Ohren. Oder die Familien waren selbst arm und hatten selbst Mühe, ihre eigenen Münder zu füttern. So unterhielten sich beide oft am Baum und gingen dann zusammen in den Tempel, wo sich das Mädchen bei einer Tasse Honigtee aufwärmen konnte. Oft schlief sie auch im diesem Heim der Obhut und der Pflege, damit sie nicht draußen die Nacht verbringen musste.
    ...
    Einige Tage später saß das kleine Mädchen wieder auf ihrer Bank und machte das, was sie immer hier tat. Doch an diesem Tag war irgendetwas anders. Es spürte, das bald etwas Besonderes passieren würde. Nur nicht was. Die Kleine hatte seit Tagen und Wochen, oft zusammen mit Danica gebetet, das sich ihr Schicksal endlich bessern sollte. Es war ihr größter Wunsch, das sich endlich jemand ihrer annahm, ihr ein Heim gab und sie in einer Familie groß würde. Nur wurden diese Gebete bis jetzt nie erhört, Doch kein Gott in Himmelsrand erhörte das Flehen und Bitten dieses kleinen Mädchen. Oder man wollte es nicht hören. Bis jetzt interessierte sich kein göttliches Wesen für das kleine Kind. Welches allein gelassen in dieser rauen Welt, zurecht kommen musste. Keiner nahm die unnatürlichen Kraft, welche in diesem kleinen Körper steckte zur Kenntnis, welches sich trotz aller Umstände, allein damit durch das Leben schlagen konnte. Es hatte aber immer nur soviel Kraft, um von einen Tag zum anderen zu überleben. Und sie schaffte es bis jetzt immer wieder, diese unmenschliche Kraft Tag für Tag aufzubringen. Es war ein Leben im Hier und Jetzt. Gedanken für die Zukunft waren für sie gezwungener Maßen nicht von Belang. Nur die Götter wussten vielleicht, ob dieses kleine nicht göttliche Wesen eine Zukunft haben würde.

    ...
    Wieder einige Tage später, kurz vor dem Weihnachtsfest, saß das kleine Mädchen wieder auf ihrem Lieblingsplatz und betrachtete die Sterne im winterlichen Abendhimmel. Sie zitterte leicht, weil sie fror. Doch sie ließ es sich nicht anmerken. Das alte Wollkleid war schon zerschlissen und löchrig, aber auch das störte sie nicht. Sie hatte doch nichts anderes anzuziehen. Die paar Goldmünzen die sie sich erbettelte, reichten nur, um etwas zu essen zu kaufen. Sparen für andere Sachen, die man zum Leben bräuchte, war für sie unmöglich.

    ...
    Doch dann geschah das vollkommen Unerwartete!
    ...

    Arcardia näherte sich dem kleinen Wesen, nahm zärtlich ihre Hand, hob sie hoch und sprach leise zu ihr:
    ...
    Lucia! Komm mit mir in Dein neues Zuhause! Lass mich für ewig Deine Mutter sein!“
    ...
    Krysos1962 ist offline Geändert von Krysos1962 (30.11.2014 um 18:49 Uhr)
  3. #3 Zitieren
    Lied im Schilf  Avatar von Dawnbreaker
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    An diesem Tag ...

    „Wird endlich Zeit, dass Du aus Deinem Sohn einen Mann machst, Hjalmar!“ Alle Krieger am Tisch stimmen dem graubärtigen Griesgram nickend zu und ich spüre, wie sich meine Hände wütend zu Fäusten ballen.
    „Selbst meine Tochter verprügelt ihn!“ grölt Einar beifallheischend in die Runde und ich antworte grinsend: „Wie die Mutter ...“ Sein Stuhl fällt nach hinten um als er aufspringt und auf mich losgehen will, aber der Älteste hält ihn zurück.
    Ich sehe zu, dass ich die Taverne schnell verlasse. Trete vor die Tür, hole tief Luft und atme seufzend aus. Mein Sohn Talis ist kein Krieger, aber das interessiert diese engstirnigen alten Böcke nicht im Mindesten.
    Unterwegs pflücke ich im Vorbeigehen einige Schneebeeren von den Büschen und werfe sie Einar vor die Haustüre. Seine Frau wird sich freuen, wenn er den zertretenen Brei ins Haus schleppt.
    Ich lache leise vor mich, werde aber wieder ernst, als ich mein Haus erreiche. Als meine Frau und ich uns in Dämmerstern niedergelassen hatten, überließ man uns gnädigerweise eine schäbige Hütte am Rande.

    Meine Frau …. sie steht am Ofen und der Duft von gebackenem Brot umschmeichelt meine Nase. Sie lächelt mir zu, mir wird warm ums Herz und ich drücke ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Adila sieht mich mit ihren wunderschönen und tiefblauen Augen an, die im Kontrast stehen zu ihrer dunklen Hautfarbe. Sie ist Rotwardonin und unser Söhnchen Talis kommt ganz nach ihr.
    Der Kleine hat sich schon wieder in seinen Büchern verkrochen und sitzt am Tisch, zwei Kerzen dicht vor sich. Erst als ich ihn anschubse, schaut er leicht irritiert hoch, grinst kurz und widmet sich dann wieder … Ich hebe kurz sein Buch in die Höhe um lesen zu können, was ihm nun wieder in die Hände gefallen ist. Er ist wirklich unersättlich in seinem Wissenshunger.
    Ich bin stolz auf ihn, da können die anderen sagen, was sie wollen. Ich wünschte nur, die Kinder würden Talis in Ruhe lassen. Oft kommt er verprügelt heim. Er sagt nichts, aber in seinen traurigen Augen lese ich immer die gleiche Frage: „Warum, Vater?“
    Ich weiß es selbst nicht. Weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Er wehrt sich nicht, schlägt nicht zurück. Sicher könnte er es, groß genug ist er mittlerweile, aber er steht einfach da und rührt sich nicht, wenn die anderen Jungen mal wieder auf ihn losgehen.

    Er ist belesen und verträumt. Wir gehen oft in den Wald, auf die Jagd, aber noch viel lieber liegen wir beide im Gras und schauen den Wolken dabei zu, wie sie ihre Form ändern und aus furchterregenden Drachen kleine Hasen werden. Talis Fantasie ist enorm und mein Herz lacht, wenn ich ihm dabei zusehe, wie er einem Schmetterling hinterher läuft, als sei dies das Spannendste auf Erden.

    Ich wollte, ich könnte ihn beschützen. Vor dem, was ihn noch erwarten wird und dem, was man ihm antut.
    Ich wollte, ich könnte ihn verstehen. Seine kleine Welt, in die er eintaucht, wenn die Schläge wieder auf ihn nieder geprasselt sind.
    Ich wollte, es gäbe einen Ort, an dem wir leben können, so wie wir sind.

    Meine Hand streicht durch sein krauses Haar und er drückt den Kopf sanft an meine Hüfte. „Morgen gehen wir los und jagen den weißen Hirsch, Talis.“
    Das ganze Dorf redet von nichts anderem. Seit dieses prachtvolle Tier gesichtet wurde fühlt sich jeder Weidmann berufen, auf die Jagd nach ihm zu gehen. Ich will mir Respekt verschaffen, also werde ich derjenige sein, der mit Fell und Geweih dieses Hirsches zurück kommt. Respekt … für meinen Sohn.
    „Können wir nicht lieber Angeln gehen, Papa?“ Sein trauriger Blick geht mir durch Mark und Bein. Er schaut den Tieren lieber zu. Ich kann ihn verstehen, aber ich muss es tun.

    Ich liege lange wach, kann nicht schlafen und wälze mich im Bett hin und her. Adila legt ihren Arm um meinen Brustkorb und kuschelt sich an meinen Rücken. Endlich beruhige ich mich und falle in einen Schlaf voll wirrer Träume.

    Im Morgengrauen sind Talis und ich schon unterwegs. Um die Dwemer Ruinen von Mzinchaleft machen wir einen großen Bogen und halten uns weiter nördlich. Dort hatte ich vor zwei Wochen einen kleinen Unterstand errichtet, damit wir dem Wetter nicht schutzlos ausgeliefert sind und Adila würde mich mit bloßen Händen verprügeln, wenn ich ihren Sohn krank zurück bringe. Immerhin ist sie die Tochter eines Stammesfürsten und eine ausgezeichnete Kriegerin!
    Es beginnt wieder zu schneien, aber ich kenne diese Gegend genau. Ich bin hier geboren und mein Vater nahm mich ebenfalls oft mit auf die Pirsch. Vor uns taucht der Unterstand auf, der nach drei Seiten geschlossen ist. Ein liegender Baumstamm darin sorgt dafür, dass wir nicht auf dem Boden verweilen müssen.
    Talis lässt sich neben mir nieder, ich nehme seine Mütze ab und klopfe den Schnee runter, damit sie nicht nass wird. Dann ziehe ich sie ihm feixend über die Augen und genieße sein Lachen. Ich wickele ihn in eine Decke ein.

    So sitzen wir eine ganze Weile da und starren auf die Wand aus Schnee vor uns. Der Wald ist hier nicht so dicht und die Spuren der Tiere lassen auf einen Wildwechsel schließen. Schneeflocken tanzen wild vom Himmel, taumeln herab, drehen sich und Talis hält die Hand auf um einige davon einfangen zu können. Fasziniert betrachtet er die schmelzenden Kristalle.
    Fast wäre mir die Bewegung hinter einem riesigen Baum entgangen. Meine Hand tastet nach Talis Arm, er schaut mich fragend an und ich nicke in die Richtung. „Das ist etwas.“ flüstere ich und halte mir den Finger vor dem Mund um meinem Sohn zu signalisieren, dass wir schweigen sollten.
    Es dauert einige Minuten und ich befürchte schon, dass der Schnee mir einen Streich gespielt hat, da sehen wir ihn! Stattlich taucht der Hirsch vor uns auf und er ist weiß! Ich halte den Atem an, weil ich noch nie so ein schönes Tier gesehen habe. Talis zupft aufgeregt an meinem Ärmel.

    Ich greife ganz langsam nach meinem Bogen und lege einen Pfeil an die Sehne. Wir werden nicht mit leeren Händen heimkehren. Niemand wird mehr lachen! Mein Körper spannt sich wie der Bogen, der eins mit mir wird und ich ziele.
    „Nicht, Papa!“ Schreit Talis auf und reißt meinen Arm hoch. Der Pfeil schießt in den Himmel. Mein Sohn deutet auf einen Punkt hinter dem Hirsch. Zuerst verstehe ich nicht, was er will, dann sehe ich, dass das Tier nicht alleine ist. Ein kleineres Tier war ihm gefolgt. Es muss sein Junges sein. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Ein Vater mit seinem Sohn.
    Nun sitzen wir beide da und beobachten die beiden Hirsche. Und sie uns. Ich weiß nicht, wie lange wir so verharren, aber schließlich wandern die Tiere weiter und verschwinden wieder im Dickicht. Und ich … ich hätte diesen prachtvollen Hirsch fast getötet wegen einer Trophäe! Ich schäme mich.

    An diesem Tage hat mich mein Sohn eine der wichtigsten Lektionen gelehrt: Respektiere das Leben und jedes Wesen.
    Ich verstehe nun, warum Talis sich stillschweigend verprügeln lässt. Er sieht etwas in seinen Peinigern, was sie selbst längst verloren glauben. Und sie wissen es … sie hassen ihn dafür … sie hassen ihn für seine Unschuld mit der er die Menschen sieht. Weil sie diese Unschuld längst verloren haben. Geopfert dem Ruhm, dem Gold … so sinnlos.

    An diesem Tag habe ich gelernt, die Welt mit seinen Augen zu sehen.

    An diesem Tag sitzen Talis und ich abends in der Taverne und lassen uns von den anderen verhöhnen. Es schert uns nicht. Ich bin heute reicher zurück gekehrt, als ich es mir je erträumt habe.
    Dawnbreaker ist offline
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    Auserwählter Avatar von Ronsen
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    Embrys Wintermärchen

    Es ergab sich im Herzen von Himmelsrand irgendwann zwischen Abend- und Morgenstern etwas gar Wundersames in einer eisigen Winternacht. Oder war es ein eisiger Wintertag? So genau konnte man das nicht sagen, denn die Sonne lässt sich hier im Winter für einige Wochen gar nicht mehr blicken, doch dafür leuchten die Polarlichter jetzt so hell wie niemals sonst im Jahr. Es ist die Zeit, in der die Häuser von Schneewehen begraben sind und nur die spitz herausragenden Dächer zeigen, dass dieses Land besiedelt ist. Aus ihren Schornsteinen steigt der dunkle Rauch von hunderten verbrannten Feuerscheiten. Die naturnahen Menschen von Himmelsrand bleiben während der kalten Monate in ihren warmen Hütten und wenn sie nicht ihr Kaminfeuer schüren oder sich mit Honigmet wärmen, schlafen sie wie die Bären einen langen Winterschlaf.
    Doch nicht alle Nord haben die Götter mit einer warmen Hütte gesegnet. Es gibt einen Mann mit langem, strubbeligen Vollbart, der ganz in dicke Pelze gehüllt ist und von Dorf zu Dorf schreitet, in der Hoffnung, für ein paar Tage eine Bleibe zu finden, in der er sich aufwärmen kann. Dieser Mann, dessen Bart vom vielen Schnupfen bereits steifgefroren ist, hat nur einen einzigen, treuen Begleiter an seiner Seite: den alten Wolfshund Stump. Sie reisen schon seit vielen Monden durch die Fürstentümer und bleiben nie lange an einem Ort. Der Wanderer nennt sich selbst einen Nachtschwärmer, einen Mann, der in der Wildnis sein Glück gefunden hat, doch dieses Glück ist auch der Grund, warum ihn niemand länger als zwei Nächte bei sich haben will. Sein Name ist Embry und er hat ein Alkoholproblem.

    Es gibt ein Häuschen, das sucht Embry während der dunklen Zeit sehr gerne auf, denn dort lebt ein Freund, den kennt er schon seit vielen Jahren und der hat ihn in der größten Not noch nie im Stich gelassen. Dieser Mann heißt Sabjorn, er ist der Betreiber der Honigbräu-Brauerei, der Erfinder des köstlichsten Getränks diesseits des Weißflusses. Er ist ein freundlicher Zeitgenosse mit roten Pausbacken und glänzender Halbglatze.
    Auf seinem Weg von Rorikstatt nach Flusswald kommt Embry immer an der Brauerei vorbei und der Duft von heißem Honig steigt ihm schon aus zweihundert Schritt Entfernung in die große rote Schnapsnase.
    „Riechst du das, Stump?“, fragte er seinen vierbeinigen Freund, den er tragen musste, da der Schnee stellenweise so tief war, dass man darin bis zur Hüfte versank, „Wir haben es fast geschafft! Hier werden wir uns ein paar Tage ausruhen können.“
    Der Hund stieß ein leises Fiepen aus und beobachtete neugierig die großen Schneeflocken, die langsam vom Himmel rieselten. Sie stapften durch den Schnee zum Brauhaus, das bis zu den Fensterbänken im Schnee versunken war.

    BUMMBUMMBUMM!

    Mit seinem dicken Handschuh klopfte Embry an die schwere Eichentür, die zwar eine Klinke hatte, sich aber nicht durchdrücken ließ.
    „Hallo?! Sabjorn? Ich bin es, Embry! Lass mich bitte rein, ich bin seit Tagen unterwegs und friere mir hier draußen langsam den Arsch ab!“
    Doch ihm öffnete niemand. Wie konnte das sein? Irgendjemand schürte doch drinnen das Feuer!
    „HALLO?!“, er hämmerte energischer, doch auch das brachte nichts. Man konnte oder wollte ihn nicht hören. Embry suchte nach einer anderen Möglichkeit, hereinzukommen. Ganz in der Nähe war ein Stallgebäude für das Vieh, doch auch das war abgeschlossen. Allerdings lehnte an dem verschneiten Verschlag eine Leiter, denn das Stalldach war beschädigt und jemand hatte versucht, es auszubessern, ehe der Winter einbrach. Ob die Arbeit erfolgreich war, konnte Embry nicht sagen, aber von den Viechern war kein Laut mehr zu hören, vermutlich waren sie erfroren.
    Stump begann, in seinen Armen zu wimmern.
    „Ist ja gut, mein Alter“, beruhigte Embry den Hund, der schon viele Jahre auf dem Buckel hatte und durch seine behäbige Art der ideale Begleiter des verträumten Nachtschwärmers geworden war. Nur in letzter Zeit musste er ihn immer öfter tragen und Stump wurde ihm mehr eine Last als eine Hilfe.
    „Wir werden schon irgendwie reinkommen.“
    Er setzte den Hund vor der Tür ab und nahm sich die Leiter. Die lehnte er an das Hauptgebäude der Brauerei und mühte sich auf das Dach hinauf. Es ist eine blöde Idee, über einen Schornstein in ein Haus einzusteigen, vor allem wenn man einen dicken Wanst wie Embry hat. Doch er musste irgendwie hereinkommen, sonst würde er garantiert erfrieren. Die Leute drinnen würden ihn schon bemerken, wenn plötzlich ihr Feuer erlosch.
    Also nahm er sich so viel Schnee, wie er mit seinen breiten Pranken heben konnte und warf ihn in den glühenden Schacht. Wieder und wieder stopfte er Schnee in den Kamin bis das Feuer erloschen war. Dann rief er durch den Schornstein: „HALLO!?“
    Doch außer seinem eigenen Echo antwortete ihm niemand.
    „Das kann doch nicht wahr sein…“, knurrte er und schätzte die Maße des Kamins ab. Er würde gerade so durchpassen und wenn er sich langsam abstützte, könnte er sich nach unten durchquetschen und Sabjorn zur Rede stellen. Trotzdem fürchtete er sich ein wenig. Und wann immer er sich Mut machen musste, war ein Schluck Branntwein nicht weit. Den trug er in einer ledernen Feldflasche unter seinen Pelzen, direkt an seinem Herzen. Der Schnaps stieg ihm sofort wärmend und ermutigend zu Kopf. Er hockte sich auf den Rand des Schornsteins, schloss die Augen und hüpfte hinein.

    Natürlich hatte er sich verschätzt. Er war schon lange nicht mehr in der Lage, sein eigenes Gewicht zu stemmen und so kam es, dass er schnell den Halt verlor und frei nach unten fiel, ehe er an einer Verengung stecken blieb, durch die er sich nur mühselig durchpressen konnte, wie eine Wurst, die aus der Pelle gedrückt wurde. Unten angekommen war er natürlich kohlrabenschwarz und sein Hintern war heiß wie Feuer, denn damit hatte er den letzten Rest noch glühender Asche erstickt.
    „AUAUAU!“, schrie er wehleidig und klopfte sich den Hintern ab. Dann erst realisierte er, dass er es geschafft hatte. Er war drinnen, in der Wohnstube seines Freundes Sabjorn, in der es wohlig warm war und der süße Geruch des Honigs in seine Nase stieg. Da es stockfinster war, machte er erstmal einen der Fensterläden auf. Zwar war es draußen auch dunkel, doch zumindest erhellten die Sterne am Himmel nun auch den Raum ein wenig. Es war chaotisch. In der Wohnstube lagen überall Feuerscheite und Puppen verteilt, der Tisch war umgestürzt und vor der Haustür waren Fässer gestapelt, sodass man die Klinke nicht herunterdrücken konnte.
    Embry erkannte den Tresen, an dem er schon so oft gesessen und seinen Met bestellt hatte. Er fand dahinter noch einen blechernen Krug und schenkte sich aus einem der Fässer etwas Met ein. Das Getränk war kalt und schal. Was war hier nur geschehen? War Sabjorn außer Haus?
    „Wer bist du?“, fragte plötzlich eine hohe, zittrige Stimme. Embry war so erschrocken, dass er den kalten Met ausspuckte. Ein kleines Mädchen trat hinter dem umgestürzten Tisch hervor, es war vielleicht sieben Jahre alt, hatte struppiges, blondes Haar, dieselben Pausbäckchen wie Sabjorn und war ganz in Lumpen gehüllt.
    „Äh… Embry. Und du?“
    „Myra“, sagte sie schüchtern und mit gesenktem Haupt, „Bist du ein Soldat? Wirst du mich jetzt ins Waisenhaus schicken?“
    „Seh ich so aus?“, fragte Embry empört. Er und ein Soldat! Das konnte auch nur aus dem Mund eines naiven Kindes kommen. Er hatte schon am eigenen Leib Bekanntschaft mit den Gesetzeshütern gemacht– und keine guten. Aus Rorikstatt hatten sie ihn verbannt, weil er sich volltrunken in den Kochtopf übergeben hatte. In Weißlauf durfte er ein paar Nächte hinter Gittern verbringen, weil er einigen vorlauten Kindern das Taschengeld abgenommen hatte. Er hatte so gar nichts von einem Soldaten an sich.
    „Ich wollte zu Sabjorn. Ich bin ein Freund.“
    „Du hast mein Feuer ausgemacht. Papa hat gesagt, ich soll immer dafür sorgen, dass das Feuer schön brennt und kein Fremder reinkommt.“
    „Ist Sabjorn dein Papa?“
    Sie nickte: „Er wurde verhaftet und kommt erst am Ende des Winters wieder. Jetzt ist mein Feuer aus und ich werde erfrieren.“
    Embry zuckte zusammen: „Nein. Äh, ach komm, das mach ich wieder an. Habt ihr irgendwo eine Zunderbüchse im Haus?“
    Myra zuckte mit den Schultern.
    „Oder irgendwas zum Essen? Ich sterbe vor Hunger.“
    „Im Keller.“
    „Dann bring mir was! Ich kümmere mich derweil um das Feuer.“

    Kurze Zeit später brachte das kleine Mädchen ihm gesalzenen Fisch, getrocknetes Brot und Sauerkraut.
    „Sauerkraut?“, fragte er entsetzt, „Davon krieg ich Blähungen. Hast du auch Bier oder Met?“
    „Dort“, sie deutete auf die Fässer an der Tür.
    „Das schmeckt nicht mehr… ach ist schon gut.“
    Sie hockte sich mit einer ihrer Puppen neben ihn und begann, leise vor sich her zu singen.

    „Winter, Winter, Abendstern,
    halte böse Geister fern,
    decke unsrer Ahnen Land,
    schlafe selig, Himmelsrand.“

    Während sie sang, versuchte Embry, zwei Stöcke durch möglichst heftiges Aneinanderreiben zum Brennen zu bekommen. Doch das Einzige, was brannte, waren seine Arme.
    Myra schüttelte sich neben ihm: „Mir ist kalt.“
    Embry seufzte und langte unter seinem Pelz nach dem Branntwein: „Hier, trink. Dann wird dir warm. Aber nicht alles auf einma, ja?“
    Sie nahm vorsichtig einen Schluck, verschluckte sich und hustete wahrscheinlich die Hälfte des scharfen Alkohols wieder aus. So eine Verschwendung!
    „Was denn? Dein Vater betreibt eine Brauerei und du kannst das nicht ab?“, Embry tätschelte sie mit seinen dreckigen, klumpigen Fingern, doch Myra begann zu weinen.
    „Oh nein. Bitte nicht weinen.“
    Doch sie hörte nicht auf ihn.
    „Wenn du weinst, mach ich dir kein Feuer an! Dann musst du erfrieren. Willst du erfrieren?!“
    Sie schniefte und schnäuzte, aber langsam schien sie sich wieder zu fangen. Doch das Wimmern war noch immer zu vernehmen. Seltsam. Es kam gar nicht von ihr, sondern von draußen. Da fiel es Embry wie Schuppen von den Augen.

    „Beim Barte meiner Großmutter! Stump!“
    Den Hund hatte er draußen völlig vergessen. So schnell er seinen massigen Körper eben bewegen konnte, eilte Embry zur Tür, riss die Fässer um und ließ den halb erfrorenen Wolfshund rein. Der schaute ihn mit seinen großen Kulleraugen klagend an. Embry schloss die Tür schnell wieder und wickelte ihn in einen seiner Pelze.
    „Hast du noch irgendeine Decke im Haus?“
    „Nein“, flüsterte Myra und bückte sich zu dem Hund herab, „Darf ich ihn streicheln und lieb haben? Vielleicht wird ihm davon warm.“
    „Pah, Kinder haben ja keine Ahnung.“
    Doch Stump revanchierte sich für die Streicheleinheiten mit glücklichem Schwanzwedeln und leckte Myra über das Gesicht.
    Embry winkte ab: „Ich schau mich selber mal in eurem Keller um.“
    Und was er da an der Falltür zum Keller fand, ließ ihn erleichtert aufatmen. Eine brennende Öllampe!
    „Wieso brennt hier denn noch eine Lampe?“, fragte Embry überrascht.
    „Weil ich die immer nachfülle. Das hat mir Papa beigebracht.“
    Embry quittierte das mit einem genervten Seufzer. Er nahm die Öllampe und entzündete mit ihrer Hilfe das große Kaminfeuer. Dann machten sie sich zu dritt über die Vorräte her. Für den Moment war das in Ordnung und der alte Embry war wirklich erleichtert, die Nacht nicht draußen verbringen zu müssen. So blieb er einige Tage bei ihr, in der Hoffnung, Sabjorn käme zurück.

    „Wie kommt es eigentlich, dass man dich hier allein gelassen hat?“, fragte er Myra einmal, während er ein paar alte Kekse verknusperte, die sie in ihrem Geheimvorrat verborgen hatte.
    „Ich habe mich versteckt, wie Papa gesagt hat. Ich habe mich um das Feuer und die Tiere gekümmert, aber ich darf nicht rausgehen, wenn es schneit. Ich hoffe nur, den Tieren geht es gut.“
    Embry schluckte und ließ die Sache auf sich beruhen. Wegen der Tiere vergewisserte er sich während seiner Anwesenheit auch, sie waren allesamt tiefgefroren. Er schlachtete eine der Gänse und sie kochten sich ein kleines Festmahl, einen Braten mit Sauerkraut und Keksen und Wein, letzteren hatte er noch eingestaubt im Keller gefunden. Einige Tage später war der Schnee wieder soweit abgetaut, dass man die Tür nach draußen öffnen und eine Abreise wagen konnte. Embry hatte sich eingedeckt und der kleinen Myra nochmal eingetrichtert, dass sie so weiter machen sollte wie bisher und er nach Weißlauf gehen und sich nach ihrem Vater erkundigen würde.
    Zum Abschied ließ er ihr Stump als Geschenk zurück, der Hund war inzwischen zu alt, um noch lange Märsche im Schnee mitzumachen. Und als er die Tür öffnen und sich auf den Weg machen wollte, kam Myra plötzlich hinter ihm her gerannt und umarmte ihn mit ihren kurzen Kinderarmen, die nicht mal um seinen Bauch reichten. Er streichelte ihr wieder über den Kopf und auch diesmal weinte sie, aber das waren Freudentränen. Sie blickte ihn nicht an, sondern an ihm vorbei. Im Türrahmen stand Sabjorn, Myras Vater. Er war zurückgekehrt und blickte die beiden wortlos vor Glück an.
    „Ich…“, stammelte Embry, „Ich wollte dich besuchen und als ich hörte, du kämest in ein paar Tagen wieder, da habe ich mich um sie gekümmert.“
    Sabjorn nahm seine Tochter in die Arme.
    „Eine der Gänse ist verschwunden und äh… deine Alkoholvorräte sind aufgebraucht, aber…“
    Doch da unterbrach Sabjorn ihn: „Dich müssen die Götter geschickt haben, Embry!“
    Dieser schmunzelte und klopfte seinem Freund auf die Schultern.
    „Bis nächstes Jahr, Kamerad.“
    So überließ Embry Vater und Tochter ihrem Glück. Und er selbst konnte wieder in die Nacht hinausschwärmen.
    Ronsen ist offline Geändert von Ronsen (05.12.2014 um 22:00 Uhr)
  5. #5 Zitieren
    Deus Avatar von VRanger
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    Eine schöne Bescherung

    Ein großgewachsener, schlanker Mann, Mitte dreißig in guter, aber mit Bedacht gewählter unauffälliger Kleidung betrat »Die beflaggte Mähre«. Er kam allein. Bald würde ein erster Strom von Besuchern vom Fest des Neuen Lebens folgen. Denn in Tamriel war ein Feiertag. Seinen gertenschlanken Körper umhüllte bereits auf den ersten Schritten in dem Gasthaus wohlige Wärme. Obwohl der Weg vom Tempel von Kynareth zur östlichen Grenze des Tieflandbezirks nicht weit war, denn dort befand sich »Die beflaggte Mähre«, hatte ihn das Wetter an diesem 25. des Abendsterns kräftig gefordert. Doch weil zu dem Düfte von Gesottenem und Gebratenem, Weinen und Bier seine Nase umschmeichelten, fühlte er sich auf Anhieb wohl. Gut er ignorierte Mikael, den Barden, der etwas gleichförmig seine Litanei vortrug. Vielleicht brauchte dieser auch mehr Publikum, um zu Höchstleistungen aufzulaufen oder die anwesenden Frauen boten ihm nicht genug Stoff für seine Ränke und Eskapaden.

    Ihn hingegen führte der Weg zielsicher in Richtung eines der ruhigeren Plätze am Ende des Schankraumes. Gleich am Anfang, unweit einer der tragenden Stützen, traf er Hulda, die Besitzerin und Wirtin der Taverne, die sich mal nicht hinter ihrem Tresen aufhielt. Er sagte zu ihr:
    »Einen Roten bitte.«
    Dabei klopfte er ihr auf die Schulter und seine Hand gelangte gekonnt in die Nähe einer der Taschen, die sie gut in der lederfarbenen Kleidung zu verbergen wusste. Er schmunzelte beim Weitergehen zu seinem Treffpunkt. Die Wirtin würde wie immer einen Septim in der Tasche finden. Sicher weit mehr, als für einen Roten erforderlich. Doch er hielt es immer so und kam gut dabei weg. Sie übrigens auch.

    Dann sah er sie am verabredeten Platz sitzen. Einen Mantel hatte die Frau, deren Alter schwer einzuschätzen war, scheinbar achtlos über einen der freien Stühle geworden. Er kannte diesen Umhang mit Kapuze, der ein eigenartiges Farbverhalten aufwies, aus mehreren Treffen. Die eine Seite tiefblau, fast schwarz, reflektierte kaum das Licht, auch hier im Gastraum nicht. Obwohl ein offenes, großes, loderndes Feuer genug von rötlich, hellem Glanz verstrahlte, zeigte es auf dieser dunklen Tuchhälfte nur geringe Wirkung. Die andere Seite der Bekleidung, die auch zum Vorschein kam, hingegen nahm die Helligkeit an und erwiderte den tanzenden Schein in einem rötlichen Schimmern.

    Sie hatte sein Kommen noch nicht bemerkt. Die Frau hielt mit der Linken ein Glas, in dem Wein gewesen sein konnte und malte mit ihrem rechten Zeigefinger Kringel aus den Tropfen einer Flüssigkeit auf die Tischplatte. Als er fast vor ihr stand, hustete er ein wenig. Sie blickte auf, nickte als Zeichen des Willkommens mit ihrem Kopf. Dabei wippten ihre rosenblonden, aber nur schulterlangen Haare ein wenig in der Bewegung des Kopfes mit. Die Sitzende war sich der folgenden Geste bewusst, als sie den Finger in den Mund steckte, um den Flüssigkeitsrest zu entfernen und diesen anschließend, wie zum Windfühlen kurz nach oben führte, um darauf einen Wink des Platznehmens anzudeuten. Er setzte sich zu ihr, mit dem Rücken zur Wand, die Stuhllehne unter dem Arm und fragte:
    »Erfolgreich?«
    »Nein! Es gab eine schöne Bescherung«, antwortete sie ohne eine Spur von Aufregung in der Stimme. Dabei hatte sie »schön« noch betont.
    Er sah ihre gelbrötlich leuchtenden Augen, die von einem dunklen Lidstrich fast umrandet wurden, ihre nach oben gehenden und fast in S-Form verlaufenden dünnen Augenbrauen, ihren Mund, ein nach unten stärker verlaufendes Kinn und eine hohe Stirn. Aber nichts zeigte ihm, dass hier etwas verborgen werden sollte.
    »Warum?«, wollte er wissen.

    Die Gefragte wartete mit der Antwort. Denn Hulda war an den Tisch gekommen. Sie hatte eine Karaffe und ein Glas mitgebracht. Als diese die Malereien auf der Tischplatte erkannte, stellte sie alles seitlich ab, griff eines der Tücher, die als Servietten ausgelegt waren und wischte mit den Worten: »Muss das sein!« alles weg. Beim Gehen bemerkte die Wirtin noch zu dem Mann: »Der Rote ist für Euch beide. Einschenken kannst Du ja!«
    Er tat wie ihm geheißen und nach dem Hulda gegangen war, wiederholte seine Frage:
    »Warum? Warst Du nicht vorbereitet?«
    »Vorbereitet war ich«, erklärte die Frau ihm gegenüber und fast schien ein Ton des Rügens mitzuschwingen. »Ich bin seit zwei Tagen hier und habe mir alles angesehen. Bin den Weg mehrfach abgelaufen, auch in der Nacht.«
    »Wirklich?«, fragte er knapp.
    »Ja, wirklich. Bin von hier zum „Trunkenen Jägersmann«, dann in den Wolkenbezirk und von dort zuerst zu Amrens Haus. Weil ja als Doppelhaus errichtet …« hier huschte ein Strahlen über ihr Gesicht, bevor sie weiter sprach »… ist es ja bis zu Uthgerds Haus nur um die Ecke. Dann noch in westlicher Richtung wenige Schritte gehen, schon steht man vor Carlotta Valentias Haus.«
    »Richtig«, erwiderte er. »So würde ich auch vorgehen. Doch wo ist nun die Prise?« fügte er noch an. Sein Greifen mit der Hand an sein Kinn, zeigte ihr, dass er ungeduldig sein musste.
    »In Carlotta Valentias Haus«, sagte sie ohne eine Spur von Aufregung. Ihr Verhalten glich immer noch dem, als er sie aus den gedankenversunkenen Malereien auf der Tischplatte geholt hatte.
    »Was soll sie dort? Geht es auch genauer?« fragte er mit einem deutlichen Unverständnis in der Stimme.
    »Wie genau?« folgte kurz als Antwort.
    »So präzise, wie es geht. Wir haben Zeit, besser ich habe Zeit«, berichtigte er sich, aber der Ton beim »ich« war sehr bestimmend.
    »Nun gut! Bei Y'ffre!«, antwortete sie, nippte am jetzt wieder gefüllten Weinglas und begann zu erzählen.

    Auffallend bei dem folgenden Bericht war, dass Gesten nur sparsam verwendet wurden. Die Frau strich sich weder mit den typischen Bewegungen aus Verlegenheit durch ihre rosenblonden Haare, die hinter dem Kopf durch zwei Zöpfe, die am Stirnansatz begannen, verbunden waren, noch untermahlte sie das Gesagte durch Gebärden der Hände. Auch ein Senken des Kopfes, ein Verschließen der Augenlider waren nicht festzustellen. Sie blicke gerade zu und sprach ihre Worte gleichförmig und bewusst. Andere Gäste würden an ihrem Verhalten nie und nimmer darauf schließen können, dass es sich um eine Art Rechenschaftsbericht mit ungewissem Ausgang handeln könnte. Denn sie hatte einen übernommen Auftrag nicht erfüllt. Soviel stand bereits fest.

    »Eine halbe Stunde nach dem Beginn des Festes im Tempel von Kynareth hier in Weißlauf war ich an dem ersten Haus. Es war simpel und es war so, wie von Deinem Informanten beschrieben.« Dabei zeigte sie ein kleines Pergament. Dieses war einfach gehalten, ohne Wissen der Symbolik nicht zu verwenden, keine Namen, nur Zeichen. Er nickte. Er kannte die Skizze, auch die Symbole. So sprach sie weiter:
    »Der Schlüssel zum Haus lag unter dem Fußabstreicher. Mehr muss man eigentlich nicht sagen. Im Inneren von Amrens Haus nichts Aufregendes. Ich hatte die Flakons gefunden und musste nur schauen, weil man sich ja nie sicher sein kann, ob Nachzügler kommen …«
    »Was für Nachzügler?«
    Sie mutmaßte aus seiner Betonung, dass er womöglich doch nicht so viel Geduld haben würde, wie angekündigt und hakte nach: »Soll ich nun ausführlich berichten? Und sie fügte anschließend, ohne auf eine Antwort des Mannes zu warten, an:
    »Na, es konnten ja Bewohner hier aus Weißlauf den Beginn der Feier verpasst haben und in Eile zu dem Tempel wollen. Diesen Nachzügler in die Arme zu fallen, wäre sehr ungeschickt gewesen.«
    »Ach so ist das gemeint«, antwortet er. »Dann bist Du natürlich gut überlegt zu Uthgerds Haus?«

    »Ja«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Das Reinkommen war leicht, nichts Schweres. War ja auch in der Symbolik ausgewiesen.« Er nickte fürs sich, aber eher in der Form, dass das ja nun bekannt war. Doch diesmal sagte er nichts weiter, trank einen Schluck von dem Roten und schaute sie anschließend an.
    »Doch dann …«, hier überlegte sie und zum ersten Mal wirkte ihr Vortrag nicht flüssig, nicht wie geprobt.
    »Komm erzähl schon, das Ergebnis steht ja fest«, versuchte er ihr zu helfen.
    »Das stimmt. Doch darum geht es nicht.«
    »Um was geht es dann?«, fragte er.
    »Du solltest den Informanten überprüfen!« Dieser Satz saß. Er kam überraschend für ihn. Denn er hätte nicht vermutet, nicht im geringsten, dass sie ihre Schuld auf andere schieben würde. So etwas kannte er von ihr nicht. Doch bevor er vorschnell urteilte, wollte er die Geschichte vollständig hören. So blieb es bei einem: »Was wäre denn zu prüfen?«
    Sie beugte sich mit ihrem Kopf etwas weiter in seine Nähe und sprach diesmal deutlich leiser: »Es ist ein Wunder, dass ich hier noch sitze. Denn bereits das Bild, hinter dem ein Safe sein sollte, war gesichert.«
    »Was? Das Bild!«
    »Ja, das Bild!« Ihre Hände, genauer die Rechte, verließ zum ersten Mal bei dieser Unterhaltung die Tischplatte. Der Finger, mit dem sie die Kringel auf die Tischplatte gezeichnet hatte, durchfuhr die Luft, nur wenige Zentimeter über der Tischplatte, so wie man ein Stilett um einen viereckigen Gegenstand führt, um zu prüfen, ab dieser entfernt werden könnte oder nicht. Er verstand die Fingersprache und konstatierte: »Nicht gut.«
    »Habe die Verbindung gelöst, ohne das Giftfläschchen zu zerstören!«, hörte er. »Danach habe ich mittig in der Safetür ein Schloss gesehen und mich gefragt: Öffnen oder nicht?«
    »Und hast Du?«, stieg er in die Rede ein.
    »Schon, aber nicht dort. Bin mit meinen Händen am Rand der Tür entlang gefahren und habe unten, rechts in der Ecke eine feine, eine sehr feine Vertiefung gespürt.« Sie schaute ihn bewusst ins Gesicht, als sie anfügte: »Es war eine Druckplatte, die nach außen kommt, wenn man darauf etwas Kraft ausübt. Dahinter verborgen war das richtige Schloss. Gute Arbeit des Schlossschmieds, muss ich sagen«, erklärte sie die Qualität der Verriegelung.
    »Was war mit der Öffnung in der Mitte?«, bohrte er nach.
    »Nachdem die Tür zu dem Wandsafe offen war, habe ich mir deren Rückseite genau angesehen. Ein in die Öffnung hineingesteckter Gegenstand, eine Haarnadel, ein Dittrich, was auch immer, hätte eine Giftphiole zerstört.« Dabei schaute sie ihn an und ihre hochgezogenen Augenbrauen zeigten, was sie dachte.
    »Hat es sich gelohnt?«
    »Gelohnt?«, wiederholte sie des Mannes Frage. »Ein lederner Beutel nach dem Gewicht mit etwa 10 Goldstücken, einiges an Urkunden und Schreiben. Hauptsächlich Pfandbriefe.«
    »Da hast Du richtig Glück gehabt«, sagte er und hob sein Glas.
    Sie nahm die Geste an und sagte beim Anstoßen: »Es war wohl eher Können!«

    Sie erzählte in dem gleichen Stil weiter: »Doch das Erlebnis steckte in mir, als ich wieder auf die Straße trat. Es war zu dem auch mehr an Zeit vergangen, wie ich mir zu vor ausgedacht hatte. Da war dann noch der Auftrag Carlotta Valentias Haus. Die Tür zu öffnen war nicht schwer. Der Fußboden war zu meinem Erstaunen etwas knarzig.«
    »Das sollte aber kein Hindernis sein, bei Deinem Können.« Zu dieser schon schnippisch gesagten Anmerkung fügte er noch mit erhobener Stimme hinzu: »Wenn zu dem alle beim Fest im Tempel sind.«
    Die Frau ihm gegenüber blieb die Ruhe in sich, so wie zu vor. Sie sagte nur: »Dielen fragen nicht „Mama?“«
    »Was Mama?«
    »Aus dem oberen Stock rief eine Stimme „Mama, Mama bist Du es?“«
    »Das Haus sollte doch leer sein!«, wollte ihr Gegenüber feststellen.
    »Das hatte ich auch gedacht und Wünsche an den Informanten geschickt. Doch so war es eben nicht. Es wurde gefragt „Mama?“ und ich habe mit „Nein, nicht die Mama“ geantwortet und gefragt, „ob ich hochkommen kann?“« Dann schwieg die, die zu berichten hatte und trank etwas von dem Rotwein.
    »Was hast Du gemacht? Gefragt?«, er konnte es kaum fassen.
    »Was sollte ich tun?«, antwortete sie. Mit einem fast kalt anmutenden Lächeln fragte sie ihn: »… mit Krach und Lärm aus dem Haus rennen? Wie weit wäre ich gekommen?«
    »Du hättest …«, sagte er mit einem vielsagenden Lächeln, begleitet von einer eindeutigen Handbewegung.
    »Vergiss es«, lautete ihre Antwort. »Ich bin keine Mörderin, zumal bei einem Kind.«
    »Woher wolltest Du wissen, ob es ein Kind war?« erboste er sich.
    Ruhig antwortete sie: »Du hörst nicht zu. Wer ruft sonst Mama? In dem Haus wohnen Carlotta und ihre Tochter. Das Mädchen war also nicht beim Fest. Demnach musste es etwas geben, warum sie allein im Hause war. Sie hat übrigens „ja“ gesagt zu meiner Frage.«
    »Und dann bist Du in die obere Etage?«, mutmaßte er.
    »Nicht sofort. Ich habe mich nur kurz umgezogen, ja, das habe ich.« erwiderte mit einem Schmunzeln, weil er es immer noch nicht verstanden hatte.
    »Ach komm jetzt, bei Deinen spitzen Ohren, spanne mich nicht länger auf die Folter«, bat er um die Auflösung.
    »Ich habe«, und dabei strich sie mit der linken Hand über ihren Umhang, der noch immer über dem Stuhl lag und auf der helleren Seite das Licht so wärmend für das Auge reflektierte, »… meinen Umhang ausgezogen, nach dem ich den Gürtel um meine Hüfte gelöst und die Schnalle an der Schulter geöffnet hatte. Ich habe die rotscheinende Seite nach außen getragen, den Gürtel umgelegt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Schnalle so befestigt, dass diese die Kapuze am Hals fixierte. Dann bin ich mit der Beute, die in einem ledernen Säckchen verstaut war, nach oben. Es war das Kind von Carlotta Valentia, welches ich oben vorfand. Dieses lag in einem Bett und blickte mich mit fiebrigen Augen an. Ich fragte nach ihrem Namen und sie sagte: „Mila“.«
    Die Frau löste sich von dem Umhang und strich mit dieser über die andere Hand, die weiterhin auf der Tischplatte ruhte. Dabei schaute sie mit einem gewieften Blick den Mann gegenüber an. Sie wollte es auskosten, dass er immer noch nicht begriffen hatte und erzählte weiter:
    »Ich habe ihr gesagt, nach dem ich ihr ein Glas Wasser, welches an einem Tischchen neben dem Bett stand, gegeben hatte und ich den Umschlag auf der Stirn erneuert hatte, …«

    »… ja, ich habe ihr gesagt«, wiederholte sie sich nach einer kleinen Pause, »Du kannst ja nicht zum Tempel zum Fest gehen. Dabei hat das Kind angefangen zu weinen. Das Mädchen hatte sich sicherlich sehr auf das Fest am 25. des Abendsterns gefreut«, beschrieb die Frau die Situation in dem Haus. »Nordkinder fiebern hier schnell, wusstest Du das?« schob sie noch ein.

    Doch sie kam selbst zum Thema zurück, in die sie erzählte: »Dann fing sich das Kind und fragte: „Du bist zu mir gekommen? Hat Kynareth Dich geschickt?“ Ich habe nur genickt, die Bettdecke glatt gezogen, den ledernen Beutel neben das Wasser gestellt und beim Gehen gesagt: Für Dich und gute Besserung!« Dann schwieg die Frau.

    »Was für eine Bescherung!«, betonte der Mann und nickte anerkennend, denn jetzt hatte er verstanden. Als er dann sagte: »Für Deine Mühe«, und in eine seiner Taschen greifen wollte, legte sie ihre Hand auf die Seine und sprach: »Ist gut. Ich stehe in der Schuld und bald wird es sich entscheiden, ob sie an ein Wunder glauben, nur weil es ein fieberndes Kind am Tag des Festes des Neuen Lebens erzählt oder ob sie hier alles absuchen.« Sie erhob sich, warf den Umhang über und sagte im Gehen: »Wenn es etwas gibt, Du findest mich! Und denke an den Informanten!«

    Er schaute ihr noch nach, wie sie in Ruhe und Erhabenheit, sanften Schrittes, eingehüllt in ihren tiefblauen, fast schwarzen, kaum das Licht reflektierten Umhang den Gastraum »Der beflaggte Mähre« verlies. Eine Schnalle fixierte die tief ins Gesicht gezogene Kapuze.

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    Waldläufer Avatar von Fraessig
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    Risandi Von

    „Wie bitte?“ Der Mann schielte herablassend auf die Dunkelelfe herunter. „Zweiköpfiger Borstenholzwurm? Verarsch mich nich‘, Kleine.“ „So leid es mir tut“, beteuerte die Elfe, „wir haben Grund zur Annahme, dass der gesamte Dachstuhl gefährdet ist. Ohne eine eingehende Behandlung ist das Leben jedes Bewohners in diesem Hauses gefährdet.“ „Soso … also is‘ dieser Wurm, also … hat der wirklich zwei Köppe?“, fragte der Mann misstrauisch. „Äh … nicht wirklich … er sieht nur hinten genauso aus wie vorne, wenn Sie wissen was ich meine.“ Das schien den Mann zu erheitern. „Hast gehört Grelod? Vorn und hinten sieht er gleich aus, man könnt glatt denken, die meint dich.“ Dann fing der Mann an zu lachen, oder besser gesagt, seltsame Grunzlaute von sich zu geben. Ohne dem Beachtung zu schenken fuhr die Elfe fort: „Wie dem auch sei, es ist wirklich wichtig, dass Sie mich jetzt rein lassen, damit ich mit meiner Arbeit beginnen kann.“ Mit einem Mal hörte der Mann auf, ein Schwein zu imitieren. „Sie wollen auf‘n Dachboden?“ „So schnell wie möglich.“ „Hast gehört Grelod, die will auf‘n Dachboden“, rief der Mann wieder ins Haus hinein. „Natürlich hab ich’s gehört, ich bin ja nicht taub.“ „Ey Grelod, hab ich dir heute noch keine auf‘n Deckel gegeben, oder warum biste so vorlaut?“ „Sag der einfach, dass sie verschwinden soll.“ „Mein Weib sagt Ihr sollt verschwinden.“ „Ihr wirkt mir nicht so als würdet Ihr auf das hören, was Eure Frau sagt“, warf die Elfe ein. „Nö.“ Der Mann grinste breit. „Und jetzt Abflug, sonst kriegste meine Faust in die Kauleiste.“ „Aber…“ „Ehrenhall bleibt geschlossen.“ Mit diesen Worten knallte der Mann ihr die Tür vor der Nase zu.

    „Verdammt“ zischte die Dunkelelfe. Es hätte so einfach sein können. Haus Ehrenhall hatte die perfekte Position. An keinem anderen Ort war die Gefahr bemerkt zu werden so gering, wie an der Stelle, an der das Waisenhaus stand. Alle anderen Möglichkeiten, ob nun direkt auf die Mauer zu klettern oder zu versuchen sich an den Wachen am Eingang von Festung Nebelschleier vorbeizuschleichen, waren einfach zu riskant. In Gedanken versunken schlenderte sie durch die Stadt und erschrak, als eine Horde Menschen an ihr vorbei, in Richtung Marktplatz stürmte. Das Bild was sich ihr dort bot, war mehr als merkwürdig. Eine riesige Masse an Leuten drängte sich um die verschieden Stände. Rufend, schlagend und tretend versuchten sie sich nach vorne zu kämpfen um möglichst schnell zum gewünschten Händler vorzudringen, bevor dieser seine Waren alle verkauft hatte. Die Dunkelelfe stand am Rand des Marktes und beobachte das rege Treiben. Sie lauschte dem Gespräch eines nobel gekleideten Ehepaares, an einem Stand in ihrer Nähe, in der Hoffnung vielleicht zu erfahren, was hier eigentlich los war. „Sehen sie, unsere Tochter hat sich dieses Jahr etwas Besonderes gewünscht“, sagte die Frau zu dem argonischen Händler, „Keine langweiligen Ringe oder Armbänder dieses Mal. Sie sagt, es müsste etwas sein, womit sie auffällt. Verstehen Sie was ich meine?“ „Absolut, ich denke, ich habe da genau das Richtige.“ Der Argonier kramte eine Weile unter dem Ladentisch und holte dann eine kleine Schachtel hervor. „Ich habe hier ein ganz besonderes Amulett, gefertigt von einem der besten Goldschmiede in ganz Tamriel. Er hob den Deckel der Schachtel. „Das Motiv da in der Mitte, ist das ein Einhorn?“ fragte die Frau, nachdem sie das Schmuckstück eingehend betrachtet hatte. „Sehr richtig, das Horn ist aus feinstem Mammutelfenbein und die Augen sind kleine Saphire.“ „Ich weiß nicht, diese blauen Augen sehen irgendwie gruselig aus“, sagte die Frau. „Überlegen Sie es sich gut, ein solches Stück werden Sie so schnell nicht wieder bekommen.“ „Vielleicht haben Sie Recht. Außerdem, Maven mag doch sicher Einhörner, oder etwa nicht, Harlmund?“ „Hmm“, brummte der Mann neben ihr. „Wir nehmen es“, sagte die Frau, während ihr Mann seinen Geldbeutel zückte. „Zweitausend Septime.“ „Tausend“, antworte der Mann grimmig. „Niemals! Haben Sie sich das Amulett überhaupt einmal angesehen? Wissen Sie wie lange man braucht, um so etwas zu schmieden? Sie müssen schon Zweitausend zahlen, oder ich werde es einem anderem Kunden verkaufen.“ „Ich gebe Ihnen Tausendfünfhundert. Keinen Septim mehr!“ Der Argonier schüttelte mit dem Kopf. „Ich werde dieses Meisterstück nicht für einen Spottpreis verhökern. Ansonsten verkaufe ich es wirklich an jemand anderes.“ „Oh wirklich? Sie meinen also, dass Sie in dieser Stadt noch eine Zukunft haben, wenn Sie die Angebote der Schwarz-Dorn Familie ausschlagen?“ „Ähh…“, der Argonier konnte seine plötzliche Nervosität nur schlecht verbergen. „Vielleicht ist Tausendfünfhundert doch kein so schlechtes Angebot.“ „Finden Sie? Ich bin mir da inzwischen gar nicht mehr so sicher.“ Der Mann lächelte überheblich. „Mit einem Mal hören sich tausend Septime viel vernünftiger an, oder?“ „Aber natürlich, tausend Septime und das Amulett gehört Ihnen.“ „Na also, geht doch.“ Der Mann bezahlte und nahm das Amulett. „Frohes Fest noch“, sagte er danach und ging mit seiner Frau zum nächsten Marktstand. Die Menge machte dem Paar unaufgefordert Platz und schon bald waren sie zwischen den Leuten verschwunden.

    „Hey, du!“ Die Dunkelelfe spürte wie ihr jemand am Zipfel ihrer Weste zog. Verwundert schaute sie nach unten und erblickte ein kleines blondes, Mädchen mit wüstem Haar. „Lass mich in Ruhe!“, antworte die Dunkelelfe und schüttelte das Mädchen von sich ab. Doch die Kleine dachte überhaupt nicht daran. Erneut packte sie den Stofffetzen und zog daran. „Hey, was soll das! Was willst du von mir?“ „Ich will dir helfen.“ „DU willst MIR helfen? Schwirr ab Kleine und spiel‘ mit deinen Puppen.“ „Ich hab gehört wie du mit dem Aufseher gesprochen hast. Du willst auf’n Dachboden, richtig?“ „Hast du uns etwa belauscht?“ „Nö, ihr habt einfach zu laut geredet. Ich kann dir helfen da hoch zu kommen, wenn du willst.“ „Und wie willst du das anstellen?“ „Ich mach einfach ein Seil aus Bettlaken, schleich‘ mich auf’n Dachboden und häng es aus’m Fenster. Du musst nur über‘n Gartenzaun klettern und dann am Seil hoch. Kinderspiel.“ Die Dunkelelfe war äußerst misstrauisch. Anderseits hatte sich ihr soeben eine neue Möglichkeit aufgetan, doch noch Zugang zu Haus Ehrenhall zu bekommen. „Warum hilfst du mir?“ „Na, weil ich Geschenke will.“ „Nicht dein Ernst.“ „Aber es ist doch Weihnachten! Und da beschenkt man sich gegenseitig, oder?“ „Ich glaube nicht, dass das der Sinn davon ist.“ „Grelod sagt immer: Weihnachten ist die Zeit in der man so tut, als könnte man die Leute gut leiden, obwohl man sie eigentlich nicht ausstehen kann. Und man kriegt Geschenke. Also gib mir ein Geschenk und ich lass dich auf’n Dachboden.“ „Okay, von mir aus, was willst du den haben?“ Das Mädchen überlegte kurz: „Hmm, dein Messer!“ Sie zeigte auf den Dolch am Gürtel der Dunkelelfe. „Was willst du denn damit?“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern: „Er sieht einfach schön aus.“ „Das ist Ebenerz und sehr, sehr teuer.“ „Kann schon sein, also gibst du ihn mir?“ Die Dunkelelfe zögerte: „Ich könnte dir einen anderen aus Eisen kaufen, wenn du willst.“ „Nö, ich will den da!“ antwortete das Mädchen trotzig. „Von mir aus.“ Sie löste die Waffe von ihrem Gürtel und gab sie dem Mädchen. Es schmerzte sie nicht sonderlich. Der Dolch war für die Dunkelelfe nur ein Werkzeug und im Prinzip machte es keinen Unterschied aus was er gefertigt war, solange die Schärfe stimmte. Das Mädchen zog die Klinge vorsichtig aus der ledrigen Hülle und betrachtete sie mit großen Augen. „Lass sie lieber drin, das Ding ist höllisch scharf.“ Das Mädchen nickte und steckte sich denn Dolch mitsamt der Scheide in den Hosenbund. „Warte kurz hier, ich hab auch ein Geschenk für dich.“ Mit diesen Worten verschwand das Mädchen in der Menschenmenge.

    „Eine Gabe für eine hungrige Waise.“ Das blonde Mädchen hielt dem Ehepaar die geöffneten Hände hin. „Geh weg, Kleine. Wir brauchen hier keine Schmarotzer“, sagte der Mann und strafte das Mädchen mit einem äußerst giftigen Blick. „Also wirklich Harlmund, du kannst doch das arme Mädchen nicht einfach verhungern lassen.“ „Verhungern? Ja klar, als ob die in Ehrenhall nicht genug zu Essen hätten. Denk doch nur an die ganzen Spenden jedes Jahr. Die Wänster müssen dort doch leben wie die Könige. Die Einzigen, die die blöd genug sind auf ihre Rehaugen reinzufallen, sind die Frauen. Ihr seid einfach viel zu gutherzig und das nutzen die eiskalt aus. Ich sag dir meine Liebe, ohne uns Männer würdet ihr Weiber schon lange am Hungertuch nagen.“ „Muss ich erst böse werden Harlmund?“ „Okay, schon gut, schon gut. Hier hast du zwei Septime, Kleine. Und jetzt verschwinde.“ „Dankeschön“, sagte das Mädchen und verbeugte sich tief vor dem Mann. Dann verschwand sie wieder in dem Getümmel, aus dem sie aufgetaucht war.

    Es waren nur wenige Minuten vergangen und das blonde Mädchen kam tatsächlich zurück. „Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht“, sagte sie grinsend. Stolz hielt sie ein aufwendig verziertes, goldenes Amulett in die Höhe. In der Mitte war ein eingraviertes Einhorn zu erkennen. „Ähm, danke“, antwortete die Dunkelelfe etwas verwundert. „Und nun?“ „Na, ich lass dich rein, wie versprochen. Warte einfach nach Anbruch der Dunkelheit unten im Garten.“ Ohne ein Wort des Abschiedes rannte das Mädchen in eine der Gasse und war im nächsten Moment verschwunden.

    Die Dunkelelfe saß jetzt schon fast seit einer Stunde in einem der Büsche, die offenbar seit Jahren niemand mehr zurechtgeschnitten hatte. „Hallo?“, flüsterte plötzlich ein Stimmchen. „Ich bin hier“, flüsterte die Dunkelelfe zurück. Das Seil, welches wie versprochen aus zusammengebundenen Bettlaken bestand, sah mehr als behelfsmäßig aus. Die Elfe hoffte einfach, dass es auch in der Lage war, das Gewicht eines Erwachsenen zu tragen. Sorgsam beobachtete sie die Straße, ob die Luft auch wirklich rein war. Als sie niemand sah, umfasste sie das Seil und begann an der Hauswand hochzuklettern. „Kinderspiel, oder?“, sagte das Mädchen, als die Elfe nach innen geklettert war. „Danke“, sagte diese und ging zu dem Dachfenster auf der gegenüberliegenden Seite. „Was hast vor?“, fragte das kleine Mädchen. Die Elfe zögerte einen Moment: „Etwas … Wichtiges.“ „Okay“, sagte die Kleine mit einem Schulterzucken. „Ich warte hier auf dich, kann sowieso erst runter, wenn der Aufseher eingeschlafen ist. Wir dürfen nämlich eigentlich nicht auf‘n Dachboden, musst du wissen.“ Den letzten Teil des Satzes hörte die Dunkelelfe bereits nicht mehr. Sie hatte das Fenster geöffnet und war von dort auf die Stadtmauer gesprungen. Flink schlüpfte sie an dem Wachturm vorbei und von dort auf die Mauern der Feste. Aus dem Inneren des Gebäudes drang Musik und Stimmengewirr. Der Festball war in vollem Gange. Doch die Dunkelelfe wusste, dass es sich dabei nicht einfach um ein bloßes Lustspiel der Adligen an einem Feiertag handelte. Der heutige Tag würde über die politische Zukunft von Rifton entscheiden. Und sie würde diese Entscheidung beeinflussen. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass es inzwischen zu einer Art Angewohnheit von Jarl Harrald geworden war, wichtige Gespräche mit Korrespondenten und Botschaftern, weitab vom höfischen Trubel, auf dem Balkon abzuhalten. So auch diesen Mal. Bereits von weitem konnte sie den Jarl erkennen, wie er mit dem kaiserlichen Legaten zu diskutieren schien. Letzterer erblickte noch im Augenwinkel einen schwarzen Schatten auf der Mauer. Doch es war bereits zu spät um irgendwie zu reagieren und der schwarze Schatten sprang auf ihn zu. Den Weinbecher in seiner Hand ließ der Legat noch vor Schreck fallen, dann bohrte sich der Dolch der Dunkelelfe in seinen Hals. Nur den Bruchteil einer Sekunde später, der Jarl hatte noch nicht einmal verstanden was soeben passiert war, bohrte sich der blutige Dolch in dessen Herz. Mit aufgerissenem Mund taumelte der Jarl nach hinten und kippte über die Brüstung. Im nächsten Moment befand sich die Elfe bereits selbst auf dem Geländer und duckte sich zum Sprung. Es wäre ein perfekt ausgeführtes Attentat gewesen. Im Nachhinein schien es fast aberwitzig, der Legat, der blutend und röchelnd sein Leben aushauchte und doch in seinen letzten Augenblicken imstande war eine kleine, handgefertigte Armbrust aus seinem Umhang zu ziehen. Solche Waffen waren selten und meistens auch eher ein Zeichen des Wohlstandes, als wirklich zum Kämpfen geeignet. Immer mehr Blut quoll zwischen den Fingern der Hand, die er auf die Wunde gepresst hatte, hervor. In der anderen hielt er die Armbrust. Das Letzte was er in seinem Leben tat … war Abdrücken.

    Die Dunkelelfe befand sich noch im Sprung, als ihr ein stechender Schmerz durch den Körper fuhr. Sie krallte sich an der Kante der Mauer fest, während sie versuchte einen Aufschrei zu unterdrücken. Mit Mühe zog sich sie sich hoch. Beim Versuch aufzustehen sah sie den Bolzen, der ihr Fußgelenk durchschlagen hatte. Sie humpelte über die Mauer, so schnell wie sie es unter den Schmerzen ertragen konnte. Als sie den Wachturm erreichte, hörte sie bereits aufgebrachte Stimmen hinter sich. Sie drückte sich um die Ecke, humpelte weiter zum Fenster des Waisenhauses und verschwand im Inneren des Dachbodens.

    Dort angekommen sank sie mit einem schmerzerfüllten Aufschrei auf die Knie. Niemals würde sie es in diesem Zustand aus der Stadt heraus schaffen. Sie musste wohl oder übel den Dachboden für eine Weile als Versteck nutzen. Erst nach einer kurzen Verschnaufpause hörte sie das Wimmern aus einer Ecke. Sie erkannte das blonde Mädchen, wie es in die Hände um die Knie geschlungen hatte und bitterlich weinte. Die Dunkelelfe zögerte. Sie wollte gerade fragen, warum sie so traurig war, doch dann fiel ihr eine Gestalt am anderen Ende des Raumes auf. Diese lag auf dem Boden, mit dem Gesicht auf den Dielen, während sich die Blutlache um sie herum immer weiter vergrößerte. Es war der Aufseher, mit dem sie am Nachmittag gesprochen hatte. Das Messer, das ihm im Rücken steckte war ihr eigenes. Als sie erneut zu dem Mädchen aufschaute, sah sie es mit anderen Augen. Beide waren Mörder. Ohne das verletzte Bein zu belasten, kroch die Elfe zu dem Mädchen und setzte sich neben sie. Sie wollte ihr Beistand leisten. Die Kleine schluchzte nur noch leise und sie konnte in der Stille hören, wie der Aufseher leise vor sich hin röchelte. „Bereust du es?“, fragte die Elfe schließlich. Das Mädchen schaute auf und nickte. „Das brauchst du nicht“, sprach die Elfe weiter. „Leben sind wie … wie Kerzen. Sie mögen für einen Moment Wärme und Licht spenden, doch wenn man sie nicht rechtzeitig löscht, dann kann einem das ganze Haus abbrennen. Verstehst du? Ohne Leute wie uns, gäbe es niemanden in dieser Welt, der aufpasst, dass die Leute sie mit ihrem ganzen Hass und ihrer Wut nicht einfach anzünden. Vielleicht fühlst du dich schlecht, für das was du getan hast, doch das geht vorbei. Versprochen.“ Das Mädchen schniefte und schaute die Elfe mit ihren rotgeweinten Augen an. „Was passiert jetzt mit mir?“, fragte sie mit brüchiger Stimme. „Komm mit mir. Ich bringe dich an einen Ort an dem du sicher bist. Dort gibt es viele wie uns. Wir alle sind alle eine Familie, wir passen auf uns auf, helfen uns und sind füreinander da. Egal welcher Tag gerade ist.“ „Ich habe mir schon immer eine richtige Familie gewünscht“, flüsterte das Mädchen. „Bei uns bist du willkommen.“

    Sie saßen noch den Rest der Nacht über zusammen und sahen zu, wie das Licht der Kerze langsam erlosch. „Frohe Weihnachten“, flüsterte Astrid und lehnte sich an die Schulter der Elfe.
    Fraessig ist offline Geändert von Fraessig (19.12.2014 um 23:55 Uhr)
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    Der Fremde

    „Gib’s auf. Ich sag dir, da ist nichts.“
    Doch Eirick wandte den Blick nicht von dem endlosen weißen Schneetreiben vor ihnen ab. Unbeirrt starrte der grauhaarige alte Mann in die sternlose Nacht hinaus, hinab in das sich vor ihnen auftuende Tal, welches irgendwo in der Ferne an der Küste des eisigen Meeres endete. Voriihr hielt die Arme um seinen Körper geschlungen und trat von einem Bein aufs andere. Ihm wäre eine schnelle Rückkehr ins Dorf am liebsten. Hjaldar hingegen schwieg und hatte nur ein leichtes Lächeln aufgesetzt. Es war immer das gleiche. Eirick sah als erster von ihnen irgendetwas Ungewöhnliches, weit von ihnen entfernt so dass nur die geübten Augen des alten Jägers es zu erkennen vermochten, Voriihr meinte es besser zu wissen und fluchte vor sich hin und am Ende stellte sich Eiricks Vermutung als richtig heraus. So liefen die meisten ihrer Patrouillen ab. Nicht dass es sich bei Eiricks Sichtungen immer um allzu spektakuläre Funde handelte. Meistens nur irgendein streunendes Tier, einmal ein Mammut. Trotzdem liefen sie zügigen Schrittes los. Hjaldar konnte das eh nur recht sein. Er war den Sturmmänteln nicht unbedingt aus Blutgier beigetreten. Viel mehr hatte er es getan um seine Eltern nicht zu beschämen. Als dieser Kommandant Tybald in im Auftrag Ulfric Sturmmantels einen Außenposten in ihrem Dorf im äußersten Norden des Königreiches errichtet hatte und alle „wahren Söhne Himmelsrands“ aufgefordert hatte sich freiwillig zu melden, was hätte er anderes tun sollen? Sein Vater jedenfalls war stolz gewesen, einen derart tapferen Mann seinen Sohn nennen zu können. Bisher hatte er zwar noch nicht viel Anlass gehabt tapfer zu sein, doch den Mädchen im Dorf war er seit dem um einiges angesehener und allein dafür war es ihm das Ganze schon recht.
    Voriihr war auch nicht unbedingt auf Ruhm aus, hatte aber auch keine wirkliche Familie der er etwas schuldig wäre. Er war so etwas wie der Trunkenbold des Dorfes, Mitte dreißig und ohne besondere Fertigkeiten. Seine Hauptmotivation war wohl eher die warme Mahlzeit die sie gelegentlich erhielten. Wenn er nüchtern war, war er jedoch recht zuverlässig und dafür sorgte Kommandant Tybald schon mit hinreichender Überzeugung. Dass Eirick sich ihnen angeschlossen hatte wurde von allen als Selbstverständlichkeit betrachtet. Niemand kannte die Wildnis hier besser als eher und niemand war besser geeignet sie lebend da durchzubringen. Hjaldar hatte viel Respekt vor dem alten Mann, doch Voriihr lag sich schon öfter mit ihm in den Haaren. Der eine war sehr stur, der andere sehr faul.
    Und so drehten sie Tag für Tag ihre Runden in der Kälte. Immer mindestens zu dritt. Ein Mann alleine kam hier nicht weit. Die wenigen festen Straßen die zwischen den Orten existierten lagen schon Meter tief unter Schnee begraben, als der Winter in den südlicheren Regionen noch nicht einmal eingesetzt hatte. Nur in einem gewissen Radius um die Siedlungen herum konnte man sich relativ gefahrlos bewegen. Jenseits dieser Grenze gab es nur den Tod.
    Nachdem sie etwa eine halbe Stunde weiter nordwärts gelaufen waren, verlor auch Voriihr seine letzten Zweifel.
    „Feuer“, sagte er mit einer Spur von Verwunderung. Und mit leicht zitternder Stimme fuhr er fort. „Wer hier draußen Feuer macht muss echt verzweifelt sein. Die Eisgeister hassen Feuer. Sie stürzen über dich herein bis es erloschen und du in Stücke gerissen bist.“
    Eirick zahnloses Lachen wirkte dem Ernst dieser Worte etwas entgegen. „Du trinkst zu viel, Junge. Vierzig Jahre in dieser Einöde und kein einziges von deinen Gespenstern gesehen.“ Er spuckte aus und wurde etwas ernster. „Wir sollten trotzdem nachsehen. Dass hier überhaupt jemand ist, ist schon ungewöhnlich. Vielleicht irgendein Fischer der sich auf dem Rückweg von der Küste verirrt hat. Und wenn der dann noch Feuer macht … nun ja, Geister hab ich noch keine gesehen, aber es gibt auch andere Biester die die Wärme anzieht. Das Feuer kann einem hier draußen das Leben retten, aber manchmal auch … los, gehen wir, Männer.“
    Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schritt er in erstaunlich schnellen Schritten voran. Von da an dauerte es nicht mehr lange bis sie die von Schnee umwehte Spitze einer kleinen Anhöhe erreichten. Auf allen Vieren robbten sie an den Rand, von dem sich ihnen das ganze Bild der Situation präsentierte.
    Dicht an die Felswand an der sich der Schein des Feuers spiegelte gedrängt, stand ein vor Angst scheinbar regungsloser Mann. Nur gelegentlich schwang er die Fackel die er in seiner Hand hielt, nämlich immer dann, wenn der Bär der einige Meter von ihm entfernt stand sich ihm zuwandt. Dieser war bisher allerdings noch damit beschäftigt ein gesattelt und gesäumtes Pferd zu reißen, offenbar das noch unglücklichere Reittier des unglücklichen Fackelträgers. Schnell sprang Hjaldar auf, schlang sich den Bogen vom Rücken und griff nach einen der Pfeile aus dem Köcher an seinem Gürtel. Gleichzeitig griff Voriihr nach seinem Speer.
    Nein!“ Eiricks plötzlicher Ruf ließ sie herumfahren. „Wir … wir können nichts tun. Das ist zu gefährlich. Wir sollten umkehren solang er mit dem Pferd beschäftigt ist.“
    Ungläubig sahen die beiden ihn an, während er sich mühsam aufrichtete. Voriihr fing sofort an panisch zu gestikulieren.
    „Was soll das? Erst schleppst du uns hier raus, dann finden wir wirklich etwas und jetzt willst du einfach umdrehen? Komm schon, alter Mann, du musst über die Jahre doch schon hunderte Bären erlegt haben … Der Mantel den ich grade trage ist von dir.“
    Hjaldar versuchte derweil zu verstehen was den erfahren Jäger auf einmal so zurückschrecken ließ. Seine Stimme hatte eher hohl geklungen, nicht wirklich so als hätte er Angst. Doch es blieb keine Zeit. Wenn sie noch länger warteten, wer weiß wie lang der arme Kerl das noch durchstehen konnte.
    „Wir müssen ihm helfen. Man lässt hier draußen niemanden einfach so allein zurück.“ Seine Stimme strotzte nicht vor Freude bei der Aussicht auf diesen Kampf, umso mehr da Eirick selbst davor zurückschreckte, doch seine Überzeugung stand fest.
    „Wir müssen zumindest versuchen ihm zu helfen. Stell dir vor du wärst da unten und auf unsere Hilfe angewiesen.“ Voriihr nickte eifrig.
    Eirick sah sie grimmig an. „Na meinetwegen. Aber dass ihr mir dafür nicht drauf geht. Ich erledige das Biest, ihr haltet ihn nur in Schach!“
    Dann ging alles recht schnell. Hjaldar ließ einen Pfeil in die Flanke des Bären fliegen, dieser bäumte sich auf, brüllte und drehte sich ihnen zu. Da war Voriihr schon mit seinem Speer voran geprescht und stieß ihn in die andere Seite. Der Stoß bereitete dem Tier keine sichtbaren Schmerzen, doch drehte es sich nun bedrohlich dem neuen Plagegeist zu. Um ihn keine Gelegenheit zu geben sich nur auf einen von ihnen zu konzentrieren schoss Hjaldar einen weiteren Pfeil ab. Diesmal schaute er jedoch nur kurzzeitig zu ihm auf, bevor er sich wieder dem sichtlich verunsicherten Voriihr zudrehte. Gerade wollte er mit seiner schweren Tatze ausholen, da beendete Eirick, der sich inzwischen vor dem Tier aufgestellt hatte, dessen Ableben mit einem präzisen Schlag seiner Axt.
    „Guter Treffer, alter Mann“, sagte Voriihr und lachte erleichtert auf. Eirick grunzte nur und zog die Axt mit einem kräftigen Ruck frei. Hjaldar lief inzwischen, den Bogen schon wieder weggesteckt, auf den Fremden zu, Voriihr eilte ihm hinter her. Sie waren noch kaum drei Schritte gelaufen, da vernahmen sie die Stimme des Mannes, der ihnen seinerseits entgegen rannte.
    „Danke! Bei allen Göttlichen, vielen Dank! Ihr habt mir das Leben gerettet!“
    „Ihr habt uns ganz schön beschäftigt da drüben“, sagte Voriihr als er sich lachend aus der Umarmung des herbei gestürzten Mannes befreite und wurde gleich gesprächiger. „Ihr könnt euch glücklich schätzen. Wenn es nach mir gegangen wäre, lägen wir schon in unseren Betten und ihr bei eurem Pferd. Aber dieser sture alte Bock, mit dem eleganten Axtschwung da hinten hielt es wohl für unhöflich euch allein sterben zu lassen. Doch im Ernst, was treibt euch dazu die Nacht hier draußen zu verbringen? So schlecht ist die Taverne im Dorf auch wieder nicht. Etwas schäbig das geb ich zu, und hat man ein mal versucht die Zeche zu prellen können sie schon mal etwas ruppiger werden aber -“
    Er hielt inne. Seine Augen wanderten kurz an dem Fremden auf und ab, seine gerade noch glückliche Mine kühlte schnell ab und er trat schnell einen Schritt zurück. Gleichzeitig festigte sich sein Griff um seinen Speer. Irgendetwas stimmte nicht.
    „Was tut ihr hier?“, fragte er abermals, diesmal weitaus kühler.
    Auch Hjaldar betrachtete ihn jetzt etwas eingehender. Wie sie trug er einen schwere Fellmantel, dicke Stiefel, ein paar Handschuhe aus Leder. Die Kapuze hatte er übergezogen, dennoch war dünnes kurzgeschnittenes schwarzes Haar erkennbar, das Licht der Fackel die er bei seinem Zusammentreffen mit den beiden auf den Boden hatte fallen lassen, offenbarte ein bartloses, glattes und urplötzlich abermals von Angst ergriffenes Gesicht. Er war keinen Tag älter als Hjaldar selbst. Und Kaiserlicher. Das allein war hier ja schon außergewöhnlich genug, doch nun erkannte er auch die Kleidung. Halb von Schnee vereist und so nah an Voriihr gedrängt war es ihm nicht aufgefallen, doch nun sah er es ganz klar. Das war eine militärische Uniform! Leder und roter Stoff, Schulterstücke und ja, da an seiner Hüfte hing auch die Schwertscheide.
    „Ein Legionssoldat!“, rief Hjaldar aufgeregt und zog seinen Dolch, bevor der andere zu seinem Schwert greifen konnte. Es war gut, dass er so schnell reagiert hatte, die zitternde Hand ihres Feindes hatte schon fast den Weg zum Griff seines Kurzschwertes gefunden. Voriihr schlug ihm mit der stumpfen Seite seines Speers in die Seite, sodass er vor Schmerz scharf die Luft einzog. Hjaldar stürzte sich auf ihn, riss ihn zu Boden und hielt ihm den Dolch an die Kehle. Der Kaiserliche hatte keine Zeit gehabt etwas zu sagen. Nur sein flehentlicher Blick sprach von seiner Verzweiflung.
    „Habt ihrs also geschafft, ja?“ Von den anderen unbemerkt war Eirick hinter ihnen aufgetaucht. Seine Stimme klang jetzt schroff aber traurig. „Ihr wolltet es ja nicht anders. Seid froh, dass ihr ihn gerettet habt, ja? Nun … worauf wartet ihr? Tötet ihn. Das ist der einzige Grund warum wir mitten in der Nacht hier draußen sind. Je schneller wir es hinter uns bringen desto besser.“
    Jetzt wurden ihnen auch klar warum er sich so gesträubt hatte einzugreifen. Der alte Narr! Jahrzehnte lang hat er sein Leben durch die Jagd bestritten, töten gehörte zu seinem Alltag. Doch noch nie einen Menschen. Das gehörte nicht zur Mentalität hier oben, wo Überleben nur durch Zusammenarbeit möglich war. Er musste gewusst haben, dass nur eine Lösung für das Rätsel, was ein einzelner Mann hier draußen tat in Frage kam und auch was sie tun mussten, wenn sie einen solchen Menschen sahen.
    „Bitte, ich bin … bin doch nur ein Kurier. Ich sollte irgendeine Nachricht von Einsamkeit zu einem Außenposten an der Nordküste bringen. Ich kannte die Strecke nicht. Die auch nicht. Ich … hab mich verirrt.“
    „Ein Selbstmordkommando“, schoss es Hjaldar durch den Kopf.
    „Wir könnten ihn hier lassen“, sagte Voriihr mit kehliger Stimme. „Er wird nicht weit kommen. Ja, ich sage lasst ihn verrotten!“ Auch er schien nicht erpicht darauf sich die Hände schmutzig zu machen.
    Diese Möglichkeit wollte keiner der beiden akzeptieren. Einen Menschen hier draußen erfrieren zu lassen … Nein, das kam nicht in Frage. Doch auch Hjaldar konnte den Gedanken einen hilflosen Mann, den sie gerade erst gerettet hatten zu töten nicht mit sich vereinen. Er hatte sich schon darauf eingestellt im Kampf töten zu müssen, aber das? Es würde auch nicht viel nützen ihn als Gefangenen mit ins Dorf zu nehmen. Er wusste, dass das seinen Tod nur herauszögern würde. Tybald würde ihn als Spion bezeichnen, auf der Stelle exekutieren und sie höchstens noch abmahnen warum sie sich den Aufwand gemacht hätten ihn erst mitzubringen.
    „Du stirbst nicht“, sagte Hjaldar mit fester Stimme und reichte ihm die Hand. Das war nicht die Zeit vorsichtige Vorschläge zu äußern, jetzt galt es die Initiative zu ergreifen. Er wandte sich zu den anderen beiden um und sprach.
    „Wir nehmen ihn mit. An der Wache kriegen wir ihn schon irgendwie vorbei. Danach bringen wir ihn irgendwo im Dorf unter, zur Not bei einem von uns zu Hause. Eirick, wir lassen uns etwas einfallen wie wir ihn zurück nach Einsamkeit kriegen. Auf jeden Fall lassen wir ihn nicht hier!“
    Selbst der Kaiserliche sah ihn daraufhin ungläubig an. Doch keiner von ihnen widersprach ihm. Eirick nahm noch die Fackel und setzte die Satteltasche in Brand. Die Botschaften mit unbekanntem Inhalt gingen in Flammen auf. Der Bote betrachtete das mit ausdrucksloser Mine.
    Auf dem Rückweg sagte kaum einer ein Wort. Eirick schien froh darüber auf seiner alten Tage nicht doch noch zum Mörder geworden zu sein. Bei Voriihr war es wohl eher eine Mischung aus Erleichterung und Scham. Hjaldar hingegen war schlichtweg stolz das richtige getan zu haben, auch wenn er selbst sich noch nicht ganz sicher war, wie sie sie ihn zurückbringen sollten. An dieser Mond- und Sternlosen Nacht des 25. Abendsterns, an und für sich kein Tag von besonderer Bedeutung in der Kultur der Nord, hatte er gelernt auf was es hier ankam, was sie menschlich machte. Als er zu dem Mann sah, dem er in dieser Nacht schon zwei Mal das Leben gerettet hatte und dessen ganze Rasse er eigentlich hassen sollte, wurde ihm klar, dass es hier draußen keine Feinde geben sollte, vielleicht auch sonst nirgendswo.
    Der Krieg ging danach noch weiter. Doch diese beiden hatten ihren Frieden geschlossen.
    Trinovas ist offline

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