Zitat von
Tjordas
Mit einem leichten Ausdruck des Bedauerns schüttelte Julian den Kopf auf Delias Frage, ob er keine genaueren Angaben über die Anzahl der Feinde machen könnte.
„Nicht, so lange ich mich nicht mit dem Sicherheitssystem verbinden kann, Nein. Und das könnte Stunden dauern. Ich fürchte, wir müssen einfach vom Schlimmsten ausgehen“, schloss er und griff dabei instinktiv an den Griff seiner Pistole, die er sich in den Gürtel gesteckt hatte. Sein Griff klammerte sich daran sogar umso fester, je realer das weitere Vorgehen durch Odinns taktische Ausführungen wurde. Doch es beruhigte ihn, dass zumindest einer in der Gruppe mit den strategischen Finessen einer Kampfsituation vertraut war. Nur, dass er selbst als vorderster voranzugehen hatte, schien ihm eine gewisse Anspannung zu erhalten. In Ermangelung einer Alternative nickte er nach kurzem Zögern dennoch bestätigend.
„Dann nichts wie los. Wer weiß, wie lang die da oben noch bleiben werden, geschweige denn, was sie da oben überhaupt treiben“
Kurz prüfte er noch seine Pistole und ob er den neuen Thermoclip richtig eingesetzt hatte, stellte seinen Hemdkragen auf, um besser gegen den Wind und den Regen geschützt zu sein und lief dann ohne weiteres Zögern, die Pistole mit beiden Händen umklammernd, auf dem südlichen Pfad in Richtung des medizinischen Personalgebäudes. Was ihn dort erwartete, konnte er nicht wissen, doch je mehr sich das Gebäude aus dem Nebel aus Wassertropfen erhob, desto bedrohlicher wirkte es auf Julian und vermittelte ihm eine ungute Vorahnung, die er allerdings nicht recht zu erklären wusste. Die Augen unter dem auf sein Gesicht peitschenden Regen zusammenkneifend, hob er den Blick zum nur noch hundert Meter entfernten Gebäude an, um die Fassade nach irgendwelchen Anomalien abzusuchen, die sein ungutes Gefühl bestätigen würden. Doch gerade als er erkannte, dass eines der Fenster im dritten Stock offen stand, obwohl das Wetter wohl kaum dazu einlud, war es bereits zu spät. Unmittelbar neben Julian schlug etwas in das schlammige Gras auf und spritzte seinen weißen Kittel voll mit braunem Morast. Erst eine Viertelsekunde später erreichte ihn der Schall des Gewehrschusses, der die Ursache gewesen war. Erst völlig perplex starrte Julian fassungslos auf den Einschusskrater des Schusses vor ihm, dann reagierte er endlich und eilte zur Deckung hinter eine Säule der Eingangsüberdachung von Gebäude 10. Das Adrenalin trieb seinen Herzschlag und Atem innert Sekunden auf Hochtouren, sodass er für einige Sekunden völlig vergaß, seine Verbündeten zu warnen, doch gerade als er Luft holte zu einem Warnruf, unterbrach ihn der zweite Gewehrknall, dessen Kugel in zwei Metern Abstand zu Odinn ebenfalls auf dem Boden einschlug.
„Scharfschütze in Gebäude 3, dritter Stock!“, rief Julian zu ihnen, als das Echo des Schusses abgeklungen war, lediglich hoffend, dass niemand getroffen wurde.
Noch immer beinahe paralysiert vom Schock, wagte sich der Arzt nur, seinen Kopf leicht um die schützende Säule zu drehen, um bereits die nächste Deckung, einen Stromverteilerkasten dreißig Meter weiter, ausfindig zu machen. Einige Augenblicke wartete er noch ab, bis der nächste Schuss nach dem selben Intervall wie zuvor folgte, und offenbar ungezielt irgendwo in der Grasfläche einschlug wie schon die beiden Kugel zuvor. Julian nahm sich diesen Knall zum Startschuss und sprintete, zumindest so gut es seine schlechte Kondition zuließ, zum Stromkasten, stolperte auf den letzten Metern aber mehr dahinter, als wirklich kontrolliert dahinter zu tauchen Der vierte Schuss folgte wieder wie auf Abruf, doch traf dieser nicht einmal die Deckung, hinter der Julian nun schmutzig und mit vor Anspannung zitternden Muskeln kauerte. Offenbar versuchte die Person im dritten Stock gar nicht wirklich, einen der drei zu treffen, sondern gab lediglich ungezielte Warnschüsse ab – oder er war schlicht und ergreifend ein miserabler Schütze. Doch Julian würde sicher nicht das Risiko eingehen, diese These genau zu überprüfen und sammelte daher hinter seiner Deckung erst einmal neuen Atem, während er sich nach den anderen beiden umsah. Sie ausfindig zu machen erwies sich als überaus schwierig, denn der feine Regen vernebelte die Sicht so stark, dass er sich fragte, wie der Schütze überhaupt einen von ihnen hatte sehen können...