Seite 16 von 17 « Erste ... 59121314151617 Letzte »
Ergebnis 301 bis 320 von 323

Das kleine Schreibstübchen - #2

  1. #301 Zitieren
    Mies drauf  Avatar von Mr Sulak
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Somewhere, over the rainbow...
    Beiträge
    1.239
    "Und hier, meine verehrten Herren, sehen sie denn die Maschine."

    Er verwies auf ein wahres Ungeheuer, ein riesiges Ungetüm aus Blech, Metall und von unzähligen Schrauben und Nieten zusammen gehalten. Hinter dem naturbelassenen und deshalb schwächlich schimmernden Blech rumorte es wie im feisten Wanst einer Bestie; Scheppern begleitet von metallischem Surren und Schniefen, Knacken und Knirschen. Die Männer in ihren teuren Anzügen und prächtigen Bärten, die drum herum standen, hatten großzügigen Abstand gelassen; niemand war sich wirklich sicher, was es mit diesem Wesen auf sich hatte, abgesehen vielleicht von seinem Erfinder, der gleich eines verrückten Magiers sein von ihm erstelltes Geschöpf liebkoste und sogar ab und an liebevoll über das Blech strich.

    "Und was soll dieses... Ding sein?", brummte einer der verehrten Herren schließlich verstimmt.

    "Ein Großrechner, meine Herren. Ein Konstrukt, welches ohne menschliche Hilfe rechnen kann - besser als jeder Mensch es jemals könnte."

    Die verehrten Herren starrten erst den Erfinder, dann seine Erfindung, anschließend sich gegenseitig an; und zuletzt schmunzelten sie, und einer lachte unverhohlen. "Und was soll das uns bringen, so ein Großrechner?", fragte einer, der es geschafft hatte, es beim Schmunseln bleiben zu lassen. "Wenn ich etwas ausrechnen lassen will, habe ich meine Mathematiker. Ein wahrhaft unnützes Ding haben Sie da erfunden, möchte ich meinen!"

    Doch der Erfinder lächelte verkniffen, und seine Bestie gab noch im selben Moment ein Geräusch von sich, als wolle es aufspringen und einen der Anwesenden umgehend verschlingen. Die verehrten Herren wichen wie ein verehrter Herr einen Schritt zurück. "Ich bitte Sie", meinte der Erfinder. "Wem hat ein Rechenfehler seines Mathematikers nicht schon Unsummen gekostet, meine Herren? Und bedenken Sie nur die weiteren Vorteile: Keine Bezahlung. Keine Widerworte. Der Großrechner berechnet alles, was sie ihm aufgeben - fehlerfrei."

    "Vollkommener Blödsinn", brummte einer. Und ein anderer: "Zu viel Fantasie, der gute Mann."

    "Fantasie!", brüllte der Erfinder plötzlich, und die verehrten Herren machten alle einen Sprung, dieses Mal in unterschiedlichen Höhen und durchaus auch zeitlich voneinander versetzt. Festzuhalten blieb, dass keiner wirklich hoch kam, denn ihre Leibesfülle verhinderte Entsprechendes.

    "Fantasie", wiederholte der Erfinder leiser und lächelte mysteriös. "Ganz genau, meine verehrten Herren. Haben Sie doch ausnahmsweise ein klein wenig Fantasie! Denken Sie nur ein paar Jahrzehnte zurück - Pferd und Kutsche waren das Fortbewegungsmittel schlechthin, und heutzutage fährt jeder mit der Lok! Automobile werden die Welt erobern, sie tun es bereits. Wir fliegen durch die Lüfte mit metallenen Ungetümen, kleinen und großen, und nehmen den Vögeln ihr altes Herrschaftsgebiet ab mit unseren Flugzeugen! Und hat man nicht auch eben jenen Leuten, welche Flugzeuge erfanden, vorgehalten, dass sie zu viel Fantasie hätten? Zu viele Flausen im Kopf, zu viele bunte Bilder? Und doch behielten sie Recht, diese Herren, diese Erfinder, welche ihrer Fantasie freien Lauf liesen und sich dann hinsetzten und die Fantasie bändigten und erschufen, was wir heute verwenden."

    Schweigen erfüllte den Raum, abgesehen von der Bestie, die noch immer in ihrem metallenen Gefängnis vor sich hin brummte und schepperte und sich regelmäßig gegen die Wände zu werfen schien, bis - was die verehrten Herren eher noch mehr verstörte - ein leises Glöcklein, in dem Lärm fast untergehend, ertönte. Auf einem winzig kleinen Zettel, der aus einem ebenso winzigen Ritz herausflutschte, stand eine Zahl. Der Erfinder hielt denselben triumphierend hoch.

    "Fantasie, meine verehrten Herren", meinte er mit einer Mischung aus Wohlgefallen und Begeisterung. "Aus Fantasie erschaffen wir wunderbare Werke. Und dieses ist der meinen entsprungen - und könnte Ihnen schon bald helfen."

    Einige der Herren brummten. Die meisten schüttelten nur den Kopf. Und einem oder zwei leuchteten die Augen, und ihre Fantasie war beflügelt.
    Mr Sulak ist offline

  2. #302 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Rollenspiel
    Salieri ist offline

  3. #303 Zitieren
    Mies drauf  Avatar von Mr Sulak
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Somewhere, over the rainbow...
    Beiträge
    1.239
    Bist Du Ich, dann bin Ich Du.
    Doch wer sind dann Wir?
    Mr Sulak ist offline

  4. #304 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Heimsuchung
    Salieri ist offline

  5. #305 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Aufstieg
    Salieri ist offline

  6. #306 Zitieren
    Kämpfer
    Registriert seit
    Feb 2007
    Beiträge
    313
    Damals als wir noch alles wollten, immer der Beste sein, der der am meisten hat; dort zu sein wo noch keiner war, Neuschnee, Jungfrauen. Erinnerst du dich? An diese Zeit, vergeben; vergessen? Nie wirklich, aber immer suchen. Wie konnte man damals nur denken, dass das beste niemals gut genug war, das das größte höher sein musste, das es immer weiter geht, weiter gehen muss, bis zur Perfektion. Und erinnerst du dich an den Moment wo man erkannte dass das größte nicht das ist wonach man streben sollte, das die Perfektion in der Imperfektion liegt; dort wo das Leben beginnt, die Natur, das Alltägliche, dass wonach zu streben eigentlich ein Frevel ist, das was eh schon da ist. Unscheinbar und vergänglich. Nichts von Unsterblichkeit, keine Spur der Ewigkeit, der Brandmarken in tausenden Erinnerungen, sondern nur Vergänglichkeit. Das Bewusstsein das alles was man tut; jeder Moment, jeder Augenblick, jede Sekunde das einzig wahre ist; wie traurig, grausam, hässlich und von Leid geprägt sie auch sein mag; diese Sekunde ist alles was existiert, sie ist die Perfektion nach der alle streben, nach der niemand sucht und sie doch alle finden wollen; das große Nichts und das Große alles. Erinnerst du dich an diese Zeit als du das erkanntest? Den Aufstieg?
    isil ist offline

  7. #307 Zitieren
    Mies drauf  Avatar von Mr Sulak
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Somewhere, over the rainbow...
    Beiträge
    1.239
    Ein Jahr und ein Tag
    Mr Sulak ist offline

  8. #308 Zitieren
    Mies drauf  Avatar von Mr Sulak
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Somewhere, over the rainbow...
    Beiträge
    1.239
    Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, und je älter der Mensch wird, desto weiser ist er auch. Nicht unbedingt klüger, aber dennoch weiser.

    Vor einem Jahr und einem Tag habe ich so ziemlich dasselbe gemacht wie jetzt. Ich habe mich seitdem nicht wirklich weiterentwickelt, weder beruflich (ha!) noch beziehungstechnisch (Oh, mein lieber Computer!) noch sonstwie. Und klüger geworden bin ich womöglich in einigen Bereichen, welche nicht unbedingt nennenswert, sondern eher... nicht nennenswert sind. Untypische Bereiche, wie das Finden von Daten durch Google in kürzester Zeit. Oder "Blödschmarrn", wie es mein Vater gerne nennt. Unnennenswerte Dinge eben.

    Aber man nimmt gerne die Zeit zu Rate, wenn man aussagen will, wie klug oder dumm ein Mensch ist. Alten Menschen wird die Altersweisheit angerechnet, welche nicht wenige von ihnen gar nicht besitzen, wie ich mir zumindest zutraue festzustellen. Junge Menschen sind Jungspunde, wissen nichts von der Welt und sind entsprechend dumm. Aber doch sind es diese jungen Menschen, welche die Welt maßgeblich beeinflussen und ihr den Anschein geben, den sie jetzt hat, vielleicht ab und an unter der Führung der Alten, aber immer öfters unter der Führung der Kindsköpfe mit den Flausen im Kopf und den Träumen, die niemals in Erfüllung gehen sollten, es am Ende aber aus unerfindlichen und von Altersweisheit geplagten Menschen nicht zu verstehenden Gründen doch tun.

    Was aber habe ich also vor einem Jahr und einem Tag maßgeblich beeinflusst, was habe ich zustande gebracht, was für Lehren habe ich seitdem gezogen und wie helfen sie mir in meinem heutigen Leben?

    Es sind einfache Regeln, die ich schlichtweg weiter verinnerlicht habe, und sie lauten:

    1) Rege dich nicht unnötig über Dinge auf, die sich nicht mehr ändern lassen. Ärger führt zu Stress, und Stress ist erwiesenermaßen - dort sind sich Jungspunde und Altweise einig - ungesund.
    2) Ein Bier minimum in der Woche ist Pflicht. Man ist schließlich Franke.
    3) Rauchen ist ungesund, und ich sollte endlich damit aufhören. Außer die gesellige Wasserpfeife mit den Freunden; diese sollte aus sozialen Zwecken beibehalten werden.
    4) Bewahre Dir deine Kindlichkeit, denn sie macht Spaß, und wer sich seine Kindlichkeit bewahrt, wird mit den beschissensten Situationen fertig. Als Kind haben wir das immerhin auch geschafft.
    5) Höre endlich auf, so viel über dich selbst zu philosophieren.

    In diesem Sinne - ich denke, das letzte Jahr und der eine Tag waren ganz gut investiert.
    Mr Sulak ist offline

  9. #309 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Überbevölkerung
    Salieri ist offline

  10. #310 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Wahlen/Wählen
    Salieri ist offline

  11. #311 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Harmonie
    Salieri ist offline

  12. #312 Zitieren
    Mies drauf  Avatar von Mr Sulak
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Somewhere, over the rainbow...
    Beiträge
    1.239
    Harmonie.

    In der Musik ist Harmonie natürlich wichtig. Nur harmonische Musik findet Gefallen. Wobei Harmonie für jeden etwas anderes bedeuten kann; für den einen wohlklingende, beruhigende Töne, für den anderen Geschrei und lauter Lärm.

    Interessiert betrachtete er die Konzertauslagen. Schwarze Tshirts, schwarze Hosen, schwarze CD-Hüllen. Alles war in Schwarz getaucht, wie die Musik, die im Hintergrund plärrte und dessen Bass ihm durch den ganzen Körper fuhr.

    Harmonie im Lärm. Harmonie im Geschrei. Harmonie im Metal. Nun, warum nicht?

    Er drehte sich um, nahm Anlauf und stürzte sich mitten in das Gedränge der Leiber, mitten in die Wall of Death.

    Harmonie des Schmerz. Eine ganz eigene Komposition, und sie harmonisierte mit ihm.

    Harmonie ist eben doch überall dort, wo man sie nur zu finden vermag.
    Mr Sulak ist offline

  13. #313 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    "Alle für einen!"
    Salieri ist offline

  14. #314 Zitieren
    Burgherrin Avatar von Nendaloce
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Vor den Grauen Anfurten
    Beiträge
    1.831
    Alle für Einen…

    Das kommt mir so bekannt vor. Ich überlege, grüble, suche in den tiefen meines Gehirns nach einer Antwort.
    Irgendwo, irgendwann, habe ich das schon gehört, gespürt.
    Damals als ich noch zur Schule ging, ich saß in der letzten Reihe auf dem Platz direkt am Fenster.
    Es muss Frühlingsbeginn gewesen sein, Ende März, vielleicht Anfang April. Die Sonne schien mit wärmenden Strahlen ins Zimmer. Mein Tischnachbar aß sein Pausenbrot.
    Die Tür wurde aufgerissen und der Lehrer kam wütend in die Klasse gestürzt. Wir oder besser gesagt einer von uns hatte etwas ausgefressen. Und jetzt sollte er dafür gerade stehen. Doch wir haben nichts verraten.
    Was passiert war weiß ich nicht mehr, doch die Erinnerung an unseren Zusammenhalt ist mir geblieben. Der Moment mit den Sonnenstrahlen, dem leicht süßlichen Geruch des Paprikabrotes und mit der Idee der drei Musketiere: „Einer für alle, alle für einen“.
    Nendaloce ist offline

  15. #315 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    "Einer für Alle!"
    (Damit hat jetzt bestimmt niemand gerechnet. :D)
    Salieri ist offline

  16. #316 Zitieren
    Mies drauf  Avatar von Mr Sulak
    Registriert seit
    May 2006
    Ort
    Somewhere, over the rainbow...
    Beiträge
    1.239
    Einer für alle

    Er stand am Fenster. Die Zigarette in der rechten Hand, die Flasche Bier in der Linken. Die Sonne war doch noch durch die Wolkendecke gebrochen, und hier im 4. Stock hatte er eine gute Aussicht auf das wenige Treiben unter ihm. Der kalte Wind hielt die Leute in ihren Häusern, und wer sich doch rausgetraut hatte, war dick eingemummt in fester Kleidung und warmen Jacken.

    Er stand am Fenster. Und er seufzte.

    Wie einfach es nur wäre. Er war jetzt Mitte 20, hatte einiges erlebt, und manchmal fühlte er, als wäre es schon zu viel gewesen. Und dabei hatte er nicht einmal Krieg und Leid wirklich ins Auge sehen müssen. Nein, es waren die kleinen alltäglichen Probleme, die ihm Sorgen bereiteten. Jene kleine Probleme, die sich aufstauen und immer größer werden, bis ein Berg vor ihm thronte, unerreichbar groß anzuschauen und mächtig und die Sonne verdeckend. Auch wenn die Sonne ihm gerade ins Gesicht schien. Und aus seinem Hintern, zumindest für die wenigen, die ihn kannten und doch nichts über ihn wussten.

    Ja, er hatte es tatsächlich gemeistert. Dieses Phänomen, das man in der heutigen Gesellschaft beobachten kann: Immer lächeln. Niemals nachgeben. Ganz egal, wie dreckig es dir geht, die Gesellschaft um dir herum kümmert sich ohnehin nicht wirklich darum. Also wozu dann ein langes Gesicht ziehen? Immer lächeln. Smile and wave, boys, smile and wave. Wozu anderen Leuten Sorgen bereiten? Immer lächeln.

    Gerade lächelte er nicht.

    Ein weiterer Zug an der Zigarette. Der bläuliche Rauch verflog im Wind, hierhin und dorthin geschoben, bis die Fetzen sich auflösten.

    Es wäre so einfach...

    Aber die Leute brauchten ihn ja. Es gab noch immer ein paar Personen in seinem Leben, die ihn regelmäßig kontaktierten. Nicht, um ihn zu fragen, wie es ihm denn geht; er lächelte ja immer. Einem wie ihm kann es gar nicht schlecht gehen. Zumindest nahm er an, dass sie sich das sagten.

    Nein, sie kontaktierten ihn, um ihn um Hilfe zu bitten. Beim Umzug. Um ein Regal für sie abzuholen. Als Alibi. Für alle möglichen kleinen Dinge, die ihm nur noch mehr Sorgen bereiteten. Und weil er immer lächelte und bei ihm ja alles in bester Ordnung war, sagte er niemals Nein.

    Vielleicht bildete er sich ein, dass es genauso werden würde, wenn er das Spiel nur lange genug mitspielte. Lächele lange genug, und irgendwann wird es auch wahr. Irgendwann fühlst Du das Lächeln auf deinem Gesicht, und es fühlt sich nicht mehr leer an.

    Ein weiterer Zug an der Zigarette. Ein Schluck aus der Flasche Bier.

    Natürlich war dem nicht so. Er wusste es. Er verdrängte es, aber immer wieder brach es aus ihm heraus. Diese... Melancholie. Das Gefühl, alleine zu sein, obwohl ja immer wieder Leute mit ihm Kontakt suchten. Nur nicht den Kontakt, den er vielleicht brauchte.

    Die Zigarette war bis zum Filter abgebrannt. Er drückte sie im Aschenbecher aus, fummelte kurz in seiner Hosentasche, zog eine neue Zigarette hervor. Das Feuerzeug knipste ein, zwei Mal, dann nahm er einen neuen, alten, tiefen Zug.

    Nichts würde sich ändern. Das war eigentlich das Schlimmste. Er wusste es. Er wusste es genauso, wie er wusste, dass morgen die Sonne wieder aufgehen würde.

    Er fühlte sich alleine. Und hilflos.

    Es wäre so einfach...

    Aber wer würde dann den Leuten helfen? Wer würde seine Beerdigung bezahlen? Wollte er das den wenigen, die ihn kannten - oder es zumindest glaubten zu tun - wollte er ihnen das wirklich antun? Auf die Beerdigung eines Mitt-Zwanzigers zu gehen, nur weil dieser sich alleine fühlte? Weil niemand die Fragen zu stellen schien, die ihm geholfen hätten?

    Und es gab ja die Fragen. Ab und zu schien doch jemand mitzubekommen, dass etwas nicht stimmte. Wenn das Lächeln verschwand und dem stummen Blick wich. Wenn seine Miene ausdruckslos wurde, er ziellos einen Punkt im Universum anstarrte und nichts sagte.

    Und jedes Mal blockte er wieder ab. Wozu anderen Leuten Sorgen bereiten? Wozu sein Leid teilen, nur, damit andere es mit tragen müssen?

    Smile and wave, boys. Smile and wave.

    Ein Zug an der Zigarette. Der bläuliche Dunst, vom Winde verweht, dringt ihm kurz ins Auge. Es tränt.

    Und er war sich nicht einmal sicher, ob es der Zigarettenrauch war... oder er selbst.

    Einer für alle. Das war er immer gewesen. Derjenige, der für andere da war. Und wenn er selbst das nicht mehr sein konnte...?

    Smile and wave, boys.

    Smile.

    And wave.
    Mr Sulak ist offline Geändert von Mr Sulak (23.04.2017 um 19:32 Uhr)

  17. #317 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Flucht
    Salieri ist offline

  18. #318 Zitieren
    Kind des Zorns  Avatar von Dares
    Registriert seit
    Dec 2009
    Beiträge
    8.845
    Dies ist die Geschichte eines Mannes der im 20. Stock an einem Fenster stand und nicht sprang.
    "Geschichte ist immer eine Lüge!", bemerkt eine laute, männliche Stimme aus dem Hintergrund des grauen Treppenhauses.
    Woher weiß der was Ich denke?
    "Ist ja gar nicht so schwer.", antwortet die Stimme im gleichen lauten Tonfall. "Außerdem finde ich es ziemlich frech, dass du mich DER nennst." Dabei betont die Stimme "Der" äußerst verächtlich. Danach wechselt die Stimmlage und es hört sich nach einer Frauenstimme an. "Na was is' denn jetzt du toller Hecht? Doch Wackelpudding in den Beinen gekriegt!?", fragt sie vorwurfsvoll.
    Ich konnte es meinen Eltern nicht antun!
    Die Stimme schnaubt verächtlich und fragt dann: "Die Eltern die du so sehr hasst, dass du von zuhause weggerannt bist um von einem Hochhaus zu springen?"
    Ja. Genau. Sie brauchen mich vielleicht noch.
    "Brauchen ist immer eine Lüge" wiederholt die Stimme ihren Satz, nur mit anderem Substantiv. "Die brauchen dich nicht. Niemand braucht dich. Du hast dir ja sogar noch das schäbigste Hochhaus hier im Viertel rausgesucht!" Die Stimme lacht hämisch.
    Du verstehst es nicht. Ich war da oben und Ich habe es gesehen.
    "Was denn gesehen?" Die Stimme hört sich durchaus neugierig an.
    Gott.
    "Gott?", fragt die Stimme uniteressiert. "Gott ist auch immer eine Lüge."
    Wie kann man denn eine Lüge sehen?
    "Dieses ganze Menschengeschlecht lebt seit Jahren eine Lüge." Die Stimme hört sich entrüstet an. "Und du fragst mich wie man eine Lüge sehen kann." Sie lacht trocken auf. "Wenn man eine Lüge leben kann, dann kann man sie auch sehen." Die Stimme scheint sich nach oben zu entfernen. "Vielleicht solltest du noch einmal hinsehen gehen!"
    Lieber nicht.
    "Dann sag mir was du gesehen hast! Und dieses Mal die Wahrheit!"
    Ich habe einen Mann gesehen der von einem Hochhaus fällt. Mehr nicht.
    "Und wieso bist du dann nicht gesprungen?"
    Weil es nicht reicht. Es reicht nicht von einem Hochhaus zu springen.
    "Wieso reicht es nicht. Es wäre das Ende." Die Stimme kommt anscheinend wieder näher und wird etwas ruhiger und leiser.
    Das Ende von was? Das Ende von mir. Der Rest geht ohne Gnade und ohne jeden Funken von Verbesserung einfach weiter. Es reicht einfach nicht.
    "Warum wolltest du denn überhaupt springen?", fragt die Stimme einfühlsam.
    Das ist ein weiterer Grund gewesen nicht den Schritt nach vorne zu machen. Nicht in den Abgrund zu gehen. Als ich da oben stand, wusste ich es nicht mehr. Ich hatte keine Ahnung mehr warum ich in dieses Hochhaus gegangen bin. Ich glaube aber, ich glaube, ich wollte ein Zeichen setzen.
    "Ein Zeichen für was?"
    Ein Zeichen dafür, dass man so nicht mit Menschen umgehen kann. Man kann nicht von freien Menschen verlangen sich "freiwillig" in Sklaverei zu begeben.
    "Wer würde sich schon freiwillig in die Sklaverei begeben?", fragt die Stimme bohrend. "Was meinst du denn?"
    Ich meine diese Welt. Wir brauchen Geld, denn wir brauchen alles. Wasser, Kleider, Essen, Ansehen. Mir hat es gereicht. Ich wollte nicht mehr in diesem System leben.
    "Dann hast du ja schon wieder gelogen.", zischt die Stimme und scheint sich zu entfernen. "Dann weißt du ja doch warum du springen wolltest. Tu's doch. Setz' ein Zeichen."
    Du hast mich doch dazu gebracht es zu konstruieren. Du willst mich springen sehen! Wer bist du?
    "Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich gar nicht wer ich bin, reicht es nicht zu sein?" Die Stimme klingt kleinlaut.
    Zu sein reicht uns allen nicht. Wir brauchen mehr.
    "Was wird denn mit uns, wenn wir dieses "mehr" nicht finden?"
    Dann werden wir zu Maschinen. Wunderbare Maschinen.
    "Warum wunderbar? Eine Maschine zu sein stelle ich mir schrecklich vor."
    Weil in diesen Maschinen noch immer der Funke steckt der uns nach "mehr" streben lässt. Der Funke der keine Ruhe lässt. Der Funke der auch diese Maschinen dazu treibt ein- oder zweimal im Jahr um den Globus zu reisen, damit sie ausbrechen können. Damit sie sich zumindest nicht wie Maschinen fühlen.
    "Das hört sich für mich sehr verachtend an."
    Ich verachte sie nicht. Ich liebe sie. Ich hasse sie. Ich bewundere sie. Ich verachte sie. Ich fühle all diese Emotionen gleichzeitig und es macht mich schier wahnsinnig. Aber am Ende sind es auch nur Menschen die vielleicht im Leben eine falsche Abzweigung genommen haben, oder nie nach mehr gesucht haben und immer dem geraden Weg vor ihnen gefolgt sind.
    "Warum machst du dir so viele Gedanken über andere Menschen? Hast du nicht eigentlich genug eigene Probleme."
    Natürlich. Eigentlich hat wohl jeder genug mit sich selbst zu tun. Aber wenn jeder nur an sich denkt verzweifeln alle alleine. Ich will eine andere Art zu leben. Ich will eine Welt in der Menschen zueinander stehen. In der man seinen Nächsten fragt und man eine gerade Antwort erhält. Eine Menschheit die Fehler verzeiht und nicht bei einem Mückenstich die Endzeit heraufbeschwört. Kurz: Wir brauchen die Revolution.
    "So mit brennenden Autos, Städten und toten Menschen?"
    Nein. Wir brauchen eine Revolution die nicht aus Hass geboren ist. Die auskommt ohne ein Feindbild das sich in Menschen manifestiert. Natürlich ist das System von Menschen gebaut. Aber man muss diese Menschen dafür nicht hassen. Man sollte Menschen nicht dafür hassen oder verachten, dass sie zuerst an sich denken. Das ist auch Teil von Evolution. Man gewinnt nichts wenn man zu allen nur immer nett ist.
    "Hast du dann nicht gerade deine eigene Revolution zerstört?"
    Vielleicht. Aber da oben, da oben habe ich gemerkt, dass es nicht zu versuchen schrecklicher ist als zu scheitern.
    "Also rennst du weg?" fragt die Stimme und sie scheint sich weiter nach oben zu entfernen.
    Ich renne nicht weg. Ich habe aufgehört zu rennen. Ich gehe auf meine Probleme zu und stelle mich ihnen entgegen. Ich versuch' es. Es nicht zu versuchen ist Feigheit.
    Die Stimme bleibt eine Weile stumm. Dann scheint sie ganz nah und flüstert: "Warum rennst du jetzt weg vor der einzigen wirklichen Lösung?"
    Weil ich nur glaubte, dass der Tod die Antwort sei. Aber der Tod ist keine Antwort. Nichts wird besser, nur weil man stirbt. Wenn man stirbt, dann sollte der Tod wenigstens etwas bedeuten. Ich hingegen hinterlasse nichts, wenn ich heute sterbe, noch nicht einmal einen Abschiedsbrief. Niemand würde meine Gedanken kennen. Niemand würde wissen für was ich gestorben bin. Es wäre ultimativ sinnlos. Ich muss zuerst leben, bevor ich sterben kann. Mein Problem geht tiefer als ich. Mein Problem ist mehr als mein innerer Krieg. Mein Problem ist Teil dieser Welt. Und wenn ich nicht wenigstens für einen Menschen, außer mir, mit meinem Tod etwas gutes erreiche, dann war alles umsonst. Dann sterbe ich für nichts. Dann habe ich für nichts gelebt.
    "So viel Pathos." beschwert sich die Stimme während sie sich leise entfernt. Dann ruft sie laut. "Ich hoffe du schaffst es zu leben, was du dir vorgenommen hast."
    Ich auch. Aber du hast es leicht. Ich muss jetzt noch ein ganzes Leben leben und ihm einen Sinn geben. Und das bevor ich überhaupt weiß wer ich überhaupt bin, geschweige denn wer ich sein will.
    "Am Ende werden wir uns wiedersehen. Und dann erzählst du mir deine Geschichte."
    Dares ist offline

  19. #319 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Geschichten aus einer Nacht
    Salieri ist offline

  20. #320 Zitieren
    Truhe  Avatar von Salieri
    Registriert seit
    Aug 2007
    Ort
    Braunschweig, NDS
    Beiträge
    2.396
    Ödnis
    Salieri ist offline

Seite 16 von 17 « Erste ... 59121314151617 Letzte »

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •