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Erschöpft erreichten Faraday und Charlotte am Abend schon die Taverne "Zur gespaltenen Jungfrau". Sie waren schneller als erwartet voran gekommen, aber das lag einzig und allein daran, dass Charlotte den Wagen von ihrem Pferd Tosca hat ziehen lassen. Dafür hätte das arme Geschöpf eine extra große Mahlzeit verdient, hoffentlich gab es das im Stall für einen nicht allzu horrend hohen Preis.
Nachdem sie das Tier festgemacht hatten, karrte Daniel den Wagen selbst vor die Tür der Taverne und hievte die Kiste mit den Glasgeräten heraus.
"Würdest du bitte..."
Charlotte machte ihm die Tür auf, da er mit beiden Armen halten musste. So schwer war die Kiste zwar nicht, aber es musste ja nun auf den letzten Metern wirklich nichts mehr zu Bruch gehen. Drinnen empfing sie die gewohnte stickige Luft des Gasthauses. Doch es roch nicht einmal übel, die Köchin musste einen Braten gekocht haben.
"Du... wartest du vielleicht erstmal hier, dann gebe ich die Sachen ab und dann..."
"Ich kann doch auch einfach mitkommen", meinte Charlotte.
"Ja... natürlich."
Er stellte sich an den Tresen und wartete, dass die Wirtin auf ihn aufmerksam wurde. Das war sie zwar schon längst, hatte aber von selbst noch nichts gesagt, darum war Faraday verunsichert.
"Hallo", rief Charlotte nun.
"Na Kleine", antwortete die Wirtin und schaute kurz abwertend zu Faraday herüber und winkte dann ab.
"Du hast dich das letzte Mal nicht mal vorgestellt."
"Oh, das tut mir... aufrichtig leid, ich bin Daniel Faraday. Und das hier ist Charlotte."
"Ich bin Murdra", sagte die Wirtin an Charlotte gewandt, "Wollt ihr irgendwas? Ist das eine Lieferung für mich?"
"Für Herrn Esteban, ist er noch zugegen?"
"Jeden Tag..."
Murdra nickte in Richtung eines Tisches, an dem der seltsame Mann saß und Daniels Ankunft bereits registriert hatte.
"Ihr wollt doch bestimmt wieder hier pennen, was?"
"Ja...", Faraday kramte aus seiner Tasche die nötigen zwanzig Münzen für die billigsten Schlafplätze, "Ist das genug?"
"Nein", antwortete Murdra gelangweilt, "Aber von euch kann ich auch nicht mehr erwarten, von daher..."
Der Barbier wusste darauf nichts zu antworten und bat stattdessen Charlotte, kurz nach dem Athanor zu schauen, damit er Esteban begrüßen konnte.
Er kam gleich mit der Kiste bis an seinen Platz und stellte sie auf den Boden neben dem Tisch.
"Hallo Herr Esteban. Wie ausgemacht... hier ist euer Labormaterial. Schaut ruhig hinein, es sollte alles dabei sein, beste Ware von Stewarks Glasbläsern und Schmieden. Wartet, ich hole... Charlotte!"
Seine rothaarige Begleiterin stand schon wieder neben ihm und stellte den Athanor zur Kiste.
"Ähm... ja, darf ich vorstellen? Charlotte, sie ist Jägerin. Sie begleitet mich heute. Charlotte, das ist Herr Esteban."
"Hallo", sie reichte ihm die Hand...
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 nomina nuda tenemus
Völlig ungewohnt über diese Vorstellung und deswegen etwas perplex reichte er der blassen jungen Frau die Hand, die sie zart und vorsichtig drückte.
»Aha, Charlotte also.«
Um dann sofort auf das Thema, das ihn viel mehr interessierte, umzuschwenken. So fragte er Faraday mit Blick auf die Kiste: »Ihr habt die Waren, für deren Beschaffung ich Euch beauftragt hatte?«
Nachdem dieser nur nickte, öffnete Esteban ohne größere Umstände den Deckel und begann, den Inhalt zu untersuchen.
Gläser, Flaschen, langhalsige Gefäße, dünne Röhrenschlangen, eingepackt in Holzwolle, Tongefäße mit Deckel oder auch angeschliffen und mit passendem Verschluss verbargen sich darin. Dazu noch kupferne Heizpfannen, tönerne und steinerne Tiegel, Mörser, Schälchen, ein Satz von metallenen Dreibeinen, um Gefäße darauf zu stellen und deren Inhalt über einer Flamme zu erhitzen. Und noch eine Menge mehr. Und daneben ein Alchimistenofen. Gedacht zur Sublimation der Elemente, der Transmutator.
»Wieviel habt Ihr dafür bezahlt?«, fragte Esteban dann auch, als er die Sachen zu seiner Zufriedenheit begutachtet hatte?
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Oha, wieso hatte er mit der Frage nicht gerechnet? Eigentlich wusste er ja, dass sie kommen musste und eigentlich kannte er auch die Antwort, denn Worgan hatte sich beschwert, dass die Schmiedin mehr als erwartet genommen hatte.
"Dreihundertdreißig Münzen waren es", sagte er ehrlich aber doch beklemmt. Was sollte er jetzt tun? Er schuldete Worgan noch mindestens einhundertachtzig Münzen, wenn Esteban ihm diese Summe noch nachzahlen würde. Aber er war nun in Stewark nicht gerade ein sehr gern gesehener Mann mehr. Irgendwie musste er das wohl regeln. Aber das würde er erst können, wenn Esteban ihm wirklich noch das restliche Geld aushändigte. Vielleicht hatte es auch zu viel gekostet und sein Gegenüber war gar nicht in der Lage, es zu bezahlen.
Da kam ihm plötzlich Murdras Satz in den Sinn. Esteban war hier Stammgast, also MUSSTE er eine Menge Geld besitzen. Es würde sich wohl gleich zeigen, ob er ein anständiger Geschäftsmann war oder knauserte.
Charlotte bestellte sich selbst und Daniel inzwischen ein Glas Wasser...
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 nomina nuda tenemus
Gerade wollte Esteban sich an Faraday wenden, um ihm weitere Fragen zum Preis zu stellen (obwohl er in Wirklichkeit mit der Qualität der gelieferten Waren sehr zufrieden war), da bemerkte er, wie das blasse rothaarige Mädchen Wasser bestellte. Wasser? Weshalb bei Beliar bezahlte sie für Wasser in der Taverne? Klar, Murdra strich ohne mit der Wimper zu zucken das Gold dafür ein. Aber Wasser? Das gabs draußen im Brunnen kostenlos. Oder im Bach, oder überall auf der Insel. Was für Leute...
Er schüttelte noch ganz in Gedanken über diese nahezu empörende Geldverschwendung mit dem Kopf. Was Faraday sofort falsch deutete. Esteban bemerkte den fragenden Blick und so kam es, daß er sich beeilte, zu versichern, daß alles in bester Ordnung wäre. »Die Waren, die Ihr mir geliefert habt, sehen gut aus. Ich konnte keine Fehler im Glas, keine Sprünge in den Tiegeln und keinen Rost an den metallenen Teilen entdecken. Ihr habt Eure Aufgabe gut ausgeführt. Daß es etwas teurer war - nun gut. Aber damit habe ich schon fast gerechnet. wer Qualität haben will, muß zahlen. Das war schon immer und überall so.«
Er löste die Geldkatze vom Gürtel, der seine einfache Kutte um die Hüften zusammen hielt und begann, die noch fehlenden einhundertfünfzig plus die zusätzlichen dreißig Münzen abzuzählen. Die kleinen, nur daumennagelgroßen und hauchdünnen Scheiben waren mit verschiedenen Symbolen Argaans beprägt. Einer Art Feuertatze - oder was auch immer, den Wellen Adanos', einem königlichen Reiter und weiteren auf Münzen üblichen Dingen.
Am Ende nahm er zehn Münzen vom Haufen wieder weg.
»Und dies ist der Anteil, den Ihr für das Nachtlager vor einigen Tagen gezahlt habt.«
Er legte noch sechsundfünfzig Münzen dazu und erklärte: »Das macht insgesamt sechsundsechzig. Das sind zwanzig Prozent vom Preis. Dies ist Euer Botenlohn, den Ihr Euch verdient habt. Gebt ihn für Wasser aus oder für sonst etwas«, schloss er ein wenig brummig.
Er schob beide Haufen über die Tischplatte.
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Ein wenig verunsichert über den Kommentar aber dennoch dankbar nickend nahm Faraday das Geld entgegen und füllte den größten Teil davon in seinen Proviantbeutel. Als dann Murdra kam und die zwei Goldmünzen für das Wasser verlangte, ahnte der Barbier schon etwas, aber ließ es sich nicht anmerken. Immerhin konnte er hoffen, dass alle Grobpartikel aus dem Wasser gefiltert waren, anders als bei bloßem Brunnenwasser.
"Dankeschön", sagte Faraday noch einmal brav und nippte an seinem kostbaren Getränk, "Ich... ich möchte nicht zu aufdringlich sein, aber habt ihr nicht vielleicht noch eine Aufgabe für mich? Wisst ihr, ich arbeite nicht mehr für Worgan, das... das Geld kriegt er natürlich trotzdem noch geliefert, aber ich bin jetzt wieder auf der Suche nach Arbeit. Neulich habt ihr ja noch nach einem Kräutersammler gesucht, habt ihr da schon jemanden gefunden?"
Charlotte hatte ihren Becher in einem Zug geleert.
"Du solltest sparsamer damit sein", flüsterte Daniel ihr zu.
Sie zuckte mit den Schultern: "Ich habe Durst. Aber ich bestell schon nichts mehr... ist ja noch was von dem Proviant übrig."
"Richtig", er lächelte ihr zu, doch auf ihrer Miene regte sich nichts. Dann wandte er sich wieder Esteban zu.
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»Achja, der Kräutersammler«, erinnerte sich Esteban. Wobei ihm außerdem dieser Syrus einfiel, den er auf die suche nach Sumpfkraut geschickt hatte. Ob er den jemals wieder sah? Er mußte aufhören, so vertrauensselig zu sein!
»Nun«, antwortete er, »das Kräutersammeln jetzt im Winter ist sicher eine mühselige Sache, schließlich wächst ja gerade nichts. Und wenn man etwas findet, dann nur die vom Wild abgenagten und vertrockneten Strünke vorjähriger Pflanzen. Aber es gibt eine andere Arbeit, die Ihr für mich erledigen könnt. Ich benötige einige Bögen Pergament. Allerdings nicht irgendeinen, sondern den weißen, feinporigen und dabei besonders festen. Sowas gibts sicher nur in Thorniara. Wenn Ihr Euch also noch etwas verdienen wollt, dann schaut in Thorniara vorbei und sucht einen Händler, der so etwas führt. Fünfzig Bögen sollten genügen. Wenn es weniger werden, weil nicht mehr vorrätig sind, dann auch gut.«
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"Oh Thorniara...", überlegte Faraday betrübt und wollte schon abwinken. Dort konnte er nicht hin, er war ja verbannt. Genau wie aus Stewark, seine Situation wurde langsam heikel. Er musste lernen, sich nicht in jeder Stadt, die er besuchte, gleich in unglückliche Umstände zu stürzen. Hilfesuchend blickte er nun zu Charlotte, dann wieder zu Esteban.
"Ich glaube nicht, dass das ein guter Auftrag für mich ist, wisst ihr, ich..."
"Ich mach's", sagte seine Begleiterin prompt, "Ich kenn dort jemanden vom Markt her, der Pergament verkauft, ich war da manchmal mit den Jägern. Und Daniel kann mich begleiten, oder?"
"Ähm... ja, okay so machen wir es."
Faraday war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, konnte aber auch verstehen, dass Charlotte sich finanziell ebenso in die Enge gedrengt sah.
"Wie sieht es mit einem Vorschuss aus?", fügte sie gleich noch an und Faraday seufzte.
"Ach... wir haben doch genug Geld jetzt und..."
"Ich will es nur nicht umsonst kaufen", sagte sie schulterzuckend, "Herr Esteban ist doch ein guter Geschäftspartner. Fragen kostet doch nichts."
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»Fünfzig weitere Münzen könnte ich entbehren«, gab Esteban nach einer Weile des Abwägens widerwillig von sich.
»Aber mehr nicht. Alles, was Ihr darüber hinaus ausgebt, bekommt Ihr nach Lieferung der Ware von mir ersetzt. Seht Euch einfach als fahrenden Pergamenthändler. Vielleicht macht ihr ja damit einen guten Gewinn.«
Er kramte erneut in seinen Taschen und förderte noch ein weiteres Häufchen der kleinen argaanischen Münzen zutage.
»Hier, das sollte fürs Erste genügen. Ihr findet mich wie immer hier in der Jungfrau.«
Sprachs, verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und verschwand die Treppe hoch über die Galerie in sein Zimmer.
Denn die vor Stunden schon nebenher herangewunkenen Stammgäste, Fischer und Holzfäller hatten inzwischen schon längst für einige Münzen all die Gefäße und Kisten, die ihm Faraday geliefert hatte, nach oben gebracht und saßen schon längst wieder an ihren Tischen, das Bier, das sie mit dem Lohn dafür gekauft hatten, genüßlich schlürfend. Nur der Athanor stand noch im Hof. Er würde in den nächsten Tagen nach oben gewuchtet werden. Egal was Murdra dazu sagte. Und eine Erhöhung der Miete deswegen brauchte sie gar nicht erst versuchen.
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"Willst du wirklich nichts mehr?", Faraday winkte seiner Begleiterin mit dem Körnerbrot vor der Nase herum, denn er konnte nur ahnen, wie nah sie ihm in der Finsternis des engen Kämmerchens war. Hin und wieder konnte der Duft ihrer zarten Haut jenen Gestank des alten Strohs, das hier oben gelagert wurde, übertreffen, dann fühlte sich Daniel wie im siebten Himmel. Doch die meiste Zeit wünschte er sich, das mit dem "Ins Heu steigen" würde er anders erleben. Aber da stieg die übertriebene Fantasie wieder zu weit in seine Gedankenwelt auf und er musste sich der Realität besinnen.
"Nein, heben wir es uns für die Reise auf", antwortete Charlotte leise in Rücksicht auf die anderen Reisenden, Bauern und Holzfäller, die ebenso in einer der Nischen von Murdras Stallgebäudes eine Pritsche mitsamt Decke bekommen hatten. Faraday kannte diese Sorte von Stoff, in die er sich zum Schutz vor der Kälte einmummeln musste. Das waren Pferdedecken oder, wenn man optimistisch dachte, würden sie es erst eines Tages werden. Aber Faraday war kein Otimist.
"Hoffentlich wird es nicht allzu hart...", überlegte er, als er das Brot zurück in seinen Proviantsack steckte, "Ist dir auch nicht zu kalt."
"Nein", antwortete sie knapp und gähnte.
Der Mond tat Daniel einen Gefallen und sandte seine Strahlen nach ein paar Minuten durch ein Fenster. Schemenhaft konnte er nun seine wunderschöne Begleiterin beobachten, ihren leisen, gleichmäßigen Atem vernehmen und einfach nur diesen Moment genießen.
Dummerweise ging er einen Schritt zu weit und neigte sich näher zu ihr heran. Eine Haarsträhne hing ihr ins Gesicht und er... er benahm sich dumm.
Sie zuckte zusammen und öffnete die Augen. Erwischt.
"Was machst du?"
"Ich... da hing ein Stückchen Stroh... ich..."
"Schlaf lieber", murmelte sie und drehte sich um. Und er biss sich auf die Unterlippe, denn nun konnte ihn nur noch ihr Rücken entzücken.
Er seufzte und drehte sich seinerseits ebenfalls um...
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"Autsch!"
Murdra war gerade noch mal im Stall gewesen und wollte eilig mit dem Frisch geschlacheten Huhn in die Küche rennen, als sie sich zum x-ten mal an dieser Kiste gestoßen hatte. Jetzt hatte sie sich auch noch einen Holzspan in den Fuß gerammt und die Strümpfe die sie in den Sandalen trug hatten ein Loch mehr. Genervt legte sie das kopflose und gerupfte Huhn auf die Kiste. Zuerst hüpfte sie kurz auf einem Bein herum und fiel fast dabei um, als sie versuchte sich den kleinen Splitter aus dem großen Zeh zu ziehen. Besonders gelenkig war die dicke Wirtin nicht. Sie hatte es aber doch noch geschafft.
Neugierig umrundete sie die Kiste und dann entdeckte sie ein Astloch. Die beleibte Wirtin bückte sich, stöhnte ein wenig wegen der Anstrengung die das verursachte und guckte durch das Astloch. Drinnen wars natürlich stockfinster.
"So ein Mist!", fluchte sie. "Wenn ich den Esteban erwische, dann frag ich ihn was die Kiste hier zu suchen hat. So gehts ja nicht. Zu dem Zimmer gehört doch kein Lagerplatz in meinem Hof. Unverschämt was der sich heraus nimmt.", brummelte sie sich in den Damenbart und hatte an diesem Abend eine Stinklaune. Besser wäre es sie nicht drauf anzusprechen...
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Carlos hatte ihn über hohe Pässe, steinige Grate, nicht enden wollende Schotterhalden und schliesslich durchs Dickicht geführt. "Erstaunlich, dabei folgt der Mann nur seinem Bierinstinkt", murmelte er, als sie nach Tagen in der Wildnis ein letztes Gebüsch durchdrangen und in der Ferne einen Gasthof in idyllischer Lage entdeckten. "Das muss die Gespaltene Jungfrau sein, was?", seufzte Wendel Thoke. Sein Begleiter stützte die Hände in die Hüften und genoss den Moment in vollen Zügen. Wendel, der noch nicht wusste, was ihn erwartete, rückte lediglich sein Schwert zurecht und bat Carlos, das genüssliche Seufzen noch aufzuschieben, bis sie ihr erstes Bier in Händen hielten.
"Es wäre nämlich nicht das erste Mal, dass ich tagelang gewandert bin, nur um dann in einer leergesoffenen Kneipe zu stehen" - "Wendel, das ist nicht irgendeine Kneipe. Sieht es etwa aus wie eine Kneipe?" - "Jaja, ich hab's gehört. Es ist DIE Gespaltene Jungfrau. Du spaltest gern Köpfe, ich spalte gern... naja, hat auch was mit Jungfrauen zu tun. Nun lass uns schon gehen!" Carlos seufzte natürlich schon genüsslich bevor sie die von einer Pallisade umgebene Gaststätte erreicht hatten.
Ein müder Jäger grüsste die beiden. Sie nickten freundlich zurück und steuerten schnurstracks auf die Theke zu. "Hallo Murdra! Wir nehmen was es gibt und zwei Dunkle!", rief Carlos strahlend über den Tresen. Einen Moment lang dachte der Ganove über die Komik dieses Satzes nach, wenn man ihn vom Kontext getrennt gehört hätte. Dann setzte er sein breites Grinsen auf und stellte sich neben Carlos an die Theke.
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Die kleine Wunde am Zeh der Wirtin hatte sich entzündet. Vielleicht sollte sie doch den Esteban bitten es sich an zu schauen, aber "danke" sagen wollte sie nicht, deshalb kippte sie lieber ein Glas klaren Schnaps drüber.
Kaum hatte sie sich wieder aufgerichtet und den stechenden Schmerz, den der alkohol in der Wunde angerichtet hatte überwunden, strahlte sie ein neuer Gast an. Gesehen hatte sie ihn schon mal. Er kam recht selten vorbei, aber Grengar schien zu wissen das er bis jetzt noch nie Ärger gemacht hatte, aber was war mit seinem Begleiter, der sie ebenso freundlich lächelnd anschaute?
"Zwei Dunkle, geht klar. Dazu Pilztopf. Ihr esst doch Pilze?"
Die beiden nickten.
"Gut dann setzt euch. Ich bringe euch gleich schon mal die beiden Dunklen."
Gesagt getan. Danach humpelte sie zurück in die Küche.
Die Pilze hatte Murdra im letzten Herbst gesammelt und sie danach getrocknet. Ob man den Unterschied zu frischen Pilzen schmeckte konnte sie nicht sagen, denn sie hatte auch ordentlich Zwiebeln Knoblauch und Speck hinein getan. Es duftete herrlich.
Der Pilztopf dampfte sogar noch als er schon vor den beiden Männern auf dem Tisch stand. Ein Körbchen mit Brot hatte die Wirtin vergessen, holte es dann aber noch, denn die beiden sahen so aus als könnten sie ihre Zeche locker bezahlen. Das hatte Murdra gern, wenn die Kasse klingelte.
"Guten Appetit, darfs noch was sein?"
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"Eine Stätte um zur Ruhe zu kommen wäre mir ganz genehm", meinte Wendel Thoke und spielte dabei ungeduldig mit dem Löffel. Das Pilzgericht war drauf und dran, seine Sinne zu betören. "Und ich denke Carlos hätte auch gerne ein Zimmer. Wir haben...", er warf dem Akademiemitglied ein schiefes Grinsen zu "andere Schlafgewohnheiten. Frühaufsteher und so... Hättet ihr zwei Zimmer für uns, gute Frau?"
Der Gauner hatte bereits bevor sie mit dem Brot gekommen war die Taverne auf allfällige Unterhaltung durchleuchtet. Bis auf die Wirtin, welche jedoch bei weitem nicht die - nennen wir es Ausstattung - der Wirtinnen in Al Shedim hatte, befanden sich nicht allzu viele weibliche Wesen im Raum. Doch, wie sagte man noch so schön? Der Appetit kommt beim Essen. Vielleicht folgten also auch noch die Häppchen.
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Murdra kniff ein Auge zu und überlegte. Zwei Zimmer müssten noch frei sein. Das eine war noch so wie der letzte Gast es verlassen hatte, unmöglich es so den Herren anzubieten.
"Ein Zimmer mit Frühstück kostet 25 Goldstücke. Eins könnt ihr sofort haben, dann andere muss noch hergerichtet werden.", verkündete sie kurz und knapp. Danach überließ sie die Wirtschaft dem Knecht und kümmerte sich um das Zimmer. Die alte Holztreppe knarrte unter dem Gewicht der Wirtin, doch Morsch war die noch lange nicht, dachte Murdra. Doch passierte es. Eine Holzstiege bracht und der sowieso schon lädierte Fuß steckte zwischen der zerbrochenen Holzstufe fest.
Murdra war außer sich vor Wut. Auf Grengar, auf den Knecht und natürlich auf Belgor, der schon einige Jahre unter der Erde lag.
"Glotzt nicht so dämlich. Helft mir lieber hier raus.!" schrie sie ihre Gäste an.
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Wendel und Carlos standen beide von ihrem Tisch auf und zogen ihre Schwerter. "Ihr wollt mich doch nicht abstechen! So weit ist's noch nicht!", protestierte die Wirtin lautstark. "Zwei saubere Streiche zur gleichen Zeit und wir könnten die Stufe heraustrennen", schlug Wendel vor. "Nein, siehst du nicht? Die gute Frau fürchtet um ihr Bein" - "Carlos, wir können Kirschen spalten, weshalb nicht..." doch da hatte der Freund das Schwert bereits weggesteckt und zerrte an der eingebrochenen Stufe. "Nein, nein. Du zersplitterst das Ganze nur!", murrte Wendel und legte seinen Waffengurt nieder.
Die Wirtin konnte ihn nicht sehen. Allen anderen blieb das Spektakel nicht verborgen: Der Ganove schüttelte etwas seine Glieder aus, nahm dann die kritische Stufe ins Visier und trat sie mit einem einzigen Tritt aus ihrer Verankerung. Carlos reagierte schnell und stützte die Wirtin am Knie. "Na los... Wir brauchen jemanden, der sich den Fuss ansieht", rief er in die Zuschauerrunde.
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»Laßt sehen«, ließ sich eine Stimme vernehmen. Ein in eine grobe und einfache Kutte gewandeter Gast mit weißen Haaren und seltsam dunkler Haut näherte sich, um sich die Bescherung anzusehen.
»Ich bin Heiler«, erklärte er dann.
»Setzt sie hin«, wies er die beiden an, die Wirtin vorsichtig auf eine der ganz gebliebenen Stufen zu setzen oder ihr wenigstens dabei behilflich zu sein.
Vorsichtig befühlte er den Knöchel der Frau, nachdem er ohne viel Federlesens den Strumpf der Wirtin nach unten gezogen hatte, um die Verletzung begutachten zu können.
»Da ist nichts gebrochen oder verrenkt«, befand er dann.
»Lediglich einige Abschürfungen durch die gesplitterte Stufe. Ich werde eine Salbe aus meinem Zimmer holen«, sprachs und war flugs die Treppe hinaufgestiegen, geschickt über die fehlende Stufe gesprungen und dann im Dunkel verschwunden. Schon nach wenigen Augenblicken kehrte Esteban zurück.
»Kann jemand heißes Wasser holen? Und ein Tuch?«
Einer der Jäger - offenbar ein Stammgast - setzte sich in Bewegung und fuhrwerkte in der Küche herum. er kannte sich wohl aus, denn schon bald kam er mit einer kleinen Schüssel voll dampfenden Wassers und einem Handtuch über dem Arm wieder zum Vorschein.
»Gib her«, gab Esteban barscher als es klingen sollte von sich und setzte ein »Danke!« nach wie um sich für den rüden Befehlston zu entschuldigen.
Er kniete sich vor die verletzte Wirtin, tränkte das Tuch in der Schüssel, wrang es aus und wischte dann damit das Blut vom Fußgelenk.
»Regelmäßiges Baden ist übrigens keine Erfindung Beliars und deswegen nicht verabscheuengswürdig«, brachte er gleich noch eine kleine Lektion an. Nachdem die Wunde gesäubert war, schmierte er rund um die Ränder der Schürfungen eine helle, einen aromatischen Duft verbreitende Salbe auf den Knöchel. Dann holte er aus einem der Kuttenärmel ein gewickeltes Bündel von dünnem Stoff. Er wickelte es fest um den Fuß, um den Knöchel und verknotete es nach vielen Windungen, so daß es fest saß.
»Jetzt könnt ihr euren Strumpf wieder hochziehen. Die Wunde wird sicher ein wenig schmerzen. Ihr solltet den Fuß für einige Tage schonen. Und regelmäßig den Verband wechseln.«
Er erhob sich wieder, reichte die Schüssel an den Jäger zurück und verstaute die Salbendose in seiner Kutte.
»Achja, und die Stufe solltet ihr auch wechseln. Aber als Zimmermann tauge ich weniger, da müßt Ihr Euch schon einen anderen suchen.«
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Der Mann, der sich um die Wirtin gekümmert hatte, schien mit sich selbst zu kämpfen. Auf ein süsses Wort folgte ein schnippischer Kommentar und dann wieder ein Befehl eines Gelehrten an einen Dorftrottel. Wendel war ihm dennoch dankbar dafür gewesen, dass er sich der Wirtin angenommen hatte. So fragte er den Mann, ob sich denn zu ihnen gesellen wollte, um mit den beiden Reisenden zu speisen. "Wir kommen von Setarrif her", erklärte Wendel und Carlos fügte hinzu, dass auch er gerne mit dem gebildeten Mann speisen würde.
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 nomina nuda tenemus
»Von Setarrif?« Esteban horchte auf.
»Setzt Euch«, bot er an und wies auf seinen bevorzugten Tisch. Denjenigen, der in einer Nische etwas abseits der anderen stand. Murdra war inzwischen mit irgendeinem brummigen Kommentar davon gehumpelt.
»Wenn Ihr und Eurer Reisegefährte mir von euren Erlebnissen erzählt, wäre ich dankbar. Ich bin immer interessiert an dem, was Gäste über die Insel zu erzählen haben.«
Er setzte sich, nachdem sie am Tisch angekommen waren. Vermutlich würden sie allesamt gleich bei Murdra etwas bestellen, völlig vergessend, daß Esteban ihr eben noch geraten hatte, ihr Bein zu schonen. Aber das würde sie ja sowieso nicht befolgen.
»Verzeiht, ich vergaß, mich vorzustellen«, bemerkte der Heiler nun. »Mein Name ist Esteban. Ich wohne zur Zeit in der Jungfrau und gedenke dies auch noch eine Weile zu tun.«
Er lugte nach Murdra aus, doch die Wirtin war nirgends zu sehen. Sicher steckte sie in der Küche, denn ein leise Klappern drang von dort in den Schankraum und durchdrang die Hintergrundgeräusche, die aus allgemeinem Murmeln, Krügeklirren, Lachen und Stühlerücken bestand.
»Ich komme ursprünglich aus Varant und habe noch lange nicht alles von Argaan gesehen«, erzählte er weiter. »Ich bin Heiler und Alchimist. Berichtet mir bitte von Setarrif. Ist die Stadt wirklich voller goldener Kuppeln, so wie es gesagt wird? Ist sie aus weißem Marmor erbaut? Rüstet Ethorn seine Armee, um der Invasion der Myrtaner Einhalt zu gebieten?«
Er hielt inne, als er merkte, daß er seine Gesprächspartner zu sehr bedrängte.
»Verzeiht«, entschuldigte er sich erneut. »Bestellen wir lieber erst etwas.«
Er äugte erneut nach Murdra.
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"Eigentlich", murmelte Wendel "waren wir gerade vorher noch dran. Mein Freund heisst übrigens Carlos und ich bin Wendel Thoke." Carlos stand auf und brachte das Essen der beiden an den Tisch. Murdra wollte ihn schon zum Zahlen bitten, als sie erkannte, wohin er mit den Tellern wanderte. Das Tuch über die Schulter geworfen humpelte sie in Richtung des Tisches, baute sich vor den Männern auf und fragte, was sie denn noch wollten. Während der Heiler seine Wünsche äusserte, baten die beiden Kämpfer lediglich um mehr Bier.
"Nun, Esteban", holte Wendel aus, nachdem Murdra wieder abgezottelt war. "Ich stamme selbst nicht von der Insel. Habe lange in Gorthar gedient und bin erst vor Kurzem in Setarrif gelandet. Carlos hingegen lehrt schon länger an der Akademie." Der Mann nickte entschlossen. "Doch die Stadt, soviel kann ich euch sagen, ist wirklich übersät mit goldenen Kuppeln. Als hätte Herr Innos sie mit seinem goldenen Pinsel betupft." Carlos hielt sich ruhig. Es schien, als sei er nicht allzu erpicht darauf, dem Alchemisten von Ethorns Bemühungen zu berichten. Wirklich viel wusste der Ganove selbst nicht und das konnte er allemal teilen: "Setarrif ist durchaus im Aufbruch. Vor einigen Wochen haben sie Besuch von Leuten vom Festland erhalten. Kämpfer, Magier, alles mögliche ist gekommen. Diese Leute sind geblieben und nicht mehr zurückgekehrt. Ich denke, dies wird die Reihen der Königstreuen stärken, wenn sie denn auch gewillt sind, die Hilfe anzunehmen. Es gibt da einige Differenzen zwischen den Neuankömmlingen und der alten Garde."
"Nicht für mich", warf an dieser Stelle Carlos ein. "Solange sie ebenso hart trainieren wie unsere Leute, will ich sie nicht von den unsrigen unterscheiden." Wendel Thoke nickte dankend. Dann, kurz bevor Murdra das Essen des Alchemisten brachte, wandte er sich an ebenjenen. "Was tut ihr denn hier, wenn ihr nicht gerade Knöchel untersucht?", kriegte er gerade noch raus, bevor die Wirtin den Teller auf den Tisch knallte.
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»In Gorthar also«, horchte Esteban auf. »Ich kenne die Stadt. War selbst schon dort. Viel los. Mehr als in den meisten Kaffs von Myrtana.«
Zwischendurch bestellte er bei der Wirtin seine übliche Kost. Den Brei, den sie im Kessel hatte, meist Hirse- oder Haferbrei, Erbsmus, Mehlsuppe, angereichert mit irgendwelchen Kräutern und etwas Fett. Heute dampfte der Teller sogar noch.
»Großer Handelshafen. Man sieht ständig Leute aus fernen Ländern. Gibt es wieder einen neuen Herzog oder regiert sich die Stadt weiterhin selbst?«
Er löffelte vorsichtig von der heißen Suppe.
»Ihr fragtet, was ich hier tue? Nun, ich höre mich um, will mehr über Argaan wissen und nebenbei verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Tränken und Pülverchen. Zumindest hoffe ich, das zu tun.
Vorher war ich in Varant unterwegs. Geheimnisse der Wüste und so. Hab da ein paar hübsche Rezepte gefunden. Und nun hat es mich nach Argaan verschlagen. Immer auf der Suche nach Neuem.«
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