Der glühende Wächter
Ein glühender Schlot
Der feurige Tod
Wacht in der Tiefe
Über die friedlichen Menschen im Nirgendwo
Kapitel 0: Vorspiel
"Die Götter gehen seltsame Wege: Manchmal belohnen sie ihre schlimmsten Feinde, machmal bestrafen sie ihre treuesten Diener, doch niemals werden sie uns Menschen im Stich lassen, solange wir ihnen treu sind!
Sie waren es, die die rohe Natur für uns bändigen. Sie waren es, die unseren Leib aus nichts als Schlamm schufen und die unsere Lebenszeit begrenzten. Sie sind das Rad, dass zerstört und erschafft, knechtet und befreit, sich zugleich vorwärts und rückwärts dreht und das Gefüge der Magie, die alles durchtränkt zusammenhält. Deshalb beten wir zu ihnen. Warum also sollten wir sie im Stich lassen?
Und deshalb verkünde nun ich den gemeinsamen Beschluss Kaiser Rodriguez I., Erzmagier Barthos und Oberinquisitor Mendoza, alle Bürger, die sich erdreisten, die unanzweifelbare Ewigkeit alles Göttlichen zu hinterfragen, öffentlich ausweiden zu lassen, aufdass sie dem Volk eine Lehre sein, den Auszug der Götter zu verkünden", sagte der kaiserliche Marktschreier einen Tag bevor die Götter die Welt verließen.
Volksverhetzung
Das Reich Jaramago wurde nicht von einem Herrscher sondern von dreien regiert: Dem Erzmagier, der das Oberhaupt der heiligen Kirche des Weltenrads war, dem Oberinquisitor, der die kaiserliche Inquisition leitete und natürlich dem Kaiser, der Steuern erließ und das Heer befehligte. Die Kirche kümmerte sich um das Seelenheil der Menschen und festigte ihren Glauben, während die Inquisition der kaiserliche Geheimsienst war. Doch für die restlichen Aufgaben, wie zum Beispiel die Rechtsprechung und die Gesetzgebung, waren alle drei gleichermaßen zuständig und in diesen Bereichen, mussten ihre Beschlüsse einstimmig sein, um zu gelten, denn Einigkeit ist die wichtigste Vorraussetzung für Beständigkeit.
Aber trotz dieser Dreierregelung war der Kaiser der Mächtigste der Drei, denn zusätzlich zu seinen eigentlichen Befugnissen stand er in der Hierarchie der Inquisition noch über dem Oberinquisitor und außerdem durften nur die Söhne des Kaiser eines der Regierungsämter übernehmen, falls der vorherige Amtsinhaber verstarb. Dies lag unter Anderem daran, dass der Kaiser der Einzige der Regierenden war, der kein Keuschheitsgelübde ablegen musste (man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand, dass dem Erzmagier und dem Inquisitor bei Amtseintritt sogar ihre Männlichkeit genommen wurde, um sicherzugehen, dass das Gelübde nicht gebrochen wurde). Durch die enge Blutsbande sollte Einigkeit unter den Brüdern geschaffen werden, sodass sie sich nicht zerstritten. Ob das so auch funktionierte, ist zwar zweifelhaft, aber die geschichtsbücher geben leider keinen Aufschluss darüber. Als wäre seine Macht damit nicht schon groß genug durfte der Kaiser auch bestimmen, welcher seiner Söhne Kaiser, welcher Erzmagier und welcher Oberinquisitor werden sollte, was zusammen mit der speziellen Erziehung, mit der die Kaiserkinder bedacht wurden, eine harmonische Staatsführung garantierte, indem Oberinquisitor und Erzmagier so gut es ging zu Marionetten des Kaisers wurden.
Im kaiserlichen Kabinett war es gemütlich und doch rutschten die drei Herrscher des Reiches - Kaiser Rodriguez, Erzmagier Barthos und Oberinquisitor Mendoza - unruhig auf ihren Stülen herum. Ein Bote hatte heute von gefährlichen Weltuntergangspredigern berichtet, die seit einigen Tagen die Städte des Reiches heimsuchten. Meißt waren es Druiden, nicht viel besser als dieses Banditenpack, die verzweifelt versuchten, den Bürgern klarzumachen, dass die Götter bald die Welt verlassen würden und die Menschen sich auf ihre Erschaffer, die Titanen, zurückbesinnen sollten, um nicht von ihnen zermalmt zu werden. Vorallem Barthos außer sich vor Wut, denn jeder wusste doch, dass die Titanen auf ewig von den Göttern verbannt waren und außerdem hatte er die Druiden, diese Halbwilden Schriftverdreher und Mondanbeter, noch nie gemocht. In vielerlei Hinsicht war das also die zügelloseste Ketzerei, die dem stolzen Reich Jamarango je untergekommen war.
Nachdem der Bote den Raum verlassen hatte, echauffierten sich die drei Herrscher ersteinmal furchtbar über diese unerhörte Demagogie und Miesmachung der göttergewollten Ordnung, bis ihnen schließlich die Luft ausging. Nach einem langem Schweigen, dass dazu diente, ihren Köpfe wieder leerzubekommen, um anschließend kühl und rational über die zu treffenden entscheidungen diskutieren zu können, machten sie erstmal eine ausgedehnte Pause. Während dieser Pause jedoch malten die Drei sich auf furchtbarste Weise aus, was wohl passieren könne, falls diese Hetzer doch Recht haben würden und schreckten sogleich wieder vor diesen Gedanken zurück, als könne allein schon das Denken über diese unvorstellbaren Eventualitäten, ebenjene geschehen machen.
Sie ertappten sich jedoch immer wieder dabei und schließlich versuchten sie, an etwas Anderes zu denken, was aber auch nichts nützte, denn egal wohin sie ihre Gedanken abschweifen ließen, sie bekamen es immer wieder hin, von den harmloseten Themen wieder auf die drohende Apokalypse zu kommen. So waren sie regelrecht erleichtert, als sie nach der Pause über die Staatsausgaben diskutieren mussten, wodurch sie nun doch eine Ablenkung zu ihren düsteren Gedanken fanden. Jedoch gedeite während dieser Debatte eine schattenhafte Pflanze in den Köpfen der Herrscher. Diese Pflanze war die Gewissheit, dass an den Weltuntergangspredigten doch etwas dran war.
Als sie mit der Staatskasse fertig waren, quetschte der König noch widerwillig ein "Wir werden sie wohl hinrichten lassen müssen" heraus und schloss die Sitzung des Rates vorzeitig.
In der Nacht jedoch, als sie alle in ihren Betten lagen, wurde das kleine Gewächs zu einem prächtigen Baum der Angst und brachten sie um ihren wohlverdienten Schlaf, was dazu führte, dass sie den ganzen nächsten Tag ziemlich mies gelaunt waren und die Regierungsgeschäfte halbherzig und willkürlich ausführten. Was für eine Zeitverschwendung das doch war, wenn man bedachte, dass am nächsten Tag der Schrecken losgehen würde, was die Drei natürlich nicht wissen konnten. Im Nachhinein verfluchten sie diesen Tag noch mehr, als den der eigentlichen Apokalypse.
Während also Druiden dafür hingerichtet wurden, dass sie die Bürger vor einer drohenden Gefahr warnten, hatten die Herrscher von Jamarango nichts Besseres zu tun, möglichst schnell wieder ins Bett zu kommen, während sie die unsinnigsten Verordnugen erließen, wie zum Beispiel das verbot des Exports von Lederwaren. Die kaiserlichen Berater schüttelten zwar innerlich den Kopf über den Unsinn, den ihre Herrscher da verzapften, blieben aber lieber ruhig, um ihre Karrierre und vor allem ihr Leben nicht zu gefährden (der König hatte zuweilen einen recht lockeren Schwertarm).
Irgendwann gegen Ende des Tages kam dann zum Unglück die Nachricht vom kürzlich ausgebrochenen Krieg mit dem benachbarten Königreich der Oger an, was die Stimmung des Kaisers noch mehr verschlechterte, da er jetzt noch bis lange in die Nacht den Krieg hätte planen müssen, doch eine Stunde nach Mitternacht fiel er dann mitten während seiner Arbeit in einen tiefen Schlaf, wodurch er verhängnisvollerweise den Untergang der menschlichen Zivilisation verpasste.
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Geändert von DerGroßeDummeMann (11.10.2016 um 00:53 Uhr)
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Die Lehre der Götter
"Die Götter, von denen es unzählige gibt, verteilen sich auf drei Göttergeschlechter, die alle Unterschiedliche Ziele verfolgen. Das erste, nun zum Glück untergegangene Göttergeschlechter, ist das der Titanen. Sie verkörpern die rohen ungebändigten Naturkräfte. Der Titan des Waldes vermag es, die glorreichsten Metropolen, binnen weniger Stunden in einen dunklen, unweglichen Forst zu verwandeln. Der Titan des Meeres lässt jedes Schiff, dass versucht, den Ozean zu überqueren, untergehen, ganz gleich, wie groß es auch sein mag. Es gibt auch Überlieferungen, die von ganzen Inseln erzählen, die im Meere versanken. Der Titan des Feuers jedoch verbrennt ganze Landstriche und richtet dadurch unglaubliche Zerstörung an. Und das sind noch nicht mal alle Titanen!
So unterschiedlich ihre Kräfte doch sein mögen, so haben sie alle doch auch ihre Gemeinsamkeiten: Erstens schaffen sie Chaos und Zerstörung, wo sie gehen und stehen, und zweitens sind sie alle namenlos. Alle bis auf einen.
Dieser eine Titan hieß Prometheus und seine Gabe bestand nicht im Zerstören sondern im Schaffen und Formen und so formte er die ersten Menschen nach dem Vorbild der Titanen aus einem Klumpen Lehm. Doch leider starben diese Menschen, denn der wilden Natur hatten sie nichts entgegenzusetzten, und so schuf sich Prometheus neue Menschen gab ihnen die Macht, die Natur zu unterwerfen, und so rodeten sie Wälder, legten Sümpfe trocknen und begradigten Flüsse, um die Welt zu ordnen und ihren Vorstellungen zu unterwerfen.
Das missfiel den Titanen und sie lenkten ihre verderblichen Kräfte auf die Menschen. Von denen einige starben, einige überlebten und eineige zu den Titanen ergebenen Echsenmenschen wurden. Da sie das aber nicht befriedigte und sie außerdem von Neid zerfressen waren, brachten sie ihren Bruder hinterrücks um, doch mit den ersten Menschen hatte er das zweite Göttergeschlecht geschaffen: Die stolzen Prim.
Die Prim sperrten die Titanen in dunkle Verliese tief unter der Erde und machten sich die ganze Welt untertan. Sie erschufen wundersame Maschinen und bauten glänzende Städte, doch sie versanken mehr und mehr in Dekadenz und schließlich erschufen sie sich ihre eigenen Menschen, die aber ungleich schwächer als sie selbst waren und so zu Nutztieren der Prim verkamen.
Wegen ihres Elends begannen die zweiten Menschen von früheren Zeiten zu träumen, Zeiten in denen die Natur noch wild und schön war, in denen die Prim noch keine Götter sondern nur Menschen waren. Und so wendeten sie sich im Geheimen an die Titanen und lösten sie von ihren Ketten, woraufhin sie mit einer Macht belohnt wurden, die der der Prim gleich kam. Somit war das dritte Göttergeschlecht geboren: Die Sekunden.
Die Titanen und die Sekunden kämpften nun zusammen gegen die Prim, die unvorbereitet waren, und so von den Feinden überrannt wurden, doch kurz vor dem Sieg wendeten sich die Sekunden gegen die Titanen, denn das reine Chaos hielten sie doch für sehr fragwürdig und so wurden diese ein zweites Mal verbannt. Da die Prim stark dezimiert waren, gingen sie auf die Forderung der nun ungefähr gleichmächtigen Sekunden ein und schufen neue Menschen, die sie frei über ihre Taten entscheiden ließen. Nur Anfangs waren die Menschen noch durch die Prim gelenkt, in dieser Zeit vollbrachten sie die größten Heldentaten, doch dann fingen auch die Sekunden an, sich einzumischen und beide Seiten kamen zur Übereinstimmung, den Menschen einfach die Entscheidung zu überlassen, welche der beiden Seiten die Vormacht erlangen sollte. Und damit Eines klarsteht: Wir Magier sind auf der Seite der Prim, aufdass die Menschen von ihnen geleitet wieder zu Heldentaten fähig sind. Sollte irgendjemand von euch anderer Meinung sein, dann kann er gleich dieses Kloster verlassen, in den Wald ziehen und bei einem dieser halbwilden Druiden in die Lehre gehen. Hab ich mich klar ausgedrückt?"
"Ja. Meister Ignatius", antworteten die Novizen einstimmig und verließen die Lehrstube, um ihren täglichen Pflichten nachzugehen.
Die traditionelle Einführungsrede, die Ignatius den Novizen, die dazu auserkohren waren, die geheimen Künste der Magie zu lernen, immer am ersten Tag ihrer Ausbildung in die arkanen Kräfte hielt, hatte er schon immer gemocht. Er liebte diese alte Geschichte und er liebte es, die Prim zu preisen. Ganz so, wie es sich für einen Hochmagier gehörte. Und er war nicht nur irgendein Hochmagier, er war der Abt des Klosters der Vulkanfestung, welche das Zentrum der Verehrung des Prim-Feuergottes Pyrokar war. Diesem Gott kam deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil er die Sünder mit seinem reinigenden Feuer und läuterte. Angeblich sollte Pyrokar in den tiefen des Vulkanes hausen und die ganze Welt eines Tages, dem sogenannten Tag des letzten Ausbruchs, mit glühender Lava überziehen und alles Leben gierig verschlingen. Und so war die Vulkanfestung seit jeher eine Hochburg von Tugend, Sitte und Ordnung, um den Feuergott möglichst zu besänftigen, aufdass der letzte Ausbruch noch viele Jahre auf sich warten lassen würde. Hätte man Ignatius zu dieser Zeit gesagt, der letzte Ausbruch würde nie kommen, hätte er traurig mit dem Kopf geschüttelt und den Zweifler bei lebendigem Leibe in die Lavaglut der Kapelle des Klosters werfen lassen, aufdass er einen Vorgeschmack auf dieses religiöse Großereignis bekomme. Hätte man ihm das eine Woche später gesagt, hätte er traurig genickt und sich Trost bei der wärmenden heiligen Flamme gesucht, aber diese Zeit war noch nicht gekommen und noch war Ignatius Glaube an die Prim so unerschütterlich wie die Vulkanfestung.
Ein Grollen fuhr durch den Boden und durch die Luft und überhaupt alles, was so da war. Danach Grabesstille. Ignatius blickte zum Vulkan. Der rauchte, wie es sich gehört für einen Vulkan. Doch irgendetwas stimmte nicht, denn statt hoch in den Himmel zu steigen legte sich der Rauch schwer über die Insel. Ignatius hustete leicht. Was hatte das zu bedeuten? Das war gegen die göttliche Ordnung! Rauch steigt nach oben und fällt nicht nach unten. Das weiß nun wirklich jedes Kind. Was will Pyrokar uns damit sagen? Ist es etwa schon so weit?
Von einem hwftigen Hustenanfall geschüttelt, wurde Ignatius aus seinen Gedanken gerissen und erwachte schweißgebadet. Der Rauch aus seinen Träumen war verflogen und es fröstelte ihn das erste Mal, seit er in der Vulkanfestung war. Der Wind bläst aus das Feuer und macht uns Frieren. So stand es in der heiligen Schrift Pyrokars doch jetzt erst verstand er die rätselhaften Worte, deren Sinn er schon seit Jahrzehnten zu ergründen versuchte: Es wird kalt werden, wenn der Feuergott im Sterben liegt. Nur wer ist mächtig genug, einen Gott dem Tode nah zu bringen? Die Titanen lagen selbst im Sterben. Schon seit vielen tausend Jahren. Die Windgötter Aero und Roc hegten keinen Groll gegen ihn. Was sollte es also sein?
Er muss krank sein. Anders geht es nicht. Diese Erkenntnis zuckte ihm wie ein Blitz durch den Kopf und er überlegte fieberhaft, welche Auswirkungen diese Kranheit haben würde. Würden sich die anderen Götter an dieser Krankheit anstecken? Würde ewiger Winter alles Leben vernichten? Würde Ignatius seine von den Göttern gegebene Macht verlieren? Mit einer ärgerlichen Handbewegung, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen, verdrängte er diese Gedanken aus seinem Kopf und zwang sich wieder einzuschlafen.
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Schattenpfote
Schon in den frühen Morgenstunden brannte die Sonne mit einer Intensität, die sie sonst nur an Hochsommermittagen erreichte, auf Marango, die Hauptstadt Jamarangos. Zu dieser Zeit, als die Frühaufsteher gerade zur Arbeit schlurften und die Nachtaktiven dabei waren, sich in Richtung Bett zu begeben, schlief ich noch einen unruhigen Schlaf, der jedoch in Kürze durch die höllischen Temperaturen beendet werden sollte. In dieser Hinsicht hatte ich dem König aber mächtig was vorraus, denn dieser schlief in seinem durch Magie kühl gehaltenen Zimmer wie ein Berg. Erst wenn dem kühlenden Magiekristall gegen Mittag aufgrund der extremen Belastung die Magie ausgehen würde, würde er so langsam in die Welt der Lebenden zurückkehren, aber bis zu diesem Zeitpunkt würden noch etwa sieben lange Stunden vergehen. Ich wälzte mich also in Träumen voller Gnome, Echsen und Priestergräber, als vierzig Grad-Celsius irgendeinen Schalter in meinem Inneren umlegten, sodass ich blitzartig aus meinem Schlaf schreckte, während der Schweiß Strömen über meine Haut rann und mir trotz der Hitze einen kalten Schauder versetzte.
Ich schaffte es irgendwie, mich aus dem Bett zu rollen, obwohl mein Kreislauf total am Ende war und die Hitze jede Bewegung zur Qual machte. Mit einem dumpfen Geräusch mit dem Rücken auf den hölzernen Fußboden und starrte erstmal eine Weile die ebenfalls hölzerne Decke an, deren beste Tage schon weit zurücklagen. Schließlich fasste ich mir ein Herz, drehte mich mühsahm auf den Rücken und kroch keuchend zum Kleiderschrank, an dem ich mich hinaufzog und kam schwankend zum Stehen. Wo war all meine Kraft hin? Lag meine plötlzliche Schwäche am schlechten Schlaf? Oder an der hohen Temperaturen? Oder hatte mich der große Helios am Ende doch für meine kleinen Gaunereien bestraft?
Ein plötzliches Flimmern vor den Augen riss mich aus meinen Gedanken. Mit zittrigen Händen öffnete ich die Schranktür und suchte aus der bunten Mischung unterschiedlicher Gewänder und Kostüme meine unauffällige Arbeitskleidung aus. Damit würde mich jeder für einen Hafenarbeiter halten, sie war also ideal für meinen Auftrag.
Als ich von meinem Schlafzimmer in die Küche trat, sah ich eine zierliche Frau im Fensterramen sitzen. Sie trug eng geschnittene schwarze Stoffkleidung, die sie zwar bei Nacht nahezu unsichtbar machte und ihr viel Beweglichkeit ließ, die sie bei dieser Hitze aber in den Wahnsinn treiben mussten. Dennoch war keine einzige Schweißperle auf ihrem Allerweltsgesicht zu sein und wie schon so oft fragte ich mich, ob sie überhaupt menschlich war.
"Was machst du denn schon so früh bei mir, Sara?", fragte ich sie überrascht.
"Schattenpfote will dich sehen", antwortete sie mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht, "Es gibt eine Planänderung. Aber so wie du aussiehst, solltest du erst mal was essen. Schattenpfote wird dir schon nicht davonlaufen. Das Schiff der Inquisition wird am Vormittag entladen werden. Du hast also noch Zeit für ein ausgiebiges Frühstück."
"Gut. Ich falle nämlich fast um vor Hunger. Möchtest du mitfrühstücken?", fragte ich matt.
"Nee, nee. Das muss jetzt nicht sein", antwortete sie, als hätte er ihr angeboten, in einem Plumpsklo nach einem goldenen Ring zu suchen, und schwang sich elegant vom Fensterramen auf die Straße ohne ihm auch nur einen Blick zuzuwerfen. Sara war schon eine seltsame Frau. In einem Moment war sie freundlich, im nächsten abweisend. Man wusste nie, woran man bei ihr war und selbst, wenn man sich jedes Wort, dass man zu ihr sagte, genau überlegte, konnte man sich nie sicher sein, ob man sie damit beleidigte oder nicht. Auch war sie eine von den Personen, über die man gar nichts weiß, die aber alles über einen selber wissen. Doch trotz all dieser Eigenheiten mochte ich sie irgendwie. Ich wusste zwar nicht warum, aber ich konnte ihr einfach nicht böse sein, egal wie ungehobelt sie sich benahm.
Mit einem seufzen nahm ich mir eine Wurst und einen Laib Brot aus der Vorratskammer und verschlang diese geradezu. Als Beides in meinem Inneren verschwunden war, spürte ich meine Kraft zurückkehren und schlenderte trotz der jetzt noch größeren Hitze gemütlich zum Hauptquartier der Schattengilde.
Ich nahm auf einem reich vezierten Ohrensessel platz und wartete angespannt auf Schattenpfote. Ein Treffen mit ihr verhieß nie etwas Gutes und außerdem hatte sie die Gewohntheit, sich lautlos anzuschleichen, um sich plötzlich bemerkbar zu machen. Und obwohl oder gerade weil man wusste, dass dies geschehen würde, versetzte sie einem immer eine Heidenangst. Doch am schlimmsten war es, wenn sie einen mehrere Stunden warten ließ, einem Glauben machte, sie käme gar nicht, um dann plötzlich doch noch aufzutauchen. Wer bei so einer Gelegenheit aber vorzeitig ging, den sah man nie wieder. Warum sie das tat, wusste warscheinlich Niemand außer sie selbst und sie erzählte es Niemandem. Ich vermutete aber, dass sie das tat, um die Loyalität, das Durchhaltevermögen und die Geduld ihrer Untergebenen auf die Probe zu stellen. Eine lange Warterei konnte zermürbender sein als die Arbeit in den Sträflingskolonien, von der mein Vater mir schon so einige Schauermärchen erzählt hatte, bevor er gestorben war. Plötzlich spürte ich, wie sich die scharfen Krallen einer Katze in meine Schulter bohrten und gab einen kurzen Schmerzensschrei von mir. Schattenpfote hatte nicht allzu lange auf sich warten lassen.
Mit einem Satz sprang die Katze von meiner Schulter auf den vor mir stehenden Tisch und von dort auf den gegenüberliegenden Sessel, wo sie sich genüsslich zusammenrollte.
"Du weißt, warum du hier bist?", schnurrte sie behaglich.
"Ja, Sara hat es mir gesagt. Es gibt eine Planänderung", antwortete ich trocken. Die schwarze Katze begann sich unruhig auf ihrem Sessel hin- und her zu wälzen.
"Das war so eigentlich nicht geplant... Aber egal. Was weißt du über die andere Diebesgilde der Stadt?", fragte sie in einem unergründlichen Tonfall.
Nach kurzem Nachdenken sagte ich: "Sie nennen sich 'Die Diebesgilde', um ihren Anspruch als einzige Diebesgilde Marangos zu unterstreichen, doch soweit ich weiß wurden sie nach der Schattengilde gegründet und versuchen seitdem, uns möglichst viel zu schaden. Ihr Anführer verbirgt sich unter dem Namen 'Der Nachtläufer'."
"Richtig. Doch was du nicht weißt, ist, dass er zu einer ernsten Bedrohung für unsere Gilde geworden ist. Jeder zweite Auftrag misslingt und immer mehr unserer Leute landen im Gefängnis. Nur deine Arbeit war bisher tadellos", erzählte die Schattenpfote, "Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mindestens einen Spion in unseren Reihen haben. Deshalb werden sie von deinem Auftrag wissen und sie werden versuchen, ihn zu vereiteln. Dein Auftrag war es, dich beim Beladen des Schiffes der Inquisition unauffällig unter die Hafenarbeiter zu mischen und es zu betreten. Anschließend solltest du dich in die Kajüte des Großinquisitors Mendoza schleichen. Den Schlüssel wirst du von Sara erhalten, wenn du diesen Raum verlässt. Dort solltest du dann nach dem Amulett des Inquisitors suchen, dich anschließend wieder an Deck schleichen und dort versteckt bis Mitternacht warten. Um Mitternacht sollte im Hafen ein Bote erscheinen, dem du es zuwerfen hätten solltest. Soweit der alte Plan. Doch was wenn die Diebesgilde diesen Boten besticht oder ihn gegen einen ihrer Leute austauscht? Wenn du das Amulett also hast, sollst du also wieder einen Hafenarbeiter spielen. Das ist zwar riskanter für dich, weil du das Amulett nur schwer wirst vertecken können und die Schiffswachen jeden Arbeiter argwöhnisch beobachten, allerdings kann ich mir dadurch sicher sein, dass Aumlett auch wirklich zu erhalten, wenn du nicht erwischt wirst oder der Verräter bist. Beides solltest du lieber bleiben lassen. Achja: Sprich mit Niemandem über deinen Auftrag und wenn ein anderer Dieb auf dem Schiff auftaucht, gehört er zur Diebesgilde, ich habe nämlich jedem Mitglied der Schattengilde befohlen, sich vom Hafen fernzuhalten. Und jetzt geh."
Wortlos stand ich auf und trat aus dem Raum hinaus, wo mir Sara wortlos und mit traurigem Blick einen silbernen, reich verzierten Schlüssel gab und hinter mir im Besprechungsraum verschwand.