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Al Shedim #39
Offenheit und Herzlichkeit, Misstrauen und Abschottung – kein anderer Ort als Al Shedim vermag gleichzeitig derartige Kontraste zu vermitteln.
Erblickt man die vielen, dunklen, in den himmelragenden Säulen und Trümmer gedenkt es dem ein oder anderen Fremden gar nicht in den Sinn zu kommen, dass genau dort, weit im Süden Varants, jemand, gepeinigt von Innos’ allgegenwärtigem Zorn, zwischen Ruinen und Sand zu leben wagt.
Und dennoch herrscht dort kaum vorstellbare Geschäftigkeit in einem Meer von Zelten und Ruinen, der Zuflucht unzähliger, von Hass und Abneigung, vom Volk der Assassinen und Beliar selbst ausgestoßenen und zum Feinde erklärten, Nomaden und Wassermagier.
Neben dem massiven, zentralen, Adanos’ geweihten Tempelkomplex, einer atemberaubenden Arena, unzähligen Ständen von Handwerkern und Händlern und dem erfrischenden, immerwährenden Kanal bietet auch die ein wenig abseits gelegene, schattige und fruchtbare Oase jedem erschöpften Wanderer Erholung, Unterhaltung und Kommunikation inmitten einer faszinierenden Kultur traditionellen Nomadentums.
Lasst euch auf einem der weichen Teppiche, im Kühle spendenden Schatten der Taverne nieder, genießt die euch angebotene Wasserpfeife, das ein oder andere erfrischende Getränk und die Gespräche mit den braungebrannten, erfahrenen Geschichtenerzählern der Sandwüste Varants.
by Hârkon
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„Frag uns nicht nach der Politik der Wüstenoberen, Ptah.“, meinte Janina nur schulterzuckend, „Sie haben beschlossen, Ben Erai anzugreifen, und Leute aufgerufen, sich ihnen anzuschließen. Selbst der große Shakyor war dabei. Dachtest du etwa, wir haben das zu zweit gemacht? Oder uns Wüstenräubern angeschlossen? Ich denke nach der Sache nahe Braga damals, du erinnerst dich vielleicht, kannst du sicher sein, dass ich letzteres nicht wirklich in Erwägung ziehen würde. Und jemand wie Selina bei denen? Also bitte.
Übrigens, Selina, das hab ich dir noch gar nicht gesagt. Ich fand es ziemlich mutig von dir, uns auf so einer Aktion zu begleiten.“
Janina lächelte anerkennend. Vermutlich war es auch ein wenig dumm, aber hauptsächlich mutig, fand sie zumindest.
„Und sein wir doch ehrlich. Die Assassinen haben es verdient, dass man ihnen einen mächtigen Tritt ins Gemächt verpasst. Und sie bräuchten sicher keinen Grund, um Al Shedim anzugreifen, wenn sie denn stark genug dafür wären.“
Einige Momente lang schwiegen alle, während Essen und Getränke aufgetragen wurden und Janina nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Krug.
„Aber lassen wir das und wenden uns lieber etwas erfreulicherem zu.“, meinte die Gauklerin schließlich und lächelte aufmunternd, „Ptah, was macht die Ausbildung? Kannst du schon eine Oase aus dem Boden sprudeln lassen? Bestimmt war der Urwald hier in der Stadt dein Werk, hab ich recht?“
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Ein paar mal prallter der Hammer noch klingend auch dem Amboss, bis er zur Ruhe kam, während Kilijan mit scharfem Auge die Strebe begutachtete, die gerade ihre Glut verloren hatten. Zufrieden legte der Schmied sie beiseite, fegte mit der Hand den Zunder vom Amboss und setzte sich. Mit müden Händen blätterte er wahrscheinlich zum hundersten Mal durch den kleinen Blätterstoß mit seinen Skizzen. Etwas fahrig gingen die schwieligen Finger übers Papier, die selben Sätze wieder und wieder verfolgend. Dann ließ er sie sinken, seine rechte Hand glitt in seinen Umhängebeutel und umfasste eine Kugel, die bei der Berührung ein wohliges Prickeln über Kilijans Arm laufen ließ. Vor etwa zwei Monaten hatte Kilijan begonnen, eines der Bücher, das er aus der Pyramide aus Khorinis mitgebracht hatte, abends zu studieren. Und vor etwa zwei Wochen, kurz nachdem er die Falle für olirie fertiggestellt hatte, war er einem dort beschriebenen Artefakt über den Weg gestolpert, in der Auslage eines Antiquitäten- bzw. Trödelhändlers auf dem Marktplatz. Es handelte sich um eine goldene Kugel von etwas über einem Zoll Durchmesser, über und über mit Ornamenten verziert. Kilijan hatte sich ungeschickt angestellt und am Ende ihr Gewicht doppelt in Münzen aufwiegen müssen, aber für ein unbezahlbares Stück, das die Baals der Bruderschaft damals fanatisch gesucht hatten, war dies immer noch ein Preis, den er ohne mit der Wimper zu zucken zu bezahlen bereit war. Kilijan wäre nie an dem Stand stehen geblieben, hätte er nicht die starke magische Energie gespürt, die seine Sinne fast überflutet hatte. Selten hatte der junge Mann je so eine starke magische Präsenz von einem unbelebten Objekt ausgehen gefühlt. Schwarzes Erz war ähnlich, aber dessen Präsenz war eine vollkommen andere.
Die Aufzeichnungen der Baals waren vage, Worte wie "transfiguratives Potential", "unativer Charakter" und "runenmagischer Fokus" gaben sich die Klinke in die Hand, dennoch konnte Kilijan sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch die Baals hauptsächlich über die Eigenschaften dieses Artefakts spekuliert hatten.
Kilijan nahm sein Schmiedestück zur Hand und betrachtete es erneut. Die Schmiedehaut konnte nicht verbergen, was der Schmied darin wusste. Dieser Korb war aus dem einzigen Damastkönig geschmiedet, den Kilijan aus der Flut hatte retten können. In endlosen, kurzen und ziemlich kalten Hitzen musste dieses Material verarbeitet werden, damit sich seine wunderbaren Muster und seine einzigartigen Eigenschaften ergaben. Es war eine Qual und kostete ebensoviel Konzentration, wie Erz zu verarbeiten - eine Hitze zu heiß und alles war für die Katz. Das wahre Kunststück der Streben, die den Springkorb bildeten, war aber der Innenbeschlag mit Erz - und das, obwohl Erz viel heißer verarbeitet werden musste, als Damast. Dies war nur möglich durch ein wenig Magie, was gleichzeitig eine gute Übung für den Adepten in ihm darstellte; da er seit Monaten von Andras nichts mehr gesehen und gehört hatte, übte er sich im Alltag, das, was er wusste, anzuwenden. Die selben magischen Wirbel, mit denen man eine Kerze entzünden konnte, konnte man auch hierfür nutzen: Man musste seinen Geist auf die Kontaktstelle des Stahls mit dem Erz fokussieren und die Magie mit dem Takt des Hammers pulsieren lassen. Kurz vor jedem Schlag erreichte die oberste Schicht des Stahls damit ausreichende Schweißtemperatur. Das klang nicht nur kompliziert, es war hahnebüchend - und nur auf einer Vermutung Kilijans basierend, nämlich der, dass das Erz als eine Art magischer Leiter fungieren würde - und es hatte über eine Woche allein gedauert, diese Technik so weit zu perfektionieren, dass der Stahl nicht durch den Temperaturunterschied barst, seine Ausdauer, Magie zu wirken, nicht halb durch den Vorgang gebrochen darnieder lag, die magische Energie des Erzes nicht verloren ging und natürlich über all dem nicht eins der tausende Dinge schiefging, die beim Schmieden sowieso jederzeit in die Hose gehen konnten. Wäre er nicht ein unglaublich routinierter Schmied, der über seine Bewegungen nicht mehr nachdenken musste und auch bei der Ausübung seiner Magie ein Mensch, der durch Wiederholungen gelernt hatte - es wäre wohl ab dem ersten Tag völlig unmöglich gewesen.
Langsam trottete er hinüber zur Schleifbank und ließ sich darauf plumsen. Er hatte zwar fast auf Endmaß gearbeitet, dennoch würde das Schleifen ebenfalls ein Elend: Nur die konvexen Flächen konnte er auf seinen Steinen bearbeiten, der Rest musste mit Schmirgel von statten gehen.
Mürrisch betrachtete Kilijan die Einwölbung auf der Innenseite, in der die Kugel einmal ruhen sollte. "Super, das wird ein Spaß. Mit Schmirgel an Erz, das wird mich Ewigkeiten kosten." dachte er. Dabei hatten seine Hände bereits den ersten Stein aus dem Wasser gehoben und in die Halterung eingespannt. Das beruhigend seicht kratzende Geräusch durchzog die Höhle, während es draußen schon dunkel war. Kilijan arbeitete weiter und weiter - an einem Stück, von dem er nicht wusste, was es tun würde oder für wen es war.
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Noch immer ein wenig griesgrämig, zuckte Ptah vorläufig nur mit den Schultern. Sicher hätte der Überfall auf Ben Erai auch ohne die beiden stattgefunden und vermutlich würden die Assassinen nicht lange nach Gründen suchen, wenn sie vorhatten Al Shedim zu attackieren, aber man musste ihnen ja nicht auch zusätzliche Gelegenheit geben, sich über die Nomaden aufzuregen. Außerdem waren sie nach allem, was er mitbekommen hatte, diesen verdammten Menschenfeinden blauäugig in die Arme gelaufen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden in welche Gefahr sie sich damit begaben.
Für ein paar weitere quälende Sekunden zog er es vor zu schmollen, erst dann brach er das Schweigen.
"Nein, dieser gräßliche Dschungel ist nicht mein Werk. Zurzeit ist es mit meinen magischen Fähigkeiten ohnehin nicht weit her... ich bin... einigermaßen verhindert, konnte mich mit Müh' und Not noch nach Al Shedim teleportieren, vielmehr ist momentan nicht drin... von einer sprudelnden Oase ganz zu schweigen. Daran sieht man auch, was für ein verkorkstes Bild du vom Magie wirken hast. Und außerdem hab ich doch Recht."
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Tinquilius musste ob der Bemerkung über Warus lachen, unterband dies jedoch sofort, um die Kleine nicht dadurch aufzuwecken. Sie schien noch nicht ganz eingeschlafen, dafür aber schläfrig genug.
Die beiden haben wirklich Glück, solch tolle Eltern zu haben. Ich würde mich ja schon freuen, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich das teilen könnte, was Maris und Aniron haben. Ein Kind, daran ist ja noch nicht einmal zu denken.
Als er sich dann jedoch wieder auf Maris konzentrierte und seinen Worten lauschte, war er etwas verwirrt. Tiergefährte? Als er dann den Liger des Nomadenführers sah, kamen die Erinnerungen der Flut zurück. Damals hatte er auch schon von dem Tier gehört und es sogar einmal gesehen. Dass es hier so ruhig lag jedoch, verwunderte ihn dennoch.
„Tiergefährte? Was hat es damit auf sich? Und wer ist dieser Shakyor?“, begann der Oberste Magier und kniete sich vor das Bett. „Aber lass mich erst einmal deinen Zustand begutachten.“
Er legte seine gesunde Hand auf die Stirn Maris‘, die verletzte auf dessen Brustkorb und schloss seine Augen. In seinem innern spürte er, wie die Magie sich aufbaute. Erst wurde sie geschwinder, floss eilig durch all seine Glieder, dann sammelte sie sich langsam in seinen Händen. Doch nicht komplett. Ein Teil verblieb ganz in der Nähe des blauen Streifens in seinem Hals. Es wurde ihm warm an dieser Stelle, ein Kribbeln durchfuhr die Haut. Das sollte nicht passieren. Doch da nichts weiter geschah, versuchte er sich zunächst auf den Nomaden zu konzentrieren, was ihm auch nach einigen Sekunden gelang. Die Magie drang in den Körper des anderen und nur Bruchteile einer Sekunden später erschien der Körper des anderen in einem ganz anderen Bild vor seinem Inneren Auge.
„Ja, ich kann das Gift spüren. Aniron hat schon gute Arbeit geleistet und es zurückgedrängt und dabei auch angegriffen. Aber, und das sage ich ohne Wertung, die Fähigkeiten einer Barbierin reichen manchmal nicht aus.“
Er hielt kurz inne und konzentrierte sich wieder. Dieses Mal floss die Magie in größerem Ausmaß durch die neun Finger des Priesters in Maris‘ Körper. Doch die Wirkung, die er vorgehabt hatte, trat nicht in dem Maße ein, wie er es gerne hätte. Irgendetwas war anders an Maris, was ihm zuvor nicht aufgefallen war.
Meine Kraft reicht nicht aus. Aber wieso?
Er öffnete seine Augen wieder und dachte an die Worte des anderen. Wäre es möglich? „Kann dein Gefährte zu uns hinüber kommen?“
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Ptah konnte also auch Magie wirken. Eigentlich hätte Selina sich das denken können, schließlich trug er auch die Robe eines Magiers, auch wenn sie schon etwas gelitten hatte und notdürftig wieder zusammengeflickt worden war, doch störte Selina das nicht.
"Du beherrschst die Magie? Ich weiß nicht viel darüber, aber erst gestern habe ich mit einem Magier gesprochen und finde das alles sehr interessant. Aber sagtest du gerade etwas von einem Teleport? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Wie funktioniert das? Kannst du dich damit überall hinteleportieren? Und w-"
Selina stoppte sich selbst. Janina war auch noch da und sie konnte nicht mit all ihren Fragen über Magie raussprudeln und sie komplett außen vor lassen. Also wandte sie sich der Gauklerin zu.
"Tut mir Leid, du scheinst es mit Magie nicht so zu haben. Dann ist es für dich vermutlich eher uninteressant wenn ich alles Wissen über Magie in mich aufsauge.
Vielen Dank für das Lob, aber ich glaube, dass du besser gehandelt hast. Immerhin warst du auch in der Lage dich selber zu verteidigen. Vielleicht sollte ich auch einmal etwas lernen, aber für Waffen bin ich nicht unbedingt zu begeistern."
Außer für Magie fügte sie in Gedanken hinzu, doch das war nach ihrem Anfall an Wissensdurst wohl klar.
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Aniron rückte Sinan zurecht, der langsam, aber sicher schwer wurde.
"Genau darüber wollte ich mit dir sprechen. Lass uns in den Keller gehen, wo der Schnaps steht."
Die beiden Frauen begaben sich in die Kammer und Nivis goss ihnen etwas Wasser in einen Becher.
Aniron begann zu sprechen:
"Du hast mir schon so viel geholfen und ich habe das Gefühl, dass du dich ganz wohl fühlst hier, nicht? Zumindest hält es dich lange für eine Nordmarerin hier in der Wüste."
Die Kräuterzüchterin lächelte.
"Was hast du denn noch so vor? Du bist ja sehr interessiert und die öffentliche Bibliothek kann deinen Wissensdurst nicht mehr stillen, hm?"
Aniron trank einen Schluck Wasser.
"Weißt du, ich bin nicht die richtige Person dafür, aber vielleicht möchtest du dir einen Lehrer suchen, der dir zum Beispiel in Sachen Magie etwas beibringen kann? Du hast schon viel hier geholfen, auch deine Hilfe im Kräutergarten hab ich nicht vergessen."
Sie sah sich um und deutete auf die trocknenden Kräuter.
"Du bist ein Teil der Gemeinschaft hier und hast durch deine Hilfe bewiesen, dass du dich gut eingefügt hast."
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„Ich kann auch nur kämpfen, weil man sich manchmal eben Verteidigen muss. Und Magie...“, Janina schmunzelte ein wenig, „Naja, ein bisschen Magie kann ich ja auch. Gauklermagie.“
Sie griff einmal in ihre Tasche und holte eine Holzmurmel heraus.
„Ich kann mich nicht telportieren oder Wasser herbeirufen oder Sandwände auftürmen, aber ein paar Kleinigkeiten hab ich drauf.“
Die Gauklerin schloss die Hand um die Kugel und als sie sie öffnete, war das Objekt verschwunden. „Gegenstände verschwinden lassen...“
Mit zwei Fingern griff sie in Selinas Krug und zog eine Halbkugel heraus. „Gegenstände herbeizaubern...“, sie griff genauso in Ptahs Krug und zog die andere Hälfte dort hervor, „An zwei verschiedenen Orten...“
Vor den Augen der Beiden legte sie die beiden Kugelhälften aufeinander und ließ sie auf die Tischplatte fallen, wo die massive Kugel herumrollte, bis Janina sie aufnahm und die hohlen Hände darum schloss.
„Und wenn ich mehr Holzkugeln brauch? Kein Problem.“ Sie öffnete die Hände zu einer Schale und mit einem mal lag ein ganzes Dutzend der Kugeln darin. Gewinnend kicherte sie, während sie eine nach der anderen wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ.
„Vielleicht nicht so eindrucksvoll wie einen Feuerregen herbei zu rufen, aber immer noch ‚magisch’ genug, hm?“
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Dieses merkwürdige Gefühl, wenn Magie ihn durchströmte...
Diesmal war es bei weitem nicht so stark wie bei dem Ritual mit Suzuran im Steinkreis, fühlte sich etwas anders an - wenngleich es sich mit der Fähigkeit eines nicht Magiebegabten, die verschiedenen Abarten der Magie zu unterscheiden, wohl so ähnlich verhielt, wie bei der Unterscheidung verschiedener Weinsorten durch jemanden, der noch nie einen Schluck des Traubensaftes genossen hatte - doch es war immer noch ein seltsamer Rausch, der ihn durchfuhr und ihm eine Gänsehaut bescherte. Plötzlich jedoch ebbte das Gefühl ab, Tinquilius unterbrach den Versuch der Heilung.
"Du kennst Shakyor nicht?", brachte Mari ein, während er die Bitte an Marik stellte, zu ihm zu kommen. "Er ist einer der drei Hüter der Wüste, eine lebende Legende unter den Nomaden. Ich lernte ihn während einer meiner Prüfungen, um selbst ein Hüter zu werden, kennen und lernte, zu Marik eine enge Beziehung zu knüpfen. Mittlerweile ist unsere Beziehung aber mehr als das."
Murren erhob sich der Liger und schleppte sich torkelnd herüber an die Seite des Bettes, direkt neben Maris und Tinquilius.
"Es ist Magie im Spiel. Unsere Seelen sind verbunden, seine und meine, deshalb leidet er auch unter meiner Vergiftung. Unsere Schicksale sind untrennbar miteinander verbunden."
Maris merkte, dass er nun vor einem ähnlichen Dilemma stand, wie es allen Druiden (oder Menschen, von denen er annahm, dass sie welche waren), denen er begegnet war, vorgesetzt wurde. Wie viel durfte er verraten? Zwar war es eine ihm im Prinzip gänzlich unbekannte Bruderschaft, deren Geheimnisse er hier nicht vollkommen freigiebig herausrücken konnte, doch wäre es nur allzu ungerecht gewesen, wenn er Suzurans Hilfsbereitschaft so dankte, und durch den Besitz des Druidensteines war er unweigerlich mit all diesen Geheimnissen und seinen Folgen verbunden.
"Es ist schwer zu erklären... aber vielleicht kannst du es ja spüren mit deiner Magie. Keine Ahnung, wie weit eure Kräfte reichen."
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"Gar nicht mal so übel, dafür, dass es nicht echt ist.", meinte Ptah anerkennend, "Allerdings in der Tat mehr eine Frage der Fingerfertigkeit als einer inneren Kraft, womit wir auch schon bei der Antwort auf deine Fragen sind, Selina. Magie ist eine Kraft, die in allem steckt, alles erhält und zugleich bewegt. Der Teleport, also die unmittelbare Reise von einem Ort zum anderen, ist eine Möglichkeit sie sich zu Nutzen zu machen. Und damit bin ich auch schon an der Grenze dessen angelangt, was ich Fremden zu erzählen befugt bin. Die Geheimnisse, um die einzelnen Zauber sind streng behütetes Wissen. Nur, wer Teil der Gemeinschaft des Wassers ist, wird in dieser Kunst unterwiesen."
Der Novize nutzte die kurze Verschnaufpause, um den Krug zu leeren und die letzte Dattel von der Platte zu tilgen. Dann stützte er beide Hände auf die Oberschenkel und richtete sich auf.
"Nur ungern verlasse ich euch beide schon so früh, aber morgen ist ein neuer Tag, mit neuen Aufgaben und obwohl ich erst seit kurzem wieder hier bin, kann ich mich vor Arbeit kaum retten. Liebe Janina, ich danke dir für die großzügige Einladung. Mit Sicherheit werden wir uns jetzt wieder öfter über den Weg laufen und du Wiedergutmachung in Form von Essenseinladungen leisten, woraufhin ich meine Dank dir in Briefform bestellen werde.
Selina, ich bin mir sicher, dass ich deine Fragen nicht mal halb so gut beantworten konnte, wie du dir das wünschen würdest, allerdings gibt es einen sehr einfachen Weg, um an mehr Informationen über die Magie zu kommen und da in deinem schönen Kopf vermutlich auch ein gewitzter Geist steckt, hast du mit Sicherheit schon herausgefunden, was damit gemeint ist. Eine gute Nachtruhe wünsche ich, auf dass Adanos auf euch beide besonders Acht gebe.", verabschiedete er sich, deutete eine Verbeugung an und machte sich sogleich zum Tempel auf, jedoch nich ohne den beiden nochmal zu winken.
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Seit langem schlich sich etwas wie Schwermütigkeit in die Gedanken, der sonst so fröhlichen Nordmarerin. Die letzten Wochen hatte sie wirklich genossen und auch wenn die Wüste, das absolute Gegenteil ihrer Heimat darstellte, hatte sie sich in der Tat ganz gut eingelebt.
Jeden Tag hatte sie etwas zu tun gehabt, sei es nun irgendwo ihre Hilfe anzubieten oder in der Bibliothek zu stöbern. Ihr eigentliches Ziel wäre ihr so schon beinahe entglitten, aber Aniron rief ihr einige Gedanken wieder in den Kopf.
Was ich noch vorhab? Eine gute Frage. Wie du vielleicht weißt wollte ich irgendwann in meine Heimat zurückkehren, aber je weniger ich darauf vorbereitet bin, desto geringer sind meine Chancen überhaupt das zu erreichen, was ich mir als Ziel gesetzt hatte. Je mehr Zeit jedoch verstreicht, desto geringer sind wiederum meine Chancen überhaupt noch etwas zu finden. Vermaledeite Zwickmühle. Tief einatmend versuchte Nivi alle traurigen Gedanken an ihren Vater einfach zu unterdrücken und setzte wieder eine etwas fröhlichere Miene auf.
Aber du hast recht, mir gefällt es wirklich gut in Al Shedim. Und das mit der Hilfe ist auch kein Problem. Ich helfe immer gern, vor allem denen, die mir eine quasi neues zu Hause gegeben haben.
Als Aniron dann auf das Thema mit der Magie kam, hob sich Nivis' Laune deutlich.
Das wäre wirklich fantastisch. Weißt du denn auch wer mir etwas über Magie beibringen könnte? Und ob sie oder er mich überhaupt unterrichten würden? Ich meine Magie; das sind doch unzählige Geheimnisse und die soll man einfach einer verrückten Fremden anvertrauen. Wer weiß was diese damit anstellen könnte...
Kichernd zwinkerte Nivi, um auch ja anzudeuten, dass der letzte Teil nur Spaß war. Sie freute sich wirklich aufrichtig, dass man sie schon als Teil der Gemeinschaft sah, auch wenn sie nicht das Gefühl hatte etwas besonderes getan zu haben. Aber seis drum, sie mochte die Ruinenstadt und ihre Bewohner und sie wurde akzeptiert, warum also viele Gedanken machen.
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„Ich muss gestehen, dass ich seinen Namen noch nie gehört habe“, kam es vom Priester. „Aber das muss auch nichts heißen: Verbringe ich meine Zeit nicht im Tempel, so bin ich überall unterwegs, nur nicht hier in der Wüste. Das muss ich zu meiner Schande leider gestehen.“
Ob mich das gerade als Obersten Magier auszeichnen sollte? Nicht einmal eine scheinbar so wichtige Persönlichkeit zu kennen?
„Aber lass uns einmal zu dem Rest kommen“, meinte Tinquilius daraufhin wenig förmlich, wie es auch Maris bereits tat – erfrischend wie die Nordmarer Krieger. „Ich kann nicht sagen, dass ich von solch einer Verbindung jemals gehört habe. Aber mir ist beim Versuch, dich zu heilen, etwas aufgefallen: Das Gift scheint nicht komplett in dir zu stecken und dich doch komplett anzugreifen. Ich konnte zwar einen Teil mit meiner Magie bekämpfen, aber nicht alles.
Und wenn ich mir deinen Gefährten so anschaue“, fuhr er fort und deutete auf den Liger, der nun neben dem Bett ganz in Tinquilius‘ Nähe saß und ebenso kränklich aussah wie Maris, „scheint da wirklich etwas zu sein.“
Tinquilius schloss seine Augen für einen Moment und konzentrierte sich auf die Magie, die ihn umgab. Im ersten Moment sah und spürte er nichts, dann jedoch erschienen die Magieströme vor seinem Inneren Auge und erschufen ein fremdes Bild von Anirons Kammer. In allem steckte ein gewisser Teil Magie, auch in der kleinen Tochter Maris‘, aber das, was dem Priester sofort auffiel, waren das Tier und der Nomade: Ihre Magie schien sich kaum voneinander zu unterscheiden.
„Faszinierend“, entfuhr es dem Obersten Magier. „So etwas... Nein... Das hab ich noch nie gesehen.“ Für einen Moment verfiel er in Spekulationen und Möglichkeiten, wie es dazu gekommen war, bis ihm einfiel, weshalb er hier war. „Ach, verzeih. So etwas fasziniert mich so sehr, dass ich manchmal in Gedanken abdrifte. Aber ich glaube, ich kann euch beiden helfen.“ Vorsichtig näherte er sich mit seiner einen Hand dem Liger und legte diese möglichst ruhig auf den Rücken des Tieres, dann folgte die andere Hand auf Maris‘ Stirn. „Das habe ich noch nie probiert. Versuche möglichst entspannt zu sein.“
Der Priester schloss wieder seine Augen und konzentrierte sich. Maris Körper zu spüren und die Magie in ihn zu entsenden war nicht schwer, hatte er es doch vor kurzer Zeit erst getan. Aber das Tier war etwas vollkommen anderes. Er hatte bereits Orks behandelt, kleinere Tiere ebenfalls. Aber einen solchen Liger? Niemals. So dauerte es auch einen Augenblick, bis er überhaupt etwas spürte. Wie sagt man einem Tier auch, es soll sich gehen lassen und meine Magie in sich erlauben? Als dies jedoch Geschafft war, konnte er mit der eigentlichen Heilung beginnen.
Nach wenigen Minuten löste er seine Hände wieder von den beiden Körpern und öffnete die Augen. Sofort konnte er die stärkere Gesichtsfärbung Maris‘ erkennen und auch des Ligers weiter geöffnete Augen, die von mehr Aktivität zeugten.
„Wie fühlst du dich? Besser? Dieser Tiergefährt ist wahrlich besonders. Auch wenn ich es nicht verstehe – wie kann so etwas überhaupt sein? – so möchte ich dich darüber nicht ausfragen. Es ist auf jeden Fall sehr interessant, das muss ich gestehen.“ Er hielt einen Moment inne und betrachtete die Kleine vor ihm im Bett. „Ihr habt eine richtig süße Tochter und auch euer Sohn ist ein richtiger Wonneproppen. Ich freu mich richtig für euch.“ Ein Lächeln huschte über des Priesters Gesicht. Irgendwann hätte ich so etwas auch gerne. „Aber ich kann es mir auch schwierig vorstellen, vor allem wenn der Vater erst kürzlich einen Überfall unternommen hat. Ich wusste gar nicht, dass wir zu solchen Sachen übergegangen sind.“
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Nachdenklich legte die junge Mutter den Kopf schief.
"Ich habe von Kruzius eine Menge gelernt, ein kleiner Magier und ziemlich verrückt. Ich wette, ihr beide hättet euch gut verstanden, er war nicht minder neugieirg und fröchlich als du. Doch ich habe ihn schon sehr lange nicht mehr gesehen. Schade, eigentlich, er hat mir beigebracht, Wasser gefrieren zu lassen."
All die Erinnerungen an den verrückten, quirligen kleinen Mann kamen ihr wieder in den Sinn. Sie dachte daran, wie sie gemeinsam ins Meer hinab gestiegen sind und unterhöchster Anstrengung eine Alge hervorgeholt hatten. Das war eine unglaublich faszninierede Erfahrung gewesen.
"Wirklich schade", wiederholte sie.
"Es gab eine Magiern namens Melaine hier in Al Shedim, sie brachte mir bei, die Magie zu spüren, sie lehrte mich die die Grundlagen. Aber auch sie habe ich schon so lange nicht mehr gesehen."
Aniron fragte sich, ob es da einen Zusammenhang gab, so viele Leute hatten ihr Leben betreten und waren spurlos wieder verschwunden. Wahrscheinlich der Preis der Existenz, der Wüste. Sie kamen und gingen.
"Es tut mir Leid, ich kann dir gar nichts weiter empfehlen. Du kannst natürlich jederzeit Al Shedim verlassen und deinen Weg gehen, aber du bist eben immer hier willkommen. Wenn du jemanden suchst, dann halte die Augen offen, manchmal befinden sich Magier in der Bibliothek, manchmal trifft man sie an den ungewöhnlichsten Orten. Ich bin mir sicher, dass du der Magie das ein oder andere Geheimnis entlocken kannst."
Sie lächelte.
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Kruzius, Melaine, diese Name wurden sich natürlich sofort gemerkt. Zwar würde Nivi jetzt nicht die zwei Namen rufend durch die Gassen von Al Shedim laufen, aber sollte sie sie noch einmal irgendwo vernehmen oder lesen, dann wusste sie, dass es sich lohnen könnte dieser Spur zu folgen.
Ich werde schon jemanden finden, das kannst du mir glauben. Grinsend wanderte Nivi in Gedanken schon im Tempel umher, um den erst Besten vollgepackten Novizen nach Magielehrern zu fragen. Das Grinsen ging gemächliche in ein Gähnen über.
Schon wieder so spät, oder ich bin einfach nur zu müde. Egal. Jedenfalls werd ich gerne noch ein Weilchen hier in der Wüste bleiben. Es gibt wohl noch genug zu entdecken, zu lernen und auch zu tun. Ich werde dich auf jeden Fall vorwarnen, sobald ich beginne mit Magie zu experimentieren.
Leise kichernd wandte sich die Nordmarerin Richtung Türe. Ich werde jetzt wohl langsam im mein Zelt krabbeln. Ich werde morgen wohl wieder vorbeischauen und mit nach dem Schnaps sehen oder im Kräutergarten Zutaten ernten gehen, je nachdem. Eine gute Nacht wünsch ich dir und deinen Kindern. Und husch war Nivi aus dem Türrahmen verschwunden. Kurz darauf schaute noch einmal ihr Kopf zur Tür herein Und danke für alles Aniron. Grinsend verschwand sie diesmal aber wirklich.
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Über Magie hatte sie nicht mehr herausgefunden, aber das hatte sie auch nicht wirklich erwartet und jetzt hatten sich Ptah auch schon verabschiedet. "Gute Nacht" hatte sie ihm noch hinterher gerufen und dann war sie auch schon mit Janina alleine.
"Dir scheint dein Beruf Spaß zu machen, schließlich musst du von dem Gold, um das... du dich verkaufen hättest können, ja noch etwas haben. Auf jeden Fall kann ich schon verstehen, wie du damit Geld verdienst, du bist echt gut darin! Es hat mir sehr gefallen dir zuzusehen, wann und wo hast du das eigentlich gelernt? Und tut es nicht weh das Feuer in den Mund zu nehmen?"
Schon wieder stellte sie haufenweise Fragen und diesmal obwohl sie das Thema nicht so sehr interessierte. Zumindest nicht so sehr wie Magie, das alte Volk, Adanos und all das was mit den Magiern zu tun hatte.
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Selina zeigte ein enormes jugendliches Interesse, wieder einmal musste Janina schmunzeln. Tatsächlich war es ihr sogar lieber von Fragen gelöchert zu werden, als einer dieser hörigen jungen Adelstöchter aus Ishtar oder von sonst wo gegenüber zu sitzen. Solche Personen nervten sie. Uninteressant, gar nicht neugierig und es gab eigentlich keinen Grund, sich mit ihnen zu unterhalten. Da war ihr ein Bündel Fragen allemal lieber...
„Also, sortieren wir das mal und beantworten eines nach dem anderen.“, meinte Janina schmunzelnd und lehnte sich zurück, nachdem sie noch einen Schluck Ziegenmilch getrunken hatte, „Also als erstes: Ja, es macht mir spaß. Großen Spaß sogar. Man kann sagen, ich hab meinen Traumberuf gefunden. Gelernt habe ich das bei einer Schaustellertruppe, ich hab diese umherreisenden Menschen schon von Kindesbein an bewundert und wollte immer dazu gehören. Und als ich etwa in deinem Alter war bin ich von zuhause abgehauen und hab mich einer Gruppe angeschlossen, die gerade unsere Stadt, Ishtar, verließ. Und bevor du fragst: Nein, ich habe kein Heimweh. Kein bisschen.
Und das man Geld verdient ist ein gutes Zeichen dafür, das man gut ist. Wenn man schlecht ist, schauen die Leute nicht zu oder denken sich ‚Ja, ganz Nett.’ und gehen weiter ohne eine Münze springen zu lassen. Aber selbst wenn man gut ist, kann man nicht immer gut verdienen. Es kommt auch immer auf die Stadt und die Zeiten an. Wenn zum Beispiel gerade ein Krieg herrscht, schauen die Leute einem gerne zu, weil es Ablenkung bietet, aber aus Angst um ihr Habe geben sie fast kein Geld dafür, dann muss man sehen, wie man sich auf andere Weise durchschlägt.
Und das mit dem Feuer... ich erwähne das immer nur nebenbei, aber es ist eigentlich recht wichtig: Das sollte keiner nachmachen, der es nicht gelernt und geübt hat. Wenn man es kann, ist es berechenbar und die Gefahr das man sich verletzt gering. Und mit der richtigen Technik merkt man außer etwas Wärme und einem rauchigen Geschmack auch nichts. Wenn man aber ungeübt ist, kann man sich schrecklich verletzen oder gar töten. Wenn man zum Beispiel das Feuer aus Versehen einatmet stirbt man fast garantiert.
Ich will dir keine Angst machen, es ist nur eine Warnung.“
Sie zwinkerte freundschaftlich und trank dann noch einen Schluck. Die Beiden jungen Frauen unterhielten sich noch etwas, bevor sich spät in der Nacht jede zu ihrer Unterkunft aufmachte.
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Besser, definitiv besser. Zwar war der Nomade reichlich ausgelaugt, nachdem er sich erneut hatte auf die Magie einlassen, aber zumindest war dieses unsägliche krankhafte Schwächegefühl mitsamt Fieberwahn umgehend zurückgegangen. Diese magischen Heiler waren schon faszinierende Menschen. Auch Marik schien sich besser zu fühlen, zumindest ließen die Eindrücke, die er von ihm wahrnahm, darauf schließen.
"Wie gesagt, unsere Seelen sind magisch verbunden. Sagen wir: es ist keine Wassermagie, die an uns gewirkt hat. Was genau die Konsequenzen all dessen sind, ist mir teilweise noch unklar, doch Shakyor leitet mich ein wenig durch diese Entdeckungsreise."
Bei Tinquilius' weiteren Worten fiel sein Blick wieder auf die nun schlafende Runa.
"Da sagst du etwas... du glaubst nicht, wie schwer es mir fällt, die Drei jedes Mal hier zurückzulassen, aber ich habe Verpflichtungen den anderen Nomaden gegenüber, die ich nicht ignorieren kann. So sehr ich will, es geht nicht. Zu große Erwartungen lasten auf mir... leider. Aber wenn ich meine Prüfungen abgeschlossen habe und wir Zuben endlich zurück gedrängt haben, wird eine ruhige Zeit anbrechen, ohne Furcht, ohne Verstecken, ohne Tod und Zerstörung."
Es war wohl ein naives Bild, das er sich da zusammen schusterte, das war ihm bewusst, doch es war das große, erklärte Ziel der Nomaden, der Unterdrückung durch Zuben ein Ende zu setzen und in Frieden leben zu können. Ob all das so funktionieren würde, wusste er nicht. Doch wenn sie es nicht einmal versuchten, würde sich die Welt nicht ändern, und sie würde sich auf ewig vor den Schergen Zubens verstecken müssen.
"Was den Überfall angeht... nun, damals, als ich noch ein Flüchtling war, der hier in Al Shedim Unterschlupf fand - kurz nachdem die Piraten und ihr euch mit den Nomaden verbündet hattet - war es noch Gang und Gebe, dass Karawanen überfallen wurden, und selbst die Befreiung Lagos hatte man angestrebt. Dann, als der Einfluss der Piraten schwand und das Augenmerk Zubens stärker als je zuvor auf uns lag, begannen wir, uns davon zu distanzieren und unterzutauchen. Seit der Flut aber hielten wir uns mit kleinen Raubzügen gegen Karawanen über Wasser - ich weiß nicht, wie viel davon ihr Magier bemerkt habt. Versteh es nicht als Kritik an euch, aber unter den Nomaden geht der allgemeine Grundtenor um, dass ihr durch die Fixierung auf eure Forschungen weltfremd geworden seid."
Runa zappelte einen Moment, doch es schien nur im Traum zu geschehen, das Kind wachte nicht auf.
"Der Überfall auf Ben Erai war meine Idee, obwohl ich eigentlich kein Freund solcher Aktionen bin. Doch es liegt ein Sinn dahinter - wir raubten eine ganz beträchtliche Menge an Gold, soweit mir das berichtet wurde. Ich selbst konnte mich ja noch nicht davon überzeugen. Mit dem Gold jedoch will ich versuchen, den Händlerkönig Mora Suls zu locken, um einen Keil zwischen ihn und Zuben zu treiben und so seinen stärksten Rückhalt zu nehmen, während Zuben selbst erst einmal einige Wochen brauchen wird, um die Stollen, die wir einstürzen ließen, wieder aufzubauen, um Gold daraus zu gewinnen. Denn eines steht fest: Assassinen lieben eines noch mehr als sich selbst und ihren Gott, und das ist Geld. Ihre Gier geht sogar so weit, dass sie verfluchte Schätze stehlen, die ihnen unweigerlich nur den Tod bringen können. So ist es erst kürzlich geschehen, aber das interessiert dich sicher nicht allzu sehr."
Maris griff nach einem Tonbecher, gefüllt mit Wasser, der neben dem Bett auf einer kleinen Kommode stand, und nahm einen Schluck. Seine Lippen waren mehr als nur trocken, und nach all dem Gesagten fühlte er sich umso ausgetrockneter.
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Eine tolle Welt wäre das, dachte sich der Priester. Zuben zurückgedrängt, die Städte Varants wieder frei von den Assassinen und kein Nomade oder Wassermagier müsste mehr fürchten, gefangen genommen oder gar getötet zu werden. Auch wenn ich wahrlich die Wüste nicht mag, so wär das selbst für mich ein großartiges Ziel.
„Von der Befreiung Lagos habe ich zumindest schon einmal etwas gehört. Das liegt aber schon eine ganze Weile zurück, wie du ja auch sagst. Dass wir uns aber damals und auch noch heute durch kleine Überfälle über Wasser halten, ist mir nicht einmal ansatzweise bekannt. Da kann ich deine Meinung und die der anderen Nomaden gut verstehen. Wir Magier sind etwas zurückgezogen in unserem Tempel – vor allem seit dem Zwischenfall mit den Abtrünnigen vor geraumer Zeit.“
Er hielt für einen Moment inne und überlegte, wie er fortfahren sollte, ohne Maris über den sprichwörtlichen Schlips zu fahren.
„Versteh mich nicht falsch: Wir sehen euch als unsere Brüder und Schwestern an, doch die Überfälle und Probleme mit den Abtrünnigen führten in Magierkreisen dazu, den Nomaden weniger zu trauen. Das hätte man vielleicht verhindern können mit einfachen Gesprächen“, fuhr er fort, „stattdessen jedoch haben wir, nein, genauer gesagt ich, das Bündnis mit den Nordmarer Kriegern angenommen, um so einen größtmöglichen Schutz des Tempels zu gewährleisten – vielleicht ein Fehler.
Aber ich möchte jetzt keine sprichwörtlichen Bälle hin und her schmeißen, was wer falsch gemacht hat oder mit meinen Worten versuchen, die Schuld auf euch zu schieben. Und schon gar nicht möchte ich einen Moralapostel spielen. Ich denke, dass die Gründe richtig waren für den Überfall – eine Schwächung Zubens kommt schließlich uns allen zu Gute - , auch wenn ich persönlich Gewalt nur ungern nutze und genutzt sehe.“
Solange mich kein Magierausch überkommt und ich nicht nur Macht genieße und sie suche, sondern auch übertrieben auslebe.
„Deshalb geh ich direkt auf das ein, was mich interessiert: Du sprichst von verfluchten Schätzen. Was hat es damit auf sich? Vom Volk als verflucht angesehen? Oder sind diese Reichtümer wirklich verflucht worden? Magisch, meine ich? Davon habe ich ebenfalls noch nichts gehört.“
Und so einiges mehr scheinbar. Und das, obwohl ich Oberster Magier bin und mich in Varant auskennen sollte. Aber vielleicht kann ich jetzt etwas mehr erfahren und durch Maris auch eine Sichtweise auf die Nomaden bekommen, die ich noch nicht kenne.
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Irgendwo hier wollten sie sich treffen. Das hatten sie jedenfalls ausgemacht, als sie sich trennten. Doch leider war der Marktplatz ein wenig größer als erwartet. Das nächste Mal sollten sie statt einfach nur „auf dem Marktplatz“, ausmachen, dass sie sich an einem bestimmten Gebäude oder einem bestimmten Verkaufsstand treffen würden. Auch wenn der Marktplatz inzwischen recht vereinsamt aussah, war es dennoch schwierig, eine bestimmte Person zu finden. Doch nach ein wenig herumirren in den Gassen zwischen den Buden, entdeckte olirie den Gesuchten. Dieser hatte scheinbar gerade etwas Passendes gefunden. Zumindest hatte er in jeder seiner Hände eine flackernde Orange Kerze, die er anscheinend frisch an einem der letzten noch offenen Stände erstanden hatte. Als er olirie bemerkte, ging er auf diesen zu und drückte ihm eine der Kerzen in die Hand und empfahl ihm, mal an dieser zu riechen, was zwar nicht nötig war, da ihr Duft sich auch so verbreitete. Dennoch tat olirie Ormuss diesen Gefallen und roch an der Kerze. Sie strömte einen eindeutigen Lavendelduft aus. Vermutlich hatte der Kerzenzieher etwas von einem der vielen Duftwässerchen, die auf einem der solchen Märkte feilgeboten wurden, in das flüssige Wachs getan. Bei einem seiner nächsten Marktbesuche, so beschloss olirie, wollte er darauf achten, ob einer der Händler zufällig etwas Lavendelöl im Angebot führte. Doch zunächst beschlossen sie, eine Kleinigkeit zu essen. Beide hatte seit dem Mittag nichts mehr zu sich genommen.
Auf dem Weg zu Taverne kamen sie an einem Stand vorbei, an dem noch etwas Licht brannte und ein sichtlich geschaffter Markthändler seinen Grill reinigte. Bei diesem konnten sie für wenige Goldmünzen noch ein paar Stückchen des letzten Huhns erwerben. Es waren zwar keine Filetstücke mehr und auch nicht mehr wirklich warme, doch es war günstig und sättigte. Brot konnte er leider auch nicht mehr dazu bieten, das war auch schon aus. Oder um es zu präzisieren, hatte der Verkäufer gut gewirtschaftet, es waren sämtliche Beilagen aus.
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Ja, sie hatten alle Fehler im Umgang miteinander gemacht, das stimmte wohl. Die Schuldfrage zu klären oder überhaupt erst zu stellen, lag ihnen beiden jedoch offenbar nicht nahe, denn sie wussten wohl beide darum, dass dieses Thema sehr komplex war. Allein durch die Führungskrise der Nomaden war die allgemeine Marschrichtung lange nicht klar gewesen, doch daran konnten sie ja nun arbeiten.
"Ja, die Fehler schleichen sich schnell ein, wenn wir nicht miteinander sprechen. Das sollten wir in Zukunft vielleicht anders handhaben. Dadurch weißt du sicher auch nicht, dass du sehr viele Nomaden mit der Kontaktaufnahme zu den Söldnern vor den Kopf gestoßen hast. Die Bewachung des Tempels ist eine der höchsten Ehren für uns, die höchste sogar, abgesehen von den Würden eines Hüters, die nur die Wenigsten für sich beanspruchen können. Und plötzlich werden sie, die es sich verdient haben, den Tempel zu bewachen, aus ihrem Heiligtum geworfen, und ein paar Barbaren - verzeih das Wort, ich weiß, dass viele von ihnen keine sind, doch die Menschen werden immer sehr schnell ungerecht in solchen Dingen - nehmen ihre Plätze ein, ohne diese Ehre auch nur im Geringsten zu würdigen. Das war der Grund, weshalb es große Anfeindungen zwischen Söldnern und Nomaden gab, doch Xorag und ich haben auf der jeweils eigenen Seite zumindest etwas für Beruhigung gesorgt."
Die Söldner waren generell recht ruhig geworden, fiel dem Blondschopf auf. Waren sie am Anfang noch heiß darauf gewesen, neben den ruhigen Stunden in den kühlen Hallen des Tempels wilde Abenteuer zu erleben, blieb dies jetzt offenbar vollkommen aus. Und generell waren sie wenige geworden. Wo die nur alle hin waren?
"Wie gesagt, der Tempel als Heiligtum bedeutet auch uns recht viel. Wir sehen euch als unsere Leitfiguren, nichtsdestotrotz, und Adanos als unseren Gott neben dem Glauben an die Wüste. Wobei ich zugeben muss, dass mir die Mutter Wüste der liebere Gott von beiden ist, weil wir direkt in ihr leben und von ihrer Gnade abhängig sind. Adanos ist... größer, unpersönlicher. Trotzdem sind beide für uns wichtig, und so seid auch ihr es. Das solltest du wissen."
Ein wenig rückte er sich zurecht, um aufrechter sitzen zu können, damit er sich besser mit Tinquilius unterhalten konnte. Eine wirkliche interessantes Gespräch, das sich aus dem kleinen Krankenbesuch entwickelt hatte.
"Kein Volksglaube. Die varantinischen Sagen stürzen sich in der Regel lieber auf Dschinne, Dämonen, solcherlei Dinge - zum Beispiel gilt ein Wesen wie Marik, das eigentlich nicht existieren sollte, unter vielen Varantern als Dämonenwesen. Das verfluchte Geschmeide gibt es wirklich. Ich war bei Braga, suchte die Sippe des Nomaden Asaru auf, der das Städtchen dort im Auge behält, und er stellte mir als Prüfung die Aufgabe, ein Geschmeide aus den kostbarsten Stoffen, aus Gold und Juwelen, zu finden und zu zerstören. Seine Männer hatten es irgendwie in die Finger bekommen, doch jeder, der es auch noch bei sich trug, starb früher oder später. Durch die Gier der Leute jedoch fand sich immer wieder jemand, der dumm genug war, es an sich zu reißen, und so wanderte es über diverse Stationen nun wahrscheinlich nach Bakaresh. Es soll sich wohl im Besitz eines assassinischen Händlers befinden. Stellt sich nur die Frage, ob der überhaupt noch lebt."
Just in diesem Moment öffnete sich die Tür, und Aniron trat herein, den ebenso wie Runa schlafenden Sinan im Arm.
"Hallo Schatz", grüßte er seine Verlobte mit ebenso gedämpfter Stimme, mit der Tinquilius und er bislang gesprochen hatten.
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