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[Story]Die Gutmenschen
Die Gutmenschen
Heute
"Hey Roscoe, hierher, der zuckt noch!"
"Nicht doch..."
Der Bandit streifte sich seinen Schal über die Nase. Er wollte nicht reden, wollte nichts riechen. Der Geruch von Schweiß, Blut und Tod lag in der Luft, hin und wieder auch der Rauch eines Stängels Sumpfkraut, das war auch nicht angenehmer. Seine Lunge war nicht die gesündeste.
Roscoe trottete über das Schlachtfeld, trat dabei gegen den ein oder anderen Leichnam, doch von denen regte sich keiner mehr. Ihre Gesichter spiegelten allesamt dieselbe Überraschung wieder. Den Angriff im Wald hatte keiner von ihnen erwartet, nicht nachdem die Blaue Bande schon vor einer Woche ein ganzes Konvoi kaltblütig erschossen hatte. Sie hatten gehofft, ihre kleine Intrige an der Brücke konnte sie retten, aber das war lächerlich. Roscoe hatte die Verräter allesamt ermordet. Und deswegen musste er jetzt Leichen begraben? Weil er vielleicht auch loyale Männer umgebracht hatte? Lares wusste seinen Einsatz einfach nicht zu schätzen. Dennoch musste Roscoe grinsen, als er an die Erzbarone dachte. Gomez würde vor Wut hoch gehen, wenn er davon erfuhr, aber was sollte er schon tun? Ein Angriff auf das Neue Lager war aussichtslos, glich es doch inzwischen einer uneinnehmbaren Festung hinter hohen Klippen und mit vielen, erstklassig ausgebildeten Bogenschützen.
"Hier drüben. Ich hab' die anderen schon geprüft, das ist der Letzte."
Wedge, der Leichenfledderer unter den Banditen und Roscoes kurzzeitige Rechte Hand, entriss einem sich am Boden windenden Gardisten seinen kostbarern Lederbeutel mit Erz und schnitt ihm einen Finger ab, an dem ein hübscher Ring steckte, den er anderswie partout nicht abbekam. Das Opfer hustete Blut, seine Finger krümmten sich, dann ballte er eine Faust und verpasste Wedge einen Kinnhaken.
"Scheiße, Mann!"
Der Leichenfledderer taumelte zurück und biss sich auf die Unterlippe.
"Mann, jetzt gib ihm endlich den Rest!", herrschte er Roscoe sauer an und begann, sich einen Stängel Kraut zu drehen.
"Warum kannst du das nicht? Da liegt ein Schwert, da ein Gardist. Also?"
"Scherzkeks."
Wedge war komisch. Er war ein Halunke durch und durch, Hehler, Meisterdieb, Heckenschütze und Verräter. Ein richtiger Gutmensch. Nur war er kein Mörder. Er glaubte, dafür könnte er in Beliars Höllenreich kommen. Roscoe war es unverständlich, wie man einen solch paradoxen Charakter entwickeln konnte. Er seufzte nur und rammte dem Gardisten sein eigenes Schwert in die Brust. Das klägliche Seufzen erstickte nach wenigen Augenblicken.
"Hast du sie ausgenommen?", fragte Roscoe trocken.
"Liegt alles in der Kiste."
Wedge schnipste den Ring auch hinein, die Kiste war randvoll mit Erz und Schmuckstücken. Die Gardler waren echt eine Bande von Schwuchteln, wie sie sich mit diesem Weiberkram kleideten.
"Ich nehm die Kiste."
Roscoe schüttelte den Kopf: "Vergiss es. Ich musste letzte Woche schon die Leichen wegschleifen, weil Cipher und Bruce es allein nicht geschafft haben. Diesmal hilfst du mir."
Der Leichenfledderer grummelte nur, gab aber schließlich nach. Es war der elendste Job, den die beiden Banditen hatten kriegen können - nach dem Überfall die Überlebenden töten und die übrigen Wertsachen einsacken. Der Rest der Bande um ihren Anführer Lares war schon letzte Nacht wieder abgehauen, man musste ja immer mit einem Angriff anderer Gardisten rechnen. Und Roscoe und Wedge konnten jetzt den Job von Bruce und Cipher übernehmen. Die beiden waren es eigentlich, die sich noch bei der Bande mit solchen Drecksaufgaben beweisen mussten, doch während des gestrigen Angriff waren sie abgehauen und nicht wieder gesehen. Wenn Roscoe sie nur in die Finger bekam...
Wedge stellte sich hinter den frisch ermordeten Gardisten und packte dessen Arme. Sie würden die Leichen an eine Höhle am Fluss ganz in der Nähe des Neuen Lagers bringen und dort begraben. Da mussten sie nicht so tief schaufeln. Würden sie sie einfach hier liegen lassen, könnte das wilde Tiere in die Nähe des Lagers locken, Schattenläufer oder Schlimmeres. Außerdem würden die Erzbarone so eine Weile im Dunkeln tappen.
Roscoe seufzte und packte die von Blut verklebten Beine des Toten.
"Auf drei... eins, zwei..."
Ein Rascheln im Unterholz. Roscoe ließ den Gardisten sofort los und zückte sein Langschwert. Wedge hatte seinen Bogen von der Schulter genommen. Sie waren tief im Wald zwischen dem Alten und dem Neuen Lager. Hier konnte alles lauern und hoffentlich war es nur ein einzelnes Molerat, das vom Kadavergeruch angezogen wurde.
"Dort!"
Roscoe deutete auf ein Gebüsch und Wedge spannte seinen Bogen an. Eine Gestalt kam auf sie zugerannt, schweißgebadet, atemlos.
"NICHT!", rief Roscoe laut, als er binnen von Wimpernschlägen erkannte, um wen es sich handelte. Und Wedge hatte seinen Schuss gerade noch ablenken können, sodass der Pfeil in einem Baum knapp neben der Gestalt landete, die auf sie zugerannt kam.
"Cipher!", erkannte Wedge den Kerl jetzt auch, "Scheiße, was ist los mit dir?"
Der strohblonde Bandit war völlig außer Atem. Roscoe steckte seine Waffe weg und stützte ihn, er war am Zusammenbrechen. Seine Beine hielten ihn nicht mehr, der modrige Boden musste das übernehmen.
"CIPHER!"
"Ha...ha... hy... he..."
Mehr brachte er nicht heraus, dann kippte sein Kopf kraftlos zur Seite, die Augen leer in die Ferne blickend.
Wedge war entsetzt und warf erst jetzt seinen Krautstengel fort: "Was bei Beliar!?"
Roscoe legte seinen Kameraden sorgsam hin. Plötzlich war aller Hass, den er eben noch auf Cipher hatte, verschwunden und ein leichtes Gefühl der Reue überkam ihn. Hilflos suchte Roscoe nach einer Verletzung am Körper des Banditen, die es zu stillen gab, doch da war nichts. Sein Atem hatte bereits ausgesetzt, der Puls tat es ihm gleich.
"Roscoe, was ist mit ihm?", fragte Wedge verzweifelt. Seine Stimme war nichts als ein leises Hauchen. Roscoe schluckte und nahm langsam den Schal vom Gesicht.
"Er ist tot."
Geändert von MiMo (30.03.2017 um 22:20 Uhr)
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Vor drei Wochen
Die gleißende Mittagssonne stach Cipher ins Gesicht, für einen Moment hatte er von dem steinigen Boden auf zum klaren Himmel geschaut und war sogleich gestolpert. Da er an einer Handfessel von einem der königlichen Soldaten hinterher gezerrt wurde, warf es den Wachmann in diesem Moment fast auch hin.
"Pass doch auf", fluchte der Königstreue wütend, "blöder Penner!"
Bruce drehte sich zu ihm um und grinste.
"Alles okay?"
"Klar doch", antwortete Cipher genervt.
"Schnauze halten!", der Soldat war noch viel genervter.
Ihr Weg schien kein Ende zu nehmen. Die Gefangenenkolonne hatte vor einer halben Stunde das Umland von Khorinis verlassen und war auf geradem Weg in Richtung Minental aufgebrochen. Eine riesige, magische Kuppel umspannte das Land, soweit Cipher es verstanden hatte, war es ein Gefängnis aus dem man nicht ausbrechen konnte. Warum? Weil es magisch war...
Und sie waren auf direktem Weg in dieses Gefängnis auf Lebenszeit. Sollten dort Erz hacken, mehr hatte man ihnen nicht gesagt. Der Grund für die Haft? Ein lausiger Clou im Händlerviertel von Khorinis, eigentlich keine große Sache. Eine Geldstrafe hätte früher ausgereicht, aber das war dem Statthalter nicht genug. Jeder noch so kleine Fisch wurde heutzutage in die Barriere geworfen, ob arm oder ohne Obdach, es spielte keine Rolle.
Aber Cipher und Bruce hatten es wirklich verdient, das wusste ersterer und musste bei dem Gedanken daran grinsen. Nicht wegen des Händlers, den sie ausgenommen hatten, sie hatten früher schon viel größere Dinger gedreht, sie waren ein eingefleischtes Team. Bruce war dabei das Auge und er der Langfinger. Und nun gingen sie Seite an Seite dem Ende entgegen. So war es doch irgendwie in Ordnung.
Der Pfad verengte sich. Hohe Steilwände bestimmten die Landschaft, hier und da klaffte ein Loch aus dem Gestein, eine ehemalige Mine oder nur der Bau eines großen Wildtieres, es war Cipher egal. Er dachte noch an Flucht, vielleicht hätte man sich in einer der Höhlen verstecken können, doch ehe dieser Gedanke fertig gesponnen war, blieb der Trupp stehen. Sie waren an einer Klippe angekommen. Die große, blauglänzende Barriere erwartete sie mit einem surrenden Rauschen. Unten befand sich ein See, eine Anlage aus Seilwinden führte auf ein Podest, wo Kisten gestapelt wurden. Hier fand auch der Warenaustausch statt, Erz wurde aus der Barriere verladen, wahrscheinlich zu den Schmieden nach Khorinis.
Cipher und Bruce waren die Letzten hinter einer langen Schlange von Gefangenen. Die Prozedur war immer dieselbe, man konnte den Schnitt hören, mit welchem man von seinen Fesseln befreit wurde, dann eine lange Rede des Richters und schließlich das Zischen der Barrierenwand, durch welche man zwar lebend ins Gefängnis herein, aber nur in Einzelteilen wieder heraus kam. Cipher und Bruce versuchten, in den Schatten einer Steilwand zu gelangen, doch die Sonne stand nahezu im Zenit.
"Und, aufgeregt?", fragte Cipher seinen Kumpanen, doch dieser antwortete nicht. Er starrte überrascht in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Von dort kam noch einer. Kein Nachzügler von ihnen, es war einer der Feuermagier, einer der Leute, die in der Lage waren, DAS zu erschaffen. Aber von einem bisschen Sprint war der Kuttenträger schon völlig außer Atem.
"Was will DER denn hier?", fragte sich Cipher laut, zu laut, der Soldat hinter ihm verpasste ihm sogleich einen Schlag mit dem Schwertknauf in die Magengrube. Der Gefangene versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
Der Magier eilte sofort zum Richter voraus, er schien irgendein wichtiges Schreiben dabei zu haben. Seltsam.
"Hast du das gesehen?", fragte Bruce.
"Das Schreiben? Ja, ich frage mich, mit was er uns da beehrt..."
"Nicht das...", Ciphers Kamerad verdrehte die Augen und beobachtete die Wache. Sie stand etwas abseits und versuchte, wichtig zu erscheinen. Bruce wartete den richtigen Augenblick ab und flüsterte nahezu unverständlich leise.
"Der hat aber einen dicken Hals!"
"HEY! Wie oft habe ich euch jetzt schon gesagt, ihr sollt die Schnauze halten!?"
"Ich..."
Der Wachmann hatte genug von den beiden, schnitt Bruce frei, packte ihn am Kragen und schleifte ihn ohne Widerwehr zum Richter vor. Kurz darauf waren Zischen und Platschen zu vernehmen. Cipher seufzte, sein Freund hatte es gut, da war er der furchtbaren Zeremonie doch noch entgangen. Und er hatte Cipher einen wertvollen Hinweis gegeben, natürlich einen, den nur ein Dieb verstehen konnte. Und so konnte Cipher in Ruhe ausharren bis er an der Reihe war...
Zehn Minuten vergingen. Und er war die Warterei leid, stupste seinen neuen Vordermann, einen jungen Mann mit kurzem Pferdeschwanz, und fragte ihn laut nach seinem Namen. Gerade als dieser antworten wollte, wurde Cipher unterbrochen.
"Das geht dich einen Scheißdreck an!", fauchte der Wachmann hinter ihm und packte den Gefangenen schließlich auch am Kragen.
'Na endlich', dachte Cipher mit einem Grinsen auf den Wangen, als er vor bis zur Klippe gebracht wurde. Ehrfürchtig betrachtete er die riesige blaue Kuppel, durch die er gleich geschmissen wurde.
"Was ist denn jetzt schon wieder? Kann er nicht warten bis wir fertig sind?", zischte der Richter zornig. Jeder schien seiner langen Rede überdrüssig, das wusste der Alte und ärgerte sich nun noch mehr, als er auch noch unterbrochen wurde. Zum zweiten Mal.
"Er macht Ärger!", antwortete der Wachmann kalt und drückte Cipher näher an die Klippe.
"Dann stellt ihn doch so ruhig, ich habe meine Befehle, allen Gefangenen..."
Cipher hörte sich die Diskussion gar nicht an. Die Blicke des Gefangenen suchten den Feuermagier, der stand abseits und beobachtete das Treiben. Auch er schien sichtlich angespannt.
"Meister, auf ein letztes Gebet!", rief Cipher und schritt zu ihm herüber. Der Magier blickte ihn fragend an, rümpfte seine Nase verachtend.
"Ich..."
"Nein Herr, ich kümmere mich", meinte die Wache und packte Cipher an der Schulter. Darauf hatte der aber keine Lust und versenkte den Ellbogen im Gesicht des Soldaten. Der sackte überrascht und wutschnaubend zusammen. Cipher grinste nur dämonisch und schritt auf den Magier zu.
"Bewahre!", rief dieser noch, einige Soldaten kamen sofort angerannt, um den Gefangenen abzuhalten. Der Rest ging unglaublich schnell. Cipher entriss dem Magier mit einer schnellen und kräftigen Bewegung das riesige, protzige Amulett, auf das Bruce ihn vorhin netterweise hingewiesen hatte und sprang, bevor ihn irgendwer erhaschen konnte, die Klippe hinab. Von draußen konnte man nur noch sein schelmisches Lachen vernehmen. Ein Zucken durchfuhr seinen Körper, dann platschte er ungeschickt mit dem Bauch voran in den See...
Geändert von Ronsen (11.01.2012 um 19:25 Uhr)
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Heute
"Bei Adanos, was sollen wir jetzt tun? Ob da noch ein Gardist lebt, der ihn umgebracht hat?"
Nervös wischte sich Wedge den eiskalten Schweiß von der Stirn. Ein frischer Wind zog plötzlich auf, wie der Hauch des Todes fuhr er durch die kurzen, lockigen Haare des Banditen. Er kramte sich einen Stängel Sumpfkraut aus der Tasche, puhlte es aus dem Papier und kaute drauf los. Seine Zähne waren schon furchtbar gelb davon.
"Ganz einfach, ich nehme die Kiste und bringe sie zu Lares. Du gehst Ratford und Drax suchen, die können Spuren lesen."
Roscoe stülpte sich den Schal wieder über die Nase und nahm die schwere Kiste. Das war wieder typisch. Und wenn er bei Lares war, befand sich die Hälfte des Erzes schon in seiner eigenen Tasche. Warum sollte man auch sonst den Job zu zweit erledigen? Damit keiner den Boss betrog. Der Egoismus überstieg bei den Banditen immer den Gedanken, eine Sache zu teilen, auch wenn es oftmals viel praktischer war. Aber Wedge wollte das seinem Kollegen nicht vorwerfen, der wurde schnell stinkig.
Also fragte er etwas anderes: "Wir können ihn doch nicht einfach so hier liegen lassen. Das ist unmenschlich."
"Das ist ein Schlachtfeld, da sterben Menschen nunmal. Wie viele Banditen haben wir jetzt schon auf dem Leichenhaufen?"
"Über zehn", antwortete Wedge verbittert, "Aber schau ihn dir doch mal an! Hier ist er nicht gestorben. Nicht durch eine Waffe."
Sie hielten kurz inne. Roscoe merkte bestimmt, dass Wedge nur einen Grund suchte, ihn zurück zu halten. Glücklicherweise löste ein Ruf aus der Ferne die beklemmte Situation.
"Ey Roscoe!"
Die beiden wandten sich um. Vom Waldrand her spazierte Drax, einer der besten Jäger des Neuen Lagers auf sie zu. Und er hatte einen furchtbaren Dialekt. In den Morgenstunden waren er und Ratford hier ständig unterwegs.
"Was macht'n ihr hier? Kanne wo ne sin, dess ihr hier noch rumlungert, wenn ich uf de Jacht bin. Solltets ne scho längst fertsch sin?"
"Du kommst genau richtig", antwortete Roscoe, setzte die Kiste ab und deutete in den Wald, "Kannst du Wedge bitte auf seiner Fährtensuche helfen? Ich muss die Kiste wegbringen."
"Wasn los? Welche Färde?"
"Cipher ist tot. Wäre nicht schlecht zu wissen, wie das passiert ist. Aber wir haben ja alle unsere Aufgaben."
"Ganz genau", stimmte Wedge ihm zu, "Und deshalb gehst du mit Drax den Killer jagen und ich bringe die Kiste weg."
"Das könnte dir so passen!"
Die Blicke der beiden raffgierigen Banditen trafen sich lange. So lange, dass Drax sich schon zu dem Leichnam begeben und ihn untersucht hatte.
"Wie kommts'n? Ich seh keene Verletzung. Sollt 'mer ihn ne ma ausziehn und gugg'n?"
"Unnötig. Wahrscheinlich ein Gift von einem der Schatten", antwortete Wedge spontan. Es war das Erste, was ihm auf die Schnelle eingefallen war.
"Ach, und woher weißt du das so genau? Glaubst du, es gibt einen Verräter in unseren Reihen?"
Der Leichenfledderer kaute nervös auf dem Tabak herum.
"Möglich, dass wir nicht alle erwischt haben. Einer von uns oder einer aus dem Alten Lager... wir haben Bruce noch nicht gefunden. Er wird uns sicher was dazu sagen können, hat er doch immer mit Cipher herumgehangen."
"Und wie verbleimer nune? Ich kann die Kiste och wegschaffn..."
"NEIN!", kam es wie aus einem Mund. Wieder ein kalter Blick von Roscoe.
"Wo ist dein Partner? Ratford."
"Der wartet of mich an der Brügge."
"Hol ihn her."
"Ihr macht'n ganz scheenes Deader um den Burschn."
Kopfschüttelnd wandte sich Drax ab und ging zur Brücke in Richtung Fluss. Man konnte ihn von hier rauschen hören, Drax würde in wenigen Minuten wieder da sein.
"Was soll das? Vertraust du mir etwa nicht? Ich bin Lares' rechte Hand, vergiss das mal nicht!"
Wedge ignorierte seinen Kameraden und spuckte den schwarzen Tabakschleim aus. Dann beugte er sich über Cipher.
"Was soll das werden?"
"Was denkst du denn?"
"Du bist ein mieser Arsch. Deine Götternummer kannst du dir sonstwohin stecken."
Wedge ging nicht darauf ein. Das wäre nicht gut, Roscoe war leicht zu provozieren. Und er war stärker als er, eine offene Konfrontation wollte der Dieb vermeiden. Stattdessen durchsuchte er Ciphers Hosentaschen. Der Kerl war einer der besten Drogendealer gewesen, vielleicht fand man bei ihm noch etwas Stoff.
"Es muss ja einen Grund geben...", flüsterte Wedge, "...warum man ihn getötet hat. Vielleicht hat er das Beweisstück noch am Körper."
"Vielleicht ist dir auch nur der Tabak ausgegangen und du suchst nach Nachschub."
Roscoe brummte und setzte sich auf die Kiste. Er wollte wahrscheinlich unmissverständlich klar machen, wer hier die Kontrolle über die Situation hatte.
Er zog Cipher nun doch die Rüstung aus und tastete fast jede Stelle seines Körpers ab. An der Schulter hatte er einen blauen Fleck, aber das konnte ihn doch nicht umbringen...
Cipher war selbst Dieb, er wusste, wo man Dinge gut unbemerkt versteckte. Ob im Ärmel oder in einer Brustinnentasche. Aber außer ein paar lausiger Münzen, die hier wegen des vielen Erzes völlig wertlos waren, hatte er gar nichts bei sich. Jetzt machte sich Wedge an den Schuhen zu schaffen.
"Wie lange dauert das denn...", seufzte Roscoe genervt.
"Bin gleich fertig..."
"Ich meine nicht dich. Ich meine Ratford und Drax."
"Hast du Angst, der Killer könnte dich erwischen?"
Vorsichtig zog Wedge den rechten Schuh vom Fuß des Toten. Dieser stank widerlich, wie man es eben von sich selbst gewohnt war.
"Oh Mann, zieh ihn wieder an, das ist nicht nur pervers, das ist sogar eine Vergewaltigung meiner Atemorgane."
Aber Wedge legte noch einen drauf und zog auch den Linken aus. Dort spürte er plötzlich einen schweren Klumpen im Schuh, der nicht zum Fuß gehörte. Nahezu in Zeitlupe ließ er den schweren Gegenstand aus dem Stiefel rutschen - es war ein dreckiges, aber von Edelsteinen protzendes Amulett mit einem riesigen Juwelenklunker in der Mitte.
"Alter...", schnaubte Roscoe und Wedge, der den Klunker in den Händen hielt, wusste, dass sie jetzt in Probleme geraten waren, deren Reichweite und Auswirkungen noch völlig unvorhersehbar waren...
Geändert von Ronsen (11.01.2012 um 19:30 Uhr)
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Vor drei Wochen
"Aufwachen! Cipher!"
Die Stimme seines Freundes erklang wie weit entfernt, ein Rauschen aus dem Meer, ein Wispern im Wind. Cipher spürte, wie er durch eisiges Wasser gezerrt wurde, irgendwann ließ man ihn rüde auf den steinernen Boden fallen. Ein Ruck fuhr dem Gauner dabei durch den Brustkorb, raubte ihm fast allen Atem, den er mit Müh und Not nach dem Sturz durch die Barriere hatte aufnehmen können. Der Luftmangel hatte seinen Kopf schwer und schwummrig gemacht, er fühlte sich kraftlos, wollte ruhen.
"CIPHER!"
Bruce schlug ihm auf die nackte Brust. Man hatte darauf verzichtet, ihnen etwas für Obendrüber mit in ihr Gefängnis zu werfen. Plötzlich zuckte Cipher zusammen, sein ganzer Körper verkrampfte sich, er rang nach Atem, doch schien sich sein Hals dabei nur noch mehr zu verengen. Noch ein Schlag auf die Brust. Die Schmerzen waren kaum merklich, doch plötzlich durchfuhr ihn der Drang, sich zu übergeben. Und er drehte sich mit letzter Kraft zur Seite und spie eine gewaltige Ladung Wasser aus. Er würgte so entsetzlich lange, dass er schon dachte, Blut zu spucken.
"GUT! Es ist gut! Lass alles raus."
Endlich kehrte wieder Leben in seinen Körper. Schmerzen vom Aufprall auf den Stein, Schmerzen am Kopf, den er sich irgendwo an den Klippen wohl aufgeschlagen hatte. Aber auch seelische Schmerzen, er verspürte jetzt ersten, aufkeimenden Hass auf die Leute, die ihm das angetan hatten. Ja, er machte sie auch für die Wunde am Kopf verantwortlich. Es dauerte aber eine ganze Weile, ehe er sich aufrappeln und einen richtig klaren Gedanken fassen konnte.
Die Sonne prallte noch immer vom Himmelszelt auf ihn herab, doch blickte er hinauf, fiel ihm sogleich das blauviolette, von zahllosen Blitzen durchzuckte, neue Himmelszelt auf, das sie den Gerüchten nach ihr ganzes Leben lang hier halten sollte. Die Barriere. Nun waren sie wieder gefangen, doch Cipher verschwendete gar nicht erst einen Gedanken an Selbstmitleid. War er denn auf Khorinis wirklich freier gewesen? Dieses Gefängnis maß mehrere Quadratmeilen, so einen Freiluftknast konnten sich seine ehemaligen Zellengenossen doch nur wünschen.
"Wie geht es dir?", fragte Bruce und packte seinen Freund an der Schulter. Cipher wollte etwas antworten, aber er bekam kein Wort heraus, schüttelte nur mit offenem Mund den Kopf. Dann beugte sich Bruce über ihn und fingerte in Ciphers kurzen, blonden Haaren herum. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn.
"Was fällt dir ein?", stieß er plötzlich aus und erwehrte sich damit des Leidens.
"Du blutest. Das muss verbunden werden. Hast ganz schön was abbekommen. Komm, ich reiß dir ein Stück deiner Hose ab und..."
"Finger weg!", blaffte der Blondschopf nur, "Es geht schon."
"Was ist denn los?", Bruce blickte ihn mit seinen großen, kastanienbraunen Köteraugen unschuldig an. Cipher brauchte eine Weile, ehe er sich gefangen hatte. Sein Puls war noch immer am Rasen, er fuhr sich über den Kopf und schrie nun aus Eigenverschulden vor Schmerz.
"SCHEIßE! Blöder... Scheißdreck!"
Bruce schwieg. Der Verletzte begann, sich seine Wunde im Wasser auszuwaschen. Im Spiegelbild sah er dabei mehrere Gestalten hinter sich sitzen. Die anderen Gefangenen, sie saßen am Austauschplatz herum, warteten.
"Was tun die da?"
"Warten", antwortete Bruce knapp.
Als ob er nicht selbst darauf gekommen wäre.
"Worauf?", fragte Cipher genervt.
"Der Richter hat ihnen wohl gesagt, dass sie auf eine Gruppe Gardisten warten sollten, die uns alle abholen und ins Alte Lager bringen."
"Was für ein...? Ach scheiß drauf, ich will es gar nicht wissen..."
Cipher säuberte sich weiter die Wunde, sein Kopf hämmerte vor Schmerzen, er konnte sich kaum mehr daran erinnern, was die letzten Sekunden, Minuten, Stunden geschehen war. Aber Bruce half ihm ja netterweise auf die Sprünge.
"Hast du eigentlich das... du weißt schon. Das Ei des Kadosch?"
"Was?", es dauerte nicht lange, ehe es bei dem Blondschopf dämmerte, "Oh scheiße, ich hatte es. Ich hatte es in der Hand, es... muss hier noch irgendwo herum liegen. Warte, ich tauche schnell und sehe nach..."
"Ich glaube nicht, dass du..."
Gerade, als Bruce ihn von seiner waghalsigen Idee abbringen wollte, vernahm man Schläge und Schreie aus den Reihen der anderen Gefangenen. Prügelten die sich etwa?
"Was zum?"
"Dreck, das müssen die Gardisten sein."
Kaum hatten die beiden Gefangenen das halbe Dutzend rot gekleideter Soldaten wahr genommen, war einer schon an beide heran getreten. Am Austauschplatz wurde ein Gefangener nach dem anderen nieder geschlagen.
"Was soll das, Mann? Wir sind verletzt!"
Bruce bekam eine kräftige Rechte von einem Soldaten mit markantem Oberlippenbart übergezogen. Er sackte sofort zusammen. Cipher konnte es nicht fassen und holte seinerseits zum Kinnhaken aus. Und der saß.
"Du willst dich mit mir anlegen, was? Du willst dich tatsächlich mit mir ANLEGEN!"
Er packte Cipher, trat ihm in den Bauch und verdrehte ihm die Hände fachmännisch hinter dem Rücken. Er konnte zappeln, wie er wollte, gegen den heftigen Griff konnte er sich nicht erwehren.
"Schau genau hin. Dort drüben! Schaust du!?"
"Ich schaue..."
Ein paar der Gardisten hatten sich einen der Gefangenen geschnappt und zum Rand der Kuppel geschliffen. Dieser beschimpfte sie auf mieseste Art, Hundesöhne und Keilerdreck waren noch die harmlosesten Ausrufe. Er wurde durch die Barriere geworfen... und kam wie vom Fleischbrand durchdrungen auf der anderen Seite an - tot, ohne Zweifel.
"Noch eine falsche Bewegung!", zischte das Arschloch mit dem Schnauzer, "Und dir gehts genau so."
Dann ließ er Cipher los und wandte sich von ihm ab. Der Atem des Blondschopfes raste. Er wollte gerade nach Bruce sehen, da drehte sich der Gardist wieder herum und beförderte ihn mit dem ehernen Schlag eines Kettenhandschuhs erneut ins Reich der Träume...
Geändert von Ronsen (11.01.2012 um 19:35 Uhr)
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Heute
Roscoe staunte nicht schlecht, als er diesen riesigen Klunker in Wedges Händen sah. Ein blauweiß strahlender Juwel eingefasst in ein mit unzähligen Edelsteinen versehenes Amulett. Der Bandit würde locker tausend Erz für das Ding kriegen, wenn nicht sogar mehr!
"Zeig mal her...", ohne jetzt noch auf die Kiste zu achten, erhob sich Roscoe und streckte fordernd die Hand aus.
"Wo kann er das nur her haben?"
"Lass mich sehen!"
"Ich...", Wedge drehte sich zu ihm hoch, kniff die Augen zusammen und starrte ihn misstrauisch an, "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist..."
Aber Roscoe hatte ihn gar nicht gebeten, er hatte es befohlen. Und mit einem schnellen Griff hatte er das Amulett auch selbst in der Hand. Es wog ein gutes Pfund, wer legte sich so ein Gewicht freiwillig an? Wedge machte gar keine Anstalten, den Klunker zurückzubekommen. Zumindest nicht physisch.
"Wir sollten es zur Beute stecken", drängte sein gläubiger Gefährte.
"Das sind vielleicht sogar zweitausend Erz...", träumte die rechte Hand vom Boss.
"Roscoe! Pack es weg, bevor Drax oder Ratford es zu Gesicht bekommen. Tu es in die Kiste, dafür bekommen wir einen satten Anteil an der Beute!"
Aber Roscoe wollte keinen Anteil. Er wollte das Amulett, ganz für sich allein natürlich. Nun... Wedge konnte auch einen Teil haben, aber... seine Gedanken schweiften eigentlich nur darum, was man mit so einem Vermögen alles kaufen konnte. Er konnte sich seine eigene Söldnerbande anheuern, mit denen er öfter und mehr Karawanen überfallen konnte. Und mit der er noch mehr Erz verdienen konnte! Das konnte, etwas utopisch gesehen, der Anfang einer neuen Regentschaft innerhalb der Barriere sein!
"Roscoe, tu es weg!"
Er blickte zu dem Kiffer herüber, schwieg, überlegte. Für den Anfang musste er ihn an seiner Seite haben. Bekam Lares mit, was sie gefunden hatten, war sein schöner Traum ausgeträumt.
"Ich werde es einstecken!"
Ein entsetzter Blick: "Du wirst... was!?"
"Mit dem Ding verdienen wir uns eine goldene Nase! Wenn wir es nur richtig anstellen, und du bist doch ein Experte im Feilschen!"
"Ich..."
"Wenn Lares das mitbekommt, können wir uns mit einem Reisschnaps mehr in die Kneipe setzen, toll. Aber mit diesem Amulett können wir... wir können uns eine eigene Bande anheuern. Und so viel Kraut, wie wir kriegen können! Kein einfaches Sumpfkraut, ich rede von richtiger Edelware, Wedge! Der harte Stoff."
"Ach komm... das können wir nicht tun... gib es Lares, sonst bekommen wir nur Ärger...", man merkte dem Kiffer die Verlegenheit deutlich an.
Roscoe wollte die Barriere in Wedges Kopf gerade zu Fall bringen, da unterbrach ihn eine unglaublich auffällige Stimme.
"Ey ihr! Ich bin widder da. Hab Ratford mitgebracht!"
"In die Kiste damit!", fauchte Wedge, als er merkte, dass Drax jeden Moment aus dem Gebüsch gesprugen kam.
Roscoe seufzte: "Wenns denn unbedingt sein muss...", er öffnete die Kiste und warf das Amulett herein. Ein letzter Blick schweifte noch auf die zweitausend Erzbrocken, die ihm da durch die Lappen gehen könnten. Dann schloss er die Kiste wieder, gerade rechtzeitig. Drax war schon bei ihnen. Und Ratford, ein zweiter Jäger, der mit seiner Rattenschnauze und seiner kleinen Statur eher unscheinbar wirkte.
"Servus", grüßte dieser knapp, Wedge und Roscoe nickten ihm nun zu.
"Habter euch nu ausgeeiert? Mit wem soll ich gehn?"
"Du kommst mit mir...", befahl Roscoe, "wir bringen die Kiste zu Lares."
Drax war nicht der Hellste. Vielleicht konnte er sich das zu Nutze machen. Das würde er sich auf dem Weg überlegen...
"Dann kommt Ratford mit mir und wir sehen nach, wo Cipher hergekommen ist."
"Mann...", bemerkte die Ratte jetzt erst überrascht, "Wieso hat der keine Schuhe an?"
Wedge starrte Roscoe mit ertappter Miene an.
"Er hatte keine an", sprach Roscoe ruhig, aber bestimmt.
"Aber... dort liegt doch ein Paar herum!"
"Die hatte ein Gardist an."
"Was?"
"Die hatte ein Gardist an!", antwortete Roscoe mit Nachdruck, dann winkte er Drax zu sich heran, ihm mit der Kiste zu helfen. Ratford war ein schlauer Bursche. Sollte sich Wedge um ihn kümmern. Und danach musste ER sich um Wedge kümmern...
"Wir sehen uns!", rief Wedge ihm zu.
"Ganz bestimmt."
Geändert von Ronsen (12.09.2010 um 00:07 Uhr)
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Vor drei Wochen
"Wir sind am Arsch..."
Cipher fuhr sich über das blaue Auge und zuckte krampfhaft zusammen.
"Aber sowas von...", stimmte Bruce zu, der seinen Kameraden etwas mitleidig betrachtete, da er ja definitiv wesentlich mehr hatte einstecken müssen, als er. Bruce selbst hatte sich vorhin mehr oder weniger ohnmächtig gestellt, aber bei dem Blondschopf waren wieder für einige Minuten alle Lichter erloschen. Bruce war erst wieder aufgestanden, als die Gardisten weg waren. Sie hatten die meisten Neulinge mitgenommen, sie beide vielleicht nicht, weil sich Cipher gewehrt hatte. Das hatte Bruce noch mitbekommen, aber er hatte einfach zu viel Angst gehabt, sich einzumischen. Vielleicht hätte er ihm geholfen, wenn sie versucht hätten, ihn durch die Barriere zu werfen. Aber ihm war ein Stein vom Herzen gefallen, als der Mistkerl mit dem Schnauzer Cipher nur niedergeschlagen hatte.
Jetzt waren sie nur noch zu dritt an der Austauschstelle. Außer ihnen nur ein Kerl mit einem Pferdeschwanz, der immernoch ohnmächtig darnieder lag. Die Gardisten waren dann gegangen, hatten alle Kisten mitgenommen und ihre neuen "Buddler" ins Alte Lager gebracht. So wie das klang, empfand Bruce es gar nicht als allzu schlimm, wenn sie nicht mit den Kerlen hatten mitgehen müssen.
"Geht's wieder?", fragte er seinen Kumpel vorsichtig.
"Muss ja...", antwortete dieser resignierend, "Wir müssen nach dem Amulett suchen."
Bruce zuckte zusammen: "Keine Chance."
"WAS?"
"Sie haben es mitgenommen."
"Das glaube ich nicht... wie haben sie es finden können?"
Bruce deutete an eine Stelle am Ufer.
"Es lag dort herum, frag mich nicht. Aber ich glaube, wir müssen uns jetzt um etwas anderes kümmern. Zu allererst um deine Wunde..."
"Ach scheiß doch drauf!"
Cipher, der noch immer am Ufer kniete, schlug mit beiden Fäusten ins Wasser. Er war verzweifelt, er war physisch und seelisch am Ende. Bruce konnte nur hoffen, dass er ihn noch irgendwie dazu bekam, weiter zu gehen, damit sie nicht bis zum Nachteinbruch hier herumgammelten...
***
"Gold! Ich glaub es ja nicht, ich habe Goldstücke gefunden!"
Triumphierend hob Cipher ein Säckchen mit Münzen in die Luft. Er hatte es in einer Truhe gefunden, die zu einem ehemaligen Minenlager gehörte. Die Mine war eingestürzt, aber kein einziger Erzbrocken lag hier noch herum. Die anderen Gefangenen waren sehr fleißig beim Ausnehmen der verlassenen Mine gewesen...
"Gut! Heb' es dir gut auf, vielleicht kommen wir ja eines Tages wieder raus, dann ist es wieder von Wert."
"Dieses verdammte Erz..."
Hier in der sogenannten "Kolonie" zählte ein Goldstück nichts mehr, das hatte schon längst auch in den Kerkern von Khorinis die Runde gemacht. Nahezu alles wurde mit Erz verhandelt, es bot sich einfach mehr an, da keinem Gefangenen Goldstücke mitgegeben wurden, aber das Erz doch im Minental allgegenwärtig war. Aber sie besaßen kein Erz. Wie sollten sie sich nur Essen und Kleidung beschaffen? Bruce war ein bisschen am Verzweifeln...
***
Bruce musste anhalten. Sein Fuß tat langsam mehr und mehr weh. Sie waren auf halbem Weg vom Austauschplatz zum Alten Lager angekommen und die Sonne war schon weit vom Zenit entfernt. Viele Stunden blieben ihnen nicht mehr.
"Was ist los? Machst du schlapp?"
"Ich hab mir den Knöchel verknackst. Schon vorhin beim Sturz ins Wasser."
Cipher seufzte: "Ich habe Hunger. Und Durst. Ich gebe dir zehn Minuten, dann geht es weiter..."
Bruce humpelte an einen Baum und schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, versuchte er sich erst einmal zu orientieren. Der große umgestürzte Karren, den sein Kamerad gerade durchsuchte, war ihm noch gar nicht aufgefallen. Hier musste es mal einen Überfall gegeben haben, hier und dort konnte man sogar noch alte Knochen herumliegen sehen. Natürlich wollte Bruce da gleich weitergehen, aber sein Fuß...
Der Blondschopf scharrte in dem Karren herum.
"Ist da was?", rief Bruce laut, aber sein Kamerad antwortete nicht. Stattdessen rumpelte er herum, als ob er nach irgendetwas schlagen würde.
"Was tust du da? Hey!?"
Mit einem breiten Grinsen auf der blaugeschlagenen Wange lugte Cipher hinter dem Karren wieder hervor und warf seinem Kumpel eine tote Fleischwanze zu.
"Iss! Besser als nichts."
Bruce seufzte. Wo sollte das noch enden?
***
"Eh ihr? Was macht'n ihr um die Uhrzeit noch hier draußen?"
Bruce blickte überrascht auf, als sie plötzlich auf dem Weg durch die Dämmerung jemand angesprochen hatte. Er war schon so resigniert und niedergeschlagen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, ob sie noch auf dem richtigen Weg waren. Cipher schien es ohnehin egal zu sein.
Der Kerl, der sie angesprochen hatte, war allem Anschein nach ein Jäger, ein saurer noch dazu; sein Bogen und seine leichte Kleidung verrieten ihn. Aber kein Anzeichen von roten Mustern oder Emblemen, die auf eine Zugehörigkeit zu den Gardisten hinwies. War das jetzt ein gutes Zeichen?
"Entschuldige, wir sind gerade erst hier gelandet und auf dem Weg..."
"... weg vom Alten Lager", beendete Cipher den Satz seines Freundes, der darüber sehr verdutzt war.
"Vertrau mir!", flüsterte er ihm schließlich zu.
"Ach was? Ihr seht aus, als ob se euch schon getauft hätt'n. Die Drecksäcke."
"Ich habe einem mit Schnäuzer eine runter gehauen!", meinte Cipher stolz.
"Das war Bullit! Der Arsch", der Jäger schüttelte den Kopf, "Und jetze verhungert ihr hier, was?"
"Wir werden uns schon was erklauen..."
"Hahaha, ich hätt euch och so was vom Brat'n abgegehm. Klauen is dann nächste Woche angesacht, harhar."
Bruce verstand es nicht. Wie hatte Cipher das geschafft? Der Jäger hatte zuerst keinen vertrauensvollen Eindruck gemacht, doch der Hass auf die Gardisten schien fremde Menschen zu verbünden.
"Ich danke dir. Wir sind übrigens Bruce und Cipher, die besten Diebe, die Khorinis je gesehen hat."
Er zwinkerte dem Kerl zu.
"Harhar, ich bin Drax. Und meine Mudder war 'ne saufende Hure. Keine so dolle Geschichte, aber ihr könnt sicher noch mehr erzählen. Kommt mit ans Feuer, sagt Ratford 'nen guten Tach und morschn wird dann alles besser."
Geändert von Ronsen (12.09.2010 um 00:12 Uhr)
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Heute
Wedge spürte noch immer ein Unbehagen, als er Roscoe mitsamt Kiste und Amulett ziehen ließ. Er hatte zwar seine Absichten verstehen und zum Teil auch gutheißen können, aber unter all den Umständen war es ihm viel zu gefährlich, sich wegen einem kleinen Vermögen gleich von der ganzen Bande abzuheben. Und wer sollte ihnen das Teil überhaupt abkaufen? Das Neue Lager ging sehr sparsam mit seinen Erzvorräten um. Dafür sorgten die Magier und das war auch gut so. Denn sie brauchten das Erz, um die Barriere zu sprengen. Erst dann wäre das Amulett wirklich von Wert.
Es war schließlich die Tatsache, dass Drax mit Roscoe ging, die ihn davon abhielt, noch etwas zu sagen. Es wäre zu verdächtig und Drax war ein ziemlicher Brocken von einem Mann. Ob Roscoe sich wirklich mit ihm anlegen wollte, war fraglich. Das allererste, was Wedge machen würde, wenn er zurück im Lager war, war, ihren Anführer Lares nach dem Verbleib der Kiste und ihrem Inhalt zu fragen. Und hatte er Lares auf seiner Seite, konnte ihm Roscoe auch nichts mehr tun. Der Bandit nahm die nächste Fingerspitze voll Sumpfkraut in den Mund. Es entspannte ihn ungemein.
"Können wir?"
"Was?"
Ratford zuckte mit den Schultern: "Sie sind schon fast verschwunden und du starrst den beiden nur hinterher. Geht's dir gut?"
"Klar. Gehen wir. Hast du schon eine Spur ausgemacht?"
Ratford nickte: "Der Kerl hat die ganze Wiese zerfurcht, scheint am Ende gehumpelt zu sein. Komm mit und halt deinen Bogen bereit."
Wedge nahm einen Pfeil aus dem Köcher und spuckte das Kraut wieder aus: "Geh du voraus."
***
"Weißt du, es ist ein Jammer", begann Ratford zu erzählen.
"Was denn?"
"Na Cipher... er war mir immer sehr sympathisch. Im Gegensatz zu Bruce hatte er von Anfang an kapiert, wie der Hase läuft und sich mit Leidenschaft in die Gemetzel im Wald eingemischt. Ich weiß nicht, was die Gardisten ihm getan haben, aber so eine Wut auf die Kerle habe ich selten bei einem der anderen gesehen. Naja, die meisten beteiligen sich ja auch nur wegen des Erzes an Überfällen. Cipher schien nur das Kämpfen allein wichtig zu sein."
Wedge sagte die ganze Zeit über nichts, während Ratford erzählte. Eigentlich war der Kerl ein ruhiger Zeitgenosse, anscheinend kam er erst richtig aus sich heraus, wenn er wusste, dass ihm jemand zuhörte. Zuhören musste, besser gesagt, es interessierte Wedge nicht wirklich.
"Ich habe ihn ja am ersten Tag, als er und Bruce in die Kolonie geschmissen worden kennen gelernt. Hab' zuvor noch die Gardisten mit den anderen Gefangenen ins Alte Lager marschieren sehen, nach ihrer Taufe... Bullit war auch dabei. Der Mistkerl sollte mal auf einem Konvoi dabei sein, ich würde im mit Freuden das Hirn aus dem Schädel schießen."
"Sind wir noch richtig?", fragte Wedge, während er mühsam versuchte, sein Gesicht frei vom Gestrüpp zu halten.
"Jaja... hier sind noch überall zertretene Äste und eingedrückte Grashalme. Du solltest echt mal lernen, Spuren zu lesen. Ist ja schon peinlich bei deinem Status in der Bande."
"Ich decke andere Bereiche ab."
Ratford lachte mit einem ironischen Unterton: "Du dealst mit Drogen, das ist die leichteste Art, an Erz zu kommen."
"Neidisch? Willst du mir Konkurrenz machen?"
Langsam nervte Ratford ihn.
"Nein", meinte dieser lachend, "Ich verdien mein Erz lieber an der frischen Luft. Weißt du, ich vertrag dieses furchtbare Kraut nicht so..."
"Verstehe..."
Gerade wollte Ratford mit seinem belanglosen Gerede fortsetzen, da zuckte Wedge auf.
"Dort!"
"Wo? Was?"
Erst als Wedge auf den Boden deutete, bemerkte es auch der ach so aufmerksame Jäger. Mitten im Unterholz lag Bruce. Und er schien genauso mausetot zu sein, wie sein blonder Leidensgenosse.
"Scheiße, ich glaube, ich bin draußen aus der Sache", meinte Ratford erschrocken und blickte sich panisch um. Auch Wedge hielt erst den Bogen nach potentiellen Feinden aufrecht, als sich aber nichts rührte, steckte er den Pfeil wieder weg und besah sich den am Boden liegenden Bruce, drehte ihn auf den Bauch, versuchte, seinen Puls zu fühlen. Nichts. Dann ging sein erster Blick auf die Beine. Wedge zog ihm gleich die Schuhe aus.
"Alter, was wird denn das?"
"Lass mich", antwortete der Leichenfledderer forsch, "Schau lieber, dass die Luft rein ist."
"Nein, ist sie nicht... dem seine Füße riechen nämlich nicht besser, als meine. Und ich bin den ganzen Tag im Wald unterwegs!"
Wedge ignorierte ihn und schüttelte den Schuh aus. Nichts.
"Was ist damit?"
Ratford deutete auf eine Klaue, die neben ihm herum lag.
"Ist das ein Blutfliegenstachel?", fragte Wedge und blickte sich beunruhigt um.
"Nein, aber... ich glaube Jeremiah kennt sich damit aus..."
"Der alte Schnapsbrenner? Wie kommst du darauf?"
"Es ist eine Lurkerklaue..."
"Kann man von so einem Stich sterben?"
"Bin nie in den Geschmack gekommen... Jeremiah hat so eine Attacke mal überlebt. Er kennt sich mit den Giften der Bestie aus."
Wenn du das als Jäger sagst...", er seufzte, "Und was machen wir nun mit ihm?"
Wedge deutete auf den Leichnam von Bruce. Sie wussten beide, was zu tun war, auch wenn es ihnen nicht gefiel.
"Nimm ihn an den Beinen", entschied Wedge, ohne auf Ratfords Antwort zu warten, "wir schleppen ihn zu den anderen Leichen. Soll Lares entscheiden..."
"Aber erst ziehst du ihm die Schuhe wieder an!"
Geändert von Ronsen (12.09.2010 um 00:28 Uhr)
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Heute
Eine kleine Schweißperle lief Roscoe die Stirn hinab, sammelte sich unverschämt an seiner Nasenspitze und wollte von dort anscheinend nicht mehr verschwinden. Müsste er nicht die schwere Kiste schleppen, hätte er sie ja weggewischt, aber so blieb ihm nur das Pusten übrig, aber das half gar nichts. Und mit seiner Zunge kam er auch nicht an die Nasenspitze, sicher eine höchst amüsante Pose, die er da der Welt präsentierte.
"Alles gut? Kannste noch?", fragte Drax, der vor ihm lief und nur die pustenden Geräusche vernahm. Vielleicht dachte er, es würde Roscoe schon anstrengen, lächerlich.
"Jaja", gab er nur knurrend zurück, provozierte damit aber nur einen weiteren Spruch, den er nicht ab konnte.
"Wir können auch kurz verschnaufen, ich... hups..."
Roscoe verdrehte die Augen, aber das konnte Drax natürlich nicht sehen.
"Anhalten? Hier? Wir sind ja kaum aus dem Wald raus, wir... boah!? Warst du das etwa?"
Ein widerlicher Gestank drang ihm in die Nase - eine Mischung aus Bierschiss und Reisschnaps, wenn er es mit seiner Flatulenz vergleichen mochte. Dann pupste Drax wieder, diesmal sogar laut hörbar. Das konnte nicht wahr sein.
"Tschuldige, ich... arw... das is das scheiß Lurkerfleisch. Mir ham heut früh so'n altes Vieh erlegt, das liecht schwer im Machn."
"Stell es ab! Oder ich stell dich aus!"
Dann tat der verschämte Drax etwas, womit Roscoe eigentlich hatte rechnen müssen, es aber dann doch nich schnell genug registriert hatte. Er ließ die Kiste los und lief in den Wald. Und Roscoe brach unter dem Gewicht fast zusammen.
"Sag mal!?"
"Tut mir Leid, gleich! Ich muss dringnd ka..."
"Schon klar, mach dass du weg kommst!"
Roscoe war baff. Ein solch dreistes Verhalten hatte er selten erlebt. Und das sollte etwas heißen, wenn man die Rechte Hand eines Bosses zügelloser Banditen war. Er drehte die Kiste um und setzte sich darauf, um auf seinen neuen Gefährten zu warten. Der hatte sich tief in ein Gebüsch verkrümelt, man konnte ihn von hier aus noch hören. Damit würde er wohl jedes Vieh aus dem Wald vertreiben können.
Der Bandit überlegte nur kurz und fackelte schließlich nicht lange. Er öffnete die Kiste und schnappte sich das Amulett. Es zog ihn geradezu magisch in seinen Bann, dabei dachte er gar nicht daran, dass es eben noch zwischen den verschwitzten Zehen eines Toten gelegen hatte. Er streichelte verträumt darüber, ehe er es nach einem kurzen Abchecken der Lage einfach in seine Brusttasche steckte. Die Idee mit dem Schuh war zwar genial, aber vielleicht auch offensichtlich. Auch wenn Drax es garantiert gar nicht bemerkte.
Jedenfalls war Roscoe im Nachhinein wirklich über die körperliche Not seines Gefährten dankbar. Er hatte schon begonnen, zu überlegen, wie er ihn noch auf dem Weg ins Lager loswerden konnte, um an das Amulett heran zu kommen. Seine Gedanken schweiften bis ins Extreme, so hätte er ihn auch in den Fluss geworfen, wenn es nötig gewesen war. Aber Drax war groß und schwer, das hätte wirklich ein Risiko bedeutet. Dass es nun so kam, war doch nur ein Wink dahin, dass er alles richtig gemacht hatte. Das Amulett war für ihn bestimmt und mehr nicht. Wenn Wedge das nicht verstehen wollte, musste er persönlich dafür sorgen, dass es in seinem Hohlschädel ankam.
Drax kam zurück getrottet und instinktiv fuhr Roscoes Hand in Richtung seiner Brusttasche. Der Jäger grinste nur breit, erleichtert. Und Roscoe versuchte, so genervt wie möglich zu klingen.
"Ausgeschissen? Dann komm, ich will nicht ewig hier herumgammeln."
"Ja! Ja, haste Recht. Packen wir's."
***
Das Amulett war nie bei Lares angekommen. Roscoe hatte Drax beauftragt, die Kiste auf dem Rest des Weges allein zum Boss zu bringen, damit er selbst Wedge und Ratford mit den Leichen helfen konnte. Das war natürlich nicht seine Absicht, stattdessen kratzte er sein letztes Erz zusammen, ging zur Kneipe und stattete sich mit teurem Starkbier aus. Mit vier Flaschen in den Händen und einem unermesslichem Schatz am Herzen trottete er wieder zum Ausgang des Lagers, um dort Wedge auflauern zu können. Er hatte noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen...
Geändert von Ronsen (12.09.2010 um 00:30 Uhr)
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Vor drei Wochen
Von Ratford und Drax hatte Cipher eine Menge über die Hierarchie in der Kolonie gelernt, mehr zumindest, als es bis in die Kerkerzellen von Khorinis gedrungen war. Es schien, als wäre jeder Neuling vor die Wahl gestellt, sich einem der drei dominierenden Lager unter der gnadenlosen Kuppel anzuschließen. Die dominanteste Fraktion stellte das Alte Lager, davon hatte Cipher noch am Meisten erfahren, gedachte man schließlich, ihn dorthin zu verfrachten, da es für die Außenwelt am rentabelsten schien. Das Alte Lager förderte das für den Krieg unerlässliche magische Erz, aus dem Waffen härter als Stahl geschmiedet werden konnten. Sie bezogen ihre Quellen aus einer großen Mine, dem ersten erschlossenen Bergwerk der Region, der "Alten Mine". Und das Alte Lager war das einzige Lager, das in direktem Kontakt zur Außenwelt stand, daher herrschten dort auch recht solitäre Zustände und eine feste Hierarchie, derer sich Cipher niemals unterwerfen wollte. Jeder begann seine Karriere als Buddler und die meisten Gefangenen blieben es auch ein Leben lang. Wenn man Arschloch genug war, konnte man sich bis zu den Gardisten hocharbeiten, darüber standen schließlich nur noch die Erzbarone, unter deren Leitung sich alle Konvois bewegten und alle Handelsabkommen geschlossen und gebrochen wurden.
Dann gab es ein Lager im Osten der Kolonie, tief im Sumpfgebiet. Eine neuartige Bruderschaft, die zu einem seltsamen Götzen betete und ihr Erz mit dem Verkauf von Rauchkraut verdiente. Mehr interessierte Cipher nicht. Ihnen hätte er sich niemals angeschlossen, denn ihr "Kult" sah vor, die Haare geschoren zu bekommen, aber dafür war der Blondschopf viel zu eitel.
Glücklicherweise hatten Ratford und Drax ihm gleich am ersten Tag den rechten Weg gewiesen. Das Neue Lager. Banditen, Söldner und Wassermagier kontrollierten den Westen der Kolonie und arbeiteten insgeheim an einen Fluchtplan. Sie besaßen eine eigene Erzmine und wollten mit der magischen Kraft des blauen Gesteins die Barriere einfach sprengen. Ob es wirklich klappen konnte, sei mal dahin gestellt, aber das Neue Lager stand in regelrechtem Krieg mit dem Alten und allein das reichte, um Cipher für die "blaue Bande", wie sich die Banditen unter dem Anführer Lares gern nannten, zu gewinnen. Die blaue Bande überfiel in regelmäßigen Abständen Konvois von der Mine des Alten Lagers und zog Profit aus den Verhältnissen zwischen den Magiern des Alten und des Neuen Lagers. Während die Magier des Alten Lagers dafür sorgten, dass die Erzbarone keinen Krieg begannen, war es den Banditen scheißegal. Und so konnten sie unbehelligt weiter gegen die Konvois vorgehen. Die Lage hatte sich anscheinend noch verschärft, nachdem die Mine an der Austauschstelle eingestürzt war. Sie befanden sich allesamt geradezu in einem Topf, der zu überkochen drohte.
Cipher wollte sein Amulett zurück, nichts wollte er mehr. Dieser Wille gab ihm ein Ziel in dem eigentlich trostlosen Leben in der Barriere und eine Richtung. Er musste sich nur der "blauen Bande" anschließen und die Konvois überfallen. Irgendwann musste der Kerl mit dem Schnauzer, Bullit, dabei sein. Und dann bekam er sein Amulett zurück.
Bruce war ihm selten von der Ferse gerückt. Sie waren einen Tag nach dem Reinschmiss in die Barriere von Ratford und Drax ins Neue Lager geführt und vor eine Entscheidung gestellt worden. Ihre Loyalität mussten sie entweder als Bauern oder als Schürfer unter Beweis stellen, ehe sie eine realistische Chance hatten, sich Lares' Bande anzuschließen. Cipher wollte diese Bedingung nicht gefallen, gab sich ihr aber schließlich geschlagen und sie wählten den Weg der Schürfer (die Bauern wurden zudem ähnlich schikaniert wie die Buddler im Alten Lager, darauf konnte er verzichten). Die Mine des Neuen Lagers, die sich "Der Kessel" nannte, lag versteckt in einem Tal hinter der großen Felswand, die das Neue Lager effektiv vor Angriffen von Gardisten oder anderem Gesocks schützte. Und nachdem Bruce und er ihre erste richtige Kleidung und eine Waffe in die Hand gedrückt bekamen (natürlich eine Spitzhacke, das Universalwerkzeug), waren sie am dritten Tag nach ihrer Ankunft in der Barriere schon zu einem festen Arbeitsplatz gekommen.
***
"Eure Hütte ist hier drüben", Swiney, der Chefbuddler im Kessel, gab den beiden Neulingen gerade einen Einblick in die Arbeitswelt der Schürfer, "Ihr teilt sie euch mit Sharky. Der Kerl wird ohnehin nicht mehr lange hier arbeiten."
"Ist gut", antwortete Cipher motiviert. Bruce stand der Sache skeptisch gegenüber.
"Haben wir eine Truhe?", fragte er schließlich.
"Habt ihr etwa Sachen von Wert?", antwortete Swiney verdutzt, lachte aber dann, "Ja, natürlich. Bei uns weiß man nie, das bedenken die Söldner schon. Und ihr seid ja keine Sklaven. Ihr tut das für die Freiheit!"
"Klar, die Freiheit!", stimmte Cipher freudig ein und jeder bekam einen Schlüssel ausgehändigt. Es waren dieselben.
"Nur eine Truhe?"
Wieder schaute Swiney verdutzt.
"Ist schon gut...", antwortete Bruce sofort und steckte den Schlüssel weg.
"Vor mir brauchst du dich nicht sorgen. Ist dieser Sharky denn in Ordnung?"
"Er ist ein Arsch", antwortete Swiney kühl, ging aber dann schnell weiter, um nicht den Anschein zu machen, schlechte Meinungen über die Schürfer zu verbreiten, "Ihr bekommt drei Mahlzeiten am Tag. Am Ende der Woche gibt es Erz zum Versaufen. Alles klar? Dann macht euch an die Arbeit. Und viel Spaß."
"Danke!", antwortete Cipher und packte seine Spitzhacke mit beiden Häden.
"Bereit?", fragte er Bruce herausfordernd, aber der zuckte nur mit den Schultern.
"Ich sehe mir erstmal die Hütte an."
Cipher schüttelte nur den Kopf und begann mit der Arbeit. Jeder Schlag auf die Erzader brachte ihn einen Schritt näher an sein Amulett zurück. Die Arbeit würde ihn stärken, physisch. Und würde er sich bei den Banditen beweisen können, auch geistig. Es war nur eine Frage der Zeit...
Geändert von Ronsen (11.01.2012 um 19:53 Uhr)
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Heute
"Dorthin, das ist ein guter Platz!"
Wedge deutete auf eine kleine Höhle, die direkt am Fluss lag, noch oberhalb der Brücke; wenn man schwamm, konnte man auch hier einen Weg ins Neue Lager finden. Doch weiter als bis zu den Feldern der Bauern kam man nicht, dahinter standen die schwer bewaffneten Söldner in ihrem Bergturm, den Wedge von hier aus schon erkennen konnte.
"Riecht nach Molerats", meinte Ratford und zückte instinktiv seinen Bogen.
"Schau dir die Höhle an", befahl Wedge ihm und hievte die beiden Leichen an den Rand des großen Lochs in der Wand. Sie hatten die Leichen von Cipher, Bruce und anderen gefallenen Banditen hierher geschleppt, um die toten Gardisten hatten sie sich noch nicht gekümmert. Und Wedge hoffte auch inständig, dass sich da zwei andere Idioten fanden, wenn Lares erst einmal wusste, was hier vor sich ging.
"Die Luft ist rein", meinte Ratford, der schon wieder aus der Höhle getrottet kam.
"Keine Molerats?"
"Schon lange tot. Aber nicht ausgenommen, schade drum."
Die fetten, schweineähnlichen Biester schmeckten zwar gut, waren aber auch absolute Allesfresser. Wenn da noch welche drin waren, könnten sie die Leichen hier nicht begraben, da würden sie niemals ihre ewige Ruhe finden.
"Was machen wir nun? Wollen wir sie hier liegen lassen?"
"Bleib du hier", entschied Wedge, "Ich schicke dir Drax zurück und eine Info, wie wir verbleiben sollen."
"Wenns sein muss...", seufzte Ratford und setzte sich auf einen Baumstumpf. Wedge kramte sich eine weitere Fingerkuppe voll Kraut aus der Tasche und nahm es in den Mund, beleckte noch die Finger, um auch das letzte kleine Bisschen Kick dem Teufelskram zu entziehen. Es wirkte nur schleppend, verursachte eher Kopfschmerzen. Die Tatsache, dass es noch nicht einmal Mittag war, verschärfte den Effekt noch. Er würde heute mit einem dicken Schädel ins Bett gehen.
***
Bett, das war das passende Stichwort. Wie sehr wünschte er sich in dem Moment, als Roscoe ihn etwa einhundert Meter vor dem Lager abfing, einfach nur im Bett zu liegen.
"Wedge! Hey Wedge, bleib stehen."
Roscoe grinste breit.
"Was willst du, Mann?"
"Dir einen ausgeben."
Roscoe reichte ihm ein Starkbier. Er hatte vier Flaschen dabei, eine bereits intus. Wedge steckte es sich in die Hosentasche.
"Danke... aber ich heb es mir für heute Abend auf. Sonst noch was?"
Er drängte darum, weiterzugehen, aber Roscoe versperrte ihm den Weg.
"Was hast du jetzt vor?", fragte er den Drogensüchtigen.
"Ich geh zu Lares und erzähl ihm von den Leichen. Oder hast du schon?"
"Lares ist informiert. Er möchte nicht gestört werden."
"Hast du ihm das Amulett gegeben?"
"Um die Leichen werden sich andere Leute kümmern...", überging Roscoe ihn.
"Hey?! Das Amulett. Hast du es ihm gegeben?"
Roscoes Grinsen wurde nur noch breiter.
"Du hast es noch? Oh Mann..."
Wedge legte kopfschüttelnd eine Hand über's Gesicht. Das konnte er nicht glauben, Roscoe zog das tatsächlich durch.
"Hey Mann! Mit dem Teil können wir uns Starkbier bis zum Ende unserer Tage kaufen. Und Sumpfkraut! Wir brauchen nur noch einen Abnehmer!"
"Ich bin raus aus der Sache...", Wedge wollte endgültig nichts mehr damit zu tun haben und an Roscoe vorbei gehen. Aber der hielt ihn mit einem kräftigen Ruck auf.
"Du scheinst mich nicht zu verstehen, Wedge. Du bist da nicht raus, du bist mittendrin", Roscoes Stimme wurde heiserer, schärfer, "Und wenn du nicht mit mir arbeitest, arbeitest du gegen mich. Willst du etwa gegen mich arbeiten? Frag mal deinen gesunden, noch nicht vom Kraut verrauchten VERSTAND!"
Der Griff wurde fester, Wedges Herz begann zu rasen.
"Lass mich los! Ich werde dich schon nicht verraten. Mir doch egal, was du vorhast, ich will nur meine Ruhe!"
"WEDGE!", zischte Roscoe nun noch bestimmter. Seine Augen strahlten eine unglaubliche Entschlossenheit aus.
"Was denn?"
"Du musst mir einen Abnehmer auftreiben! Mit deinen Verbindungen und meiner Führungsqualität sind wir unbesiegbar!"
"Du drehst völlig durch, oder? Aber du willst mich erpressen, da bleibt mir wohl keine andere Wahl..."
Wedge seufzte.
"Ganz recht. Also kommen wir ins Geschäft?"
Roscoe ließ ihn los und reichte ihm die Hand. Wedge kaute lange auf seinem Kraut herum, ehe er den Händedruck annahm, Roscoe aber ins Gesicht spuckte, die Hand verdrehte und ihm schließlich einen Schlag gegen die Schläfe verpasste. Er brach regungslos zusammen.
"Mistkerl...", hauchte Wedge und spuckte ihn noch einmal an. Dann marschierte er schnellen Schrittes in Richtung Lager. Er musste nun doch unbedingt mit Lares sprechen...
Geändert von Ronsen (11.01.2012 um 20:03 Uhr)
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Vor 14 Tagen
Bruce lag mit offenen Augen im Bett und starrte die Truhe an. Eine zwei Ellen lange und eine Elle breite, sowie hohe Kiste, weiches Holz, man konnte sie leicht zertreten. Und Bruce lag einfach nur auf seiner Liege und wartete, dass ihn der Schlaf einholte, doch hatten ihn schon viel zu viele Gedanken geplagt, als dass er einfach so schlafen konnte. Es war auch noch früher Abend, die meisten saßen am Lagerfeuer, tranken und unterhielten sich. Es war wirklich eine angenehme und lockere Gesellschaft; die Söldner waren die meiste Zeit erträglich. Aber er stand noch nie auf solche Gelage, er war ein ruhiger Mensch. Das hatte ihm in seiner Laufbahn als Dieb auch nie geschadet. Nüchtern lebte man da tatsächlich erfolgreicher.
Irgendwann kam Cipher hereingetaumelt. Er hatte zwei Flaschen Reisschnaps bei sich und grinste breit.
"Bruce... bist du, bist du wach? Schau, die hab ich gewonnen."
"Ach? Hast du wieder gewettet?"
Cipher war ein Meister darin, Wetten zu seinen Gunsten zu entscheiden. Vielleicht hatte er einfach den richtigen Riecher.
"Baloro...", meinte er lachend und warf sich auf sein Bett, "Der Söldner aus der obersten Abteilung... er hat doch letztens so einen Idioten gefragt, ob er ihm allerlei Essen und Trinken brachte. Für eine Superwaffe. Und er hat mit mir um zwei Schnäpse gewettet, dass der Kerl nicht zurück kommt."
"Und, kam er?"
"Er kam!", lachte Cipher und langte nach seinem Schlüssel, um die Schnapsflaschen in der Kiste zu verstauen, "So ein Idiot... Baloro hat ihm natürlich nicht nur das Essen abgenommen, sondern ihm auch die Fresse poliert, als er herummotzte, dass er doch keine Superwaffe für ihn hatte. Vielleicht war er einfach ein wenig sauer, weil er die Wette verloren hatte."
"Was war dein Wetteinsatz?", wollte Bruce wissen.
"Ich hätte ihm das Essen beschaffen müssen...", grummelte Cipher und schloss die Augen, "Aber das wird ja nun zum Glück nicht passieren, haha..."
"Schwein gehabt", Bruce schüttelte nur den Kopf und schloss auch die Augen. Doch eine Frage hatte er noch.
"Hast du Sharky gesehen?"
"Der sitzt noch bei den anderen...", brummte der Blondschopf, "warum?"
"Nur so...", Bruce ärgerte sich. Er wusste, was er für einen leichten Schlaf hatte und dass ihn dieser Kerl nur wieder aufwecken würde. Trotzdem versuchte er, an der Liege zu horchen, ehe Cipher zu Schnarchen begann...
***
Mitten in der Nacht wachte er wieder auf. Seine Augen waren schwer wie Blei, er hatte schon zu Träumen begonnen, aber wie erwartet, unterbrach Sharky seinen ruhigen Schlaf. Cipher schnarchte unbehelligt weiter. Bruce drehte sich auf die Seite und beobachtete Sharky, der sich torkelnd auf sein Bett setzte und die Stiefel auszog. Er sah auch zu Bruce herüber, konnte in der Finsternis aber garantiert nicht erkennen, dass dieser noch wach war und ihn beobachtete. Er sah aber nicht etwa nach ihm, weil er Angst hatte, zu laut zu sein, nein, es folgte eine kleine Schrecksekunde für den müden Bruce.
Sharky öffnete mit seinem Schlüssel die Truhe und schnappte sich einfach die beiden Schnäpse von Cipher. Dann torkelte er damit, aber ohne Stiefel wieder heraus. Das konnte doch nicht wahr sein!
"Cipher!", zischte Bruce und rüttelte seinen Kameraden bis dieser wach war.
"Wah... was'n los?"
"Sharky hat deinen Schnaps geklaut!"
"Was... was?!"
Cipher war noch dabei, seine Gedanken zu sammeln.
"Wo ist er?"
"Draußen. Soll ich sie ihm abnehmen?"
"Lass mal, darum kümmere ich mich schon!"
Ein stinkiger Cipher zog seine Schuhe an und eilte heraus, Sharky zur Rede zu stellen. Für Bruce war dieser Moment ein Wink mit dem Zaunpfahl. Er wusste nun endgültig, dass er hier nicht sicher war. Die Kiste war es nicht und seine Schuhe konnte er auch nicht ewig anbehalten. Er musste hier heraus, und diese Nacht bot sich für den geübten Einbrecher als die Möglichkeit, sich einer großen Last zu entledigen. Er musste dringend einen sicheren Ort für das Amulett finden, einen, an dem es Cipher niemals finden würde. Wenn sein Freund wusste, dass er es war, der das Amulett besaß, würde er ihm die Hölle heiß machen. Er nutzte die Gunst der Stunde und verzog sich aus der Hütte. Und ein Weg über die Berge raus aus dem Kessel war auch schnell gefunden...
Geändert von Ronsen (12.09.2010 um 00:41 Uhr)
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Heute
Roscoes Schläfchen war nicht von langer Dauer. Dennoch verlor er wertvolle Zeit, in der er einfach nur fassungslos auf dem Boden saß und sich die schmerzende Stirn rieb. Mit einer solchen Reaktion hatte er im Leben nicht gerechnet und das war unglaublich dämlich von ihm gewesen. Er hatte Wedge falsch eingeschätzt, genauso wie er sich sicher war, dass der Junkie ihm jetzt das Amulett abgenommen hatte und auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Aber das schwere Edelgut schmiegte sich noch immer an Roscoes Brust. Vielleicht hätte er Wedge einfach gehen lassen sollen, vielleicht hatte er sich wirklich nicht einmischen müssen. Aber jetzt, da Roscoe ihn so bedrängt hatte, würde Wedge ohne Umwege zu Lares rennen. Das MUSSTE er einfach verhindern.
Und erst als er sich dessen wirklich bewusst war, sprang er auf, ließ dabei das Bier einfach liegen und rannte ins Lager. Die Banditen am Vortor fragte er nur im Vorbeirauschen, ob Wedge hier entlang gekommen sei, sie bejahten es, fragten noch, warum er es so eilig habe, aber da war er schon außer Reichweite. Hinter dem Vortor türmten sich mehrere Reihen Reisfelder auf, die wichtigste Nahrungsquelle des Neuen Lagers. Und dahinter thronte der Wachturm der Söldner, der einzige, schwer bewachte Weg zu der großen Wohnhöhle. Roscoe wollte sofort passieren und sich auf den Weg zu Lares machen, wurde aber von Javier, dem Anführer der Wache, aufgehalten.
"Hey Roscoe, warte doch mal."
Der große, blonde Kerl war ein Baum von einem Mann. Sein kantiges Gesicht und die schwer gepanzerte Rüstung verstärkten den autoritären Eindruck. Aber eigentlich waren sich die beiden hohen Männer nie in die Quere gekommen.
"Was ist denn Javier? Ich habe es eilig!"
"Wedge meinte, du hast etwas bei dir, was du Lares nicht geben möchtest", brummte er mit rauer Stimme, "Er hat gesagt, wir dürfen es uns nehmen."
Plötzlich bemerkte Roscoe, wie drei Söldner versuchten, ihn zu umqueren.
"Was hört ihr auf ihn? Ich bin Lares' Rechte Hand! Er hat gar nichts zu melden!"
Javier zuckte gelangweilt mit der Schulter: "Ich will es trotzdem. Ich werd dann auch brav zu Lares gehen und ihm zeigen, was ich bei einem seiner Männer gefunden habe. Wenn er kein Problem damit hat, behalte ich es einfach..."
"Ich habe nichts bei mir, ich..."
Roscoe überlegte einen Moment lang, Javier nieder zu schlagen, entschied sich dann aber in Anbetracht der Überlegenheit der Söldner für zweitere Variante und nahm die Beine in die Hand. Und rannte eiligst und Flüche auf Wedges Gerissenheit schnaubend wieder aus dem Lager.
***
"Komm mit."
"Was?"
"Die Schicht ist rum. Es sind Leute unterwegs, die sich um die Leichen kümmern."
Roscoe deutete Ratford an, sich auf den Weg zu machen. Es hatte nicht lange gedauert, ihn zu finden, nach dem Jägerlager war die Höhle am Strand, in der die Toten verbuddelt wurden, die naheliegendste Anlaufstation. Aber Ratford stand noch immer hier herum.
"Soll ich mich wiederholen? Du sollst ins Lager gehen."
"Warum ins Lager? Ich will endlich wieder jagen. Wo ist Drax?"
"Im Lager", schnaubte Roscoe verärgert, "Willst du jetzt wohl dorthin gehen und mir keine Widerrede leisten!?"
"Schon gut... und was machst du?"
"Ich komme gleich nach..."
Ratford legte den Kopf schief: "Ich weiß. Aber was machst du?"
Er deutete auf die Leichen.
"Ich komme nach!"
Und damit deutete er Ratford an, sich endlich auf den Weg zu machen. Und erst als er die Brücke hinter sich gelassen und hinter der hohen Felswand verschwunden war, beugte sich Roscoe zur Leiche von Cipher herab und schmuggelte ihm das Amulett wieder in den Schuh. Sicher, keines der besten Verstecke, aber alles, was ihm in der Schnelle eingefallen war. Dann rannte er hinterher, damit er Ratford noch erwischte, ehe dieser an Jarvis und dem Rest der Söldner vorbei war.
***
"Ach, bringst du Verstärkung mit?", fragte der grobschlächtige Söldner lachend, als sich Roscoe und Ratford dem Wachturm näherten.
"Lass uns vorbei, wir haben nichts zu verbergen."
"Natürlich nicht, du hast die heiße Ware jetzt auch weg gebracht."
"Was? Wovon redet er?", wollte Ratford wissen. Roscoe seufzte nur.
"Ich habe ehrlich gesagt KEINE AHNUNG. Ratford und ich waren den ganzen Morgen zusammen, es kann also gar nicht sein, dass ich irgendwas haben sollte, was für die Söldner für Interesse wäre, oder Ratford?"
"Ich schätze nicht. Aber wir waren gar nicht..."
Roscoe trat ihm heftig auf den Fuß.
"Ja, wir waren den ganzen Morgen auf der Jagd, ich wüsste nicht, was ihr bei uns zu finden hofft."
"Durchsucht sie", zischte Jarvis und ließ die beiden bis auf die nackte Haut absuchen. Als dann einer plötzlich: "AHA!" schrie, rutschte Roscoe das Herz fast bis in die Kniekehlen.
"Was denn? Zeig doch mal."
"Ein Ring!"
"Hey, das ist ein Familienerbstück...", jammerte Ratford und streckte die Hand aus, seinen Besitz wieder zu bekommen.
"Denkt ihr, ihr könnt uns verarschen?"
"Ich...", stotterte Roscoe, "Okay, ihr habt mich. Nehmt den Ring und bringt ihn halt zu Lares. Ich will nur noch rein und meine Ruhe haben."
Sie ließen ihn gehen.
"Hey!", hörte er noch Ratford hinterher rufen, der schließlich einen Streit mit den Söldnern begann. Es sollte sich herausstellen, dass er später von den Bauern eingesammelt und zum Arzt gebracht wurde. Roscoe war scheißegal, was mit ihm geschah, war er zeitweise ausgeschaltet, war das auch gut so, er wusste ohnehin schon viel zu viel. Aber sein geheimer Ring war wieder so ein Zeichen, dass IHN auf seinem Weg nichts aufhalten sollte. Und jetzt, da er im Lager war, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er Wedge zur Rede stellen konnte.
"Ich komme, Freundchen!", knurrte er und machte sich geradewegs auf den Weg zu Lares...
Geändert von Ronsen (12.09.2010 um 00:46 Uhr)
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Heute
Wedge sprintete über den riesigen Damm hinter dem Wachturm, der die unten liegenden Reisfelder vor den gnadenlosen Wassermassen im See darüber bewahrte. Bis vor kurzem ging noch das Gerücht um, ein Lurker würde sich am Dammholz zu schaffen machen, seine Klauen daran wetzen, und könnte ihn schließlich zum Einsturz bringen. Anscheinend hatte sich die Aufregung darüber gelegt, keiner der Bauarbeiter war mehr dabei, den Damm zu inspizieren. Jemand musste sich um das Problem gekümmert haben.
Wedge hielt sich links, erreichte alsbald die große Wohnhöhle. Dutzende kleine Lehmhäuser hatten sich die Bewohner des Neuen Lagers hier aufgebaut, es war wirklich ein gemütlicher Ort. Auf dem Weg zu Lares' Hütte betete der Drogensüchtige, dass Jarvis dafür sorgte, dass Roscoe hier nicht herein kam. Dann hatte er genug Zeit, dem Chef der "Blauen Bande" sein Anliegen vorzutragen. Doch vor der Hütte fing ihn überraschend eine bekannte Gestalt ab.
"Halt! Da darfste ne rei Wedsch!"
Der blonde Hüne breitete die Arme aus.
"Lass mich vorbei, Drax. Es eilt!"
"Äh... nein!"
Wedge versuchte, sich an ihm vorbei zu stehlen, wurde aber zurückgezogen.
"Was bei Beliar macht er denn?"
"Er nimmt wen in de Bande of! Du musst wordn. Ich übernehm' Roscoes Job, solanger nich hier is. Wie geht's Ratford?"
"Scheiß doch auf Ratford, ich hab ein Problem!", Wedge wandte sich wutentbrannt von Drax ab und trat mit dem Fuß gegen eins der Häuser.
"Was'n los?"
Drax hatte nicht den blassesten Schimmer.
"Kann ich dir nicht erzählen, ich... ich muss weg. Lass Roscoe ja nicht zu Lares rein, hörst du!?"
"Hä, ich versteh nich..."
"Halte ihn einfach davon ab."
Dann wandte sich Wedge ab und rannte zur Kneipe. Sie lag auf dem See, war nur für Schürfer und Banditen zugänglich. Hier wurde der Reisschnaps des Lagers gebrannt, hier arbeitete Jeremiah. Und solange Wedge nicht wusste, was mit Cipher und Bruce geschehen war und wie es um Roscoe stand, fühlte er sich in der Kneipe am sichersten. In Kneipenschlägereien griff der Besitzer Silas immer hart durch. Da konnte Roscoe sich nicht mit ihm anlegen. Für einen Moment hätte Wedge sich ohrfeigen können, dass er sich nicht den kräftigen Drax als Verbündeten angeheuert hatte. Aber woher wusste er, was Roscoe ihm nicht schon alles anvertraut hatte? Es war gut so, wie es war. Mit schwerem Atem vom vielen Rennen betrat Wedge die verrauchte Kneipe.
Mittags war hier nicht viel los. Silas wischte durch, zwei Bandenbrüder genehmigten sich ein kleines Mittagessen und im Hinterraum konnte man Jeremiah arbeiten hören.
"Silas", keuchte Wedge und stützte sich an einem der Pfeiler ab. Es drehte ihm im Kopf, er hatte für die Uhrzeit schon zu viel Kraut intus.
"Wehedsch", der Kneipenbesitzer grinste, "Wasch'n losch? Bischt scha kreidebleich. Brauschste'n Wascher?"
Wedge schüttelte nur den Kopf: "Kann ich mit Jeremiah reden? Bitte, es ist wichtig."
"Wasch? Wiescho? Er arbeided, ier könnten 'ne imma von abhald'n."
"Ihr?"
Wedge drehte sich überrascht um. Er unterhielt sich doch allein mit Silas. Die beiden Banditen am Tisch schauten kurz auf, wandten sich dann aber wieder ihren Schüsseln Reis zu.
"Na du, der Dieb mit'm Pferdeschwonz, Brusch,..."
"Dieb?"
"Dieb, Gunde, Gerl..."
"Achso, Typ", Wedge strich sich durch die fettigen Haare, "Was wollten die denn von ihm?"
"Keine Ohnung. Aber Scheremiah musch arbeid'n. Ihr schauft mehr wech als mir brenn kenn..."
Auf einmal kam Wedge eine Idee. Er kramte die Flasche Starkbier von Roscoe aus der Tasche. Sie war gut zehn Erz wert.
"Nimm das, ich will mit Jeremiah reden!"
"Wasch? Wo haschte dasch her?"
Wedge verdrehte die Augen.
"Von mir ausch, aber nisch scho lange!"
"Danke Mann!"
Silas nahm das Starkbier zurück, lief hinter den Tresen und öffnete die Tür zur Schnapsbrennerkammer. Wedge trat ein und schloss die Tür hinter sich schnell wieder. Der alte Jeremiah zuckte hinter seinen Apparaturen auf, als er plötzlich von dem fremden Söldner unterbrochen wurde.
"Bist... bist du einer von Lefty's Schlägern? Ich bin hier gut beschäftigt, ich... ich will nicht auf's Reisfeld zurück."
Der Alte musste schon paranoid sein. Aber es war wohl wirklich eine Wohltat, hier, statt auf den Feldern zu arbeiten und so war es nur verständlich, dass er als allererstes um seinen Arbeitsplatz bangte.
"Ich bin kein Schläger", sagte Wedge leise und versuchte, den alten Mann zu beruhigen.
"Was willst du dann hier? Seit ich dem Kerl mit dem Pferdeschwanz eine Flasche ausgegeben habe, gönnt mir Silas keine Sekunde Pause mehr."
"Ich habe gehört, Bruce war mal hier bei dir?"
Der Alte legte die Stirn in Falten.
"Da... darüber kann ich nicht sprechen."
"Jeremiah, es ist wirklich wichtig, dass du mir ehrlich sagst, was..."
Wedge packte ihn an den Schultern, aber der Alte begann nur, zu schreien. Und dann kam natürlich, was kommen musste.
"HEY! Wasch tuschdu da?"
Silas packte Wedge und zerrte ihn aus dem kleinen Raum.
"Nicht, ich hab ihm nichts getan."
"Rausch ausch der Kneipe, du hascht Hauschverbot!"
"Silas, ich..."
"RAUSCH!"
Er ging.
Geändert von Ronsen (15.09.2010 um 23:29 Uhr)
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Vor 13 Tagen
"WOCHENENDE!", grölte Cipher und schwenkte dabei ein randvolles Säckchen mit Erz durch die Luft. Der erhoffte Jubel der anderen Schürfer blieb aus; sie waren alle zu erschöpft von der Arbeit und dem Nieselregen, der auf sie herab tröpfelte, und freuten sich bloß noch auf einen Besuch ihrer Stammkneipe. Nur Bruce zwinkerte seinem Freund zu. Wenigstens einer in der gut zwanzigköpfigen Kolonne vom Kessel zum Neuen Lager, der noch zu guter Laune fähig war. Cipher kam eine Idee und er blieb kurz stehen, wartete bis die anderen Schürfer außer Hörweite waren. Die Söldner begleiteten sie nicht, die waren mit den Schürfern in der Mine geblieben, die ihren Soll noch nicht erfüllt hatten. Und natürlich mit jenen, die noch weiter arbeiten wollten, denn hier hatte man wirklich nahezu die volle Freiheit, zu tun und zu lassen, was man wollte. Das gefiel dem Blondschopf an den Leuten vom Neuen Lager. Sie arbeiteten freiwillig für die Freiheit.
"Was ist los?", fragte Bruce grinsend, als Cipher und er schließlich allein waren.
"Du weißt schon", meinte der Blondschopf verlegen, "Wie sehen deine Pläne aus?"
"Welche Pläne?"Cipher verdrehte gekünstelt die Augen: "Was wirst du tun, wenn wir das Amulett haben? Wofür tauschen wir es ein? Sumpfkraut? Ein riesiger Berg Sumpfkraut und so viel Erz, dass wir nicht mehr Schürfen müssen. Das wäre doch was…"
"Ach bleib mal realistisch", lachte Bruce nur.
"Was meinst du?", Cipher meinte es todernst, "Du glaubst mir nicht, dass ich das Amulett wieder kriege, was? Aber da irrst du dich. Die Realität sieht so aus: Demnächst soll ein Angriff auf einen der Konvois stattfinden. Und rat mal, wer da dabei sein wird!“"
"Und woher willst du wissen, dass der Gardist dabei ist und auch noch das Amulett dabei hat? Das wäre tollkühn…"
"Das wäre idiotisch. Und das passt zu den Schweinehunden!"
Cipher ballte die Hände zu Fäusten, er war wild entschlossen.
"Ach, ich würde wirklich auf dem Boden der Tatsachen bleiben…", sagte Bruce nur.
"Na klar, und was hast du dann heute Nacht gemacht?"
"Ich konnte nicht schlafen und bin im Kessel spazieren gegangen, das habe ich dir schon gesagt."
"Und ich weiß, warum!"
Bruce blickte erschrocken drein. Cipher stupste ihn mit dem Finger auf die Brust.
"Du bist unruhig. Du spürst, dass die Veränderung kommen wird!"
"Ach, also…"
"Dochdoch", Cipher grinste, "Und du solltest dir echt einen realistischen Plan machen, was man mit plötzlichem Reichtum alles anstellen könnte."
"Vielleicht ähm.. vielleicht sollten wir ihn einfach aufheben? Warten bis er wirklich was wert ist. Wie deine Münzen, die hast du doch immernoch…"
Cipher fuhr sich in die Hosentasche. Die Münzen von dem Tag, an dem er in die Kolonie geschmissen wurdn, klimperten bei jeder Bewegung in ihrer Tasche.
„Das ist was anderes. Die will keiner haben. Aber das Amulett… ich werde schnell einen Abnehmer finden. Und du solltest dir überlegen, was du mit deinem Anteil anstellst.“
Bruce zuckte nur mit den Schultern und Cipher verblieb mit einem bitteren Geschmack im Mund. Aber ihn würde er schon von seinen Zielen überzeugen können. Er musste das Amulett nur beschaffen, das würde sein ganzes Leben verändern, verbessern.
***
„Ja, ihr Dreckfresser seid hier willkommen. Nur herein spaziert.“
Der Rausschmeißer vor der Kneipe grinste Bruce und Cipher, aber vorrangig die Beutel mit Erz in ihren Händen an.
"Auf geht’s", der Blondschopf stand schon mit einem Fuß in der Tür, doch sein Kamerad wollte ihn nicht begleiten.
"Was denn?"
"Ich mag nicht, bin müde. Ich schau mir das Lager ein bisschen an, knüpfe Kontakte, gehe eher ins Bett."
"Wie vorbildlich…"Cipher zuckte mit den Schultern und schritt herein. Eine nebelige Wand aus gekochtem Reis und Schnaps mischte sich mit dem süßlichen Geruch von Sumpfkraut. Cipher stand auf das Zeug.
Die Kneipe war genau so, wie er sie sich die ganze letzte Woche über vorgestellt hatte. Klein, rustikal und voller trinkfreudiger Leute. Zwar schien keiner am frühen Nachmittag schon so fröhlich zu sein wie er, aber das würde sich schon noch ergeben. Cipher bestellte gleich einen Schnaps.
„Lasch Schmecken, Schürfer!“
„Danke, äh…“
„Schilas.“
„Danke“, Cipher nahm den Schnaps entgegen und setzte sich an den Tresen. Durch den Raum geblickt, fiel ihm allem voran eine Gestalt auf, die trotz der kühlen Jahreszeit oberkörperfrei herumzulaufen bevorzute. Zudem war er kahl geschoren, trug einen schwuffigen Rock und war am ganzen Körper bemalt. Er hatte sofort Ciphers Interesse erweckt, nachdem er den ersten Schnaps intus hatte und einen weiteren bestellt, wandte er sich an den Kerl.
„Du bist einer aus der Sumpfbruderschaft, richtig?“, rief der Schürfer dem Kerl vom Tresen aus zu. Der Fremde lugte verbittert hinter seiner Flasche Schnaps hervor: „Wie hast du das nur erraten, Schlaumeier?“
„Biddeschön!“, knallend kam Ciphers Schnaps vom Wirt auf den Tresen gedonnert. Der Blondschopf nahm ihn und setzte sich zu dem Kahlkopf an den Tisch.
"Was führt dich hierher?"
"Geschäfte…“, antwortete der nur bitter und deutete auf einen großen Beutel, den er unter dem Tisch mit hatte. Cipher roch Kraut.
"Ich soll das Zeug hier verticken, hab aber keinen Bock, die ganze Zeit durch euer Lager zu stiefeln. Interesse an einer größeren Ladung?"
Cipher rieb sich durch den Dreitagebart.
"Ich bin zwar nur ein Schürfer, aber ich kann dir das Erz schnell auftreiben."
"Ach?"
"Gib mir das Kraut, ich verhöker’ es für dich für mehr, als du es je kriegen würdest."
"Was? Ne Mann, das kann ich nicht machen…", der Kerl schüttelte den Kopf, "Du rauchst mir das alles nur weg. Ich kenn dich ja nichtmal…"
"Ich bin Cipher."
„Balor. Sehr erfreut…“
Jedes Wort, das der Kerl sprach, klang noch gelangweilter als das vorige. Cipher musste unentwegt an das Amulett denken. Hier hätte er doch einen wunderbaren Tauschpartner gefunden. Ein einzelner Sumpfler, der einen Sack voll Kraut dagegen tauschte. Und auf dem Heimweg konnte Cipher ihn wieder umlegen und sich das Amulett wieder holen. Genial.
"Wir kommen schon noch ins Geschäft, du kannst mir ja auch erstmal nur ein paar Stängel mitgeben, die ich dir für Erz vertreibe."
"Meinst du? Willst du mir nicht erst noch einen Schnaps anbieten?"
"Sicher… Silas?!"
"Schauft heut noch ordentlisch. Näschste Woche scholl ’ne Karavane komm! Da weiß isch ne, ob ihr alle schaufen könnt."
"Ach?", Ciphers Augen leuchteten, "Ein Überfall auf ein Gardistenkonvoi?"
"Ne ofn Reischlord. Tschtsch…"
Der Blondschopf grinste.
"Okay, bring uns noch zwei!"
Balor nickte dankbar und sie stießen an.
Geändert von Ronsen (26.07.2010 um 18:57 Uhr)
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Vor zwölf Tagen
"Fünfzehn Erz? Mein letztes Angebot."
"Was? Fünfzehn? Oh Mann... du musst echt noch an deiner Verkaufsstrategie arbeiten. Der Baal dort drüben bietet seine für zehn."
Bruce kramte noch einen zweiten Stängel Sumpfkraut aus der Tasche.
"Fünfundzwanzig für zwei. Wie klingt das?"
"Miserabel. Aber weil du mein Bruder werden willst und ich es verdammt nötig zu haben scheine..."
Bruce klopfte dem Kerl lächelnd auf die Schulter.
"Danke Bruder..."
"Wedge."
"Danke Wedge."
Zufrieden mit dem Erlös schritt Bruce zu Cipher hinüber. Der schien in seiner neuen Arbeit voll aufzugehen. Mit Drogen zu dealen war schon immer sein Milieu. Und hier konnte er sein Geschäft sogar legal betreiben. Was wollten sie überhaupt noch aus der Barriere entkommen?
"Und, wie schaut's bei dir aus?"
"Fünf Erz bei zwei Stängeln hab' ich gut gemacht."
Cipher legte den Kopf schief und zuckte nur mit den Schultern: "Ich hab bei drei Stängeln zwanzig Erz gut gemacht. Für dich scheinen wir den richtigen Beruf noch finden zu müssen. Aber du versäufst dein Erz auch nicht, so wie ich, da brauchst du auch nicht alles. Und solange der ursprüngliche Wert an die Kasse zurück geht..."
"An Balor, ja klar. Das faule Schwein verdient das Erz gar nicht."
"Natürlich nicht...", Cipher steckte seinen eigenen Beutel ein, "Aber lass das mal meine Sorge sein."
"Was hast du vor? Willst du ihn erpressen? Du hast doch nichtmal eine ordentliche Waffe..."
Cipher griff sich seinen Kollegen und flüsterte ihm ins Ohr.
"Du kennst mich, kannst mich einschätzen, das ist gut. Aber du brauchst es nicht so an die große Glocke zu hängen."
"Schon gut", Bruce befreite sich aus dem Griff seines Kameraden, "Ich mach jetzt erstmal Pause..."
"Ja, mach du nur", rief Cipher nun laut, "Ich beschaff mir derweil mehr Erz für eine anständige Waffe. Wo gehst du hin? In die Kneipe?"
Bruce zuckte mit den Schultern: "Weiß nicht. Eigentlich wollte ich mich mit Ratford und Drax treffen."
"Dann mach das. Aber sei vor Sonnenuntergang hier, wir müssen noch mit der Kasse abrechnen."
Sie winkten sich zur Verabschiedung und Bruce trottete aus der gemütlichen Wohnhöhle in das kühle Freiland. Ein frischer Wind wehte ihm durch das zottelige, schwarze Haar. Er beschleunigte seinen Schritt, um nicht unnötig zu frieren...
***
Sein Weg führte den Schürfer nicht zum Jägerlager. Vielmehr benahm er sich wie ein Eichhörnchen vor der Winterruhe und begann, seinen Proviant zu verstecken. Das Erz, was er heute und schon letzte Woche verdient hatte, brachte er in eine Höhle, die sich ganz in der Nähe des Neuen Lagers befand. Dort ruhte bereits sein Amulett, wartete geduldig auf den Fall der Barriere, falls er denn jemals kommen würde. Wenn Cipher dann noch lebte, musste Bruce ihm die Sache irgendwie erklären, wenn nicht, hatte er keine Sorgen mehr. Jetzt war es nur wichtig, die Füße still zu halten und sich nicht zu verraten. Er blickte sich noch einmal um, ob ihm auch keiner folgte und schritt schließlich über die Brücke zur Höhle, die nur noch einen Katzensprung entfernt war.
Als er sich näherte, hatte der heulende Wind nachgelassen. Eine fast schon gespenstisch stille Atmosphäre lag über dem Ort, nur vom leisen Rauschen des Flusses und einem unruhigen Scharren unterbrochen. Scharren? Vorsichtig zückte der Schürfer seine Spitzhacke; eine Waffe sollte man hier immer dabei haben, wenngleich es sich um die wohl unpraktischste von allen handelte. Hatte er hier etwa einen Schatzräuber vor sich? War ihm gestern jemand gefolgt und wusste, wo das Amulett war? Hatte er seine Spuren zu schlecht verwischt?
Nichts davon traf zu. Nur eine Gruppe von Molerats, die es sich in seiner Höhle anscheinend gemütlich gemacht hatten. Fette, fleischfarbene Biester waren das; man konnte sie mit großen, nackten und räuberischen Maulwürfen vergleichen. Bruce hatte kein Interesse, sich mit ihnen anzulegen und solange er ihnen nicht näher rückte, schienen sie auch kein Problem mit seiner Gegenwart zu haben. Der Gefangene blickte auf den Beutel mit Erz herab und entschied sich, es Cipher gleich zu tun. Er würde sich eine Waffe kaufen und irgendwann später das Problem beseitigen. Er durfte es nur nicht vergessen, Molerats wühlen für gewöhnlich ziemlich kräftig herum, nicht dass sein Amulett dann plötzlich verschwunden oder gar verspeist war.
Doch für den Moment machte Bruce wieder kehrt und schritt über die Brücke, doch als er sich dem Eingang zum Neuen Lager näherte, vernahm er eine laute Stimme im Rücken, die ihn aufschrecken ließ.
"Hey! Hey Bruce, wo warst du? Die Jungs würden gerne mit dir reden."
Cipher kam, Ratford und Drax an seiner Seite. Sie sahen ein bisschen wie seine Leibwachen aus.
"Ich... was machst du denn hier? Wolltest du nicht...?"
Cipher spuckte aus: "Ich dachte mir, die beiden sind sicher auch an ein bisschen Kraut interessiert."
"Aye", stimmte Drax zu.
"Aber wir wussten nicht, dass du kommen wolltest."
"Ich... das hab ich doch mit Drax ausgemacht. Ich hatte mich verlaufen, als ich euch aufsuchen wollte."
"Was, wann denn das Drax?", fragte Ratford seinen Kumpel.
"Öööh..."
Bruce Atem ging schneller. Er wollte sich nicht weiter in diese peinliche Situation hereinreiten, brauchte aber ein sauberes Alibi.
"Kann mich nicht erinnern. Hab' zu viel getrunken gehabt..."
"Gut möglich...", stimmte Bruce zu und setzte noch einen drauf, "Du wolltest mich am Lager abholen. Ich hatte gewartet, bin dann aber allein los."
"Achso... tut mir echt Leid, Mann."
"Nunja, ist eben passiert", sprach Bruce etwas vorwurfsvoll, "Und... was machen wir nun?"
Ratford deutete zum Himmel: "Es wird bald regnen. Wir wollten in die Kneipe."
Drax stimmte nickend zu: "Das weiß ich noch."
"Okay dann... tun wir das."
Bruce wischte sich den Schweiß von der Stirn und schloss sich der dreiköpfigen Truppe an. Ein bisschen mulmig war ihm schon, als Cipher ihn hier so ertappt hatte. Vielleicht sollte er noch bessere Vorkehrungen treffen, ehe er noch hinter sein Geheimnis kam und ihm die Hölle heiß machte...
***
"Noch einsch?"
"Lass mal Silas, ich muss sparen."
"Ach gomm..."
Bruce zuckte die Schultern und klemmte sich hinter sein Glas Wasser. Er war kein Säufer und ein Schnaps war für ihn genug. Die Hitze spürte er schon am ganzen Körper, was aber auch an den vielen Leuten liegen konnte, die in den Abendstunden hier verkehrten. Draußen hatte es zudem wirklich zu regnen begonnen, er fühlte sich ziemlich eingepfercht.
Dennoch saß er an seinem Tresenplatz ziemlich alleine. Ein alter Mann hatte rechts von ihm Platz genommen, zu seiner Linken endete der Tresen. Ratford und Drax hatten begonnen, sich mit ein paar anderen Banditen ausgelassen darüber zu unterhalten, wie man Keiler richtig erlegte, ohne ihr Fell zu ruinieren. Und Cipher war mit dem Kerl aus der Sumpfbruderschaft beschäftigt. Bruce lauschte derweil mal hier, mal dort und versuchte, sich so lange wie möglich an sein Glas Wasser zu klammern. Silas hatte ein Gespräch mit dem Alten neben ihm begonnen.
"Und Homer. Damm inzwisch'n discht schemacht?"
"Ach lass gut sein...", der Alte winkte nur ab und trank von seinem Schnaps, "Wir wissen inzwischen, was daran Schuld ist, kriegen das Problem aber nicht in den Griff, weil keiner der Söldner oder Banditen Lust hat, sich mit dem Viech anzulegen. Ohne Gegenleistung versteht sich, mir kommt das Erz auch nicht aus dem Hintern..."
"Der Lurker immer noch? Scheiß Viesch. Isch würd dir ja helfen, aber isch musch hier ufpasch'n. Die Kneipe kost' zu viel Tscheit."
"Ja, kann ich verstehen. Wie läuft es denn derzeit?"
"Ach eigentlisch schanz schut..."
"Bruce."
Der Schürfer zuckte auf. Cipher winkte ihn zu sich herüber: "Komm, wir müssen die Kasse machen."
Bruce mühte sich von seinem Stuhl herunter und schlurfte an den Tisch herüber. Der Kahlkopf grüßte ihn mit einem Nicken. Balor hieß er, wieso hießen die Leute hier alle gleich? Balor, Baloro. Dann begann er zu sprechen.
"Ihr scheint mir ganz zuverlässig. Ich glaub, ich lass euch das Zeug hier. Die nächste Lieferung kommt mit Baal Isidro. Ihm gebt ihr auch meine spezielle Entlohnung mit. Alles klar?"
"Klar, aber wir sollten die Abrechnung füt heute erstmal machen..."
Und die ganze Zeit überlegte Bruce dabei, was Balor mit der speziellen Entlöhnung meinte. Und was sich die beiden krummen Geschäftsmänner hier überhaupt zusammengesponnen hatten. Er würde ihn morgen nach einer hoffentlich langen Nachtruhe dazu ausfragen. Der heutige Tag war schon abenteuerlich genug gewesen...
Geändert von Ronsen (11.08.2010 um 22:37 Uhr)
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Heute
Auf dem kurzen Weg vom Turm zur Wohnhöhle versuchte Roscoe krampfhaft, einen klaren Kopf zu bekommen. Er war so wütend auf Wedge, dass er fast vergaß, was hier eigentlich auf dem Spiel stand. Das war nicht gut, er durfte die Gefühle nicht Herr seiner Handlungen werden lassen. Was konnte schon passieren? Wedge verriet ihn im schlimmsten Fall, dann konnte er das Amulett noch immer Lares abgeben und damit eine gute Figur machen. Tief im Inneren wusste er natürlich, dass diese Option die allerletzte war, die er eingehen würde. Daher musste er unbedingt zu Lares, einfach um sich sicher zu sein, dass der Chef der "Blauen Bande" noch nichts von alledem wusste.
Aber... was sorgte er sich eigentlich? Er hatte doch vorgesorgt, dass Wedge nicht zu Lares vorgelassen wurde. Das fiel ihm erst wieder ein, als er Drax in seinem absurden Akzent seinen Namen rufen hörte.
"Röscoh. Eh, was geht'n?"
Drax hob die Pranke zum Einklatschen, der Bandit aber versuchte, ihn zu ignorieren und zu Lares vorzudringen.
"Nene, da darfste nich rein."
"BITTE!? Ich bin Lares Rechte Hand, ich habe dir den Befehl zur Wache gegeben, ich darf!"
Roscoe schlug den breiten Arm des großgewachsenen Jägers beiseite, doch dieser stellte ihm gleich darauf das Bein, was Roscoe hart auf den steinernen Boden krachen ließ. Hätte er das Amulett noch bei sich, würde es ihm gewiss den Brustkorb zerdrücken.
"Was zum Teufel ist in dich gefahren?!"
Er rappelte sich wieder auf, war im Begriff, seine Waffe zu ziehen, doch da unterbrach plötzlich eine fremde Gestalt die Szene. Ein Kerl mittleren Alters mit langem Pferdeschwanz und brandneuer Banditenkluft kam aus Lares' Hütte stolziert.
"Siehste? Deswegen durftste ne rein. Ofnahme."
Roscoe atmete lange und laut aus, um seinem "Kameraden" klar zu machen, dass er ihn mächtig verärgert hatte.
"Kannst du dich jetzt bitte..."
Bevor Roscoe die Nerven verlor, machte sich Drax zum Glück vom Acker. Dummerweise stand ihm jetzt eine andere Grinsebacke vor der Nase.
"Du bist neu, was? Wie lange seid ihr da drin beschäftigt gewesen?"
Der Kerl zuckte mit den Schultern.
"Eine Stunde schätze ich, wieso?"
Eine Stunde. Und wenn Drax Wedge abgehalten hatte, zu Lares zu gehen, wusste Lares von nichts. Roscoe seufzte erleichtert. Es ging ihm schon ein bisschen besser.
"Nur so", lachte er plötzlich und klopfte sich die schmutzigen Hände ab, "Nur so, hahaha... willkommen in der Bande. Ich bin Roscoe, rechte Hand des Chefs."
"Ich bin..."
"Mein Bruder im Kampfe gegen die Gardisten!"
"Nein", der Kerl schüttelte den Kopf und stampfte auf.
"Was ist los?"
"Interessiert hier kein Schwein, wie ich heiße? Ständig werde ich unterbrochen, wenn ich mich vorstellen will."
"Ach, wie heißt du denn?"
"Ich heiße John."
"Glückwunsch."
Roscoe grinste schelmisch. Ihm ging es gut.
"Wie hast du es geschafft? War es die Liste?"
Sein Gegenüber nickte: "Die Liste der Alten Mine. Als Prüfung des Vertrauens. Na, niemand hat gesagt, wer mir vertrauen soll, nicht wahr? Warst du auf dem Überfall?"
"Aye..."
"Dann habe ich den Spaß wohl verpasst."
"Tja..."
Ein paar Herzschläge lang geriet man ihn verlegenes Schweigen. Dann setzte Roscoe fort.
"Und was hast du jetzt vor... John?"
Der frischgebackene Bandit deutete auf die Höhlenmitte. Unter einem riesigen Gitter lagerte dort alles Erz des Neuen Lagers, ein gewaltiger, blau schimmernder Haufen. Um das Gitter herum standen gewaltige, mit Runenzeichen versehene Steinklötze, bei denen Tag und Nacht einer der Wassermagier studierte.
"Ich werde einen Botengang für die Wassermagier ins Alte Lager machen."
"So? Na dann viel Erfolg dabei."
"Wir sehn uns."
Roscoe blickte ihm noch hinterher, ehe er weiterrannte. Der Kerl musste es echt eilig haben. Aber er hatte den Banditen auch auf eine großartige Idee gebracht. Jetzt, wo Lares keine direkte Gefahr mehr darstellte, musste er nur noch Wedge zähmen. Wieso nicht mit dem, was der Junkie am meisten fürchtete?
Mit der Macht der Götter!
Geändert von Ronsen (12.08.2010 um 11:42 Uhr)
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Heute
Ein langer, kräftiger Zug am Sumpfkrautstängel zerriss Wedges Lunge beinahe. Er ertrug den Schmerz fünf Sekunden lang, ehe er ausatmete. Eine grüne Dunstwolke entstieg seinem Rachen; es konnte nicht gesund sein, wenn der eigene Körper so etwas ausstieß. Doch er würde nie von der Droge wegkommen, ein Problem, das ihm schon seit seinem Reinschmiss in die Kolonie zusetzte. Draußen gab es lediglich starke Pilze, die seinen Drang hatten stillen können, aber hier wurden die harten Drogen sogar angepflanzt. Er wollte eigentlich gar nicht aus der Kolonie heraus. In Khorinis gab es nur Ärger mit den Soldaten. Nun, würden manche Gefangenen sich nicht wie Vollidioten benehmen, würde man hier wahrlich gut leben können.
"Was hat er nur vor..."
Zwischen seinen Brüdern sitzend, beobachtete Wedge den verrückten Roscoe, der wahrscheinlich noch immer mit dem Amulett am Hals herumrannte. Jarvis hatte es ihm nicht abgenommen. Woher Wedge das wusste?
"Der Ring war ein Andenken an meinen Vater", brummte Ratford neben ihm mit betrübter Miene, "Ich hasse diesen Mistkerl von der Torwache! Was hat er denn davon? Es ist nur ein wertloses Stück Metall. Für ihn..."
"Heul nicht so herum", Wedge hatte Schuldgefühle, da er Jarvis angeordert hatte, Roscoe den wertvollen Schatz abzunehmen. Wer hatte ahnen können, dass Ratford selbst etwas Schatzähnliches dabei hatte? Selbst Schuld, wenn er damit so flachs herumrannte.
"Ich habe genug davon. Ich such jetzt Drax und verschwinde hier."
"Jagen?"
"Ja, Jagen!"
"Viel Spaß", Wedge pustete dem aufgebrachten Jäger eine grüne Dunstwolke hinterher, dann wandte er seinen Blick wieder herüber zu Roscoe. Der Typ sprach mit Cronos, einem der Wassermagier im Lager. Was hatte er nur vor? Wollte er das Amulett bei dem Magier verkaufen? Vielleicht war es so, aber viel Erz würde er da nicht gut machen. Dann hätte Wedge wenigstens keine Probleme mehr. Ausgenommen die Leichen von Cipher und Bruce, die müssten sie schon noch begraben, lagen sie doch nach Ratfords Aussagen immer noch vor der Höhle. Wusste Lares eigentlich davon?
"Hey du!"
"Wer, ich?"
"Deine Fresse gefällt mir nicht. Mach, dass du verschwindest!"
Wedge beobachtete, wie einer seiner Kameraden, Butch, einen Kerl mit Pferdeschwanz grundlos anpflaumte. Der Typ war genauso ein Idiot wie Roscoe. Kräftig, gierig, ein Schläger und Mistkerl durch und durch. Der Kerl mit Pferdeschwanz hatte Glück, noch ungeschoren davon gekommen zu sein. Seine Taten hatten sich schon herumgesprochen. Er war dafür verantwortlich, dass man gestern den Konvoi hatte überfallen können. Aber irgendwie war er damit auch schuldig an all dem Trara rund um das Amulett. Wedge empfand weder Freude, noch Respekt, wenn er den Kerl sah.
Ein Blick zurück zu Cronos und Roscoe war fort.
'Verdammt', Wedge warf den Krautstümmel zu Boden und zertrat ihn mit dem Fuß. War es Neugier oder naives Handeln im Rausch, er wusste es nicht. Aber er wollte seinen wahnsinnigen Gefährten nicht aus den Augen lassen. Das war ein Fehler.
Denn kaum, da er ein paar Schritte vom Rest der Bande weg gegangen war, packte ihn eine kräftige Gestalt und zerrte ihn in eines der Lehmhäuser. Eine Hand hatte der Mistkerl auf Wedges Mund gelegt, sein Aufschrei hatte keiner gehört. Eine Tür knallte hinter ihm zu, trotzdem konnte sich Wedge befreien. Roscoe, natürlich.
"VERDAMMT! Was ist in dich gefahren? Ich will nichts von dir und dem scheiß..."
"SCHNAUZE! Halt die Schnauze!"
Roscoe baute sich in ganzer Größe vor ihm auf, aber das beeindruckte Wedge wenig. Seine Hand fuhr zum Schwertgriff.
"Was hast du jetzt vor? Willst du mich umbringen?", Wedges Kopf dröhnte. Der Stängel hatte ihm definitiv den Rest gegeben.
"Das könnte ich wohl, nach dem, was du Arsch mir angetan hast!", Roscoe spuckte ihm auf die Füße, "Aber das würde Lares mitbekommen. Hast du Glück."
"Ja, nicht wahr?", Wedge grinste schelmisch, "Und? Hast du das Amulett verkauft? Bist du jetzt reich?"
"Ich habe es nicht verkauft. Das wirst du tun!"
"Du spinnst."
"Schnauze!", keifte Roscoe wieder lautstark, "Hör mir zu! Ich habe mich mit Cronos unterhalten. Der sagt, einer der Feuermagier im Alten Lager würde ein hübsches Sümmchen dafür ausgeben, wenn das Amulett zu ihm zurückkehrte. Es scheint mir fast so, als hätte es Cipher einem der Magier abgenommen."
"Ach? Und Cronos hat es dich behalten lassen?"
"Ich habe mich bereit erklärt, es den Feuermagiern zurück zu bringen."
"Und das soll ich tun?", realisierte Wedge.
"Ganz genau. Du wirst mir tausend Brocken aushandeln. Wenn du es hast, bringst du es mir. Ich werde dich am Außentor erwarten. Wir marschieren morgen früh los!"
"Vergiss es, Mann", Wedge schüttelte den Kopf, "Ich habe dir schonmal gesagt, dass ich raus bin. Mach deinen Mist alleine, ich will meine Ruhe."
"Du bist NICHT raus!"
Roscoe stieß ihn so heftig, dass Wedge zurück stolperte und auf dem Bett des Verrückten Platz nahm.
"Weißt du, was das hier ist?"
Roscoe griff auf seinen Nachttisch und zeigte seinem Kameraden ein glänzendes Pergament. Es schien, als würden feine Schneeflocken darum herum schwirren.
"Eine magische Spruchrolle?!"
"Das ist ein Eisblock-Zauber. Verstehst du? Hm?! VERSTEHST DU!?"
"Du kannst damit doch gar nicht umgehen", meinte Wedge unbeeindruckt.
"Willst du's erleben?"
Er war dabei, das Band der Spruchrolle zu entfernen. Würde das geschehen, würde der Zauber ihnen gewiss unkontrolliert um die Ohren fliegen.
"Nicht!", Wedge hob die Hand, "Du hast gewonnen. Gib mir das Amulett. Ich gehe ins Alte Lager und verhökere es für dich."
"Morgen früh!", zischte Roscoe, "Wir treffen uns noch vor Sonnenaufgang vor meiner Hütte."
"Wie du meinst."
"Und denk dran!", der Verrückte steckte die Spruchrolle wieder weg, "Ich habe ein Auge auf dich!"
"Damit kommst du nicht durch", zischte Wedge unverständlich.
"WAS?!"
"Ich sagte, wir sehen uns morgen."
Geändert von Ronsen (12.08.2010 um 13:24 Uhr)
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Vor acht Tagen
Die schwere Stahlkeule sauste nur um Haaresbreite an Ciphers Schulter vorbei. Vor dem Schlag hatte er sich gerade noch so wegdrehen können, doch für diese Spielchen zeigte sein Lehrmeister kein Erbarmen.
"Du sollst blocken verdammte Scheiße!"
Der Blondschopf sprang zurück und packte sein neues Breitschwert mit beiden Händen.
"Und damit fängst du gar nicht erst an! Es heißt Einhänder! Oder kannst du nicht zählen? In dem Fall schlage ich dir vor, mal eine Berserkeraxt einhändig zu führen. Dann wirst du vielleicht den Unterschied endlich mal feststellen!"
"Tut mir Leid", Cipher nahm schnell seine Linke von der Waffe weg und wischte sich über die Stirn, "Meine Hand war verschwitzt."
"Dann zieh dir das nächste Mal Handschuhe an. Und jetzt greif an, du bist nicht zum Kaffeekränzchen hier!"
Cipher schluckte und schwang sein neues Schwert ein wenig hin und her, um wieder locker zu werden. Der Söldner blickte ihn herablassend an. Cord hieß er, ein durchschnittlich trainierter Kerl, der zwischen den vielen Muskelbergen der anderen Krieger hier ein wenig unscheinbar wirkte. Doch sein unglaublich schneller und geschickter Kampfstil machte das wieder wett. Wenn er einmal in die Offensive ging, konnte Cipher kaum so schnell seine Waffe hochkriegen und blocken. Oft blieb ihm nur das Ausweichen, doch das gefiel Cord überhaupt nicht.
"Los doch. Stell dir vor, ich wäre ein Gardist! Lass alles raus!"
Cipher blinzelte und sah Cord tief in die Augen. Kurze schwarze Haare hatte er, aber keinen Bart. Der Blondschopf stellte sich seinen Gegenüber mit Schnauzer vor, er stellte sich Bullit vor. Es wirkte. Er riss die Waffe hoch.
Mit einem wahnsinnigen Angriffsschrei ließ er sein Schwert auf den gezückten Streitkolben seines Meisters niedersausen. Cord blockte jeden Schlag ab, links, rechts, oben unten und Stiche schlug er einfach beiseite. Und dabei brauchte er nicht einmal selbst angreifen, das war ernüchternd.
"Ist das alles? Da können unsere Buddler ja bessere Schläge verteilen als du."
Der Hagel von Angriffen wurde schneller und heftiger.
"Da kämpft ja meine Großmutter mit ihrer Schöpfkelle besser als du!", provozierte Cord weiter. Und Cipher ging endlich an seine Grenzen bis...
Ein Gegenschlag. Er konnte gerade noch seine Waffe zurückschnappen lassen, der Kolben wurde über die Schwertspitze abgelenkt. Dann setzte Cord nach, aber diesmal ließ sich Cipher nicht unterkriegen, entschlüpfte erneut einem der Angriffe durch ein Ausweichmanöver und erwischte seinen Meister mit der Schwertspitze am Unterarm. Nur ein leichter Schnitt, doch beide waren von der Leistung so geschockt, dass für einen Herzschlag jegliche Bewlichkeit aus ihnen gekrochen war. Cord hatte sich schneller gefasst und donnerte Cipher mit einem heftigen Keulenhieb das Schwert aus der Hand. Der Knüppel traf genau das Handgelenk des Schülers und dieser schrie vor Schmerzen auf. Es fühlte sich an, als hätte man ihm die Hand zwischen Tür und Rahmen gequetscht.
"Meine Fresse", zischte Cord und fasste sich ungläubig den blutigen Arm, "Das war knapp."
Cipher versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen und betrachtete die Wunde des Söldners mit gezwungenem Grinsen.
"Geh deine Waffe holen, Bursche!", herrschte ihn der Meister des Streitkolbens an und Cipher drehte sich um, von dem kleinen Trainingsfelsen steigend und sein Schwert suchend. Da hörte er, wie sein Name gerufen wurde. Bruce kam auf ihn zugerannt, reichte ihm sein Schwert. Er lächelte.
"Du musst besser auf deine Sachen aufpassen."
"Hahaha, gib mir die Waffe. Es ist doch meine, oder hast du dir endlich auch etwas zugelegt?"
"Nein, ich spare."
Cipher verdrehte die Augen und wollte sich schon wieder abwenden, da rief ihn Bruce abermals.
"Was willst du denn?"
"Lares hat nach uns gefragt. Wir sollen uns bei ihm einfinden."
"Ach?"
"Der Angriff auf den Konvoi steht vor den Türen."
Ciphers Augen weiteten sich vor Überraschung.
"Komme sofort."
***
Nachdem er sich bei Cord abgemeldet hatte, war Cipher ohne ein Bad, was er für gewöhnlich nach den Übungen im großen See vor der Wohnhöhle nahm, und ohne frische Kleidung direkt seinem Kameraden in Richtung der Hütte des Anführers der Blauen Bande nachgerannt.
"Hast du mit ihm gesprochen?"
"Nein", Bruce schüttelte energisch den Kopf, "Roscoe hat gesagt, ich soll dich holen."
"Roscoe ist...?"
"Die rechte Hand von Lares."
"Ah."
"Dort vorn."
Bruce deutete auf einen Kerl, der das halbe Gesicht unter einem dunkelblauen Schal vergrub. Er hatte kurze, schwarze Haare und dunkle, tiefbraune Augen. Als er die beiden bemerkte, fuhr seine Hand zum Schwertgriff. Er zückte ein gewöhnliches Schwert und stemmte es mit der Spitze auf den Boden.
"Da seid ihr ja endlich. Ich soll euch sagen, dass morgen der Angriff auf den Konvoi startet. Wenn ihr in der Bande aufgenommen werden wollt, ist das die Chance. Aber keine faulen Tricks. Wir beobachten euch."
"Ich habe gehört, Lares will mit uns sprechen", sagte Cipher unvermittelt. Er wollte endlich mit dem Mann sprechen, zu dem sie alle aufsahen. Mit dem Genie, der ihm ermöglichte, sein Amulett endlich wieder zu kriegen.
"Lares gibt sich nur mit Mitgliedern der Bande oder Vertrauenspersonen ab. Ihr müsst euch sein Vertrauen noch erarbeiten. Hier, wie versprochen."
Roscoe drückte Bruce das Schwert in die Hand.
"Was? Kriegt er das etwa geschenkt?", fragte Cipher empört.
"Es ist ein altes vom letzten Überfall. Du hast dir doch schon eine Waffe geholt, was regst du dich auf?"
"Ich..."
"Ihr findet euch morgen früh am Damm ein. Noch vor Sonnenaufgang. Ratford und Drax berichteten, dass der Konvoi heute angekommen ist."
"Was?! Warum haben wir ihn nicht angegriffen?"
Roscoe seufzte: "Weil sie noch keine Waren transportieren, du Spast. Wenn sie aus der Alten Mine wiederkommen, haben sie den ganzen Karren voll mit Erz. Und den holen wir uns."
"Schon gut", zischte Cipher eingeschnappt, "Wir werden da sein, oder?"
"Werden wir", sagte Bruce vorfreudig.
"Dann ist die Taverne heute für euch tabu, verstanden?"
"Klar", meinte Cipher.
"Gut... ist noch was? Sonst könnt ihr euch verpissen."
***
"Reizender Zeitgenosse", brummte Cipher, als er auf dem Weg zurück zu Cord war. Bruce schlenderte neben ihm her, seine neue Waffe bestaunend.
"Das hast du gewusst, du Arsch", sagte der Blondschopf sauer, "Und ich kauf mir mein Teil für achtzig Erz."
"Es ist sein Geld garantiert wert", versuchte Bruce, ihn zu beruhigen.
"Das weiß ich selbst. Ich glaube, ich sollte es mal testen. Wie wäre es mit einem Übungskampf?"
Bruce zuckte zusammen: "Davon habe ich nichts. Du gewinnst ohnehin."
"Blablabla, was willst du mit der Einstellung eigentlich morgen erreichen?"
"Ich mache dir einen Vorschlag."
"Na da bin ich gespannt."
Sein junger Freund holte tief Luft: "Also... du gehst zu Cord und trainierst ein bisschen und ich beschaff uns von meinem gesparten Erz jedem eine Flasche Reisschnaps."
"Ich dachte die Taverne wäre tabu."
"Wir trinken ja auch nicht in der Taverne."
"Okay, das ist ein Wort."
"Sehr schön... gib mir eine halbe Stunde."
"Jaja..."
Und schon flitzte er davon. Cipher blickte der Abendsonne entgegen. Zwei Stunden hatten sie noch bis zum Sonnenuntergang. Er musste die fünfzig Erz von Cord doch auch sinnvoll ausschöpfen...
***
Normalerweise war es für Bruce kein Problem, mit den Schürferklamotten in die Kneipe zu kommen. Doch da heute besondere Umstände zu herrschen schienen, hielten die Wachen ihn an.
"Hey Schürferbubi. Wo soll's denn hingehen?"
"Ich will nur was trinken."
"Du nimmst wohl nicht am Angriff teil, was? Na, so mickrig wie deine Ärmchen aussehen, kannst du auch nicht mehr als ein Glas Milch heben."
"Kann ich jetzt rein?"
Der Wachmann zuckte mit den Schultern: "Aber nur, weil Silas uns mit deinem Erz bezahlt, harhar."
Drinnen war tatsächlich tote Hose. Mit der Situation vor einigen Tagen war das nicht zu vergleichen. Nur ein weiterer Schürfer trank etwas hier, von einem Sumpfbruder fehlte jede Spur. Bruce wollte gar nicht wissen, was Cipher mit Balor oder seiner Vertretung angestellt hatte...
Er gesellte sich zu dem Fremden, der bei näherem Hinsehen gar nicht die typischen Schürferklamotten trug. Unsicher setzte sich Bruce neben ihn und nickte ihm zur Begrüßung zu. Silas kam aus einem kleinen Raum hinter dem Tresen, der Brennerei. Er brüllte einen alten Mann an, sich wieder an die Arbeit zu machen, es gäbe wieder einen Gast.
"Wasch schollsch schein?", Silas stemmte sich schwermütig vor Bruce auf den Tresen. Er sah aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gepurzelt. Bruce blinzelte zu seinem Nebenmann.
"Ich nehm dasselbe, was er auch hat."
"Das glaube ich kaum, Bruder", kam es von seinem Nachbarn, "Das ist kein Bier oder Schnaps, es ist ein rein pflanzliches Mittel gegen Muskelkater."
"Ja... Scheremiah kann allesch möschlische zuschammwurschteln. Wennsch schmeckt..."
"Ich nehm ein Wasser", meinte Bruce schließlich und als er den entsetzten Blick des schlaftrunkenen Wirts sah, fügte er hinzu, "Und eine Schüssel Reis."
Dann wartete er.
"Auch kein Alkoholiker, was?", meinte der Kerl neben ihm. Bruce dankte ihm innigst, dass er die Konversation begonnen hatte, die Stille war erdrückend.
"Nein, kein großer. Und ich bin auch ziemlich sparsam, naja..."
"Ach", der Kerl trank von seinem seltsamen Gebräu, "Ich dachte im Kessel verdient man gut."
"Ähm... doch ja."
"Ich meine, ich kann es nicht einschätzen, ich arbeite nicht dort."
Bruce nickte: "Ich habe dich dort auch noch nie gesehen. Was macht ihr denn?"
Der Fremde lachte: "Ich bin nur ein einfacher Bauer."
"Achja?"
"Die Banditen respektieren mich. Liegt wohl an meinem Körper."
Er zog den Ärmel hoch und präsentierte unauffällig seinen stämmigen Oberarm. Dann kam Bruce' Portion angekracht.
"Ischt dasch allesch?"
"Ja... nein, kann ich noch zwei Flaschen Reisschnaps haben?"
Silas kramte die Flaschen unter der Theke hervor: "Macht fünfzehn Erz."
Bruce bezahlte und sah etwas überrascht zu, wie Silas in den Hinterraum ging und zuschloss.
"Der geht pennen. Der rechnet an so einem Tag nicht mit uns."
"Ich...", Bruce war verwirrt, "Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Bruce ist mein Name."
"Ich bin Horatio."
"Freut mich."
"Mich auch. Hätte nicht gedacht, dass es noch einen anderen, freien Menschen gibt, der morgen nicht an dem sinnlosen Angriff teilnimmt."
Bruce zuckte zusammen. Dann aß er ohne ein weiteres Wort seine Portion auf. Horatio hatte auch bald ausgetrunken.
"Was hast du nun vor?", fragte der Bauer.
"Ich gehe schlafen..."
"So früh? Mit dem Schnaps?"
"Ich muss morgen fit sein."
"Verstehe..."
Er erhob sich und ließ Bruce allein sitzen.
"Ich hoffe, ich sehe dich noch einmal in diesem Leben, Bruder."
Dann verließ Horatio die Taverne.
Geändert von Ronsen (17.08.2010 um 23:01 Uhr)
-
Vor sieben Tagen
"Cipher!"
"Was zum..."
Er wurde heftig an der Schulter gerüttelt, ehe er einen Ton von sich gab. Und das erste, was er wahrnahm, war nicht etwa das Gesicht seines Kameraden oder die Waffe, mit der er im Bett lag, nein, es war sein widerlicher Mundgeruch, der mit einem Aufstoßen sofort sein gesamtes Gesicht benebelte.
"Scheiße...", er hustete und wollte sich aufrichten, klappte dann aber fast wieder zusammen. Bruce hielt ihn.
"Reiß dich zusammen, wir müssen los."
"Was ist... wie spät ist es?"
"Die Sonne geht bald auf, komm die anderen warten!"
Der Angriff. Scheiße, was war los mit ihm? Sein Blick schweifte zu den beiden Flaschen Reisschnaps. Sie lagen auf dem Boden seiner Hütte, leer. Und Bruce war kein großer Trinker. Ciphers Kopf hämmerte, aber er erhob sich.
"Geht es?"
"Jaja..."
"Sicher?"
"Es geht!"
Er blinzelte, rieb sich durch die Augen und lehnte gegen den Türrahmen, um nicht den Halt zu verlieren.
"Du bleibst besser hier."
"Ich schaffe das schon."
Er tastete seinen Körper nach dem Schwert ab und zurrte den Gürtel zurecht. Dann trottete er schlaftrunken aus seiner Hütte. Bruce musste noch zuschließen, aber daran dachte Cipher nicht.
"Komm schon!", schnaubte er Bruce nun seinerseits an.
***
"Na endlich, ihr seid die letzten", zischte einer der Banditen und Cipher bäumte sich sogleich auf, um ihm zu zeigen, wer der Stärkere war und bestimmen konnte, wann es los ging. Bruce versuchte, die Situation zu entschärfen.
"Jetzt sind wir ja da, wo ist Lares?"
Der dunkelhaarige Bandit nahm einen langen Zug von seinem Krautstängel, ehe er beiden den Rauch ins Gesicht pustete.
"Der kommt nicht mit."
"Was?!"
"Roscoe leitet den Angriff. Haltet euch an ihn."
Sie ließen den ignoranten Banditen hinter sich und trotteten zu Roscoe vor.
"Kanntest du den?", brummte Cipher sauer.
"Das war Wedge", antwortete Bruce ruhig, "Ein treuer Kunde."
"Pah."
"Da seid ihr ja endlich. Habt ihr eure Waffen dabei? Ja, dann können wir ja aufbrechen. Lahmärsche."
Das letzte Wort flüsterte er nur, aber gerade so laut, dass beide verstanden. Dennoch wagte keiner, auf die Provokation einzugehen. Zu groß war das Vorhaben, zu groß der Verlust, wenn sie heute wegen Ausfälligkeiten nicht teilnehmen konnten.
"Sind das alle?", fragte Cipher und blickte über die gerade einmal achtköpfige Gruppe.
"Ein großer Hinterhalt verrät sich zu schnell. Wir haben nur die besten Scharfschützen dabei."
"Wir haben keine Bögen", meinte Bruce.
"Nein, die habt ihr nicht. Die werdet ihr auch nicht brauchen."
Sie blickten sich verstört an, doch Roscoe ging nicht weiter auf sie ein, sondern schrie zum Abmarsch und die kleine Gruppe kam in Bewegung. Cipher und Bruce machten den Abschluss hinter einer Bande mit riesigen Langbögen auf dem Rücken.
"Mir gefällt das nicht", sagte Bruce.
"Was denn?"
"Wozu nehmen sie uns mit, wenn sie nur Schützen brauchen? Warum war gestern die Taverne zu, wenn nun doch nur so wenige mitkommen?"
"Die haben schon Stellung bezogen", brummte Cipher.
"Wie?"
"Na hast du dich umgeschaut? Da waren keine Banditen im Lager."
"Ja, die waren im Bett", konterte Bruce mit sarkastischem Unterton.
"Die werden auf uns warten...", beharrte Cipher.
"Ich hoffe nur, dass du Recht hast."
***
Ihr Weg führte sie aus dem Lager heraus und direkt über die Brücke, hinter welcher die Höhle mit den Molerats lag. Bruce behielt sie ungewollt die ganze Zeit im Auge und beobachtete Cipher. Doch der beachtete ihn gar nicht. Sein Gesicht sprach die Sprache eines Betrunkenen. Hoffentlich riss er sich zusammen, der gestrige Abend war dann doch zu sehr auf die Kosten seiner Gesundheit eskaliert. Aber wenn Cipher erst einmal trank, konnte Bruce ihn nicht mehr davon abhalten. Dafür fehlten ihm vor allem Kraft und Durchsetzungsvermögen. Er zuckte dann plötzlich zusammen, als sein blonder Freund seinen Namen rief: "Wo warst du eigentlich?"
"Was?"
"Heute Nacht, wo warst du?"
"Ich habe durchgemacht", antwortete Bruce trocken. Was sollte er auch sonst sagen? Die Wahrheit? Dass er an der Höhle war und die Molerats mit siner neuen Waffe erlegt hatte, damit er schneller an das Amulett kam, wenn er es brauchte? Ganz sicher nicht.
"Aha...", antwortete Cipher spät, man sah ihm an, dass er mit den Gedanken ganz woanders war, "Hast du dir schon überlegt, was du mit deinem Anteil machst?"
"Cipher, bist du wahnsinnig!?", zischte Bruce laut genug, dass einer der Banditen aufmerksam wurde. Es war ein Rotschopf.
"Was für einen Anteil?", fragte er genervt, "Ihr seid Schürfer, ihr könnt froh sein, wenn Lares euch in die Bande aufnimmt. Das heißt, falls ihr es überlebt."
"Weißt du, was mit Lares ist?", fragte Bruce, um schnell von dem Amulett abzulenken, auf das Cipher gewiss anspielte.
"Er kommt nur auf die fetten Konvois mit. So wie Gorn. Wenn das Alte Lager was an die Mine schickt."
"Achso?"
"Jep. Wir Banditen brauchen eigentlich kein Erz, das machen wir nur aus Spaß. Das würden uns die Söldner nur abnehmen Ein Konvoi voller Nahrung und Waffen, der zur Mine gebracht wird, ist viel lukrativer. Und natürlich auch schwerer bewacht, aber das werden wir ja sehen."
"Woher wisst ihr, dass dieser leichte Beute ist."
Der Rotschopf zuckte mit den Schultern.
"Wir haben unsere Spitzel. Mehr sag ich dir nicht, ist ja schon schlimm genug, wieviel ich euch erzähle. Kein Schwein weiß, was ihr vorhabt."
"Was sollten wir denn vorhaben?"
"Tse."
Er ignorierte Bruce. Daher lief dieser vor zu Roscoe und gerade da stoppten sie. Am Waldrand.
"Verteilt euch!", rief Roscoe laut. Als er Bruce sah, grinste er.
"Gut, dass du kommst. Du und dein Kumpel, ihr bleibt hier. Ihr wartet auf den Konvoi."
"WAS!?"
"Wenn ihr euch beweisen wollt, dann ist das jetzt eure Chance dazu. Wir werden euch bestimmt nicht sagen, wo wir uns verstecken. Ihr lockt sie in den Wald. Wenn ihr die Gardisten warnt oder in die falsche Richtung schickt, werdet ihr schneller mit Pfeilen gespickt seid, als ihr eure Namen nennen könnt, klar?"
Bruce schluckte: "Klar."
Geändert von Ronsen (31.08.2010 um 21:32 Uhr)
-
Vor sieben Tagen
Da standen sie nun. An einer Kreuzung dreier Wege, die allesamt von grundlegender Wichtigkeit für ihren Auftrag waren. Der erste Pfad führte zur Alten Mine; die Schatten der hohen Berge verdunkelten den Weg. Von dort würden die Gardisten mit einem fetten Karren voll Erz aufkreuzen. Folgte man dem zweiten Pfad, so würde man zur Brücke gelangen, von welcher aus es nur noch ein Katzensprung bis ins Neue Lager war. Der dritte Weg endete tief im Wald. Hier lauerten die Banditen auf ihre Chance, hierhin mussten Bruce und er die Gardisten locken, damit sie alsbald mit Pfeilen gespickt sterbend im Nadelstreu enden und von wilden Tieren verspeist werden konnten. Cipher gefiel die Vorstellung, ein Grinsen zierte seine Wangen. Das Grinsen eines Betrunkenen, der mit den Gedanken nicht bei der Sache war.
"Wann kommen sie nur...?", ungeduldig scharrte Bruce die Steinchen auf dem staubigen Boden hin und her. Cipher riss es aus den Träumen und er sah nur seinen Gefährten, dem die Angst geradezu ins Gesicht geschrieben stand.
"Mach dich locker Junge. Sonst bemerken sie, dass öh... dass wir sie verarschen wollen, ja das."
"Du bist betrunken."
"Ich bin nich bedrunk'n."
"Ich wünschte, ich wäre nie in diesen Schlamassel geraten..."
"Hey, also..."
"Ich werde reden. Du hältst am besten den Mund, damit nichts schief läuft."
"Was soll denn schon schief lauf'n?"
"Lass mich einfach reden."
"Warum?"
Cipher fuhr sich mit den Pranken durchs Gesicht, wischte den Rotz seiner laufenden Nase mit dem Handrücken ab und schmierte es an sein Hinterteil.
"Darum."
"Ich... ich werd mich schon zusammenreißen."
"Ja, bitte reiß dich."
"Reiß du dich doch!"
"Sie kommen", zischte Bruce.
"Reiß dir doch den Arsch auf, wenn du..."
"Sie kommen!", Bruce deutete auf einen großen Schatten, der sich ihnen von den Bergen aus mit langsamen, gleichmäßigen Schritten näherte. Man vernahm dreckiges Lachen und das Knarzen eines Karren, der über den hügeligen Pfad transportiert wurde. Bruce zog Cipher am Ärmel, den Gardisten entgegen zu gehen.
Als man sie bemerkte, vernahm Cipher das Surren von Stahl, Schwerter, die gezogen wurden, um jederzeit gegen sie eingesetzt zu werden. Just in dem Moment, da man sich in die Augen sehen konnte, ging die Sonne auf.
"HALT!", schrie der vorderste Mann im Konvoi. Sogleich hielten sowohl seine Männer, als auch Bruce und Cipher an. Bruce hob die Arme, aber Cipher fand das lächerlich. Die ganze Gestalt gegenüber war lächerlich. Ein kleiner, untersetzter Kerl mit Halbglatze und Schielauge, der sich versuchte, in seinem Waffenröckchen vor ihnen aufzubauen.
"Wer seid ihr Jungs?! Lauert ihr uns etwa auf?"
"Ja klar, wir wollen euch alle niederstrecken und euer Erz versaufen", konterte Cipher und Bruce' Herz blieb stehen. Doch ehe er etwas Entschuldigendes sagen konnte, brach heftiges Gelächter die Stille. Man lachte sie aus.
"Selten so gut gelacht, Kleiner, hahaha."
Das Schielauge des Kerls verdrehte sich in alle Richtungen, als er seinen Wanst kaum mehr vor Lachen halten konnte.
"Kleiner?!", wiederholte Cipher sauer.
"Ihr seid die neuen Buddler, nicht wahr? Man erwartet euch schon, die Crawler haben es sich wieder schmecken lassen."
"Oh, ja, das sind wir, wir kommen zum Buddeln!", rief Bruce eilig.
"Was, hä?!"
"Dein Kumpel ist nicht ganz da, oder? Na, geht mal zur Mine. Ihr werdet schon erwartet. Wir müssen jetzt auch weiter."
Der Konvoi marschierte an ihnen vorbei, aber auf direktem Wege in Richtung Brücke. Das war nicht gut.
"He! Wo... wo wollt ihr denn lang, wartet doch!"
"Jungchen, das war ein guter Scherz und ich nehme es mit Humor. Aber jetzt geht beiseite, wir müssen uns beeilen, ins Lager zu kommen."
Inzwischen hatten alle ihre Waffen weggesteckt. Während Bruce mit dem Anführer der Rotröcke quatschte und versuchte, ihn irgendwie auf den Weg zum Wald zu lotsen, besah sich Cipher die Gesichter der Kerle ganz genau. Es waren nur vier Gardisten und fünf Buddler, die den schweren Karren zogen. Leichte Beute. Nur von Bullit war keine Spur. Scheiße.
"Nein Junge, das war's. Wir gehen jetzt dort entlang, das ist mein letztes Wort! Auf jetzt!"
"Wo ist Bullit!?", rief Cipher und zückte ein Messer aus seinem Ärmel. Ein Trick aus seiner Einbrecherzeit.
"Was geht dich das an, Kleiner?", antwortete der Fettwanst. Das war zu viel.
"Ich will mein Amulett haben!"
Mehr bekam er nicht mehr heraus. Blitzschnell hatte sein Dolch die fette Kehle des Gardisten gefunden und aufgeschnitten. Der Fettwanst brach zusammen, hielt sich röchelnd die Hand auf die tödliche Wunde.
"Scheiße!"
Ringsum wurden wieder Schwerter gezückt, Bruce war der Erste, denn er hatte das Messer in Ciphers Hand zweifelsohne bemerkt und einen der anderen Gardisten niedergestreckt. Dann rannten sie los, nur weg in den Wald. Der Rest ging unglaublich schnell. Buddler und Gardisten waren ihnen gefolgt, allesamt der Annahme, noch in der Überzahl zu sein, doch der Pfeilhagel setzte binnen weniger Sekunden ein und streckte den größten Teil der Verfolger nieder. Die anderen hatten die Falle bemerkt und nahmen die Beine in die Hand. Wenige von ihnen kamen weit, doch einer der Buddler schaffte es bis zur Kreuzung zurück.
"LOS! Den müssen wir noch kriegen!", schrie einer der Banditen und als sie aus dem Gebüsch gesprungen kamen, war klar, dass keiner mehr schießen würde. Cipher rannte sofort los, Bruce war schon vor ihm. An der Kreuzung verlor er sowohl den Buddler als auch seinen Freund aus der Sicht. Aber dort erwartete ihn jemand anders, der sich noch nicht mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Der Fettwanst hockte am Boden und tastete nach seinem Schwert. Cipher kam schnell genug dazu und trat erst ihn in die Seite und dann das Schwert fort. Dann beugte er sich über den sterbenden Gardisten.
"Mistkerl!", zischte dieser, "Das wirst du büßen... ihr alle werdet es büßen..."
Er begann zu weinen.
"Schhhhht. Verrate mir noch etwas und ich werde dir die Leiden verkürzen", er grinste teuflisch, "Hat Bullit mein Amulett?"
"Keine Ahnung, wovon du sprichst..."
"Oh... schade."
Cipher wandte sich ab, doch da spuckte ihm der Fettwanst noch provokativ ins Gesicht. Das war sein Ende.
Als er sein blutiges Werk getan hatte, kamen auch schon die anderen Banditen. Keiner beachtete den Toten, sie waren allesamt nur hinter dem Karren her. Bruce kam auch, er zerrte einen toten Buddler hinter sich her.
"Waren wir gut oder was?!", rief Cipher feierlich.
"Vergrabt die Toten. Wir müssen nicht noch mehr Aufsehen erregen. Schlimm genug, dass ihr sie auf offenem Terrain angegriffen habt."
"Hey! Wir haben gerade..."
"Lass gut sein", beruhigte Bruce ihn, "Komm. Es ist vorbei."
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