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    Mythos Avatar von Gothic Girlie
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    Post [Story]Die Apokalypsen Varants

    Jasims Apokalypse

    Es kam ein Moment, in dem Jasim verzweifelte; sich zutiefst verloren glaubend und körperlich am Ende seiner Kräfte wähnend vernichtet fühlte – und nur noch durch ein Versehen des Schicksal atmend zurückblieb, ohne, dass er damit etwas anfangen konnte.
    Das war, als er mit ansehen musste, wie die Welle Ben Sala verschlang, wenige Augenblicke, bevor er die Klippe hinunter gelaufen wäre, um sie zu warnen. So sank er in die Knie, den Blick an die braunen schäumenden Wassermassen gebunden und sah hilflos und außer Atem zu, wie sie alle ertranken: Sklaven, Krieger, Händler, Magier. Denn wer von ihnen konnte schon schwimmen? Sie waren ein Volk der Wüste und gut darin: zäh, ausdauernd, schlau, mutig. Jahrhunderte lang hatte der am ehesten überlebt, der mit dem wenigsten Wasser auskam, und nun brach das Wasser über sie herein, drückte sie gegen umstürzende Mauern, erstickte sie in schattigen Kellern, verpackte sie unentrinnbar in ihre luftigen Zelte und schlug ihnen schweren Schlamm ins Gesicht.

    Und Jasim blieb als einziger von ihnen übrig. Durch Zufall hoch über den Ort gestiegen, um eine Ziege wiederzufinden, hatte er von weitem das Verderben kommen gesehen und war gerannt, wie er noch nie vorher gerannt war, um die anderen aus ihren Morgenbeschäftigungen heraus zu schreien, damit sie sich auf die Anhöhe retteten... aber sein Versuch war vergeblich, und noch Monate später, nach wochenlangem Waten in stinkendem Schlamm, nach durchfieberten Nächten auf nassem Boden, nachdem er Frösche, Würmer und aufgeknackte Käfer roh gegessen hatte und nur so überlebte, kam es ihm noch so vor, als ob in diesen Momenten sein Herz zum letzten Mal geschlagen hatte, als er noch nicht um die letzte Felsnadel gebogen war, und ihm das Schicksal der Menschen seiner Heimatstadt noch unentschieden schien.

    Als er irgendwann taumelnd das Meer erreichte, wohin sich die Fluten zurückgezogen hatten, übel riechenden Sumpf zurücklassend, war er nicht ganz bei sich, und als das Schiff ihn aufnahm, schloss er eine Tür in seinem Innern und fühlte diesen Tag, als sei es sein erster, und als sei er nicht schon Sohn, Enkel, Freund, Geliebter, Bruder, Schüler und Feind gewesen von lauter Toten, die er unbegraben hatte zurücklassen müssen. Und es passte ihm gut, dass die Leute auf den Schiff eine andere Sprache hatten, so lernte er jedes Wort neu, und mit ihm das Leben.


    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (17.01.2012 um 19:50 Uhr)

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    Azzizas Regenbogen

    Die alte Frau stöhnte, als sie sich aufrichtete. Sie balancierte ein riesiges Holzbündel auf dem Kopf, so breit, wie sie hoch war, und ihre vertrockneten Sichel-förmigen Waden schienen, verglichen mit den gesammelten Ästen, die dünnsten und rissigsten zu sein. Sie verfluchte ihren Mann, der sich von einem Nomaden hatte erschlagen lassen und ihren Sohn, der sich mit einem Ork an den Ausgrabungen angelegt hatte. Beide waren nun schon viele Jahre tot, und Azziza musste alleine sehen, wie sie sich durchbrachte. So sammelte sie Holz, und verkaufte es auf dem Markt in Ben Erai.
    Sie trug ein formloses schwarzes Wollkleid, das nicht ganz bis zu den knochigen, schwieligen Füßen reichte und ein farbloses Tuch fest um die Stämme und Äste des Bündels geschlungen. Auf ihrem Kopf saß eine gepolsterte rötliche Kappe, die nur einen Teil ihres dünnen strähnigen grauen Haares bedeckte. Sie hatte sich kurz den Schatten einer vertrockneten Pflanze hinter einer Felskante gekniet, als sie ein Rudel dunkle Snapper ihren Pfad kreuzen sah. Jetzt, wo die Tiere weiter unten um Tal röhrten, nahm sie ihren Weg wieder auf. Sie hörte ein Rauschen hinter sich, und hielt es für Wind.

    Die Welle hob sie sanft, sie hatte schon einen Großteil ihrer Kraft auf dem Weg den steinigen Berghang hinauf eingebüßt. Azziza klammerte sich an ihrem Bündel fest, als sei es das Wichtigste, dass sie dieses nicht verlöre, mehr an das Geld denkend, das sie hoffte, dafür einzulösen, als an ihr Leben. So überlebte sie, so ritt sie zwei Tage auf den Fluten. Am Abend des dritten Tag setzte die Woge sie im Gebirge ab, genauso sanft, wie sie sie aufgenommen hatte. Azziza sah sich um, aber nichts in der Linie der Berge oder ihrer Farben und Strukturen kam ihr bekannt vor. Sie war sehr durstig, aber sie konnte nirgendwo etwas Grünes entdecken oder ein Tier, das auf eine nahe Wasserstelle hingewiesen hätte. Das Kleid war eingelaufen und reichte ihr nur noch bis knapp unter die Knie. Die Wolle trocknete schnell und fing an, zu jucken. Azziza schleppte sich in den nächsten Schatten und wartete darauf, dass die Sonne unterginge. Vorher schlief sie ein.

    Sie erwachte von der Kälte der Nacht. Fröstelnd löste sie etwas Holz aus ihrem Vorrat und entzündete es mit ihrem Zundereisen. So trocken war die Luft, dass nichts mehr daran erinnerte, dass es vor kurzem noch nass gewesen war. Es brannte mit seltsam orange-farbener Flamme. Azziza wärmte sich, dann schnürte sie resolut ihr Paket und brach auf.

    Sie überquerte eine Bergkette, nie hätte sie später genaueres erzählen können. Sie setzte einfach Fuß vor Fuß, manchmal vor sich hin summend, mal ächzend oder fluchend. Im Morgengrauen sah sie vor sich grünes Land. Sie hielt einen Moment inne, um sich zu orientieren. Zur linken Seite sah sie etwas hell glänzen, das sie für Wasser hielt, und schwankte darauf zu. Sie fand ein paar Beeren, aß sie gierig, schleckte den Tau von ein paar großen Blättern.
    Doch das vermeintliche Wasser entpuppte sich als eine Täuschung, wie jene Luftspiegelungen, mit denen die Wüste von Varant unwissende Reisende in den Tod lockte. Als sie näher kam, lag vor ihr am Berghang das Skelett eines riesigen Tieres. Und dennoch war kurze Zeit später ihr Durst gelöscht, denn wie ein Wunder entdeckte sie wenige Steinwurf weiter eine verlassene Erdsiedlung und genug Flaschen mit Wasser, um sich daran satt zu trinken.

    Sie legte ihr kostbares Bündel in einem der Räume ab, ungläubig die vielen Betten und Kisten des Lagers betrachtend. Trotz aller Müdigkeit untersuchte sie alles genau, fand noch mehr Holz und Wasser, sogar Wein, öffnete Truhen, sah in Kisten. Und erstaunt stellte sie fest, dass sie reich war, mehr Gold besaß als jemals vorher in ihrem Leben, und genug zu essen für viele Tage. Sogar ein merkwürdiges dunkelrotes Gewand fand sich, sie würde sich einen Rock daraus nähen für unter ihr zu kurzes schwarzes Kleid, und der Rest reichte bestimmt noch für eine präsentable Haube. Andere Fundstücke hingegen betrachtete sie mit Verachtung und Zorn. In einer der Kisten lag ein kleiner Sack Getreide unter einem Satz unsäglichster Fußlumpen, und daneben rollte sich ein Bündel Zeichnungen von nackten Frauen um eine Flasche Schnaps über einem rostiges Schwert.

    Azziza nickte böse. Diese Einzelheiten aus dem Zusammenleben mit Männern hatte sie viele Jahre vergessen, und nun, wieder darauf gestoßen, wurde ihr Bedauern über ihre Einsamkeit um ein Weniges geringer.
    Im Getreide sah sie Motten. Sie entzündete ein Feuer, setzte Wasser auf und verbrachte einige Zeit damit, eine Tasse voll Getreide von einem Topf in hohen Bogen in einen Teller zu schütten – und wieder zurück – bis alles, was Flügel oder Beine besaß, diese benutzt hatte, um zu entkommen und der Wind alle trockenen Hüllen und Flügel davongetragen hatte. Dann wusch sie den Rest mehrmals, und kochte sich eine Grütze.

    Bis das Getreide weich war, wanderten ihre Gedanken. Sie wusste, sie war im Land Myrtana, und merkwürdige Geschichten hatte man sich bei ihr zu Hause darüber erzählt. So auch, dass seine Bewohner abergläubisch seien, und noch die einfachste Halskette mit Zeichen, die sie nicht verstanden, für wundertätige Amulette hielten. Mit ihrer neuen Kleidung gedachte sie, davon zu profitieren, und übte Begrüßungen und Prophezeiungen, mal mit zittriger Greisinnen-Stimme, mal mit dunklem Gemurmel. Vielleicht könnte sie sich von ihrem zukünftigen Verdienst als Wahrsagerin sogar eines Tages eine Sklavin kaufen, die ihr die schwere Arbeit abnähme.
    Die Erinnerung an die anzüglichen Zeichnungen lenkten ihre Gedanken in eine etwas andere Bahn, und das einfache Mädchen, das sie sich erst vorgestellt hatte, verwandelte sich vor ihrem inneren Auge in eine Schönheit, die fähig wäre, noch ganz andere Kunden in ihr geschmücktes Zelt zu ziehen als ihre Wortkunst. Über der Entscheidung zwischen einer blonden Sklavin in Nacht-blauem Samt und einer sehr dunklen in lilafarbenem schlief sie ein.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (17.01.2012 um 19:47 Uhr)

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    Sigmors Abendrot

    Sigmor vertrieb mit einem gereizten Kopfschütteln eine ganze Anzahl kleiner Stechmücken. Der Himmel zeigte merkwürdiges ockerfarbenes Licht, und die Luft fühlte sich klebrig an – das war nicht die auffrischende Brise, die sonst den Morgen ankündigte. Er blickte Richtung See, dorthin, wo die Sonne bald aufgehen würde, und starrte.

    Sein lauter Ruf schreckte die Wachen auf, und sie rannten auf das Hauptgebäude zu, den massiven Wohnturm des Beliar-Tempels zu Bakaresch. Er selbst trat an die Brüstung und sah hinunter auf die Stadt. Grünliche Fluten durchstreiften die Straßen wie Heere, und einige Häuser waren bereits eingestürzt. Einzelne Punkte bewegten sich heftig, auf der Flucht vor schwimmenden Fingern. Die Krokodile waren in der Stadt. Er dachte an die tief liegenden Schatzkammern und fluchte. Da wähnte er sich selbst noch sicher auf seinem Turm, der wie ein Wagenrad auf einer Nabe die Stadt weit überragte.

    Er hätte nicht genau sagen können, ab wann er besorgt wurde. Doch als die zweite große Woge anlief, handelte er bereits nach einem Plan. Er stand nun auf der anderen Seite des Turmes, im Strömungsschatten. Als das Wasser stieg, ließ er sich bis an die obere Kante des Turmes tragen, dort stieg er auf. Und blickte über eine Wasserwelt in fahlem Licht, seine Füße auf dem einzigen festen Punkt, nicht größer als sein Kopf.

    So fanden ihn die Snapper, die gegen Nachmittag vorbei trieben, ein ganzes Rudel, aufgeregt vom Kämpfen mit den Krokodilen, aggressiv und hungrig. Sigmor schickte ihnen die angemessene magische Begrüßung, dachte dabei das erste Mal an Tizgar, den er nicht besonders mochte, weil er das geheime Wissen bereitwillig an Unwürdige weitergab, sobald sie ein oder zwei von seinen lächerlichen Laufburschen-Aufgaben erledigt hatten, ohne sich in die Hosen zu machen, aber Sigmor respektierte seine Kompetenz in magischen Fragen. Doch Tizgar war fort, weit im Norden auf einer diplomatischen Reise nach Myrtana.

    Die Snapper zu besiegen, war nicht einfach, und die beiden letzten kamen ihm schließlich nah genug, dass er seine geschliffenen Waffen ziehen musste, ungewohnte Situation, die Füße nicht benutzen zu können, für eine bessere Platzierung. Er konnte nicht nachsetzen, wenn ein Snapper zurückwich, konnte sich nicht seitlich stellen, auf dass einer ihn gegen die Angriffe des zweiten abschirmte. So gelang es einem Snapper, ihm das Bein aufzureißen, weil er mit seinem Klauen-bewehrten Hinterlauf Halt auf dem Turm fand, direkt neben Sigmors Fuß, während Sigmor den zweiten gerade köpfte. Sigmor schlug ihm ein Schwert in die Kehle, doch dann sackte er selbst mit einem Schmerzensschrei vornüber. Aus einer klaffend aufgerissenen Wunde sickerte Blut an mehreren Stellen.

    Er hatte Glück, dass die See zu diesem Zeitpunkt bereits wieder fiel, aber er stürzte hart auf die Turmplattform, als er kurz vor Sonnenuntergang versuchte, abzusteigen. Sein verletztes Bein, das er dahin trocken gehalten hatte, platschte in das wenige Fingerbreit hohe, schmutzige, schlammige Wasser. Er wusste, dass dies ein Todesurteil sein konnte und schleppte sich über die gerade wieder sichtbare Brücke in den Tempel, sich erinnernd, dass in den Truhen auf einer Plattform seitlich des Altars Heil- und Manatränke zu finden waren. Doch er fand wesentlich mehr als das, und mehr als er zu finden verlangt hätte.

    Der Schlamm der Woge, aufgeweichte Polster, zerbrochenes Mobiliar, stinkende Teppiche, ertrunkene Tänzerinnen, auf schlierigen Pfützen schwimmende Holzkohle und Scherben im aufgeweichten Lehmboden empfingen ihn, sodass er wieder hinaus an die Luft hinkte und vor dem Turm gegen das Geländer sank. Mit einer letzten Anstrengung wankte er in das Teleportationsgemach des Turms, dort klappte er zusammen und fiel in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf der Erschöpfung.

    Es waren die Schmerzen, die ihn weckten. Fliegen umschwirrten ihn. Das Bein war geschwollen und die Haut spannte, heiß, und in allen Farben schillernd. Seine Kehle war trocken. Doch er war immer noch Sigmor, Schwarzmagier im großartigsten Tempel Varants, und er fühlte seine magische Kraft pulsieren. Er sprach die Formel zur Heilung von Krankheit, und stellte seine Lebenskraft wieder her. Er zog sich hoch, kroch näher zum Torbogen, doch dann wurde ihm schwindelig, und er fiel erst zurück, später in einen weiteren, unruhigen Schlaf.

    Diesmal erwachte er davon, dass ein Schatten über ihn hinweg streifte. Alarmiert öffnete er die Augen. In der Turmöffnung stand ein junger Nomade vor einem orange glühenden Abendhimmel. Sigmor nahm ihn wahr mit einer besonderen Klarheit: den braunen zotteligen Gewandrock, dunkle Fransen über sonnenverbrannten Waden, die Füße in rissigen Sandalen. Sein vom Schwitzen heller schimmerndes Gesicht, mandelförmige Augen, die ihn ernst ansahen über hohen Wangenknochen, die nach innen gewölbte Kurve zum klaren Kinn, ein sinnlicher Mund, die Haare verborgen unter einem gebleichten Tuch. Kräftige gerade Finger, die einen Speer hielten. Der Nomade kam einen Schritt auf ihn zu, kniete sich neben ihn. Sigmor roch seinen Geruch nach Feuer, Schweiß und Wind. Der Nomade legte eine Hand an Sigmors Hals, sah ihm in die Augen, dann zog er eine Wasserflasche hervor und hielt sie an Sigmors Lippen. Und Sigmor trank, und dieser Moment erschien ihm wie eine Ewigkeit.

    Der Nomade stand auf und rief etwas nach draußen. Ein zweiter, älterer Nomade erschien in der Tür... und der Kopf eines Löwen. Sigmor zögerte keinen Augenblick. Diese Feindschaft war von keiner Flut zu tilgen, das Brennen dieses Hasses würde selbst die See nicht löschen. Er nahm wahr, wie seine Handfläche glühte, der Löwe knurrte, Shakyor richtete sich auf und zog seine Waffe. Doch der Junge war noch schneller. Er zog die Oberlippe etwas hoch, dass Sigmor seine weißen Zähne glänzen sah, und sein Speer zuckte nach vorne.

    Sigmor fühlte zuerst nur einen Stoß vor die Brust, den brennenden Schmerz der Wunde später. Als seine Lungen versuchten, sich immer weiter zu öffnen, aber keine Luft kam, sah er das glühende Licht des Abends durch die Tür, rot wie das Blut auf seiner Hand.

    Beliars Farbe. Er war bereit.

    Gothic Girlie

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    Tufails Taube

    Lange hatte er diesen Moment herbeigesehnt. Ob verachtet als einer, der Schulden nicht bezahlte, ob respektiert als einer, der der seine Ehre verteidigte, ob schließlich bewundert als Tufail, der Mann, der es in Braga schaffte, dem Wasserhändler den Rang abzulaufen – so unterschiedliche Tage er gesehen hatte, die Nächte waren immer gleich gewesen: einsam. Die Gestirne zogen über den kalten klaren Nachthimmel, das Feuer knackte, die Wasserpfeife gurgelte, und später ein ungewärmtes Lager, wandernde Gedanken, Träume, Ernst, und ein Schlaf ohne Freude.
    Doch heute würde das sich alles ändern: Tufail stand vor Murat und kaufte Yasmin.

    Natürlich war alles ganz anders; also... Tufail hatte - ohne das geplant zu haben - eine Reise nach Mora Sul unternommen, die Umstände ergaben es so, dass er eine bestimmte Menge Gold bei sich trug, für das er dann, spontan und zufällig beim ersten Händler, mit dem er ins Gespräch kam, ein Amulett kaufte, das unerwarteterweise genau seinen Vorstellungen entsprach... und wenige Stunden später fiel es ihm ein, es wieder zu verschenken, wobei er nicht verhindern konnte, dass ihm dieser Murat, der zwar Sklavenhändler war, aber genauso gut Vasen verkaufen oder Schwerter hätte schmieden können – also wie gesagt, es war ganz erstaunlich, dass dieser Tag ausgerechnet so endete, dass ihm Murat Yasmin als Gegengeschenk aufnötigte.

    Nun also lief er über schmale Pfade in den Bergen seiner Heimat zu einer Höhle, die er schön hergerichtet hatte, und Yasmin folgte ihm. Sie trat sacht auf wie eine Katze, kein Scharren oder Knacken ertönte unter den weichen Sohlen ihrer zarten Füße, und nur ihr Geschmeide klingelte leise und erfüllte Tufail mit Stolz und freudiger Erwartung. Ein Mann war ein anderer, wenn ihm eine schöne Frau folgte.
    Als sie schon eine Weile gelaufen waren, drehte er sich zu ihr um, vergewisserte sich, dass ihnen niemand hinterher geschlichen kam, und bot ihr Wasser an und ein paar getrocknete Früchte. Sie lächelte rätselhaft, trank und berührte beim Zurückgeben des ledernen Schlauches seinen braun gebrannten Unteram. Ihm wurde noch heißer, als es ihm schon unter der Sonne geworden war, und er erwog, sich mit ihr hier unter dem weiten blauen Himmel niederzulassen... doch der Weg war staubig und überall mit kantigen Steinen bedeckt.
    So wollte er sich bereits wieder den orangefarbenen Felsen zuwenden, als ein harter Windstoß ihm fast das Tuch vom Kopf riss. Dieser Windstoß war das Ungewöhnlichste, das er in diesen Bergen erlebt hatte, seit er den Kampf mit einem Oger überlebt hatte, und Tufail hielt inne und drehte sich ein weiteres Mal um zur sandigen Ebene, die sie gerade durchquert hatten. Denn der Wind war kalt, als käme er aus der Tiefe des Morgenfrostes, und er war feucht, und das war wirklich merkwürdig am frühen Nachmittag.

    Er blickte über die Wüste und traute seinen Augen nicht. Das gelbliche, sonnenbestrahlte Land war verschwunden. Dampfende Bodennebel verdeckten die Sicht, und alles hatte eine komplett andere Farbe, ein stumpfes, erdiges Grau, angenommen. Auch am Himmel jagten graue Wolken auf die gleißende Scheibe der Sonne zu, sie war bereits blasser geworden, fast konnte man in ihre Richtung schauen. Und was war das, dort unten an diesen Felsen? Er brauchte zu lange, um zu begreifen, was er sah, denn er glaubte es lange nicht, als er es doch schon erkannt hatte. Das war, als Yasmin, die wunderschöne, loslief wie eine Gazelle, als sie schneller und schneller an ihm vorbei den Bergpfad empor rannte, die straffen Schenkel warf, wie er es sich bisher nur erträumt hatte, aber ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und das kränkte ihn.
    Immer noch erstaunt, lief er ihr hinterher, doch einholen konnte er sie erst, als sie schon lange den Pass nach Myrtana hinter sich gelassen hatten und bereits wieder abstiegen in das andere Land, das so viel fruchtbarer und so wundervoll grüner war. Und bewohnt.

    Die ersten Wegelagerer besiegte er ohne Schwierigkeiten, sie waren keine Kämpfer gewohnt und hatten nur Augen für Yasmin. Jedoch um ihrer Sicherheit willen besann er sich schließlich auf einen anderen Weg, und führte sie durch eine Höhle, die er vor einiger Zeit entdeckt hatte. Dort jedoch erwartete sie Schlimmeres, und zuerst dachte er noch, dass er die steinbraunen Bestien besiegen könnte, die sie hinter einer Biegung rasselnd aufschreckten und die zu dritt mit ihren scharfen Scheren auf ihn einhieben und schnitten.

    Doch als er schon geschwächt war vom Blutverlust, und das brennende Gift ihn schüttelte, kam noch ein viertes der riesigen Schalentiere von hinten an und stach ihn tief unter das linke Schulterblatt. Er warf sich herum, schlug und hackte wie ein Berserker, und schützte den zarten Körper seiner neu erworbenen Rose mit seinem eigenen. Doch er fiel zusammen mit seinem übermächtigen Feind in den Staub und eine Weile zuckten ihrer beiden Körper wie in einem gemeinsamen, verrückten Tanz.

    Yasmin kniete wenige Schritte von ihm entfernt, sie konnte ihren Blick nicht von dem grauenhaften Geschehen abwenden, und als das Gliedertier zitternd verendet war, stürzte sie auf Tufail zu und barg ihr tränennasses Gesicht an seiner kratzenden Wange. Doch er atmete nur noch zwei Mal ein, und beim zweiten Mal verzog sich sein Mund und er öffnete seine Augen zu weit. Yasmin sah ihn an, und als sie begriff, warf sie den Kopf zurück und heulte wie eine Wölfin, und tatsächlich war diese Angst in ihr eher etwas Tierähnliches, und kannte keine Grenze und kein Ende und keinen Trost.

    Yasmin war das erste Mal in ihrem Leben wirklich allein.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (17.01.2012 um 19:34 Uhr)

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    Legende Avatar von Ajanna
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    Ajanna ist offline

    Tizgar kehrt zurück

    Er war von der Küste gekommen, ein Fischer hatte ihn an der Küste abgesetzt. Nun blickte er über die orange-roten Felsen... Die Flut hatte alles verändert... und doch auch nicht. Die Formen, die Wind und Sand den Felsen gegeben hatten, wirkten frisch und blank. Der Sand war schon wieder getrocknet, das wenige Grün auch nicht üppiger als vorher. Sogar ein paar Palmen hatten überlebt.

    Trotzdem wusste er, dass ihm ein schwerer Gang bevorstand: seine Heimatstadt zu finden, ohne dass er wusste, was ihn erwartete. Er schob die Tasche mit den drei Wasserflaschen auf die andere Schulter und stieg hinab in die orange Glut.

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