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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Kapitel LXXX
    Fehlentscheidungen


    In Braga herrschte geschäftiges Treiben. Sklaven wurden von ihren Aufsehern laut zu härterer Arbeit angespornt, Händler priesen ihre Ware an. Obwohl die meisten Bewohner des neu besiedelten Bragas Krieger waren, hatten sich inzwischen auch Händler und andere Berufsstände wieder eingefunden, die hier ihr Glück versuchten. „Riskiert einen Blick in die Zukunft“, rief eine alte Frau hinter einem wackeligen Holztisch in einer dunklen Seitengasse. „Wollt ihr wissen, ob die Orks den Pass stürmen und Braga niederrennen? Natürlich wollt ihr das! Nur 10 Gold pro Reise in die Zukunft!“
    Kaum dass sie zu Ende gesprochen hatte erschien ein Schwarzmagier von tanzenden Funken umgeben wie aus dem nichts in der Mitte des Platzes. Delazar orientierte sich kurz, dann steuerte auf das größte der Häuser der kleinen Stadt zu. Die Bezeichnung Stadt hatten in Varant eigentlich nur Ishtar, Mora Sul und Bakaresh verdient, doch verglichen mit den anderen kleinen Siedlungen an der Küste entlang, war Braga eindeutig die größte. Die beiden Wachen vor dem Haus standen plötzlich auffällig gerade, als sie den Schwarzmagier näher kommen sahen.
    „Schwarzmagier Delazar aus Ishtar!“, rief einer und schlug mit dem unteren Ende seiner Lanze auf den Boden.
    Nafalem im Inneren des großen Raums des Erdgeschosses wurde durch die Ankündigung zwar gewarnt, doch hatte er seinen verdutzten Gesichtsausdruck noch nicht wieder verwunden, ehe der Schwarzmagier eintrat. „Delazar!“, rief er und erhob sich von dem Thron, auf dem er geruht hatte. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuches? Der Weg von Ishtar hierher ist lang, es muss etwas Wichtiges sein.“
    „Wichtig ist es allerdings, jedoch bekam ich den Teleportstein Tufails, weswegen der Weg nicht ganz so lang war“, erklärte er knapp.
    „Zuben verteilt Tufails Habe? Das soll mir gefallen“, frohlockte Nafalem und klatschte in die Hände.
    „Die Botschaft, die ich dir zu überbringen habe, wird dir erfahrungsgemäß nicht halb so gut gefallen“, brachte Delazar ihn auf den Boden zurück. „Du wirst von nun an über Lago wachen. Zuben hält es für nötig, dort einen Schwarzmagier zu postieren, angesichts der vergangenen Ereignisse. Er will so einen Schwachpunkt in der Verteidigungslinie Varants ausbessern.“
    „Was?“, entfuhr es Nafalem. „Und wer soll dann über Braga herrschen?“
    „Nerusul ist auf dem Weg hierher. Er packt noch eben das Nötigste, dann ist er bereit dich abzulösen. Auch er erhielt von Meister Zuben einen Teleportstein. Meister Zuben ist auch der Meinung, dass ein Schwarzmagier am Pass nicht mehr ausreicht, weshalb auch ein zweiter Magier bald hier eintreffen wird.“
    „Wer?“, stieß Nafalem hervor. Er meinte es an Delazars Tonfall ablesen zu können.
    „Tufail.“
    „Nein! Wieso das? Er wurde doch verstoßen!“
    „Zuben braucht fähige Schwarzmagier. Er hat ihm unter bestimmten Bedingungen verziehen und hält ihn genauestens im Auge. Ich werde dich nach Lago begleiten, weil ich dort noch etwas in dieser Sache zu erledigen habe.“
    Nafalem, der aufgewühlt durchs Zimmer geschritten war, hielt inne. „Du musst nach Lago? Was treibt dich dorthin?“
    „Meister Zuben gebot mir Stillschweigen zu bewahren.“
    Nafalem nickte verärgert. Er mochte es gar nicht, wenn andere Geheimnisse vor ihm hatten. Dann brach sich sein Zorn wieder bahn: „Wie kann Zuben ihm nur verzeihen? Als er den Meister persönlich angriff, hat er auf Beliar gespuckt! Er hat seinen Tempel zerstört. Das war Gotteslästerung der übelsten Sorte! Und nun soll ihm einfach verziehen werden, damit der Pass besser geschützt ist? Nur der dunkle Gott weiß, was Zuben zu dieser Entscheidung trieb!“
    „Willst du seinen Befehl infrage stellen?“, fragte Delazar kühl. Er hatte die Arme verschränkt und die Lippen gekräuselt.
    „Nein, nein, auf keinen Fall!“, log Nafalem rasch und setzte ein breites Lächeln auf. „Ich erkenne Zubens Weisheit in jeder seiner Entscheidungen, denn er ist der Sohn Beliars!“ Delazar schien beruhigt, weshalb Nafalem sein Lächeln wieder versiegen ließ. „Ich bin in einer Stunde bereit, nach Lago aufzubrechen. Solange kannst du dich hier ausruhen, wenn du magst.“

    Der Stängel entzündete sich knisternd, als Lares ihn vorsichtig in das verlöschende Lagerfeuer hielt, an dem sich Orksöldner gerade Fleisch gebraten hatten. Nun erhob er sich, den Stängel in der einen, eine Flasche Skaddarbräu in der anderen Hand. Er schlenderte eine Gasse entlang, setzte die Flasche an den Hals und stutzte. Gerade war eine Gruppe Orks einem quer zu seiner Gasse verlaufenden Weg entlang gegangen. Unter ihnen war ein Mensch mit dunkler Hautfarbe gewesen.
    Auf den leisen Sohlen eines Diebes schlich er zur nächsten Ecke und sah ihnen nach. Von hier aus konnte er den Eingangsbereich des großen Tempels von Grok sehen. Er hatte sich nicht geirrt. Es war Thorus, begleitet von vier Orks. Er steuerte auf den Feldherren Nemrok zu, der auf einer der Stufen vor dem Tempel saß und sichtlich unzufrieden in einem Bericht blätterte. Lares wagte sich vorsichtig eine Ecke weiter vor, um jedes Wort der folgenden Unterhaltung verstehen zu können.
    „Nemrok“, rief Thorus den Feldherren an, der mit einem finsteren Gesichtsausdruck aufsah.
    „Ich kenne dich nicht, Morra“, erwiderte er geringschätzig. „Wer bist du?“
    „Ich bin hergekommen, um nach Nemora zu suchen“, erklärte Thorus großspurig.
    „Das haben schon viele versucht“, erklärte Nemrok und erhob sich, um nicht mehr zu dem Menschen hinaufsehen zu müssen. Den Bericht, den er gelesen hatte, steckte er bedächtig weg. „Wieso solltest ausgerechnet du Erfolg damit haben, Morra?“
    „Ich hörte Gerüchte in der Stadt, Sklaven sollen geflohen sein“, ging der Orksöldner nicht auf die Frage ein. „Was ist geschehen?“
    „Pah“, spuckte der Ork gereizt. „Der Feuermagier, den wir in unseren Mauern duldeten, hat uns verraten. Er befreite zusammen mit einem Paladin alle Sklaven von Geldern. Es war des Nachts und sie nutzten den Überraschungsmoment.“
    „So brauche ich nur ihren Spuren zu folgen und werde Nemora schnell finden“, stellte Thorus zufrieden fest. Seine Hand glitt voller Vorfreude zum Griff seines Schwertes.
    Nemrok lachte auf. „Als würden die Morras so weit kommen. Ich habe den Arenameister Agenak mit einer Schar Kriegern auf ihre Fährte angesetzt. Spätestens morgen werden sie die Sklaven wieder nach Geldern zurückbringen, die den Kampf überlebt haben.“
    Thorus starrte ihn an. „Das ist unklug!“, schalt er den Feldherren aufgebracht. „Wenn wir sie laufen lassen und einfach ihre Fährte verfolgen, finden wir endlich das größte Rebellenversteck im Westen Myrtanas! Gebt mir einen entsprechenden Befehl mit und ich werde ihn Agenak überbringen.“
    „Nein“, sagte der Ork schlicht und verschränkte die Arme. „Die Sklaven müssen sterben oder zurückkehren. Den Paladin und den Magier erwartet der gerechte Tod. Sie bis Nemora kommen zu lassen, würde den Kampf gegen sie erschweren. Agenak und seine Krieger wären vermutlich lange unterwegs und würden nicht so schnell wiederkommen. Du siehst, Morra, es ist besser, sie so schnell wie möglich zu ergreifen.“
    Thorus knirschte vor unterdrückter Wut mit den Zähnen. Da gab es endlich die Gelegenheit das Versteck des Königs zu finden und die Orks erkannten ihre große Chance nicht. Er wandte sich ab und verließ den Tempelvorplatz, ohne noch ein Wort zu Nemrok zu sagen. Seine Begleiter wandten sich ebenfalls ab und ließen den Feldherren allein zurück.
    Der Stängel in Lares Hand war erloschen. Der Dieb hatte zu gebannt gelauscht, um sich mit seinem profanen Sumpfkraut zu befassen. Die Sklaven waren entkommen, das hatte er schon gewusst. Er war dennoch in der Stadt geblieben, weil er nicht in einen Kampf mit den Orks geraten durfte, wenn er seine Späherposition behalten wollte. Doch nun galt es Rhobar zu warnen. Thorus war auf dem Weg zu ihm. Konnte er ihn überholen und als erster in Nemora sein? Bestimmt. Schließlich kannte er den Weg, während Thorus suchen musste. Er schlich die Gasse zurück und verstaute den Stängel in seiner Tasche. Die Flasche trank er rasch leer, wischte sich den Mund und warf sie in eine Ecke.
    Er kam an einem offen stehenden Fenster vorbei. Ein Blick hindurch zeigt ihm, dass es zur Hütte Renwicks gehörte. Der Alchemist stand schwer beschäftigt mit dem Rücken zum Fenster an einem Tisch und zermahlte Kräuter. Und direkt am Fenster stand eine Flasche mit gelbem Inhalt. Lares wusste, dass Ausdauertränke gelb waren. Rasch griff er durch das Fenster nach der Flasche und zog sie leise aus der Hütte. Dann huschte er die Gasse hinab. Damit würde es ihm möglich sein bis nach Nemora ununterbrochen zu rennen. Jetzt würde er auf jeden Fall vor Thorus dort sein.
    Geändert von MiMo (10.02.2013 um 20:05 Uhr)

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    Kapitel LXXXI
    Den Jagdtrupp im Nacken


    Die Abenddämmerung war über dem Wald von Geldern hereingebrochen. Das Lagerfeuer knisterte munter. Agenak saß als einziger an der Wärmquelle und starrte in Gedanken versunken in die Flammen. Um ihn herum schliefen die anderen Orks. Es war zwar noch früh, doch da sie seit Mitternacht unterwegs waren und für den Kampf ausgeruht sein wollten, hatten sie sich schon zur Ruhe gelegt. Ein Snapper rollte sich gähnend unter einem nahen Busch zusammen.
    Das Knacken von Ästen war zu vernehmen. Jemand brach sich durchs Unterholz. Agenaks Blick glitt in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Er erblickte den im Schatten liegenden Umriss eines Orks. Als der Ork in den Schein des Feuers trat, stellte sich heraus, dass es der Späher war, den er vorausgeschickt hatte.
    „Ich habe die Morras gefunden. Sie lagern alle ganz in der Nähe“, berichtete der Kundschafter ohne Umschweife.
    Agenak nickte grimmig. „Gut. Wie lange wollen sie dort bleiben?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Dann ist es besser, wenn wir sie sofort angreifen.“ Agenak erhob sich ächzend. „Aufstehen! Wir haben sie gefunden und werden sie nun angreifen. Zeit zum Ausruhen gibt’s nach getaner Arbeit!“
    Murrend und langsam wälzten sich die Orks aus ihren dünnen Decken und erhoben sich, ihre Ausrüstung schulternd. Lange Äxte wurden vom Boden aufgeklaubt und auf dem Rücken verstaut oder gleich in der Hand behalten.
    Der Snapper hatte die Flucht ergriffen.

    Viele Meter weiter lagerten die Sklaven mit ihren beiden Befreiern unter den Bäumen desselben Waldes. Sie waren am ersten Tag ihrer Flucht bis zum Fluss gekommen. Zwischen dem Gesträuch der Uferböschung lagen die ausgemergelten Gestalten der in Fetzen gekleideten Sklaven. Auf der Seite des provisorischen Lagers, die Geldern zugewandt war, saßen Marius und Olivier. Sie ahnten, dass sie verfolgt wurden und spähten deshalb wachsam in den Wald hinein. Der Feuermagier war von Unruhe erfüllt. Eigentlich hatten sie nun schon in Sicherheit sein wollen, doch das Lager des Druiden Torn war leer und ausgestorben gewesen.
    „Was wohl mit den Waldläufern passiert ist?“, sinnierte Marius mit gedämpfter Stimme.
    „Es waren überall Kreuze aufgestellt“, seufzte Olivier, als sei das Antwort genug.
    „Irgendjemand muss diese Kreuze aufgestellt haben. Es können also nicht alle tot sein“, sprach Marius sich Hoffnung zu. Olivier schwieg.
    Plötzlich erhob er sich halb. „Da huscht etwas durchs Unterholz!“, mahnte er den Feuermagier zur Vorsicht.
    „Was?“, entfuhr es ihm. Hastig rappelte er sich auf. Auch er sah den Schatten, der schnurgerade auf sie zu huschte und jeden Strauch auf seinem Weg leicht rascheln ließ.
    Olivier legte schon die Handflächen aneinander, um einen heiligen Pfeil zu bilden, als der Kopf eines Snappers vor ihnen aus dem Gebüsch hervorbrach. Er schrak zurück als er den Zauber des Paladins erblickte. Vom einen Moment auf den nächsten stand statt der Echse ein Mann in einer grünen Robe vor ihnen. Er trug einen großen, knorrigen Stab auf dem Rücken und einen weißen Stein in der Hand.
    „Tut mir nichts! Ich bin gekommen, um euch zu retten!“, flüsterte der Druide rasch.
    „Torn!“, entfuhr es Marius unvorsichtig laut. „Wie kommst du hierher? Wir waren bei deinem Lager, aber…“
    „Schon vor Wochen von den Orks auseinander genommen“, beendete er das Thema rasch. „Ich habe eine Gruppe Orks belauscht. Sie machen Jagd auf euch.“
    „Das wissen wir“, warf Olivier rasch in einer Atempause des Druiden ein. Hinter ihnen richteten sich ein paar Sklaven verunsichert auf.
    „Sie haben einen Späher vorausgeschickt, der euch entdeckt hat. Sie sind nun auf dem Weg hierher!“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Wie vom Donner gerührt starrten Marius und Olivier ihn an. Sie hatten nicht geglaubt, dass die Verfolger schon so nah waren und sie sogar schon ausgespäht hatten.
    „Wie viele sind es?“, hakte der Paladin atemlos nach.
    „Mit dem Späher neun.“ Er musterte seine beiden Gesprächspartner rasch. „Sie haben keinen Schamanen bei sich. Wir drei beherrschen Magie. Damit sollte es möglich sein, sie zu besiegen.“
    Olivier und Marius tauschten einen Blick. „Da hat er nicht unrecht“, gab der Feuermagier zu und schob die Hände in die Ärmel seiner Kutte. Er dachte nach. „Wir müssen einen sicheren Ort für die Sklaven finden und dann dafür sorgen, dass uns keiner der Orks entkommt.“
    „Wo wolltet ihr eigentlich hin?“, fragte Torn.
    „Zu dir“, antwortete Marius schlicht. „Dort wäre es sicher gewesen.“
    Der Druide sah ihn einen Moment lang zerknirscht an. „Ich führ euch nach Nemora.“
    „Du weißt, wo es ist?“, stieß Olivier verwundert hervor.
    „Seit kurzem“, bestätigte Torn knapp. „Ich mach jetzt mit den Sklaven einen Treffpunkt auf dem Weg dorthin ab, dann können wir einfach nachkommen. Ihr beide haltet währenddessen schon mal die Bäume im Auge. Die Orks können jeden Moment kommen!“ Sie nickten.
    Die Sklaven waren inzwischen alle auf den Beinen. Beunruhigt hatten sie dem Gespräch gelauscht. Einige unterhielten sich mit spitzen, panischen Stimmen. Niemand ermahnte sie zur Ruhe, da ihr Aufenthaltsort eh bekannt war. Torn beschrieb ihnen in Windeseile einen Weg durch den Fluss und die verschiedenen Hochebenen des Südwestens empor. „Ihr kommt dann an eine alte Höhle, vor deren Eingang zwei Megalithen stehen. Dort treffen wir uns, betretet sie aber auf keinen Fall!“
    „Da bewegt sich etwas“, zischte Olivier plötzlich.
    Torn wirbelte herum. „Sie wissen nicht, dass ich hier bin. Ich schleich mich hinter sie und überfalle sie von hinten, damit werden sie nicht rechnen!“ Und schon hatte er sich in einen Snapper verwandelt und huschte in einem großen Bogen durch die Bäume. Marius und Olivier hatten sich zwei breite Bäume gesucht, hinter denen sie sich nun versteckten.
    „Man kann sie kaum erkennen, es ist zu dunkel!“, ärgerte Olivier sich.
    „Kein Problem“, erwiderte Marius und entfaltete einen Feuerball in seiner Hand.
    „Da sind sie!“, schrie ein Ork, doch da rauschte schon ein brennendes Geschoss auf sie zu. Er verfehlte die Gruppe um mehrere Meter, schlug jedoch in ein Gebüsch ein, das sofort Feuer fing. Die Flammen breiteten sich knisternd aus und beleuchteten ihr Umfeld.
    „Neun, sie sind vollständig“, verkündete der Paladin hinter seinem Baum zufrieden. Das Platschen im Fluss hatte ein Ende gefunden, was ihnen ein sicheres Zeichen dafür war, dass alle Sklaven hinüber waren.
    Die Orks hatten sie nun zwar bemerkt, der direkte Weg wurde ihnen aber von dem brennenden Gebüsch versperrt. Da flitzte auch schon ein Pfeil reinen Lichts durch die Bäume auf sie zu. Agenak warf sich zur Seite, um ihm zu entgehen. Sein Hintermann war nicht so flink: Er wurde von dem heiligen Pfeil mitten in die haarige Brust getroffen. Marius warf nun einen weiteren Feuerball, der nur Sekunden später einen der Orks in eine lebende Fackel verwandelte. Er brach zusammen und steckte noch mehr Gestrüpp in Brand. Seine Kameraden mussten abermals einen Umweg machen. Einer der Orks zog nun seine Armbrust, doch schon wurde er von einem weiteren Lichtpfeil Oliviers in die Knie gezwungen. Agenak brüllte wütend, war nur noch wenige Meter entfernt. Dann ging er in Flammen auf. Ein weiterer Feuerball hatte ihn getroffen.
    Doch jetzt wandten sich die Orks erschrocken um. Ein Rascheln und Knacken im Wald hinter ihnen hatte sie dazu veranlasst. Mit der Geschwindigkeit eines Raubtiers und der Durchschlagskraft einer Kanonenkugel brach sich ein Schattenläufer durchs Unterholz. Er stürzte sich mit seinen Vorderpranken auf den erstbesten Ork und versenkte seine Zähne in seinem Hals. Blut spritzte, während der kräftige Kiefer das Leben des Orks beendete.
    „Neeeeein!“, schrie der Späher, der das Versteck ausfindig gemacht hatte und hob seine große Axt, um sich an dem Schattenläufer zu rächen. Schon wurde er von einem Feuerball getroffen. Brennend schwang er noch ein letztes Mal unkontrolliert seine Axt, dann brach er zusammen. Der Schattenläufer sprang über ihn hinweg und stürzte sich auf den nächsten Ork. Die wenigen Verbliebenen des Jagdtrupps wussten nicht, wohin sie sich wenden sollten. Ein heiliger Pfeil streckte einen weiteren Krieger zu Boden. Eine Axt erwischte den Schattenläufer an der Flanke, doch schon hatte dieser mit seinen Klauen die Brust des Nächststehenden aufgeschlitzt.
    Der letzte Ork ergriff die Flucht. Die gemeinsame Kraft von Feuerball und Heiliger Pfeil brachten ihn zu Fall. Der Jagdtrupp war Geschichte, alle Orks tot.
    Der Schattenläufer wandte seine bedrohlich funkelnden Augen Marius und Olivier zu. Sie waren verunsichert.
    „Wusstest du, dass Torn zwei Druidensteine hat?“, fragte Olivier den Feuermagier und hob seine Hand mit der gesegneten Schneide.
    „Nein“, gab Marius zu. Auch ihm war das Erscheinen des Schattenläufers ein Rätsel.
    „Ich besitze keinen zweiten Druidenstein“, erklang in diesem Moment die Stimme des Druiden ganz in der Nähe des Schattenläufers. Torn ging zu der Kreatur hinüber und tätschelte ihr den Kopf. „Wir Druiden bekommen Hilfe von der Natur, wann immer wir sie brauchen. Die Tiere des Waldes sind genau wie alle anderen Geschöpfe Adanos unsere Freunde. So, und nun ab mit dir!“ Die letzten Worte waren an den Schattenläufer gerichtet, der sich langsam abwandte und mit einem mächtigen Satz zwischen den Bäumen verschwand. „Kommt, wir müssen den Sklaven hinterher.“
    Geändert von MiMo (10.02.2013 um 20:21 Uhr)

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    Kapitel LXXXII
    Der Beschluss des Feuerclans


    Klirrende Kälte und ein Schneesturm hatten das Dorf in den Bergen Nordmars an diesem Abend fest im Griff. Niemand setzte eine Zehe vor die Tür, auch wenn die Bewohner des Feuerclans derartige Wetter natürlich gewohnt waren.
    Hinter dem großen Lehnstuhl des Clanführers prasselte ein großes Feuer im Kamin, das dem Raum eine behagliche Wärme verlieh. Da die große Doppeltür geschlossen worden war, konnte man nur noch durch die kleinen Fenster erahnen, was für ein Sturm draußen tobte. Vor Kerth und seinem Lehnstuhl erstreckte sich die lange Tafel, die hier schon seit er denken konnte stand. Doch heute war sie voll besetzt. Die besten Krieger des Clans hatten sich heute zum Kriegsrat versammelt.
    Kerth, beide Arme betont ruhig auf den Lehnen seines kleinen Throns, ließ seinen einschüchternden Blick über die anwesenden Kämpfer wandern. Er wusste, dass jeder von ihnen ein ausgezeichneter Kämpfer war. Viele von ihnen hatten ihn in das zerstörte Kloster begleitet und nicht nur die Schlacht mit den Orks sondern auch die gegen die Untoten und Dämonen erfolgreich geschlagen.
    „Ihr wisst, warum wir uns versammelt haben, Männer?“, eröffnete er die Beratung donnernd.
    Von allen Seiten kam zustimmendes Gemurmel oder ein Nicken.
    „Viele von euch haben die Zerstörung des heiligsten Schreins unseres Gottes mit eigenen Augen gesehen“, fuhr er fort. „Wir können unmöglich tatenlos zusehen, wie das weitergeht. Erst die Schmiede des Hammerclans und jetzt der Schrein des Klosters!“
    „Und die Angriffe der Orks nehmen auch immer weiter zu“, warf ein breitschultriger Krieger zu seiner Rechten ein. „Sie haben uns sogar auf dem Weg ins Kloster überfallen!“
    Kerth nickte. „Es würde mich beunruhigen, wenn sie hinter der Zerstörung des Klosters stecken. Ich glaube nicht, dass sie genug Macht dazu haben. Ich habe da eher eine andere Vermutung.“
    Stille folgte auf diese Worte. Der Wind heulte laut auf, als würde er den Moment nutzen wollen, wieder an sich zu erinnern. Alle warteten gebannt auf die nächsten Worte des Clanoberhaupts.
    „Du sprichst von den Gerüchten um den Zerstörer des Schmelzofens, nicht wahr?“, ergriff stattdessen Frithjof das Wort. „Du glaubst dem Gemunkel, dass Xardas, der Dämonenbeschwörer, dahinter steckt, und vermutest nun, dass er auch das Heiligtum zerstört hat?“
    Abermals breitete sich ein Schweigen aus, doch dieses Mal war es anders. Es war ein Schauder durch die mutigen Krieger gegangen, als der Name des berüchtigsten Schwarzmagiers aller Zeiten gefallen war. Sogar der Wind war verstummt.
    „Es würde vieles erklären“, setzte Kerth an, wurde jedoch unterbrochen.
    „Das ist doch Mumpitz! Xardas gibt es nicht!“, rief ein alter Krieger, dessen Haare schon mit grauen Strähnen durchzogen waren.
    „Und die Runen haben von ganz allein ihre Macht verloren, oder was?“, brauste Frithjof auf und funkelte seinen Vorsprecher an.
    „Ich bleib dabei. Das ist nur ein Ammenmärchen. Eine Ausrede des Königs für seine Niederlage gegen die Orks.“ Störrisch verschränkte er die Arme vor der Brust.
    „Kalan, es reicht!“, rief Kerth seinen Schmied zur Ordnung. Das Dachgebälk knarzte unter einer erneuten Windböe. „Wir haben im Kloster Dämonen und haufenweise Untote gesehen oder nicht? Findest du nicht auch, dass dies zumindest auf Xardas hinweist? Den Gerüchten zufolge soll er sich in Nordmar versteckt halten!“
    Kalan öffnete gerade wieder den Mund, um zu widersprechen, als eine ruhige Stimme dazwischenfuhr. „Du glaubst, es gäbe Xardas den Dämonenbeschwörer nicht?“ Lees Blick bohrte sich in den des Schmiedes, der verunsichert den Mund schloss. „Wie viele hier wissen, war ich einst aufgrund einer Intrige Rhobar II. in der Minenkolonnie von Khorinis. Und dort, das kann ich dir versichern, existierte Xardas.“ Diese Worte hinterließen Eindruck. Kalans Blick wanderte über die Tischplatte. „Ich kann nicht sagen, ob er hinter diesen Ereignissen steckt, aber wer behauptet, es gäbe ihn nicht, den bezichtige ich der Lüge. Und angesichts der Tatsache, dass ich Xardas alles zutraue, halte ich Kerths Theorie für durchaus möglich.“ Alle hingen gebannt an Lees Lippen. Bis auf Kalan, der wütend auf seiner Zunge herumkaute, aber nichts mehr sagte.
    „Wenn das geklärt ist, können wir ja zum Thema zurückkommen“, schlug Kerth genervt vor.
    „Eine Frage“, platzte Leif los. „Ist es nicht so, dass Xardas mit den Orks im Bunde ist? Er zerstörte schließlich die Runenmagie, um ihnen im Krieg die Oberhand zu verschaffen. Im Gegenzug suchen die Orks für ihn nach Artefakten.“
    „So erzählt man es sich, ja“, nickte Kerth. „Die Frage ist nur, was wir tun können. Wir können Xardas suchen und den Versuch wagen, aus ihm selbst die Wahrheit herauszubekommen. Das halte ich allerdings für keine gute Idee. Xardas ist mächtig und keiner weiß, wo er sich aufhält. Er ist mit Kräften im Bunde, die keiner versteht. Das gilt erst recht, wenn er für das, was im Kloster geschehen ist, zuständig ist.“
    „Was schlägst du vor?“, fragte Kaelin gespannt.
    Lee glaubte zu wissen, worauf er hinaus wollte.
    „Wir müssen endlich die Orks aus unserem Land vertreiben!“, donnerte Kerth und schlug mit seiner behandschuhten Faust auf den Tisch. Das Kaminfeuer hinter ihm loderte auf, während der Wind erneut anschwoll. Einen Moment waren alle Anwesenden ruhig, dann brach zustimmendes Gebrüll los.
    „Wir zeigen den Fratzen endlich, wo sie hingehören!“ „Jawohl, Nordmar ist unser Land!“ „Weg mit den Halbaffen!“ „Diesmal machen wir ernst mit denen!“ „Das stinkende Pack muss endlich zerschlagen werden!“
    Kerth nahm die Rufe mit einem selbstgefälligen Lächeln entgegen, während Lee zwischen den aufgesprungenen Kriegern das Gesicht in den Händen verbarg. Wenn ein Nordmarer nicht weiter wusste, ging er Orks jagen.
    „Wir müssen uns nun Gedanken über eine Strategie machen, Männer!“, rief der Clanführer sie zur Ordnung.
    „Wir stellen einen Trupp Jäger zusammen und beschießen ihre Lager von Klippen aus!“, schlug Leif sofort vor.
    „Guter Vorschlag!“, quittierte Kerth die Idee mit einem erneuten Schlag auf den Tisch. „Schickt einen Boten mit einem Großauftrag zu Vibald! Er soll Massen von Sprengpfeilen bereitstellen.“
    „Ich schärfe Klingen für den halben Preis!“, warf Kalan ein.
    „Gebt mir Männer, dann führe ich sie ins Feld“, bat Kaelin.
    Lee nahm die Hände vom Gesicht, schloss für einen kurzen, beruhigenden Moment die Augen. „So werdet ihr die Orks nicht schlagen können.“
    Seine Stimme war auch durch das allgemeine Durcheinander klar zu hören. Alle verstummten und richteten ihre Blicke auf ihn.
    „Was hast du da gesagt? Soll ich mal mit dir vor die Tür gehen, oder was soll deine ständige Widerrede?“, richtete der Schmied das Wort bedrohlich an den Myrtaner.
    „Du bist noch nicht so lange bei uns. Du weißt nicht, wovon du redest“, stimmte Kerth dem Einwand Kalans wichtig nickend zu.
    „Ich weiß nicht, wovon ich rede?“ Lees Stimme schwoll zu einem eindrucksvollen Klang an, der jeden daran erinnerte, dass er gewohnt war, Männer zu befehligen. Es war der Ton eines Hauptmanns auf dem Schlachtfeld. „Ich habe schon Schlachten gegen die Orks geschlagen, da waren viele der hier anwesenden noch nicht mal in der Lage die großen Äxte zu heben, die sie heute mit sich führen. Ich war Heerführer unter Rhobar II., wenn ich dich daran erinnern darf, Kerth.“ Den Namen spuckte er absichtlich wie ein Schimpfwort aus. „Wenn du meinst, dass du wie all deine Vorgänger einfach deinen Clan rüsten und dann in den Krieg ziehen kannst, um die Orks für immer zu vertreiben, dann bist du wirklich naiv!“ Die Krieger keuchten auf.
    „Unerhört“, konnte man die Stimme des Schmiedes vernehmen. Kerth war ganz langsam und mit zornigem Blick aufgestanden, die Hände zu Fäusten geballt, die buschigen Brauen tief in die Augen gezogen.
    „Der Clan hielte drei, vier, vielleicht fünf Schlachten aus, ehe er sich auf die Hälfte dezimiert zurückziehen muss. Die Orks von Nordmar und Myrtana unterstützen alle einander und bilden eine große Einheit. Wenn da ein kleiner Clan loszieht, bringt das gar nichts. Ein paar Orks könnten wir bestimmt töten, aber weiterbringen würde uns das nicht. Wenn wir die Orks im ganzen Land vernichtend schlagen wollen, brauchen wir starke Verbündete, auch in Myrtana. Erst wenn die Orks aus Myrtana vertrieben wurden, können wir sie auch aus Nordmar vertreiben.“
    „Sonst säßen wir in den Zange zwischen der Heimat der Orks in den nördlichen Ländern und der orkischen Besatzungstruppen in Myrtana, da hat er recht“, erkannte Frithjof worauf er hinauswollte.
    „Der Hammerclan kam immer allein zurecht…“, setzte Kerth an.
    „…hat die Orks aber nie vollständig aus Nordmar vertreiben können“, beendete Leif den Satz des Clanführers. „Lee hat Recht. Wenn wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben, brauchen wir einen Plan, der über das gewöhnliche Morden und Plündern hinausgeht.“
    „Wo wollt ihr Verbündete herkriegen? Myrtana ist in der Hand der Orks“, hakte Kaelin stirnrunzelnd nach. Sein breiter Kopf schien mühsam zu arbeiten.
    „Es gibt noch Widerstandsgruppen“, antwortete Lee schnell. „Sie haben den einen oder anderen kleineren Erfolg errungen. Und die Orks zerstreiten sich laut den letzten Neuigkeiten gerade mit den Assassinen. Vielleicht ist das die Chance, die Orks aus Myrtana zu vertreiben.“
    „Die Myrtaner würden den Krieg beenden, sobald ihr Land frei ist, und uns mit unserem Problem zurücklassen“, wandte Kerth ein. „Ich kenn doch Rhobar.“
    „Stimmt, du kennst Rhobar III. Er trägt die Macht der Ahnen in sich, wie du weißt. Ich kenne ihn auch, und zwar schon seit Jahren. So wie ich ihn kennengelernt habe, würde er sein Wort halten, wenn er es uns gibt.“ Lee sah dem Clanführer direkt in die Augen. Dieser setzte sich seufzend.
    Es verging einige Zeit, bis jeder Punkt geklärt war. Es wurde noch lange das Für und Wider des angestrebten Bündnisses besprochen, doch am Ende stand der Plan fest.
    „Gut“, begann Kerth seine Zusammenfassung am Ende des Kriegsrats. „Frithjof versammelt bis morgen Abend zwanzig Krieger um sich und zieht mit diesen über den Pass. Dort suchen sie Rhobar III. und unterstützen diesen im Falle seines Einverständnisses bei seinen Plänen, die Orks zu stürzen. Die zurückbleibenden Krieger sichern das Dorf und gehen in die Offensive, wenn sich Orks dem Clan zu sehr nähern. Sind alle mit diesem Plan einverstanden?“
    Rundherum gab es Nicken. Keiner, nicht einmal Kalan, widersprach noch dem Plan.
    Geändert von MiMo (10.02.2013 um 20:13 Uhr)

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    Kapitel LXXXIII
    Verschneite Berge – Blutrote Tupfen


    „Was sollen wir tun, Jensgar?“
    „Von hier aus erwischen wir die noch!“
    „Die wollen bestimmt in die Orklande im Norden Nordmars. Wir sollten sie lieber nicht dort ankommen lassen!“
    „Jetzt seid still, sonst hören sie uns noch!“, zischte Jensgar, obwohl der heulende Wind, der sie auf den eisigen Klippen umtoste, jedes Wort mit sich riss und unhörbar machte. Hundert Meter unter ihnen zog sich eine Reihe Fußspuren durch die weit auseinander stehenden, schneebedeckten Tannen. Und an dem nordwärts liegenden Ende der Spur stapften sechs kleine Umrisse den Abhang hinauf. Die bulligen Staturen und die Rüstungen verrieten sofort, was schon nach dem Anblick der riesigen Äxte klar war: Es handelte sich um Orks.
    Jensgar und sein Jagdtrupp waren eigentlich auf den Heimweg zum Wolfsclan. Sie zogen Schlitten voll erlegten Wilds hinter sich her, es war ein ertragreicher Tag gewesen. Doch nun begegneten sie dieser verlockend kleinen Gruppe Orks. Zahlenmäßig waren sie den Jägern des Wolfsclans jedoch trotzdem noch um einen Kämpfer überlegen.
    „Was sollen wir denn jetzt tun, Jensgar?“, konnte einer der vier Jäger, die mit ihm gekommen waren, nicht mehr länger an sich halten.
    „Auf diese Distanz würde der Wind den Pfeil zu weit abtreiben. Und wenn der erste Pfeil daneben gegangen ist, sind sie gewarnt. Uns bleibt keine andere Wahl als runter ins Tal zu eilen und ihnen einen Hinterhalt zu stellen.“
    „Mit unserer Beute sind wir viel zu langsam, da holen wir sie nie ein“, warf ein anderer Jäger, ein junger Mann mit ersten Bartstoppeln.
    „Wir lassen die Beute auf keinen Fall zurück! Da sind gute Tiere bei, davon können unsere Familien so einigen Tag zehren“, beharrte ein älterer Jäger sofort.
    „Die Orks beeilen sich im Gegensatz zu uns nicht. Und während unser Weg bergab führt, geht ihrer immer steiler bergauf“, schlichtete Jensgar den aufkeimenden Konflikt. „Die Beute lassen wir bei einem von uns zurück. Derjenige kann uns aus einem Versteck heraus Deckung geben.“ Er ließ seinen Blick wieder zu den Orks hinab sinken, die sie scheinbar nicht bemerkt hatten. Zumindest hatte sich nichts an ihrem Bewegungsrhythmus geändert. „Alles Weitere klären wir unterwegs, sonst wird ihr Vorsprung zu groß!“

    „Rauskommen, Morra!“ Mojok zog seine lange Orkaxt und verstaute die Weinflasche, an der er gerade genippt hatte, in einer Tasche seines Schattenläuferfellmantels.
    Jensgar knirschte mit den Zähnen. Sie waren entdeckt worden. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte ihm der junge Jäger neben ihm ins Ohr.
    „Das was er sagt“, antwortete der erfahrene Jäger ergrimmt und erhob sich aus der Hocke. Langsam, mit gespanntem, jedoch zu Boden gerichteten Bogen kam er hinter dem mit einer dünnen Eisschicht überzogenen Felsen hervor.
    „Zwei Nordmarer Morras, die den Tod nicht abwarten können“, spottete Mojok, als die beiden Jäger mit ihren gezückten Waffen hervor traten. Die Elitekrieger hinter ihm hatten es ihm inzwischen gleich gemacht und ihre langen Äxte aus der Halterung auf ihren Rücken gelöst.
    „Du irrst dich, Ork. Wir sind Nordmarer, die auf Rache aus sind“, widersprach Jensgar dem Ork mit nicht einmal zwanzig Metern Abstand. „Das Kloster geht auf euer Konto.“
    „Mit der Zerstörung eures Klosters haben wir nichts zu tun“, erwiderte Mojok ernst. Er war hellhörig geworden. Es interessierte ihn immer sehr, was für Märchen sich die Menschen über die ach so barbarischen Orks erzählten.
    „Lüg doch nicht“, entgegnete Jensgar ihm furchtlos, ganz im Gegensatz zu seinem Begleiter, der noch kaum einen Ork gesehen hatte. Er zitterte stärker als es die Kälte verschulden konnte. Für einen Bogenschützen normalerweise das Todesurteil. Doch sie hatten ja noch ein paar Trümpfe im Ärmel. „Xardas hat nicht nur die legendenumwobene Schmiede des Hammerclans sondern auch das Kloster der Feuermagier im Westen des Eislandes entweiht und völlig zerstört. Er soll Kräfte besitzen, die noch nie ein Mensch zuvor erlangt hat, und er ist, wie wir alle wissen, mit euch niederen Kreaturen im Bunde. Ohne ihn hättet ihr den Krieg doch verloren. Er hat dafür gesorgt, dass den Innosgläubigen ihre Magie genommen wurde.“
    Mojok lachte berauscht. Vielleicht hatte er doch zu viel aus der Flasche getrunken, die nun in seiner Manteltasche verborgen lag. Doch keinesfalls zu viel um zwei Morras zu meucheln. „Eure Rasse ist so dumm. Das war nichts weiter als ein Zufall. Ein glückliches Verzahnen zweier großer Pläne. Xardas mag mächtig sein und die Runenmagie zerstört haben, doch ist er ganz bestimmt nicht mit uns im Bunde, du dummer Narr. Wir selbst waren doch genauso überrascht wie ihr, als eure ohnehin mickrige Gegenwehr über Nacht in sich zusammenbrach!“
    Jensgar dachte über seine Worte nach, ohne ihnen zu glauben. Rein theoretisch mochte das, was der Ork sagte, hinkommen können, doch das wäre zu viel des Zufalls. So viel Glück konnten nicht einmal die Orks haben. Und was hätte der Dämonenbeschwörer sonst für einen Grund gehabt, die Runenmagie zu zerstören?
    „Und jetzt legt eure erbärmlichen Bögen weg, oder wir müssen es lang und qualvoll über die Bühne bringen“, knurrte der angetrunkene Ork. „Rächer sind letzten Endes immer die Opfer, die ihr Leben sinnlos verwirken.“
    „Als würden wir im Angesicht des Feindes unsere Waffen niederlegen“, höhnte Jensgar. „Ich bin kein blutiger Anfänger. Ich kenne eure Verschlagenheit zur Genüge. Gnade haben wir von euch nicht zu erwarten!“
    „Mojok, hinter uns!“, rief plötzlich einer der anderen Orks. Fünf Orks rissen gleichzeitig ihren Kopf nach hinten und entdeckten die beiden mit gezückten Schwertern herbeirennenden Jäger. Sie hatten die Orks schon fast erreicht.
    „Tötet sie!“, brüllte Mojok und wandte sich wieder Jensgar zu. Das Gurgeln eines Orks folgte unmittelbar auf seinen Befehl. Ein Pfeil war aus dem Schutz der Tannen seitlich des Weges direkt in die Brust eines Elitekriegers geschossen worden. Der sterbende Ork kippte gegen seine Gefährten und behinderte diese in ihrer Aufstellung.
    Jensgar hatte augenblicklich ebenfalls einen Pfeil abgeschossen, Mojoks Kopf dabei jedoch um Haaresbreite verfehlt. Der junge Jäger neben ihm war zur Salzsäule erstarrt.
    „Hohoho, das wird ein leichter Sieg!“, gröhlte Mojok und holte aus.
    Jensgar ließ seinen Bogen fallen und zog blitzschnell sein Schwert. Das Klingen der aufeinander krachenden Waffen hallte von den Flanken des Berges wider. „Das bezweifle ich. Du musst wissen, ich hab schon mehr als einen Ork erlegt. Jensgar, der Orkjäger, so nennen sie mich im Dorf!“, presste er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit einer geschickten Drehung ließ er die Orkaxt seitlich weggleiten und holte aus.

    Auf dem größten Platz des Feuerclans, zu den Füßen des großen Innosaltars, war heute noch mehr los als sonst. Frithjof stand, eine Rolle Pergament in der Hand und eine große Hirschledertasche auf dem Rücken, auf einem kleinen Schemel, um die inzwischen zwanzigköpfige Menge zu überblicken. Da war Kaelin, der als bester Nachwuchsorktöter des Feuerclans galt, Osmund, der ohne zu zögern zugesagt hatte, als er von dem bevorstehenden Kriegszug gehört hatte, und der Schmied Kalan, der mitkommen wollte, um die Waffen in Schuss zu halten. Und mehr als ein Dutzend weitere fähige Männer. Frithjof nickte zufrieden. Fehlte nur noch…
    „Trag mich auch auf deine Liste ein. Ich muss mal wieder raus aus den Bergen und den Orks den Arsch versohlen.“ Lee grinste ihn an.
    „Ah, gut. Auf dich habe ich noch gewartet“, entgegnete Frithjof mit einem Anflug von Erleichterung. „Ich hatte gehofft, dass du mitkommen würdest, schließlich kennst du dich dort, wo wir hingehen, am besten aus.“
    „Nun, so kompliziert ist der Weg auch nicht“, gab Lee bescheiden zu.
    „Wie dem auch sei, ich wollte dich zu meinem Stellvertreter auf diesem Kriegszug ernennen.“
    „Was?!“ Lee starrte ihn ungläubig an. „Du scherzt, oder?“
    „Was? Lee soll Frithjofs Stellvertreter sein? Ich glaub, mein Schwein pfeift!“, donnerte Kalans Stimme über die sofort verstummende Menge hinweg. „Der hat doch noch gar nichts geleistet!“ Zustimmendes Gemurmel stärkte dem Schmied den Rücken, der zufrieden lächelte und die Arme verschränkte.
    „Lee hat schon als General unter Rhobar II. gegen die Orks gekämpft und so manche Schlacht erfolgreich geschlagen“, widersprach Frithjof unbeirrt. „Er ist in Myrtana zuhause und kennt die Landstriche dort viel besser als wir. Von ihm kam die entscheidende Idee für diesen kleinen Feldzug. Warum sollte er also nicht mein Stellvertreter werden?“
    „Er hat noch nie mit uns gegen einen Orkstamm gekämpft“, warf eine andere Stimme ein.
    Lee konnte nur zu gut verstehen, dass die Männer ihn nicht als Stellvertreter duldeten. Er war noch nicht lange genug bei ihnen und hatte sich nicht auf ihr kriegerisches Gebahren eingelassen. „Hör mal, Frithjof…“, sagte er leise, doch der ignorierte ihn.
    „Meine Entscheidung steht fest. Lee ist mein Stellvertreter. Das spielt sowieso keine Rolle, solange ich lebe. Wer damit ein Problem hat, möge die Gruppe verlassen.“ Herausfordernd sah Frithjof in die Runde. Eine kalte Brise wehte über die versammelte Gruppe hinweg. Doch niemand widersprach noch. Nicht mal Kalan, obwohl sein Kiefer mahlte, als würde ihm die Entscheidung immer noch sauer aufstoßen.
    „Na dann, rottet die verfluchten Orks aus und schickt sie dorthin zurück, wo sie hergekommen sind!“ Kerth klatschte voller Vorfreude in die Hände. Einige antworteten ihm mit wildem Gebrüll, das Lee nicht beachtete. Er musterte Frithjofs Profil und versuchte in ihm zu lesen, was ihn dazu bewogen hatte, ausgerechnet ihn, den Fremden, zu seinem Stellvertreter zu machen.
    „Geht mit dem Segen Innos!“, stachelte Kerth die Menge weiter an.

    Der bis eben noch unberührte und makellos weiße Schnee war mit tiefroten Klecksen durchsetzt. Das noch warme Blut hatte den Schnee, dort wo es auf ihn getroffen war, zum Teil geschmolzen, sodass sich kleine Dellen in der ansonsten glatten Schneedecke gebildet hatten. Ein Ork-Elitekrieger lag ausgeplündert und mit Pfeil in der Brust zwischen den Bäumen. Nicht nur seine Waffen, auch seine Felle, sein Proviant, sein Gold und alles Nützliche, was er bei sich getragen hatte, war mitgenommen worden.
    Um ihn herum lagen drei tote Jäger des Wolfclans, aufgeschlitzt und durchbohrt, grausam entstellt. Ein paar Tannen weiter lehnte Jensgar stark aus der Brust blutend an dem Stamm einer Fichte. Sein verschwimmendes Sichtfeld zeigte ihm die umgestoßenen Schlitten und das gefledderte Beutegut, das sie den Tag über erlegt hatten. Dazwischen lag auch der vierte Jäger, der ihn begleitet hatte.
    Mojok hatte seine Drohung wahr gemacht und ihm einen langsamen, qualvollen Tod verpasst. Doch nun schien es endlich vorbei zu sein. Jensgar stöhnte leise, während das Blut weiter aus seiner Brust sickerte und der Schmerz allmählich nachließ. Eine angenehme Wärme erfüllte ihn, ehe er das Bewusstsein verlor.
    Geändert von MiMo (09.06.2013 um 16:20 Uhr)

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    Kapitel LXXXIV
    Suche nach Glück


    Die Sonne strahlte an einem wolkenleeren Himmel und sorgte so für einen sonnigen, warmen Tag. Milten dankte Innos in Gedanken für dieses Geschenk. Bei gutem Wetter reiste es sich immer am besten.
    „Wir müssen vorsichtig sein“, riss Daryl ihn unsanft aus seinen Gedanken. „Wir kommen nun in das Gebiet, das die Wächter von Montera regelmäßig ablaufen.“ Er spähte wachsam den Weg entlang, dem sie folgten, doch weit und breit war niemand zu sehen.
    „Wir sollten einen Zahn zulegen, damit wir früher in Reddock sind“, fand Hengley. „Je früher wir Dargoth losschicken, desto besser.“
    „Wir laufen doch schon ziemlich zügig und machen nur die nötigsten Pausen“, widersprach Thordir und wischte sich mit einem Stofftaschentuch über seine schweißperlenbesetzte Stirn. In seinem schweren Rüstzeug war strahlender Sonnenschein offenbar nicht halb so angenehm wie in der leichten Robe eines Feuermagiers. „Wenn wir zu hastig vorangehen, gefährden wir unsere Sicherheit und somit auch unsere Mission. Es wäre demnach unklug etwas zu überstürzen.“
    Hengley zog eine geringschätzige Miene, schwieg aber. Sein Tatendrang ließ ihn immer ein paar Meter vor seinen Reisegefährten laufen und bei den wenigen Pausen immer zur Weiterreise drängen, was besonders Thordir schon gereizt hatte. Daryl, der nicht zum ersten Mal mit ihm reiste, hatte sich schon an diesen Wesenszug des ehemaligen Diebes gewöhnt.
    „Wir werden Montera noch heute hinter uns lassen, und trotzdem kommen wir erst morgen in Reddock an und werden dort die Nacht verbringen. Ob wir heute eine Meile weiter kommen oder nicht, macht da wohl eher keinen Unterschied“, sagte Milten arglos.
    „Aber wehe wir sind nicht aus dem Großraum Montera raus, bevor’s Nacht wird. Wir können auf keinen Fall schlafen, bevor wir die Orks nicht ganz sicher hinter uns gelassen haben“, knurrte Daryl. Erinnerungen an seine abgeschlachteten Gefährten quälten ihn immer noch. Hätte Hengley ihn damals nicht überredet, seinen verlorenen Posten zu verlassen, wäre er vermutlich früher oder später durchgedreht und hätte Montera im Alleingang gestürmt. Mehr als ein toter Rebell wäre dabei wohl kaum herumgekommen.
    „Wartet!“, zischte Milten plötzlich und beschwor einen Ball tanzender Flammen in seiner rechten Hand. Hengley, Thordir und Daryl zogen sofort ihre Schwerter, als auch schon mehrere Gestalten aus der Böschung brachen und sich mit Schwertern auf sie stürzten. Die aufblitzenden Waffen und die schmächtigen Staturen bliesen den Gedanken an Orks hinfort, doch auch Begegnungen mit Wegelagerern endeten nur allzu oft tödlich.
    Milten warf seinen Feuerball nicht, da er niemanden ernsthaft verletzen wollte, und überließ es den drei Schwertkämpfern die vier Angreifer abzuwehren. Schwerter prallten aneinander, dann wichen die Kontrahenten wenige Schritte zurück und verharrten einen Moment.
    „Mason!“, entfuhr es Daryl wie vom Donner gerührt.
    „Gebt uns sofort alles, was ihr an Essen dabei habt!“, keifte der Anführer des letzten Rebellenpostens direkt bei Montera. „Wir haben seit zehn Tagen nichts gegessen und sind bereit für einen Krümel Brot zu töten! Ergebt euch lieber gleich oder ihr werdet euer blaues Wunder erleben!“
    Milten ließ sofort den Feuerball verschwinden und seinen Rucksack vom Rücken gleiten. Thordir hielt sein Schwert jedoch erhoben, nicht bereit, so schnell über den Angriff hinwegzusehen. „Wir sind treue Anhänger König Rhobar des Dritten und in seinem Auftrag unterwegs. Den Emblemen, die ihr tragt, entnehme ich, dass wir auf einer Seite stehen, also senkt die Waffen!“
    „Mason, was soll der Blödsinn! Du kennst mich!“, drang Daryl weiter auf ihn ein.
    „Die Orks haben Kühe! Sie haben ganz viele Kühe, die sie schlachten und essen können, wann immer sie wollen!“, heulte Mason nun fast. Die drei Männer, die hinter ihm standen, boten einen noch erbärmlicheren Anblick. Im Gegensatz zu ihm schienen sie nicht mehr die nötige Kraft zu besitzen, sich derart aufzuregen.
    „Hier habt ihr ein Stück Schinken und einen halben Laib Brot. Mehr kann ich nicht entbehren“, sagte Milten und hielt beides hoch, während er mit zwei langen Schritten zwischen die Fronten trat.
    „Warum nicht gleich so!“, blaffte Mason ihn krächzend an. „Gib mir dein Wasser! Ich hab Durst! Wahnsinnigen Durst!“ Auf der Suche nach etwas zu trinken wanderte sein Blick über die Robe Miltens. Dann trat ein verdutzter Ausdruck auf sein Gesicht. „Bist du etwa ein Feuermagier?“ Vor lauter Verwunderung ließ er sein Schwert sinken.
    Daryl steckte seines weg, ging auf seinen alten Kampfgefährten zu und packte ihn fest bei den Schultern. „Mason, verdammt. Ich bin’s, Daryl!“
    „Daryl wurde von den Orks verschleppt, er hätte nie seinen Posten verlassen!“, schrie er, doch noch währenddessen traten Zweifel in seine Augen. „Du bist doch Daryl. Warum? Warum hast du uns im Stich gelassen!“
    „Ich hatte keine Wahl, verdammt. Die Orks hätten mich früher oder später gefunden und genauso wie meine Männer getötet!“ Seine behandschuhten Hände krallten sich in die Schultern Masons.
    „Au“, riss dieser sich los. „Gib mir deinen Proviant!“, forderte er.
    „Ihr müsst euch nach Okara durchschlagen“, trat nun auch Hengley heran. „Es hat doch keinen Sinn, wenn ihr vor Montera verhungert. Der Aufstand ist fürs erste gescheitert. Zieht euch zurück und wartet, bis eine neue Gelegenheit gekommen ist.“
    Doch Mason und seine Männer rissen gierig das Brot in Stücke, das Milten ihnen gereicht hatte. Sie verschlangen es mit nur wenigen Bissen.
    „Nach Okara?“, nahm Mason den Gesprächsfaden wieder auf, nachdem er sich jeden Krümel Brot von seinen schmutzigen Fingern geleckt hatte. „Aber wer kümmert sich dann um die Kühe? Die Orks haben noch viele Kühe, weißt du? Die müssen weg, sonst bringt unsere Belagerung kein bisschen. Dann klappt das mit dem Aushungern nicht, verstehste?“
    Milten, Daryl, Hengley und Thordir wechselten einen Blick. „Wir können sie hier nicht einfach so zurücklassen“, flüsterte Milten, während Mason geräuschvoll das Wasser hinunterstürzte, das er ihm gereicht hatte. Seine drei Kameraden rissen ihm den Flachmann jedoch schneller weg als ihm lieb war und so entbrannte eine kleine Rangelei um die Erfrischung.
    „Einen Umweg über Okara können wir uns auf keinen Fall leisten“, gab Thordir zu bedenken. „Der Umweg würde mehrere Tage in Anspruch nehmen.“
    „Es stimmt, dass Okara das Rebellenlager ist, das sich auf Montera konzentriert, aber fürs erste ist das unwichtig“, warf Hengley ein. „Wir sollten sie einfach mit nach Reddock nehmen. Da müssen wir eh vorbei, um Dargoth Bescheid zu geben.“
    Eine Pause trat ein, in der Masons Gejammer darüber zu hören war, dass die Flasche leer war.
    „Es spricht nichts dagegen, oder?“, befürwortete Daryl den Vorschlag. Die Schuldgefühle, die in ihm gewachsen waren, als Mason ihn des Verrats angeklagt hatte, waren noch nicht wieder verebbt.
    „Zu acht wird es viel schwieriger, nicht von den Orks entdeckt zu werden. Sie sind außerdem körperlich nicht in der besten Verfassung, was unsere Reisegeschwindigkeit beeinträchtigen wird“, wandte Thordir ein. Drei skeptische Blicke ließen ihn jedoch fortfahren. „Was nichts daran ändert, dass es die beste Lösung des Problems ist.“
    „Gut. Davon müssen wir nur noch Mason überzeugen“, seufzte Daryl.

    „Diese Barbaren!“, fluchte Tempeck, während er von einer Orkleiche zur nächsten ging, um sich zu vergewissern, das für sie jede Hilfe zu spät kam. Der Wald von Geldern überdachte die Leichname und ein wenig nieder gebranntes Gestrüpp.
    „Diese Feuermagier denken auch nicht weit“, stimmte Jaroll mit einem Schnauben ein. „Ein Wunder, dass es nicht zu einem Waldbrand gekommen ist!“
    Die fünf Orks wandten sich ihrem Anführer zu, als erwarteten sie neue Instruktionen.
    Thorus konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Es ist nur gut für uns, dass die Flüchtlinge den Kampf überstanden haben.“
    „Was sagst du da?!“ Trompoks Pranke glitt zu dem Griff seiner Orkaxt.
    „So ist Nemroks Fehler beglichen“, fuhr Thorus ungerührt fort. „Jetzt können wir ihre Spuren bis nach Nemora verfolgen und dann endlich das größte Rebellennest überhaupt stürmen!“
    Auch wenn keinem der Orks die Gleichgültigkeit gefiel, die Thorus ihren gefallenen Kameraden entgegenbrachte, mussten sie ihm recht geben. Barrack und Jarock tauschten Blicke. Tempeck lächelte in sich hinein und verschränkte die Arme. Bald würde ihre Jagd zu einem erfolgreichen Ende kommen. Dann würden sie Miloks und Kapotths Tod rächen und den Morras endlich ihre letzte Hoffnung auf ein Wiedererstarken ihres Reiches nehmen.

    Es war eine sternenklare Nacht und Tausend kleine Lichter funkelten über dem See von Silden. Ihre Spiegelbilder in der glatten Wasseroberfläche konnten der Herrlichkeit der Originale nicht das Wasser reichen. In der Ferne waren die Lichter der Stadt Silden zu sehen. Doch der blinde Blick des Mannes, der mit einem Mal aus der Dunkelheit auftauchte und die Oberfläche des Sees leicht kräuselte, galt nicht der Stadt. Er schwebte eine Hand breit über dem schwarzen Wasser und starrte in seine Tiefen hinab. An seiner Hand glitzerte ein machtvoller, magischer Ring und an seiner Brust ein energiegeladenes Amulett. Waffen hatte er keine dabei, doch die würde er in dieser Nacht auch nicht brauchen. Heute ging es um andere Wege der Machtausübung. Wege, die er sich nur durch lange und intensive Studien erschließen konnte. Endlich würde er seinem Ziel wieder ein Stück näher kommen.
    Er streckte seinen langen, dürren Arm vor sich aus. Der schwarze Mantel seiner Kutte wehte leicht im Wind, während er mit nach unten gerichteter Handfläche dastand. Der See zu seinen Füßen begann leise zu blubbern.
    Geändert von MiMo (09.06.2013 um 16:24 Uhr)

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    Kapitel LXXXV
    Geheimnisse im Sand


    Die flirrende Hitze ließ den Umriss der näher rückenden Oase verschwimmen. Nachdem sie tagelang durch die unendlich weiten Dünen Varants gestakst waren, war der Anblick der großen Quelle eine Erleichterung. Vor nicht allzu langer Zeit wäre das anders gewesen, denn der Assassine Sugut hatte mit seinen Männern in ihr gehaust. Doch sie wussten, dass Hurit und seine Sippe es geschafft hatten, die Oase zurückzuerobern, nachdem der Wassermagier Vatras zu ihnen zurückgekehrt war.
    „Das ist also der momentane Aufenthaltsort von Vatras dem Wassermagier“, murmelte Aidan interessiert.
    „Ich hoffe, er gibt uns die ersehnte Kühle. Ich bin solche Hitze auf meine alten Tage nicht mehr gewohnt“, entgegnete Altus schnaufend. „Dich wundert es, wie Vatras lebt, nicht wahr? Soweit ich weiß, hast du die Wassermagier bisher nur auf einigen Versammlungen erlebt.“
    „Ja, ich dachte, sie hätten sich ein wenig… eindrucksvoller eingerichtet“, gestand der jüngere Feuermagier.
    „Die Wassermagier bevorzugten seit jeher ein sehr schlichtes Leben. So wie die Nomaden auch machen sie sich nichts aus Sesshaftigkeit oder Habseligkeiten.“
    „Aber Hurits Sippe ist doch sesshaft geworden. Dort, bei der Oase. Und Asaru hat mit seinen Männern in der Höhle unweit Bragas gewohnt“, wandte Aidan ein.
    Altus ließ ein schweres Seufzen hören. „Das macht der Krieg. Er zwingt die Nomaden sesshaft zu werden. Wenn sie keine Landstriche besetzen, gäbe es schon bald keinen Ort mehr, an dem sie noch vor den Assassinen sicher sind. Sie sind auf solche Wasserstellen wie diese angewiesen, die nicht in den Händen der Beliargläubigen sind.“
    Den Rest des Weges sprach niemand ein Wort. Alle wollten so schnell wie möglich in die Schatten der Palmen kommen, die sie nach weniger als einer Stunde auch erreichten. Obgleich die Hitze auch dort deutlich zu spüren war, war es in ihnen unleugbar kühler. Zelte standen am Rande des beachtlichen Sees und Nomaden standen am Rand der spärlichen Vegetation Wache. Dies hatte zur Folge, dass ihnen ein bärtiger, großer Mann in der braunen Tracht des Nomadenvolkes entgegenkam, als sie die ersten Ausläufer der Oase erreichten. Als er den voraus laufenden Asaru erkannte, breitete er die Arme aus. „Asaru, was verschlägt dich denn hier her? Das ist eine große, angenehme Überraschung!“ Sie begrüßten sich unter dem üblichen Austausch von Floskeln.
    „Wen hast du denn da alles mitgebracht?“, fragte der Mann, der ganz offensichtlich Hurit war.
    „Nun, du kennst sowohl Riordian als auch die anderen Angehörigen meiner Sippe“, antwortete Asaru offen. „Ich nehme an, du sprichst von den beiden Feuermagiern, die wir durch die Wüste führen? Das sind Altus und Aidan, zwei hohe Magier aus dem Kloster Nordmars. Ich weiß nicht, wie weit die Kunde darüber sich schon verbreitet hat, aber das Kloster ist angegriffen worden. Diese beiden sind vielleicht die einzigen Überlebenden und wollen nach Al Shedim, um mit Saturas Wichtiges zu diskutieren.“
    Hurit nickte ernst. „Das klingt nach schlechten Neuigkeiten. In letzter Zeit gibt es viele Überraschungen.“
    „Das sagst du doch nicht ohne Grund“, mischte Riordian, der bisher nur unbeteiligt neben den beiden Sippenführern gestanden hatte, sich in ihr Gespräch ein. „Was ist passiert?“
    Hurit senkte den Blick. „Folgt mir ins Lager. Ich werde euch erzählen, worum es geht, wenn ihr eingekehrt seid.“
    Hurit zeigte ihnen eine Stelle, an der sie ihr Gepäck ablegen konnten. Währenddessen kamen immer mehr Nomaden aus ihren Zelten und neugierig herbei. Viele der Nomaden kannten sich, obwohl sie zu unterschiedlichen Sippen gehörten, und begannen nun angeregte Gespräche. Wasser wurde herum gereicht und Kaktusblüten verteilt.
    „Riordian!“, begrüßte Vatras seinen alten Freund mit einem Lachen auf dem Gesicht. „Ich hörte von eurem Kampf gegen die Assassinen von Braga und war in Sorge um dich, weil wir kein Lebenszeichen mehr von euch hatten, seit die Assassinen die Stadt zurückerobert haben.“ Sie umarmtem sich kurz.
    „Wir konnten euch keinen Boten schicken, weil wir ins Mittelland fliehen mussten, um den Assassinen zu entgehen. Rhobar hat uns geholfen, unterzutauchen“, erklärte Riordian, ebenfalls glücklich, Vatras wiederzusehen.
    „So geht es auch ihm gut“, erkannte Vatras zufrieden. „Hurit erzählte mir von den beiden Feuermagiern. Stimmt es, dass ihr Kloster überfallen wurde?“
    „Ja“, bestätigte Riordian sofort die Neuigkeit. Seit er davon erfahren hatte, brannte er darauf, mit einem der anderen Wassermagier darüber zu sprechen. „Vielleicht haben noch zwei oder drei andere überlebt, aber der Rest wurde ganz sicher ermordet. Sie haben sogar eine Barriere beschworen, sich zu schützen, aber der Angreifer hat sie ohne Probleme überwunden, obwohl er allein war. Du ahnst bestimmt schon, um wen es geht.“
    „Um denselben, der den Gerüchten zufolge auch die große Erzschmelze des Hammerclans zum Einsturz brachte?“, hakte Vatras beunruhigt nach. Auf das Nicken seines Freundes hin, schloss er die Augen. „Dieser Teufel“, murmelte er. „Seine Pläne waren schon immer undurchsichtig, aber ich habe immer daran geglaubt, dass er auf der richtigen Seite steht. Du weißt, ich habe ihm auf der Insel Khorinis sogar geholfen, mit ihm an einem Strang gezogen. Heute plagen mich deswegen Gewissensbisse. Saturas muss von dieser Sache erfahren.“
    „Wir sind auf dem Weg zu ihm und werden ihn darüber in Kenntnis setzen“, versprach Riordian. „So Adanos will, dass Xardas aufgehalten wird, werden wir einen Weg finden, ihm auf Augenhöhe zu begegnen.“ Riordian sah auf die spiegelnde Oberfläche des Sees hinaus, als ihm noch etwas einfiel. „Hurit sagt, er habe auch schlechte Neuigkeiten. Was meinte er damit?“
    Vatras nickte düster, hob eine Hand und deutete schräg über die Quelle zu einem anderen Ufer. Dort standen drei Nomaden, mit Hellebarden bewaffnet, und bewachten etwas, das mit einer Zeltplane zugedeckt worden war. „Wir fanden ihn gestern mitsamt seinem treuen Löwen in den Dünen. Beide waren tot.“
    „Shakyor der Löwe ist tot?“, keuchte Riordian, um Fassung bemüht. „Wer hat das getan? Gibt es irgendeinen Hinweis?“
    Vatras schüttelte den Kopf. „Beide sind mit einem Schwert übel zugerichtet worden. Wir können aber weder etwas über die Anzahl der Feinde noch etwas über die Art der Schwerter sagen. Natürlich haben wir Assassinen in Verdacht. Es gibt allerdings ein Indiz, an dem wir den Täter erkennen können.“
    „Und das wäre?“
    „Der Täter muss auch den Druidenstein des Löwen haben. Shakyor hatte ihn nicht bei sich, als wir ihn fanden. Und wieso sollte sein Mörder ihn liegen gelassen haben?“
    „Das ist in der Tat eine wertvolle Spur“, stimmte Riordian zu. „Wer auch immer jetzt im Besitz des Steins ist, wird ihn früher oder später auch benutzen. Das ist der Moment, indem er sich selbst entlarvt.“
    „Davon gehen wir auch aus, aber noch ist es zu früh, um nach dem Mörder zu suchen“, sagte Vatras mit schwerer Müdigkeit in der Stimme. „Wenn sich das Licht der Abendsonne in dem Wasser der Oase spiegelt, wollen wir Shakyor die letzte Ehre erweisen und uns für all seine Taten bedanken.“

    Die Sonne stand als riesiger, glühender Kreis am Himmel und wurde schon von den Dünen am Horizont zur Hälfte verdeckt. Ein Rotschimmer lag auf allem, so auch auf der glatten Oberfläche der Quelle. Andächtig schweigend hatten sich die Sippen von Hurit und Asaru in einem Halbkreis um die Stelle am Ufer versammelt, an der ein Loch in dem heißen Wüstenboden ausgehoben worden war. Vatras stand neben dem frisch ausgehobenen Grab. Er würde die Zeremonie leiten. Riordian hatte sich unter die trauernden Nomaden gemischt. Während diejenigen, die zu Hurits Sippe gehörten, Shakyor den Löwen wirklich gekannt hatten und aufrichtige Trauer verspürten, waren die Nomaden unter Asarus Führung eher von Ehrfurcht ergriffen. Sie hatten von den Heldentaten des Wüstenwanderers mit dem Druidenstein gehört und konnten es kaum fassen, dass dieser legendäre Widerstandskämpfer gegen die Assassinen nun tot sein sollte. Zwischen ihnen fanden sich auch Altus und Aidan, die noch nicht einmal von ihm gehört hatten. Altus hatte immerhin gewusst, dass einer der Druidensteine des Waldvolks in die Hände eines Nomaden geraten war, hatte sich darum jedoch nie geschert. Sie hatten sich trotzdem der Trauergemeinde angeschlossen, da sie es pietätlos gefunden hätten, dem Ermordeten nicht die letzte Ehre zu zollen.
    „Ich finde es immer wieder befremdlich, dass die Adanosgläubigen ihre Toten vergraben“, gestand Aidan leise flüsternd. „Wieso verbrennen sie sie nicht einfach, so wie wir?“
    „Es ist jetzt nicht an der Zeit, über Glauben zu diskutieren“, ermahnte Altus ihn. „Du hast nie viel von der Welt gesehen, weil du dein ganzes Leben im Kloster verbracht hast. Du solltest nicht alles ablehnen, was dir unbekannt vorkommt. Andernfalls wird sich dein Horizont nicht erweitern.“
    Dabei beließ der ehemalige Vorsteher des Innosklosters es. Aidan grübelte noch eine Weile über diese Worte nach, doch dann erhob Vatras die Stimme. Er sprach zuerst ein Gebet zu Adanos, in das die Nomaden wie selbstverständlich einstimmten. Dann predigte er von der Vergänglichkeit und dem ewigen Kreislauf des Lebens, von wo er unmerkbar den Bogen zu Shakyor und seinen Taten schlug.
    „Wir alle haben diesem aufrichtigen Krieger Vieles zu verdanken“, fuhr der Wassermagier fort. „Er ist nie dem Blutdurst verfallen und hatte immer das Ziel, Leben zu erhalten, statt zu nehmen. So rettete er auch einen halb verhungerten und verwaisten Löwen vor dem Tod und zog ihn groß. Wir alle wissen, wie oft er Karawanen der Nomaden vor schlimmen Hinterhalten bewahrte. Selbst mir hat er einst in Lago das Leben gerettet, als ich in die Hände der Assassinen gefallen war.“
    Viele weitere Worte wurden gesprochen. Nicht nur von Vatras. Als dieser geendet hatte, trat Hurit vor und dankte dem Verstorbenen seinerseits. Er stand dabei direkt an dem in ein Leinentuch gewickelten Körper und schaute auf ihn herab. Tiefe Furchen waren dabei in sein Gesicht gegraben, stärker gezeichnet von der nun fast gänzlich untergegangenen Sonne, deren letzten Strahlen soeben verschwanden. Auf Hurit folgten noch wenige weitere Nomaden. Dann wollte keiner mehr etwas sagen.
    Mit Seilen wurde der umwickelte Körper in die Grube hinabgelassen. Ein dumpfes Geräusch sagte ihnen allen, wann er unten angekommen war. Die Nomaden erhoben einen Klagegesang und gingen zu dem Grab. Schippen wurden herumgereicht und einer nach dem anderen half dabei, den Leichnam mit Erde und Sand zu bedecken. Der Klagegesang riss nicht ab. Es war ein vielstimmiges, trauervolles Jammern. Altus und Aidan hielten sich im Hintergrund. Sie kannten das Lied nicht und wollten es sich auch nicht herausnehmen, beim Zuschütten zu helfen. Zu ihrer Verwunderung schloss Riordian sich ihrer kleinen Gruppe stillschweigend an. So standen sie in der hereingebrochenen Dunkelheit, spürten wie es allmählich kühler wurde. Lange dauerte es nicht, bis die vielen, fleißigen Hände das Loch verschlossen hatten, obwohl es so groß gewesen war, dass sowohl Shakyor als auch sein Löwe in ihm zur ewigen Ruhe gebettet worden waren. Vatras war sich sicher gewesen, dass Shakyor es so gewollt hätte.

    „Schwarzmagier Delazar zu Ishtar“, kündigte die Wache den Neuankömmling mit harter Stimme an und schlug einmal widerhallend mit seiner Hellebarde auf die Steinfliesen.
    Delazars schwarzer Umhang bauschte sich, als er durch das Tor schritt. Über ihm funkelte der Sternenhimmel. Der große Haufen Schutt war schon bedeutend geschrumpft. Offensichtlich hatte Zuben jeden Sklaven in der Stadt zum Wiederaufbau des Tempels abgestellt. Furchtlos trat er unter den strengen Blick des mächtigsten Schwarzmagiers von Varant. Er saß auf seinem Thron, auf jede Armlehne einen Unterarm gelegt und zog eine Augenbraue hoch, die unmissverständlich als ungeduldige Nachfrage zu verstehen war.
    „Alles ist nach Plan verlaufen, Meister“, kam Delazar gleich zum Punkt. „Nafalem ist in Lago angekommen und bespricht sich zu dieser Stunde mit Ugrasal, um über die Zukunft der Stadt zu entscheiden. Ich hab den Teleportstein nach Braga verwendet, um auf meinem Rückweg noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Zwischen Nerusul und Tufail scheint es bisher keine Spannungen zu geben. Ich übergab Nerusul den Teleportstein. Er wird meines Erachtens gute Verwendung für ihn finden.“
    „Hast du das Amulett?“, fragte Zuben schneidend. Es war offensichtlich, dass ihn alles andere nicht interessierte.
    Delazar fingerte fahrig an einem Lederbeutel an seinem Gürtel herum. Nachdem er die Schnur gelöst hatte, holte er ein blau schimmerndes Amulett hervor. „Hier ist das Amulett, das Ihr begehrt, Meister. Es war genau wie Tufail sagte, im Flussbett dort versteckt, wo er seiner Erzählung nach von den Orks überwältigt wurde, die später auch Lago angriffen.“
    Ein leises Lächeln kräuselte Zubens Lippen und ein triumphierender Blick streifte das Amulett. „Gib es mir. Es wird Zeit, dass ich herausfinde, welche Kräfte es besitzt.“ Gierig streckte er seine Hand aus. Delazar stolperte hastig und wenig würdevoll nach vorn. Es war einer dieser Momente, in denen Zuben selbst ihm Angst einjagte. Der machthungrige Ausdruck auf seinem Gesicht ließ nichts Gutes verheißen. Zumindest nicht für seine Feinde.
    Als Zubens Finger das Amulett berührten, leuchtete es matt auf. Delazar zog rasch seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Doch Zuben hob es sich dicht vor die Augen und musterte es ohne zu blinzeln.
    „Faszinierend“, murmelte er.
    Geändert von MiMo (09.06.2013 um 16:26 Uhr)

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    Kapitel LXXXVI
    Dunkle Wolken über Nemora


    „Wir sind da“, verkündete Torn unvermittelt und blieb stehen. Sein Blick war an den Horizont geheftet. Der befreite Sklave, der müde und erschöpft direkt hinter ihm gelaufen war, prallte aufgrund dieses plötzlichen Stopps gegen den Druiden. Dieser ließ sich jedoch keinen Anflug von Ärger anmerken.
    „Ich sehe nichts“, zweifelte Olivier mit gerunzelter Stirn an dem Wahrheitsgehalt von Torns Worten.
    Marius räusperte sich. „Nemora ist in den Erdboden hinein gebaut. Aus der Ferne ist es nicht zu sehen, weil es keine Erhebung darstellt und deswegen nicht von den es umgebenden Hochlanden zu unterscheiden ist.“
    „Wieso gehen wir nicht weiter? Ich bin hundemüde“, fragte ein ausgezehrt wirkender Sklave aus der letzten Reihe mit lahmer Stimme.
    Es war kaum verwunderlich, dass sie alle so erschöpft waren, überlegte Olivier. Zwar war erst vor wenigen Stunden die Sonne aufgegangen, doch waren sie die ganze Nacht hindurch eilig weitergelaufen, aus Furcht, dass weitere Orkpatrouillen sie fanden, ehe sie im sicheren Versteck angekommen waren.
    „Ihr könnt sofort weitergehen“, beantwortete Torn die Frage ruhig. „Doch ich werde euch hier verlassen. Ich bin mir sicher, den Rest des Weges schafft ihr auch ohne mich und ich bin nicht gewillt die Gastfreundschaft eures Königs in Anspruch zu nehmen.“
    „Aber du musst doch auch erschöpft sein!“, wandte Marius verständnislos ein. Er wollte nicht, dass der Druide ging. Eine leise Angst, Nemora ohne seine Hilfe doch zu verfehlen, war hierfür der Grund. „Komm mit uns nach Nemora, ruhe dich aus und lass dir von den Vorräten geben. Sie werden sie dir nicht verwehren, da bin ich mir sicher.“
    Olivier konnte sich vorstellen, was in dem betagten Feuermagier vorging, spürte jedoch, dass Torn nicht umzustimmen war. Eine ungeahnte Kühle hatte die Intonation des Druiden verändert, als dieser die Worte eures Königs ausgesprochen hatte. „Gibt es einen bestimmten Grund, warum du Rhobar nicht begegnen willst?“, fragte er gerade heraus.
    Der Druide wandte sich vom Horizont ab und musterte den Paladin, der seinem Blick jedoch standhielt. „Rhobar hat schon mehr als einmal Hilfe von mir bekommen. Genauso erhielt ich einst Hilfe von ihm. Ich habe ihm bereits mitgeteilt, dass ich in gewissen Punkten Zweifel an seinen Führungsqualitäten hege. Umgekehrt hat er schon versucht, mich von meiner Mission abzubringen.“
    „Mission?“, wiederholte Marius das Wort verständnislos. Auch einige Sklaven begannen zu tuscheln.
    „Ich muss meine Waldläufer rächen, die von Orks brutal ermordet worden sind“, erklärte Torn den Sachverhalt schmucklos. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Ich werde mich umgehend wieder auf die Jagd begeben. Mir Rhobars Dank anzuhören, bringt mich nicht weiter. Richtet ihm einfach Grüße von mir aus. Ich habe gerne geholfen.“ Und mit diesen Worten griff er in eine seiner Taschen und verwandelte sich im Schein eines grellen Lichts in einen Snapper. Leicht gebückt, um nicht zu weit aus dem hohen Gras zu ragen, lief das Tier mit langen Schritten davon.
    Torn hatte ihnen keine Zeit für dankende Worte gelassen. Olivier fühlte, dass er tief in der Schuld des Druiden stand. Wenn er sie nicht vor den Orks gewarnt hätte, wäre deren Überfall vermutlich erfolgreich verlaufen. Er wandte den Kopf, um dem Snapper noch eine Weile mit den Augen zu folgen, und suchte gleichzeitig die hinter ihnen liegende Graslandschaft nach orkischen Spähern ab. Doch die Luft schien rein.
    „Wollen wir uns nicht sputen, Olivier?“, drängte Marius an seiner Seite. Der Paladin nickte knapp. Und als er weiter ging, folgten der Feuermagier und die Sklaven ihm. Sie mussten auch gar nicht lange gehen, da konnten sie einen menschlichen Umriss im Schatten eines einzelnen Felsens erkennen.
    „Hoffentlich greifen sie uns nicht an“, flüsterte Marius mit einem Mal besorgt.
    „Sehen wir aus als wollten wir sie angreifen?“, erwiderte Olivier. „Außerdem besitzt keiner von uns eine Statur, die mit der eines Orks zu verwechseln wäre.“
    Tatsächlich schritt ihnen nur ein einzelner Mann entgegen, als sie in Rufweite kamen. Rasch erkannte Marius Rhobar III. wieder. Er hatte sich kaum verändert. Immer noch trug er sein Haar zu einem kleinen Zopf im Nacken zusammengebunden und rasierte sich nur unregelmäßig. Er trug immer noch dasselbe Rüstzeug wie bei ihrer ersten Begegnung, wenn auch gewiss mehrmals repariert und ausgebessert seitdem. Es handelte sich um eine Kombination aus Leder und metallischen Platten, die dafür sorgten, dass er einigermaßen geschützt und trotzdem nicht in seiner Bewegung behindert war. An seiner Hüfte hing ein Bastardschwert. Insignien eines Königs, eine rote Schärpe oder gar eine Krone, fanden Marius‘ Augen jedoch nicht.
    „Feuermagier Marius aus Geldern und Paladin Olivier aus dem Kloster von Nordmar. Ich grüße euch!“, rief Rhobar und streckte beiden die Hand entgegen. Sein wachsamer Blick ruhte auf Olivier als er sagte: „Mir wurde aufgetragen nach dir zu suchen. Das hast du mir dann wohl erspart.“ Der Paladin schien verwirrt, doch Rhobar wandte sich Marius zu. „Dir ist es also endlich gelungen, die Sklaven zu einem Aufstand zu versammeln? Sie scheinen recht zahlreich zu sein. Keine Gegenwehr von Seiten der Orks?“
    „Oh doch, die gab es!“, protestierte Marius. „Mehr als einmal mussten wir ihnen entwischen! Aber wir haben es tatsächlich alle wohlbehalten hierher geschafft.“
    „Wie habt ihr Nemora gefunden? Wenn ihr es geschafft habt, ist es auch für die Orks nicht unmöglich.“
    „Der Druide Torn wies uns den Weg. Ohne seine Hilfe hätten wir Euch gewiss nicht gefunden.“
    Diese Auskunft beruhigte Rhobar. Er war nicht erpicht darauf, dass die Orks das Rebellenversteck fanden und bisher hatte Nemora als unauffindbar gegolten. „Kommt rein“, winkte Rhobar nun allen Neuankömmlingen. „Unsere Vorräte sind groß genug um euch fürs erste satt zu machen, aber ich werde umgehend Jäger losschicken müssen.“
    „Rhobar.“ Olivier lief dicht an seiner Seite, als wolle er nicht, dass jeder ihn hörte. „Wenn du sagst, dass dir aufgetragen wurde, nach mir zu suchen, dann…“
    „Altus und Aidan waren hier. Die Teleportsteine haben sie nach Silden und Trelis verschlagen. Wie der Zufall es so wollte, war ich zur selben Zeit in der Nähe von Silden unterwegs. Und der Paladin Konrad befreite Aidan aus dem Kerker von Trelis.“
    Olivier schien beruhigt. Sie hatten jetzt den Rand des Schlundes erreicht, der Nemora beherbergte. Wege aus Holz führten um ihn herum und zu den verschiedenen Höhlen.
    „Russel, schick Jäger los. Wir brauchen mehr Fleisch“, hielt Rhobar einen in der Nähe stehenden Rebellen an, der einen Moment pikiert wirkte, dann jedoch nickte und davon watschelte.
    „Wieso ist Torn nicht mitgekommen?“, fragte Rhobar, als er eine von Fackeln beleuchtete Höhle betrat, die steil abfiel und sie offensichtlich auf eine tiefere Ebene brachte.
    „Er wollte nicht, obwohl wir ihn versucht haben, umzustimmen“, antwortete Marius. „Er wollte weiter nach Orks jagen und…“ Der Feuermagier stockte.
    „Und sich nicht wieder anhören, was ich von seinem Unterfangen halte“, beendete Rhobar den Satz. „Es ist ein Wunder, dass er noch lebt.“
    Sie traten wieder ins Sonnenlicht. Rhobar führte sie eine hölzerne Treppe zum Grund des Stollens hinab, wo sich Kisten stapelten und Fleisch an quer durch die Schlucht gespannten Leinen hing. Die Sklaven setzten sich auf ausgelegte Felle, wie Rhobar es ihnen anbot. Sie wirkten erschöpft, und auch Marius schloss sich ihnen an. Er schien die Bewegung nicht gewohnt zu sein.
    Nur Olivier blieb bei Rhobar stehen. „Wohin ist Altus aufgebrochen? Wie lange ist es her, dass er hier war?“
    „Erst wenige Tage. Er wollte nach Al Shedim“, beantwortete Rhobar seine Fragen. „Wir sollten Pyran und Dargoth zu ihm schicken, wenn wir sie fänden. Er braucht sie anscheinend. Dargoth ist in Kap Dun angekommen, konnte jedoch fliehen und in Reddock untertauchen. Ich habe bereits Boten zu ihm entsandt. Von Pyran fehlt seither jede Spur.“
    „Pyran muss in Montera, Faring, Vengard oder Ardea angekommen sein“, überlegte Olivier. „Die Teleportsteine sollten an fünf verschiedene Orte führen, das hielten die Erbauer des Klosters für am sichersten.“
    „Vengard und Ardea sind nach wie vor verlassen. Wenn er dort angekommen ist, wird er den Orks höchstwahrscheinlich entkommen sein“, sponn Rhobar den Gedanken weiter. „Aber Faring und Montera sind die wohl größten Städte der Orks. Zudem gibt es kaum nennenswerte Rebellengruppen in ihrer Nähe. Und Gotha gibt es auch noch. Früher war es eine Hochburg der Paladine. Es würde mich nicht wundern, wenn der fünfte Teleportstein Pyran dort hin verschlagen hat.“
    Olivier biss sich auf die Unterlippe. Er war froh gewesen zu hören, dass es dreien der Feuermagier gut ging. Doch Pyran war weiterhin verschwunden, was ihn besorgt stimmte. „Warum ist Altus ausgerechnet nach Al Shedim aufgebrochen?“
    „Ich denke, er möchte mit den Wassermagiern zusammenarbeiten, um Xardas aufzuhalten, bei was auch immer er plant.“ Rhobar starrte ins Leere.
    „Ich muss auch nach Al Shedim. Meine Aufgabe ist es, die Feuermagier des Klosters zu beschützen. Ich kann Altus im Land der Assassinen und Beliargläubigen nicht allein lassen.“
    Rhobar verstand, wie der Paladin sich fühlte, doch wusste er genauso gut, dass es nicht so leicht war, ihn nach Al Shedim zu bringen. „Altus und Aidan sind mit einer Sippe Nomaden mitgezogen. Nur deshalb konnten sie die Reise in die Wüste wagen. Ich habe jedoch niemanden mehr hier, der sich in Varant auskennt. Und allein solltest du diesen Weg nicht wagen.“
    Olivier wusste nichts einzuwenden und schwieg unzufrieden.

    Ein breites Grinsen huschte über Thorus Gesicht, als er das Fernrohr absetzte. Er kniete mit seinen fünf Orks im hohen Gras, das die entflohenen Sklaven und ihre Anführer so deutlich niedergetrampelt hatten, dass es kein Problem gewesen war, ihrer Spur zu Folge.
    „Hast du Nemora gesehen?“, fragte Jaroll hibbelig vor Erregung.
    „Oh ja, hab ich“, antwortete Thorus siegesgewiss und vollkommen ruhig. Jetzt hatte er Rhobar endlich in der Mangel. Jetzt würde er ihm endlich den Gnadenstoß versetzen. „Dort hinten steht eine Wache im Schatten des Felsens und dahinter gibt es eine Art Loch. Dort sind die Flüchtigen verschwunden. Es muss Nemora sein!“ Er holte eine Karte, einen Sextanten und eine Feder hervor, um das Rebellenversteck zu verzeichnen.
    „Jetzt werden Morras geschlachtet!“, brüllte Jarock, erhob sich und zog seine Axt.
    „Steck deine Axt wieder weg und duck dich gefälligst wieder hin, du Trampel!“, herrschte Tempeck ihn an. „Sollen die Morras uns sehen oder was soll das?“
    „Ich will Blut vergießen!“
    „Dein eigenes würde auch fließen, wenn wir Nemora angreifen würden“, pflichtete Thorus Tempeck bei. „Wir sind nur zu sechst. Viel zu wenige um ein Rebellenlager dieser Größe hochzunehmen. Dort residiert der amtierende König der Aufständigen. Wir müssen mit Paladinen und Feuermagiern rechnen. Nicht zuletzt mit seinem alten Kumpel Gorn.“ Tempeck strich bei der Erinnerung an den schwarzen Krieger ein amüsiertes Grinsen über die Lippen.
    Thorus setzte ein kleines Kreuz auf der Karte. „Wir haben es hier mit Neu-Vengard zu tun. Wir werden nach Trelis gehen und Vak um Verstärkung bitten. Mit einem guten Trupp Krieger nehmen wir dann das Rebellenversteck hoch. Sie sitzen in ihrem Stollen wie eine Riesenratte in ihrem Loch – in der Falle!“
    „Aber dann wird Vak die ganzen Lorbeeren für sich einheimsen“, wandte Barrack ebenfalls enttäuscht ein.
    „Vak selbst kommt nicht mit“, widersprach Thorus. „Wir leihen uns nur seine Krieger. Wir wissen, wo Nemora liegt. Wir haben die Karten in der Hand. Wir werden bestimmen, wer mit uns kommt. Wir werden die Schlacht gegen Nemora siegreich anführen und den Ruhm dafür einheimsen!“
    Geändert von MiMo (09.06.2013 um 16:29 Uhr)

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    Kapitel LXXXVII
    Grund zu kämpfen


    Ein starker Wind warf ihnen Schnee und Eis in die der Kälte ungeschützt ausgesetzten Gesichter. Frithjof und seine Krieger vom Feuerclan standen am höchsten Punkt eines Passes der im ganzen Land nur der Säbelzahnspalt genannt wurde. Die Sonne war erst vor wenigen Minuten hinter ferneren Gebirgsketten verschwunden und die Temperatur fiel rasch. Lee wusste, dass sie lieber schnell eine Höhle aufsuchen sollten, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, zu erfrieren. Dies hatte er Frithjof auch mitgeteilt, doch seit sie die Kuppe des Passes erreicht hatten, war das Thema Höhle vom Tisch als hätte der scharfe Wind es mit sich genommen. Vier Zelte mit orkischer Bemalung waren am Rande des weiteren Weges zwischen den Tannen aufgeschlagen. Zwischen ihnen eine noch dampfende Feuerstelle.
    „Dann beginnt das Ende der Orks wohl genau hier!“, tönte Kalan gegen das Brausen des aufziehenden Sturms und bestätigte damit Lees schlimmste Befürchtungen.
    „Wir waren uns einig, dass es keinen Sinn macht die Orks in Nordmar zu bekämpfen, solange sie noch das Mittelland beherrschen“, erinnerte Lee ihn erbarmungslos. Seine Stimme war trotz des Lärms der Natur gut zu vernehmen. Er war es gewohnt Befehle in den unmöglichsten und lautesten Situationen zu erteilen.
    „Das sind nur vier Zelte!“, warf ein anderer Nordmarer mit krächzender Stimme ein.
    „Nur ein toter Ork ist ein guter Ork!“
    „Wenn wir sie jetzt erledigen“, erhob Osmund die Stimme. „haben wir im Kampf um Nordmar ein Dutzend Feinde weniger!“
    Frithjof tauschte einen Blick mit Lee. Dem Myrtaner war anzusehen, dass er diese Orks auf keinen Fall angreifen wollte. Frithjof jedoch schien abzuwägen. „Sie sind uns zahlenmäßig unterlegen und werden zudem überrascht. Ich glaube nicht, dass es etwas ausmacht, sie anzugreifen!“, rief der Anführer des Kriegszugs seinem Adjutanten ins Ohr.
    Lee wünschte, er hätte einen ruhigen Raum mit einem angenehm prasselnden Feuer und genügend Zeit. Dann, da war er sich sicher, hätte er all diese Männer von seiner Meinung überzeugen können, doch die Witterung ließ keine langen Gespräche zu. Und die vorfreudig an ihren Waffen herumfingernden Kriegszugteilnehmer wirkten nicht, als hätten sie die geringste Lust ihren Standpunkt noch einmal zu überdenken.
    Lee wollte entnervt den Kopf schütteln. Sobald es um Orks ging, wurden aus den ehrenvollen, gläubigen Kriegern des Feuerclans blutrünstige Barbaren ohne Sinn und Verstand. „Frithjof, das kannst du nicht verantworten. Du bringst deine Männer sinnlos in Gefahr. Selbst wenn wir den Kampf alle heil überstehen, wirst du nichts erreicht haben!“
    Frithjof seufzte schwer. Immerhin ein Zeichen dafür, dass er Lee verstanden hatte. „Als Anführer dieses Kriegszuges muss ich auch für die Motivation meiner Männer sorgen!“, rief er gegen ein erneutes Anschwellen des Windes an und wandte sich von Lee ab. Diesem wurde bewusst, dass er seine Nase nicht mehr spürte. Frithjof schrie etwas gegen den Wind, das die anderen Nordmarer nur noch mehr anspornte. Lee schüttelte stumm mit dem Kopf und versuchte mit seinen Handschuhen seine Nase wieder aufzuwärmen.
    Lee beobachtete wie Frithjof sie in Gruppen einteilte. Vier Nordmarer holten Fackeln aus ihren Rucksäcken. Das Gepäck wurde gesammelt, zwei Wachen dazu abbestellt es zu bewachen; darunter Kalan, der ja schließlich Schmied und kein Krieger war. Das gefiel Lee nicht. Schließlich beschwor Frithjof einen Feuerball herauf, an dem die Fackeln entzündet wurden. Es dauerte eine Weile, bis sie dem Wind standhielten. Viel Zeit durfte jetzt nicht mehr vergehen, ehe der Angriff erfolgte. Frithjof winkte Lee, während die anderen ihre Waffen zogen und ausschwärmten. Dieses Angriffsmuster beherrschte jeder Nordmarer im Schlaf. Lee überlegte, dass die Orks es vermutlich auswendig kannten. In großen Bögen liefen die Nordmarer auf die Zelte zu, hielten jedoch gebührend Abstand, um nicht von der in eine dicke Decke gewickelten Wache bemerkt zu werden, die zwischen ihnen saß und missmutig in der Feuerstelle herumstocherte.
    Lee hielt sich an Frithjof, der sich nicht den vier Gruppen angeschlossen hatte. Er formte einen Feuerball. Selbst diese hell leuchtende Lichtquelle bemerkte der Orkwächter nicht. Er schien ganz und gar mit der Feuerstelle beschäftigt.
    „Nun zieh endlich deine Axt, Bruder!“, rief Frithjof laut und doch kaum verständlich. Der Wind toste und der Schnee war stärker geworden. Lee wusste, dass magische Geschosse von Wind kaum beeinflusst wurden, da sie keinen festen Körper besaßen. Widerwillig griff er nach seinem Langschwert. Frithjof schien nicht daran gedacht zu haben, dass er noch immer mit seiner alten Waffe aus der myrtanischen Armee kämpfte.
    Der Feuerball flog durch die Bäume. Schnurgerade zog das leuchtende Geschoss den lodernden Schweif hinter sich her. Der Ork sah hoch, doch es war zu spät. Die Flammen schlugen auf seiner Brust ein und setzten die Decke in Brand, in die er gehüllt war. Er brüllte und sprang auf. Von allen Seiten kamen nun die Fackelträger herbei und rammten sie in die gegerbten Zeltplanen. Nur zwei Fackeln hatten dem Wind lange genug standgehalten, doch keines der Zelte begann lichterloh zu brennen, wie sie es geplant hatten. Vermutlich waren sie schon vollkommen durchnässt von dem anhaltenden Schneefall.
    Trotzdem sah es nicht schlecht aus für die Nordmarer. Die knapp zwanzig Krieger waren zwischen den Zelten, noch bevor ein Ork aus ihnen hervorgekommen war. Der mit seiner brennenden Decke beschäftigten Wache hatte man den Kopf gespalten und ihr Blut ergoss sich in die schwarze Feuerstelle. Mit ihren riesigen Äxten schlugen die Männer auf die Zelte ein, zerfetzten sie und zerschlugen das Gestänge. Die sich darunter regenden Orks waren im Schlaf überrascht worden und griffen offensichtlich in Panik nach den Waffen. Nur hie und da gelang es einem rechtzeitig seine Axt zu haschen, um nicht kampflos zu sterben.
    Lee, der immer noch in großer Entfernung zu den Zelten stand, den Zweihänder zu Boden gerichtet, war beinahe angeekelt von diesem Überfall. Das hatte nichts mehr mit einem ehrenhaften Kampf zu tun.
    Ein Ork brüllte zornig auf. Ein menschlicher, lang gezogener, gequälter Schrei folgte. Blut spritzte in alle Richtungen, als der Ork mit seiner Axt um seine eigene Achse rotierte, um so viele Menschen wie möglich zu erwischen.
    Frithjof fluchte, konnte mit seinem Feuerball aber nicht in das Kampfgetümmel schießen ohne seine eigenen Männer zu gefährden. Lee stürmte los. Er hatte recht behalten. Nun hatten einige wenige für den Fehler gebüßt, den Frithjof begangen hatte. Ob dieser sich dessen bewusst war oder nicht, konnte Lee noch nicht sagen. Er musste sich jetzt darauf konzentrieren, dass nicht noch mehr Männer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Es war viel Blut gespritzt. Zu viel als dass alle überlebt haben konnten. Da war er sich sicher.
    Die Nordmarer hatten einen Kreis um den wehrhaften Ork gebildet, der als einziger seines Lager noch lebte. Die verstümmelten Leichen der übrigen Orks lagen in den gefledderten Zelten zu ihren Füßen oder der verbrannten Decke.
    „Macht Frithjof Platz!“, schrie er den anderen schon aus der Entfernung zu. Sofort gehorchten sie, offensichtlich geschockt von der jähen Gegenwehr des Orks, als wäre ihr Traum zu einem Albtraum geworden. Die Reihen der Nordmarer lichteten sich und gaben den Ork frei. Lee sprang zur Seite, um ebenfalls aus der Schusslinie zu sein.
    Nur Sekunden später fauchte der Feuerball durch die Dunkelheit, traf den entsetzten Ork und verkohlte seine grünen Haare. Osmund sprang direkt hinter den mit den Flammen kämpfenden Koloss und rammte ihm seine Axt ins Rückgrat. Gurgelnd fiel der Ork auf die Knie und schließlich der Länge nach in den dicken Schnee. Die Flammen wurden erstickt, doch die Axt war durch sein Mark gedrungen und hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. Sich qualvoll windend verendete der Ork in ihrer Mitte. Doch Lee scherte er nicht mehr. Er suchte die Leichen um ihn herum ab. Drei Nordmarer lagen regungslos und mit aufgeschlitztem Brustpanzer im Schnee, die Gesichter weiß und die Augen qualerfüllt. Einer von ihnen brabbelte noch vor sich hin und stöhnte, während dickes, rotes Blut aus der großen Wunde entlang seines Schlüsselbeins lief.
    Lee spürte ängstliche Blicke in seine Richtung wandern. Er funkelte ergrimmt zurück. Er musste an Kalan denken, der als erster die Idee laut ausgesprochen hatte, das Lager anzugreifen, und oben bei dem Gepäck zurückgeblieben war.
    „Das habt ihr nun davon“, stieß Lee hervor. „Es wäre nicht nötig gewesen diese Orks zu töten. Ihr Tod wird keinem etwas bringen. Es war ein Tropfen auf den heißen Stein, für den ihr drei eurer Brüder geopfert habt.“ Der sich noch windende Nordmar atmete ein letztes Mal rasselnd, dann fiel seine verkrampft auf die Schulterwunde gepresste Hand schlaff in den Schnee.
    „Reg dich nicht auf, Lee“, hörte er Frithjofs Stimme dicht hinter ihm. Er spürte wie ihm eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Ironischerweise hatte der Wind an Stärke verloren und war nun nur noch eine steife Brise, die ihnen tanzende Flocken durchs Sichtfeld trieb. „Es konnte keiner ahnen, dass es so kommt.“ Lee zitterte vor unterdrückter Wut und riss sich von der Hand los. Schwungvoll ließ er sein Langschwert zurück in die Scheide gleiten und stapfte zwischen die Tannenstämme, um sich zu beruhigen.
    Geändert von MiMo (09.06.2013 um 17:17 Uhr)

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    Kapitel LXXXVIII
    Von Kühen und Feuermagiern


    „Wann sind wir endlich da?“, jammerte einer von Masons Jungs lustlos.
    „Es ist nicht mehr weit“, antwortete Hengley, während er sich von einer Dornenranke befreite, die sich in seinem Ärmel verhakt hatte. Die Bäume standen dicht und das Unterholz wucherte hoch, sodass um sie herum nur dämmriges Licht herrschte. Der Weg war so schmal, dass sie nur hintereinander gehen konnten.
    „Kein Wunder, dass Reddock immer noch nicht gefunden wurde“, rief Mason. „Die Bäume stehen so dicht, dass man die Kühe nicht sehen kann.“ Er legte die Stirn in Falten. „Reddock hat doch Kühe, oder?“
    Niemand schien es für nötig zu halten, auf diese Frage zu antworten. Stattdessen sagte Milten: „Der Wald ist wirklich ein vortreffliches Versteck. Man sieht Reddock erst, wenn man schon direkt davor steht. Und auf den vielen Wildpfaden kann man sich schnell verlaufen. Es ist wie ein natürlicher Irrgarten.“
    „Der Wald hat aber nicht nur Vorteile“, fügte Thordir hinzu. „Man sieht seine Feinde erst, wenn es zu spät ist.“
    „Hören tut man sie aber früh genug!“, rief plötzlich eine dröhnende Stimme und ließ sie alle zusammenzucken. Daryl bemerkte die Bewegung hinter sich zu spät, schon spürte er eine Klinge an seinem Hals. Für einen Moment herrschte Totenstille, während alle starr vor Schreck den hinter ihnen aufgetauchten Mann taxierten. Alle außer Daryl, der es sich mit dem Schwert an seiner Haut nicht leisten konnte, sich umzudrehen. Doch an den nun erleichterten Gesichtern seiner Kameraden konnte er ablesen, dass er nicht in so großer Gefahr schwebte, wie es ihm zunächst erschienen war.
    „Das ist nicht witzig, Gelford!“, rief Hengley anklagend.
    Gelford, der breitschultrige Mann mit der robusten Stahlrüstung, der in Reddock für die Wachen zuständig war, lachte kernig. Er steckte sein Schwert weg. „Ich dachte, ihr könntet eine kleine Lektion gebrauchen. Trampelt durchs Unterholz wie eine Horde Ripper und unterhaltet euch dabei auch noch in einer Lautstärke, dass selbst die Jungs unten in den Höhlen euch kommen hören. Und der Letzte“, er knuffte Daryl hart gegen die Schulter, „hat auf seine Deckung zu achten, sonst ist im Ernstfall die ganze Gruppe am Arsch!“ Wieder lachte er.
    „Du bist aber auch nicht gerade leise“, grummelte Daryl, während er sich seinen Hals rieb.
    „Seid gegrüßt, Feuermagier“, wandte sich Gelford nun Milten zu, der inmitten in ihrer Reihe stand und von dem sehr viel größeren Thordir fast vollständig verdeckt wurde.
    „Seid gegrüßt, Gelford“, erwiderte Milten den Gruß höflich.
    „Seid gegrüßt, Fremder“, erhob Mason die Stimme. „Ich bin Mason. Ich ließ die Kühe der Orks vor Montera monatelang nicht aus den Augen. Doch nun haben die Kühe gewonnen und ich musste meinen Posten aufgeben.“ Seine drei Männer nickten nur halbherzig. Sie hatten bislang kaum ein Wort geredet und wirkten unverändert erschöpft, weshalb sie sich auch noch niemandem vorgestellt hatten.
    Gelford schien kurz zu überlegen, was er darauf erwidern sollte, entschied sich dann aber einfach nichts zu sagen, außer: „Nun denn, Hengley. Zeit, die Füße wieder in Bewegung zu setzen.“
    Hengley tat wie ihm geheißen. Schon nach wenigen Minuten erreichten sie den Rand einer Senke, in der zwischen drei Hütten ein kleines Feuer brannte, über dem einige Keulen Fleisch gegart wurden. Gelford berichtete den Wachen kurz, dass es keinen Grund zur Besorgnis gab, dann nahmen sie den Höhleneingang, der sie ins Herz von Reddock führte. Gelford hatte sich an dem Lagerfeuer eine Fackel entzündet und ging neben Milten.
    „In letzter Zeit sind Feuermagier ungewöhnlich oft Gäste in Reddock“, eröffnete der Hauptmann das Gespräch. Hengley, Daryl und Thordir warfen sich einen Blick zu. Letztes Mal hatte Gelford sie herzlich willkommen geheißen, doch dieses Mal, mit einem Feuermagier in ihrer Begleitung, schienen sie für ihn nicht mehr zu sein als Luft.
    „König Rhobar wurde berichtet, dass der Feuermagier Dargoth aus dem Kloster von Nordmar hier in Reddock untergekommen ist. Wir müssen ihm etwas vom König ausrichten und erbitten darum eure Gastfreundschaft“, berichtete Milten.
    „Die wird Javier euch gewähren, darauf könnt Ihr Euch verlassen, ähm…“
    „Milten.“
    „Meister Milten.“
    „Milten reicht vollkommen.“
    „Hör mal Gelford“, mischte sich nun Mason ins Gespräch ein. „Wie viele Kühe beobachtet Reddock gegenwärtig? Ich seh schon, ihr habt hier jede Menge Männer. Damit könnt ihr bestimmt fünfzig Kühe gleichzeitig kontrollieren, nicht wahr?“
    Nun warf Gelford tatsächlich einen fragenden Blick zu Hengley hinüber, doch der zuckte bloß mit den Achseln. Niemand von ihnen hatte herausfinden können, warum Mason unablässig von Kühen redete. Daryl hatte bloß gemeint, dass es früher noch nicht ganz so schlimm gewesen war.
    „Kühe spielen für die Orks in Kap Dun keine so große Rolle, Mason. Die Stadt liegt direkt am Meer und in den Wäldern gibt es viel Wild, verstehst du?“, antwortete Gelford bemüht freundlich.
    Mason warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Aber die Kühe! Was ist mit den Kühen? Weißt du nicht, wie groß Kühe sind? Die sind viel größer als Fische! Darum kommt es auf die Kühe an.“
    Sie erreichten die Haupthöhle und der Anblick lenkte Mason von seinem Gespräch ab. Auf einem schmalen Weg entlang der Höhlenwand stiegen sie zum Grund der Höhle herab, wo mehrere Bänke zu Grüppchen zusammengestellt waren. Vor einer Hütte entdeckte Hengley den Paladin Javier in seiner Rüstung, neben ihm drei Feuermagier.
    „Drei?“, war es auch Milten sofort aufgefallen.
    „Gelford, zeig uns doch schon mal, wo wir schlafen können“, rief Thordir und schlang einen Arm um Mason. „Wir sind von der Reise ziemlich erschöpft.“
    „Ach, ihr könnt dieselbe Höhle nehmen wie beim letzten Mal. Das wird zwar ein bisschen eng zu acht, aber dann habt ihr es wenigstens schön warm.“
    „Ich hab ganz vergessen, wo wir letztes Mal geschlafen haben“, fügte Thordir nachdrücklich hinzu.
    Endlich schien Gelford zu verstehen. „Ach so, ja dann. Kommt, Männer, ich zeig euch eure Betten!“
    Thordir ging mit Mason voran und die anderen von der Monterabelagerung folgten schlurfend. Im Vorbeigehen zischte Thordir noch Hengley ins Ohr: „Ich hab was gut bei dir!“
    Milten, Hengley und Daryl setzten sich zu Javier ans Feuer, der sie freudig überrascht begrüßte. Im Gegensatz zu Gelford wandte er sich nach Milten auch Hengley und Daryl zu. „Hätte nicht gedacht, dass ich euch beiden hier so schnell wiedersehe. Wie ist es gelaufen? Konntet ihr das Zepter überbringen?“
    „Das Zepter hat König Rhobar unbeschadet erreicht“, berichtete Hengley nicht ohne einen gewissen Stolz.
    „Sehr schön! Tut gut, endlich mal wieder gute Neuigkeiten zu hören.“ Javier trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf die drei Feuermagier frei. „Meister Milten? Ich freue mich, Euch mit gleich dreien eurer Ordensbrüder bekannt machen zu dürfen. Dies ist Meister Sebastian, der seit Gründung von Reddock unermüdlich mit uns zusammenarbeitet. Und hier…“
    „Wir kennen uns bereits“, unterbrach Milten den übereifrigen Paladin. „Vor dem Fall der Barriere von Vengard studierte ich im Kloster von Nordmar. Ich hatte nicht gedacht, dass wir auch dich hier antreffen, Pyran.“
    Der Feuermagier neben Dargoth lächelte verschmitzt. „Ja, ich hatte auch nicht erwartet, so schnell wieder bekannte Gesichter zu sehen, hab ich das Kloster doch seit über zwanzig Jahren nicht mehr verlassen. Klein ist die Welt.“
    „Ist er der Meister Pyran?“, entfuhr es Daryl ungläubig.
    „Der bin ich“, bestätigte er selbst. „Dargoth hat mir bereits erzählt, dass die traurige Geschichte von unserem Kloster bereits an die Ohren des Königs gelangt sein müsste. Ich bin einer der fünf, denen es vergönnt war, Xardas mit einem Teleportstein zu entkommen.“
    „Wir haben euren Hochmagier getroffen!“, platzte es aus Hengley heraus. Dargoth und Pyran starrten ihn wie vom Donner gerührt an. „Altus und Aidan waren bis zum unseren Aufbruch in Nemora. Sie werden von einer Sippe Nomaden über den Pass geleitet und wollen sich in Al Shedim mit dem obersten Wassermagier beraten.“
    „Ist das wahr?“, fragte Dargoth und Tränen schienen plötzlich in seinen Augen zu glitzern. „Altus und Aidan haben es auch geschafft?“
    „Hengley sagt nichts als die Wahrheit“, bestätigte Milten, von der Freude des alten Bibliothekars gerührt. „Es geht ihnen gut und sie schmieden bereits Pläne, um Xardas‘ Machenschaften ein Ende zu setzen.“
    „Dann müssen wir sofort zu ihnen!“, rief Pyran und erhob sich von seiner Bank. „Wenn die Gemeinschaft unseres Klosters an einem Gegenschlag arbeitet, will ich hier auf keinen Fall tatenlos rumsitzen! All die Novizen, die er getötet hat. Er darf auf keinen Fall ungeschoren davon kommen!“
    „Wir müssen ihm noch kräftig die Leviten lesen!“, beteuerte auch Dargoth und wischte sich rasch die Tränen aus den Augen.
    „Beruhigt euch erstmal, dann erzählen wir euch alles ganz genau“, erwiderte Milten beschwichtigend. „Rhobar hat uns geschickt, um euch nach Al Shedim zu geleiten.“
    Trotz Miltens Aufforderung konnten Dargoth und Pyran sich kaum auf ihrer Bank halten, während Milten, Hengley und Daryl alles erzählten, was sie über den Verbleib der Klosterbewohner wussten. Javier und Sebastian lauschten interessiert, unterbrachen die Erzählungen aber nicht. Im Stillen war Hengley Thordir tatsächlich dankbar, dass er sich um Mason gekümmert hatte. Ständige Nachfragen zu nicht existenten Kühen hätten das Gespräch in der Tat unnötig verkompliziert. Als sie geendet hatten, saßen die beiden Feuermagier aus Nordmar still da und wussten nicht, was sie zu all dem sagen sollten. „Ich bin so froh, dass wenigstens wir mit heiler Haut davon gekommen sind“, seufzte Dargoth. „Nur Olivier… Aber er wird es schon geschafft haben.“

    Hengley hätte sich lieber ein bisschen ausgeruht, nachdem er gerade erst die weite Reise aus Nemora hinter sich gebracht hatte. Doch der Tatendrang von Dargoth und Pyran kannte keine Grenzen und so hatte er sich breitschlagen lassen, schon in aller Frühe aufzubrechen. Nur Milten, Daryl, Javier und Sebastian waren mit ihnen aufgestanden, um sich an einem der Ausgänge von Reddock von ihnen zu verabschieden. Unter den dichten Baumwipfeln war es noch finster.
    „Pass auf dich auf“, sagte Daryl ungewohnt herzlich und schloss Hengley in eine grobe Umarmung. Zweimal hatten sie gemeinsam Myrtana durchwandert, nun sollten sich ihre Wege vorerst trennen. Auch Hengley fiel der Abschied schwer, obwohl er sich nie bewusst geworden war, wie sehr die gemeinsame Zeit sie zusammengeschweißt hatte.
    Die Feuermagier hatten ihre Hände in die weiten Ärmel ihrer Kutten gesteckt und neigten leicht den Kopf voreinander. Milten ein Stück tiefer als die anderen, obwohl nur Dargoth sein hohes Alter vorschieben konnte. „Geht mit dem Segen Innos und entrichtet Altus und Aidan meine Grüße“, sagte Milten förmlich.
    „Wir werden unser Möglichstes tun“, antwortete Pyran. „Und du richte dem König aus, dass wir ihm dankbar sind für seine Hilfe. Und dass er sich um mich nicht mehr zu sorgen braucht.“
    „Ist es okay, dass wir Mason und seine Jungs mitgebracht haben?“, wandte Hengley sich an Javier.
    Der winkte mit einem Lächeln ab. „Reddock kann immer gute Männer gebrauchen.“ Hengley runzelte die Stirn. „Und auch weniger gute. Mach dir darum mal keinen Kopf!“, fügte Javier hinzu und legte seine Hand auf Hengleys Schulter. „Konzentrier du dich nun lieber auf deine Aufgabe. Der König hat dir das Leben eines Feuermagiers anvertraut, und wir haben deine Last auch noch verdoppelt. Du bist kein Paladin und bist nicht einmal zur Garde ausgebildet. Sei dir deiner Schwächen bewusst und nutze deine Stärken. Dann wirst du sie schon sicher an ihr Ziel bringen.“ Hengley nickte langsam. „In Ardea gab es früher unzählige Fischerboote. Ihr findet bestimmt eines, dass es noch ein letztes Mal über die Meerenge schafft, auch wenn sie jetzt schon länger Wind und Wetter ausgesetzt sind. Mehr Tipps kann ich euch leider nicht geben. Ich war noch nie in Varant.“
    „Lasst euch nicht von den Orks erwischen“, fügte Daryl hinzu.
    „Wär ich gar nicht von selbst drauf gekommen“, entgegnete Hengley neckend. Dann wandte er sich ab und betrat gefolgt von Dargoth und Pyran einen der schmalen Pfade durch das Unterholz des Waldes. Als er einen Blick zurück warf, war von seinen Freunden und Reddock schon nichts mehr zu sehen. Es hatte keinen Sinn, zurückzublicken. Er musste nach vorn schauen.

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    Kapitel LXXXIX
    Die Rückkehr des schwarzen Kriegers


    Er trat in den langen Schatten, den die Burgmauern in der untergehenden Sonne warfen. Unwillkürlich sah er auf zu den Zinnen der imposanten Wehranlage. Der Anblick löste gemischte Gefühle in ihm aus. Einst hatte er selbst das Tor bewacht, vor dem nun zwei gelbhäutige Orks standen. Er hatte sich darauf gefasst gemacht, dass er von ihnen aufgehalten wurden, dass es zu Diskussionen kam. Doch sie konnten einfach passieren. Die beiden Orks verzogen keine Miene, musterten sie nicht einmal.
    Er spuckte aus, kaum dass er den Burghof betreten hatte. Sie hatten ihn vergessen. Es konnte nicht viele Wochen her sein, dass sie ihre Äxte gezogen und ihn einen Verräter genannt hätten. Ihn der als einfache Wache unter ihnen angefangen hatte und sich zu einem der angesehensten Orksöldner hochgearbeitet hatte. Er war desertiert und hatte darum keine freundliche Behandlung erwartet. Sein Umgang mit den Orks war ohnehin immer rauh gewesen. Sie akzeptierten keinen Menschen in ihren Reihen, der seine weiche Seite offen zeigte. Es war ihm nicht mal schwer gefallen, den Orks Respekt abzunötigen. Er hatte seine weiche Seite schon vor langer Zeit abgelegt. In der Minenkolonie von Khorinis.
    Mit einer Geste seiner Hand entließ Thorus die fünf Orks, die ihm heute ohne Murren gefolgt waren. Sie waren den ganzen Tag marschiert, doch jeder von ihnen wusste, dass sie etwas geschafft hatten dass den Kriegsverlauf nachhaltig ändern würde. Er war ebenso erschöpft wie sie, doch er durfte sich noch nicht zur Ruhe legen.
    Allein trat Thorus vor das Haupttor der Burg und wie erwartet kreuzten die beiden Wachen dieses Mal ihre Hellebarden vor ihm. „Hier darf kein Morra rein“, stellte die linke Wache klar.
    „Meld dich bei deinesgleichen, wenn du Arbeit suchst“, fügte die andere hinzu.
    „Es gibt genau einen Menschen, der Zutritt zu diesen Räumlichkeiten hat“, widersprach Thorus und sah den beiden Orks nacheinander direkt in die Augen. „Und der steht vor euch.“
    Die Wachen tauschten einen kurzen Blick. Dass sie nicht überzeugt waren, erkannte Thorus sofort. Er war sich nicht sicher, da selbst er die Orks nur schwer auseinanderhalten konnte, doch schienen die beiden erst nach seinem Fortgang nach Trelis gekommen zu sein. Vielleicht hatten sie wirklich noch nichts von ihm gehört. „Ich habe Nemora gefunden. Also lasst mich zu Vak, damit ich ihm die Lage erklären kann.“
    Wieder tauschten die Wachen einen Blick. Dieses Mal länger. Thorus war klar, dass er nicht der erste war, der behauptete, Nemora gefunden zu haben. Einzig und allein sein Auftreten hatte wohl verhindert, dass er ausgelacht wurde.
    „Hast du einen Beweis für deine Worte, Morra?“, fragte die rechte Wache grimmig. „Denn sonst kannst du dich gleich wieder davon machen.“
    „Die Frage ist doch, ob ihr es euch leisten könnt, mir nicht zu glauben, wenn ich die Wahrheit sage.“ Der linken Wache klappte der Kiefer herunter, sodass sie mit offen stehendem Maul einfältig dreinblickte. Doch ehe sie etwas sagen konnte, murrte wieder die rechte Wache: „Sag uns, wo sich dein Nemora befindet, dann schicken wir ein paar Jäger los, um deine Lügen zu enttarnen. Und wehe, du bist dann noch in Trelis, Morra. Dann wirst du es nicht mehr lebendig verlassen. Vak versteht da keinen Spaß.“
    „Vak versteht keinen Spaß, ja“, stimmte Thorus zu. „Darum glaube ich auch nicht, dass er herzhaft lachen wird, wenn er erfährt, dass ihr mich abgewiesen habt. Ich bin der Mann, der bei euch als der schwarze Krieger bekannt ist. Und wenn ich sage, dass ich das größte Rebellenversteck Myrtanas gefunden habe, dann ist das auch so.“
    „Das könnte er wirklich sein. Das ist der schwarze Krieger!“, zischte die linke Wache aufgeregt.
    „Wenn du tatsächlich dieser Morra bist, dann bist du ein Deserteur“, brummte die rechte Wache. „Man wird dich in viele kleine Teile hacken und den Fischen zum Fraß vorwerfen.“
    Thorus zog sein Schwert beiläufig. Er tat es ohne Hast, mit eindrucksvoller Gelassenheit. „Wenn du mich in euren Kerker stecken willst, werde ich mich wehren. Und nachdem ich euch beide zu Boden geschickt habe, werde ich durch diese Tür gehen und mit Vak sprechen. Ihr habt die Wahl, ob ihr diesen Moment noch miterlebt oder nicht.“
    „Wenn du uns angreifst, werden uns alle Orks in Trelis zu Hilfe kommen“, entgegnete die rechte Wache und verengte die Augen.
    „Ihr seid zu zweit gegen einen einzelnen Menschen und braucht trotzdem noch Hilfe? Der Stolz eurer Rasse scheint an euch vorübergegangen zu sein.“
    „Du wagst es…“
    „Schluss damit!“ Das Tor hatte sich geöffnet. Kamak, der Schamane, stand in dem Spalt. Vor dem Fackellicht des Korridors hinter ihm konnte man nicht viel mehr als seine Silhouette erkennen. Die beiden Wachen nahmen sofort ihre Hellebarden zurück und neigten den Kopf. Doch Kamak beachtete sie gar nicht. Er sah Thorus tief in die schwarzen Augen. „Ich wusste, dass du wieder kommst. Steck dein Schwert weg und komm mit.“
    Thorus tat wie ihm geheißen. Die beiden Wachen würdigte er keines weiteren Blickes. Solche Krieger strafte man am besten mit Ignoranz. Schweigend folgte er dem Schamanen den vertrauten Gang entlang. Die weißen Wolfsfelle, in die er gekleidet war, schienen im Dunkeln zu leuchten. Kamak öffnete eine Flügeltür und trat ein in Vaks Räumlichkeiten.
    „Der schwarze Krieger ist zurückgekehrt“, schaffte Kamak gerade noch zu sagen, bevor Thorus auch schon an ihm vorbei in die Mitte des Raums trat.
    Vak erhob sich abrupt von seinem Lehnstuhl. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Dass du dich hier noch einmal Blicken lässt!“, grollte der Feldherr. „Du gehörst aufgeschlitzt für deinen Verrat!“
    „Ich habe dich nie verraten, Vak. Ich habe mir lediglich die Freiheit genommen, die ich brauchte, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen. Du hast mir keine andere Wahl gelassen.“
    „Du hast deinen Posten verlassen und auch noch drei unserer besten Orks mitgenommen. Das ist nicht zu entschuldigen. Sind Tempeck, Milok und Kapotth auch zurück?“
    „Nur Tempeck ist von unserer Reise zurückgekehrt. Milok und Kapotth starben in einem ehrenhaften Kampf mit den Männern des Rebellenkönigs.“
    Vak brüllte auf vor Wut. Er griff nach der Axt, die er hinter sich an die Wand gelehnt hatte. „Ich hab dir doch gesagt, dass du dableiben sollst. Und stattdessen führst du meine Brüder in den sicheren Tod? Ich spucke auf dich, Thorus!“
    „Sie sind nicht umsonst gestorben. Ich habe Nemora gefunden.“
    Diese vier Worten hatten eine gewaltige Wirkung. Vak erstarrte mitten in der Bewegung. Kamak löste seine Arme aus einer Verschränkung.
    „Ich habe das größte Rebellenversteck Myrtanas gefunden und bin guter Hoffnung, dass sich auch Rhobar III. dort aufhält. Ich bin hier um auf meinen alten Posten zurückzukehren und dich um genügend Krieger zu bitten, um jeden Mann in Nemora und insbesondere Rhobar einen grausamen Tod sterben zu lassen.“
    „Ich gebe dir ganz bestimmt keine Krieger mehr mit. Du sagst mir, wo sich Nemora befindet und ich sorge dafür, dass dein Verrat in Vergessenheit gerät.“
    „Wenn ich Nemora vernichte, wird niemand mehr über meinen Fortgang sprechen, das weißt du genau. Ich lasse nicht zu, dass du die Lorbeeren für meine Arbeit einstreichst, Vak.“
    „Du hast deine Entdeckung mit dem Leben meiner Männer bezahlt“, widersprach Vak. Nun schwang wieder ein drohender Unterton in seiner Stimme mit.
    Thorus war froh gewesen, dass Vak ihm sofort geglaubt hatte, dass er Nemora gefunden hatte, doch nun gestaltete sich das Gespräch ganz und gar nicht nach seinen Vorstellungen. „Du hast die Wahl. Entweder nehme ich Nemora mit deinen Männern und auf deinen Befehl hin ein, oder aber ich ziehe weiter und such mir woanders Krieger, die mich unterstützen. Dann gehst du leer aus.“
    Vaks Mundwinkel verzogen sich, als hätte er einen bitteren Geschmack auf der Zunge. „Du wärst selbst für einen Ork zu stolz. Man muss wissen, wo man steht. Du verlangst zu viel. Ich kann einem Verräter nicht das Kommando über meine Krieger geben. Du könntest genauso gut mit den Rebellen unter einer Decke stecken und sie in einen Hinterhalt führen.
    Thorus war nicht gekommen, um Vak auf Knien anzubetteln. Er wandte sich ab und ging den langen Korridor zurück. Im Umdrehen sah er noch Kamak, auf dessen Stirn sich eine steile Sorgenfalte gebildet hatte.
    Nachdem Thorus gegangen war, sagte der Schamane: „Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, Vak.“
    Vak ließ sich zurück in seinen Lehnstuhl fallen. „Sollen doch alle Morras verrecken. Wenn er sich hier noch einmal blicken lässt, hack ich ihm seinen dunklen Kopf von den Schultern. Das schwöre ich bei meiner Axt.“
    Kamak zog eine Augenbraue hoch. „Und was machen wir mit Nemora? Vielleicht hätte der schwarze Krieger uns dieses Problem vom Hals geschafft.“
    „Ach, Nemora ist schon lange keine ernstzunehmende Gefahr mehr. Die Assassinen sind im Moment unser einziges Problem“, winkte Vak wenig überzeugend ab.
    Kamak nickte bedächtig, obwohl er ganz anderer Meinung war.
    Geändert von MiMo (29.01.2017 um 15:34 Uhr)

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    Obwohl die Sonne noch lange nicht untergegangen war, lag der Schankraum von Herberts Humpen schon in schummriger Düsternis. Durch die schmutzigen Butzenscheiben gelangte kaum Licht herein und die wenigen Kerzen, die eher willkürlich verteilt schienen, waren nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Diego hatte sich in einer Ecke der zwielichtigen Taverne an einen der kleineren Tische gesetzt. Von hier aus konnte er den Raum gut überblicken, insbesondere die Tür. Ihm war nicht ganz wohl gewesen, als sein Kontaktmann ihm den Humpen als Treffpunkt genannt hatte. Denn obwohl er noch nicht lange in Montera war, hatte er schon einige Gerüchte über die Taverne gehört. Herbert indes, der namensgebende Wirt, stand hinter seinem Thresen, als könne er kein Wässerchen trüben, und putzte einen schmierigen Humpen nach dem anderen mit seinem fleckigen Lappen. Ob die Humpen durch diese Prozedur wirklich sauberer wurden, konnte Diego sich nicht erschließen.
    Eine Gruppe Orksöldner war trotz der Uhrzeit schon mächtig am bechern und auch sonst waren die Stühle gar nicht so schlecht besetzt, wie man es vielleicht erwartet hätte. Doch waren die anderen Gäste ruhig und brummelten ihrem Nachbarn vielleicht mal ein paar Worte ins Ohr, während die Söldner grölten und jeden ihre feuchtfröhlichen Trinksprüche hören ließen. Sie redeten so laut, dass Diego die meisten ihrer Worte mithören konnte.
    „Man munkelt, dass die verschwundenen Orksöldner aus Faring von den scheiß Assassinen gekidnappt wurden“, dröhnte ein korpulenter Mann und hob seinen Humpen, als hätte er einen Trinkspruch zum Besten geben.
    Die anderen Söldner stießen mit ihm an und tranken, nur einer nicht: „Bist du denn vollkommen verblödet, Dan? Faring liegt an der Grenze zu Nordmar, nicht an der zu Varant! Wenn schon, dann geht das auf das Konto von denen, verstehste?“
    „Aber Sanford hat gesagt“, widersprach Dan lauter werdend, „dass die Orks und die scheiß Assassinen sich bald die Köpfe einschlagen. Am Pass soll richtig was los gewesen sein! Und da dachten die sich bestimmt, dass sie Kans Leibgarde ausdünnen sollten, damit sie leichter an den ran kommen.“
    „Keiner von den Söldnern aus Faring war so etwas wie Kans Leibgarde“, mischte sich ein dritter Söldner in die Diskussion ein. „Dafür hat der doch seine ganzen Eliteorks mitgebracht. Die Söldner schieben in Faring voll die ruhige Kugel.“
    „Die Elitekrieger sind schon seit Wochen in Trelis. Faring ist gar nicht mehr so gut bewacht“, warf ein Vierter ein.
    „Willst du einen auf die Birne?“, erboste sich Dan betrunken. „Da sind kaum noch Söldner! Wie viele Orks da sind, ist doch wurscht, solange keine Söldner da sind!“
    Diego hatte sich gerade gefragt, ob der Wirt auf seinen Unterarmen oder auf seinem Kopf mehr Haare hatte, als die einfache Holztür der Taverne sich einen Spalt öffnete, und ein Mann in einem dunklen Umhang hereinhuschte. Lautlos schloss er die Tür hinter sich, fand Diego in der Ecke sitzen und steuerte auf ihn zu. Unterwegs musterte er die Söldner argwöhnisch, schien dann aber mit ihrem Pegel zufrieden.
    Er setzte sich Diego gegenüber, beugte sich vor, sodass Diego seinen braunen Teint selbst in dem vorherrschenden Zwielicht erkennen konnte, und sagte: „Du suchst nach Quadir, dem Sohn der wahren Assassinen?“
    „Könnte man so sagen“, bestätigte Diego.
    „Wäre dem nicht so, hätte ich meinen Namen nicht genannt. Halte mich nicht zu lange mit diesen gesellschaftlichen Konventionen auf. Kommen wir zum Geschäft!“ Der Assassine hatte seinen Akzent fast gänzlich abgelegt. Diego hörte dennoch heraus, dass der Mann aus Braga kam.
    „Wen?“, fragte Quadir und ließ seinen Gegenüber nicht aus den Augen.
    Diego fühlte sich nicht wohl in dieser Gesellschaft. Er hatte nur durch Zufall von Quadir gehört. Und er hatte nur ein Treffen arrangieren lassen, weil er eingesehen hatte, dass es seiner Truppe momentan noch an erprobten Kämpfern mangelte. Er hatte das unerklärbare Gefühl gehabt, dass er diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen durfte. Einen Meuchelmörder würde er ganz gewiss gebrauchen können, ob es ihm behagte oder nicht.
    „Es geht um Orks“, antwortete Diego vorsichtig.
    „Gleich mehrere?“, Quadir zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Darf ich fragen, wie viel du eigentlich zahlen kannst? Das…“ Er wies mit einem Schlenker auf die mehrfach ausgebesserte Schattenrüstung, „…sieht nicht nach genug Gold für auch nur zwei Orks aus.“
    „Du wirst dir dein Gold selbst nehmen“, fuhr Diego fort. „Sowohl du als auch ich werden durch deine Dienste zu Gold kommen. Und es wird alles dir gehören. Darauf gebe ich dir mein Wort.“
    „Ich habe die gewöhnliche Art und Weise lieb gewonnen. Man nennt mir einen Namen, gibt mir im Voraus einen Sack mit Gold und ich erledige meine Arbeit.“
    „Mit der gewöhnlichen Art ist mir nicht geholfen“, beharrte Diego. „Ich befinde mich mit einigen anderen auf dem Weg nach Khorinis. Ich will die Besatzung der Orks dort brechen.“
    Quadirs Mundwinkel verzogen sich spöttisch. „Das ist viel zu gefährlich. Auf so ein Risiko lasse ich mich garantiert nicht ein.“
    „Wenn wir die Insel zurückerobern, wirst du im Geld schwimmen.“
    „Wenn Khorinis so heruntergekommen ist wie man hört, bezweifle ich das.“
    „Es gibt noch einige wohlhabende Bürger dort, die keine andere Wahl haben werden, als uns angemessen zu belohnen. Und meinen Anteil brauche ich nicht. Den kannst du haben. Da wären zum Beispiel der Großbauer Onar, der genug Gold hat, um eine ganze Söldnerarmee zu bezahlen, oder die Feuermagier in ihrem Kloster…“
    „Ich habe bereits abgelehnt, Diego.“ Quadir fauchte den Namen beinahe. „Entweder du sagst mir jetzt einen Namen und gibst mir die vereinbarte Summe, oder ich gehe.“
    „Du solltest aus Montera verschwinden, solange du noch die Wahl hast“, konterte Diego. Seine Hände wurden schwitzig. Vielleicht lehnte er sich zu weit aus dem Fenster. „Das Bündnis zwischen den Orks und deinem Volk ist so gut wie aufgekündigt. Jeder, der die Ohren offen hält, weiß, dass es hier bald Krieg zwischen Myrtana und Varant geben wird. Was werden die Orks wohl tun, wenn sie einen einzelnen Assassinen in ihrer Stadt entdecken?“
    „Tse.“ Quadir erhob sich. „Dieses Spiel spiele ich schon bedeutend länger als du, Retter von Khorinis. Wir werden ja sehen, wer von uns beiden länger überlebt.“ Beiläufig fischte Quadir ein Messer aus seinem Ärmel und ließ es gleich wieder verschwinden. Dann wandte er sich ab, schritt durch den Schankraum und huschte so lautlos zur Tür hinaus, wie er gekommen war. Keiner der Gäste hatte sich nach ihm umgedreht.
    Diego fragte sich beklommen, ob er jetzt noch leben würde, wenn die Orksöldner nicht da gewesen wären. Und ob er die Stadt nicht lieber schleunigst verlassen sollte.

    Schlagartig war Lares wach und wusste, dass etwas fürchterlich schief gelaufen war. „Was ist passiert?!“, kräc hzte er merkwürdig schwach. Er sah nur grüne Blätter, durch die ihn die Sonne anblinzelte und blendete. Er versuchte sich aufzusetzen, konnte sich aber kaum bewegen. Sein ganzer Körper fühlte sich unendlich schwer an.
    „Beruhige dich. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Lähmung ganz abgeklungen ist.“ Ein fremdes Gesicht schob sich in sein Sichtfeld. Der Blick des Mannes war einschüchternd und ließ ihn sofort wieder auf den kühlen Boden zurück sinken, von dem er sich freilich kaum gehoben hatte.
    „Wer bist du?“, fragte Lares lallend.
    „Hochtrabend gesprochen dein Lebensretter“, antwortete der Fremde ruppig. „Anders ausgedrückt bin ich Torn der Druide.“
    Lares atmete erleichtert aus. Torn war kein Feind. Einem solchen hätte er sich im Moment schutzlos ausgeliefert gesehen. Und noch viel wichtiger: Er konnte helfen.
    „Zuerst dachte ich, du hättest ein paar Granitpilze gegessen. Das kann passieren, aufgrund ihrer dunklen Farbe verwechselt man sie schnell mit Dunkelpilzen und du scheinst mir kein Myrtaner zu sein. Ich bin mir nicht sicher, ob man Granitpilze auch woanders als in dieser Gegend finden kann. Ich nahm darum an, dass dir die Gefahr einfach nicht bewusst war, als ich dich hier so steif vorgefunden habe. Angesichts der geringen Mobilität, die meine Alchemie dir bislang zurückgegeben hat, halte ich das allerdings nicht mehr für sehr wahrscheinlich. Du scheinst viel eher einen hochkonzentrierten Granitsud getrunken zu haben. Ist das richtig?“
    Lares erinnerte sich an den Ausdauertrank, den Renwick an sein offenes Fenster gestellt hatte, und den er in seiner Hast mitgenommen und getrunken hatte. An der Flasche war kein Etikett gewesen, aber… „Der Trank war gelb“, brachte Lares angestrengt hervor.
    „Da haben wirs. Granitsud wird immer eine zerriebene Weidenbeere beigefügt, weshalb er in den allermeisten Fällen einen leuchtenden Gelbton annimmt.“
    Lares stöhnte. „Ich dachte… Egal.“ Ein Moment der Stille breitete sich aus, in dem nur das Zwitschern von Vögeln zu hören war. „Jemand… Du… musst Rhobar warnen.“ Er konnte es nicht genau sagen, weil der Druide nur am Rande seines Sichtfelds zu erahnen war, aber er glaubte, dass Torn ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte, als er den Namen des Königs erwähnt hatte.
    „Ich habe Rhobar schon viele Male einen Gefallen getan“, sagte Torn schroff. „Ich glaube nicht, dass so schnell ein weiterer hinzu kommen wird. Ich krieg dich schon wieder auf die Beine. In ein, zwei Tagen kannst du ihn selbst warnen.“
    „Dann ist es zu spät!“, stieß Lares so laut hervor, wie er konnte. „Thorus folgt den Sklaven, die aus Geldern geflohen sind. Sie konnten ihre orkischen Verfolger erledigen und sind wahrscheinlich auf direktem Wege nach Nemora. Thorus hat diese Chance erkannt und will sie nur verfolgen, anstatt sie wieder einzufangen. Wenn ihn niemand aufhält, wird er Nemora finden und seine Lage den Orks verraten!“ Lares hustete. Je mehr er redete, desto stärker brannte es in seinem Hals, doch es war ihm gleich. Zuerst musste er dafür Sorge tragen, dass Rhobar gewarnt wurde.
    „Ich habe die Sklaven selbst nach Nemora gebracht“, antwortete Torn langsam. Ihm schien nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein. „Gestern haben sie das Versteck erreicht. Danach bin ich in diesen Wald zurückgekehrt und habe dich gefunden. Die ganze Nacht habe ich bei dir gesessen… Thorus wird Trelis oder Geldern längst erreicht haben.“
    Lares fuhr der Schock in die Glieder. So lange war er bewusstlos gewesen? „Torn… Tu was!“, flehte er den Druiden an. Es war nicht seine Art, in solch einem Ton zu reden, erst recht nicht zu einem Fremden, doch er hatte sich auch noch nie so hilflos gefühlt. Er konnte kaum einen Finger rühren und Thorus hatte Nemora wahrscheinlich längst entdeckt, ohne dass dort auch nur einer ahnte, in welcher Gefahr sie alle schwebten.
    „Wieso willst du Rhobar helfen?“, fragte Torn angespannt. „Wieso begibst du dich seinetwegen in so eine Gefahr? Du könntest jetzt auch einfach in deiner Hütte sitzen und an einem warmen Kaminfeuer etwas Angenehmeres tun, als steif auf dem Waldboden zu liegen.“
    Lares starrte finster zu den tanzenden Blättern über ihn. „Soll ich tatenlos zusehen, wie meine Freunde und Hunderte Rebellen einfach abgeschlachtet werden? Nemora… Nein, Rhobar ist die einzige Hoffnung, die wir, die von einem Ende der orkischen Gewaltherrschaft träumen, noch haben. Wenn er und mit ihm auch noch ganz Nemora fällt, werden die Menschen in Myrtana wahrscheinlich nie wieder frei sein.“
    „Nach ihm wird es einen neuen König geben, vielleicht sogar einen besseren. Man weiß es nicht.“
    „Nach Rhobars Tod gäbe es keinen neuen König. Nur Chaos. Er ist der einzige Mensch, zu dem jeder Widerstandskämpfer aufblickt. Er hat mich und Tausende Gefangenen einst aus der Barriere des Minentals gerettet, und dabei sogar fast sein eigenes Leben verloren. Er denkt nicht nur an sich selbst. Und er geht auch die ganz großen Probleme an und legt nicht resigniert die Hände in den Schoß, wie es sonst jeder tut. Selbst ich mache nichts weiter als die Ohren aufzuhalten, weil ich mich so gut wie möglich aus allem raushalten will. Aber dieses Mal braucht Rhobar mich!“
    Lares spürte förmlich, wie Torn ihn musterte.
    „Und was ist mit dir? Soll ich dich einfach hier liegen lassen, damit die Ripper dich finden?“
    „Versteck mich so gut es geht. Dann kannst du gehen.“
    „Du bist also wirklich entschlossen, Rhobar unter allen Umständen zu retten.“ Torn seufzte. „Hast du ein Stück Pergament dabei?“
    „Ich glaub schon… Rechte Tasche.“ Ein Wirt hatte ihm den Namen eines Händlers aufgeschrieben, der für Schmuggelware angeblich noch besser bezahlte, als sein aktueller Hehler. Torn griff in seine Tasche, nach einer Weile schien er fündig geworden zu sein. Lares bemerkte, dass er seinen Kopf ein kleines Stück drehen konnte. Endlich bekam er den Druiden in sein Blickfeld. Er stach gerade einen Holzsplitter in eine rote Beere und kratzte dann mit dem Splitter über das Pergament. Dann streckte er einen Arm aus, und ein brauner Vogel landete folgsam darauf. Kurz darauf flatterte er mit dem Fetzen Pergament wieder davon.
    „Der Vogel warnt Nemora. Ich werde bei dir bleiben. Und jetzt rede bitte nicht mehr von ihm.“

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