Langsam öffne ich meine Augen.
Ich sehe schwarz. Schwarz mit leuchtenden Punkten. Sterne?
Nach mehrmaligem Blinzeln bin ich mir sicher. Über mir befindet sich der Sternenhimmel und es ist Nacht. Kalt ist es auch. Sehr.
Mein gesamter Körper schmerzt. Ich liege auf irgendetwas Hartem. Langsam drehe ich meinen Kopf zur Seite. Glas? Ich liege auf… Glas?
Erneut blinzle ich und mein Blick schweift in die Ferne. Im ersten Moment kann ich gar nichts damit anfangen. Ein kunterbuntes Lichtermeer. Dunkle Silhouetten, von wirren Lichtern durchzogen.
Mein Hals fühlt sich zugedrückt an, als müsste ich ersticken. Hustend rolle ich mich auf den Bauch und drücke mich mit Armen und Beinen ein Stück hoch. Irgendetwas steckt mir im Hals. Würgend und prustend spucke ich auf das Glas unter mir, bis ich wieder ordentlich Luft bekomme. Auf dem Glas ist eine dunkle Soße zu erkennen, sie erinnert mich an Blut.
Ich blicke auf meine nackten Arme, sie sind zerkratzt und verkrustet. Schmerz durchzuckt mich, als ich mich auf die Knie aufrichte.
Ein starker Wind zerrt an meinem T-Shirt und meinen Haaren. Wo bin ich? Was ist passiert?
Ich scheine auf einem sehr hohen Gebäude zu knien, ein Wolkenkratzer vielleicht? Mit verspiegeltem, leicht schrägem Glasdach, es müssen hunderte Platten sein. Durchsehen kann ich jedenfalls nicht.
Die dunkle Silhouette und die unzähligen Lichter kommen von den vielen Gebäuden in der Ferne, die Stadt muss gigantisch sein. Winzige beleuchtete Straßen fädeln sich zwischen die gigantischen Anlagen.
Offenbar bin ich ganz alleine auf dem Dach. Der schwache Schein des Mondes und der Sterne beleuchtet das viele Glas. Angesichts meiner dünnen Klamotten und des eisigen Windes habe ich den Eindruck, langsam abzusterben. Die Kälte betäubt meinen Schmerz, der gleichmäßig durch meinen ganzen Körper pulsiert. Was geht hier nur vor…
Vorsichtig stehe ich von meiner knienden Position auf. Schwankend und mit ausgestreckten Armen balancierend bewege ich mich Schritt für Schritt auf das Ende des Glasdaches zu. Ich fühle mich so kraftlos, jede Bewegung kostet unglaubliche Energie.
Kurz vor dem Rand des Daches knicken mir die Beine ein und ich falle erneut auf die Knie. Von blankem Willen angetrieben krieche ich auf die letzten Glasplatten vor dem Abgrund. Der Wind reißt an mir, als würde er mich hinabstoßen wollen.
Schier unendlich scheint die Tiefe…
Als ich gerade überlege, was ich nun tun soll und warum ich überhaupt zum Ende des Daches gegangen bin, spüre ich einen kühlen Fleck auf der Wange. Nachdem ich ihn mit meinen Fingern berührt habe, stelle ich fest, dass es ein Wassertropfen ist. Auf meiner Hand ist noch einer. Und an meinem Ellenbogen. Meiner Stirn. Es werden immer mehr.
In das Pfeifen des Windes mischt sich ein neues Geräusch… Regen, der auf Glas prasselt. Immer lauter. Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen, als mir klar wird, an welcher gefährlichen Stelle ich liege. Ehe ich mich vom Rand wegbewegen kann, merke ich schon, wie ich rutsche. Meine nassen Hände finden keinen Halt mehr auf dem glatten Glas, jegliches Aufbegehren scheint sinnlos.
Mein geschundener, schmerzender Körper verweigert mir den Dienst… förmlich in Zeitlupe sehe ich hilflos zu, wie ich über die Kante rutsche.
Und ich falle.
Schier endlos viele Glasfenster fliegen vor meinen Augen vorbei. Die dunklen Silhouetten aus den Augenwinkeln werden immer höher, während die winzigen Straßen und kleinen Dächer unter mir immer größer werden. So endet es also…
Es gelingt mir kaum noch, Luft zu holen, so schnell stürze ich. Autos mit Scheinwerfern, eine Ampelkreuzung, Laternen, alles nimmt an Ausmaßen zu. Ich kann schon einzelne Menschen ausmachen. Fahrräder, Mülltonnen, Gullydeckel… eine große Treppe, die zu dem gigantischen Gebäude hinter mir führt, rast auf mich zu.
Die letzte Sekunde, ich schließe die Augen…