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  1. #81 Zitieren
    General Avatar von Sinai
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    Sinai ist offline
    Ich will die Bücher auf Deutsch lesen!!!!
  2. #82 Zitieren
    Veteran Avatar von Wal
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    Wal ist offline
    Zitat Zitat von Sinai Beitrag anzeigen
    Ich will die Bücher auf Deutsch lesen!!!!
    ...da bist du nicht der einzige . Obwohl ich auch mit den englischen Büchern zufrieden wäre. Ich habe gerade nochmal nachgesehen, als Veröffentlichungstermin wird Juni angegeben.
  3. #83 Zitieren
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    Jaskier ist offline
    Unweit jener Aue, des Orts einer blutigen Schlacht, in der die beinah ganzen nilfgaardischen Streitkräfte des Nordens und die beinah ganze Macht des nilfgaardischen Aggressors aufeinander prallten, gab es zwei Fischerdörfer: Alte Popos und Brenna. Da jedoch damals Brenna bis auf die Mauer niedergebrannt war, ging man sofort aus, von "der Schlacht bei Alten Popos" zu reden. Heute dagegen spricht keiner von nichts anderem, als von "der Schlacht bei Brenna", und dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, das wieder aufgebaute Dorf Brenna ist heute eine große und gut gedeihende Siedlung, dagegen wurden Alte Popos nie wieder besiedelt, und jede Spur wurde von Brennnessel, Quecke und Klette bewachsen. Zweitens, der Name harmonierte nicht mit der damals berühmten, epischen und tragischen Schlacht. Wie denn auch: hier, die Schlacht, in der über Dreißigtausend Seelen ihr Leben ließen, und da nicht nur, dass Popos, sondern sogar noch Alte dazu.
    So nahm man damals an, angesichts des historischen und militärischen Schrifttums ausschließlich von "der Schlacht bei Brenna" zu schreiben - so wohl bei uns, als auch in den nilfgaardischen Quellen, von denen es viel mehr gibt als bei uns.


    Ehrwürdiger Jarre aus Ellandar, der Ältere,
    Annales seu Cronicae Incliti Regni Temeriae



    Kapitell VIII


    »Kadett Fitz-Oesterlen, das ist ungenügend. Setzt euch bitte. Ich möchte Herrn Kadett zurechtweisen, dass der Mangel an Kenntnissen über die berühmten und wichtigen Schlachten in der Geschichte eigenen Vaterlandes für jeden Patrioten und guten Bürger kompromittierend sei, aber im Falle eines zukünftigen Offiziers ist das einfach skandalös. Ich erlaube mir noch eine kleine Bemerkung, Kadett Fitz-Oesterlen. Seit Zwanzig Jahren, das heißt, seitdem ich auf dieser Schule unterrichte, kann ich mich nicht an kein Examen erinnern, in dem die Frage nach der Schlacht bei Brenna nicht gefallen wäre. In dieser Hinsicht schließt Ihre Ignoranz praktisch die Chance auf eine Militärkarriere aus. Na, wenn man aber ein Baron ist, ist man nicht gezwungen, ein Offizier zu werden, man kann sich in der Politik versuchen. Oder in der Diplomatie. Was ich Ihnen vom Herzen empfehle, Kadett Fitz-Oesterlen. Und wir kehren zurück nach Brenna, meine Herren. Kadett Puttkammer!«
    »Jawohl!«
    »Zur Karte bitte. Fahren Sie bitte fort. Ab der Stelle, an der Herr Baron keine Lust mehr hatte.«
    »Zu Befehl! Der Grund, warum der Feldmarschall Menno Coehoorn die Entscheidung getroffen hat, das Manöver und den schnellen Vormarsch nach Westen durchzuführen, waren Berichte der Aufklärung, dass die Armee der Nordlinge der belagerten Festung Mayena mit Entsatz zur Hilfe eilt. Der Marschall hat sich entschlossen, den Nordlingen den Weg zu versperren und sie so zur entscheidenden Schlacht zu zwingen. Zu diesem Zweck hat er die Streitkräfte der Armee "Mitte" geteilt. Ein Teil der Streitkräfte hat er bei Mayena gelassen, mit dem Rest der Streitkräfte hat er im schnellen Marsch aufgebrochen ...«
    »Kadett Puttkammer! Ihr seid kein Belletristikschriftsteller. Ihr seid ein Offizier! Was soll denn die Bezeichnung: "der Rest der Streitkräfte"? Gebt mir bitte die genaue orde de bataille der Sturmgruppe des Marschalls Coehoorn an. Bitte die militärische Terminologie benutzen! «
    »Jawohl, Herr Rittmeister! Der Feldmarschall Coehoorn hatte unter seinem Kommando zwei Armeen gehabt: die IV Reiterarmee, befohlen von dem General-Major Markus Braibanat, dem Patron unserer Schule ...«
    »Sehr gut, Kadett Puttkammer«
    »Verkackter Arschkriecher«, zischte Kadett Fitz-Oesterlen von seiner Schulbank aus.
    »... und die III Armee, befohlen von dem General-Leutnant Rhetza de Mellis-Stoke. Die IV Reiterarmee, über Zwanzigtausend Soldaten zählend, bildete: Die Division "Venendal", die Division "Mag-ne", die Division "Frundsberg", die II Vicovarer Brigade, die II Daerlaner Brigade und die Brigaden "Nauzicaa" und "Virhedd". Die III Armee bildete: die Division "Alba", die Division "Deithwen" und ... Hmm ... und die Division ...«


    ****


    »Die Division "Ard Feainn"«, stellte Julia Abatemarco fest. »Falls ihr, ganz klar, irgendwas nicht durcheinander gebracht habt. Haben sie tatsächlich auf der Kriegsflagge die große, silberne Sonne gehabt? «
    »Ja, Oberst«, sagte der Kommandeur des Spähtrupps entschlossen. »Ohne Zweifel hatten sie gehabt! «
    »"Ard Feainn"«, knurrte Süße Range. »Hmm … Interessant. Das würde bedeuten, dass in diesen Marschkolonnen, die ihr wahrscheinlich gesehen habt, nicht nur die ganze Reiterarmee auf uns zugeht, sondern ein Teil der Dritten. Ha, nein! Nicht zu glauben! Ich muss das mit eigenen Augen sehen. Rittmeister, für die Zeit meiner Abwesenheit übernehmt ihr das Kommando über die berittene Eskorte. Ich befehle einen Boten zum Oberst Pangratt zu schicken …«
    »Aber, Oberst, ob das vernünftig sei, in eigener Person …«
    »Ausführen!«
    »Jawohl!«
    »Das ist ja riskant, Oberst!« überschrie der Kommandeur des Spähtrupps den Galopptrieb. »Wir können auf einen Erkundungstrupp der Elfen stoßen …«
    »Quatsch nicht! Führe!«
    Das Kommando rannte im scharfen Galopp die Schlucht herunter, huschte wie ein Sturmwind über das Tal des Bachs vorüber, stürzte in den Wald hinein. Hier mussten sie verlangsamen. Den Ritt behinderte das Dickicht, und überdies bestand tatsächlich die Gefahr, dass sie überraschend auf die Erkundungstruppen oder Vorhüte geraten würden, welche die Nilfgaarder zweifellos vorausschickten. Der Spähtrupp der Condottieri käme allerdings auf den Feind von der Flanke zu, nicht frontal, aber die Flanken waren sicherlich auch gesichert. Das Unternehmen war also verdammt riskant. Aber Süße Range mochte solche Wagnisse. Und es gab in der ganzen Freien Kom-panie keinen Soldaten, der ihr nicht folgen würde. Wenn auch bis zur Hölle.
    »Das ist hier«, sagte der Kommandeur des Spähtrupps. »Dieser Turm«
    Julia Abatemarco schüttelt den Kopf. Der Turm war schief, ruiniert, gespickt mit gebrochenen Balken, durchbrochen von Löchern, in denen der vom Westen wehende Wind wie auf eine Flöte spielte. Man wusste nicht, wer in dieser Wildnis diesen Turm erbaut hatte, und wofür. Aber man wusste, dass derjenige ihn vor langer Zeit erbauen musste.
    »Stürzt er nicht ein?«
    »Mit Sicherheit nicht, Oberst.«
    In der Freien Kompanie, unter Condottieren, redete man Vorgesetzten weder "Herr" noch "Herrin" an. Nur mit Dienstgrad.
    Julia erklomm die Spitze des Turms, beinah hinaufgelaufen. Der Kommandeur des Spähtrupps schloss erst nach einer Minute an, er schnaufte wie ein Bulle, der gerade eine Kuh deckte. An die Fensterbank gestützte Süße Range inspizierte das Tal mit Hilfe von einem Fernrohr, dabei die Zunge zwischen den Lippen herausgestreckt und das wohlgeformte Hinterteil ausgereckt. Der Kommandeur des Späh-trupps verspürte bei dieser Ansicht einen Schauder der Erregung. Er beherrschte sich aber schnell.
    »"Ard Feainn", ohne Zweifel«, leckte Julia Abatemarco die Lippen ab. »Ich sehe auch die Daerlaner von Elan Trahe, und das sind auch die Elfen von der Brigade "Virhedd", unsere alten Bekannten aus Maribor und Mayena … Ach! Auch die Totenköpfchen sind da, die berühmte Brigade "Nauzicaa" … Ich sehe auch die Flamen auf den Lanzenfähnchen der gepanzerten Division "Deithwen" … Und die weiße Standarte mit dem schwarzen Alerion-Vogel, dem Symbol der Division "Alba" …«
    »Ihr erkennt sie«, knurrte der Kommandeur des Spähtrupps, »wahrhaftig wie die alten Bekannten … So kennt Ihr euch aus? «
    »Ich habe die Militärakademie abgeschlossen«, erwiderte Süße Range. »Ich bin ein Offizier mit Zensus. Gut, was ich sehen wollte, habe ich gesehen. Wir kehren zur berittenen Eskorte zurück«

    ****

    »Auf uns kommt die vierte Reiterarmee und die Dritte zu«, sagte Julia Abatemarco. »Ich wiederhole, die ganze vierte Reiterarmee und wahrscheinlich die ganze Kavallerie der Dritten. Hinter den Fahnen hervor, die ich gesehen habe, ragte in den Himmel eine Staubwolke empor. Dort entlang, in drei Kolonnen, gehen meiner Schätzung nach zirka Vierzigtausend Reiter. Oder vielleicht noch mehr. Vielleicht …«
    »Vielleicht Coehoorn hat die Gruppe Armee "Mitte" aufgeteilt«, sprach Adam "Adieu" Pangratt zu Ende, der Anführer der Freien Kompanie. »Er hat nur die vierte Reiterarmee und die Kavallerie der Dritten, ohne Infanterie, um sich schnell zu bewegen … Ha, Julia, wenn ich anstelle vom Oberkommandierenden Natalis oder dem König Foltest wäre … «
    »Ich weiß«, blitzten die Augen von der Süßen Range auf. »Ich weiß, was du machen würdest. Hast du zu ihnen Eilboten geschickt?«
    »Selbstverständlich«
    »Natalis ist ein alter Hase. Es kann sein, dass morgen …«
    »Das kann sein«, ließ Adieu sie nicht zu Ende sagen. Und ich denke sogar, dass das sein wird. Treibe das Pferd an, Julia. Ich will dir was zeigen.
    Sie ritten einige Yards, schnell, dem Rest des Heers ziemlich vorausgeeilt. Die Sonne berührte schon beinah Anhöhen im Westen, Wälder und Wiesengründe verdüsterten das Tal mit langem Schatten. Aber es war hell genug, sodass die Süße Range sofort ahnte, was "Adieu" Pangratt ihr zeigen wollte.
    »Hier«, bestätigte Adieu ihre Vermutung, er richtete sich in den Steigbügeln auf. »Hier würde ich morgen die Schlacht austragen. Wenn ich das Kommando über die Armee gehabt hätte. «
    »Schöne Gegend«, gab Julia Abatemarco zu. »Flach, hart, glatt … Man kann sich hier vorbereiten … Hmm … Von jenen Anhöhen bis hin zu jenen Teichen, dort … Das werden zirka drei Meilen sein … Jene Anhöhe, och, ein traumhafter Gefechtsstand …«
    »Gut redest du. Und dort, schau mal, in der Mitte, noch ein See oder auch ein Fischteich, och, das, was dort glänzt … Das kann man ausnutzen … Das Flüsschen dient auch als Verteidigungslinie, obwohl klein, aber sumpfig … Wie heißt das Flüsschen, Julia? Wir sind doch gestern dort vorbeigeritten. Erinnerst du dich noch?«
    »Ich habe vergessen. Chochla wahrscheinlich. Oder so was ähnliches.«


    ****
  4. #84 Zitieren
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    Wer jene Gegend kennt, der kann sich offensichtlich die ganze Sache vorstellen. Denjenign dagegen, die dort nie gewesen waren, enthülle ich, dass die linke Flanke des königlichen Heers bis zur der Stelle gereicht hatte, wo sich heute die Siedlung Brenna befindet. Während der Schlacht hat es jene Siedlung noch nicht gegeben, denn sie wurden in jenem Jahr zuvor von den Elfen Eichhörnchen in Schutt und Asche gelegt und bis auf die Mauer niedergebrannt. Gerade dort, eben auf der linken Flanke, hat das redanisch-königliche Korps gestanden, das der Graf Ruyter befohlen hat. Jenes Korps hat aus achttausend Menschen in der Infanterie und der Vorderkavallerie bestanden.
    Die Mitte der königlichen Formation hat entlang des Hügels gestanden, die man später Galgenhügel genannt hatte. Dort, auf dem Hügel, haben der König Foltest mit dem Gefolge und der Oberkommandierende Jan Natalis gestanden, die von der Höhe aus die Sicht über das ganze Schlachtfeld gehabt hatten. Hier waren unsere Hauptstreitkräfte gruppiert - Zwölftausend tapferer tamerischer und redanischer Infanteristen, in vier große Karrees formiert, zehn Standarten der Schutzreitter, bis hin zum nördlichen Rand des Teiches aufgestellt, der von den heimischen Bevölkerung als Golden genannt. Die mittlere Formation hatte in der zweiten Linie ein Bataillon als Reserve gehalten - Dreitausend wyzimischer und mariborischer Infanterie, über die der Woiwode Bronibor das Kommando gehabt hatte.
    Dagegen vom südlichen Rand des Goldenen Teiches bis hin zur Reihe der Fischer und der Windung des Flusses Chotla, in der drei Meilen breiten Verteidigungslinie, hat der rechte Flügel unserer Armee gestanden, gebildet aus dem mahakamischen Zwergen Bataillon der Freiwilligen, acht Standarten der leichten Kavallerie und der berittene Eskorte der berühmten Freien Kompanie der Condottieri. Das Kommando über dem linken Flügel hatten der Condottiere Adam Pangratt und der Zwerg Braclay Els gehabt.
    Gegenüber, etwa eine oder zwei Meilen, auf dem nacktem Feld hinter dem Wald, hatte der Feldmarschall Menno Coehoorn die Nilfgaarder Armee vorbereitet. Dort hat das eiserne Volk wie eine schwarze Wand gestanden, Regiment an Regiment, Rotte an Rotte, Schwadron an Schwadron, so weit, wie das Auge gereicht hatte, endlos. Und anhand des Waldes der Standarte und Piken konnte man sehen, dass die Reihen nicht nur breit, aber auch tief waren. Denn es waren auch sechsundvierzig tausend Soldaten, wovon damals nur wenige wussten, und auch gut so, denn bei diesem Anblick der nilfgaardischen Macht wurde manch einem das Herz in die Hose fallen.
    Und sogar bei den Mutigsten hätten Herzen unter dem Panzer stärker geschlagen, geschlagen wie Hammer, denn es war klar, dass hier gleich eine schwere und blutige Notwendigkeit beginnt, und dass viele von denen, die hier in Reihen stehen, den Sonnenuntergang nicht sehen werden.


    Jarre, die von der Nase rutschende Brille gestützt, las das ganze Fragment vom Text noch mal, stöhnte, rieb sich die Glatze, fasste danach den Schwamm, drückte ihn ein bisschen aus und wischte den letzten Satz ab.
    Der Wind rauschte in Blättern der Linde, die Bienen summten. Die Kinder, so wie die Kinder, versuchten sich gegenseitig zu überschreien.
    An den Fuß des Greisen lehnte sich der auf dem Rasen rollende Ball. Bevor er sich herabbeugen konnte, tollpatschig und ungeschickt, eins von den Enkelkindern huschte vorbei, wie ein kleines Wölfchen, den Ball im vollen Lauf wegschnappend. Der angerempelte Tisch wackelte, Jarre konnte mit der Rechten das Tintenfass vor dem Fall retten, mit dem Stumpf der Linken hielt er Papierblätter fest.
    Die Bienen summten, schwer beladen mit gelben Kügelchen des Akazienblütenstaubs.
    Jarre setzte das Schreiben fort.

    Der Morgen war bewölkt, aber die Sonne schlug sich durch die Wolken hindurch und mit ihrer Höhe erinnerte sie sichtlich an die vergehenden Stunden. Der Wind kam plötzlich auf, die Lanzenfähnchen flatterten auf und schlugen wie eine Schar Vögel, die vom Boden auffliegt. Und Nilfgaard stand so, wie er stand, alle begannen, sich zu wundern, warum der Marschall Menno Coehoorn den Eigenen keinen Befehl zum Angriff gibt …

    ****


    »Wann?« hob Menno Coehoorn den Kopf von der Karte hoch, er warf einen Blick auf die Kommandeure. »Wann, fragt ihr, befehle ich anzufangen?«
    Niemand sprach was. Menno musterte seine Kommandeure mit einem schnellen Blick. Am meisten angespannt und nervös schienen diejenigen zu sein, die in der Reserve bleiben mussten - Elan Trahe, der Kommandeur der Siebten Daerlaner und Kees van Lo aus der Brigade "Nauzicaa". Auch Ouder de Wyngalt regte sich deutlich auf, der aide-de-camp Marschall, der auf die aktive Beteiligung im Kampf keine Chance hatte.
    Diejenigen, die zuerst angreifen sollten, sahen gelassen aus, tja, sogar gelangweilt. Markus Braibant gähnte. Der General-Leutnant Rhetz de Mellis-Stoke bohrte mit dem kleinen Finger im Ohr und öfters schaute den Finger an, als ob er wirklich erwartete, darauf etwas Interessantes zu finden. Der Oberst Roman Tyrconnel, der junge Kommandeur der Division "Ard Feainn", pfiff leise, während er einen nur ihm bekannten Punkt auf dem Horizont anstarrte. Der Oberst Liam aep Muir Moss von der Division "Deithwen" blätterte sein unzertrennbares Poesiebüchlein. Tibor Eggebracht von der Panzerritter-Division "Alba" kratzte sich am Nacken mit dem Ende sei-ner Reitpeitsche.
    »Der Angriff beginnt«, sagte Coehoorn, »sobald die Patrouillen zurückkehren. Mich beunruhigen diese Anhöhen im Norden, Herren Offiziere. Bevor wir angreifen, muss ich wissen, was sich hinter diesen Anhöhne befindet.«


    ****


    Lamarr Flaut fürchtete sich. Er fürchtete sich fürchterlich, die Angst kroch ihm über das Gedärm, ihm kam es vor, als ob er im Magen mindestens zwölf glitschige, mit stinkendem Schleim bedeck-te Aale hätte, die verzweifelt nach dem Ausgang suchten, durch den sie in die Freiheit gelangen könnten. Vor einer Stunde, als die Pa-trouille Befehle annahm und losritt, rechnete Flaut im Stillen damit, dass die morgendliche Kälte die Furcht verdrängt, dass die Erfahrung die Angst erstick, ein geübtes Ritual, eine harte und raue Dienstzeremonie. Er täuschte sich aber. Jetzt, nach Verstreichen einer Stunde und nach fünf Meilen des Reitens, weit, unheimlich weit von eigenen Leuten, tief, gefährlich tief auf dem Gebiet des Feindes, nah, tödlich nah der unbekannten Gefahr, die Angst zeigte erste jetzt, was sie kann.
    Er hielt am Rande des Wacholderwaldes, er tritt hinter den Riesenwacholdern nicht hervor, die den Rand bewuchsen. Vor ihm, hinter einer Reihe kleiner Tannenbäume, breitet sich ein breiter Talkessel aus. Der Nebel zog sich über die Spitzen der Gräser.
    »Niemand hier«, schätzte Flaut ab. »Weit und breit keine lebendige Seele. Wir kehren um. Wir sind schon ein bisschen zu weit.«
    Der Wachmeister sah ihn schief an. Weit? Wir sind nicht mal eine Meile geritten. Übrigens, wir schleppen uns wie die lahmen Schildkröten.
    »Man könnte«, sagte er, »noch hinter diesem Hügel nachschauen, Herr Leutnant. Von dort, meine ich, wäre die Aussicht besser. Weit, auf die zwei Talkessel. Wenn jemand dort vorbeiziehen würde, könnte man ihn nicht übersehen. Was nun? Schauen wir nach, Herr? Das sind höchsten einige Yards.«
    Einige Yards, dachte Flaut. Im offenen Gebiet, sichtbar wie auf einer Pfanne. Die Aale schlängelten sich, sie suchten hektisch nach dem Ausgang aus seinen Eingeweiden. Weinigsten einer, spürte Flaut deutlich, war auf dem richtigen Weg.
    Ich hörte das Gepolter eines Steigbügels. Das Schnauben eines Pferdes. Dort, in dem saftigen Grün jünger Tannenbäume auf dem sandigen Abhang. Dort hat sich was bewegt? Eine Gestalt?
    Sie umzingeln uns?
    Ein Gerücht kursierte im Lager, dass vor einigen Tagen die Condottieri der Freien Kompanie, nachdem sie einen Spähtrupp der Brigade "Vrihedd" im Hinterhalt aushoben, einen Elf lebend gefangen nahmen. Man munkelt, er wurde kastriert, dann wurde ihm die Zunge ausgerissen, alle Finger an beiden Händen abgeschnitten ... Und am Ende die Augen ausgestochen. Jetzt, verspotteten sie ihn, wirst du dich mit deiner elfischen Kameradin auf keinen Fall amüsieren. Und du wirst dir nicht mal angucken können, wie sie sich mit den anderen amüsiert.
    »Was nun, Herr?« räusperte sich der Wachmeister. »Reiten wir den Hügel hinauf?«
    Lamarr Flaut schluckte den Speichel herunter.
    »Nein«, sagte er. »Wir können keine Zeit verlieren. Wir haben festgestellt: hier gibt es keinen Feind. Wir müssen darüber dem Kommando berichten. Wir kehren um!«


    ****


    Menno Coehoorn hörte sich den Bericht an, hob den Kopf von der Karte hoch.
    »Zur Standarte« befahl er kurz. »Herr Braibant, Herr Mellis-Stoke. Zum Angriff!«
    »Es lebe der Kaiser!« brüllte Tyrconnel und Eggebracht. Menno schaute sie komisch an.
    »Zur Standarte«, wiederholte er. »Möge die Große Sonne unseren Ruhm erleuchten.«


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  5. #85 Zitieren
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    Milo Vanderbreck, Halbling, der Feldchirurg, bekannt als Rusty, zog gierig durch die Nase die durchdringliche Duftmischung aus Jodtinktur, Ammoniak, Alkohol, Ether und magischen Elixieren, die sich unter der Zeltdecke sammelte. Er wollte sich jetzt mit dem Duft sättigen, als er noch gesund, sauber, jungfräulich unbefleckt und klinisch steril war. Er wusste, dass er so nicht lange bleibt.
    Er schaute den Operationstisch, ebenfalls jungfräulich weiß, und das Instrumentarium an, die Dutzende Geräte erweckten Respekt und Vertrauen durch die kühle und bedrohliche Würde des kalten Stahls, vermittelten unbefleckte Sauberkeit des metallischen Glanzes, Ord-nung und Ästhetik der Anordnung.
    Sein Personal war voll und ganz mit dem Instrumentarium beschäftigt - drei Frauen. Pfui, verbesserte sich Rusty im Gedanke. Eine Frau und zwei Mädchen. Pfui. Obwohl eine alte, aber ein schönes, jung aussehendes Weibsstück. Und zwei Kinder.
    Die Zauberin und Heilerin, die sich Marti Sodergren nannte. Und Freiwillige. Shani, die Studentin aus Oxenfurt. Iola, die Priesterin aus dem Tempel Melitele in Ellander.
    Marti Sodergren kenne ich, dachte Rusty, ich habe mit der Schönheit schon öfters zusammengearbeitet. Sie ist ein bisschen nymphomanisch, sie neigt auch zu Hysterie, aber das macht nichts, solange ihre Magie wirkt. Anästhetische, desinfektische und blutstillende Zauberformeln.
    Iola. Die Priesterin, oder eher eine Adeptin. Ein Mädchen von grober und gewöhnlicher Schönheit, wie die eines Leinens, mit großen, starken Bauernhänden. Der Tempel verhinderte zwar, dass sich diese Hände mit hässlichem Dreck der schweren und schmutzigen Plackerei auf dem Lande befleckten. Aber er konnte derer Herkunft nicht verbergen.
    Nein, dachte Rusty, um sie mache ich mir eigentlich keine Sor-gen. Diese Hände, Jungs, sind die sicheren Hände, die Hände, denen man vertrauen kann. Außerdem versagen solche Mädchen aus dem Tempel sehr selten, in Momenten der Verzweiflung brechen sie nicht zusammen, sondern suchen die Unterstützung in Religion, in ihrem mystischen Glauben. Interessant: das hilft.
    Er schaute die rothaarige Shani an, wie sie einen chirurgischen Faden in eine gekrümmte Nadel geschickt einfädelte.
    Shani. Ein Kind der stinkenden, städtischen Seitengassen, das auf die Oxenfurter Universität dank eigener Wissensgier kam, und dank der unvorstellbaren Entsagung der Eltern, die das Schulgeld bezahlten. Eine Studikerin. Schlaumeier. Lustige Range. Was sie kann? Einfädeln? Drückverbende anlegen? Haken halten? Ha, die Frage lautet: wann wird die rothaarige Studentin ohnmächtig, lässt sie Haken los und fällt sie mit der Nase in den offenen Bauch eines Patienten?
    Die Menschen sind so wenig widerstandsfähig, dachte er. Ich habe gebeten, dass sie mir eine Elfe geben sollen. Oder jemanden aus meiner eigenen Rasse. Aber, nein. Sie haben kein Vertrauen.
    Zu mir übrigens auch nicht.
    Ich bin ein Halbling. Nichtmensch.
    Fremd.
    »Shani!«
    »Ich höre, Herr Vabderbreck?«
    »Rusty. Das heißt, "Herr Rusty" für dich. Was ist das Shani? Und wozu dient das?«
    »Sie examinieren mich, Herr Rusty?«
    »Antworte, Mädchen!«
    »Das ist ein Raspator! Er dient zum Abziehen der Knochenhaut bei einer Amputation! Damit die Knochenhaut unter der Säge nicht zerspringt, damit man ein sauberes und glattes Absägen bekommt! Sind Sie zufrieden? Habe ich bestanden?«
    »Ruhig, Mädchen, ruhig.«
    Er kämmte das Haar mit den Fingern durch.
    »Interessant, dachte er. Wir sind vier Ärzte. Und jeder ist rothaarig! Das Fatum, oder was?«
    »Darf ich bitten«, nickte er. »vor das Zelt rauszugehen, Mädchen.«
    Sie hörten zu, obwohl alle drei unter der Nase laut auflachten. Jede auf eigene Art.
    Vor dem Zelt saß eine Gruppe Sanitäter, sich über die letzten Minuten des süßen Nichtstuns freuend. Rusty bewarf sie mit einem strengen Blick, er roch, ob sie nicht schon jetzt besoffen waren.
    Der Schmied, ein Riesenkerl, hantierte an seinem, an eine Folterbank erinnernden Tisch, ordnete Werkzeuge, die zum Ausschälen der Verletzten aus Panzern, Kettenpanzer und verbeugten Helmgittern dienten.
    »Dort«, begann er ohne Vorwort, auf ein Feld zeigend »beginnt jeden Moment eine Schlacht. Und im Moment plus ein Moment erscheinen die ersten Verletzten. Wenn jeder das beachten wird, was er beachten soll, dann kann nichts schief gehen. Klar?«
    Keins von den Mädchen kommentierte es.
    »Dort«, setzte Rusty fort - abermals zeigend »fangen zirka hundert Tausend Menschen jeden Moment an, sich gegenseitig zu verletzen. Auf sehr auserwählte Art und Weise. Wir, die zwei übrigen Krankenhäuser hinzugerechnet, sind Dutzend Ärzte. Für nichts in der Welt schaffen wir, allen Bedürftigen zu helfen. Sogar einem Bruch-teil der Bedürftigen. Niemand erwartet das sogar.«
    »Aber wir werden helfen. Denn das ist, entschuldige diese Banalität, unsere Daseinsberechtigung. Wir helfen den Bedürftigen. Wir helfen also banal so vielen, wie wir nur helfen können.«
    Abermal kommentierte das niemand. Rusty wandte sich um.
    »Wir können nicht mehr schaffen, als wir imstande sind«, sagte er leiser und wärmer. »Aber wir alle werden versuchen, damit es nicht viel weniger wird.«


    ****


    »Sie setzten sich in Bewegung«, stellte der Oberkommandierende Jan Natalis fest und wischte die verschwitzte Hand in die Hüfte. »Euer Königliche Majestät, Nilfgaard setzte sich in Bewegung. Sie greifen uns an!«
    Der König Foltest, das tänzelnde Pferd, den Grauschimmel, zügelnd, wandte dem Oberkommandierenden sein schönes, münzprägenswürdiges Profil zu.
    »Dann haben wir sie würdig zu empfangen. Gnädiger Oberkommandierende! Herren Offiziere!«
    »Tod den Schwarzen!« brüllten der Condottiere Adam "Adieu" Pangratt und der Graf de Ruyter wie mit einer Stimme. Der Oberkommandierende schaute sie an, dann richtete er sich auf und holte Luft in die Lungen.
    »Zu den Fahnen!!!«
    Vom weiten aus donnerten nilfgaardische Bälge und Trommeln, heulten Krummhörner, Olifanten und Zinken. Die Erde, geschlagen von Tausenden Hufen, bebte.


    ****


    »Es geht los«, sagte Andy Biberveldt, ein Halbling, der Ältere des Fuhrparks, die Haare vom kleinen, spitzigen Ohr wegstreichend. »Jeden Moment …«
    Tara Hildebrandt, Didi "Chmielarz" Hofmeier und die übrigen ringsum versammelten Fuhrleute schüttelten die Köpfe. Sie hörten auch das dumpfe, gleichmäßige Gepolter der Hufe, das sich hinter dem Hügel und Wald hervor vernehmen ließ. Sie spürten die Erde bebend.
    Das Geschrei verstärkte sich plötzlich, wurde um einen Ton höher.
    »Die erste Salve der Bogenschützen.« Andy Biberveldt war erfahren, er sah, eigentlich hörte, manch eine Schlacht. »Es kommt noch eine.«
    Er hatte Recht.
    »Jetzt prallen sie schon aufeinander!«
    »Bess … besser verschwinden wir uuu … unter die Wagen«, schlug William Hardbottom vor, Momotek genannt, sich unruhig drehend. »Saaa … sage ich euch …«
    Biberveldt und die übrigen Halblingen schauten ihn mitleidsvoll an. Unter die Wagen? Wofür? Von dem Ort der Schlacht trennte sie beinah ein Viertel Meile. Und wenn sogar ein Streifzug hierher einfallen würde, in den Rücken, in den Fuhrpark, würde das Verstecken unter den Wagen was bringen?
    Das Gebrüll und Gepolter verstärkten sich.
    »Jetzt«, beurteilte Andy Biberveldt. Und abermals hatte er Recht.
    Aus der Entfernung von einem Viertel Meile, hinter dem Hügel und Wald hervor, durch das Gebrüll und das plötzliche Getöse des Stahl gegen Stahl Schlagens, vernahmen die Fuhrleuten einen deutlichen, makabrischen, haarsträubenden Klang.
    Ein Quieken. Ein fürchterliches, verzweifeltes, wildes Quieken und Stimme der verletzten Tier.
    »Die Kavallerie …«, leckte Biberveldt die Lippen ab. »Die Kavallerie hat sich auf Piken aufgespießt …«
    »Nuu … nur«, stotterte Momotek blass vor Angst, »weiß ich nicht, was die Pfff … Pferde dafür können … Diese Hurrr … Hurensöhnen.«


    ****


    Jarre wischte mit dem Schwamm den mehrmals geschrieben Satz ab. Er machte die Augen zu, sich an diesen Tag erinnernd. Der Moment, in dem die beiden Heere aufeinander prallten. In dem die beiden Heere, wie unnachgiebige Hofhunde, sich an die Kehlen gingen, in der tödlichen Umarmung erstarrten.
    Er suchte nach Wörtern, mit denen er das beschreiben konnte.
    Umsonst.


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  6. #86 Zitieren
    Lehrling
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    Der Keil der Reiterei rammte mit Wucht in das Karree ein. Wie der Stoß eines Riesendolches zertrümmerte die Division "Alba" alles, was den Zugang zum lebendigen Körper der temerischen Infanterie verwehrte - Piken, Speere, Hellebarden, Lanzen, Pavesen und Kampfschilde. Wie ein Riesendolch stoß die Division "Alba" in den lebendigen Körper hinein und vergoss das Blut. Das Blut, in dem jetzt Pferde plantschten und rutschten. Aber die Klinge des Riesendolches, obwohl tief hineingestoßen, erreichte keins der lebenswichtigen Organe. Der Keil der Division "Alba", anstatt das temerische Karree zu zerquetschen und auseinanderzusprengen, stoß hinein und blieb stecken. Er blieb in den elastischen und wie Teer dickflüssigen Scharen der Fußsoldaten stecken.
    Anfangs sah das nicht gefährlich aus. Die Spitze und die Flanken des Keils bildeten die elitären, schwerbewaffneten Rotten, von Schilden und Blechen der Panzerung prallten die Klingen und Schneiden der Landsknechte wie der Hammer von einem Amboss ab, es war auch nicht möglich, an die gepanzerten Reitpferde dran zu gelangen. Und wenn ab und zu einer von den Panzerrittern vom Pferd oder mit dem Pferd zu Boden fiel, dann streckten die Schwerter, Kriegsbeile, Streithämmer und Morgensterne der Kavallerie die stürmenden Infanteristen reihenweise nieder. Der im Gedränge festgehaltene Keil zuckte und begann sich tiefer hineinzustoßen.
    »"Albaaa"!«, hörte der Unterleutnant Devin aep Maere den Schrei vom Oberst Eggebracht, der über das Geklirr, Geschrei, Geheule und Wiehern emporkam. »Voraus, "Alba"! Es lebe der Kaiser!«
    Sie gingen los, hackend, schlagend und stechend. Unter der Hufe der wiehernden und ausschlagenden Pferde hervor hörte man Platschen, Knacken, Knirschen und Krachen.
    »!Aaalbaaa"!«
    Der Keil blieb abermals stecken. Landsknechte, obwohl dezimiert und blutend, gaben nicht nach, drängte vorwärts, nahmen die Kavallerie in die Zange. Bis es krachte. Unter den Schlägen von Hellebarden, Streitäxten und Kriegsflegeln riss die vordere Linie und die Panzerritter brachen zusammen. Von Partisanen und Spießen gestoßen, mit Haken der Helmbarten und Septum aus dem Sattel gehoben, erbarmungslos mit eisernen Flegeln und Streitkolben geschlagen, begann die Division "Alba" zu sterben. Der ins Karree der Infanterie eingerammte Keil, noch vor kurzem sehr bedrohlich, dieser verletzende Stahl im lebendigen Organismus, war jetzt wie ein Eiszapfen in der riesigen Bauernhand.
    »Temeriaaaa! Für den König, Männer! Haut die Schwarzen um!«
    Aber den Landsknechten war es auch nicht leicht. "Alba" ließ sich nicht auseinander reißen, die Schwerter und Kriegsbeile gingen hoch und runter, schlugen und stachen, für jeden aus dem Sattel gehobenen Ritter zahlte die Infanterie schrecklichen Preis des Blutes.
    Der Oberst Eggebracht, von einem dünnen Spieß durch den Schlitz in dem Panzer gestoßen, schrie auf, wackelte im Sattel. Bevor man ihm helfen konnte, fegte ihn ein fürchterbarer Hieb eines Kapmfflegels zu Boden. Die Infanterie wallte über ihn.
    Die Standarte mit dem schwarzen Adler, mit einer goldenen Schärpe auf der Brust, geriet ins Wanken und fiel um. Die Panzerritter, unter ihnen auch der Unterleutnant Devlin aep Meara, stürzten sich in diese Richtung, hauend, hackend, zertretend, brüllend.
    Ich möchte wissen, dachte Devlin aep Meara, das Schwert aus dem zerspalteten Kesselhelm und dem Schädel eines temerischen Landsknechtes herausreißend. Ich möchte wissen, dachte er, mit einem breiten Hieb die auf ihn zielende, gezackte Spitze der Lanze abschlagend.
    Ich möchte wissen, wofür das alles. Warum das alles. Und durch wen das alles.


    ****


    »Ähm … Und dann hat sich der Konvent der großen Meisterinnen versammelt … Unserer Ehrwürdigen Mütter … Ähm … Die Erinnerung an sie wird immer unter uns leben … Denn … Ähm … die großen Meisterinnen von der ersten Loge … haben geboren … Ähm … Sie haben geboren …«
    »Adeptin Abonde. Du bist nicht vorbereitet. Das ist ungenügend. Setzt dich.«
    »Aber ich habe gelernt, wirklich …«
    »Setzt dich.«
    »Zum Teufel, wofür sollen wir über dieses alte Zeug lernen«, knurrte Abonde, sich setzend. »Wen interessiert's heute … Und was für ein Nutzen daraus …«
    »Ruhe! Adeptin Nimue!«
    »Anwesend, Frau Meisterin.«
    »Das sehe ich. Kennst du die Antwort auf diese Frage? Wenn nicht, setzt dich und vergeude meine Zeit nicht.«
    »Ich kenne sie.«
    »Ich höre.«
    »Also, die Chroniken lehren uns, dass der Konvent der Meisterinnen sich auf dem Schloss Kahler Berg versammelt hat, um zu tagen, auf welche Weise man den destruktiven Krieg beenden kann, den der Kaiser der Südens und die Herrscher des Norden gegeneinander führten. Die Ehrwürdige Mutter Assire, die heilige Märtyrerin, hat gesagt, dass die Herrscher aufhören, nicht zu kämpfen, eher sie sich nicht ordentlich ausbluten. Und die Ehrwürdige Mutter Filippa, die heilige Märtyrerin, hat geantwortet: "Geben wir ihnen also eine große und blutige, schreckliche und grausame Schlacht. Führen wir zu solcher Schlacht. Mögen die Armeen des Kaisers und die Streitkräfte der Könige in dieser Schlacht im Blut versinken, und dann zwingen wir sie, die Große Loge, zum Frieden". Und so ist eben geschehen. Die Ehrwürdigen Mütter haben das geschafft, dass es zur Schlacht bei Brenna gekommen war. Und die Herrscher wurden gezwungen, den Friedensabschluss von Cintra anzunehmen.«
    »Sehr gut Adeptin Nimue. Ich würde dir die Note ausgezeichnet geben … Wenn nicht jene "also" am Anfang der Aussage wäre. Man beginnt einen Satz nicht mit "also". Setzt dich. Und jetzt über den Frieden von Cintra erzählt uns …«
    Es kam das Klingelzeichen zur Pause. Aber die Adeptinnen reagierten nicht mit sofortigem Geschrei und Krach der Pulte. Sie bewahrten Stille und würdige, vornehme Ruhe. Sie waren keine Rotznasen mehr. Sie waren in der dritten Klasse. Sie waren vierzehn Jahre alt!
    Und dies verpflichtete.


    ****


    »Na, ich habe hier nichts viel zuzugeben«, beurteilte Rusty den Zustand des ersten Verletzten, der eben das unbefleckte Weiß des Tisches mit Blut besudelte. »Der Oberschenkelknochen ist zertrümmert … Die Schlagader blieb unverletzt, sonst hätte man hierher eine Leiche gebracht. Es sieht nach einem Kriegsbeilschlag aus, dabei wirkte der harte Flügel des Sattels wie ein Holzfällerstumpf. Schaut bitte …«
    Shani und Iola neigten sich herab. Rusty rieb sich die Hände.
    »Wie ich schon sagte, hier kann man nichts zufügen. Man kann nur abnehmen. An die Arbeit. Iola! Die Binde, fest. Shani, das Messer. Nicht dieses. Das beiderseitig schneidende. Zum Amputieren.«
    Der Verletzte ließ ihre Hände nicht aus den auseinander laufenden Augen, er beobachtete das Tun mit den Augen eines entsetzten, im Fallstrick gefangenen Tieres.
    »Etwas Magie, Marti, wenn ich bitten darf«, nickte der Halbling, sich über den Patienten so herabneigend, um ihm die Sicht zu versperren.
    »Ich werde amputieren, mein Sohn.«
    »Neiiiin!«, brüllte der Verletzte auf, den Kopf hin und her werfend, versuchte er vor den Händen von Marti Sodergren zu entkommen. »Ich wiiiill nicht!«
    »Wenn ich nicht amputiere, stirbst du.«
    »Ich will sterben …«
    Der verletzte sprach unter der Wirkung der Magie der Heilerin immer langsamer. »Ich will eher sterben als ein Krüppel zu werden … Lass mich sterben … Ich flehe euch an … Lass mich sterben!«
    »Ich kann's nicht«, hob Rusty das Messer, schaute die Klinge an, den immer noch glänzenden, unbefleckten Stahl. »Ich kann dich nicht sterben lassen. Denn es fügt sich, dass ich ein Arzt bin.«
    Entschlossen stoß er die Schneide hinein und schnitt tief. Der Verletzte heulte auf. Wie für einen Menschen, unmenschlich.


    ****


    Der Bote hielt das Pferd scharf an, so dass unter der Hufe hervor der Rasen wegflog. Zwei Adjutanten hängten sich am Zaum, rissen das verschäumte Reitpferd zurück. Der Bote sprang aus dem Sattel.
    »Von wem?« schrie Jan Natalis. »Von wem kommst du?«
    »Von Herrn de Ruyter …« würgte der Bote heraus. »Wir haben die Schwarzen aufgehalten … Aber mit großen Verlusten … Herr de Ruyter bittet um Unterstützung …«
    »Es gibt keine Unterstützung«, antwortet der Oberkommandierende nach einer Weile des Schweigens. »Ihr müsst durchhalten. Ihr müsst es!«


    ****


    »Und hier«, zeigte Rusty mit der Miene eines Sammlers, der seine Sammlung demonstriert, »schaut doch meine Damen, ein schönes Ergebnisse eines Bauchschnitts … Jemand ist für uns eingesprungen, führte frühzeitig auf dem Unglücklichen die Laienlaparotomie durch … Gut, dass man ihn fürsorglich getragen hat, die wichtigsten Organe sind nicht verloren gegangen … Das heißt, ich vermute, dass man sie nicht verloren hat. Was ist damit, Shani, was meinst du? Warum solches Gesicht, Mädchen? Hast du bis dato Männer nur von außen gekannt?«
    »Das Gedärm ist beschädigt, Herr Rusty …«
    »Die Diagnose ist so wohl zutreffend, als auch offensichtlich! Hier braucht man nicht zu schauen, es genügt daran zu riechen. Das Tuch, Iola. Marti, immer noch zu viel Blut, sei so nett und hilft uns noch ein bisschen mit deiner unschätzbaren Magie. Shani, die Klemme. Lege die Gefäßklemme an, siehst du doch, dass es gießt. Iola, das Messer.«
    »Wer gewinnt?«, fragte plötzlich der Operierte, ganz geistesgegenwärtig, obwohl etwas stammelnd, dabei die glotzenden Augen rollend. »Sagt … wer … gewinnt?«
    »Mein Söhnchen«, neiget sich Rusty über die geöffnete, blutende und pulsierende Bauchhöhle herab. »Das ist wirklich die letzte Sache, um die ich mich auf deiner Stelle kümmern würde.«


    ****
  7. #87 Zitieren
    Veteran Avatar von Wal
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    Wal ist offline
    Du erschlägst uns ja geradezu mit Text...
    Aus welchem Buch ist das denn?
  8. #88 Zitieren
    Lehrling
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    Jaskier ist offline
    Das letzte Buch des Geralt-Zyklus - Die Herrin vom See.
    Und nicht ohne Grund ausgerechnet das achte Kapitell.
    Ich finde, die Beschreibung der Schlacht von Brenna ist der Höhepunkt des gesamten Zyklus,
    ein Meisterstück, ein Beweis großen Könnens im literarischen Schreiben von AS.
    Nicht war, Bonhart?

    Ich hoffe, mit dieser einfachen und inoficiellen Übersetzung das Original nicht allzu zu verzerren...
    auf eine professionelle Übersetzung wird man wohl noch einige Jährchen warten, wenn überhaupt.
    Es ist schwer zu sagen, ob sich Frau Samborska, die schon Narrenturm und Gottesstreiter
    übersetz hat, und zurzeit an dem dritten Band der Trilogie (Lux perpetua) arbeitet,
    auch noch dem Rest des Zyklus widmen würde, den Erik Simon leider nicht vollenden konnte?

    Tja, am liebsten würde ich ja das ganze Kapitell auf einmal reinhauen, aber bei dem heutigen Abmahnungswahn, da bekommt man schon Orangenhaut auf dem Arsch, vor lauter Angst.
    Geändert von Jaskier (08.05.2007 um 20:04 Uhr)
  9. #89 Zitieren
    General Avatar von Sinai
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    Sinai ist offline
    Wow danke Jaskier, du hast dir echt große Mühe gegeben, dazu ein dickes Lob von mir!
  10. #90 Zitieren

    Foren-Mutter
    Avatar von meditate
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    meditate ist offline
    ich bin begeistert. diese leseproben sind ein genuss
  11. #91 Zitieren
    Lehrling
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    Jaskier ist offline
    Zitat Zitat von meditate Beitrag anzeigen
    ich bin begeistert. diese leseproben sind ein genuss
    Leseproben?
    Certe, gnädige meditate, ist das der Schreibstil von AS. Bis jetzt habe ich noch nichts ausgelassen.


    ****


    … auf der linken Flanke und in der Mitte begann damals eine schreckliche und blutige Schlacht, aber hier, obwohl die Nilfgaarder Verbissenheit und Wucht übermächtig war, zerschellte derer Kavallerieattacke an dem königlichen Heer so, wie Meereswellen an einem Felsen zerschellen. Denn hier stand ein erlesener Soldat, die tapferen Mariborer, Wyzimirer und Tretogorer gepanzerten Reiterregimente, und auch die unnachgiebigen Landsknechten, erfahrene Söldner, die man mit Kavallerie nicht erschrecken konnte.
    Und so hat man dort gekämpft, wie das Meer gegen einen Felsen, und so dauerte eine Schlacht, in der nicht zu erraten war, wer die Oberhand gewinnt, denn, obwohl die Wellen stets gegen den Felsen schlugen, lassen sie nicht nach, sondern sie geben bloß deswegen nach, um abermals zuzuschlagen, aber der Felsen steht doch, so wie er stand, zwischen den tobenden Wellen immer sichtbar.
    Anders ging es zur Sache auf der rechten königlichen Flanke.
    Wie ein alter Sperber, der weißt, worauf er sich stürzen und tot picken sollte, so wusste der Feldmarschall Menno Coehoorn, wo er zuschlagen sollte. Wie eine eiserne Faust ballte er seine erlesenen Divisionen, die Lanzendivision "Deithwen" und die Panzerritter "Ard Feainn", und schlug in den Stoß der Linie oberhalb des Goldenen Teiches, dort, wo die Regimente aus Brugge standen. Obwohl Brugger Soldaten sich heldenhaft wehrten, zeigten sie sich schwächer ausgerüstet, so wohl mit Material, als auch mit Mut. Sie konnten dem Nilfgaarder Druck nicht standhalten. Schnell eilten dorthin mit Entsatz zwei berittene Eskorten der Freien Kompanie, unter dem Kommando des alten Condottieren Adam Pangratt, und stoppten die Nilfgaarder, schrecklich mit Blut dafür zahlend. Aber den, auf der rechten Flanke stehenden Zwergen, aus dem Bataillon der Freiwilligen, schaute in die Augen furchtbare Gefahr, eingekesselt zu werden, und dem ganzen königlichen Heer drohte das Reißen der Formation.


    Jarre tauchte die Schreibfeder ins Tintenfass. Die Enkelkinder schrien in der Tiefe des Obstgartens, derer Lachen klang wie gläserne Glöckchen.

    Der wie ein Kranich aufmerksame Jan Natalis erblickte jedoch die drohende Gefahr, im Nu verstand er, was sich anbahnt. Und nicht zögernd schickte er einen Boten mit Befehl zum Oberst Elsa …


    ****


    In seiner ganzen siebzehnjährigen Naivität dachte der Fähnrich Aubry, dass das Erreichen der rechten Flanke, das Überreichen des Befehls und das Zurückkehren auf den Hügel höchstens zehn Minuten in Anspruch nehmen würden. Absolut nicht mehr! Nicht auf Chiquit, der schlanken und wie ein Reh flinken Stute.
    Bevor er noch den Goldenen Teich erreichte, wurden dem Fähnrich zwei Sachen bewusst: das, dass er nicht weiß, wann er die rechte Flanke erreicht, und dass er nicht weiß, wann ihm gelingt, zurückzukehren. Und das, dass ihm die Flinkheit der Chiquit durchaus sehr nützlich sein wird.
    Auf dem Feld westlich dem Goldenen Teich tobte die Schlacht, die Schwarzen hackten auf die Brugger Reiterei, die die Formation der Infanterie beschützte. Aus dem Schlachtknäuel heraus, vor den Augen des Fähnrichs sprühten plötzlich, wie die Funken, wie buntes Kirchenfenster, die Gestalten in grünen, gelben und roten Mänteln, die chaotisch zum Fluss Chotli huschten. Hinter ihnen her, wie ein schwarzer Fluss, überflossen sich die Nilfgaarder.
    Aubry, er hielt die Stute scharf an, zog die Zügel zusammen, bereit zurückzukehren und zu fliehen, aus dem Weg der Gejagten und der Jagenden. Das Pflichtgefühl nahm Oberhand. Der Fähnrich haftete sich an den Hals des Pferdes und ritt im halsbrecherischen Galopp.
    Ringsum herrschte Geschrei und Getrappel, sich rasant veränderndes Flackern der Gestalten, Schimmern der Schwerter, Geklirr, Krach. Manche Brugger, bis in den Teich getrieben, wehrte sich verzweifelt, sich um die Standarte ringsum mit dem Ankerkreuz zusammendrängend. Auf dem Feld schlachteten die Schwarzen die verstreute, unterstützungslose Infanterie ab.
    Die Sicht versperrte ihm ein schwarzer Mantel mit dem Zeichen der silbernen Sonne.
    »Evgyr, Nordling!«
    Aubry schrie, die vom Schrei aufgeregte Stute sprang wahrlich wie ein Hirsch, ihm das Leben rettend, sie trug ihn aus der Reichweite des nilfgaardischen Schwerts davon. Über seinem Kopf pfiffen plötzlich Pfeile und Bolzen, vor den Augen schimmerten wieder Gestalten.
    Wo bin ich? Wo ist der Freund? Wo ist der Feind?
    »Evgyr morv, Nordling!«
    Das Gepolter, das Geklirr, das Wiehern der Pferde, das Geschrei.
    »Stopp, du Hosenscheißer! Nicht da durch!«
    Eine Frauenstimme. Eine Frau auf einem schwarzen Hengst, in Rüstung, mit dem im Wind flatternden Haar, das Gesicht von Bluttüpfelchen bedeckt. Daneben Panzerritter.
    »Wer bist du?« verschmierte die Frau das Blut mit der Faust, in der sie das Schwert hielt.
    »Fähnrich Aubry … der Flügeladjutant vom Oberkommandierenden Natalis … Mit Befehlen für den Oberst Pangratt und Elsa …«
    »Du hast keine Chance, dahin zu kommen, wo Adieu kämpft. Reiten wir zu den Zwergen. Ich bin Julia Abatemarco … In Galopp, verdammt! Sie umzingeln uns! In Galopp!«
    Er schaffte nicht, zu protestieren. Denn es hatte auch keinen Sinn.
    Nach einer Weile des wütenden Galopps wurde Infanteriemasse sichtbar, ein Karree, wie eine Schildkröte mit der Wand aus Pavesen gepanzert, wie ein Nadelkissen mit Klingen vollgespickt. Über dem Karree flatterte eine große, goldene Standarte mit gekreuzten Hämmern, und nebenan ragte eine Stange mit Pferdeschwänzen und menschlichen Schädeln empor.
    Das Karree, wie die Hunde, die greifend und zur Seite springend an einem mit Stock fuchtelnden Bettler zerrten, griff die Nilfgaarder an. Die Division "Ard Feainn", dank der großen Sonne auf den Mäntel war nicht zu verwechseln.
    »Hau rein, Freie Kompanie!«, brüllte die Frau, sie drehte mit dem Schwert eine Mühle. »Lass uns unseren Sold verdienen!«
    Die Reiter - und mit ihnen der Fähnrich Aubry - stürzten sich auf die Nilfgaarder.
    Das Gefecht dauerte weinige Augenblicke. Aber es war fürchtbar. Dann öffnete sich vor ihnen die Wand aus Pavesen. Sie befanden sich innerhalb des Karrees, im Gedränge, zwischen Zwergen, ausgerüstet mit Kettenpanzern und Kettenhauben, zwischen der redanischen Infanterie, leichter Brugger Reiterei und gepanzerter Condottieri.
    Julia Abatemarco - die Süße Range, eine Condottierin, Aubry assoziierte das erst jetzt - führte ihn zu einem bauchigen Zwerg, mit einem schön verzierten Helm auf dem Kopf, er saß plump auf einem nilfgaardischen Pferd, im Lanzensattel mit großen Sattelbögen, auf den er hinaufkletterte, um über die Köpfe der Infanterie hinweg Ausschau zu halten.
    »Oberst Barclay Els?«
    Der Zwerg nickte mit dem Kopf, merkte mit deutlichem Ermessen das Blut, mit dem der Fähnrich und seine Stute bespritzt waren. Aubry errötete unbewusst. Das war das Blut derer Nilfgaarder, die von den Condottieren neben ihm niedergemetzelt wurden. Er selbst schaffte nicht mal, das Schwert herauszuziehen.
    »Fähnrich Aubry …«
    »Der Sohn von Anzelm Aubry?«
    »Der jüngste.«
    »Ha! Ich kenne deinen Vater! Was hast du für mich von Natalis und Foltest zu berichten, Fähnrich?«
    »In der Mitte der Gruppierung droht euch einen Durchbruch … Der Oberkommandierende befiehlt, das Bataillon der Freiwilligen soll die Flanke schnell auflösen, sich bis zum Goldenen Teich und Fluss Chotla zurückziehen … Zur Unterstützung …«
    Die Stimmen wurden vom Gebrüll, Geklirr und Quieken der Pferde übertönt. Aubry wurde plötzlich klar, welch sinnlose Befehle er überbrachte. Wie wenig wert waren sie für Barclay Els, für Julia Abatemarco, für das Karree der Zwerge unter der goldenen Standarte mit den Hämmern, die über dem schwarzen Meer der Nilfgaarder flatterte, von allen Seiten umzingelt und angegriffen.
    »Zu spät …«, stöhnte er. »Ich bin zu spät gekommen …«
    Die Süße Range schnaubte. Barclay Els bleckte die Zähne.
    »Nein, Fähnrich«, sagte er. »Nilfgaard ist zu früh gekommen.«


    ****


    »Ich gratuliere Ihnen, meine Damen, und mir, zur gelungenen Resektion des Dünndarms, des Dickdarms, Splenektomie, zum Nähen der Leber. Ich schenke Beachtung der Zeit, die wir zur Verfügung hatten, um die Ursachen dessen zu beseitigen, was unserem Patienten während der Schlacht innerhalb von Bruchteilen der Sekunde zugestoßen ist. Ich empfehle das als Material für die philosophischen Überlegungen. Den Patienten näht uns jetzt Fräulein Shani zu.«
    »Aber ich habe das noch nie gemacht, Herr Rusty!«
    »Irgendwann muss man anfangen. Rot mit rot, gelb mit gelb, weiß mit weiß. Nähe so zu, und alles wird sicherlich gut gehen.«


    ****


    »Was meinst du?« zersauste Barclay Els den Bart. »Was redest du, Fähnrich? Der jüngste Sohn von Anzelm Aubry? Dass wir hier was machen, faulenzen? Wir, verdammte Scheiße, haben nicht mal unter dem Angriff gezuckt! Keinen Schritt sind wir zurückgewichen. Das ist nicht unsere Schuld, dass jene Brugger nicht standhalten konnten!«
    »Aber der Befehl …«
    »Ich scheiße auf den Befehl!«
    »Wenn wir das Loch nicht zu machen«, überschrie die Süße Ran-ge den Trubel. »Die Schwarzen brechen die Front durch! Sie brechen die Front durch! Mache die Formation auf, Barclay! Ich schlage zu! Ich kämpfe mich hindurch!«
    »Sie schlachten euch ab, bevor ihr den Teich erreicht! Ihr werdet sinnlos sterben!«
    »Was schlägst du vor?«
    Der Zwerg fluchtete, riss vom Kopf den Helm, krachte mit ihm zu Boden. Seine Augen waren wild, blutunterlaufen, schrecklich.
    Chiquita, vom Schrei aufgescheucht, tänzelte unter dem Fähnrich, so weit, wie die Zügel das erlaubten.
    »Ruft mir Yarpen Zigrin und Dennis Cranmer hierher! Aber hurtig!«
    Zwei Zwerge kamen aus der verbissensten Schlacht an, das war auf den ersten Blick zu sehen. Beide waren mit Jauche bespritzt. Die eiserne Schulterklappe des einen trug die Spuren eines Hiebs, der die Blechränder hochkant stellte. Der zweite hatte den Kopf mit einen Lappen verbunden, durch den das Blut sickerte.
    »Alles in Ordnung, Zigrin?«
    »Interessant«, atmete der Zwerg aus, »warum alle danach fragen?«
    Barclay Els drehte sich um, fand mit dem Blick den Fähnrich und starrte ihn an.
    »Also wie, der jüngste Sohn von Anzelm?« hustete er ab. »Der König und der Oberkommandierende befehlen, dass wir dorthin zu denen kommen und sie unterstützen? Nun, mach die Augen weit auf, Fähnrich. Es wird was zu sehen geben.«


    ****
  12. #92 Zitieren
    Lehrling
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    Jaskier ist offline
    »Scheiße!«, brüllte Rusty, er sprang vom Tisch und fuchtelte mit dem Skalpell. »Warum? Verdammt noch mal, warum muss das sein?«
    Keiner antwortete ihm. Marti Sodergren streckte nur die Arme aus. Shani senkte den Kopf, Iola zog die Nase hoch.
    Der Patient, der gerade verstarb, schaute nach oben, und seine Augen waren starr und gläsern.


    ****


    »Nieder! An den Galgen mit den Hurensöhnen!«
    »Und alle gleichmäßig!«, brüllte Barclay Els. »Im gleichen Schritt! Die Formation festhalten! Und haltet zusammen! Zusammenhalten!«
    Sie werden mir nicht glauben, dachte der Fähnrich Aubry. Niemals werden sie mir glauben, wenn ich davon erzählen werde. Dieses Karree kämpft völlig umzingelt … Umzingelt von allen Seiten von der Kavallerie, gezerrt, geschlagen, gehauen und gestoßen … Und dieses Karree marschiert. Es marschiert, gleichmäßig, kompakt, Pavese an Pavese. Es marschiert, trampelt und stiegt über die Leichen, es schiebt vor sich die Elitedivision "Ard Feainn" … Es marschiert.
    »Nieder!«
    »Gleichmäßiger Schritt! Gleichmäßiger Schritt!«, brüllte Barclay Els. »Haltet die Formation zusammen! Der Gesang, verdammt, der Gesang! Unser Gesang! Nach vorn, Mahakam!«
    Aus den Tausenden zwergischen Kehlen brüllte der berühmte Kriegsgesang von Mahakam auf.


    Haaauuuu! Haaauuu! Hau!
    Wartet ab, Klienten!
    Gleich geht euch an den Kragen!
    Zerfällt dieses Bordell
    Bis auf die Fundamenten!
    Haaauuuu! Haaauuu! Hau!



    »Attacke! Freie Kompanie!«
    Ins Riesengebrüll der Zwerge stach, wie eine dünne, kantige Klinge, der hohe Sopran von Julia Abatemarco. Die Condottieren, sich aus der Formation reißend, gingen zum Gegenangriff auf die das Karree angreifende Kavallerie über. Das war wahrhaftig ein selbstmörderischer Zug. Den Söldnern, ohne Unterstützung von zwergischen Hellebarden, Piken und Pavesen, wandte sich die ganze Wucht des nilfgaardischen Angriffs zu. Das Gepolter, Geschrei und Quieken der Pferde verursachten, dass sich der Fähnrich Aubry reflexartig im Sattel einzog. Jemand schlug ihn in den Rücken, er spürte, wie er zusammen mit der im Getümmel stecken gebliebenen Stute in die Richtung des größten Wirrwarrs und des schrecklichsten Schlachtens dahingleitet. Fest fasste er am Griff des Schwertes, der ihm plötzlich erschien, glitschig und merkwürdig unhandlich zu sein.
    Nach einer Weile, vor die Linie der Pavesen hinausgetragen, hackte er um sich herum wie besessen, und er schrie wie besessen.
    »Noch mal!« hörte er den wilden Schrei der Süßen Range. »Noch ein Kraftakt! Haltet durch, Jungs! Haut rein, tötet sie! Für einen Dukaten, golden wie die Sonne! Zu mir, Freie Kompanie!«
    Ein nilfgaardischer Ritter ohne Helm, mit der silbernen Sonne auf dem Mantel, drang in die Formation hinein, mit einem schrecklichen Hieb eines Kriegsbeiles streckte er einen Zwerg mit Pavese nieder, er zertrümmerte den Schädel eines zweiten. Aubry drehte sich im Sattel um und schlug mit voller Wucht. Vom Kopf des Nilfgaarders flog ein ziemlich großes, behaartes Fragment weg, er selbst fiel zu Boden. Im gleichen Augenblick bekam der Fähnrich auch irgendwas auf den Kopf und fiel aus dem Sattel runter. Das Gedränge verursachte, dass er sich nicht sofort auf dem Boden befand, er hing einige Sekunde, während er dünn brüllte, zwischen dem Himmel, der Erde und den Flanken zweier Pferde. Obwohl er viel Angst bis zum Hals aß, den Schmerz schaffte er nicht zu schmecken. Als er zu Boden fiel, zerquetschten die beschlagenen Hufe seinen Schädel beinah sofort.


    ****


    Fünfundsechzig Jahre danach, auf die Frage nach jenem Tag, nach der Schlacht bei Brenna, nach dem Karree, das zum Goldenen Teich über die Leichen der Freunde und Feinde ging, lächelte das alte Mütterchen, sein faltiges und dunkles, wie eine getrocknete Pflaume Gesicht noch mehr fältelnd. Ungeduldig - oder vielleicht täuschte sie nur vor, ungeduldig zu sein - fuchtelte sie mit der zit-ternden, knochigen, durch die Gicht monströs entstellten Hand.
    »In keiner Weise«, murmelte sie, » konnte keine der Seiten die Oberhand gewinnen. Wir sind in der Mitte gewesen. In der Umzingelung. Sie waren außerhalb gewesen. Und wir hatten uns schlicht und einfach gegenseitig getötet. Sie uns, wir sie … Khe-khe-khh … Sie uns, wir sie …«
    Das alte Mütterchen unterdrückte mit Mühe den Hustenanfall. Diejenigen, die näher waren, sahen auf ihrer Wange eine Träne, die sich mühevoll den Weg durch die Falten und alte Narben bahnte.
    »Sie waren gleichermaßen tapfer gewesen wie wir«, murmelte das Weiblein, das einst, die Julia Abatemarco gewesen war, die Süße Range aus der Freien Kompanie der Condottieri. »Khe-ke … Wir waren genau so tapfer. Wir und sie.«
    Das alte Mütterchen schwieg. Lange. Die Zuhörer drängten sie nicht, sie schauten zu, wie sie die Erinnerungen anlächelte. Den Ruhm. Die im Nebel der Vergessenheit schemenhaften Gesichter derer, die rühmlich überlebten. Dafür, um später miserabel an Vodka, Drogen und Tuberkulose zu sterben.
    »Wir waren genau so tapfer gewesen«, beendete Julia Abatemarco. »Keine der Seiten hatte mehr Kraft gehabt, um mehr tapfer zu sein. Aber wir … Wir hatten es geschafft, um eine Minute länger tapfer zu sein.«


    ****
  13. #93 Zitieren
    Lehrling
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    Jaskier ist offline
    »Marti, ich bitte dich sehr, gib uns noch ein bisschen von deiner wunderbaren Magie! Noch ein bisschen, wenn auch zehn Dekagramm! Wir haben im Bauch dieses Unglücksvogels ein Riesengulasch, zusätzlich mit einer Unmenge an Drahträdchen des Kettenpanzers gewürzt! Ich kann nichts machen, wenn er sich so wie ein ausgeweideter Fisch hin und her wirft! Shani, verdammt, halte die Haken! Iola! Schläfst du, zum Teufel? Die Klemme! Die Kleemmee!«
    Iola atmete schwer aus, mit Mühe schluckte sie den Speichel runter, von dem der Mund voll war. Ich werde gleich ohnmächtig, dachte sie. Ich halte das nicht mehr aus, ich ertrage das nicht länger, diesen üblen Geruch, diese fürchterliche Mischung aus Blutgestank, Kotze, Kot, Urin, Eingeweide, Schweiß, Angst und Tod. Ich halte dieses unaufhörliche Geschrei nicht länger aus, dieses Gebrüll, diese blutbeschmierten, schlüpfrigen Hände, die an mich so anklammern, als ob ich wirklich derer letzte Rettung wäre, derer Fluch, derer Leben … Ich ertragen diesen Unsinn nicht, den wir hier machen. Denn das ist sinnlos. Ein großer, gewaltiger, sinnloser Unsinn.
    Ich ertrage die Anstrengung und die Müdigkeit nicht. Fortwährend bringt man neue … Und neue …
    Ich halte nicht aus. Ich werde kotzen. Ich werde ohnmächtig sein. Ich werde mich dafür schämen …
    »Das Tuch! Der Tampon! Die Darmklemme! Nicht diese! Eine weiche Klemme! Pass auf, was du machst! Noch mal wirst du dich irren, dann schlage ich dich auf den rothaarigen Schädel! Hast du gehört? Ich schlage auf den rothaarigen Schädel!«
    Große Melitele. Hilf mir. Hilf mir, Göttin.
    »Na, bitte schön! Sofortige Verbesserung! Noch eine Klemme, Priesterin! Eine Gefäßklemme! Gut! Gut, Iola, halte so! Marti, wische die Augen und das Gesicht ab. Mir auch …«


    ****


    Woher kommt dieser Schmerz, dachte der Oberkommandierende Jan Natalis. Was tut mir so weh?
    Ah!
    Die geballte Faust.


    ****


    »Schlachten wir sie ab!« schrie Kees van Lo, sich die Hände reibend. »Schlachten wir sie ab, Herr Marschall! Die Linie platzt am Stoß! Greifen wir ein, ohne zu zögern, auf die Große Sonne, sie werden zusammenbrechen! Sie werden auseinander laufen!«
    Menno Coehoorn biss nervös einen Fingernagel an. Als er merkte, dass sie ihn anschauen, zog er schnell den Finger aus dem Mund.
    »Greifen wir ein«, wiederholte Kees van Lo, ruhig, diesmal ohne Emphase. »"Nauzicaa" ist bereit …«
    »"Nauzicaa" muss stehen bleiben«, sagte Menno scharf. Daerlaner müssen auch stehen bleiben. Herr Faoiltiarna!
    Der Kommandeur der Brigade "Vrihedd", Isengrim Faoiltiarna, der Eiserne Wolf genannt, wandte dem Marschall sein von einer Narbe schrecklich entstelltes Gesicht zu. Die Narbe verlief über die Stirn, Augenbraue, Nase und Wange.
    »Greift an«, zeigte Menno mit dem Marschallstab. »Auf den Stoß von Temeria und Radenia. Dort.«
    Der Elf salutierte. Das hässliche Gesicht zuckte nicht mal, die großen, tiefen Augen änderten den Ausdruck nicht.
    Verbündete, dachte Menno. Alliierte. Wir kämpfen gemeinsam an. Gegen einen gemeinsamen Feind.
    Aber ich verstehe sie überhaupt nicht, diese Elfen.
    Sie sind so fremd.
    So anders.


    ****


    »Interessant«, versuchte Rusty das Gesicht mit dem Ellenbogen abzuwischen, aber der Ellenboden war auch voller Blut. Iola eilte ihm zur Hilfe.
    » Interessant«, wiederholte der Chirurg, auf den Patienten zeigend. »gestoßen mit einer Forke oder mit einer ähnlichen Art der Zweizack-Helmbarte … Eine Schneide hat das Herz durchstochen, hier, bitte schauen. Die Kammer wurde sicher durchstochen, die Aorta beinah abgetrennt … Und er hat noch vor kurzem geatmet. Hier, auf dem Tisch. Getroffen direkt ins Herz, er hat bis zum Tisch überlebt …«
    »Wollt ihr sagen«, fragte finster der Kavallerist aus der leichten Volontär-Reiterei, »dass er gestorben ist? Umsonst haben wir ihn vom Schlachtfeld getragen?«
    »Niemals ist es umsonst«, senkte Rusty die Augen nicht. »Um ganz genau zu sein, ja, er ist tot, leider. Exitus. Nehmt ihn … Ähm, verdammt … Nun, werft mit dem Augen, Mädchen.«
    Marti Sodergren, Shani und Iola neigten sich über den Leichnam herab. Rusty zog das Augenlid des Leichnams weg.
    »Habt ihr schon irgendwann so was gesehen?«
    Alle zuckten zusammen.
    »Ja«, sagten alle gleichzeitig. Sie schauten sich an, als ob sie ein bisschen erstaunten.
    »Ich habe auch gesehen«, sagte Rusty. »Das ist ein Hexer. Ein Mutant. Das würde erklären, warum er so lange gelebt hat … War er euer Kriegskamerad, Leute? Oder habt ihr ihn zufällig gebracht?«
    »Er war unser Kamerad, Herr Medikus«, sagte düster der zweite Volontär, ein Riesenkerl mit verbundenem Kopf. »Aus unserer Schwadron, ein Freiwilliger wie wir. Ach, er war ein Schwertmeister. Er hieß *****.«
    »Und er ist ein Hexer gewesen?«
    »Jau. Aber sonst ein anständiger Kerl.«
    »Ach«, seufzte Rusty, während er vier Soldaten sah, die in einem blutdurchnässten und mit Blut tröpfelten Mantel den nächsten Verletzten trugen, einen sehr jungen, nach dem dünnen Heulen zu urteilen.
    »Ach, schade … Gerne würde ich mich an die Obduktion dieses sonst anständigen Hexers machen. Die Neugier brennt, und die Dissertation könnte man schreiben, wenn man ihm ins Innere schauen würde … Aber ich habe keine Zeit! Weg vom Tisch mit dem Leichnam! Shani, Wasser. Marti, Desinfektion. Iola, reiche mir … Was ist los, Mädchen, weinst du schon wieder? Warum diesmal?«
    »Nichts, Herr Rusty. Nichts. Alles ist schon in Ordnung«


    ****


    »Ich fühle mich«, wiederholte Triss Merigold, »so, als ob mich jemand beklaut hätte.«
    Nenneke antwortete lange nicht, sie schaute von der Terrasse aus den Tempelgarten an, in dem die Priesterinnen und Adeptinnen die Frühlingsarbeiten verrichteten.
    »Hast du dich entschieden«, sagte sie endlich. »Du hast deinen Weg gewählt, Triss. Dein eigenes Schicksal. Freiwillig. Es ist keine Zeit, zu jammern.«
    »Nenneke«, senkte die Zauberin die Augen. »Wirklich kann ich nicht mehr sagen, als ich schon gesagt habe. Glaube und verzeihe mir.«
    »Wer bin ich, um dir zu verzeihen? Und was wird dir meine Verzeihung bringen?«
    »Ich sehe doch«, fuhr Triss hoch, »mit welchem Blick du mich anschaust! Du und deine Priesterinnen. Ich sehe, wie ihr mich mit den Augen fragt. Was machst du hier, Zauberin? Warum bist du nicht da, wo Iola, Eurneid, Katje und Myrrha sind? Jarre?«
    »Du übertreibst, Triss«
    Die Zauberin schaute in die Weite, auf den blau schimmernden Wald hinter den Mauern des Tempels, auf den Qualm der fernen Feuerstellen. Nenneke schwieg. Mit den Gedanken war sie auch fern. Dort, wo der Kampf tobte und das Blut vergoss. Sie dachte an die Mädchen, die sie dorthin schickte.
    »Sie«, sprach Triss, »haben mir alles verweigert.«
    Nenneke schwieg.
    »Sie haben mir alles verweigert«, wiederholte Triss. »Sie sind derartig klug, derartig vernünftig, derartig logisch … Wie soll man ihnen nicht glauben, wenn sie erklären, dass es wichtige und weniger wichtige Sachen gibt, dass man auf die weniger wichtigen unüberlegt verzichten soll, um sie den wichtigen ohne Reue zu opfern? Dass es keinen Sinn ergibt, Menschen zu retten, die man nicht kennt und nicht liebt, weil das Einzelpersonen sind, derer Schicksal für das Schicksal der Welt bedeutungslos ist. Dass der Kampf um die Ehre und Ideale sinnlos ist, weil das leere Vorstellungen sind? Dass die wirkliche Schlacht um das Weltschicksal ganz woanders stattfindet, dass man woanders kämpfen wird? Und ich fühle mich beklaut. Beklaut um die Möglichkeit, Wahnsinn zu begehen. Ich kann nicht wahnsinnig eilen, um Ciri zu helfen, ich kann nicht wie eine Wahnsinnige laufen, um Geralt und Yennefer zu retten. Nicht genug, in dem Krieg, der tobt, in dem Krieg, in den du deine Mädchen geschickt hast … In dem Krieg, zu dem Jarre geflohen ist, verweigert man mir sogar die Möglichkeit, auf dem Hügel zu stehen. Noch mal auf dem Hügel zu stehen. Diesmal mit dem Bewusstsein der wirklich bewussten und richtigen Entscheidung.«
    »Jeder hat irgendeine eigene Entscheidung und irgendeinen eigenen Hügel, Triss«, sagte die Erzpriesterin leise. »Jeder. Du wirst vor deinen auch nicht fliehen können.«


    ****


    Im Eingang zum Zelt gab es einen Tumult. Man hat den nächsten Verletzten gebracht, in Begleitung einiger Ritter. Einer, er hatte Plattenharnisch an, er schrie wiederholt auf, er kommandierte herum, er trieb an.
    »Bewegt euch, Medizinmänner! Munter! Hierher mit ihm, hierher! Hallo, du, Feldscher!«
    »Ich bin beschäftigt«, hob Rusty nicht mal den Blick. »Bitte den Verletzten auf die Trage hinlegen. Ich kümmere mich um ihn, sobald ich das zu Ende mache.«
    »Du kümmerst dich um ihn sofort, blöder Medikus! Denn das ist der hochwohlgeborene Herr Graf Garramone!«
    »Dieses Krankenhaus«, hob Rusty die Stimme, sauer, denn die gebrochene, in den Eingeweiden des Verletzten steckende Spitze eines Bolzens entschlüpfte ihm wieder aus der Zange. »Dieses Krankenhaus hat wenig Gemeinsames mit Demokratie. Hierher kommen welche, hauptsächlich von den zum Ritter Geschlagenen aufwärts. Baronen, Grafen, Marquisen, andere Adligen. Um die nicht hochwohlgeborenen Verletzten kümmert sich irgendwie kaum jemand. Aber eine gewisse Gleichheit herrscht hier doch. Auf meinem Tisch nämlich.«
    »He? Wie, was?«
    »Unwichtig«, führte Rusty abermals die Sonde und die Zange in die Wunde ein, »ob der hier, dem ich gerade das Eisen aus dem Gedärm herausnehme, ein Rüpel ist, alte Schlachta oder ein Aristokrat. Er liegt bei mir auf dem Tisch. Und bei mir, wenn ich es so sage, sind Fürsten und Hofnarren gleich.«
    »Wie, was?«
    »Euer Graf wartet, bis er an der Reihe ist.«
    »Du verflixter Halbling!«
    »Hilf mir, Shani. Nimm die zweite Zange. Vorsicht auf die Schlagader! Marti, noch etwas Magie, wenn ich bitten darf, wir haben hier eine starke Blutung.«
    Der Ritter machte einen Schritt voran, zähneknirschend und mit der Rüstung quietschend.
    »Ich lasse dich aufhängen!«, brüllte er. »Aufhängen lasse ich dich, du Unmensch!«
    »Schweige, Papebrock«, sprach der verletzte Graf mit Mühe, die Lippen zusammenbeißend. »Schweige. Lass mich hier und kehre in die Schlacht zurück …«
    »Nein, mein Herr! Niemals!«
    »Das ist ein Befehl.«
    Hinter der Plane des Zeltes hervor kamen Gepolter und Geklirr des Eisens, Schnarchen der Pferde und wilde Schreie. Die Verletzten im Lazarett heulten mit verschiedenen Stimmen.
    »Bitte schauen«, hob Rusty die Zange hoch, er zeigte die endlich herausgezogene, dornige Spitze. »Dieses Spielzeug hat ein Handwerker hergestellt, dank dieser Herstellung kann er seine große Familie unterhalten, überdies trägt er zur Entwicklung des Kleingewerbes bei, und zwar zum allgemeinen Wohlstand und Glück. Und die Art und Weise, wie sich dieses Spielzeug an menschlichem Gedärm festhält, ist sicherlich durch ein Patent geschützt. Es lebe der Fortschritt.«
    Lässig warf er die blutbeschmierte Spitze in den Kübel, er schaute den Verletzten an, der während der Ansprache in Ohnmacht fiel.
    »Zunähen und mitnehmen«, nickte er. »Falls er Glück haben wird, dann wird er überleben. Holt den nächsten an der Reihe. Diesen, mit dem zertrümmerten Kopf.«
    »Dieser«, sprach Marti Sodergren gelassen, »hat die Reihe verlassen. Vor kurzem.«
    Rusty atmete ein und aus, ohne überflüssige Kommentare ging er vom Tisch, er blieb am verletzten Grafen stehen. Seine Hände waren beschmiert, die Schürze bespritzt mit Blut wie bei einem Metzger. Daniel Etcheverry, der Graf Garramone, verblies noch mehr.
    »Na«, schnaufte Rusty. »Sie sind an der Reihe, gnädiger Graf. Legt ihn auf den Tisch. Was haben wir denn? Ha, von diesem Gelenk ist nichts übrig geblieben, was man noch retten könnte. Grütze! Brei! Womit haut ihr euch, Herr Graf, dass ihr euch die Knochen so zermalmt? Na, das wird ein bisschen wehtun, gnädiger Graf. Ein bisschen. Aber bitte, fürchtet Euch nicht. Das wird ähnlich sein, wie in der Schlacht. Die Binde. Das Messer! Wir amputieren, gnädiger Herr!«
    Daniel Etcheverry, der Graf Garramone, bis jetzt gute Miene zum bösen Spiel machend, heulte auf wie ein Wolf. Bevor er vor lauter Schmerzen die Kiefer zumachte, schob ihm Shani mit einer schellen Bewegung einen Lindenpflock zwischen die Zähne.


    ****
  14. #94 Zitieren
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    »Eure Königliche Majestät! Herr Oberkommandierende!«
    »Rede, Bursche«
    »Das Bataillon der Freiwilligen und die Freie Kompanie halten den engen Durchgang am Teich … Die Zwerge und die Condottieri stehen fest, obwohl schrecklich dezimiert … Man redet, "Adieu" Pangratt sei tot, Frontino tot, Julia Abatemarco tot … Alle, alle sind tot! Das Dorianer Regiment, das mit Entsatz ging, abgeschlachtet …«
    »Reserve, gnädiger Oberkommandierende«, sagte Foltest leise, aber deutlich. »Falls Ihr meine Meinung hören wollt, es ist Zeit, die taktische Reserve einzusetzen. Möge Bronibor auf den Schwarzen seine Infanterie schicken! Gleich! Sofort! Sonst zergliedern sie unsere Formation, und das bedeutet das Ende.«
    Jan Natalis antwortete nicht, vom weiten beobachtete er schon den nächsten Boten, der auf einem schaumbedeckten Pferd auf ihn zu rannte.
    »Atme tief durch, Bursche. Atme durch und rede gewandt!«
    »Sie haben durchbrochen … Die Front … Die Elfen aus der Brigade "Vrihedd" … Herr de Ruyter übermittelt Euer Gnaden …«
    »Was übermittelt er? Rede!«
    »Es ist Zeit, das Leben zu retten.«
    Jan Natalis hob die Augen zum Himmel.
    »Blenckert«, sagte er still. »Möge Blenckert ankommen. Oder möge die Nacht kommen.«


    ****


    Der Boden um das Zelt herum bebte unter den Hufen, die Plane, es schien, als wäre sie von Schreien und Wiehern der Pferde aufgebläht. Ins Zelt rannte ein Soldat herein, dicht hinter ihm her zwei Sanitäter.
    »Leute, flieht!« brüllte der Soldat. »Rettet euch! Nilfgaard schlägt uns! Vernichtung! Vernichtung! Niederlage!«
    »Die Klemme«, zog Rusty das Gesicht vor dem Strahl des Blutes zurück, vor der energischen und lebendigen Fontäne, die aus der Schlagader herausspritzte. »Die Klemme! Und ein Tampon! Die Klemme, Shani! Marti, mach was mit der Blutung …«
    Jemand heulte neben dem Zelt wie ein Tier auf, kurz, abrupt. Ein Pferd quiekte, etwas mit Klirren und Dröhnen stürzte zu Boden. Ein Bolzen aus der Armbrust stach krachend die Plane des Zeltes durch, zischte, flog auf der Gegenseite hinaus, glücklicherweise zu hoch, um die auf den Tragen liegenden Verletzten zu bedrohen.
    »Nilfgaaaaaaad!«, schrie der Soldat abermals, mit hoher, zittern-der Stimme. »Herren Feldscher! Hört ihr nicht, was ich sage? Nilfgaard hat die Königliche Front durchbrochen, sie marschieren und töten! Flieehhht!«
    Rusty nahm von Marti Sodergren die Nadel, machte die erste Naht. Der Operierte bewegte sich seit längerer Zeit nicht mehr. Aber das Herz schlug. Das sah man.
    »Ich will nicht sterben!«, schrie einer von den geistesgegenwärtigen Verletzten. Der Soldat fluchte, sprang zum Ausgang, plötzlich schrei er, fiel rückwärts, mit Blut spritzend stürzte er zu Boden. Iola, an der Trage kniend, sprang auf, wich zurück.
    Plötzlich wurde still.
    Schlecht, dachte Rusty, sehend, wer ins Zelt hereinkommt. Elfen. Die silbernen Blitze. Die Brigade "Vrihedd". Die berühmt berüchtigte Brigade "Vrihedd".
    »Wir heilen hier«, stellte der erste Elf fest, der große, von länglichem, schönem, ausdrucksvollem Gesicht und großen kornblumenblauen Augen. »Heilen wir?«
    Niemand sprach was. Rusty spürte, wie seine Hände beginnen zu zittern. Schnell gab er die Nadel Marti zurück. Er sah, wie die Stirn und die Nase von Shani verblasen.
    »Wie denn so?« sagte der Elf, boshaft die Worte in die Länge ziehend. »Wofür verletzen wir sie dort, auf dem Schlachtfeld? Wir verletzen sie dort, in der Schlacht, damit sie sterben. Und ihr heilt sie? Ich bemerke an dieser Stelle absolut keine Logik. Und keine gemeinsamen Interessen.«
    Der Elf beugte sich und rammte, fast ohne auszuholen, das Schwert in die Brust des Verletzten, der auf der nächsten Trage vom Eingang lag. Ein anderer Elf nagelte den zweiten Verletzten mit einem Sponton fest. Der dritte Verletzte, bei Bewusstsein, versuchte mit dem linken Arm und dem dick verbundenen Stumpf der Rechten einen Hieb abzuwehren.
    Shani schrie. Dünn, durchdringend. Sie überschrie das schwere, unmenschliche Stöhnen des ermordeten Verkrüppelten. Iola, sich auf die Trage stürzend, verdeckte mit dem Körper den nächsten Verletzten. Ihr Gesicht verblies wie das Leinen, die Lippen begannen unwillkürlich zu zittern. Der Elf kniff die Augen zusammen.
    »Va vort, beanna!«, bellte er. »Sonst steche ich dich zusammen mit dem Dh'oine durch!«
    »Verschwindet von hier!« Mit drei Sprüngen stand Rusty vor Iola, er verdeckte sie. »Verlass sofort mein Zelt, du Mörder. Schere dich hinaus, dorthin, auf das Schlachtfeld. Dort ist dein Platz. Unter den anderen Mördern. Schlachtete euch gegenseitig ab, wenn ihr wollt! Aber nicht hier. Weg!«
    Der Elf schaute nach unten. Auf den vor Angst zitternden, bauchigen Halbling, der ihm mit seinem krausen Haarschopf ein bisschen oberhalb des Gurtes reichte.
    »Bloede Pherian«, zischte er. »Du menschlicher Lakai! Geh mir aus dem Weg!«
    »Ganz bestimmt nicht«, ratterten die Zähne des Halblings, aber die Worte klangen deutlich.
    Der zweite Elf sprang auf ihn zu, stoß den Chirurgen mit dem Schaft des Spontons. Rusty fiel auf die Knie. Der große Elf riss Iola mit einem brutalen Ruck vom Verletzen runter, hob das Schwert empor.
    Und erstarrte, als er auf dem schwarzen, unter dem Kopf des Verletzten eingerollten Mantel, die Silbernen Flammen der Division "Deithwen" sah. Und die Rangabzeichen eines Obersten.
    »Yaevinn!«, schrie eine Elfe von dunklem, in einen Zopf geflochtenem Haar, die ins Zelt hineinstürzte. »Caemm, veloe! Ess'evgyriad a'Dh'oine a'en va! Ess'tess!«
    Der große Elf schaute einen Augenblick den verletzten Oberst an, dann schaute in die vor Angst tränenden Augen des Chirurgen. Dann drehte er sich auf der Ferse um und ging hinaus.
    Hinter den Wänden des Zeltes hervor ließen sich abermals Getrappel, Geschrei und Geklirr des Eisens vernehmen.
    »Auf die Schwarzen! Nieder mit ihnen!« schrien Tausende Stimmen. Jemand heulte wie ein Tier auf, das Geheul ging in ein makabres Röcheln über.
    Rusty versuchte aufzustehen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Die Arme auch nicht.
    Iola, vom starken Wienkrampf geschüttelt, rollte sich neben der Trage des verletzten Nilfgaarders zusammen. In der Stellung eines Embryos.
    Shani weinte, versuchte die Tränen nicht zu verbergen. Und sie hielt die Haken. Marti nähte gelassen, nur die Lippen bewegten sich bei ihr, in einem stummen, lautlosen Monolog.
    Rusty, immer noch nicht aufgestanden, setzte sich. Sein Blick begegnete den Augen eines zusammengezogenen, in die Ecke des Zeltes eingedrückten Sanitäters.
    »Gib mir einen Schluck Schnaps«, sagte er mit Mühe. »Sag bloß nicht, dass du keinen hast. Ich kenne euch, Schelme. Ihr habt immer welchen bei.«


    ****

    Der General Blenheim Blenckert stand in den Steigbügel, streckte den Hals lang aus wie ein Kranich, lauschte den Geräuschen der Schlacht.
    »Dehnt die Formation aus«, befahl er den Kommandeuren. »Und hinter diesem Hügel gehen wir gleich luchsartig. Daraus, was die Kundschafter reden, geht hervor, dass wir direkt auf den rechten Flügel der Schwarzen zukommen.«
    »Und wir geben ihnen eine Abreibung!« schrie einer von den O-berleutnanten leise, ein Rotzbengel mit dem seidigen und sehr schüt-teren Schnurrbärtchen. Blenckert sah ihn scheel an.
    »Die Reihe mit der Standarte nach vorne«, befahl er, das Schwert ziehend. »Und während der Kavallerieattacke schreit: "Redania!", schreit, was die Lungen hergeben! Mögen die Jungs von Foltest und Natalis wissen, dass der Entsatz kommt.«


    ****


    Der Graf Kobus de Ruyter kämpfte in verschiedenen Schlachten, seit vierzig Jahren, seit dem sechzehnten Lebensjahr. Überdies war er ein Soldat in der achten Generation, ohne Zweifel hatte er was in Genen, etwas, was verursachte, dass Gebrüll und Schlachtlärm, für jeden anderen einfach ein erschreckender und alles übertönender Radau, für Kobus de Ruyter wie eine Symphonie war, wie ein Unterhaltungskonzert. De Ruyter hörte im Konzert sofort andere Noten, Akkorde und Töne.
    »Hurra, Jungs!«, brüllte er, mit dem Feldherrnstab fuchtelnd. »Redania! Redania kommt! Adler! Adler!«
    Vom Norden, hinter dem Hügel hervor, rollte auf das Schlachtfeld eine Unmenge Kavallerie zu, über die amarantrote Fähnchen und die große Kriegsflagge mit dem silbernen redanischen Adler.
    »Der Entsatz!« brüllte de Ruyter. »Der Entsatz kommt! Hurraaa! Nieder mit den Schwarzen!«
    Der Soldat in der achten Generation bemerkte sofort, dass die Nilfgaarder den Flügel einziehen, sie versuchen sich dem attackierenden Entsatz mit einer disziplinierten, geschlossenen Frontlinie zuzuwenden. Er wusste, dass man das nicht erlauben darf.
    »Mir nach!« brüllte er, die Standarte aus den Händen des Fahnenträgers reißend. »Mir nach! Tretogorianer, mir nach!«
    Sie griffen an. Sie griffen selbstmörderisch an. Aber wirksam. Die Nilfgaarder aus der Division "Venendal" vermischten die Formation und dann fielen in sie die redanischen Reiterregimente mit Schwung ein. In den Himmel schlug ein Riesengeschrei empor.
    Kobus de Ruyter sah und hörte das nicht mehr. Ein verirrter Armbrustbolzen traf ihn direkt in die Schläfe. Der Graf hing aus dem Sattel herab und fiel vom Pferd, die Standarte bedeckte ihn wie ein Leichentuch.
    Die acht Generationen der Familie de Ruyter, die in Gefechten gefallen worden sind, beobachteten die Schlacht aus dem Jenseits, zustimmend nickten sie mit den Köpfen.


    ****
  15. #95 Zitieren
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    »Man kann sagen, Herr Rittmeister, dass die Nordlinge jenes Tages wie durch ein Wunder gerettet worden waren. Oder ein glückliches Zusammentreffen von Umständen, und niemand war imstande gewesen, das hervorzusehen … Allerdings, Restif de Mantholon hat in seinem Buch geschrieben, dass der Marschall Coehoorn einen Fehler gemacht hatte, bezüglich der Beurteilung der Streitkräfte und Absichten des Gegners. Zu großes Risiko hatte er unternommen, indem er die Gruppe der Armee "Mitte" geteilt und den Kavallerie Streifzug befohlen hatte. Er hatte zu gewagt die Schlacht angenommen, ohne mindestens die dreifache Überlegenheit zu besitzen. Er hatte die Aufklärung vernachlässigt, die mit Entsatz gehende redanische Armee nicht entdeckt.«
    »Kadett Puttkammer! Diese "Werk" der zweifelhaften Qualität von Herrn de Montholona gehört nicht zum Programm dieser Schule! Und Seine Kaiserliche Majestät hat sich überaus kritisch über dieses Buch geäußert! Also, Kadett möge es hier nicht zitieren. Wahrlich, das wundert mich. Bis jetzt waren die Antworten sehr gut, einfach ausgezeichnet, und plötzlich beginnt Kadett uns hier zu erzählen, über Wunder und ein glückliches Zusammentreffen von Umständen, am Ende erlaubt er sich, die Führungsfähigkeiten von Menno Coehoorn zu kritisieren, eines der besten Befehlshaber, welchen das Kaiserreich hatte. Kadett Puttkammer und der ganze Rest der Herren Kadetten, falls ihr ernst über den Abschluss der Militärakademie denkt, möchtet Ihr zuhören und euch merken: bei Brenna haben weder Wunder noch Zufälle gewirkt, sondern ein Komplott! Die feindliche Ablenkungskräfte, subversive Elemente, niederträchtige Unruhestiftler, Kosmopoliten, politische Bankrotteure, Verräter und Renegaten! Ein Geschwür, das man später mit weißem Eisen ausgebrannt hatte. Bevor jedoch dazu gekommen war, diese niederträchtigen Verräter des eigenen Volkes webten ihre Spinnenneste und flochten Fallstricke des Verrates! Diejenigen haben damals den Marschall Coehoorn getäuscht und verraten, sie haben ihn betrogen und irregeführt! Das sind sie, diese Schurken ohne Ehre und Würde, gewöhnliche …«


    ****



    »Hurensöhne«, wiederholte Menno Coehoorn, das Auge vom Fernrohr nicht losreißend. »Gewöhnliche Hurensöhne. Aber ich werde euch kriegen, na wartet, ich werde euch beibringen, was die Erkundung bedeutet. De Wyngalt! Du findest persönlich den Offizier, der im Spähtrupp auf dem Hügel im Norden war. Alle, den ganzen Spähtrupp, lässt du aufhängen.«
    »Jawohl!« knallte der Ouder de Wynbalt mit den Absätzen, aide-de-camp des Marschalls. Damals konnte er nicht wissen, dass Lamarr Flaut, jener Offizier des Spähtrupps, gerade in diesem Moment stirbt, zertrampelt durch die Pferde des von der Flanke angreifenden, geheimen Entsatzes der Nordlingen, von diesem, den er nicht entdeckt hatte. De Wyngalt konnte das nicht wissen, dass ihm selbst nur zwei Stunden zum Leben übrig geblieben waren.
    »Wie viele gibt es von denen, Herr Trahe?« Coehoorn riss weiterhin das Auge vom Fernrohr nicht los. »Ihrer Meinung nach?«
    »Mindestens zehn Tausend«, antwortete der Kommandeur der Siebten Daerlaner. »Hauptsächlich Redania, aber ich sehe auch Aedrin … Das Einhorn ist auch dabei, also, wir haben auch Kaedwen … In der Stärke mindestens eines Reiterregiments …«


    ****


    Das Reiterregiment ging im Galopp, unter den Hufen heraus flog Sand und Schotter.
    »Nach vorne, Bura!« brüllte Halbmetze wie immer besoffen. »Nieder! Kaedweeen! Kaedweeeen!«
    Scheiße, ich muss pinkeln, dachte Zyvik. Ich sollte vor der Schlacht pissen gehen … Jetzt habe ich keine Zeit.
    »Nach vorne, Bura!«
    Immer Bura. Wo es schlecht geht, kommt Bura. Wen schickt man als Expeditionskorps nach Temeria? Bura. Immer Bura. Und ich muss jetzt pissen.
    Sie wurden erreicht. Zyvik brüllte, drehte sich im Sattel und versetzte einem Ritter im schwarzen Mantel mit dem silbernen Stern einen Schwerthieb, seine Schulterklappe und Schulter zertrümmernd.
    »Bura! Kaedweeen! Nieder!«
    Mit Gepolter, Getöse und Geklirr, mitten unter dem Geschrei der Menschen und Quieken der Pferde stoßen das Reiterregiment Bura mit Nilfgaard zusammen.


    ****


    »De Mallis-Stocke und Braibant kommen mit diesem Entsatz zurecht«, sagte Elan Trahe gelassen, der Kommandeur der Siebten Daerlaner Brigade. »Die Streitkräfte sind ausgeglichen, es ist noch nichts Schlimmes passiert. Die Division Tryconnel gleich die linke Flanke aus, "Magne", "Venedal" halten auf der Rechten stand. Und wir … Wir können Oberhand gewinnen, Herr Marschall …«
    »Indem wir den Stoß angreifen, nach den Elfen noch mal drauf schlagen«, begriff Menno Coehoorn sofort. »Wir kommen von hinten und lösen Panik aus. So ist das! So machen wir, es lebe die Große Sonne! Zur Standarte, Herren! "Nauzicaa" und die Siebte, es ist eure Zeit gekommen! «
    »Es lebe der Kaiser!«, brüllte Kess van Lo.
    »Herr de Wyngalt«, drehte sich der Marschall. »Sammeln Sie bitte Adjutanten und die Schützschwadron. Genug vom Nichtstun! Wir reiten Attacke mit der Siebten Daerlaner zusammen.«
    Ouder de Wyngalt verblies leicht, aber er beherrschte sich sofort.
    »Es lebe der Kaiser!« schrie er, seine Stimme zitterte kaum.


    ****


    Rusty schnitt, der Verletzte heulte und kratzte am Tisch. Iola, tapfer gegen den Schwindel ankämpfend, kümmerte sich um Verbände und Klemmen. Vom Eingang des Zeltes heraus hörte man die aufgeregte Stimme von Shani.
    »Wohin denn? Seid ihr verrückt geworden? Hier warten Lebendige auf die Rettung, und ihr drängt euch mit Leichen herein?«
    »Das ist doch der Baron Anzelm Aubry in eigener Person, Frau Feldscherin! Der Kommandeur des Reiterregiments!«
    »Das war ein Kommandeur des Reiterregiments! Jetzt ist er ein Leichnam! Euch ist es gelungen, ihn hierher am Stück zu bringen, dank seiner dichten Rüstung! Nehmt ihn weg. Hier ist ein Lazarett, keine Leichenhalle!«
    »Aber Frau Feldscherin …«
    »Bitte den Eingang nicht versperren! Schaut, dort trägt man so einen, der noch atmet. Es scheint mindestens, dass er atmet. Denn das könnten nur Gase sein.«
    Rusty schnaubte, aber gleich runzelte er die Augenbraue.
    »Shani! Komm sofort hierher!«
    »Merke, Göre«, sprach er durch die zusammengebissenen Zähne, gebeugt über dem zertrümmerten Bein, »Zynismus kann sich ein Chirurg erst nach zehnjähriger Erfahrung erlauben. Hast du verstanden?«
    »Ja, Herr Rusty.«
    »Nimm den Raspator und ziehe die Knochenhaut ab … Verdammt, es wäre nicht schlecht, ihn noch ein bisschen zu betäuben … Wo ist Marti?«
    »Sie kotzt vor dem Zelt«, sagte Shani ohne Spur des Zynismus. »Wie eine Katze.«
    »Die Zauberer«, nahm Rusty die Säge, »statt vielzählige, schreckliche und mächtige Zauberformeln auszudenken, sollte sie sich besser auf eine konzentrieren. Auf so eine, dank der sie kleinere Zauber beschwören könnten. Zum Beispiel Anästhetikum. Aber ohne Probleme. Und ohne sich im Nachhinein zu übergeben.«
    Die Säge knirschte auf und knackte auf dem Knochen. Der Verletzte heulte.
    »Die Binde stärker, Iola!«
    Der Knochen gab endlich nach. Rusty bearbeitete ihn mit einem Meißel, wischte die Stirn ab.
    »Die Blutgefäße und Nerven«, sagte er unbewusst und unnötig, denn bevor er den Satz beendete, nähten die Mädchen sie schon zu. Er nahm vom Tisch das abgeschnittene Bein und warf in die Ecke, auf den Haufen der anderen, amputierten Glieder. Der Verletzte heulte und brüllte seit einer Weile nicht mehr.
    »Bewusstlos oder tot?«
    »Bewusstlos, Herr Rusty.«
    »Gut. Nähe den Beinstumpf zu, Shani. Gebt mit den nächsten! Iola, gehe und schaue nach, ob Marti schon alles ausgekotzt hat.«
    »Interessant«, sagte Iola leise, den Kopf nicht erhebend, »über wie viele Jahre der Erfahrung Sie verfügen, Herr Rusty. Hundert?«

    ****
  16. #96 Zitieren
    Lehrling Avatar von Bonhart
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  17. #97 Zitieren
    Lehrling
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    Jaskier ist offline
    Nach fünfzehn Minuten des forcierten, vom Staub erstickenden Marsches wurden die Zehn- und Hundertschaften endlich von Schreien angehalten, und die wyzimischen Regimente entfalteten die Linie. Jarre, schnaufend und wie ein Fisch nach Luft schnappend, sah den Woiwode Bronibor, der vor der Linie auf seinem schönen, mit Harnisch bedeckten Reitpferd defilierte. Der Woiwode selbst hatte auch einen Vollharnisch an. Seine Rüstung war mit blauen Streifen lackiert, auf Grund dessen sah Bronibor aus wie eine große Blechmakrele.
    »Wie geht's euch, Nieten?«
    Die Reihe der Pikeniere antwortete mit einem wie ein weit entfernter Donner dröhnenden Brummen.
    »Ihr gebt von euch furzende Geräusche aus«, schlußfolgerte der Woiwode, er drehte das Pferd um führte es im Schritt der Front entlang. »Das heißt, euch geht es gut. Sonst, wenn es euch schlecht geht, furzt ihr nicht halblaut, sondern ihr heult und jault wie die Verdammten. Euren Gesichtern nach sehe ich, dass ihr auf den Kampf brennt, dass ihr von einem Gefecht träumt, dass ihr die Nilfgaarder kaum erwarten könnt! Was nun, wyzimische Räuber? Dann haben wir für euch eine gute Nachricht! Eure Träume gehen gleich in Erfüllung. In einem kleinen, winzigen Augenblick.«
    Die Pikeniere brummten abermals. Bronibor, das Ende der Linie erreicht, machte kehrt, er hielt die Rede weiterhin, während er mit dem Streitkolben gegen die den Sattelbogen schmückende Kugel schlug.
    »Ihr habt den Staub gefressen, Infanterie, hinter den Gepanzerten marschierend! Wie bis jetzt, statt Ruhm und Beute, habt ihr den Pferdepup gerochen. Es hat nicht viel gefehlt, dass sogar heute, als es zur großen Not gekommen ist, ihr auf das Ruhmfeld nicht angekommen wäret. Aber es ist euch gelungen, ich gratuliere aus dem ganzen Herzen! Hier, bei dem Dorf, dessen Namen ich vergessen habe, werdet ihr endlich zeigen, wie viel ihr als Soldaten wert seid. Diese Wolke, die ihr auf dem Feld seht, das ist die Nilfgaarder Reiterei, die vorhat, unsere Armee mit einem Flankenangriff zu zerquetschen, uns zurückzudrängen und in den Sümpfen dieses Flusses zu ertränken, dessen Namen auch vergessen habe. Euch, den berühmten wyzimischen Pikenieren, wurde die Würde anlässlich der Gunst des Königs Foltest und des Oberkommandierenden Natalis die Verteidigung der Lücke zugeteilt, welche in unserer Formation entstanden ist. Macht die Lücke mit eigenen, wenn ich mich so ausdrücke, Brüsten zu, ihr haltet die nilfgaardische Kavallerieattacke auf. Ihr freut euch, Kumpanen, nicht wahr? Platzt ihr vor Stolz, was?«
    Jarre, den Schaft der Pike fest drückend, schaute sich herum. Nichts deutete hin, dass sich Soldaten auf das Gedanken der bevorstehenden Schlacht freuten.


    ****

    An dieser Stelle endet die Übersetzung. Vermütlich würde Sapkowski sagen.
    - der Übersetzer hat unsere Astraleben plötzlich verlassen.


    In Erinnerung an den Tapferen.
  18. #98 Zitieren
    Lehrling
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    Jaskier ist offline
    Zitat Zitat von Lero Beitrag anzeigen
    ich meine den letzten wunsch ja, aber das wäre ja irgendwie unlogisch da a) der djin nicht weg wäre b) sie ja nicht zu ihm verurteilt wäre gibt es das denn in den polnischen büchern?
    Hier ist die Lösung:

    »Von wegen.« Der Dichter versteckte den Krug hinterm Rücken. »Das könnte dir so passen. Ich habe ihn gefunden, und ich brauche alle Wünsche selber!«
    .
    .
    .
    »Meine Wünsche«, fuhr der Dichter fort, »sind folgende. Erstens soll Valdo Marx, den Troubadour von Cidaris, auf der Stelle der Schlag treffen. Zweiten lebt in Caelf die Baroness Virginia, die keinen lassen will. Mich soll sie lassen. Drittens ...«
    .
    .
    .

    Der Wächter spuckte aus, bleckte die Zähne, massierte sich erneut die Hand.
    »Und was ist? Keine Wünsche?«
    »Einen...«, stöhnte der Hexer und hob mit Mühe den Kopf. »Du sollst platzen, Hundesohn.«
    Der Kahle knirschte mit den Zähnen, trat zurück und holte aus, um diesmal auf den Kopf zu zielen, wie Geralt es wollte. Doch der Schlag blieb aus. Der Wächter begann plötzlich wie ein Truthahn zu kollern, lief rot an, griff sich mit beiden Händen an den Bauch, brüllte vor Schmerzen auf...
    Und platzte.
  19. #99 Zitieren
    General Avatar von Kylex
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    Kylex ist offline
    zur erinnerung:
    die neuauflage des 1. bandes der hexergeschichten beim dtv ist heute erschienen
    "der letzte wunsch" wurde zumindest heute von amazon an mich versandt

    ich glaub das ist das erste nicht-lehrbuch, was ich in verschiedenen exemplaren besitze
    There are only two hard things in Computer Science: cache invalidation and naming things. - Phil Karlton
  20. #100 Zitieren
    General Avatar von Sinai
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    Sinai ist offline
    Oh hab ich ganz vegessen. Danke für die Erinnerung Kylex.
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