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Maris war verwundert, als Lobedan genauso froh darüber war, ihn zu sehen, wie er auch, und noch viel verwunderter, als er ausgerechnet auf die Obersten zu sprechen kam, stellte dann allerdings erfreut fest, dass dieses schicksalhafte Treffen die ganze Sache um einiges erleichterte. Es schien ein wahrer Wink der Götter zu sein.
"Ich war vorhin bei ihnen.", entgegnete der Blondschopf auf die Frage des Freundes und wurde ernster.
"Es hat sich nichts geändert an der Situation. Sie wollen die Situation aussitzen, bis weitere Menschen sterben oder fortziehen! Ich frage mich, wie man nur so wenig Mitgefühl haben kann. Und genau deshalb muss ich mit dir sprechen. Wir müssen etwas tun, uns zur Not gegen sie stellen! Das alles muss doch ein Ende haben..."
Verwundert betrachtete er den versteckten Eingang, der ins Erdreich zu führen schien und reichlich ramponiert aussah, wenn auch haltbar. Das Wasser schien das Erdreich stark ausgewaschen zu haben.
"Ist das dieses Höhlensystem? Ich wusste gar nicht, dass es so ein weitreichendes Netz gibt."
Im Innern der Tunnel war es unglaublich dunkel, dass Maris am Eingang stehen blieb.
"Hast du eine Fackel für da drinnen? Ach ja, wo gehen wir hin und wieso willst du nicht gesehen werden?"
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Die Erklärungsansätze, die er von den Obersten Nomaden erhalten hatte, trübten die Freude über die glückliche Fügung des Schicksals sehr schnell. Abwarten, bis weitere Menschen starben oder von allein verschwanden, genauso gut konnte man sie direkt töten oder verjagen, das ersparte das lange Warten. Am Ende verbuchte man es als tragischen Unfall, stieß irgendeine wichtige Person von ihrem Posten, um einen Verantwortlichen zu haben und fertig war die Sache. Schöne Bescherung.
"Das ist verrückt.", murmelte Lobedan, "Wie können sie sowas nur machen? Natürlich werde ich dich unterstützen, damit dieser Wahnsinn ein Ende findet. Und du wirst nicht glauben, wie gut meine Absichten dazu passen."
Kurz darauf ließ er sich in die Vertiefung herab fallen, die in den Tunnel führte. Der Eingangsbereich hatte offensichtlich etwas gelitten, von der einst vorhandenen Treppe war nichts mehr übrig. Aber wozu hatte er stundenlang Klettern in den Ruinen trainiert?
Eine Fackel hatte er nicht, wohl aber gute Augen und einen knapp faustgroßen Splitter eines Leuchtkristalls. Die hatten sie beim ersten Überfall schon benutzt. Fackeln waren nachts zu auffällig, diese Kristalle konnte man aber verbergen, sodass ihr Licht nicht über größere Entfernungen zu erkennen waren.
"Ich bin im Moment nur hier, um mich über die Lage zu informieren. Es muss noch niemand wissen, dass wir wieder hier sind. Zwar habe ich ohnehin niemandem davon erzählt, aber offiziell sind wir nur nach Mora Sul aufgebrochen, um dort einige Sachen zu besorgen. Inoffiziell fanden zwei Überfälle auf Karawanen der Assassinen statt. Die Waren und Kamele lagern am Rand der Ruinen und warten darauf, nach Al Shedim gebracht zu werden. Wenn wir noch Argumente gegen die Obersten und für uns brauchen, dann sollten diese Waren gut genug sein. Und unsere Überfälle sollten beweisen, dass im Notfall alles möglich ist, um die Versorgung aufrecht zu erhalten."
Den Kristall in die Höhe haltend, um einen größeren Lichtradius zu erzielen, setzte der Dunkelhaarige sich langsam in Bewegung. Der Tunnel machte einen guten Eindruck und schien gerade dazu geeignet, von ihnen benutzt zu werden. Nun musste er nur noch eine intakte Verbindung nach Süden besitzen, dann war die Sache perfekt.
"Über diesen Tunnel hier können wir die Waren unbemerkt ins Zentrum bringen und so die Masse der Bevölkerung erreichen. Mit einer großen Karawane quer durch die Ruinen zu ziehen, erschien uns unsinnig. Sobald das bemerkt wird, werden sie uns das Zeug aus den Händen reißen, als gäbe es kein morgen mehr. Das können wir nicht riskieren, wenn die Sachen für mehr gut sein sollen, als eine kurzzeitige Besserung der Situation."
In dem Moment gelangten sie an einen Abzweig. Es existierten also nach wie vor mehrere Verbindungen unterhalb der Ruinen. Besser ging es im Prinzip nicht mehr.
"Was glaubst du, kann dieser Plan funktionieren oder ist die Not schon zu groß, sodass man uns nicht ernst nehmen wird?"
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"Ernst nehmen? Wenn wir kistenweise Essen besitzen, wird man uns schon ernst nehmen, denke ich."
Was für ein riesiger Glücksfall im Unglück, dass sie genau das getan hatten, was er als Möglichkeit in Betracht gezogen hatte. Hätte er gewusst, unter welch blutigen Umständen die Karawanen erobert worden waren, hätte das seine Freude über diese neuerliche Wendung der Situation sicherlich stark getrübt, so jedoch war er voller neuer Hoffnung, dass all dies vielleicht doch noch ein Ende nehmen würde.
"Natürlich sollten die anderen all das rationiert zu sehen bekommen, damit es möglichst lange vorhält, aber wir müssen eine dauerhafte Versorgung schaffen, die alle ernähren kann, sonst ist auch das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wie sieht es mit Fischerei aus hier in Al Shedim? Oder die Überfälle: meinst du, so etwas ließe sich wiederholen?"
Dieser Leuchtkristall war eine faszinierende Sache. Maris konnte sich nicht erinnern, so etwas zuvor schon einmal gesehen zu haben. Der Blondschopf konnte sich nicht entscheiden, ob er dieses Ding oder das Tunnelsystem weiter fasziniert anstarren sollte. Was man doch noch alles entdecken konnte...
Beim Gedanken an die vermeintliche Magie in diesem Kristall kam ihm wieder die Nachricht vom Alten aus dem Norden in den Sinn.
"Sag mal, ich hab gehört, hier wäre ein Kuttenträger aus Myrtana gesichtet worden. Weißt du etwas darüber? Wir müssen diese Oase wieder in Schuss bringen, und diese Magier können doch alles Mögliche."
Nach einer Weile erreichten sie einen Ausgang. Fahles Sternlicht fiel durch die Öffnung hinein, während Maris feststellte, dass er keine Ahnung hatte, wohin sie eigentlich auf den Weg waren.
"Wo genau wollen wir eigentlich hin? Und wen meintest du vorhin mit wir?"
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Wenn man dabei war, den übermäßigen Alkohol abzubauen, baute sich damit auch der Nebel für sämtliches Gespür ab, daß die nervenaufreibenden Gedanken wieder kamen und damit spätestens auch die Lust, sich wieder in einen benebelten Zustand zu bringen.
Der Ergraute war darin Meister seines Faches, Meister darin, daß Gleichgewicht zwischen Nüchternheit und Trunkenheit zu wahren und so galt sein Interesse an den Dingen in seinem Raum, die ihm wieder den erwünschten Rausch ermöglichen konnten.
Erstaunlich, wie agil ein behinderter Mensch mit immer noch angeschlagenem Leib und Schädel werden konnte, denn wenn man genauer hinsah und lauschte, konnte man erkennen, daß dieser ergraute Nomade für seine Verhältnisse recht fachmännisch daran ging, sich durch Kisten und allerlei losem Kram zu bewegen. Der stille Beobachter konnte bemerken, wie es dem Säufer gelang, sich auf allen Dreien über den Boden zu schleifen und dabei nicht einen Gegenstand umzuwerfen und es war auch nicht zu übersehen, wie seine Hände in schlangenartigen Bewegungen das Zeug durchwühlten und sondierten.
Bis jetzt ging Bardasch noch mit Bedacht daran, Schnaps oder Ähnliches zu finden, doch mit zunehmender Zeit stieg auch die Sucht und damit sank jegliches Feingefühl. Noch war es aber nicht so weit.
Der stille Beobachter mag sich vielleicht fragen, ob es derzeit nicht wichtigere Dinge gab, als sich die Rübe voll zu knallen, worauf ein Kenner sicherlich eine Antwort wußte. Denn ein alkoholsüchtiger Mensch handelte nur dann mit einer gewissen Weitsicht und Vernunft, wenn der geistige Zustand es zuließ und das Blut einen gewissen Alkoholanteil beinhaltete.
Bardaschs Pegel war bereits weit herab gesunken, doch viel wichtiger und ausschlaggebender war der steigende Frust, der nichts mit dem Saufen zu tun hatte, denn eine Krankheit wie Diese hatte meist eine Ursache, die in der Psyche zu finden war. Beim Ergrauten eine recht angeschlagene Psyche.
Und somit führte Eins zum Anderen – weiter sinkender Pegel, weiter steigender Frust und ein allmähliches Verlieren jeglicher Kontrolle.
Ächzend und stöhnend ließ der einbeinige Nomade sich auf den Hosenboden nieder und seine Atmung stieg. Ein Zittern schien vom Inneren des Ergrauten auszugehen und übertrug sich auf die Hände, daß er sie nun auf den Boden schlug, um das Zucken aus ihnen heraus zu bekommen, aber es wurde noch schlimmer. Die Hände krampften und der Leib begann vermehrt zu schwitzen, daß seine nach Erbrochenem stinkende Aura sich noch verstärkte. Alles Übel dünstete er aus und vermutlich war es mittlerweile so, daß empfindliche Nasen den Raum mittlerweile mieden, in dem der Einbeinige sich aufhielt.
Wütendes Quitschen, Brummen und Brabbeln erfüllte den stillen Raum und schließlich entdeckten die Augen des Krüppels etwas, was vielversprechend schien – eine Art Flakon, ein Duftwasser vielleicht, daß nach Meinung des Ergrauten ein geeigneter Ersatz sein konnte und so langte die Hand hektisch nach dem Gefäß, daß nun beim Versuch es zu öffnen, mit beiden Händen bald auseinander gerissen wurde.
„Ruhig“, ermahnte der einbeinige Mann sich und versuchte das Zittern in den Händen unter Kontrolle zu bringen und dann war es soweit, daß er an dem Inhalt riechen konnte.
Süßlicher Geruch umschmeichelte das Riechorgan nicht unbedingt, doch was so roch, knallte sicher auch. Da war es an der Zeit, einen Schluck zu wagen.
Es schmeckte wie erwartet, daß Bardaschs Gesichtszüge sich verzogen und er den Kram mitten in die Luft spie, aber ein zweiter Schluck schmeckte vielleicht etwas annehmbarer.
Tat es aber nicht, daß ein dritter Schluck hinunter gewürgt wurde, ehe der Flakon begleitet von einem wütendem Ausruf an der nächst gelegenden Wand zerschellte.
Genau genommen direkt neben dem Eingang des Raumes, wo sich etwas zu tun schien.
Wie es aussah, blieb der Trinker nicht mehr lange ohne Gesellschaft.
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Ihr Marsch durch den Tunnel nahm kein Ende, es wirkte fast, als wären die Fluten gar nicht bis in die letzten Winkel vorgedrungen. Wie konnte das sein? War doch mehr an den alten Geschichten dran, als sie damals vermutet hatten? Die unsichtbare Macht hatte sich beim Freilegen schließlich mehr oder minder offenbart. Hatte sie etwa noch immer eine Hand auf ihren Schatz? Wahrscheinlich hatten sie einfach nur Glück...
"Ob wir solche Überfälle wiederholen können, weiß ich nicht. Das hängt davon ab, wie die Assassinen auf den Verlust dieser beiden Karawanen reagieren. Ich will nämlich nicht sagen, dass wir es einfach hatten. 'Wir' sind übrigens inzwischen noch sechs Männer: Drei Fremde, die bisher weder mit den Assassinen, noch mit uns näher zu tun hatten; ein Vertrauter aus Al Aristo namens Pix und jemand, der lange Zeit in der weiten Wüste verbracht hat, Bardasch, den du vielleicht sogar kennst. Während der beiden Überfälle waren wir noch einige mehr. Bardaschs Leute wollten aber nicht mit nach Al Shedim und eine junge Frau namens Ravenne hat sich gestern von uns getrennt, weil sie eigentlich nur nach Al Shedim wollte. In der Masse also niemand, der hier wirklich vermisst werden könnte, allesamt aber vertrauensvoll genug, um so eine Sache durchzuziehen."
Auf die Frage mit dem Fischfang wusste Lobedan keine Antwort. Zwar war ihm bekannt, dass nach dem Bau der Anlegestelle vor einiger Zeit schon einige Fischer Schlange standen, was von ihnen und ihrer Ausrüstung nach der Flut noch übrig war, darüber war ihm nichts bekannt. Dafür aber über den Fremden, den Maris ansprach.
"Dieser Alte aus Myrtana kommt aus Silden. Eigentlich wollte ich Ornlus direkte Hilfe, da ich ihm vertraue und weiß, was er kann, dieser Kerl dürfte aber sogar eine Nummer besser sein. Er ist Druide und soll sich eigentlich um die Oase kümmern. Ehe dort wieder so viel wächst, dass die Bevölkerung ernährt werden kann, wird sehr viel Zeit vergehen. Es sei denn, jemand beschleunigt das Wachstum einmalig. Und genau deswegen ist er hier. Deinen Worten entnehme ich, dass seine Arbeit noch immer auf sich warten lässt. Ich hoffe, er hat es nicht vergessen..."
Mit diesen Worten waren sie aus dem Tunnelsystem heraus gekommen. Tatsächlich hatten sie einen Weg in Richtung Süden eingeschlagen. Meeresrauschen war zu hören gewesen und anhand der Lage diverser Turmruinen sowie des Tempels, den sie von dem Ausgang aus sehen konnten, war klar, dass Bardaschs Ruine nicht weit sein konnten. Die Orientierung war dem Assassinenjäger im Dunkeln zwar etwas schwer gefallen, letztlich hatten sie den Weg aber gefunden.
"Warte kurz hier draußen.", sprach er zu Maris und ließ ihn dann vor der Ruine zurück. Drinnen schlug ihm der Gestank von Alkohol und Erbrochenem entgegen, das konnte der ihm definitiv nicht zumuten. Aber wo war Bardasch? Etwas benommen von dem Gestank blickte er sich nach ihm um.
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„Hallo?“, fragte der Ergraute unsicher nach. Hier in diesem Loch, wo man den Ergrauten wie ein Pestkranker zurück gelassen hatte, herrschte Dunkelheit und niemand hatte es wohl für nötig gehalten, es dem einbeinigen Nomaden etwas wohnlicher zu machen.
In Selbstmitleid zerflossen hegte Bardasch diesen Gedanken, doch irgendwo tief in seinem Innersten wußte er, daß er sich den Zustand selbst zuzuschreiben hatte.
Eine zögerliche Antwort seitens des Nomadenfreundes gab Bardasch Gewissheit und er atmete erleichtert auf.
In diesem Zustand war eben Lobedan der Einzige, der das Vertrauen des Ergrauten genoss.
Es geschah mühsam, da in dem Raum ziemliches Chaos herrschte und man nicht erkennen konnte, wo ein Treten gefahrlos von statten ging und es war auch nicht zu erkennen, wo die Fakelhalterungen sich an der Wand befanden, doch Lobedans magischer Kristall schaffte Abhilfe und schon bald flackerten zwei freurige Leuchten an jeweils zwei gegenüber liegenden Wänden.
„Entschuldige die Unordnung“, gab Bardasch schuldbewußt von sich und er schämte sich für den Eindruck, den er gerade hinterlies.
Immer noch auf dem Hosenboden sitzend besah der Ergraute sich die Kisten, von denen Eine sich direkt neben ihm befand und aus der bereits ein leicht modriger Geruch drang.
Es war eine Lebensmittelkiste, genauer gesagt mit Früchten, von denen Einige haltbarer waren, als Andere und irgendwo konnte der Ergraute sich auch daran erinnern, irgendwo etwas wurstiges vermacht zu haben. Nur wo?
„Das Fresszeug muss schnell unter Leute“, stellte der einbeinige Nomade richtig fest, aber es war nicht nur eine Feststellung, sondern auch ein Ablenkungsmanöver.
„Am Besten direkt zu Rebekka“, fügte er noch hinzu, ehe er in eigener Sache sprach.
„So lange ich nicht einen Ersatz für meine kaputte Prothese habe, ist mit meiner Hilfe wohl nicht zu rechnen“, es war gleichzeitig eine Bitte an Lobedan, sich um einen Ersatz zu kümmern.
„Und ich brauche dringend was zu saufen“, war die nächste Bitte, die der Ergraute nicht sehr gerne von sich gab, doch der Mangel machte ihn kirre.
„Hast Du wen gefunden?“.
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Offenbar hatte Bardasch den Tag nicht nur zum Ausnüchtern genutzt, sondern sich auch schon an ihrer Beute zu schaffen gemacht. Die beiden offenen Kisten, aus denen verschiedenste Gerüche quollen, waren definitiv nicht von selbst hier her gelangt. In ihnen befanden sich Nahrungsmittel und somit verzieh Lobedan Bardasch wohl, dass er sie geöffnet hatte. Seine Bitte, das Zeug schnellstens zu verteilen, wirkte dabei allerdings eher wie eine Ausrede, die er jedoch hinnahm. Im Grunde hatte der Säufer sogar Recht.
"Ich hab einen Weg gefunden, wie wir das Zeug fast bis zur Taverne bringen können, ohne gesehen zu werden. Die Tunnel sind größtenteils noch intakt. Sollen Tavik und Farson das übernehmen? Bevor sie hier noch Wurzeln schlagen. Mit den Oberen Nomaden will ich sie nämlich nicht konfrontieren."
Ein Blick in eine der Kisten bestätigte, dass das Obst schon zu faulen begann.
"Und draußen wartet Maris und damit der beste Mann, den ich je hätte finden können. Ich bitte ihn aber lieber nicht hier herein. Falls du ihn sprechen willst...dann komm bitte mit raus. Wenn nicht, dann sage ich Tavik eben Bescheid, dass er sich um die Kisten mit den Nahrungsmitteln kümmern und dir was zu trinken bringen soll. Und danach verschwinden Maris und ich wieder. Er hat die Gründe für die Untätigkeit der Oberen Nomaden herausgefunden. Wir werden nicht länger mit ansehen, wie sie die Bevölkerung leiden lassen. Willst du dabei sein? Dann sag mir, wo ich hier so eine Prothese kriegen kann."
Hurley war auch noch da, aber so richtig wusste er nicht, wie er ihn in diesen Plan mit einbauen sollte. Konnte er Tavik und Farson behilflich sein? Das sollten sie selbst entscheiden. Notfalls sollte er sich um die Prothese kümmern. Als Heiler hatte er im Gegenteil zu Lobedan bestimmt ein Auge für sowas. Letztlich stimmte Bardasch zu, was Tavik und Farson anging, sodass der Assassinenjäger sich zuerst darum kümmerte. Solange die Dunkelheit noch ihre schützende Hand über sie legte, mussten sie alles vorbereiten. Die Konfrontation mit den Oberen konnte auch bei Tageslicht stattfinden.
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Einige Zeit hatten die drei Männer gewartet, als Lobedan und die anderen sich in die Ruine begeben hatten. Sich langweilend saßen sie da, warteten das etwas geschah und drehten im wahrsten Sinne des Wortes Däumchen. Endlich tauchten Lobedan und ein weiterer Mann, der sich als Maris vorstellte, auf und gaben ihnen einige Anweisungen. Sie sollten einige Kisten mit Nahrungsmitteln zur Taverne schaffen, dabei aber nur unterirdische Gänge benutzen. An der Oberfläche wäre es zu gefährlich, da es sicher Unmengen an Leuten in den Ruinen gab, die für's Essen töten würden.
"Geht klar, dann machen wir es so", nahm Tavik den Auftrag an. Farson seufzte, hob die Schultern und packte mühelos eine der Kisten. Der Hüne drehte sich zu Hurley um, der etwas zu versessen auf die Früchte schaute.
"Nein, Hurley. Ich denke, Du bleibst hier. Lobedan meinte doch, dass er jemanden mit den Fähigkeiten eines Heilers braucht ... wegen Bardasch."
Der Dicke nickte nur und ging den Weg entlang, den Maris und Lobedan gekommen waren. Jene erklärten ihnen noch die Tunnel bis hin zur Taverne.
"In Ordnung. Werden uns schon nicht verlaufen", sprach der Krieger, "und wenn, dann sagt meiner Familie, dass ich sie liebe."
Er lachte herzhaft auf, Graumähne verzog die Lippen zu einem Grinsen und auch die beiden Nomaden mussten schmunzeln.
"Bis später, Jungs", verabschiedete sich Tavik und verschwand mit Farson und den Kisten in die Gänge.
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„Danke man!“, sprach Bardasch und seine Stimme klang dabei noch älter, als sonst. Heiser war er irgendwie und alles schien so unangenehm zu kleben, wie auch seine Zunge, die immer noch nichts Feuchtes gesehen hatte. Doch jetzt nahm er immer noch zittrig das erlangte Wasser und spülte den ganzen fiesen Dreck aus seiner Mundhöhle, in dem er den Mund spülte, das Zeug neben sich auf den Boden spie und schließlich trank.
Er zitterte immer noch, aber das schlimme Entzugshoch schien sich für den Moment zu verziehen und mehr Ruhe kehrte in ihn ein. Bardasch bat den nomadischen Freund ihm hoch zu helfen, was er sich jedoch mit einem Handwink wieder anders überlegte. Irgendwie wußte der Ergraute auch nicht so recht, was er im Moment wollte.
„Gut, daß Tavik sich um die Lebensmittel kümmert“, fuhr Bardasch fort und seufzte. Er hatte nicht einmal etwas gegen diesen Plan und er dachte darüber nach, wie man dem Problem mit der Prothese bei kommen konnte.
„Ich kenne hier niemanden, der mir eine Gehilfe verpassen könnte. Weiß nicht, obs derartige Handwerker hier gibt. Meine war ja auch nur ein behelfsmäßiges Teil. Eine Art Krücken könnte fürs Erste vielleicht langen, aber ich fürchte, daß ich damit derzeit kaum vom Fleck kommen würde.
Ich fühl mich echt beschissen“, teilte er Lobedan mit und seufzte das ganze Unwohlsein dabei hinaus, was in ihm steckte.
„Ich weiß, daß Du mit Maris derzeit genug zu tun hast und was ihr vorhabt ist gut und wichtig, aber ich muss Dich trotzdem um einen Gefallen bitten, weil ich es aus eigener Kraft nicht schaffe.
Könntest Du mich zum Meer tragen und mit dabei helfen, den ganzen Mist von meinem Leib zu waschen?“, scheiße war das eine ätzende Frage, aber jetzt war sie raus.
„Vielleicht noch ein Feuer am Strand und ne Kleinigkeit zu beißen. Dann komm ich sicher wieder auf die Beine. Man! Tut mir echt leid, man!“.
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'Ich soll was?!', brüllte er in den Gedanken und schüttelte dann langsam den Kopf. Das konnte nicht sein Ernst sein. Nicht zu solch einem Zeitpunkt.
"Beim besten Willen nicht, Bardasch, nicht jetzt. Nachher bin ich Schuld, wenn du dir da draußen was wegholst. Es ist noch nicht mal hell draußen, falls du es vergessen hast! Ich geh jetzt zu Hurley und bitte ihn darum, sich nachher um deine Gehhilfe zu kümmern. Er wird schon ein Auge dafür haben, was du brauchst. Und dann haben Maris und ich etwas Wichtigeres zu tun."
Ein wenig gereizt ließ er Bardasch dann gar nicht weiter zu Wort kommen, sondern wandte sich ab, um Hurley aufzusuchen und ihm die Sache zu erklären. Eine Prothese, Gehhilfe oder irgendetwas in der Art, womit Bardasch sein fehlendes Bein stützen konnte. Es sei nicht eilig, aber ewig Zeit hatte es auch nicht, was so viel heißen sollte wie: "Warte bis es hell ist, dann fällt die Sache nicht auf." Was Hurley daraus machte, blieb nun ihm allein überlassen.
Als Lobedan wieder nach draußen kam, stand Maris inzwischen wieder dort, offenbar war er mit der Sichtung ihrer Waren fertig. Wie würde sein Urteil ausfallen? War der Rest neben den Lebensmitteln, um die sich Tavik und Farson wie vereinbart kümmerten, wertvoll genug oder eher als nutzloser Plunder einzustufen? Nein, sicher nicht, der Dunkelhaarige hatte beim Abladen gestern genug gesehen, das in seinen Augen einen brauchbaren Eindruck hinterließ.
"Bardasch bleibt hier", meinte der Assassinenjäger, als er sich näherte, "er hat erstmal andere Sorgen. Aber von mir aus können wir los. Ehe wir bei ihnen sind, dürfte die Sonne aufgegangen sein. Das ist wohl möglich der ideale Zeitpunkt für eine Konfrontation."
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"Und, können wir los?"
Lobedan nickte, und so machten sich die beiden auf den Weg, diesmal über den oberirdischen Weg. Das kam dem Blondschopf ganz gelegen, denn wenn er ehrlich war, hatte er momentan durch die Durchquerung der Tunnel vollkommen die Orientierung verloren.
Die Truppe, die sich da um Lobedan geschart hatte, war ja ein ziemlich bunter Haufen, wie er festgestellt hatte. Bekannt kam ihm keines der Gesichter vor, so weit er sich erinnerte, aber Bardaschs Name war ihm bekannt. Eigentlich war er nicht allzu scharf darauf, mit diesem Kerl in irgendeiner Art und Weise zusammen zu arbeiten, und so war er ziemlich froh darüber, dass dieser Säufer dort blieb, wo er war. Wirklich trauen konnte er ihm nicht.
"Sieht doch alles ganz gut aus", wertete der Blondschopf schließlich die neben der Nahrung erbeuteten Waren. Kunst- und Gebrauchsgegenstände, einige Werkzeuge, ein paar Waffen, teilweise vermutlich nur zur Zierde - ja, damit konnte man etwas anfangen.
"Alles habe ich jetzt aber noch nicht angeschaut und auch nicht allzu genau. Ich werde später mal schauen, ob sich da nicht ein paar Werkzeuge finden lassen. Ein wenig Ausrüstung war auch dabei, und den Rest könnten wir zur Not in einer der Assassinenstädte wieder verkaufen, um davon Essen zu erstehen. Natürlich vielleicht nach Möglichkeit nicht gerade in der Stadt, wo das Zeug herkommt."
Nach einiger Zeit erreichten sie das Stadtinnere - insofern man es noch so bezeichnen konnte, nachdem hier kaum noch wirkliche Behausungen existierten. Momentan lebten viele in großen Zelten, die als Massenunterkunft dienten, sodass alles mehr an ein Feldlager als an eine Stadt erinnerte. Der Anblick machte Maris traurig, doch die Anspannung ob der folgenden Ereignisse verdrängten seine Gedanken.
"Und, was denkst du, wie es laufen wird?", meinte er leise zu Lobedan. Er war sich nicht sicher, ob es gut war, sich so offen gegen die Obersten zu stellen und die verbliebenen Nomaden womöglich mit diesem Streit auch noch entzwei zu teilen, zumal ihm die Drei recht eingenommen von ihrer Strategie schienen, sodass er nicht wirklich erwartete, dass sie davon abwichen.
Ein Stück vor ihnen zeichneten sich bereits die Zelte der Sippenführer ab.
"Da ist es..."
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Im Licht der aufgehenden Sonne musterte er Maris' Gesichtszüge. Sie wirkten im Moment seiner Frage nicht ganz so überzeugend, wie vorher, als ihr Vorhaben sicher geplant war. Trotzdem war es nun faktisch zu spät, die Sache abzublasen.
"Ich habe nichts zu verlieren. Ich habe Al Shedim schon einmal verlassen, weil man mich nicht anhören wollte. Diesmal habe ich die Chance, es besser zu machen. Und ich habe bessere Argumente. Wir haben bessere Argumente. Du hast selbst gesagt, dass uns die Leute förmlich aus den Händen fressen, wenn sie auch nur einen Teil der Nahrungsmittel bekommen, die inzwischen in der Taverne lagern sollten. Wenn den Obersten diese Argumente nicht genug sind, dann bleibt uns nur die Möglichkeit, das Zeug einfach zu verteilen und die Leute entscheiden zu lassen. Solange wir sicher gehen können, dass die Lage längerfristig gesichert werden kann, solange haben wir auch nichts zu befürchten. Und da wir gewiss nicht untätig rumsitzen werden, können wir es nur besser machen. Es geht hier auch um dich. Heute magst du noch genug zu Essen haben, aber auch wir werden hungern müssen, wenn nichts passiert. Wir wissen doch nicht, wie lange es noch so gehen wird. Eine halbwegs verantwortungsvolle Position heißt nicht, dass du nicht entbehrlich bist. Das habe ich einmal schmerzhaft feststellen dürfen. Also lass uns jetzt da rein gehen!"
Tief blickte er seinem Gegenüber in die Augen, um auch das letzte Fünkchen Mut zu erreichen, das irgendwo tief in ihm ruhen musste. Dem Dunkelhaarigen war klar, dass Maris in einer schwierigeren Situation war, als er im Moment, doch genau das musste er jetzt ausblenden. Es war ein Schritt für ein ganzes Volk und nicht nur für ihn persönlich. Dieser Schritt bestimmte die Zukunft von Al Shedim. Und für Lobedan war klar, dass er sie mitbestimmen wollte.
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"Gut, gehen wir!", stimmte er nickend zu.
Es gab kein Zurück mehr, die Entscheidung stand fest und so war es Zeit, alle Unentschlossenheit fahren zu lassen. Angespannt schritt Maris voran und trat als Erster der beiden an den Wachen vorbei ein.
Im Innern des Zeltes herrschte eine ziemlich bedrückte Stimmung. Die drei Obersten saßen zusammen an einem Tisch und diskutierten mit ernster Stimme miteinander, als sie zuerst ihn und dann Lobedan bemerkten.
"Salam, Brüder", grüßte der Blondschopf die Drei, Lobedan tat es ihm gleich und sie erwiderten den Gruß, während sie interessiert zu ihnen aufschauten.
"Du bist also zurück und hast Lobedan mitgebracht", stellte Wutras fest. Die sonore Stimme durchdrang das Zelt mit Erfurcht gebietendem, sonorem Klang.
Maris wollte nicht erst um den heißen Brei herum reden, schließlich wussten sie alle, warum sie hier waren, wenngleich den Obersten das Ausmaß des folgenden Gespräches noch nicht bewusst war.
"Wir wollen und können euer Handeln nicht akzeptieren", platzte er schließlich heraus. "Lobedan und ich sehen nicht ein, warum wir nicht alles nutzen sollten, um unser Volk so zu retten, wie es jetzt ist, anstatt ihnen das grausame Schicksal aufzuzwingen, das ihnen bei eurem Weg drohen würde. Ihr überseht so viele Möglichkeiten, alle zu retten. Wir können die Oase wiederherstellen, auch mit Magie. Wir können die Assassinen berauben wie vor einigen Jahren, Fischerei betreiben, Vengard um Hilfe bitten. Lasst uns euch überzeugen, dass niemand mehr sterben muss! Ansonsten... werden wir uns über euch hinweg setzen müssen, zur Not sogar verdrängen - wenn das notwendig ist, um unsere Brüder und Schwestern zu retten."
Es gab vieles, was Maris ihnen vorhalten und sagen wollte, doch in diesem Moment war es nur das, was über seine Lippen kam: die Endkonsequenz ihres Streits, wenn sie kein Einsehen hätten. Auf wessen Seite die anderen Nomaden stehen würden, wenn es zwischen Hunger und Rettung zu entscheiden galt, war für den Blondschopf klar.
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Die Mine Wutras' wirkte im ersten Moment wie versteinert. Darauf folgte jedoch kein Wutausbruch oder ähnliches, sondern eine Antwort in überwiegend sachlichem Ton, wie Lobedan ihn bei solch einer Konfrontation eigentlich nicht für möglich gehalten hatte.
"Ihr zwei werdet mir wahrscheinlich nicht glauben, wenn ich euch sage, dass ich mit so etwas gerechnet habe. Nur der Zeitpunkt entspricht nicht meinen Erwartungen, er ist zu früh. Nichtsdestotrotz müsst ihr wissen, dass es leider nicht so einfach nicht. Ihr mögt den Eindruck gewonnen haben, dass wir hier untätig die Zeit absitzen, aber dem ist nicht so. Uns fiel diese Entscheidung ebenfalls schwer, jedoch gab es nur zwei Möglichkeiten. Und am Ende unserer Diskussionen stand die Entscheidung für das Gesetz des Stärkeren und damit einer strikten Einhaltung des Willen Adanos', immer dem Gleichgewicht treu zu bleiben. Er wird entscheiden, wer die Stärkeren sind...
Ihr beide gehört lange genug dazu, um zu wissen, dass es unsinnig wäre, die alte Situation mit großen Anstrengungen wieder herzustellen. Wir möchten unsere Kräfte lieber schonen, um ernsthafte Gefahren abwenden zu können. Ein Kampf um unser eigenes Überleben würde uns zu einem Opfer aller anderen Gefahren Varants machen."
Lobedan schluckte bei den Worten des Hohen Nomaden. Dieses Gerede um Adanos kam ihm dabei allerdings bekannt vor. Es passte nicht zum nomadischen Volk, meinte der Assassinenjäger, hatte zuerst aber andere Gegenargumente parat.
"Ihr lasst uns ja beinahe keine andere Wahl..."
Sein Blick wanderte zu Pakwan. Es war nahezu dieselbe Situation. Auch dieses Mal stand seine Entscheidung bereits fest. Und wieder würde sie Pakwan wahrscheinlich nicht gefallen. Sein alter Freund tat ihm fast schon Leid, dass er zwei mal einen ähnlichen Schicksalsschlag erleiden musste.
"In der Taverne warten kistenweise Nahrungsmittel, die aus zwei überfallenen Karawanen stammen. Egal, was ihr jetzt mit uns macht, die werden die Leute erreichen. Etwas außerhalb lagern weitere Kisten, Körbe und Taschen mit Beute, die ebenfalls aus diesen beiden Karawanen stammt. Beides zusammen wird mindestens für eine Woche reichen und den Leuten Hoffnung geben, die sie brauchen, um wieder selbst Hand anzupacken.
Wenn sie zum Beispiel die Anlegestelle wieder aufbauen, dann können die Fischer wieder an die Arbeit gehen. Das ist nur ein kleiner Schritt, der ein enormer Anfang wäre. Wie konntet ihr solche einfachen Dinge nur übersehen?"
Der Dunkelblonde gab sich alle Mühe, einige Emotionen in seinen Worten mitschwingen zu lassen. Es war im Prinzip nicht ihre Absicht, die Obersten Nomaden aus ihren Positionen zu vertreiben. Eine Option war es aber wohl, sollte Kooperation unmöglich erscheinen.
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"Alter, hier... hier stinkts. Ganz widerlich."
Während Hurley an einem kleinen Holztisch mitsamt allerlei metallener Kleinigkeiten und einer Menge Knochen saß und an dem bastelte, was ihm aufgetragen wurde, gab Bardasch nur ein nüchternes Murren von sich.
'Wieso mache ich das eigentlich?', es war nicht das erste Mal, da sich der Magier diese Frage stellte. Was kümmerten ihn die Sorgen der Wüstenbewohner? Hungersnot? Er hätte sie ja alle ins Kastell eingeladen, aber da wäre Arde wohl nicht ganz einverstanden mit gewesen. Sich einfach heim teleportieren war nicht, er brauchte ja noch seine Uhr. Ganz schön tricky von Lobby, ihn da einfach warten zu lassen. Und das auch noch bei diesem Wrack von einem Menschen, dem er noch dazu eine Prothese basteln sollte. Ja klar, eine blühende Phantasie hatten die Wüstenbewohner, allesamt...
Und er hatte Hunger. Aber wenn er mal was sagte, da war er gleich wieder der Blöde. Entweder man giftete ihn an (Farson), lachte, obwohl es nichts zu lachen gab (Tavik) oder man ignorierte ihn (Bardasch). Er verkehrte eindeutig in den falschen Kreisen.
Den ganzen Vormittag über war er an der frischen Luft gewesen, hatte sich tote Kadaver an die Oberfläche gezaubert, ihre Seele gleich wieder entlassen und sich dann an den Leichen zu Schaffen gemacht. Aus Knochen und halbwegs verwertbarer, organischer Substanz konnte er die nötigen Zusätze für Klebstoff gewinnen. Dann hatte er sich Leim gekocht. Das hatte er des Gestanks wegen auch draußen gemacht...
Aber jetzt war nichtmal er der Verursacher des Gestanks. Es war dieses... Ekel von einem Menschen. Wahrscheinlich würde Bardasch dasselbe jetzt von ihm denken, ihn als fett und verabscheuenswert bezeichnen. Und genau deswegen sagte Hurley nichts mehr, machte einfach, wie ihm aufgetragen und bastelte weiter. Einfach in der Hoffnung, er wäre noch vor Mitternacht fertig.
Allmählich war Bardasch wieder eingeschlafen. Hurley hatte bei Kerzenlicht weiter gearbeitet. Aus Lobbys Zeug hatte er ein paar Metallstücke genommen, die sich ganz prima als Gelenke eigneten. An den Zahnrädern hatte er sich dabei natürlich nicht vergriffen...
Mit etwas Dattelöl schmierte er die Gelenke ein und mit dem Kleber befestigte er sie an zwei langen Knochen, die er ein paar Wüstenleichen abgenommen hatte, die tatsächlich die richtige Bein- und Schuhgröße hatten. Nur den Oberschenkel musste er zurechtschneiden, da ja nur die Hälfte des Knochens fehlte. Auch an den Fuß hatte Hurley liebevoll gedacht, jedoch blieb es da bei Knochen, die mit Leim aneinander hafteten. Für die Zehengelenke hatte er nicht das nötige Fingergefühl... und auch keine Geduld. Wenn der Fuß nun steif blieb, damit musste Bardasch halt leben.
Das obere Ende der Prothese hatte er mit einem Klumpen Leder versehen, den sich Bardasch an seinen Stümmel binden musste. Das Bein war soweit fertig mit dem Problem, dass Bardasch sein neues "Knie" und den Fuß noch gar nicht richtig nutzen konnte. Da konnte nur noch Magie helfen...
Er verzauberte die Prothese so, dass sich sofort alle Gelenke versteiften, wenn sie den Boden berührten und dann nur noch mäßig beweglich waren. Setzte Bardasch aber zu einem Schritt an und hob er den "Fuß" hoch, so würden die Gelenke nachgeben und so varriierte die Lage des Beins wie bei einem echten Bein vor dem nächsten Aufsetzen. Das Hinken sollte nachlassen ebenso sollte es nun einfacher sein, Treppen und Leitern zu steigen, denn die Gelenke blieben ja fest, wenn er eine Stufe stieg. Über den Stümmelfuß musste er natürlich einen Schuh mit ordentlicher Sohle ziehen...
Hurley war recht zufrieden mit seiner Arbeit, aber ob sie funktionierte, das konnte nur die Praxis zeigen.
"Hey, hey Bardasch!", er schüttelte den Buschen bis er grummelnd aufwachte.
"Bind dir die Prothese mal fest und teste sie aus. Ich habe den ganzen Abend daran gearbeitet und hoffe, sie taugt auch was..."
Geändert von Hurley (06.03.2010 um 22:55 Uhr)
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"Wie lange wird eure Beute wohl reichen, bei all den Mäulern, die zu stopfen sind, und wie oft werden sich die Raubzüge wiederholen lassen, bis die Assassinen all dem ein Ende bereiten wollen? Wie lange werden die Fischbestände hier dicht genug sein, bis auch sie versiegen? Jede der Nahrungsquellen gibt früher oder später nach, wenn wir unsere gesamte Versorgung bei diesen Ausmaßen darauf stützen. Und für eine ausgewogene Mischung aus allem wie vorher fehlen uns die direkten Möglichkeiten wie die Oase, die Versorgung aus Al Aristo und nun auch die Tierbestände um die Stadt herum. An Handel will ich gar nicht denken, wenn es alle anderen Küstenstädte genauso getroffen hat wie uns.", entgegnete der oberste Nomade, doch Maris wollte all das nicht zählen lassen. Es waren Ausflüchte, die Ausreden von Männern, die nach der Strafe ihres Gottes zu sehr unter Schock standen, um zu reagieren, und das nicht zugeben konnten oder wollten.
"Es ist ein Druide in der Stadt, mit dessen Hilfe und der Kraft der Wassermagier kann die Oase zu neuem Leben erblühen und größer gemacht werden als je zuvor! Davon und von den anderen Möglichkeiten können wir sie alle ernähren."
"Nein, sie wird schnell genauso kahl sein, ich gebe dir Hand und Siegel drauf!", erwiderte Wutras, der sich von den Dreien eindeutig als der Widerspenstigste erwies.
"Verdammt nochmal, wenn du unsere Hoffnung nicht teilst, dann geh mit gutem Beispiel voran und verlasse Al Shedim mit deinen Leuten, wenn wir wirklich zu viele sind! Aber sitzt hier nicht tatenlos herum und lasst sie da draußen verrecken!", schrie Maris. Er konnte es nicht mehr hören, diese ständigen Widerworte, bei jeder Idee stampfte er die Hoffnung auf Besserung in den Boden.
"Teilt die Überlebenden ein und schickt sie zu anderen Sippen! Zeigt ihnen wieder, wie man in der Wüste überlebt und wie sie sich selbst versorgen können! Selbst wenn wir zu viele sind, gibt es genug Möglichkeiten, die nicht zu ihrem Tod führen. Gerade du als Hüter - als Sohn der Wüste! - solltest doch am besten wissen, wie viel uns da draußen gegeben wird, wenn wir uns nur darauf einlassen!"
Zornig starrte er einen nach dem anderen an. Eine drückende Stille beherrschte das Zelt, nachdem der Blondschopf seinem Ärger Luft gemacht hatte. Offenbar jedoch schien Wutras genau diesen Gegenwind zu brauchen, um aus seiner pessimistischen Regungslosigkeit gerissen zu werden.
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„Wat?“, Bardaschs Augen blinzelten und konnten das Ziel der Sprache im ersten Moment nicht so recht fokussieren, doch dann fanden sie Stillstand und sahen in das Gesicht dieses beleibten Mannes, der sich da an seiner Seite befand.
„Hhrr...“, ein Laut der Abscheu und eigentlich hätte der einbeinige Nomade dem noch gerne Anderes folgen lassen, doch sein Blick fiel auf das, was Hurley in der Hand hielt.
Und so zeichneten sich einen Moment später schon Falten auf der Stirn ab, wärend er in Gedanken sich noch einmal zu Gemüte führte, was er im Halbschlaf vernommen hatte.
Es hatte Sekunden gedauert, um zu realisieren, daß 'den ganzen Abend dran gearbeitet' im Zusammenhang mit diesem Ding stand und endlich erkannte der einbeinige Nomade, daß es sich bei dem Ding um seine neue Prothese handelte. Als eine Solche hatte Hurley dieses Ding zumindest bezeichnet.
„Ist das etwa das, was ich denke, daß es ist?“, murmelte der Ergraute voller Zweifel, doch die Neugierde war groß genug, daß Ding bereits mit den eigenen Händen zu betatschen und zu drehen.
Und obwohl er im ersten Moment nicht so recht an die Funktionalität glauben konnte, schenkte er doch dem Gesichtsausdruck des Dicken Beachtung, der wohl darauf wartete, daß Bardasch sich die Prothese endlich umband.
Also tat er Hurley den Gefallen, wenn er auch diese Knochen etwas abstoßend fand.
„Und jetzt?“, murmelte er an Hurley gerichtet, doch der Dicke hatte seine Arbeit getan und legte scheinbar keinen großen Wert darauf, den einbeinigen Nomaden an die Hand zu nehmen und ihn in die Nutzung der Prothese einzuweihen. Verständlich wenn man sich mal den Zustand des Ergrauten besah, der bestialisch stank. Aber auch schade, wenn man mit den Augen die erste Bewegung verfolgte, die Bardasch mit dem künstlichen Bein tat.
Ein Grummeln verlies die Kehle des Nomaden und schließlich kommentierte er die erste Erfahrung mit der Feststellung, daß das Ding doch schlackerte. Wie sollte man sich denn da erheben?
„Da... wirp“, kam der Laut aus dem Munde des Krüppels, der damit demonstrieren wollte, daß das künstliche Bein einem Druck doch nicht stand hielt, doch erstaunlicherweise setzte das erwartete Nachgeben der Prothese aus. Sie versteifte sich in dem Moment, wo er Druck ausübte und schien in der Position verharren zu wollen, doch dann, mit Denken und Handeln des Mannes, der den Druck weg nahm, schlackerte es wieder.
Ein erneuter Versuch und schließlich ging an Bewegung nichts mehr, daß der Nomade glaubte, das künstliche Bein würde nun in der angewinkelten Position verbleiben und somit nicht weiter nutzbar sein, doch es schlackerte schon wieder. Seltsam. Ein zweifelnder und fragender Blick ging an den Dicken, der ihm den Rücken zugekehrt hatte und schließlich rieb Bardasch sich mit der Hand über das Kinn. Ein Dank war vielleicht angemessen, aber erstmal galt auszuprobieren, ob der Dicke sich den Dank überhaupt verdient hatte.
„Ich brauch was zu saufen“, wurde jeder weitere Gedanke durch die neu aufkommende Sucht gestört und schon mischte sich in das Interesse an der neuen Gehhilfe die verzweifelte Frage nach Beschaffung eines endlich erlösenden Tropfens.
Hoffentlich bringt Lobedan was mit, wenn er wieder kommt.
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Die Stille wurde erst unterbrochen, als draußen jemand schrie, es gäbe etwas zu Essen in der Taverne. Spätestens jetzt würde Al Shedim wohl aus seinem Schlaf erwachen und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich all die hungernden und leidenden Menschen dicht um die Taverne drängen würden, um ihren Anteil abzuholen. Die strenge Rationierung würde zwar wieder Missmut mit sich bringen, das konnten sie den Menschen aber nicht ersparen. Gab man alles mit einem Mal heraus, dann war es wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
"Ihr wisst nicht, welchen Fehler ihr da gerade macht.", entgegnete Wutras mit weiterhin versteinerter Mine. "Aber ich gebe mich geschlagen. Ich werde Al Shedim noch heute verlassen. Möge Adanos euch diesen Frevel vergeben."
Ohne Pakwan und Onatas eines weiteren Blickes zu würden, senkte er betroffen den Kopf und bahnte sich zwischen Maris und Lobedan einen Weg zum Zeltausgang. Pakwan, bis dahin untätig, lief ihm wortlos hinterher, Onatas blieb schweigend im Zelt zurück und suchte scheinbar den Blickkontakt mit Maris. Es war jedoch Lobedan, der zuerst etwas sagte.
"Lasst uns das hier möglichst schnell vergessen und nach vorn blicken. Dort draußen wartet Arbeit auf uns. Onatas, du wirst uns helfen, vermute ich? Wäre es zu viel verlangt, wenn du den Leuten verkündest, was geschehen ist? Das bringt unserer Sache wahrscheinlich größere Akzeptanz."
Es fiel ihm schwer, den Gesichtsausdruck des Hohen Nomaden richtig zu deuten. Eine gewisse Wehmut war daraus zu entnehmen, aber auch der Ansatz von Freude. Sollte Wutras seine engsten Vertrauten eingeschüchtert haben?
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Ein neuer Tag – ein neues Glück.
Hätte Bardasch wohl gewußt, was sich ohne sein Wissen alles in Al Shedim tat und was ihm wohl noch bevor stand, hätte er einen solchen Gedanken wohl nicht gehabt, als er sich mit der neuen Prothese an die Eingangstüre seiner Ruine heran gearbeitet hatte.
Aber auch so war der Ergraute von seinem Gedanken nicht sehr überzeugt.
Der Umgang mit dem neuen Ding da an seinem fehlenden Bein war sehr gewöhnungsbedürftig und er wußte schon um die Zeit die es brauchen würde, sich gekonnt mit der neuen Prothese zu bewegen. Für einen Mann, der über Ungedult verfügte eine Horrorvorstellung, aber das war noch nicht alles.
Die Stimmung des Nomaden ging bald im Sekundentakt rauf und runter, denn Bardasch wußte nicht so recht, was er nun mit sich anfangen sollte... was er wollte. Da war der Gedanke nach etwas Rauchbarem, aber auch nach einem Schluck Fusel, jedoch bewirkte Beides in Gedanken einen gewissen Ekel. Es wirkte abstoßend irgendwie und Bardasch ärgerte sich darüber, an seinen Gewohnheiten keinen rechten Gefallen finden zu können. Auch wäre ihm ein schwarzes Wachgetränk recht gewesen und irgendwo wieder auch nicht. Ein Bad vielleicht – nein, eher nicht.
Frische Luft... irgendwo unwichtig. Sich einen Überblick über die Lage verschaffen... eher lästig.
Entweder hatte der Nomade hier mit den Folgen seines Entzugs zu tun, oder es war einfach einer dieser Tage, an denen aber auch nichts Freude bereiten konnte.
Gedankenverloren hatte der Ergraute seinen Blick über Hurleys Kopf hinweg schweifen lassen, auf der Suche nach der Sonne,... auf der Suche nach einem belebenden Luftzug und schließlich auch auf der Suche nach Lobedan, der sich seines Blickes jedoch entzog. Scheinbar war er noch nicht wieder zurück, daß Bardasch eine Frage nach der Tageszeit daher brummte, ohne dabei ein wirkliches Interesse zu verspüren.
Ohne nachzudenken tat der Krüppel einen Schritt aus der Türzarge hinaus, daß die Prothese tat, was sie tun sollte. Unter Druck versteiften sich die Glieder und lösten sich wieder in dem Moment, in dem der Ergraute die Prothese anhob. Sein altes Ding blieb dabei in einem stetig starren Zustand, daß Bardasch nun nicht daran dachte, daß sein neues Teil es nicht tat. Die Folge war ein Abwinkeln der Gehilfe und damit ein ungewohntes und ungeschicktes wieder Aufsetzen, welches den einbeinigen Nomaden dazu brachte, auf der Schrittseite einzuknicken und dabei dezent zur Seite zu kippen. War man es nicht gewohnt, war ein weiteres zur Seite Stolpern und sich schließlich auf die Fresse legen kaum zu verhindern und so fluchte Bardasch ein lautes 'Scheiße!', wärend er im Sand sitzend sich ungehalten den Sand von der immer noch vollgekotzten Kleidung schlug.
Wo eigentlich ein Dank hätte kommen sollen, meckerte der Ergraute nun an Hurley gerichtet.
„Was ist das für ein Rotz?! Damit kann doch kein Mensch gehen!“.
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Sie hatte noch immer keine Arbeit gefunden, doch die Absicht, zu ihren Großeltern zurückzukehren, hatte sie deshalb noch lange nicht. Wer wäre sie, das zu tun? Eher spontan hatte sie ihre Sachen gepackt, Proviant besorgt und sich auf den Weg gen Norden gemacht. Vielleicht fände sie dann dort Arbeit, irgendwas zu tun. Die Wanderschaft in der Wüste machte sie manchmal recht nachdenklich, manchmal wollte sie aber auch einfach nicht nachdenken. Was blieb ihr schon übrig?
Genau wusste sie nicht, wohin sie wollte. Klar, sie wusste, dass "nach Norden" kein Ziel, sondern eine Richtung war. Die Wüste hatte sie noch nie verlassen, aber noch hatte sie keine Beschäftigung gefunden, da konnte sie sich auch in Myrtana umsehen. Oder sie würde jemanden in Nordmar finden, der ihr vielleicht noch etwas über das Goldschmiedehandwerk beibringen konnte. Andererseits war Nordmar für eine solche Wüstenbewohnerin wie Ravenne wohl doch etwas zu nördlich gelegen ... Aber "nach Norden" war Ravennes Meinung nach wenigstens ein guter Ansatz.
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