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    Mythos Avatar von Gothic Girlie
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    Gero in der Stadt

    Gero war nach dem Besuch bei Marlan zunächst ein Stück Richtung Orkwald gezogen, weil er darauf hoffte, Berhan, Kolut oder Oleg zu finden. Nach zwei Tagen brach er jedoch die Suche ab und wandte sich wieder Richtung Küste. Er ging bei Marik auf dem Hof vorbei, um zu hören, ob es Neuigkeiten von Ireg oder Jaru gab, und als das nicht der Fall war, beschloß er, selbst in die Stadt zu gehen, um mit ihnen zu sprechen.
    Nela kam am Abend von ihrem Ausflug zu Marlan voll bepackt mit Heiltränken für den Hof zurück und Gero erzählte ihr von Irla, dem kleinen Beutel und der Bücher-Kiste. Sie riet ihm, bald mit Ireg über den Fund zu sprechen, und so brach er am nächsten Morgen Richtung Stadt auf.

    Nela hatte ihm das Haus beschrieben. Er fand es sofort, aber weder Ireg, noch Jaru waren anwesend, und er wurde nicht eingelassen. Er beschloss, Ireg im Quartier der Paladine zu suchen, aber auch dort war er nicht. So zog er neugierig durch die Stadt, probierte die Fischpastete, für die die Stadt berühmt war, forderte drei Einheimische zu einem Kämpfchen in der Arena auf – er gewann alle drei Kämpfe – und setzte sich schließlich etwas außerhalb an den Fluss, um ein bisschen zu angeln.

    Am Abend probierte er es noch einmal bei den Talakaidis, und diesmal war Jaru da. Jaru freute sich sehr, ihn zu sehen. Er stellte ihn der Familie vor, bat ihn, bei ihnen zu übernachten und erzählte von seiner Reise an die See und seiner etwas missglückten Aufklärung der Gerüchte um die Orks.
    Gero war sehr glücklich, zu sehen, dass es Jaru so viel besser ging. Er war etwas gewachsen und viel stärker, aber die eigentliche Veränderung lag in seinem Verhalten. Seine Augen strahlten, und er hatte die Bitterkeit des Sklavenlagers hinter sich gelassen.

    Jaru hatte so viel zu erzählen – vom Schwerttraining, von Ireg, von seinen Aufträgen in der Stadt – dass sie erst sehr spät zu Geros Bericht bei Marlan kamen. Gero fühlte auch ein leichtes Zögern in sich, es war ihm nicht eilig damit, von Marlan zu erzählen.
    Als er die Kiste erwähnte, rechnete er nicht mit so einer heftigen Reaktion, wie Jaru sie dann zeigte. Er wurde totenblass, und bat Gero mit gepresster Stimme, die Namen zu wiederholen. Als Gero die Kinderzeichnung erwähnte, stand er auf und schlug mit der Faust auf den Kaminsims. Gero hielt betroffen inne. Jetzt erinnerte er sich wieder an den Namen, den Ireg bei ihrem ersten Treffen erwähnt hatte – der Verwandte, der Ireg das Amulett für Jaru mitgegeben hatte.
    Gero machte sich Vorwürfe, nicht direkt daran gedacht zu haben.
    „Das mit der Kiste muss nichts heißen“, sagte er. „Sie kann bei einem Sturm über Bord gegangen sein." Aber er dachte an das viele verkohlte Holz am Strand, und wusste im selben Moment, dass er Unsinn redete.
    Jaru rannte rastlos im Raum umher. Er schien den Tränen nahe, war aber auch zornig. Da die anderen Familienmitglieder bereits zu Bett gegangen waren, beschlossen sie, es ihnen erst am nächsten Morgen zu erzählen. Und dann erzählte Jaru Gero noch stundenlang von seinen Seereisen als Schiffsjunge, und von Ingmar und Tasso, den beiden Schiffspaladinen, die damals seine Idole gewesen waren.
    „Und für immer dein Freund“, dachte Gero, der endlich begriff, von wem die Zeichnung mit dem Segelschiff stammte.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (21.08.2012 um 17:44 Uhr)

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    Streit

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    Gero erwachte am nächsten Morgen von lauten Stimmen. Er erhob sich schnell und ging die breite Steintreppe des alten Patrizierhauses hinunter. Jaru und Ireg stritten sich im Innenhof.
    Gero wollte nicht lauschen – aber es erschien ihm genauso unpassend, mitten in diese Auseinandersetzung zu platzen, und so ging er in die Küche. Enita war nicht dort, und er konnte weiterhin jedes Wort des Streits hören.
    „Wenn, wenn, wenn...“, sagte Ireg gerade. „Wenn es Kampfhandlungen gab, hat er seine Rüstung getragen, und ich muss dir wohl kaum erklären, was das heißt.“
    „Aber wir wissen es nicht. Er könnte gefangen sein, oder verletzt, oder ein Sklave...“
    „Jaru, was willst du? Soll ich meinen Eid brechen, weil mein Bruder vielleicht gefallen ist, vielleicht aber auch nicht? Tasso selbst wäre lieber gestorben, als dass ich das für ihn täte. Und zur Zeit müssen wir eine Invasion befürchten. Kein Paladin verlässt jetzt noch die Stadt.“
    „Was für eine Invasion?“ fragte Jaru.
    „Wir wissen es nicht genau. Wie du selbst gesehen hast, scheinen Orks gelandet zu sein, Orks, die anders sind, als die Orks dieser Insel. Möglicherweise ist die „Alca“ mit einer ihrer Galeeren zusammengetroffen. Die „Alca“ hatte den Befehl, vor der Westküste zu kreuzen, vor allem vor den unbesiedelten Gebieten, um zu verhindern, dass ungesehen Truppen an Land gehen. Für ein Schiff ihrer Größe hatte sie die beste Bewaffnung, die auf dieser Insel gefunden werden konnte. Bemannt mit den besten Leuten...
    Aber Orks sind nicht die einzigen, die wir heute fürchten. In Myrtana hat es einen Bürgerkrieg gegeben, und ein neuer König steht jetzt an der Spitze des Landes. Ein Kriegerkönig, kein Händler oder Diplomat. Wir wissen, dass er rüstet und dass er Veränderungen anstrebt, ohne das Gespräch zu suchen. Während du am Meer warst, sind die Männer zu den Waffen gerufen worden. Wir brauchen alle Männer, die Waffen führen können, zum Schutz dieser Stadt und auf den Schiffen.“ Ireg machte eine kurze Pause. Dann sprach er leiser weiter: „Wir können jetzt nicht einen Vermissten suchen, Jaru. Glaubst du, mich schmerzt das nicht? Tasso ist mein Bruder.“
    Gero hörte Jaru etwas murmeln, dann krachte eine Tür ins Schloss.

    Er hörte, wie Schritte näher kamen, nahm sich einen Feuerhaken und stocherte verlegen in der Glut des Herdes. Ireg kam in die Küche gestürmt. Als er Gero sah, fragte er: „Hast du unseren Streit gehört?“ Gero wurde rot, und fing an, etwas zu stammeln, aber Ireg unterbrach ihn.
    „Dann muss ich dir nicht alles erklären. Ich muss zurück ins Quartier.“ Er legte eine Armbrust und eine Tasche mit Bolzen auf den Küchentisch. „Gib das Jaru, er wird es brauchen.“
    „Wegen der Invasion... kann ich irgend etwas tun?“ fragte Gero.
    „Gegenüber im Hof ist Tobar, den kannst du fragen. Er wird dir auch Pfeile geben, wenn du welche brauchst.“
    Ireg nickte ihm kurz zu, dann war er wieder gegangen. Gero schluckte. Das klang alles gar nicht gut.

    - - -

    Gero wollte gerade Tobar suchen, als Enita mit einem großen Korb in die Küche kam. „Kein frisches Brot heute, aber du kannst eine kalte Fleischpastete von gestern haben.“ Gero nickte, und Enita gab ihm eine. „Hast du Jaru gesehen?“ fragte er sie.
    „Ja, er rannte an mir vorbei, kurz bevor ich hier ankam. Ist etwas vorgefallen?“ Gero erzählte ihr von dem Kistenfund. Sie wandte ihr Gesicht ab und beschäftigte sich am Herd... eine ganze Weile. Gero schwieg bedrückt.

    - - -

    Als er das Haus das zweite Mal verlassen wollte, um zu Tobar zu gehen, kam Jaru zurück. Gero gab ihm die Armbrust und die Pfeile und richtete ihm aus, dass Ireg in die Kaserne zurück gemusst hatte.
    Jaru nahm die Armbrust, untersuchte sie sorgfältig, lud sie und schoss einen Bolzen in einen der hölzernen Geländerknäufe im ersten Stock. „Ich wusste gar nicht, dass du damit umgehen kannst“, staunte Gero.
    „Ireg hat es mir gezeigt“, sagte Jaru und runzelte die Stirn.
    Dann trat er gegen die Treppe, fuhr zu Gero herum und sprach gepresst auf ihn ein:
    „Weißt du, was mich so aufregt? Sie haben aus dem, was mir passiert ist, nichts gelernt. Zwei Jahre war ich in diesem Loch in den Bergen gefangen, und niemand hat nach mir gesucht, außer dir. Und jetzt ist Tasso in Gefahr, und er verhält sich wieder genauso. Er tut einfach gar nichts.“
    „Wenn Tasso in Rüstung war, als die „Alca“ brannte, ist er im Meer ertrunken. Niemand schwimmt in Rüstung. Falls er noch lebte, als das Schiff sank. Jaru, der ganze Strand war voller kleiner verbrannter Holz- und Segelfetzen. Es gab kein Trümmerstück, das größer als meine Hand war...“ Gero brach ab, als er sah, wie Jaru die Tränen in die Augen stiegen. „Verdammt“, dachte er, „Warum muss es immer Jaru passieren, dass die Menschen, die er liebt, sterben.“
    Jaru kämpfte einen Moment um Beherrschung – und gewann.
    „Die Trümmer müssen nicht von der „Alca“ sein“, schnappte er mit rauher Stimme.
    Gero blieb ruhig: „Wenn sie gesiegt haben, brauchen sie vielleicht gar keine Hilfe. Es sind ganz unterschiedliche Gründe denkbar, warum die Kiste über Bord ging.“
    „Was willst du denn, wie ich mich verhalte? Soll ich die nächsten zwei Jahre hier hocken, und mich fragen, warum ich nichts getan habe, um herauszufinden, ob er noch lebt? So wie Ireg? Er hätte sich früher um die überfallenen Schiffbrüchigen kümmern müssen – und ohne zu fragen, ob sie vielleicht zufällig mit ihm verwandt sind.“
    „Du bist ungerecht, Jaru. Nur weil er beweisen konnte, dass einer der überfallenen Schiffbrüchigen mit ihm verwandt ist – und dass er noch lebt – hat er vom König die Erlaubnis bekommen, gegen das Lager zu ziehen.
    Der König hat diese Entscheidung getroffen, nicht Ireg. Und nur, weil Ireg so lange gewartet hat, konnte er an der Spitze eines ganzen Trupps Paladine kommen, statt alleine in der Nacht, so wie ich.“
    „Aber du hast mich da raus geholt, nicht er.“
    „Ja, dich. Und das Lager wäre bestehen geblieben. Er hat es befreit, Jaru, und die Forderungen der Buddler mit seinem Siegel anerkannt.“

    Jaru schwieg eine ganze Weile. „Was wirst du tun?“ fragte er schließlich Gero.
    Gero erzählte ihm von Tobar. „Lass uns mit ihm sprechen“, schlug er vor. Jaru nickte.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (30.08.2012 um 08:26 Uhr)

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    Letzte Vorbereitungen

    Gero und Jaru überquerten die Straße und betraten den Hof durch das massive Eichentor mit den breiten schmiedeeisernen Bändern. Ein großer kahler Mann mit dichtem grauen Bart trainierte eine Reihe von Bürgern im Schwertkampf. Gero erkannte den Bäcker, bei dem er die Fischpastete gekauft hatte, und Iregs Vater. Eben waren sie nach einer Reihe von Paraden an einer der Umfassungsmauern angekommen, da drehten sie sich auf ein Kommando gleichzeitig um und rannten mit lautem Gebrüll in die Mitte des Hofes zurück.
    In der hinteren Ecke des Hofes stand Ireg bei einem Trupp Paladine. Ihre Ruhe stand in einem seltsamen Gegensatz zu den kriegerischen Aktivitäten im vorderen Teil. Erstaunt registrierte Gero, dass es die Paladine von der Mine waren; Berlot winkte ihm zu.
    Ireg reagierte auf die Geste und sah ebenso zu ihnen, und als sein Blick auf Jaru fiel, wandte er sich mit einem kurzen Befehl an die Paladine und kam zu Gero und Jaru.

    Einen Moment lang standen sich die drei gegenüber und ein verlegenes Schweigen schien anzuwachsen, bis es fast greifbar war.
    „Jaru“, sagte Ireg mit einer sehr tiefen, ruhigen Stimme. „Ich muss kurz mit dir reden. Es ist sehr wichtig.“
    Jaru sah ihn stirnrunzelnd an. „Wegen des Streits..."
    Ireg legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. „Nein. Ich schätze, dass du Tasso die Treue hältst. Wie könnte ich nicht? Ich würde selbst am liebsten aufbrechen und ihn suchen. Auch wenn ich nicht glaube...“ Er brach ab. Gero sah, wie er die Kiefer zusammenbiss und kurz zu seinen Leuten hinüber sah. Als er sich wieder umwandte, war sein Gesicht wieder frei von dem schmerzlichen Ausdruck.
    „Jaru, die Mine, die wir befreit haben, ist zur Zeit ohne Schutz. Es war ein direkter Befehl des Königs, die Paladine zur Verteidigung der Stadt abzuziehen, und ich konnte mich dem nicht widersetzen. Die Arbeiter sind jetzt auf sich alleine gestellt.
    Ich habe mit dem König gesprochen, und er war offen dafür, eine andere Lösung zu finden. Er ist damit einverstanden, dass wir Talakaidis Kämpfer anwerben, um die Banditen von der Mine fernzuhalten. Ich kenne niemand Besseres als dich, um diese Aufgabe zu erfüllen. Du kennst die Seite der Buddler und weißt selbst, worauf es beim Schürfen ankommt. Dir ist klar, welchen Typ Wachen wir dort auf keinen Fall brauchen. Und du gehörst zur Familie, so dass ich vom König kein neues Privileg brauche.“
    „Heißt das, du schickst mich weg?“ fragte Jaru. „Jetzt?“
    „Ich weiß nicht, wie lange man die Stadt noch so einfach verlassen kann. Ich möchte dir Gold mitgeben, für die Löhne der Arbeiter und der Wachen, und es ist sicher keine gute Idee, mit ein paar Beuteln Gold zu versuchen, einen Belagerungsring zu durchbrechen.“ Ireg sah Jaru prüfend an.
    Jaru sah zu Boden. „Ich käme mir vor wie ein Feigling“, sagte er.
    Ireg schnaubte. „Wen auch immer ich schicke – wird hier fehlen. Aber es ist nicht richtig, wegen der Stadt alles andere aufzugeben. Du bist der Richtige für diese Aufgabe. Aus dir wird kein neuer Faid werden.“
    „Nein“, sagte Jaru leise. „Was ist mit dir, Gero“, fragte er. „Würdest du mitkommen?“

    Gero zögerte und wurde rot. Die Frage traf ihn unerwartet.
    „Weiß eigentlich Marik von der Invasion – und die Bauern?“ fragte er.
    Ireg nickte. „Sie haben den Befehl, so viel von ihren Ernten wie möglich abseits der Höfe in verborgenen Erdzisternen und Rundtürmen zu lagern, die wir in den letzten Jahren gebaut haben, und sich dann in Orten zu sammeln, die gut zu verteidigen sind.“
    „Ich dachte, wir helfen bei der Verteidigung der Stadt!“ fuhr Gero auf. Er hatte genau wie Jaru das Gefühl, dass Ireg versuchte, sie fortzuschicken, damit sie nicht zu Schaden kämen, und er brannte darauf, Ireg zu zeigen, wie er kämpfen konnte.
    Ireg richtete sich etwas auf, und sein Blick war nicht mehr freundlich. „Ich könnte euch befehlen, die Stadt zu verlassen. Ihr habt einen Treueschwur geleistet, wie andere. Ihr habt beide hier keine Wurzeln. Ich werde niemand wegschicken, dessen Familie in der Stadt lebt.“
    „Bist du nicht Teil meiner Familie?“ fragte Jaru trotzig.
    „Du weißt, was ich meine.“ Ireg blieb kühl. „Frauen, Kinder... ihr seid nicht gebunden.“

    Es entstand eine unangenehme Pause.
    „Gut, ich bin einverstanden.“ sagte Jaru schließlich. Ireg entspannte sich. „Komm mit. Ich habe dir ein paar Sachen zu übergeben“, befahl er Jaru. Dann blickte er Gero fragend an.
    „Ich möchte bleiben“, bat Gero. Jarus Kopf fuhr herum. Er sah so angewidert aus, dass Gero dachte, Jaru wolle ihn bespucken, aber Jaru starrte ihn nur fassungslos an. Dann wandte er sich an Ireg: „Gehen wir.“ Er würdigte Gero keines weiteren Blickes.

    - - -

    Gero folgte den beiden dann doch in das alte Patrizierhaus, weil Ireg ihn bat, als Zeuge mitzukommen. Dort angekommen, öffnete Ireg ein paar eisenbeschlagene Truhen im Erdgeschoss und gab Jaru mehrere Beutel mit Gold. Er zeigte ihnen drei Schriftstücke: das erste war eine Urkunde mit der königlichen Erlaubnis für die Familie Talakaidis, die Mine auszubeuten. Das zweite Dokument war das Privileg, zu ihrem Schutz Bewaffnete anzuwerben. Das dritte kannte Gero bereits: es war die Liste mit den Forderungen der Buddler.
    Und dann tat Ireg etwas, das Gero erst sehr wunderte, und an das er sich sein ganzes Leben mit Hochachtung erinnern sollte: Ireg nahm Jaru den Eid ab, die Forderungen zu achten.
    Zuletzt gab er ihm ein Siegel und das Wirtschaftsbuch der Mine und umarmte ihn kurz.

    Jaru blickte Ireg eine ganze Weile ins Gesicht. Er suchte keinen Blickkontakt zu Gero. Dann nickte er Ireg zu, wandte sich um, und rannte fast zu Tür hinaus. „Vielleicht komme ich später“, rief Gero hinter ihm her, aber er war sich nicht sicher, ob Jaru es noch hörte. Gero war plötzlich elend zumute. Ireg versuchte etwas zu sagen, brach ab, sah Gero an und machte nur eine unbestimmte Geste. Dann setzte er neu an: „Komm mit, ich zeige dir, wo du uns helfen kannst.“

    Ireg brachte Gero an eine Stelle an die Stadtmauer, wo eine alte Bresche erst jetzt repariert wurde. Eine Kette von Bürgerinnen und Bürgern gab von Hand zu Hand Steine weiter. Gero konnte das Ende der Kette nicht sehen, aber er vermutete, dass sie bis zum Strand reichte. Ein paar Handwerker hatten ein Gerüst aufgebaut und setzten die Steine übereinander. Rechts und links auf den Mauerkronen, die noch intakt waren, standen Stadtwachen und Bürger mit Armbrüsten und Bögen. Ireg stellte Gero Galaro vor, einem großen dunklen Mann mit einem langen Bogen und einer ungewöhnlichen Rüstung, die aus auf Leder genähten Metallplättchen bestand, die wie Schuppen übereinander fielen. Dieser Mann hatte das Kommando über diesen Teil der Mauer, erstaunlicherweise auch über die Stadtwachen.
    Er machte Gero mit den Wachschichten vertraut und teilte ihn zu verschiedenen Hilfsdiensten ein.
    Ireg verabschiedete sich von Gero mit einem kurzen Schlag auf den Oberarm, dann war er verschwunden.

    - - -

    Die nächsten zwei Tage waren für Gero eine Qual. Zum einen war er gefordert von der Arbeit mit dem Steineschleppen und mit verschiedenen Kurierläufen, die Galaro ihm auftrug, und nachts schlief er nicht viel, da er Wache stehen musste.

    Die Leute waren nervös und die Gerüchteküche brodelte: manche wollten wissen, dass der neue König von Myrtana ein skrupelloser Schwarzmagier sei, der den Menschen die Mägen aufschnitt, um daraus Zutaten für Tränke zu gewinnen. Andere hatten gehört, dass in seiner Umgebung die übelsten Bestien auftauchten, und dass er sie mit einem Fingerschnippen auf seine Feinde zu hetzen pflegte... dass er zum Frühstück rohe Fleischwanzen und Orks äße... Galaro hielt das alles für Blödsinn, aber er wusste, dass der fremde Kriegerkönig seine magischen Künste von einem Orkschamanen gelernt hatte, und das wiederum konnten sehr wenige Bürger glauben – allerdings waren sie Galaro gegenüber sehr taktvoll und murmelten nur etwas von den fremden myrtanischen Sitten – und hier sei ja zum Glück niemand so unkultiviert, überhaupt auch nur mit einem Ork zu sprechen.

    Am schlimmsten für Gero war die Erinnerung an den missglückten Abschied von Jaru. Wahrscheinlich hätte er sich anders entschieden, hätte er nochmal zu wählen gehabt. Ihn schmerzte der Gedanke an Jarus vorwurfsvolles Gesicht, und in Gedanken – vor allem in den langen Nächten – sprach er mit ihm und versuchte zu erklären, was er selbst kaum verstand: dass es vor allem der Gedanke an Ireg war, der ihn zum Bleiben bewegt hatte.

    Aber von Ireg sah er wenig. Ireg war jetzt in der Festung am Hafen stationiert, und nur einmal schickte Galaro Gero dorthin als Boten, als das Loch in der Mauer geschlossen war.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (30.08.2012 um 08:31 Uhr)

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    Kampf um die Stadt

    Der dritte Tag zog herauf mit einem roten Glühen durch Rauchwolken im Süden. Galaro war bei seinem Kontrollrundgang kurz bei Gero stehengeblieben. Er spuckte in Richtung des unheilvollen Himmelsschauspiels. „Dort brennt etwas – und das ist nicht nur eine Scheune.“

    Die ganze Stadt war das erste Mal wirklich im Ausnahmezustand. Bisher hatten sich die Vorbereitungen fast nahtlos in die normale Betriebsamkeit gefügt, aber jetzt war alles anders. Manche Häuser waren verlassen und verrammelt – vor anderen waren Stände aufgebaut, wie bei einem Volksfest. Die meisten Bürger und viele Bürgerinnen waren auf den Mauern, normales Tagwerk tat keiner mehr. Es entwickelte sich Streit wegen Nichtigkeiten, und es gab keine Morgengrütze für die Verteidiger, da in dem Kessel Teer gekocht wurde. Galaro verteilte Zwieback, Rauchfleisch und getrocknete Früchte, und wies die Männer an, sich den Proviant einzuteilen.

    Gegen Mittag kam ein Bote vom Hafen, der atemlos berichtete, dass eine große Flotte südlich des Hafens gelandet war und seit Stunden dort Männer und Kriegsgerät an Land gebracht wurden. Unter den Schiffen wurden auch auch Orkgaleeren ausgemacht, aber die Besatzungen waren keine Orks. Der Bote übergab Galaro ein Schreiben, und Galaro sandte alle Stadtwachen zum Hafen. Es blieben nur er selbst mit seinem großen Bogen, Gero und etwa 20 Bürger, um die geschwächte Mauer zu verteidigen.

    Später hörte man von der südlichen Stadtmauer lauten Donner, Krachen und Geschrei.
    Gero wurde unruhig. Es fühlte sich schrecklich an, auf diesem Posten ausharren zu müssen, an dem nichts passierte, und genau zu wissen, dass woanders bereits Menschen kämpften und starben. Galaro wirkte kühl, er ging zwischen den Männern umher und spottete mit rauhen oder witzigen Bemerkungen, aber als die Spannung weiter stieg, stand er immer mehr an der Mauer und versuchte zu sehen, was Richtung Südstadt passierte. Schließlich schickte er Gero zum Hafen, um sich ein Bild von der gesamten Situation zu machen.

    Gero verließ die Mauerkrone an der nächsten Treppe Richtung Hafen und lief durch die menschenleere Straße. Als er um eine Hausecke bog, erstarrte er. Die Angreifer waren bereits in der Stadt. Ein Trupp kam ihm entgegen – auf Straßenbreite ausgezogen und etwa drei Mann hintereinander marschierten fremde Kämpfer auf ihn zu. Kein Durchkommen zum Hafen! Er zog sein Horn und blies Alarm. Dann nahm er den Bogen vom Rücken und begann, sie aus der Deckung der Mauerecke zu beschießen.

    Die Fremden sahen alle aus, als seien sie Brüder. Sie trugen braunschwarze, mit Rot verzierte Lederrüstungen. Als einer seiner Pfeile, der in einem stumpfen Winkel auftraf, jedoch mit einem „Tock“ davon abprallte, war ihm klar, dass sie mit Metall verstärkt sein mussten. Drei Männer waren anders gerüstet: zwei trugen mit Gold verzierte Brustharnische und einer eine merkwürdig gestreifte braun-weiße Rüstung, wie er noch nie eine ähnliche gesehen hatte. Es schien fast ein organisches Material zu sein, aber gegen diesen Kämpfer konnten seine Pfeile nichts auszurichten. Von hinten hörte er rennende Schritte: ein Bürger befahl ihm, sich wieder auf die Mauer zurückzuziehen. Und so stand er neben Galaro auf der Treppe zur Stadtmauer als die feindliche Streitmacht um die Ecke bog.

    Ein Hagel aus Armbrustbolzen und Pfeilen empfing sie. Leider waren die Bürger der Stadt nicht besonders schnell im Nachladen, und so gewannen die Feinde fast den Fuß der Treppe, ehe sie eine zweite, kleinere Welle aus Geschossen traf. Der braun-weiß gerüstete Krieger hielt kurz inne, das Schwert in der Scheide und die Hände gespannt an der Seite. Plötzlich stand vor ihm auf der Treppenstufe ein gigantischer Steinkämpfer. Er überragte jeden der Männer um fast das Doppelte. Galaro war neben Gero der einzige, der standhielt. Galaro hatte sein Schwert gezogen und hieb auf das Monster ein, schrie dabei Befehle, das Monster zu beschießen. Aber für die meisten seiner Leute stand er in der Schusslinie. Gero schoss an ihm vorbei auf die feindlichen Angreifer, die versuchten, aus der Deckung hinter der Steinfigur Galaro mit ihren Armbrüsten zu treffen. Plötzlich kam Gero der steinernen Faust des Monsters zu nahe: ihn traf ein Schlag wie ein Schmiedehammer, der ihn weit in die Luft warf. Einen Moment lang sah er die Mauer an sich vorbeizischen, dann Himmel, und dann krachte er außerhalb der Mauer ins Gebüsch. Er hörte seinen Bogen unter sich brechen, danach lag er wie ein Käfer auf dem Rücken und kämpfte um Atem.

    Gero hörte aus der Stadt Geschrei und Waffenklirren. Verzweifelt bemühte er sich, wieder auf die Beine zu kommen, aber am Anfang gelang ihm selbst das Einatmen nicht. Er hörte sein eigenes Luftholen wie das Fiepen eines Welpen. Panik stieg in ihm hoch. Es schien ewig zu dauern, und es war ihm schwindelig, bis er normal atmen konnte. Er wälzte sich auf die Seite – so war das Aufstehen leichter. Der Kampfeslärm war jetzt weiter entfernt und leiser. Tränen der Wut schossen ihm in die Augen. Er sah nach seinen Waffen. Der Bogen war nicht mehr zu gebrauchen. Er nahm die Sehne ab. Das Schwert war unbeschädigt an seiner Seite. Er stand endgültig auf. Ein paar erste Schritte lang kämpfte er gegen den Impuls, sich zu übergeben. Er kam an das frisch reparierte Mauerstück, und versuchte, dort hochzuklettern, aber der feuchte Mörtel machte die Mauer glitschig und die unebenen Natursteine waren trotz der Frische der Arbeit im Inneren fest gefügt, sodass er abrutschte.
    Jetzt rannte er außen an der Mauer entlang. Er verdrängte den Gedanken an Galaro und seine Kameraden mit Gewalt, zwang sich dazu, nur von Schritt zu Schritt zu denken. Seitenstechen überfiel ihn, ihn, den Jäger, der normalerweise tagelang unermüdlich laufen und rennen konnte.
    Die Zeit erschien ihm eine Ewigkeit, bis er das nächste Stadttor erreichte. Es war geschlossen, und das Fallgitter davor war an seinem Platz, aber die Mannschaft war nicht zu sehen. Er kletterte am Fallgitter hoch und rief leise die Parole, aus Angst, von einer aufmerksamen Wache das Haupt abgeschlagen zu bekommen, aber niemand war dort. So zog er sich durch die Öffnung, durch die die Kette kam, hoch ins erste Stockwerk des Turms und ging auf der Treppe des Wachturms wieder nach unten.

    Er schlich durch ausgestorbene Straßen, bis er von weitem das Haus der Talakaidis sah. Ein blutiges Bündel davor ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Er rannte darauf zu. Iregs Vater lag auf dem Bauch auf der Türschwelle in einer Blutlache. Als er sich niederbeugte, nur, um ihn tot zu finden, hörte er, dass im Haus gekämpft wurde. Er zog sein Schwert und stürmte hinein. Der Lärm kam aus der Küche. Als er in der Tür stand, bot sich ihm ein schreckliches Bild: ein fremder Krieger mit blauem Gambeson hatte Enita vor sich auf den Tisch geworfen. Sie hielt jedoch in beiden Händen je ein Messer, und versuchte, ihn ins Gesicht oder in die Hände zu schneiden, mit denen er nach ihr griff.
    Ein zweiter Krieger im roten Waffenrock feuerte ihn an. Er hielt ein merkwürdiges Schwert in der Hand, das aussah und rauchte wie Eis in der Sonne.
    Die alte Frau mit der Stola hielt zwei weitere Kämpfer in Schach. Mit einer großen Bratpfanne am langen Eisen-ummantelten Holzstiel schlug sie abwechseld auf die beiden ein. Sie beschimpfte sie dazu die ganze Zeit, wie Gero noch kein Marktweib hatte keifen hören. Er übernahm einen ihrer Gegner, und schlug ihm sein Schwert tief zwischen Hals und Schulter. Er schrie wie ein Schwein. Der Mann bei Enita war für einen Moment abgelenkt. Sie stach ihm tief in die Hand und rollte sich zur Seite Richtung Herd unter ihm weg. Der zweite Mann wollte ihr den Weg abschneiden und holte mit seinem Schwert zu einem weiten Streich aus. Er traf jedoch nicht sie, sondern den siedenden Ölkessel hinter ihr. Ein Treffer mit einem normalen Schwert hätte keinen Effekt auf den großen, dickwandigen Eisenkessel gehabt. Aber das merkwürdige magische Schwert des Fremden brachte den Kessel zum Platzen. Das heiße Öl ergoss sich über die Feuerstelle und über ihn selbst. Er brannte wie eine lebende Fackel und im nächsten Moment gab es eine riesige Stichflamme, die die ganze Küche in Flammen setzte. Enitas Schürze fing Feuer.

    Der brennende Mann stürzte an der Alten, Gero und ihren beiden Gegnern vorbei und rannte die gegenüberliegende Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort verriet ihnen ein immer lauter werdenden Brausen, dass das Haus schnell Feuer fing. Gero nutzte die Ablenkung, um seinen angeschlagenen Gegner zu enthaupten. Der Gegner der Alten ließ von ihr ab und wandte sich Gero zu. Im selben Moment stieß Enita Gero zur Seite. Sie hatte sich von der brennenden Schürze befreit, aber jetzt war ihr Kleid entflammt, und sie rannte durch die Haustür nach draußen zum Brunnen. Durch den Stoß drehte Gero dem Mann im blauen Gambeson, der ursprünglich Enita angegriffen hatte, einen Moment den Rücken zu. Dieser schlug ihm einen Feuerhaken auf den Kopf. Gero brach in die Knie. Die Wunde blutete so stark, dass er sofort nichts mehr sah. Die Alte stand über ihm mit ihrer Bratpfanne und hielt die beiden Feinde davon ab, ihn zu töten. Und dann erschien ihr Retter. Plötzlich stand Jaru in der Tür, die Armbrust im Anschlag, und erschoss erst den im blauen Gambeson und dann den anderen.

    Ihnen blieb keine Zeit für Freude: im selben Moment polterte ein Teil des überhängenden ersten Stockwerks brennend von außen vor die Haustür und schloss sie ein. Gero verlor das Bewusstsein und fiel auf die Binsenmatten. Die Alte zog Jaru zu einer Stelle an der Wand. Sie bewegte zwei Kerzenleuchter aus Messing, die in die Wand eingelassen waren, und mit einem lauten Knacken sprang eine Klappe im Boden einen Spalt auf. Während Jaru mit aller Kraft an der schweren, mit steinernen Bodenfliesen beklebten Holzklappe stemmte, um sie aufzubekommen, wirbelte die Alte im Erdgeschoss umher, riss alle Truhen und Schatullen auf und stapelte Schmuck, Leinenbinden, Heiltränke, Proviant und Papiere auf Geros Brust. Zuletzt legte sie sein Schwert, ihre Stola, die Bratpfanne und das magische Schwert des Angreifers neben ihn, ergriff die Matte an seinem Kopfende, hob sie an, und zerrte alles die Steintreppe hinunter, die sich unter der Klappe aufgetan hatte. Geros Körper polterte unsanft von Stufe zu Stufe, aber sie hielt seinen Kopf, Hals und Schultern mit dem oberen Teil der Matte fest in ihren Armen. Jaru schloss die Klappe hinter ihnen und schob die gusseisernen Riegel vor, die an ihrer Unterseite angebracht waren.

    Die Alte schlug ein Zundereisen und entzündete eine Fackel. Dann beugten sie sich über Gero. Die Wunde blutete immer noch und das Blut rann daraus wie aus einer Quelle. Die Alte drückte von den Leinenbinden darauf, aber sie vermochte das Blut nicht zu stoppen. Dazu kam, dass inzwischen sein ganzer Kopf glitschig war, und die Binden nicht hielten. Jaru nahm einen Spielwürfel aus der Tasche, schlug ihn mehrmals in eine Binde ein und drückte das Paket fest gegen den Schädelknochen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass dieser intakt war. Nach einer Weile war die Blutung gestillt. Sie banden vorsichtig den Würfel an Geros Kopf fest, aber jetzt bemerkten sie ein weiteres Problem: durch die Ritzen am Rand der Falltür drang brenzliger Geruch und füllte den Raum darunter mit Rauch.

    „Dieser Gang führt nach draußen – bis hinter die Stadtmauer.“ Ihr heiseres Wispern ließ Jaru zusammenzucken. Jaru legte Geros Hand auf dessen Brust – er ignorierte dabei den Wust aus Gerümpel – und fasste von hinten um Geros Oberkörper den Unterarm mit beiden Händen. So hob er ihn an, und die Ahne trug Geros Füße und die Fackel. Der Gang war dunkel und gewunden. Sie stiegen einige Stufen hinunter, später wieder hinauf, bis sie in ein kleines trockenes Gemach kamen, das durch schwaches Tageslicht aus einem anderen Gang beleuchtet wurde. Hier stand sogar ein altes Bett und Regale mit eingekochtem Gemüse und Wein. Vorsichtig legten sie Gero auf dem Bett ab. Jaru untersuchte ihn noch einmal, aber der Verband hielt und sein Atem ging regelmäßig.

    „Wohin führt der andere Gang?“ fragte er die alte Frau, von der er immer noch nicht wusste, wie er genau mit ihr verwandt war.
    „Er endet in einem Dickicht in den Gärten vor der Stadtmauer.“
    Jaru setzte sich in Bewegung.
    „Wohin gehst du?“ wollte sie wissen.
    „Ich muss nach Enita sehen.“
    Er war verschwunden, bevor sie reagieren konnte.

    Gothic Girlie
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    Der neue Bogen

    Als es anfing zu dämmern, und nur noch ein schwacher roter Schein in die kleine Erdkammer fiel, erwachte Gero. Zuerst wusste er nicht, wo er war. Dann fiel sein Blick auf die alte Frau, die reglos am Fußende des Bettes saß, und alles fiel ihm wieder ein.
    „Wo ist Jaru“, seine Stimme war rau. „Ist er wirklich zurückgekommen?“
    Die Alte nickte. „Aber er ist sofort gegangen, um nach Enita zu sehen. Das war vor Stunden.“
    Gero bat sie um etwas zu trinken. Sie gab ihm einen Heiltrank, und dann noch einen. Er fühlte die Energie in seinen Körper zurückkehren und setzte sich auf. Ein kleines Klötzchen fiel ihm in den Schoß, und dann rutsche der ganze Verband und er sah nichts mehr.
    „Vorsichtig“, sie half ihm, den Verband abzunehmen. Gero bemerkte, dass er sehr blutig war, ebenso wie seine Tunika, Lederrüstung und Kettenhemd.
    Er duldete, dass sie ihm das Gesicht wusch und Teile des Halses und Kopfes. Woher hatte sie in diesem ganzen Durcheinander heißes Wasser! Die Frau war ihm ein Rätsel. Sie tupfte vorsichtig eine Salbe auf die Wunde und verband ihn neu mit frischen Leinenbinden. Dann nahm sie etwas von dem blutigen Verband, und wickelte eine letzte Lage.
    „Wenn wir fliehen müssen, und befürchten, dass man uns sieht, werden wir uns am besten tot stellen.“
    „Ich brauche einen Bogen. Wenn wir ohne ausreichend Waffen in den Wald gehen, sind wir Snapperfutter.“ Er versuchte aufzustehen, und es gelang, aber sofort bekam er rasende Kopfschmerzen.
    Sie gab ihm sein Schwert und zeigte ihm die seltsame magische Waffe. Er nahm sie in die Hand und führte sie probeweise, aber sie fühlte sich unangenehm an und er gab sie ihr zurück.
    „Wie heißt du“, fragte er sie. Er konnte sie doch nicht mit „alte Frau“ anreden.
    Sie zögerte. „Amara“, sagte sie schließlich.

    „Willst du jetzt schon mitkommen?“ fragte er sie. „Es ist bald dunkel, und du kannst zwischen den ersten Bäumen auf mich warten.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Solange die Trümmer des Hauses schwelen, wird die Falltür nicht entdeckt. Solange sind wir hier sicher. Und Jaru wird hierher zurückkehren...“
    Keiner von beiden kommentierte sein langes Fortbleiben.

    Gero lief langsam durch den Gang ins Freie. Er kam in ein dichtes Gebüsch, und brauchte eine Weile, bis er sich daraus befreit hatte. Dabei versuchte er, keinen Lärm zu machen und seinen dröhnenden Kopf zu ignorieren. Um ihn herum in der einbrechenden Dunkelheit nahm er schemenhaft Beete wahr und Reihen von kleinen Bäumen und Büschen. Er kam an einem Apfelbaum vorbei und einer der Äpfel fiel ihm fast in die Hand. Er kaute langsam und voll Genuss und merkte plötzlich, wie hungrig er war.
    Seine Provianttasche hatte er, genau wie die Pfeiltasche, beim Kampf gegen den Golem eingebüßt, und er beschloss, dorthin zurückzukehren, wo er so unsanft über die Mauer geflogen war. Aber zunächst galt es, vorsichtig einen Weg in die Stadt zurück zu finden.

    Diesmal hielt er sich an der Stadtmauer nach Süden. Er passierte das reparierte Stück und lief den ganzen Weg zurück, den er vor wenigen Stunden gerannt war, dann weiter Richtung Hafen. Die Mauer war auf der ganzen Strecke intakt und er sah keine Spur eines Kampfes. Er passierte die letzte Bodenwelle vor dem Strand und blieb hinter einem Busch stehen: zwischen ihm und dem Meer sah er die glühenden Punkte von vielen Lagerfeuern – wie einen blau-orangenen Teppich – und dahinter die dunklen Schemen der an Land gezogenen fremden Schiffe auf dem hellen Sand.
    Er wandte sich an der Mauer entlang nach links. Und wie mit einem Messer geschnitten begann plötzlich die Zerstörung. Die Stadtmauer war über etwa eine Hauslänge geschwärzt und rissig, und das letzte Stück bis zum Hafen bestand nur noch aus kniehohen Trümmern und verstreuten Steinen. Jetzt sah er undeutlich menschliche Formen am Boden liegen, und er bückte sich, sie vorsichtig zu betasten, aber sie waren alle steif und kalt, und er hörte wieder damit auf. Sein Kopf reagierte ungnädig auf die viele Bewegung. Er hielt einen Moment inne, um den Schmerz und den Brechreiz niederzukämpfen, und schlüpfte dann über die Mauerreste in die Stadt.

    Auf der Innenseite war das Bild noch katastrophaler. Überall lagen Trümmer von der Mauer und von schwelenden Häusern, Tote und kaputte Möbel und Gerätschaften, und der Boden war glitschig vor Blut. Es hatte erstaunlicherweise kein großes Feuer gegeben, und sobald er etwa fünf Häuserbreiten vom Hafen fortschlich, war der Eindruck von der Stadt ein fast normaler, wenn auch zu menschenleer und ausgestorben.

    Er ging langsam die Straße entlang, auf der ihm die fremden Krieger entgegengekommen waren und erreichte schließlich den Aufgang zur Mauerkrone, wo er zuletzt kämpfend neben Galaro gestanden hatte. In diesem Moment erschien ein schmaler Streifen des Mondes am Rand einer Wolke, und ein fahles kaltes Licht beleuchtete den Ort. Das Steinmonster war dort zusammengebrochen, aber es hatte Galaro unter sich verschüttet. Gero sah in seine blicklosen Augen und griff eine kalte Hand, die unter dem Monster heraus sichtbar war. Einen Moment kniete er neben Galaro, dann legte er seine Hand auf seine Augen und schloss sie vorsichtig.
    Er fand Galaros Bogen in wenigen Schritten Entfernung, und Gero nahm ihn auf, und probierte, ihn zu spannen. Er war stärker als sein eigener gewesen war, aber es war ihm möglich und er nahm ihn mit. Wenige Momente später sah er auch seine Pfeil- und Provianttasche. Es lagen noch weitere Tote dort, aber er verschloss seine Gefühle und ließ sie liegen, ohne sich mit ihnen zu befassen. Vorsichtig bewegte er sich zurück zum Hafen.

    Er kannte das Gelände dort unten nicht gut, und das erschwerte ihm die Orientierung, jetzt, wo alles in Trümmern lag. Es erschien ihm nicht so, als ob es in diesem Teil der Stadt noch Leben gäbe und er brauchte lange, um sich durch Ruinen, kleinere Brände und die Toten voranzutasten. Er erkannte die riesigen Formen noch einiger anderer zerstörter Steinmonster, einige schienen sehr heiß gewesen zu sein und kühlten jetzt langsam aus mit leisen, klickenden Geräuschen. Sonst war alles sehr ruhig, und das war das unheimlichste.
    Er fand sehr wenige Tote der Invasoren. Möglicherweise hatten diese ihre Toten auch mitgenommen, um sie irgendwo zu begraben, aber sein Eindruck war eher, dass die Stadt den magischen Wesen nichts Entsprechendes entgegen zu setzten gehabt hatte.
    Er kam zur Festung. Der hintere Teil stand noch, und dort sah er Feuer und hörte Stimmengemurmel und Gelächter. Vorsichtig hielt er nach Wachposten Ausschau, aber er sah keine. Eine Weile zögerte er, sich auf den Platz davor zu begeben, der jetzt im vollen Mondlicht lag – es kam ihm fast vor wie taghell, nur hatte es diese kalte Qualität. Er wartete. Nichts veränderte sich. Er suchte den Platz mit seinen Augen ab, und entdeckte am Ende vor den Stufen der Festung eine Reihe Toter in Paladinrüstungen. Er stellte die Vorsicht hinten an, und ging auf sie zu. Es waren alle von der Mine, die er am Morgen vor drei Tagen noch gesehen hatte, und sie waren alle tot. Der einzige, der fehlte, war Berlot. Gero sah sich nach einem Platz um, der einem Bogenschützen ein gutes Schussfeld bot, und ging zu einer Nische an der Außenwand der Festung, wo früher mal eine Statue gestanden haben mochte. Berlot lag an ihrem Fuß, den Brustharnisch geschwärzt, ein Arm und der Bogen verbrannt.
    Jetzt ließ es ihm keine Ruhe mehr und er suchte systematisch nach Ireg. Als er ihn schließlich fand, war es an einer Stelle direkt auf den Stufen zur Festung, an der er schon mehrmals vorbeigegangen war, und wo ein ganzes Knäuel aus toten Leibern lag. Im Gegensatz zu den Paladinen am Fuß der Stufen hatte man diese Toten beraubt. Ireg trug kein einziges Rüstungsteil mehr, bis auf den Helm, der von einem gewaltigen Axthieb gespalten war. Gero sah auch weder Schwert, noch Schild oder Armbrust des Toten. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, befreite er ihn aus dem Haufen der anderen Leiber. Dabei wunderte er sich: Ireg war ihm immer so groß und stark erschienen, aber ohne Rüstung war er eher schlank und sehnig, und kleiner als Gero. Er zog ihn bis an die nächste Wand, und brachte ihn dort mit hochgezogenen Knien in eine sitzende Haltung. Dann stellte er sein eigenes Bein diagonal davor und hob ihn an den Achseln nach oben. Im Moment, als der Tote nach vorne zu kippen drohte, lud er ihn sich auf eine Schulter und ließ Iregs Arme und Kopf über seinen Rücken nach hinten fallen, während er seine Beine vorne festhielt.

    Dann verließ er den Platz, so schnell er sich mit seiner Last bewegen konnte, und lief den ganzen Weg zum Hafen und außen an der Stadtmauer entlang und zurück durch die Gärten. Er traf auf keine Menschenseele. Sein Kopf schmerzte jetzt, als ob jemand an der Wunde risse und er sah rote Lichter mit jedem Pulsschlag. Als er den Gang erreichte, musste er sich an der Wand abstützen, und er keuchte und heulte vor Anstrengung.

    Amara kam ihm entgegen, zuerst mit der Bratpfanne über ihrem Kopf, aber als sie ihn erkannte, ließ sie sie sinken, und stürzte auf ihn zu, ihm zu helfen. Trotzdem fiel Gero hart auf die Knie. Sie zog Ireg von seiner Schulter. Kein Laut kam über ihre Lippen. Sie bettete Ireg auf die Binsenmatte. Gero stand mühsam auf und fiel aufs Bett. Er schlief, bevor er Bogen oder Taschen abgelegt hatte, sobald sein Kopf das Bett berührte.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (30.08.2012 um 08:39 Uhr)

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    Frauenkloster

    Nela flog mit Irla Richtung Berge. Als sie das Tal überflogen, in dem Nela mit den Paladinen zur Mine gezogen war, sahen sie einen großen, starken Mann mit einem sehr runden Kopf in die andere Richtung zur Stadt absteigen. Nela erkannte die Rüstung der Sklavenlagerwachen, und erwog einen Moment, sich zurück zu verwandeln und auf ihn zu schießen, aber dann gewann ihr Verantwortungsgefühl für Irla.
    Vielleicht war dies ja auch Oleg, von dem Gero erzählt hatte. In diesem Fall hoffte sie für ihn, dass er daran dächte, die Rüstung auszuziehen, bevor er die Stadt betrat.

    Kurze Zeit später sahen sie die Klause durch die Bäume. Irla verwandelte sich als erste zurück, und lief laut lachend auf Marlan zu, die gerade frisches Wasser und rote Blumen in einem goldenen Kelch auf den Sockel der Innos-Statue stellte. Nela folgte später. Marlan hatte Irla umarmt und schwenkte sie lachend im Kreis. Dann stellte sie sie ab, nahm sie bei den Armen und sah sie an. „Du bist ja so gewachsen“, lachte sie. „Bald wirst du ein neues Kleid brauchen.“
    „Und Du bist ganz dünn geworden. Bald siehst Du wirklich wie ein Magier-Junge aus. Wenn Vater Dich sehen würde, müsste Mutter erst mal Klöße kochen.“
    Marlan lachte. Sie führte Irla stolz herum und zeigte ihr die ganze Klause. Als Irla in einen kleinen Apfelbaum geklettert war, nahm Marlan Nela beiseite.
    „Warum hast Du sie mitgebracht? Ich möchte nicht, dass sie Ärger im Dorf bekommt.“
    „Das Dorf, wie Du es kennst, gibt es seit heute früh nicht mehr.“ Nela erzählte Marlan von der Invasion. Marlan wurde bleich und wandte sich ab. Nela ließ ihr Zeit. Sie sah zu Irla, aber die war noch im Apfelbaum beschäftigt.

    „Und sie weiß nichts?“ vergewisserte sich Marlan.
    „Nein, sie hat die Männer nicht gesehen.“
    Marlan stand einen Moment und blickte auf die Statue. „Was ist mit dem Kloster? Warst Du dort?“
    „Ja, und ich habe fast alle Bücher. Gestohlen, wenn Du es genau wissen willst. Ich weiß allerdings nicht, ob es nach heute morgen noch einen Unterschied macht. Wer weiß, wieviele von den Magiern überhaupt noch leben. Und mit Sicherheit werden sie ganz andere Sorgen haben.“
    „Du bist ein Wunder, Nela. Du bist immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
    „Ich weiß nicht, ob Du da Recht hast. Ich wäre lieber bei Marik oder Gero gewesen.“
    „Du wirst bald eine Magierin werden. Wir sind jetzt Deine Familie. Sieh nach vorne! Heute hast Du den Grundstein für unser Frauenkloster gelegt.“
    „Was sagst Du da?“
    „Ich habe nachgedacht. Die Zeit ist reif für Veränderungen. Umso mehr, wenn, wie Du sagst, die Küste im Krieg versinkt. Immer, wenn irgendwo etwas Neues aufgebaut wird, ist es eine Zeit für uns Frauen. Wir können das nutzen, Nela. Bleib bei mir, und hilf mir, hier eine Zuflucht zu schaffen für alle Frauen, die dem Krieg entfliehen möchten und die sich ein anderes Leben erhoffen, als die Soldaten ihnen aufzwingen.“

    „Wir werden Waffen brauchen.“
    „Wir haben die Magie. Als Du fort warst, kam Gero und hat mir eine Bücherkiste gebracht, die er am Strand gefunden hatte. Ich habe darin ein Buch gefunden, das der Schlüssel ist für viele mächtige Zauber. Ich habe schon ein bisschen herum experimentiert, und ich bin sicher, dass man dafür die Magie der Innosklöster nicht mehr benötigt. Wenn Du magst, kann ich Dir es erklären. Wenn es bei Dir funktioniert, die Du keine Ahnung von den Kreisen der Magie hast, wissen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
    „Wo sollen wir schlafen?“
    „Ich habe hier in der Nähe ein Baumhaus gebaut. Vielleicht sollten wir noch eine Weile auf Heimlichkeit setzten, statt auf Stärke.“
    „Und Irla?“
    „Wir fragen sie einfach. Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie mit Freude dabei sein wird. Weißt Du, sie hat ganz alleine einen Levitationszauber entdeckt. Ich habe ihr beigebracht, zu beten, und sie hat plötzlich Klötzchen und Muscheln zum Schweben gebracht, nur mit ihrem Willen. Und das hat sie mir gezeigt. Es war der einzige Zauber, der noch funktionierte, als meine Runen ihre Kraft verloren.“

    „Hast Du etwas herausgefunden über Venutos Rune?“
    „Äh, Mhm, nein. Ich habe sie auch nicht benutzt. Mir ist die Sache etwas unheimlich. Ich würde mich gerne auf unseren Weg konzentrieren für die nächste Zeit.“
    „Wann fangen wir an?“
    „Jetzt. Zeig mir die Bücher.“

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (30.08.2012 um 08:41 Uhr)

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    Oleg

    Oleg schritt weit aus und beeilte sich auf seinem Weg in die Stadt. Was er in der Mine erfahren hatte, waren teils gute, teils besorgniserregende Neuigkeiten, und jetzt wollte er vor allem mit Jaru sprechen – oder mit diesem Paladin, der die Mine befreit hatte.

    Er war aufgeregt. Noch nie war er der Bote für so viele Menschen gewesen. Plötzlich hörte er, wie ihm etwas durch den Wald entgegen kam. Er stellte sich nah an einen großen Baum, versuchte leise zu atmen und wartete.
    Erleichtert sah er, dass es sich nur um einen einzelnen Mann handelte. Er war gut gekleidet und gerüstet, allerdings keine Wache und kein Paladin. Er schien es eilig zu haben, und er bewegte sich, als ob er den Weg kannte. Als er ganz nah an seinem Baum vorbei lief, rief Oleg ihn leise an. Der Fremde reagierte sehr schnell. Sofort hatte er seine Armbrust in der Hand und lud sie.

    „Hey, ich will keinen Ärger haben, nur eine Auskunft. Oder hast du so viel Angst vor einem einzelnen Mann?“
    „Für diese Rüstung allein sollte ich dich töten, Oleg“, grinste Jaru, steckte die Armbrust weg und lief die letzten Meter auf ihn zu.

    Sie standen voreinander und maßen sich mit Blicken. „Du bist aber groß geworden, Kleiner.“ Oleg schlug ihm auf die Schulter. „Und jemand hat dich fein ausstaffiert. Ich bin wohl damals in die falsche Richtung davongelaufen.“
    „Ich bin froh, dich zu sehen, Oleg. Wie geht’s Berhan und Kolut?“
    „Wir haben alle drei ihr Dorf gut erreicht. Berhan hat sich beim Sprung von der Seilbahn die Hand gebrochen, aber zum Glück konnte er noch laufen und in seinem Dorf haben sie eine alte Heilerin. Aber jetzt ist dort nichts mehr in Ordnung. Die Orks haben den Wald verlassen und sind über das Dorf hergefallen. Irgendetwas muss sie schrecklich aufgebracht haben. Sie haben ihn noch nicht mal richtig geplant, den Überfall. Sind einfach in der hellen Mittagssonne über die Dorfstraße gekommen, haben alles angezündet und sind wieder verschwunden. Es gab fast keine Toten, die meisten waren auf den Feldern. Nur ein paar alte Männer und ein Verrückter haben sich ihnen entgegengestellt. Aber jetzt kommt´s erst. Die Dörfler haben beschlossen, das Dorf zu verlassen. Sie sind alle auf dem Weg zur Mine. Hatten vor, sie den Banditen abzunehmen, aber das wird ja wohl jetzt nicht mehr nötig sein. Mich haben sie voraus geschickt zum kundschaften. Aber jetzt, wo die Mine frei ist, wollte ich in die Stadt zu diesem Paladin. Wir wollen keinen Ärger, wir wollen uns eine neue Existenz aufbauen. Ich will für die Dörfler sprechen. Er soll uns aufnehmen. Wir können alle arbeiten.“
    „Dein Weg ist schon an seinem Ziel. Ich kann dir die Erlaubnis geben.“ Jaru erklärte Oleg, was in der Zwischenzeit passiert war.
    Als Oleg von der drohenden Invasion hörte, zog er die Brauen zusammen. „Wir sind wohl gerade rechtzeitig von der Küste verschwunden“, knurrte er schließlich.

    Jaru erklärte ihm die Forderungen der Buddler und nahm ihm einen Treueid ab. Dann vereidigte er ihn auch noch auf die Forderungen, und gab ihn einen Beutel mit Gold.
    „Kommst du nicht mit mir?“ wunderte sich Oleg.
    „Nein, ich muss vorher noch etwas anderes erledigen. Wenn deine Leute ankommen, sag ihnen, sie sollen vor allem Vorräte anlegen und Verteidigungsanlagen bauen. Nicht gegen die Buddler, sondern gegen einen Angriff vom Tal aus. Ich komme, sobald ich kann.“

    - - -

    Jaru wartete einen Moment, bis Oleg außer Sichtweite war. Dann verließ er den Weg, und rannte so schnell er konnte Berg aufwärts Richtung Klause.
    Er war erstaunt, Nela dort zu sehen. Hastig tauschten die drei Neuigkeiten aus. Jaru gab Marlan die Papiere, das Siegel und das restliche Gold in Verwahrung.

    „Ich muss zurück in die Stadt, Gero da herausholen. Das Land ordnet sich neu, es ist Quatsch, für die Verteidigung der alten Mauern zu sterben.“
    Die Frauen wechselten einen Blick und nickten. Jaru wurde einen Moment unsicher, der Blick schien eine Bedeutung zu haben, die ihm entging.
    Marlan gab ihm einen Blutfliegen-Verwandlungstrank.
    „Es ist mein letzter. Ich glaube, wir müssen bald mal einen Ausflug in die Sümpfe unternehmen und ein paar Blutfliegen jagen. Beeil dich, Jaru. Gero und du, ihr seid hier immer willkommen. Aber erzähle sonst niemandem von der Klause. Vielleicht auch vorerst den neuen Dörflern nicht.“

    Jaru nickte. So kam es dass er in der Küchentür der Talakaidis auftauchte, im selben Moment, als Amaras Kräfte erlahmten, und Gero getroffen zusammenbrach.

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    Geändert von Gothic Girlie (20.08.2012 um 20:20 Uhr) Grund: Sig aus Vol. 6

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    Ein kleiner Gefangener

    Jaru schlich durch die Gärten an der Stadtmauer nach Osten. Er hatte einen anderen Eingang in die Stadt gefunden als Gero: im Nordosten gab es einen Baum, der nah an der Mauer stand, und wenn man sehr hoch auf diesen kletterte, konnte man sich mit einem bestimmten Ast auf die Mauer schwingen. Er hoffte, dass die Mauer wieder so menschenleer wäre, wie beim ersten Mal.

    Er hatte Glück, und wenige Minuten später rannte er auf der Mauer zurück nach Südwesten. Er verließ die Mauer an der Treppe, die dem Haus seiner Familie am nächsten war. Schon von weitem hatte er den dichten Rauch gesehen. Jetzt stellte er mit Erstaunen fest, dass vom ersten Stock und vom Dach bereits nichts mehr übrig war und nur noch die heruntergefallenen Reste in den Ruinen des aus Stein erbauten Erdgeschosses brannten.

    Sein Blick suchte den runden Brunnen an der nächsten Straßenkreuzung. Er sah keine Spur von Enita. Ob sie hinein gesprungen war? Vorsichtig ging er auf den Brunnen zu, suchte dabei Deckung in den Vorbauten der nächsten Häuser. Er hätte nicht erklären können, warum, aber diese ausgestorbene Straße war ihm unheimlich.
    Zuletzt stand er hinter einer vorgelagerten Treppe des letzten Hauses. Er blickte sich aufmerksam um – niemand zu sehen. Mit wenigen Sprüngen überbrückte er die Distanz zur Brunnenmauer und sah hinein. Er erkannte Enitas Kleid, aber sie war nicht unten im Wasser, sondern hing über der Eimerkette auf der halben Höhe im Schacht. Der Eimer hatte sich an einem der eisernen Haken verfangen, an denen man in den Brunnen klettern und ihn wieder verlassen konnte. Jaru schwang sich über die Mauer, und kletterte an diesen Haken nach unten. Er tastete nach Enita, sobald er sie erreichen konnte. Ihr Körper war warm, aber fühlte sich merkwürdig an. Und von ihrem nach unten hängenden Kopf tropfte eine dunkle Flüssigkeit ins Wasser. Ihr Kleid war auf einer Seite verbrannt, aber ihr Bein darunter war sandig. Es erschien ihm, als habe sie das Feuer gelöscht, in dem sie sich auf den Boden warf – aber warum war sie im Brunnen? Er konnte hier unten nicht feststellen, was mit ihr war, so kletterte er noch etwas tiefer, bis sie über ihm hing, lud sie sich auf die Schulter und kletterte nach oben. Als er die Umfassung erreichte, legte er sie vorsichtig über den Rand und schwang sich hinaus. Dann zog er sie auf das Pflaster hinunter und drehte sie auf den Rücken. Erschrocken sah er in ihre blicklosen Augen. Ein Armbrustbolzen hatte ihre braune glatte Stirn durchschlagen.

    Er hätte später nicht sagen können, was ihn warnte. Das leise Hitzeklicken klang nicht anders, als die Geräusche, die aus dem brennenden Haus kamen. Nur kam es aus einer geringfügig anderen Richtung. Er sah auf, und warf sich im letzten Moment hinter den Brunnen. Mitten auf der Straße stand ein riesiger Krieger, der aussah, als sei er aus glühender Lava, und er hatte einen Ball aus Feuer schon auf Jaru abgefeuert. Das Geschoss verfehlte ihn um wenige Fingerbreiten. Und dann kam das Monster auf ihn zu und um den Brunnen.
    Jaru reagierte schnell. Die niedrige Mauer bot keinen Schutz mehr. Er rannte im Zickzack los über den Platz – und in die nächste Straße.

    Weitere Feuergeschosse schlugen um ihn herum ein. Verzweifelt sah er sich nach Deckung um. Die Straße war gerade, und die Strecke zur nächsten Abzweigung weit. Da passierte er eine Schmiede mit einem steinernen runden Turm. Die Tür sah so klein aus, dass er hoffen konnte, dass der Feuerkrieger nicht hindurch käme, und sie stand offen. Mit einem riesigen Satz sprang er hinein und rannte die steinerne Wendeltreppe hoch.
    Das Monster hielt vor der Schmiede. Plötzlich kam eins der glühenden Geschosse durch eines der kleinen Fenster geflogen, prallte an die gegenüberliegende Wand und verfehlte Jaru nur knapp. Verdammt – konnte das Ding durch Mauern sehen?
    Jetzt stand es vor der Eingangstür, und rüttelte an den Rahmen-Steinen. Die ersten fingen sofort an, heraus zu brechen. Gero sah aus einem Fenster, das sich auf die andere Seite öffnete. Etwa zwei Schritt entfernt, aber etwas oberhalb, war der First eines anderen Hauses. Er kletterte in die Fensteröffnung, probierte, eine gute Position zum Absprung zu finden. Die Schwierigkeit war der Dachfirst. Wie bei vielen Giebeln, war auch hier eine Rolle befestigt. Sie würde verhindern, dass er den Balken von unten zu greifen bekam. Und er hatte kein Seil, um sie für sich zu nutzen. Ein Seil! Möglicherweise fand er eins im Turm. Noch war der Lavawandler nicht innen. Er rannte weiter nach oben. Unter dem Dach fand er eine Truhe. Sie enthielt einen Hammer, ein paar große Nägel, eine Schmiedezange und einen schrumpeligen Apfel. Wild sah er sich um. Der Boden des Turmzimmers war aus langen Holzbohlen. Er trieb mit dem Hammer die Zange in den Spalt zwischen zwei Brettern und hebelte eines davon ein Stück nach oben. Dann fasste er nach und riss das Brett heraus. Es war ein schmales, so wiederholte er den Vorgang mit einer dickeren Bohle daneben.

    Mit beiden Holzstücken und dem Werkzeug raste er wieder zum Fenster, das auf die andere Seite führte. Er legte die breitere Bohle ins Fenster und verkeilte sie mit Stücken, die er von der schmaleren abbrach nach oben ins Fenster, sodass sie unter seinem Gewicht nicht nach unten kippte. Dann stellte er sich darauf – außen, etwa einen Schritt vom Turm entfernt – und schlug mit dem Hammer die Rolle ab. So konnte er den Balken umklammern, und sich auf das Dach des anderen Hauses ziehen. Er schob sich vorsichtig auf dem First vom Turm weg bis an das andere Ende des Daches. Da dieses höher lag als das Turmfenster, war er für das Monster nicht zu sehen. Keinen Moment zu früh. Glutbälle schossen über ihm in den Himmel, und so wusste er, dass der Feuerkämpfer jetzt im Turm war und das Fenster gefunden hatte. Wenig später hörte er seine Bohle nach unten fallen.

    Seine Lage war immer noch unangenehm. Er saß auf diesem Dach in der Falle. Er überlegte, wie er nach unten kommen könnte, ohne direkt wieder diesem Ding in der Straße gegenüberzustehen. Schließlich löste er mit einem Messer vorsichtig ein paar von den Holzschindeln und glitt nach innen. Ein dunkler Dachboden empfing ihn. In der Mitte war eine viereckige Öffnung, durch die das Ende einer Leiter ragte. Beim Herunterklettern wurde ihm klar, welch ein Glück er hatte: unten versperrte eine hohe Mauer an der Stirnseite des Hauses den Durchgang zur Schmiede.

    Er war sich nicht sicher, wie hartnäckig dieser Verfolger war. Ob er schon in die nächste Straße einbog, um das Haus von der anderen Seite zu erreichen? Es war komplett aus Holz, ein einziger Feuerball würde es entflammen. Das schien dieses Ding nicht einzuplanen, es war nur direkt auf die Vernichtung von Leben aus, ohne weiter zu denken. Jaru sah vorsichtig in alle Zimmer und durch alle Fenster. Das Haus war leer und verlassen, keine Truhe und kein Möbelstück stand darin. Das erschien Jaru sehr merkwürdig, denn das Haus roch nicht, als sei es schon lange unbewohnt.

    Die Falltür im Haus der Talakaidis fiel ihm ein, und er begann, Ausschau zu halten, ob er nicht hier eine ähnliche Klappe fände. Und tatsächlich – es gab eine in der Küche, und sie war noch nicht mal mit so einem geheimen Mechanismus versehen, für den man Leuchter bewegen musste. Eine Holzklappe mit einem eisernen Ring. Er zog daran.
    Das erste, was ihm auffiel, war der intensive Geruch. Aber das konnte doch kein Stall sein? Wer hielte denn ein Tier so ohne Licht und Luft. Dann hörte er das Geräusch. Eine Art Knurren oder Keuchen, aber von einem eher kleinen Tier. Und das Rasseln einer Kette. Er wartete noch einen Moment, wollte seine Augen an das Dunkel gewöhnen. Aber der Golem fiel ihm ein, und dass er selbst besser schnell hier verschwände. Er zündete eine Fackel an und sah sich um.
    Sein ganzes Leben sollte er den Anblick nicht vergessen. Unter der Küche war ein kleines Steingemach, und es war vollgestopft mit allen Möbeln des Hauses. Er sah Schränke, Betten, Truhen, Stühle – alles eilig übereinander gestapelt. An einer Wand war ein Eisenring, und an ihr war eine Kette festgemacht. Das andere Ende der Kette endete unter einer Kommode, die umgestürzt war.
    Jaru legte die Fackel auf dem Boden ab, stellte sich neben die Kommode und hob sie mit einer Hand an, während er gleichzeitig an der Kette zog. Ein kleines pelziges Etwas kam unter der Kommode hervor. Er befreite das Tier, indem er vorsichtig den Splint aus der Kette hebelte.
    Er sah sich in der Grube um. Auf dem Boden standen ein Teller und ein Napf. Offenbar hatte man dort dem Tier etwas zu Essen hingestellt, aber beides war leer. Er goss etwas Wasser aus seiner Flasche in den Napf und hielt ihn dem Tier an den Mund. Es trank gierig, fast wie ein Kind, indem es mit beiden Vorderläufen an den Rand griff. Jaru sah ungläubig fünf dicke Finger. Er hielt das Kleine in das schwache Licht der Fackel. Das war kein Tier. Das war ein Orkjunges. Und es war so jung, es hatte noch nicht mal Zähne.

    Er fühlte sich wie ins Gesicht geschlagen. Es gab Menschen in dieser Stadt, die waren schlimmer als Tiere.
    Er sah einen sauberen Stapel Wäsche auf einem Korb, warf ihn um und durchwühlte ihn mit einer Hand. Er fand eine hellblaue Kinderdecke und wickelte das Kleine hinein. Dann nahm er die Fackel auf und ging vorsichtig in die Küche zurück.

    Er spähte durch die Fenster auf die Straße, später auch durch die Tür. Das Feuermonster war nicht zu sehen. Er rannte aus dem Haus in einem Kellereingang gegenüber. Nichts geschah. Da warf er die brennende Fackel im hohen Bogen in den Eingang des Hauses, aus dem er gekommen war.

    Er schlich sich vorsichtig durch die Straße. Er sah niemanden, und es flogen keine weiten Feuerbälle. Irgendwann später – er war schon auf der Mauerkrone – sah er das Haus in Flammen aufgehen.

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    Geändert von Gothic Girlie (25.02.2014 um 07:26 Uhr)

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    Das Ende einer langen Nacht

    Jaru fand es nicht so leicht, die Stadt wieder zu verlassen. Die Mauer war menschenleer, die Tore geschlossen, und er wollte keins öffnen. Auch befürchtete er, wieder eines dieser magischen Wesen zu treffen. Als er von oben das Haus eines Seilers erkannte, verließ er die Mauer und klopfte an der Werkstatt. Alles blieb ruhig. Er öffnete die Tür und schlüpfte hinein. Schnell fand er ein Seil in der Länge und Breite, wie er suchte. Von der Werkstatt gab es einen Durchgang zur Küche. Töpfe und Lebensmittel standen auf dem Tisch und in Regalen. An der Decke hingen Bündel mit Kräutern und Wurzeln. Jaru rief leise, aber wieder reagierte niemand.

    Schließlich nahm er einen Kessel, stellte einen kleineren Topf hinein, packte ihn voller Proviant, Kräuter und Wurzeln und legte zum Schluss noch einen Packen sauberer Leintücher aus einem Regal und das Seil obenauf. Mit schlechtem Gewissen schlich er sich davon.

    Er stieg wieder auf die Mauer und lief zurück bis zu einer Stelle, wo ihm auf dem Hinweg ein eiserner Ring aufgefallen war. Dort warf er den Kessel über die Brüstung, knotete eine Art Tasche aus der blauen Decke, hing sie sich über die Schulter, fädelte das Seil durch Ring, knüpfte einen Knoten der nachgab, und ließ sich herab. Er rollte das Seil ein, ergriff den Kessel und lief ein Stück in den Wald, bis er an eine kleine Quelle kam.

    Hier sammelte er Holz, wobei er darauf achtete, dass es sehr trocken war, zündete ein Feuer an und setzte beide Kessel voller Wasser auf. Als es kochte, warf er in Stücke geschnittene Heilwurzeln und Scavengerfleisch in den kleinen. Inzwischen wickelte er den kleinen Ork aus der Decke und verband er ihn.
    Er hing die Decke an einem Ast über das jetzt herunter gebrannte Feuer, zerdrückte die Wurzeln und das mürb gekochte Fleisch zu einem Brei, setzte sich ans Feuer - mit dem Rücken an einen Stein gelehnt - und fütterte den Ork.

    Längst war es dunkel geworden. Er packte seine Sachen zusammen und schlich zur Stadt zurück und durch die Gärten, bis er den verborgenen geheimen Gang erreichte.

    Er fand die anderen schlafend: Gero auf dem Bett, mit einem neuen Verband und einem Bogen, den er nicht kannte, und die Alte in ihre Stola gewickelt auf der Matte davor. Leise legte er das Bündel mit dem kleinen Ork ans Fußende des Bettes und stellte den Kessel ab. Plötzlich stutzte er. Die Binsenmatte war durchgeschnitten, und jenseits der Alten lag ein weiterer Mensch, aber dieser war in die andere Hälfte der Matte eingeschnürt. So geräuschlos, wie er konnte, umging er sie, und versuchte, zu erkennen, wer es war. Dabei stolperte er über eine Gartenhacke, die im Weg lag.
    Die Ahne erwachte. „Ich bin´s , Jaru“, flüsterte er. „Wer ist das?“
    Sie sprach nicht, aber sie setzte sich auf und zündete eine Fackel an. Sie hielt die Fackel über den Kopf des anderen. Jaru sog scharf die Luft ein und kniete sich neben sie. Ireg! Trauer, Wut und Verlegenheit trafen ihn wie ein Schock. Ireg war ihm immer so ewig vorgekommen, eher wie ein Berg, den man bezwingen musste, als wie ein normaler Sterblicher, wie er jetzt vor ihm lag. Er trug einen Verband wie Gero, aber Jaru hatte sofort gesehen, dass er nicht mehr lebte.

    „War er... - hat er.. „
    „Gero hat ihn tot gefunden, aber er hat nicht mit mir gesprochen. Er ist sofort eingeschlafen. Wir müssen Ireg begraben, bevor wir gehen. Ich habe alles vorbereitet.“
    „Gero war schon auf? Das war viel zu früh!“
    „Er wollte sich einen Bogen suchen, damit wir im Wald nicht ohne Schutz sind. Wir wussten nicht, wann du kommst. Hast du Enita gefunden?“
    „Ja“, sagte Jaru. „Sie konnte das Feuer löschen, aber jemand hat sie erschossen.“
    Die Alte sah zu Boden. „Sie hat bei uns gekocht, seit sie zwölf war. Ich habe nie ein unfreundliches Gesicht an ihr gesehen – bis gestern. Sie hat gekämpft wie eine Löwin. Sie hätte niemals aufgegeben. Sie war in Tasso verliebt, ich hätte sie gern als seine Frau gesehen. Aber Tassos Mutter, diesem unnützen Weib, war sie nicht reich genug. Als gestern mein Sohn auf der Türschwelle starb, ist sie hoch gegangen und hat Gift getrunken. Obwohl Enita mit den vier Ehrlosen in der Küche alleine war. Noch nie habe ich mich so für meine Familie geschämt.“
    Jaru schwieg. Dazu gab es nichts zu sagen.
    Sie sah zu Ireg. „Noch ist Zeit. Kannst du sie holen?“ Er wusste, sie meinte Enita. Die Schwiegertochter war für sie nie geboren.
    „Sie liegt direkt am Brunnen, aber auf dem Platz war ein Feuerkrieger – ich musste fliehen.“ Er dachte nach. „Wenn wir die Klappe öffnen können, sind es nur wenige Schritte. Meinst du, das Haus ist inzwischen abgekühlt?“
    „Lass uns nachsehen.“
    Er weckte Gero. Er wollte nicht, dass ihn etwas überraschte, falls sie einen Fehler begingen. Gero trank einen Heiltrank, nahm den Bogen und folge ihnen zur Klappe. Erstaunlicherweise war das dicke Holz unter den steinernen Platten intakt. Leise schoben sie die Riegel zurück und stemmten zusammen den Zugang auf. „Bleib hier stehen und halte die Tür auf – niemand weiß, ob jetzt der Mechanismus noch geht.“ Die Kerzenleuchter in der Wand waren nur noch Stummel.

    Amara und Jaru bewegten sich vorsichtig in der Ruine. Wo die Eingangstür gewesen war, lagen Trümmer und verkohlte Balken des halben Obergeschosses. Dort war kein Durchkommen – und keine Chance, Iregs Vater zu bergen. Sie sahen links davon aus einem Fenster, das jetzt bis zum Boden ausgebrochen war. Der Feuerkrieger lag als ein formloser Klumpen auf dem Platz.
    „Sie halten nur eine Zeitlang“, wusste Amara. „Wie lange, hängt ab von der magischen Kraft dessen, der sie erschafft.“
    „Du meinst, er ist wirklich ungefährlich?“
    „Ich bin ein altes Weib. Niemand wird mich jetzt noch vermissen. Du bleibst hier, mit deiner Armbrust. Aber du schießt nur, wenn du selbst in Gefahr bist. Das sage ich dir, als die Älteste deiner Sippe. Sieh mich an, und sag ja.“
    Jaru fröstelte. Das war nicht, wie sie sonst sprach. Er sah sie an, und sah dieselbe Kraft in ihren Augen, wie er in Iregs Augen gefürchtet hatte. „Ja“, sagte er.
    Amara glitt ins Mondlicht hinaus. Sie ging zu dem Monster und bückte sich kurz. Etwas Glühendes verschwand in ihrer Schürze.
    Dann war sie beim Brunnen. Sie nahm Enita unter den Achseln und zog sie rasch zum Haus. Das Ganze dauerte keine Minute.
    Jaru half ihr, Enita durch die Ruine und den Gang zu tragen. Dann ging er zurück, und schloss die Klappe. Gero schien abwesend, und er machte sich Sorgen um ihn. Jaru sah, dass Amara dort, wo der Keller am weitesten hinunter ging, eine Grube ausgehoben hatte. Sie war nicht sehr tief, denn unten kam bald der gewachsene Fels. Jetzt verbreiterten sie das Grab. Amara holte die halbe Matte, und sie hoben Enita darauf. Sie wusch ihr das Gesicht, schloss ihre Augen und dann verschnürte sie die Matte so, dass wie bei Ireg nur noch das Gesicht daraus hervor sah. Sie legten Ireg und Enita nebeneinander in die Grube. Dann legte Amara ein weißes Tuch so gefaltet auf ihre Oberkörper, dass es die Gesichter verdeckte, wenn man es nach oben schlüge.
    Einen Moment standen alle drei reglos vor dem Grab. Gero erzählte, wie er Ireg und die anderen Paladine gefunden hatte. Ihn überkam eine tiefe Verzweiflung. Er vermisste Iregs Präsenz, als wäre ihm ein Arm abgenommen worden, und gleichzeitig wunderte er sich darüber, weil er ihn doch kaum gekannt hatte. Jaru fühlte sich unbehaglich. Er litt darunter, dass er Ireg eigentlich nicht besonders gemocht hatte – bis zu dem Tag, als er ihm den Umgang mit der Armbrust zeigte. Amara sang sehr leise ein trauriges Lied in der alten Sprache. Dann schlug sie das Tuch nach oben, und begann, die ausgehobene Erde auf die beiden Toten zu schieben. Jaru half ihr.
    Gero war noch immer wie versteinert. Er rappelte sich auf und wollte ebenfalls helfen, aber dann schwankte er und musste sich an die Felswand lehnen. Jaru hielt ihn am Oberarm, bis er wieder sicher stand.
    Als sie mit den Erdarbeiten fertig waren, zog Jaru das Schwert, schlug die Hacke vom Stiel ab und schob den gewonnenen Pflock auf Iregs Seite in den Boden, bis nur noch ein kniehohes Stück herausschaute. Darauf setzte er den gespaltenen Helm. Gero legte das rostige Schwert, das er in Grauben gewonnen hatte, auf das Grab. Amara band auf Enitas Seite einen Kranz roter Blumen, die sie vorher in den Gärten gepflückt haben musste, dann legte sie einen Apfel in die Mitte. Gero erblasste. Enita war schwanger gewesen.

    Sie waren noch einmal einen Moment still, bevor sie sich zu der kleinen Felskammer wandten, die schon vom ersten blauen Schimmer des neuen Tags beleuchtet war.

    „Was ist das?“ Amara hatte das blaue Bündel gesichtet. Gero sah kurz etwas, das er für einen kleinen Hund hielt. Es hatte die Augen geöffnet und schnüffelte und brummelte leise.
    Amara ließ sich genau das Haus beschreiben. „Wir haben mit ihnen gehandelt. Sie gelten als respektable Leute. Sie haben ein befestigtes Gut auf der anderen Seite der Insel, in der Nähe von dort, wo Ireg und Tasso das andere Sklavenlager fanden.“ sagte sie.
    „Sind das Sklavenjäger?“ wollte Jaru wissen.
    „Wir dachten, sie hätten nichts damit zu tun, aber das Orkjunge – ich frage mich... Ihr wisst von den Orksklavenlagern?“
    Jaru nickte. Gero schüttelte den Kopf.
    Amara ging zu dem kleinen Ork und untersuchte ihn. Er biss sie, aber ohne Zähne war das keine Erfolgsstrategie. „Lange ist der noch nicht von seiner Mutter weg“, murmelte sie.
    „Was bedeutet seine helle Farbe?“ wollte Jaru wissen.
    „Ich fürchte, er war dort in dem Haus immer im Dunkeln. Sie sind bei der Geburt hell, aber normalerweise werden sie innerhalb der ersten Woche durch das Sonnenlicht so dunkel, wie sie später sind.“
    „Aber er ist älter als eine Woche, oder?“
    „Etwa vier Monate. Orks wachsen schneller als Menschen, und sie erinnern sich alles, vom ersten Moment an.“
    Jaru fiel ein, wie der Kleine sofort reagiert hatte, als er wollte, dass er sich ruhig verhielte.
    „Woher weißt du das alles?“ fragte Gero erstaunt.
    „Ich war Hebamme am Orkwald, bevor ich heiratete. Wir hatten damals viele Gefechte mit ihnen, aber – nun, ich habe auch schon Orks auf die Welt geholfen. Was willst du mit ihm anfangen? Er ist eine Gefahr für jede Siedlung. Die Orks würden rasend, wenn sie von ihm wüssten.“

    Jaru überlegte. „Ich bringe ihn zum Orkwald und lege ihn dort vor ein Dorf, wo er gefunden wird. Am besten sofort. Ihr solltet zur Mine gehen. Das erste Stück gehen wir zusammen, jetzt, bevor es richtig hell wird.“
    Gero war es zufrieden, dass Jaru das Kommando übernahm. Er fühlte sich, als durchschreite er einen Nebel und sah die ganze Zeit die toten Paladine im Mondlicht. Amara nahm den Kessel, in den sie noch ein paar Päckchen und Papiere legte – und das magische Schwert. In die andere Hand ihre Lieblingswaffe, die Bratpfanne. Jaru dachte, als sie gingen, dass man viel Kraft brauchte, um sie so zu schwingen, wie sie es tat.

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    Geändert von Gothic Girlie (25.02.2014 um 07:31 Uhr)

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    Der Weg zur Mine

    Jaru ging voraus. Er trug den kleinen Ork in der blauen Decke. Ihm folgte Amara mit Kessel und Bratpfanne. Gero kam als letzter. Sie verließen zügig die Gärten und erreichten schnell den Wald. Sie blickten mehrmals zurück, wenn Lücken in den Bäumen einen Blick auf die Stadt zuließen, aber von der Waldseite sah die Stadt unversehrt aus, lediglich mehr Rauch hing über den Dächern als üblich.

    Jaru gab ein normal schnelles Reisetempo vor, und sie gingen schweigend bis zum frühen Nachmittag. Gero trank lange an jeder Quelle und blieb öfter einfach stehen. Er schien immer noch wie im Traum. Jaru und Amara tauschten Blicke, und ab diesem Moment nahm sie Geros Platz als letzte ein. Jaru wurde unruhig. Er hatte ein Gefühl der Dringlichkeit, wenn er an den kleinen Ork dachte, aber es war offensichtlich, dass Gero nicht schneller gehen konnte. Als er einen Platz sah, an dem große Steine eine Erhöhung bildeten, und der wie eine natürliche Festung nur einen begehbaren Aufgang hatte, hielt er an. „Wir rasten hier.“
    Gero erklomm das flache Areal an der Spitze. Dort legte er sich hin, und schlief sofort ein. Jaru legte den Ork neben ihn, während er mit Amara Feuerholz sammelte. Sie entzündeten ein sehr kleines Feuerchen, und Jaru kochte einen Heilwurzel-mit-Scavenger-Brei.
    Amara briet Fleisch und betrachtete aufmerksam den Ork. „Er sollte viel dicker sein. Diese ganze lose Haut, er sieht aus, als habe er das Fell eines Größeren an.“
    Jaru dachte an die Kellerkammer, und fragte sich, wie lange der Ork dort eingesperrt gewesen war.
    Als das Fleisch knusprig war, weckten sie Gero, aber er aß sehr wenig. Amara wechselte noch einmal seinen Verband, und Gero schlief sofort wieder ein. Dann verband sie auch den Ork mit ihrer Salbe.

    Amara wies auf Gero: „Er geht heute nicht weiter, das ist Dir klar, oder?“
    Jaru nickte. „Aber ich habe ein Gefühl, als ob uns die Zeit davon läuft. Ich will bald wieder aufbrechen, und heute Nacht noch ein Stück vorankommen. Ihr seid hier nicht mehr in Gefahr durch die Fremden... kennst du den Weg zur Mine?“
    „Ich kenne von hier bis zum Orkwald jeden Stein. Hebammen sind viel unterwegs, oft alleine und nachts. Ohne dich können wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen. Aber ich werde nicht direkt zur Mine gehen. Ich habe keine Heiltränke mehr, und es gibt in diesem Teil des Waldes eine Klause, wo eine Alchemistin lebt. Ich möchte bei ihr vorbeigehen. Es ist kein großer Umweg.“
    „Ja, sehr gut. Sie hat mich von einem Ripperbiss geheilt. Sie bat mich, niemandem von der Klause zu erzählen, der sie nicht kennt, aber ich denke, Gero wollte sowieso eher dorthin, als zur Mine.“
    „Was hast du mit der Mine vor? Ich weiß, dass Ireg dir die Verantwortung übergeben hat, aber wann wirst du wieder dort sein?“
    Jaru erzählte ihr von Oleg und dem ganzen Dorf, das von der Grenze zum Orkwald auf dem Weg zur Mine war. „Deshalb habe ich es auch so eilig, den Kleinen zurückzubringen. Wenn seine Entführung der Grund für den Überfall der Orks war, dann darf ich keine Zeit verlieren.“
    „Sei trotzdem nicht ungeduldig. Viele Fehler passieren in Eile. Und die Orks bewegen sich im Wald geräuschlos, viel leiser als man denkt, wenn man nur ihre Größe und Stärke sieht.“
    Kurze Zeit später brach Jaru auf.

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    Die Magier der schwarzen Runen

    Jaru rannte durch den Wald nach Süden und versuchte, ein Rudel Snapper zu vermeiden. Er wollte keine Zeit oder Munition auf die Viecher verschwenden, aber zwei ließen sich einfach nicht abschütteln. So stellte er sich schließlich auf einen Stein und erschoss sie, während sie näher kamen. Dann nahm er sie aus und rannte weiter.
    Es wurde schon dunkel, aber er war ein ganzes Stück weiter gekommen, seit er sich von Gero und seiner Ahne getrennt hatte.
    Er hatte keine genaue Vorstellung davon, wo er die Orks finden könnte. Als es ganz dunkel war, rastete er vor einer leeren Höhle und fütterte den Ork wieder mit dem Brei. Diesmal drückte er ein paar Waldbeeren hinein, und das schien dem Ork noch besser zu schmecken. Der Kleine schlief wieder ein, und Jaru überlegte sein weiteres Vorgehen.

    Er wusste fast nichts über die Orks. Aber er war wohl noch nicht in ihrem Gebiet. Kolut hatte ihm einmal von seinem Dorf erzählt, das an der Waldgrenze zur Küste hin lag, und dort waren Orks recht selten, obwohl ihr Land dort begann. Hier war er auf der Bergseite des Orkwaldes, und er fragte sich, ab wann er wohl anfangen sollte, beim Vordringen langsamer und aufmerksamer zu werden. Im Moment war es jedenfalls zu dunkel zum Weitergehen. Er würde auf den Mond warten.

    - - -

    Seine Gedanken wanderten: zu Ireg und Enita, zu Tasso und seinen Eltern. Bevor er einschlief, sah er Mikal, der inzwischen Matrose auf der „Alca“ war, in einer Art Traum. Er schwamm durch ein stürmisches Meer unter einem von Blitzen durchzuckten schwarzen Himmel auf eine Felsküste zu, auf der ein unheimliches Gemäuer thronte. Die "Alca" war Richtung Horizont hin und wieder zu sehen, wenn sich beide auf einem Wellenkamm befanden, aber sie war in ein Seegefecht verwickelt und ihre Kanonen dröhnten mit dem Donner. Dann war das Bild wieder verschwunden, und nur das Feuer glomm warm in der Nacht.

    - - -

    Er erwachte davon, dass ihm kalt war. Das Feuer brannte nicht mehr und der Mond strahlte hell in den Wald. Der kleine Ork knabberte an seinen Fingern, und Jaru gab ihm etwas zu trinken und ein paar Beeren. Dann lud er sich die geknotete hellblaue Decke mit ihm wieder auf und ging leise im Wald weiter. Das Gelände war jetzt immer noch bewaldet, aber es wurde zunehmend felsig und es war nicht einfach, einen geraden Weg zu finden. Da er sowieso nicht genau wusste, wohin er den Ork am besten brachte, achtete er nur grob darauf, dass es immer weiter nach Süden ging, und er nicht in irgendwelche wilden Tiere rannte. Einmal wich er einem Paar Ripper aus und später noch einmal einem großem Rudel Wölfe.

    Gegen Morgen erreichte er einen Felskamm, den er nicht überqueren konnte. Er folgte ihm bergab. Er kam dabei an einer Baumsorte mit großen lila Blüten vorbei, die er noch nie gesehen hatte. Zur linken Hand öffnete sich ein Durchbruch in den Felsen, und er erkundete ihn vorsichtig. Trotzdem überraschte ihn der Angriff eines auf zwei Beinen gehenden, pelzigen, dunkelgrauen, überaus starken Wesens, das unter einem Felsüberhang plötzlich auftauchte und sofort feindlich reagierte. Er konnte ihm mit dem Schwert nur wenig anhaben und wich langsam zurück, während er sein Schwert vor sich wirbelte, um sich zu schützen. Der kleine Ork knurrte und zeigte dem Wesen seine noch nicht vorhandenen Zähne. Jaru fiel schnell nach rechts aus, dann nach links, wich weiter zurück und sprang auf einen großen Stein. Dort lud er rasch die Armbrust und feuerte zweimal auf das Ding – was aber ebenso wenig zu seiner Verteidigung beitrug.
    Er zog wieder sein Schwert und hieb es zweimal fest von oben auf den Kopf, stach dann auf seinen Hals ein, bevor er wieder hinter den Wirbeln in Deckung ging. Langsam schien es zu ermüden. Er sprang noch einmal nach vorne und diesmal bewirkte ein glücklicher Treffer seinerseits, dass es schwankte. Er setzte nach und stach ihm tief in die Brust.

    Erst als das Biest fiel, bemerkte er, wie erschöpft er selber war. Er aß atemlos etwas Fleisch und ein paar Beeren, und trank einen Schluck Wasser. Dann untersuchte er das Wesen.
    Es war ein sehr großes Tier mit einem dunkelgrauen Fell und starken Klauen und Zähnen in einem dicken Kopf. Das Fleisch schien essbar zu sein, und er nahm es mit. Er brach auch die Klauen und starken Eckzähne aus – eher, um sie irgendwann Gero zu zeigen, als aus einem anderen Grund.

    Dann schlich er in den Durchgang zurück und langsam weiter bergauf. Als er oben durch die Felsen auf die andere Seite sehen konnte, stockte ihm der Atem: das ganze Land lag im strahlenden Morgenlicht wie eine Karte vor ihm ausgebreitet bis zur Küste, und er konnte mehrere Siedlungen und Lichtungen im Wald erkennen.

    Direkt vor ihm schnitt ein Tal in die Berge ein. Auf seiner Seite ließen ein paar Terrassen und Abbrüche im Fels es möglich erscheinen, bergab-springend die Talsohle zu erreichen, doch auf der gegenüber liegenden Seite fielen steile Felswände fast senkrecht nach unten. Auf einer Art Felsbalkon auf dieser Felsklippe stand Faid, neben ihm drei Magier in langen schwarzen Gewändern mit grünlich schimmernder Stickerei wie drei Schmeißfliegen.
    Und im Tal unter ihnen war ein Stamm der Orks in eine Falle geraten. Er bestand aus etwa zwanzig Personen, die meisten trugen nur Felle, Perlen und grobe Beile. Aber drei hoben sich ab: ein Ork trug ein strahlend weißes Schamanengewand und zwei andere waren weiß und blau bemalt.

    Die Sklavenwachen hielten bergab von ihm den Zugang des Tales abgeriegelt, indem sie sich mit ihren gespannten Armbrüsten in verschiedenen geschützten Positionen hinter Felsen und Bäumen verbargen. Und drei weitere Magier deckten die Orks von der entfernten oberenTalseite aus mit ihren Blitzen ein. Die Orks hatten den Runen der Magier nichts entgegenzusetzen. Sie flohen zum Ausgang des Tales hin, wobei der Hinterhalt für sie offensichtlich noch unsichtbar war.

    Jaru überlegte nicht lange. Wer von Faid bekämpft wurde, war ihm fast schon allein dadurch sympatisch. Dazu kam, dass ihn die unehrenhafte Konstellation des Kampfes ekelte. Von dort, wo er stand, konnte er von den Sklavenwachen nicht erreicht werden, und vor den Magiern blieb ihm die Flucht zurück durch den Durchgang in den Wald. So begann er von seiner Position aus, die Sklavenwachen zu beschießen. Erst dadurch wurden die Orks auf die drohende Gefahr aufmerksam. Ihre Flucht geriet ins Stocken und sie suchten Schutz hinter Felsen.

    Die Sklavenlagerwachen teilten sich auf. Ein Trupp lief talabwärts. Jaru vermutete, dass sie irgendwann einen Weg in das Nachbartal fänden, durch das er gekommen war. Er nahm sich vor, sich bald in den Durchgang zurückzuziehen, damit er in beide Täler blicken konnte. Die Orks sammelten sich, und liefen in Zickzacklinien durch die nun dünnere Linie der Wachen. Jaru half ihnen, indem er weiterhin schoss, sobald eine Wache nicht in Deckung blieb. So gelang den Orks der Durchbruch.

    Doch plötzlich geriet Jaru selbst in Bedrängnis. Die Magier bei Faid hatten ihn gesehen, und einem war es gelungen, Jaru anzuvisieren. Er spürte, wie seine Haut prickelte und seine Haare sich aufstellten. Verdammt! Würde er getroffen, wäre das Orkjunge ohne Chance. Er riss es aus der Decke, hielt es über seinen Kopf, stellte sich gut sichtbar an die Felskante und stieß einen schrillen, trillernden Schrei aus. Alle Augen des Tals ruhten auf ihm. Er sah, wie der weiß gewandete Ork seine Hände hob und einen Zauber wirkte, dann fühlte er ein Ziehen an seinen Armen und ließ den Orkjungen los. Er entfernte sich schnell von Jaru, von der Magie getragen. Dann schlug der Zauber des Schwarzmagiers bei Jaru ein.

    Jaru spürte die Entladung, als wäre sie in seinem Brustkorb. Er konnte nicht mehr atmen und ein Schmerz zerrte an seinem Herz. Seine Vorderseite wurde heiß und von seinem Kettenhemd flogen Funken. Ein lauter Knall nahm ihm den Gehörsinn und fegte ihn wie Laub auf eine tiefere Felsterrasse. Das war sein Glück, denn so riss der Fokus des Magiers. Er rappelte sich auf, und rannte und sprang in gewaltigen Sprüngen bergab, wobei er darauf achtete, keine einheitliche Richtung und keinen festen Rhythmus zu finden. Noch so einen Treffer würde er nicht überleben, und nun zielten alle drei Magier ausschließlich auf ihn. Er erreichte den Talboden vor den Orks und weit vor den Sklavenlagerwachen, aber nun kam ihre zweite Abteilung zurück und bei ihnen war ein weiterer Magier. Er versuchte, soweit wie möglich an den linken Rand des Tales auszuweichen, wo ihn ein Überhang streckenweise vor den oberen Magiern schützte und der von dieser neuen Gefahr weiter entfernt war.
    Hinter sich hörte er die Orks aufschließen. Und dann geschah etwas Merkwürdiges: ein Baum, den er gerade passiert hatte, fiel um und verdeckte mit seiner gewaltigen Krone die Sicht zwischen ihm und dem verfolgenden Magier. Das war auch nötig, denn dieser lief schnell und holte ständig weiter auf. Ihn traf ein Geschoss, und obwohl dieses nicht magisch war, wusste Jaru, dass er jetzt keinerlei Reserve mehr hatte – nicht für einen Schwertstreich, und für Magie schon gar nicht.

    Er hörte mehr Bäume hinter sich fallen, und mindestens einer traf den Magier, der laut aufschrie. Dann fingen die Orks in seinem Rücken an zu kämpfen, und er blieb stehen, aß schnell einige Heilwurzeln und zog sein Schwert. Doch irgendetwas ging dabei schief, und er nahm gerade noch wahr, wie ein weiterer Baum seinen Schatten über ihn warf, und etwas traf ihn hart auf die Eisenkappe, die er seit seiner Mission an der Küste trug.

    Einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen und er schwankte. Rundherum sah er nur noch Blätter und Äste. Er hieb ein paar ab und versuchte, sich aus dem Blattgewirr einen Weg zu bahnen. Das Kampfgetümmel kam näher. Er zog einen weiteren Ast von sich fort und sah plötzlich die Robe eines Schwarzmagiers durch die letzten Äste, da nahm er die Armbrust und schoss zweimal auf ihn. Doch mit einem Mal wurde das Schwarz durch die weiße Robe des Orkschamanen verdeckt. Jaru fürchtete, nun diesen zu treffen und steckte die Armbrust weg.

    Bis er sich befreit hatte, lag der Schwarzmagier bewegungslos am Boden und der weiß gekleidete Ork beugte sich über ihn. Er nahm etwas Kleines, Graues, Rundes aus den Händen des Gefallenen und stieß ein triumpfierendes Gebrüll aus. Er wandte sich zurück, dorthin, wo immer noch die Sklavenlagerwachen versuchten, den flüchtenden Orks den Weg abzuschneiden. Jaru sah plötzlich einen Ball aus bläulichen Blitzen über dem Haupt ihres Anführers, dann hörte er ein lautes Krachen und der Anführer fiel mit einem schrecklichen Schrei zu Boden. Das wendete das Blatt. Die Wachen zogen sich zurück, und die Orks sammelten sich um den Weißgekleideten.

    Der Schamane trug den kleinen Ork auf dem Arm. Als der Kleine Jaru sah, stieß er einen sehr klaren, sehr hohen Ruf aus, der weit trug. Und alle Orks starrten. Sie standen verlegen und mit den Füßen scharrend um ihn herum, manche klopften ihm leicht auf die Schulter, gingen dann aber sofort wieder auf Abstand und schlugen die Augen nieder. Nur der Weißgekleidete sah ihn genau und gerade an. Dann knurrte er einen Befehl, und die Orks begannen im Pulk, so wie sie standen, zügig bergab zu rennen.

    Sie hatten Jaru, den Orkschamanen und den Kleinen in ihre Mitte genommen. Jaru lief mit ihnen – er wäre auch gar nicht weggekommen – und wunderte sich, wohin sie wohl liefen und was ihn am Ende des Weges wohl erwartete. So hatte er sich die Übergabe nicht vorgestellt. Aber die Orks schienen ihm wohlgesonnen, und er war neugierig. Irgendwann später kam es ihm vor, als ob er nur aus brennenden Beinen, einer pfeifenden Lunge und einem vor Durst dumpf gebranntem schmerzenden Kopf bestünde, aber die Orks legten ihm abwechseld eine dicke Hand auf den Rücken und schoben ihn mit, sodass er nicht zurück fiel. Sie liefen den Rest des Tages durch den bergigen Wald, und Jaru verlor jegliche Orientierung.

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    Nelas Glaube

    Nela war gereizt. Seit Tagen hatte Marlan fast pausenlos über Magie gesprochen – selbst beim Arbeiten im Kräutergarten, beim Kochen, beim Essen, die ganze Zeit. Jetzt war sie mit Irla zur Mine gegangen, um zu sehen, ob die neuen Leute schon da waren, und Nela hatte das erste Mal Zeit, über das Gehörte nachzudenken.

    Und was sie so dachte verbesserte ihre Laune nicht. Sie war im selbstverständlichen Glauben an Innos und mit täglichem Gebet zu ihm erzogen worden – Innos, wie die Sonne, die auf alle Menschen schien – und sein Gesetz und seine Gerechtigkeit waren ihr innerer Kompass gewesen – der Grund, Dinge zu tun, andere zu lassen – ohne sich mit mehr Gedanken an ihn das Leben komplizierter zu machen oder aus Theologie Gründe für Streit zu finden.

    Jetzt sollte er also Brüder haben, und nicht nur das: sie führten auch noch Krieg! Welche Eltern hatten die drei so schlecht erzogen? Nela dachte dabei besonders an die Mutter. Welche Mutter würde nicht eingreifen angesichts solch einer Situation? Früher hatte sie bei Innos nie an eine Mutter gedacht. Er brauchte keine, weil er eben alles war. Und jetzt dieser Unfug.
    Und wieso gab es keine Töchter? So etwas kam natürlich vor – aber dennoch fragte sich Nela, ob nicht irgendwann ein Buch auftauchte, in der dann plötzlich eine Schwester Innos vorgestellt wurde, die auch noch ein paar Laster in den himmlischen Familienstreit einzubringen verstände. Das wollte sie gar nicht erst lesen, falls es soweit käme.

    Andere Dinge hingegen: das Wissen um die Eigenschaften der Substanzen der Erde, den Weg der Gestirne am Himmel, die alte Sprache und die Kategorien, alles einzuteilen... das erschien ihr großartig und wichtig, sie verstand kaum, wie sie hatte leben können, ohne es mehr zu vermissen.
    Es war wie beim Kochen: wenn man wusste, wie sich Eier, Gewürze oder bestimmte Pflanzen beim Kochen oder Backen verhielten, konnte man schmackhafte Gerichte kochen, ohne ein richtiges Rezept. Und doch war es mehr...

    - - -

    Im frühen Morgengrauen waren sie an den Teich gegangen und hatten mit Hilfe eines Buches versucht herauszufinden, wie man auch ohne Rune einen Feuerball produzieren konnte. Und diesmal war es Nela, die als erste ihre Handfläche zum Glühen brachte und einen Lurker traf. Ihre Erfahrung mit der Sense und dem Schwert half ihr wahrscheinlich dabei – richtig stehen – richtig atmen – und eine klare Absicht. Allerdings war ihr Feuerball nicht sehr groß und der Lurker drehte sich gereizt zu ihr um. „Geh aus der Schusslinie, ich mach das mit der Rune!“ schrie Marlan.
    Aber Nela traf ihn wieder und wieder – viele viele Male, so lange, bis er direkt vor ihr tot zusammenbrach.
    Marlan kam, tippte ihn mit dem Fuß an, sah Nela ins Gesicht und versuchte beiläufig zu klingen, als sie sagte: „Das war ziemlich ungewöhnlich, Nela.“
    „Ich glaube an den richtigen Gott“, murmelte Nela und freute sich.

    Später gelang es auch Marlan. Von ihrem riesigen Feuerball fiel dafür der Lurker direkt tot um. Es gab noch zwei Lurker, aber diese erledigte Nela mit dem Bogen. Sie hatten die Mana-Tränke vergessen, worüber sie sich den ganzen Rückweg kichernd lustig machten: „Aber Bücher haben wir dabei – wir sind schon bessere Magier als wir selbst es wissen.“

    - - -

    Irla war es nicht gelungen, und sie wurde ein bisschen zickig darüber, und so hatte Marlan versprochen, mit ihr zur Mine zu gehen. Sie gab Nela schnell und ohne viel Zeremoniell eine Feuermagierrobe.
    „Der Rest ist Auftreten. Ich bin sicher, du kannst das sogar besser als ich. Denk dir ein paar Standardsätze aus, die du erst mal sagen kannst, bis dir was richtiges einfällt, und üb sie ein paarmal mit deiner „Ich bin Nela“-Stimme.“
    „Geht mit Innos, meine Schwestern“, sagte Nela und sah an Irlas aufgerissenen Augen, dass es klappte.

    - - -

    Und nun dies.
    Das Frauenkloster war genau genommen noch nichts als eine Idee in drei Köpfen – da standen schon die ersten vor der noch nicht gebauten Pforte und baten um Einlass.

    Nela sah sie an. Vor ihr standen drei junge Schnitterinnen, Wanderarbeiterinnen von den Höfen an der Küste.
    Ajanna, dunkel und aufrecht, in der Hand eine Machete und ein geschliffenes Beil im Gürtel. Nergali, rund und zornig, die ihre Sense nach dem Kampf noch nicht einmal abgewischt hatte. Und die hübsche Wenda, ihre Freundin, für die die beiden getötet hatten, die ihr zerissenes Kleid vorne zusammenhielt und die ganze Zeit weinte.

    Die Täter waren nicht die Fremden gewesen. Einer der abtrünnigen Magier, eine Sklavenlagerwache und der Sohn eines bekannten Händlers hatten gedacht, im allgemeinen Chaos käme es nicht mehr so darauf an und hatten die Frauen überfallen.
    Wie die es geschafft hatten, sich zu wehren... Nun, allen dreien hatte Wenda am besten gefallen und es gab einen Moment, in denen der Magier SEHR abgelenkt war... Nur der Skavenwächter war entkommen, da es ihm gelang, seine Armbrust zu laden, während Ajanna mit dem Magier und Nergali mit dem Händlersohn kämpfte. Dann hatten die beiden Wenda zwischen sich genommen und waren in den Wald geflohen.
    Eine halbe Wegstunde von Grauben entfernt, das einen Teil seines Wohlstands dem Handel mit den Sklavenlager-Betreibern verdankte, und wo der Vater des Jungen als einflussreicher Mann bekannt war, sicher eine gute Entscheidung.

    „Soll ich sie jetzt fragen, ob sie an Innos glauben?“ dachte Nela, als ihr Blick auf ihren eigenen Ärmel fiel.
    „Ich glaube an das, was mich stark macht“, sagte in diesem Moment Ajanna. Nun, dieser würden sie vielleicht nicht mehr viel beibringen können.

    „Kommt mit mir – wir haben hier in der Nähe ein Baumhaus. Die Bedingung ist, dass ihr nicht darüber redet – auch später nicht, falls ihr zurückgeht.“
    Alle Frauen nickten. Nela ging voraus, und dann half sie Wenda beim Waschen und gab ihr das grüne Kleid. Die drei aßen nur ein paar Beeren, dann schliefen sie ein.

    - - -

    Nela ging zurück zur Klause und begann einen langen Brief an Marik. Plötzlich hörte sie draußen eine tiefe Stimme. Gero! Das Herz zersprang ihr vor Freude. Sie sprang auf und rannte auf den Vorplatz. Dort stand Gero mit einem Kopfverband und altem Blut auf der Kleidung. Aber schlimmer war sein Ausdruck. Er wirkte auf eine Art und Weise verändert, die sie davon abhielt, ihn zu umarmen. Er wankte auf Marlans Raum zu und fiel wortlos auf das Bett, auf dem sie Jaru geheilt hatte.

    Erst dann sah Nela, dass im Hof noch eine zweite Person stand. „Innos zum Gruß“, sagte sie. Es war die Alte aus dem Haus der Talakaidis. Ihre Augen strahlten Kraft und Willen aus.

    Einen Moment überlegte Nela. Das mit Innos war ihr Text gewesen. „Willkommen an diesem Ort, wo uns sein Licht leuchtet“, sagte sie mit ihrer „Ich bin Nela“-Stimme.

    Später lud Nela die Alte ein, mit ihr zu essen. Amara erzählte von sich, den Talakaidis und vom Fall der Stadt. Als sie zu der Stelle mit Ireg und Enita kam, wurde ihre Stimme leise.
    Nela hörte ihr zu, fragte nur wenig. So viel Elend an diesem Tag, der als einer der schönsten ihres Lebens begonnen hatte! Später erwähnte Amara, dass sie Hebamme war und den neuen Leuten in der Mine ihre Hilfe anbieten wollte.

    Nela überlegte. Sie sah Amara fest ins Gesicht. Eine Hebamme konnte mehr als Kindern auf die Welt zu helfen - und sie musste schweigen können. „Es gibt hier Arbeit für dich“, sagte sie und brachte sie zum Baumhaus.

    - - -

    Sie ging zurück zu ihrem angefangenen Brief. Nela überflog ihn, dann stutzte sie, warf ihn ins Feuer und begann neu:

    „Liebster, Ich bin bei meiner Schwester Marlan. Wir haben gehört, dass die Stadt gefallen ist. Auch dein Dienstherr ist tot. Jemand anders muss jetzt über die Bestellung des Landes entscheiden.
    Sag deinen Töchtern, dass sie mich besuchen können, wenn sie woanders keinen Platz zum Schlafen finden. Meinen Kindern geht es gut. In Liebe Nela.“

    Sie hoffte, dass Marik, der keine Töchter hatte und wusste, dass Marlan nicht ihre Schwester war, mit etwas Nachdenken den Brief richtig verstehen würde.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (20.08.2012 um 20:39 Uhr)

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    Nachtwache

    Nela beschloss, die Nacht über wach zu bleiben. Sie lief leise zwischen Baumhaus und Klause hin und her und hörte auf die Geräusche des Waldes und seiner Bewohner.
    Ein paarmal ging sie zu Gero und sah ratlos auf sein blasses Gesicht herab. Amara hatte sie beruhigt, die Wunde heile gut, aber Nela sah, wie er gegen eine Art Schatten ankämpfte und sorgte sich.

    Und nicht nur um ihn. Sie brauchten dringend einen sicheren Platz, einen, der nicht nur versteckt war, sondern auch zu verteidigen, der mehr Frauen Platz und eine größere Wirtschaftsfläche bot. Die Klause war eine gute Möglichkeit für die Bevölkerung, mit ihnen in Kontakt zu treten, aber sie war zu klein und kaum geschützt.

    Sie erinnerte sich an Geros Bericht über das Tal, durch das Jaru und er geflohen waren und fragte sich, ob sie es nicht ohne viel Aufwand zu ihrem Klostergelände machen konnten. Es verfügte über Wasser, Höhlen, genug Erde und einen „Hinterausgang“ durch den See. Möglicherweise reichte für den Anfang eine einfache Mauer an einer engen Stelle, um es für sie nutzbar zu machen.
    Der Nachteil war, dass sie nicht wusste, wozu ursprünglich diese Teleportrunen erstellt worden waren, und wieviele es gab. Faid hatte noch eine, das war jedenfalls ein Hindernis. Hatten diese Schwarzmagier ebenfalls Pläne mit dem Tal? Die jetzt stark gewachsene Bevölkerung bei der Mine war etwas, womit sie sicher nicht gerechnet hatten.

    Aber diese Menschen würden sich ebenfalls nach Land umsehen, und es galt, keine Zeit zu verlieren.
    Zur kältesten Zeit in der Nacht kamen Marlan und Irla zurück. Nela erzählte ihnen kurz die letzten Ereignisse. Marlan schickte Irla in den Hasenstall zum Schlafen, was Irla sehr freute.
    Dann berieten sich die beiden Magierinnen. „Wir sollten uns so bald es geht, dieses Tal ansehen“, schlug Nela vor. „Und als erstes allen Frauen den Telekinese-Zauber beibringen, damit wir schnell bauen können.“
    „Meinst du nicht, dass sie andere Sorgen haben?“ wandte Marlan ein.
    „Im Gegenteil. Es dient unserer Sicherheit, und niemand wird das besser verstehen als sie. Und es wird sie ablenken, ihnen ein Ziel geben. Sie sind körperliche Arbeit gewöhnt. Wir könnten innerhalb einiger Tage fertig sein mit der ersten Mauer.“
    „Vielleicht wäre es möglich, einige der Orkwald-Leute als Hilfe zu gewinnen, indem wir Heiltränke und anderes gegen Arbeitsstunden tauschen“, überlegte Marlan. „Sie sind heute Nachmittag angekommen, und sind in das alte Wachen-Lager gezogen. Einige der Buddler waren vom Orkwald, und die Schmiede genießen hohes Ansehen bei ihnen. Die Schmiede und Oleg haben sich in dem alten Gefangenenlager eingerichtet. Im früheren Gefängnis wohnt jetzt die Heilerin, und das gesamte obere Lager ist nun so etwas wie eine Kemenate. Ihre Männer haben direkt angefangen, eine Palisade in dem Tal, wo die Seilbahn war, zu errichten.“

    „Trotzdem wollen sie möglicherweise auch das Land im Tal bebauen. Es wäre günstiger, wenn wir sie glauben machen könnten, dass das Kloster schon länger besteht.“

    „Oleg weiß aber, dass es nicht so ist. Er kennt das Land hier. Vielleicht sollten wir eher mit der Heilerin sprechen. Die Menschen hören auf sie. Und die Menschen der Mine können viel von dem Kloster profitieren. So war es doch auch in meinem Dorf. Wir haben mit dem Kloster gehandelt, und das Kloster mit uns. Magie kann bei der Verteidigung der Mine gegen magische Wesen eine große Rolle spielen, und wir werden ihnen auch von der Substanz in den Fässern abkaufen. Ich habe einige Ideen, was ihre Verwendung betrifft, und möchte darüber mit Jaru sprechen, wenn er zurückkommt. Vergiss nicht, dass der König ihn als Verwalter eingesetzt hat.“

    „Welcher König?“ fragte Nela. „Das Land wird neu erstehen, Jaru hat es auch schon gesagt. Und wir, Marik, Jaru, Gero und Oleg und die Schmiede werden entscheiden, wie es aussehen wird.“

    „Ich glaube, du musst dabei nichts Schlimmes von den Orkwald-Leuten erwarten. Sie sind stark, ohne ihre Frauen zu ducken. Du hättest sie sehen sollen. Es war eine Freude. Vielleicht schicken sie ihre Mädchen zu uns, damit sie von uns lernen, bevor sie heiraten. Eine neue Zeit wird anbrechen.“

    Nela schwieg erstaunt. Ein zweites Mal zeigte Marlan eine Vorstellungskraft, die ihre überstieg. Und das beste daran war: einmal ausgesprochen, setzte sich die Vision in ihr fest und erschien ihr erreichbar und nur noch wenig entfernt.

    So beschlossen sie, sobald wie möglich zusammen zur Heilerin der Mine zu gehen. „Wir brauchen neue Blutfliegenverwandlungstränke, damit wir schneller reisen können. Gero weiß, wie man ihnen den Stachel zieht. Er soll es mir morgen zeigen. Kannst du nach ihm sehen? Er hat etwas an sich, das ich nicht verstehe. Amara hat ihn verbunden, aber vielleicht kannst du ihn wirklich heilen. Und so oder so kann er hier nicht mehr bleiben. Zumindestens nicht, solange wir kein Gästehaus haben.“
    „Ja“, antwortete Marlan. „Jetzt ist übrigens morgen. Vielleicht gibt er dir oder mir die Teleportrune für das Tal.“

    - - -

    Marlan ging leise in ihren Raum und setzte sich an ihr Bett, auf dem Gero schlief. Sie betrachtete ihn genau und sah, was Nela meinte. Er war unruhig und sie sah ihn erschaudern. Gleichzeitig bemerkte sie plötzlich, dass ihr Herz sich ihm gegenüber anders verhielt als gegenüber Jaru, als er an derselben Stelle gelegen hatte. Und sie wusste, dass Gero ihr mehr vertraute als Jaru, mehr ihr als Person, und weniger ihrer Robe und der Heilkunst der Feuermagier.
    Sie fragte sich, ob das gut oder schlecht war, und rief sich alles ins Gedächtnis, was sie von Guran über solche Schattenerkrankungen erfahren hatte.
    Es schien, als habe Gero einen Ruf gehört, denn er erwachte mit einem Mal und sah sie an. „Ich bin froh, dass du nicht dort warst“, flüsterte er und ergriff ihre Hand.

    „Was ist geschehen?“ fragte sie ruhig.
    „Ich habe Sachen gesehen, es klebt an mir. Diese ganzen Toten, sie sind immer da, wenn ich die Augen schließe.“
    Er holte tief Atem. „Als die Paladine die Mine befreiten - sie waren wirklich gut, jeder Einzelne. Aber so wie ich sie fand, sind sie schnell gefallen, ohne Chance. Ich hätte erst recht keine Chance gehabt. Und ich bin sicher, dass Ireg das vorhergesehen hat, dass er mich und Jaru aus der Stadt haben wollte. Und dann war da dieser Galaro, auch ihn wollte Ireg für irgendetwas schützen, aber es hat nicht geklappt. Und ich überlege, dass es wahrscheinlich wichtig war.“

    Er brach ab und sein Blick glitt ins Leere.
    Marlan holte ihn zurück. „Und wann hat das angefangen? Dieser Todesschatten? Als du die toten Paladine sahst?“
    „Nein, schon vorher. Als ich diesem Krieger gegenüberstand, der den Golem beschworen hat. Ich habe es nur nicht sofort bemerkt, weil ich kämpfen musste.“
    „Was war das für ein Krieger?“
    „Er war der Anführer eines Trupps der Fremden. Er hatte eine Rüstung, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Das Material war gefleckt wie ein Tier. Und keiner meiner Pfeile konnte ihn auch nur verletzen, obwohl ich ihn mehrmals getroffen habe.“

    „Hast du ihm in die Augen gesehen?“
    „Ich... ich weiß nicht, Marlan. Es ist, als sei der Moment unscharf. Und seither konnte ich nicht mehr schlafen. Es sieht nur so aus, aber ich bin völlig erschöpft.“
    Er lehnte sich weiter zurück, wobei er einen Unterarm über die Augen fallen ließ. Er atmete schwer, und Marlan sah, dass seine Hand zitterte.

    „Du bist besessen“, sagte sie. Er erschrak. „Was heißt das?“ Er starrte sie an.

    „Das heißt, das wir diesen Zustand kennen. Und dass er heilbar ist, allerdings nur von Feuermagiern, nicht über normale Alchemie.“

    „Kannst du das heilen?“ Plötzlich so viel Hoffnung in seinem Blick zu sehen, schmerzte sie einen Moment.
    „Ich denke ja. Aber nicht sofort. Ich habe es noch nicht gemacht und unsere Magie hat sich verändert. Ruh dich aus so gut du kannst, wenigstens deinen Körper. Ich komme bald wieder.“
    Sie strich ihm über die Stirn. Beide wurden befangen, als sie bemerkten, dass auch ihre Hand zitterte. Sie stand ruckartig auf und lief nach draussen.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (20.08.2012 um 20:44 Uhr)

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    Drei

    Marlan hätte um ein Haar Nela umgerannt, die im Hof wartete. Nela sah ihr ins gerötete Gesicht, und beide Frauen wandten sich verlegen zur Seite.

    Marlan schnappte hörbar nach Luft. Sie setzte an, etwas zu sagen, aber alles was ihr einfiel, erschien ihr nicht angemessen. Nela fasste sich schneller. „Es tut mir leid. Ich habe euch nicht belauscht. Amara hat mich geschickt. Ich soll dich fragen, ob du ein Kraut namens Schlüsselwinde hast.“
    „Habe ich. Komm mit mir.“

    Sie lief in den Raum mit dem Alchemietisch und kramte in einem Regal. Schließlich drehte sie sich um, in der Hand ein kleines dürres Bündel. Als Nela danach greifen wollte, legte sie ihre Hand auf ihren Arm.
    „Geh zu Gero. Er kann jede Ablenkung brauchen. Und mach dir nicht zuviele Gedanken. Was ihn erwischt hat, ist uns Magiern bekannt. Ich muss nur etwas nachlesen.“
    „Uns Magiern? Das schließt mich ein, seit gestern, oder?“
    Marlan errötete ein zweites Mal. Diesmal war es schlimmer. Sie fand allein keinen neuen Anfang. Nela stand ruhig vor ihr und wartete.

    Marlan setzte sich auf eine Ecke des Alchemietisches. Sie holte noch einmal tief Luft.

    „Er ist besessen. Es begann, als er gegen einen bestimmten Krieger kämpfte. Von dem, was ich bisher gehört habe, war das möglicherweise sogar der neue König von Myrtana selbst. Er kann seitdem nicht mehr schlafen. Was wir sehen, ist kein wirklicher Schlaf, deshalb ist es auch nicht nötig, dass wir ihn schlafen lassen.
    Es gibt einen Trank gegen Besessenheit, aber das Rezept ist kein alchemistisches. Man nimmt Weihwasser dafür und es ist eher eine energetische Aufladung. Normalerweise lernen das nur die Magier des hohen Rates. Guran war Teil des Rates, es war sein leerer Sessel, den du im Kloster gesehen hast. Ich weiß, was man tun muss, ich kenne die Formel. Und man muss warten, bis die Sonne aufgeht, das kann aber jetzt nicht mehr lange dauern.

    Ich bin mir nur im Unklaren, ob ich es wirklich tun kann, weil ich nicht dafür geweiht bin. Ich wollte nachlesen, ob etwas über schlimme Auswirkungen bekannt ist, wenn das der Fall ist.“

    „Würde es vielleicht helfen, wenn wir dich zu unserer Äbtissin wählen?“
    „Wer sollte mich wählen? Du bist die einzige, die so etwas wie eine Feuerprüfung bestanden hat. Du hast mehrfach besonnen Spruchrollen und Tränke angewandt. Du hast demütig in einem Kloster der Feuermagier gedient. Dir ist es gelungen, die von mir gestellte Aufgabe mit den Büchern zu erfüllen. Du hast unter extremer Angst Irlas Rätsel richtig gelöst. Und du hast ohne fremde Hilfe einen Feuerball geschleudert und dich damit verteidigt. Manche Punkte sind vielleicht etwas weit gefasst, aber die Regel kam zu ihrem Recht.“
    „Was ist mit Irla, Ajanna, Amara? Deine Schwester hat alleine den Telekinese-Zauber erfunden und dir beigebracht. Ajanna hat meine Gedanken gelesen. Und Amara... ich bin sicher, dass sie nicht weit von einer Magierin entfernt ist, mit ihrer Kunst.“

    „Die beiden letzten haben wir noch nicht einmal gefragt, ob sie bei uns bleiben möchten. Aber zu deiner ersten Frage: ja, wenn wir genug sind und einen hohen Rat wählen, dann bin ich legitimiert und ihr könnt mich weihen. Ich denke, die Kreise der Magie existieren nicht mehr. Aber willst du eine Äbtissin, die halb so alt ist, wie du?“
    „Du bist länger Magierin, als ich weiß, was Magie ist. Du denkst klarer, als sonst ein Mensch, den ich kenne. Und deine Visionen geben mir Hoffnung und ein Ziel. Ich wähle dich, Marlan, zu meiner Äbtissin und in den hohen Rat meines Klosters.“

    Und Marlan war das dritte Mal rot und verlegen.

    - - -

    Schließlich gingen sie zusammen zum Baumhaus. Die anderen waren schon auf. Irla war stolz dabei, den drei jungen Frauen Lesen und Schreiben beizubringen. Die beiden Magierinnen brachten Amara das Kraut, und verließen sie wieder mit Ajanna, Nergali und Irla.

    Als sie zur Klause zurückgingen, fragte Ajanna ernst: “Ich möchte Magierin werden. Was muss ich tun?“
    „Lesen und Schreiben zu lernen ist kein schlechter Anfang.“ Marlan blickte prüfend in ihr Gesicht.
    „Wie ihr gesehen habt, ist unser Kloster frisch gegründet. Wir werden in nächster Zeit in der Nähe anfangen, zu bauen. Aber es ist eine neue Sache, und manche Leute werden damit hadern und uns Hindernisse in den Weg legen. Sehr existentielle Hindernisse, möglicherweise. Obwohl im Moment viele andere Kämpfe und Schwierigkeiten auf den Menschen dieser Insel lasten. Es kann sein, dass ihr das Magierinnen-Sein auf eine Art und Weise verteidigen müsst, die die männlichen Novizen nicht kennen.“
    Ajanna zog die Augenbrauen hoch.
    „Ich meine nicht das Kämpfen. Wir wissen, dass ihr das könnt. Sonst wärt ihr nicht hier. Ihr könnt nicht alles von uns lernen. Ihr müsst das Magierin-Sein erfinden, während ihr es schon seid.“
    Ajanna nickte. Nela sah, wie es in ihr arbeitete.

    „Ich heiße Irletia.“ sagte Irla plötzlich. Alle sahen sich erstaunt zu ihr um. Dann stand sie einem Moment konzentriert, und ein Feuerball verließ ihre Hand und traf eine Blutfliege weit unten im Gebüsch.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (20.08.2012 um 20:49 Uhr)

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    Am See

    Als Jaru ganz in das kalte Wasser eintauchte, erschien es ihm, als sei nachträglich sein wilder Traum aus dem Sklavenlager wahr geworden. Er holte weit mit den Armen aus und schwamm schnell vom Rand in die Mitte des kleinen Bergsees. Um ihn herum plantschen prustende Orks, die ihre Begeisterung über die Erfrischung laut zeigten. Er schlug eine Rolle, spritzte das klare Nass weit hoch und genoss es, als es auf ihn zurück platschte.

    Es war sein erstes Bad seit seinem Kundschaften an der Küste, und ihm war, als ob die vielen üblen Erlebnisse seither mit dem Staub und seinem Schweiß abgespült würden.

    Sie badeten in einem See, der in einer kiesigen Mulde an einem Waldrand lag. Auf einer Seite gab es eine Erhöhung, die das Ufer vor Wind schützte. Dort standen ein paar einfache Rindenhütten der Orks. Einige von ihnen hielten dort Wache und entfachten Feuer. Die meisten der Orks hatten ohne viel Zeremoniell ihr Zeug an den Strand geschmissen und sich in die klaren Fluten gestürzt, Jaru mit ihnen, nach nur kurzer Überlegung. Er war in ihrer Hand, so oder so, aber außerdem waren auf dem langen Weg alle Signale ihm gegenüber nur freundlich gewesen.

    Er sah plötzlich an einer Stelle gegenüber der Hütten die Quelle, die den See speiste. Dort kam ein kleines Rinnsal aus den Felsen und fiel über einige Steinstufen hinunter. Er schwamm hinüber, stieg aus dem Wasser und trank in großen Zügen. Jetzt spürte er erst seinen Hunger.

    Einige der Orks waren ihm gefolgt. Sie warteten, bis er getrunken hatte, aber plötzlich gab es eine Unruhe unter ihnen. Einer zeigte aufgeregt auf Jarus Knöchel und seinen Rücken, der über der Hose sichtbar war, und plötzlich kamen sie alle näher, um zu schauen. Jaru fluchte innerlich. Die Sklavennarben würden ihn sein Leben lang begleiten.
    Um seine Fußgelenke hatten die Ketten, die ihm die Sklavenjäger den ganzen Weg zu der Mine in Bergen angelegt hatten – und auch später gab es Situationen, wo sie ihn fesselten – tiefe Wunden hinterlassen, in die mit der Zeit das Eisen der Ketten und der Schmutz einwuchsen. So trug er einen Kranz dunkler Male an den Knöcheln, der durch Waschen nicht fortging. Auf seinem Rücken hatten Peitschenschläge einige lange weiße Striemen hinterlassen, Streifen, wo die Haut nicht mehr braun wurde.

    An seinen Armen sah man keine vergleichbaren Narben, weil die Sklavenjäger durch leidvolle Erfahrung gelernt hatten, welch furchtbare Waffen solch Ketten-bewehrte Hände sein konnten. Dort war er nur mit Seilen gefesselt gewesen.

    Jaru mochte es nicht, wie die Orks starrten, und er schob sie zur Seite, sprang wieder ins Wasser und schwamm zurück. Damit entkam er allerdings den Blicken nicht, denn dort waren schon einige Orks mehr, die nur kurz gebadet und dann ihre Stammesgenossen an den Feuern abgelöst hatten. Jaru wich ihren Blicken aus und suchte seine Sachen. Er hörte, wie sie bestimmte Worte in ihrer Sprache immer wiederholten, aber er wollte nicht länger auf diese Weise Gesprächsthema sein, so ergriff er schnell sein Hemd, um sich anzuziehen. Der weiß gekleidete Schamane kam aus einer der Hütten. Er hielt Jaru am Arm, und brachte ihn so dazu, ihm in die Augen zu sehen. Jaru kochte innerlich. Längst war ihm nicht mehr kalt vom Bergsee.

    „Du bist Sklave gewesen“, sagte der Schamane in seiner tiefen Stimme. „Hast Du deswegen gegen Deine Menschenbrüder gekämpft?“
    Jaru rang seinen Zorn nieder. Er wollte sich von dem Alten nicht ausfragen lassen.

    „Ich bin Sklave gewesen“, sagte er. „Und Faid, der den Überfall auf Euch kommandiert hat, war dort einer der Anführer. Warum haben sie Euch angegriffen? So wie ich sie kenne, sind sie faul und schauen nur darauf, viel Gewinn zu machen ohne selbst zu arbeiten. Habt Ihr sie beleidigt?“ Jaru sprach absichtlich in provozierendem Ton, um die Aufmerksamkeit des Schamanen auf diesen zurückzulenken.

    Der Ork sah ihn nur ruhig an, und gab ein leises ganz tiefes Knurren von sich, von ganz tief aus seinem Bauch. Dann blickte er noch eine Weile auf Jaru, ohne zu Knurren. Jaru hatte noch nie einen Ork getroffen, der so beherrscht war und ihm so klug vorkam, wie dieser Weißgewandete. Und er sprach die Menschensprache von Myrtana, so wie Jaru, ohne Akzent.

    „Lass uns essen“ sagte der Ork. Als die anderen Orks das sahen, zogen sie sich an die anderen Feuer zurück und sahen noch nicht einmal mehr zu Jaru und dem Schamanen herüber. „Er hat sie völlig im Griff“, staunte Jaru.
    Er ließ sich Zeit mit dem Hemd und Gambeson. Die Abendluft war angenehm kühl, und er spürte wenig Verlangen, sich wieder in das verschwitzte Zeug zu zwängen. So ging er noch mal zum See zurück, wusch seine Sachen, und hängte sie dann über Äste, die er schräg in die Erde steckte, ans Feuer. Zufrieden stellte er fest, dass auf diese Weise sogar ein dampfender Sichtschutz entstand.
    Dann setzte er sich, und fing an, Fleisch zu braten.

    Der Ork war fast fertig. Sein Fleisch war durch, und er biss große Stücke davon für seinen kleinen Gast ab.
    Jaru wundert sich, wie der Orkjunge das ohne Zähne essen konnte, aber es schien ihm sogar zu gefallen.
    Jaru schnitt ihm eine Grimasse. Der Kleine stutzte einen Moment, aber dann grinste er breit und ahmte sie nach. Jaru lachte.

    „Weißt Du seinen Namen?“ fragte er den Schamanen.
    „Er hat noch keinen. Orks bekommen die Namen, die sie sich machen, wenn sie anfangen, zu kämpfen. Von diesem wirst Du noch hören. Ich habe gestern von ihm geträumt ... Er hat eine große Zukunft. Und das beste ist, er ist für den Stamm geboren.“

    Jaru überging den letzten Satz, obwohl er ihn nicht verstand. Er sah den Schamanen ungläubig an. Sein eigener Traum der letzten Nacht fiel ihm ein, mit Mikal und der „Alca“.
    „Was bedeuten solche Träume?“ fragte er begierig, einen Moment nicht auf der Hut vor der Klugheit des Anderen.

    Der Schamane schwieg. „Wie heißt Du?“ fragte er dann. „Mich nennen meine Leute Grompel, aber diese Orks hier sind nicht meine Leute. Ich bin aus Myrtana, so wie Du. Wir hatten die Küste und das meiste Land erobert, aber jetzt herrschen dort wieder Menschen, und ich bin geflohen.“

    „Nicht seine Leute, dass ich nicht lache“, dachte Jaru. „Diese Orks würden sich Finger abhacken und ihm bringen, wenn dieser Grompel es verlangte.“
    „Ich bin Jaru. Mein Großvater ist aus Myrtana. Er war dort Bootsbauer. Ich bin als Schiffsbrüchiger auf diese Insel gekommen, und dabei haben mich die Sklavenjäger verschleppt. Ich weiß, dass es auch Ork-Sklavenlager gibt, auf dem anderen Teil der Insel. Haben die Wachen versucht, Euch dafür einzufangen?“

    Grompel lachte. „Nein, sie waren nur hinter mir her. Die Magier und Sklavenwachen lieben es nicht, dass die Orks dieser Insel von den freien Orks in Nordmar und Myrtana erfahren.“

    Er sah ins Feuer, immer noch einen aufgeräumten Ausdruck auf dem groben faltigen Orkgesicht. Dann wurde er ernst. „Was hast Du geträumt?“ fragte er Jaru mit ganz ruhiger Stimme.

    Jaru zögerte. Er konnte dem Ork wohl kaum von der „Alca“ erzählen.

    „Bedeuten solche Träume etwas?“ fragte er.
    „Wie war das, als Du davon geträumt hast. Dachtest Du, dass es eine Bedeutung hat?“
    „Ja. Ich habe es gesehen, wie etwas echtes.“
    „Waren dabei Menschen, die Du kanntest?“
    „Ich träumte von einem Schiff, aber der Mensch, den ich sah, den hatte ich bis dahin fast vergessen. Und ein merkwürdiger Sturm war in meinem Traum.“
    „Wann?“ fragte Grompel.
    „Gestern“, antwortete Jaru, bevor er überlegen konnte.

    „Du hast das kleine Kriegsschiff der See-Paladine gesehen. Vor drei Tagen war es in einer Schlacht an der Südküste, das beste Schiff dieser Insel. Wir haben vor einiger Zeit versucht, es uns zu nehmen...“ Jarus Kinn zuckte empört hoch, aber der Ork sah nachdenklich ins Feuer und schien ihn ganz vergessen zu haben. „... aber die Paladine haben gut gekämpft. Ihr Menschen habt keine Kraft in den Armen, aber sie sind ohne Ruder unseren Galeeren davon gesegelt – und das beinahe gegen den Wind. Ihr Schiff hat mehr Tiefgang als unsere, aber eine unserer Galeeren ist auf ein Riff gefahren – und sie nicht. Ihre Runen haben ihre Kraft verloren – aber sie kämpfen mit der Kraft des Feuers vom Himmel, als ob nichts gewesen wäre. Sie kämpfen mit EINEM Willen und großem Mut.

    Aber vor drei Tagen haben sie nicht gegen uns gekämpft, sondern gegen die Schwarzmagier. Dort ist eine Festung an der Südküste. Die Orks, die davon berichten, werden bleich. Es ist ein übler Ort. Dort leben Tote mit Lebenden zusammen, und keiner der hiesigen Ork würde freiwillig da hin gehen. Ein Fluch liegt auf der Feste, und eine alte Weissagung sagt, dass kein Mann ihr Tor bezwingen kann.
    Aber die Schwarzmagier finden dort die Quelle ihrer dunklen Kraft...“

    Jaru schluckte. Warum erzählte dieser Grompel ihm das alles. Der tat doch nichts aus Versehen, wie zerstreut er auch immer erschien. Jaru ärgerte sich gewaltig über sich selbst. Er hatte mit seiner unbedachten Geste verraten, dass er das Schiff kannte, und dass ihm etwas an seinem Schicksal lag.

    „Hüte Dich vor ihm, von dem Du geträumt hast, Jaru. Er hätte auf dem Schiff sein müssen in diesem Moment.“

    Jaru gaffte übers Feuer in Grompels dunkle Augen. Konnte der Schamane in seinen Kopf schauen?

    „Du hast nicht verstanden, was heute morgen passiert ist, Jaru. Wie er Dich gerufen hat“ - Grompel zeigte auf den kleinen Ork - „so rufen unsere Kleinen nur Orks ihrer Familien. Du bist einer von ihnen geworden, und sie werden das heute Nacht mit Dir feiern.“

    Jaru dachte nach. Er, ein Ork? Wie konnte Grompel von Mikal wissen, und dass er ihn im Wasser vom Schiff hatte wegschwimmen sehen? Vielleicht war er in die See gefallen, und hatte sich an Land gerettet, weil das Schiff in der Schlacht nicht für ihn umkehren konnte?
    Dass die „Alca“ vor drei Tagen noch kampfbereit war, das war der eine wirklich gute Hinweis in dem Wirrwarr. Aber wie konnte das der Ork wissen? Hatte er das zweite Gesicht?
    Dann fiel ihm auf, dass Grompel von „ihnen“ gesprochen hatte, als er sich auf die Orks bezog.

    „Du wirst uns verlassen“, rief Jaru. Plötzlich sah er den Abschied deutlich. Grompel verbeugte sich leicht vor ihm. „Ich habe gespürt, dass Du auch einer bist, der die versteckten Dinge sieht“, sagte er. „Du wirst nur noch einige Zeit brauchen, bis Du klarer siehst und es besser verstehst.“
    „Kannst Du mir das beibringen?“ bat Jaru.

    „Das nicht.“ Grompel sah eine Weile schweigend ins Feuer.
    „Ich kann Dir etwas über alte Magie beibringen, Geschichten aus der Zeit der Feuer im Eis, und über die Stimme des Erzes in den Bergen in Nordmar. Es gibt Tage, die so kalt sind, dass sich das Erz verändert. Es fängt an zu klingen. Es gibt Orks, die diese Töne hören können, und so das Erz finden.
    Und so machen unsere Schmiede Töne beim Schmelzen und beim Schlagen des Eisens, und verändern die Form des Erzes, ohne dass es beim Schmelzen seine Kraft verliert.
    Aber das eigentliche Alte Wissen ist nicht die Kunst der Schmiede.
    Es ist die Kunst, das Erz und das Eisen in sich selbst zu finden und richtig zu formen. Die Schmiede wissen, wie das Harte und das Weiche verteilt sein muss, damit die Waffe nicht bricht und doch schneidet. Schmiede das Harte und das Weiche in Dir und Du wirst es auch in anderen formen. Wir Schamanen sind die Schmiede der Herzen unserer Orkbrüder. Aber wir schlagen nicht auf sie, wir hören ihre Töne.“

    Jaru staunte. Er versuchte, den Klang der Worte nachklingen zu lassen um sie sich für immer zu merken.

    Da begann an einem der Feuer ein Ork zu trommeln. Jaru verlor den Faden seiner Gedanken und sah zu ihnen hinüber. Sie lachten, und schwenkten Flaschen in seine Richtung. Es war dunkel geworden.

    „Du wirst heute Nacht trinken und tanzen, mein Menschenorkbruder. Willst Du vorher noch etwas fragen, solange Dein Kopf klar ist?“
    Jaru stand auf, und begann, sich anzuziehen. Von einem klaren Kopf fühlte er sich deutlich entfernt. „Was bedeutet das, dass sie mich jetzt als einen Ork sehen? Heißt das, ich muß mit ihnen ziehen?“ wollte er wissen.
    „Nein. Denn Du verstehst nicht mal, was sie sagen. Es heißt, sie werden nicht gegen Dich kämpfen, außer in einem Arena-Kampf. Möglich, dass Dich heute noch der eine oder andere auffordert. Und sie werden um das Lager Deiner Leute eher einen Bogen machen, als es anzugreifen. Umgekehrt erwarten sie von Dir dasselbe. Sie hoffen, dass dieser Paladin, der Dein Verwandter ist, den Sklavenjägern so richtig das Fell gerbt, und dass sie ebenfalls ihre Leute aus den Lagern holen können. Allerdings, diese Invasion hat alles verändert.“

    Jaru schwieg. Dieser Ork war gut informiert. Zu gut für seinen Geschmack.
    Wen meinte er mit „diesem Paladin, der Dein Verwandter ist“? Ireg oder Tasso? Er beschloss, jetzt einfach – möglicherweise zu spät, aber besser, als gar nicht – den Mund zu halten. Er erzählte ihm noch nicht mal vom Fall der Stadt.

    „Ich geh jetzt feiern“, sagte Jaru.


    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (25.02.2014 um 08:32 Uhr) Grund: Sig aus ;)

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    Jarus Erwachen

    Jaru war Gero. Sein Kopf schmerzte und der Kopfverband drückte. Gereizt wachte er auf. Der Schmerz blieb.
    Er öffnete die Augen in mehreren Schüben. Die Orks waren fort. Er lag allein in einer der Rindenhütten am Bergsee. Er trug keinen Verband. Ihn quälte der schlimmste Kater seines Lebens.
    Er setzte sich auf, wobei ihm ein weiterer Schmerz am Oberarm bewusst wurde. Er sah an sich herab. Sein Kettenhemd und Gambeson hingen nur noch am rechten Arm. Sein linker Gewandärmel war hochgeschlagen, und auf der Außenseite des Oberarms war ein dunkler Fleck, der pulsierend brannte. Er fasste ihn an. Eine Tätowierung! Er versuchte zu sehen, was ihn da zierte, aber er fand es nicht leicht, seinen Kopf so weit zu drehen. Ihm wurde übel. Er warf die Rüstung ganz von sich und ging ans Wasser.
    Er wusch sich spritzte sich dabei viel kaltes Wasser über den Kopf. Das war besser. Dann betrachtete er ein zweites Mal seinen Arm. Es schien sich um das Bild eines Raubtieres zu handeln, wuchtige Schultern, ein kantiger Kopf mit kleinen Ohren und ein aufgerissenes Maul mit scharfen Zähnen, an den Enden der Vordertatzen Krallen. Eine typische Orkarbeit, keine Feinheiten, aber eine kraftvolle Form. Er wusste nicht, um was für ein Tier es sich handelte, aber es war wahrscheinlich besser, es nicht zu treffen.

    Seine Haut war jetzt endgültig ein Geschichtsbuch geworden. In Zukunft brauchte er gar nichts mehr von sich zu erzählen, es reichte, wenn er sich auszog.

    Er ging zurück zu seinen Sachen und rüstete sich ein. Alle seine Dinge waren an ihrem Platz, auch das Amulett von Tasso. Grompel musste es am Tag vorher auch gesehen haben, als Jaru nach dem Bad ohne Gewand ans Feuer kam. Falls er Tasso kannte – vielleicht hatte er sogar gegen ihn gekämpft, als es um die „Alca“ ging – wusste er vielleicht weniger, als es den Anschein hatte.

    Einen Moment erinnerte er sich verlegen an den merkwürdigen Schlüssel, den er dem Ork mit den Lurkern bei seiner Stranderkundung abgenommen hatte, aber auch er war noch in einer Innentasche seines gepolsterten Lederwamses. Er entdeckte ein Geschenk, eine kleine Beinschnitzerei an einem Lederband um seinem Hals. Sie stellte dasselbe Tier dar wie die Tätowierung.
    Er nahm seine Waffen an sich. Die Orks hatten ihm ein paar zusätzliche Armbrustbolzen dagelassen. Und ... er sah sich den kleinen runden Stein genauer an - einen Teleportstein.

    Gero hatte ihm den von Venuto gezeigt, auf ihm war der Umriss eines Fasses eingraviert. Aber auf diesem Stein war eine Kristallform. Jaru wurde extrem neugierig.

    Er ging um den See herum zur Quelle, und trank in tiefen Schucken. JETZT fing der Tag wirklich an.

    Was sollte er tun? Das Richtige wäre wohl, erst mal zur Mine zurückzukehren, um dort alle wichtigen Angelegenheiten mit den neuen Leuten zu regeln. Außerdem wollte er nach Gero sehen.
    Aber dieser Teleportstein lag warm und lockend in seiner Hand. Nur mal kurz nachsehen!
    Er überlegte eine Weile, hin und her gerissen. Dann nahm er den Stein und teleportierte sich fort.

    Grompel hatte ihn richtig eingeschätzt.


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    Geändert von Gothic Girlie (29.10.2009 um 23:30 Uhr) Grund: Sig aus ;)

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    Der Trank

    Gero richtete sich halb auf, als Nela in den Raum trat. Er erinnerte sich richtig. Sie stand vor ihm in der Robe einer Feuermagierin. Außerdem trug sie ihr Kopftuch nicht mehr, sondern hatte das Haar rund um den Kopf aufgesteckt wie einen geflochtenen Reif.

    Er nickte auf die Robe hin. „Ja.“ sagte sie, holte sich einen Schemel und setzte sich an das Bett. „Marlan bereitet den Trank zu, der Dich heilen soll. Bald.“

    Sie sah ihn prüfend an. „Amara hat mir von Ireg und Enita erzählt.“
    „Du hast Ireg nicht gemocht, Mutter.“
    „Aber Du denkst an ihn, die ganze Zeit.“
    „Ja - “ Gero suchte nach Worten.
    „Er hat Dich geschätzt, Gero. Es war für alle zu sehen, während und nach der Befreiung der Mine.“
    „Ja, ich ihn auch, aber ich habe ihn danach fast nicht mehr gesehen. Und jetzt ist er tot. Ich wollte ihn so viel fragen, von ihm lernen... Und zu Jaru war er nicht sehr freundlich.“ brach es plötzlich plötzlich aus ihm heraus.
    „Er war zu niemand freundlich... er hat die richtigen Dinge getan. Ohne für sich etwas dafür zu verlangen. Menschen wie er sind selten. Sein Tod ist ein großer Verlust...“

    Gero sah sie erstaunt an. War es die Robe? Sie war anders als sonst – feierlich.

    Sie schwiegen einen Moment, und als Gero sie ansah, konnte er sie zum ersten Mal so sehen, wie sie auf andere wirkte: groß und ernst, und irgendwie... zeitlos.

    „Du hast ihn geliebt, Gero...“ Er fuhr auf. „Lass es zu, es gibt ganz verschiedene Formen von Liebe. Es gibt Menschen, die wir lieben, weil ein starkes Band zwischen ihnen und uns existiert, Vertrautheit, Vertrauen, Verstehen. Und es gibt andere, die wir nur wegen ihrer selbst lieben, deswegen, weil wir denken, dass sie so wie sie sind großartig sind, und wir ihnen nahe sein wollen, aber es hat nichts mit uns selbst zu tun. Außer vielleicht damit, wie wir selbst gerne wären...“

    Und dann sah er, was sie meinte. Es hatte zwischen Ireg und ihm diese „ Vertrautheit, Vertrauen, Verstehen“ nicht gegeben, so sehr er es sich gewünscht hätte. Mit einem Mal überkam ihn ein tiefes Gefühl der Trauer und des Verlustes, und gleichzeitig war, es, als wurde ein Teil von ihm neu geboren.
    Dies war sein Leben, und es war noch nicht zu Ende.

    Er atmete tief, und bemerkte den frischen neuen Tag: das Licht, das durch die Tür fiel, die Vögel, den Geruch des Waldes.

    In diesem Moment kam Marlan, vor sich eine goldene Flasche, die sie ihm gab.
    Er trank in tiefen Zügen, sog das Wasser in sich hinein wie Leben. Dann legte er sich zurück und schlief, ruhig und tief, bis zum nächsten Morgen.

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    Geändert von Eddie (15.07.2009 um 21:16 Uhr) Grund: Signatur...mittlerweile müsstest du es doch eigentlich wissen, oder?;)

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    Mißtrauen

    Gero fluchte. Er steckte bis zur Hüfte im Schlamm in einer Grube, deren Rand mit nach innen zeigenden Palisaden gesichert war, und der einzige Mensch, der nach langen Stunden vergeblicher Befreiungsversuche endlich aufgetauchte war, erkannte weder seine Uniform der Küstenwache – schlammbespritzt wie sie war - noch eines ihrer Passwörter oder anderen Signale. Dafür gehörte er zu jener bestimmten Sorte Männer, die man vorwiegend im Inneren von Tavernen antrifft, und deren Verstand auf den Grund vieler Krüge Bier gesunken war. Jemand hatte diesem Menschen eine Hellebarde gegeben, und dies hatte ihn endgültig aus dem Gleichgewicht gebracht.
    „Bring mich zu Marik“, schrie Gero, „oder die Scavanger sollen dein Wurm-winziges Hirn wegpicken! Ich weiß, dass er in Grauben ist! Er wartet auf mich!“
    „Hoho, Meister Wichtig! Und warum soll ich dir glauben? Marik hat selbst befohlen, hier diesen Graben anzulegen. Damit Strolche und Fremde wie du hier nicht länger Unheil anrichten.“
    „Ich bin nicht fremd. Ich habe bei Marik auf dem Hof gearbeitet.“
    „Du lügst.“ Eine andere Stimme, jung, aggressiv, hinter ihm. Gero drehte sich um. Verdammt! Der Lange, der ihn in Grauben zum Zweikampf herausgefordert und verloren hatte. „Du warst hier mit den Leuten von der Mine! Du hast sogar gegen Marik gekämpft!“
    „Und Marik hat mich gewinnen lassen, damit er ungestört mit mir reden konnte. Wie oft ist das schon passiert, dass Marik gegen einen Anfänger verloren hat?“

    Der Lange war nicht schlecht. Er musterte Gero, sah die Uniform unter dem Schlamm, dachte nach. „Wirf dein Schwert hier auf die Böschung und reich mir deinen Bogen.“ Gero überlegte fieberhaft. Er hatte keine Wahl. Und dies waren Bauern, keine Invasoren oder Banditen. Sie waren am Leben, weil sie vorsichtig und wehrhaft waren, genau wie Marik und Ireg es gewollt hatten. Er gehorchte.
    Der Junge steckte Geros Schwert in seinen Gürtel und hängte sich seinen Bogen um. Dann löste er ein Seil, das er um die Schultern trug, wand es um einen Baum und warf Gero ein Ende zu. Trotzdem dauerte es, bis Gero auf der Böschung stand, denn er war steif von dem kalten Schlamm und seine Kleider und Stiefel hatten sich damit vollgesogen.

    Der Lange zog Geros Schwert, richtete es auf ihn, löste erst dann mit der anderen Hand das Seil, wobei er Gero nicht aus den Augen ließ, und befahl ihm mit einer Geste, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Dann folgte er ihm, mit so viel Abstand, dass Gero ihn durch einen Schritt nicht erreichen konnte. Gero war beeindruckt. Der Junge war gut geworden. Mariks Schule! Fast hätte er gegrinst.
    Nach etwa einer halben Stunde Weg erreichten sie das Dorf. Es hatte sich nicht sehr verändert, aber aus dem gewundenen, schwierigen Weg, den der Junge nahm, schloss Gero, dass es wohl noch mehr Fallen auf dem alten Weg gab.

    Hinter ihm lag eine anstrengende, frustrierende Woche. Er hatte die Klause am Morgen nach seiner Heilung verlassen, unruhig, besorgt. Es hatte ihn gedrängt, das Ausmaß der Invasion zu erkunden und Marik oder andere Überlebende zu finden, und mit ihnen zu besprechen, wie man die Bevölkerung versorgen und koordinieren könnte. Aber das Land hatte sich verändert. Er sah keine Fremden, aber überall Spuren der Zerstörung, die sie hinterlassen hatten. Es gab erstaunlich viele Überlebende, aber sie saßen in Türmen, Stachel-bewehrten Burgen aus Palisaden oder auf befestigten Klippen, und sie beschimpften ihn wegen seines fremden Akzents und schickten ihn höhnisch weg. Die Passwörter der Küstenwache oder ihre Signale waren ihnen unbekannt.
    Mariks Hof war abgebrannt, aber er fand zum Glück keine Toten oder Gräber. So hatte er sich an das Treffen mit ihm in Grauben erinnert, und war dorthin gezogen. Und plötzlich hatte der Boden auf dem Weg nachgegeben...

    Am Tor stand ein kräftiger Mann, der ein Wams, Kettenhemd und Horn wie Gero trug. Er winkte ihn beiseite, und antwortete als erster auf die Anfangsfrage richtig, sodass Gero mit ihm die Parole austauschen konnte. Daraufhin bekam er sein Schwert und seinen Bogen wieder. Der Lange stellte sich als Kerem vor, und wollte sich bei ihm entschuldigen, aber Gero winke ab. Er war froh, dass Grauben intakt war. Kerem bot an, ihn zu Marik zu bringen, denn er war nicht mehr in dem Haus, das Gero kannte, sondern in einer neuen Befestigung zwischen dem Lagerhaus der Sklavenhändler und einem gedrungenen Turm. Als der Bau in Sicht kam, winkte Kerem nur in die Richtung und war plötzlich verschwunden. Gero wunderte sich kurz, war dann aber zu ungeduldig, endlich mit Marik zu sprechen, als dass er es beachtet hätte. Er fragte nach ihm an der Tür, und eine Wache in Küstenwachenuniform verwies ihn in den ersten Stock.
    Oben an der Treppe hielt Gero kurz inne. Er sah an sich herab und hätte sich gewünscht, dass er seine Kleider erst hätte säubern können, bevor er seinem Dienstherrn entgegen trat. Aber dieses Zögern war vielleicht sein Glück. Er hörte Stimmen durch eine offene Tür, und eine kam ihm bekannt vor – nicht Mariks. Er ging vorsichtig und leise auf die Tür zu, und sah einen Mann in der Rüstung der oberen Sklavenlagerwachen mit dem Rücken zu ihm am Fenster stehen. Es war der Mann mit dem Umhang, der mit Faid gehandelt hatte. Gero strich mit der Hand über den unteren schmutzigen Saum seines Leder-Gambesons und rieb sich den Schmutz ins Gesicht. Für mehr war keine Zeit, dann drehte sich der Mann zur Tür. Gero trat ein.

    Sie waren zu dritt. Ein reich gekleideter Bürger, der Sklavenlager-Kontaktmann und Marik. Letzterer trug jetzt auch die Uniform der Küstenwache, mit Brustschutz und Helm, einem breiten Schwert und einer Armbrust auf dem Rücken. Alle drei sahen Gero entgegen.
    Marik nickte ihm zu, aber sein reservierter Ausdruck hätte Gero zusätzlich gewarnt, wenn es nicht schon die Uniform des Sklavenjägers getan hätte. „Du bist von den Erkundungen zurück? Berichte!“ befahl Marik.
    Gero wandte sich ihm ganz zu, sodass der Sklavenjäger sein Gesicht nicht mehr sah. Seine Gedanken rasten. Ein voller Bericht kam unter diesen Umständen nicht infrage. Um Zeit zu gewinnen, berichtete er Marik von seinem Hof und sprach dabei besonders tief. Marik blickte ernst, aber Gero sah, dass er es bereits wusste. „Weißt du etwas von meinen Leuten?“ Gero gab ihm Nelas Brief. Marik nahm ihn an, aber er las ihn nicht. „Danke, du kannst jetzt gehen. Bring dein Zeug in Ordnung, und lass dir in der Taverne deine Ration geben.“ wies er ihn an. Gero verbeugte sich wortlos, wandte sich zur Tür, und ging direkt aus dem Raum.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (30.08.2012 um 08:50 Uhr)

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    Marlans Abschied

    „...Und du willst wirklich allein gehen,“ fragte Nela Marlan und man sah an ihrem Gesicht, dass sie nicht froh darüber war.
    „Ich bin so lange an diesem Ort gewesen, wie eingesperrt, und immer nur Wald. Ich will das Meer wieder sehen, schauen, ob von meinen Leuten noch welche leben, und letzten Endes müssen wir auch endlich einen besseren Ort für unser Kloster finden.“

    Nach Geros Abschied waren sie zur Heilerin in die Mine gegangen, und später weiter in das Tal mit den Ripperhöhlen. Aber Nela fand die Krume dort in den Bergen zu karg für Acker- oder Gartenbau, und die Quelle war zu weit entfernt von dem Ort, an dem man das Tal mit einer einzigen Mauer hätte sichern können. Dazu kam das ungelöste Problem mit den Teleport-Runen, denn da die Frauen nicht wussten, warum es für diesen Ort Teleport-Runen gab, konnten sie auch nicht einschätzen, wie viele es davon gab, und wer sie außer Faid noch in Besitz hatte. So hatten sie schweren Herzens ein zweites Mal mit der Heilerin gesprochen, und ihren Plan wieder aufgeben, so nah an der Mine zu siedeln.

    Nach ihrer Rückkehr hielten sie das erste Mal Rat mit allen Frauen zusammen. Weiterhin war es nur Nela, die außer Marlan die Robe der Feuermagier trug. Amara, Nergali, Ajanna und Irletia, wie sie jetzt genannt wurde, verstanden sich als Novizinnen, hatten sich rote Stoffstreifen an die Säume ihrer Gewänder genäht, und verschlangen mit Feuereifer, was Marlan ihnen beibringen konnte. Wenda wollte nicht bei ihnen bleiben. Als sie von der Heilerin bei der Mine hörte, bat sie darum, dass die Magierinnen sie zu ihr brächten, und nach dem Gespräch mit ihr blieb sie dort, als ihre Schülerin.
    Nela las jeden Tag mehrere Stunden, und merkwürdigerweise ließ sie die anderen schnell weit hinter sich. Es war, als sei ihr Geist auf andere Weise bereit für das alte Wissen. Sie lernte wenig auswendig, aber mit allem Neuen, das sie las, wurde ihr Verständnis tiefer, und sie sah Zusammenhänge, die Irla oder Ajanna verborgen blieben, selbst wenn sie versuchte, darüber zu sprechen. Nur an Marlans Augen sah sie, wie sehr sie sich über Nelas Fortschritte freute, und Amara sah sie ernst an und nickte.
    Amara verstand es inzwischen ebenfalls, einen Feuerball zu werfen, und Marlan und Nela hatten ihr die Robe angeboten, aber Amara meinte, sie sei noch nicht so weit. „Woher hast du eigentlich die ganzen Roben?“ fragte Nela bei dieser Gelegenheit. „Ich habe sie für die Magier repariert, das war Teil meiner Arbeit bei Guran,“ antwortete Marlan. „Als sie mich verbannt hatten, wollte ich sie ihnen noch zurückbringen, aber sie haben mich nicht mehr eingelassen.“ „Wie viele hast du?“ „Acht, und eine Robe des hohen Rates.“ „Zieh sie an,“ befahl Nela. „Du bist jetzt unsere Äbtissin.“ Marlan sträubte sich noch etwas, aber die anderen waren derselben Meinung wie Nela.

    „Dann nimm wenigstens Ajanna mit. Sie kennt den Süden, und es wird schwierig für dich, zu schlafen, wenn du alleine bist. Außerdem kannst du sie dabei ausbilden. Sie lernt sehr schnell.“ Marlan zögerte. „Nein. Ich möchte tatsächlich alleine gehen. Sieh es als MEINE Feuerprüfung, meine Probe, dass ich würdig bin, euch zu führen.“
    Nelas Blick ließ sie aber nicht los, und einen Moment flackerte ihr eigener, irritiert, dass Nela sie herausforderte. Dann stieg von tief unten in ihrer Persöhnlichkeit ihr eigener Wille auf, eine Art Atemzug, nur dass er schnell wie eine dunkle Flamme in ihren Augen war. Nela wich zurück und lächelte. „Geh mit Innos, Marlan. Meine Sorge ist unbegründet.“
    Marlan wählte die Abenddämmerung für ihren Abschied, und bevor der Wald den letzten Blick auf sie abschnitt, tat es das schwindende Licht.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (30.08.2012 um 08:51 Uhr)

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    Grauben

    Es dauerte zwei Tage, bis Gero Gelegenheit hatte, ohne Zuhörer mit Marik zu sprechen. Aber fast so lange brauchte er auch, um seine Stiefel, das Lederwams, die Lederhose, das Kettenhemd und die Stiefel zu säubern und wieder zum Glänzen zu bringen. Kerem schloss sich ihm öfter an, vorausgesetzt, sie bewegten sich nicht in der Nähe der Sklavenhändler, und letzteres machte ihn Gero sympatisch.

    Kerem berichtete, es habe ein Fort an der Mündung des Flusses gegeben, wohin auch die Graubener Männer zur Verteidigung entsandten. Es wurde während der Invasion angegriffen, von See und von Land, und mit Magie. Und dann waren zum Glück für die Verteidiger eine Anzahl Schwarzmagier und Sklavenlagerwachen gekommen, und hatten bei der Verteidigung geholfen, unter großen Verlusten, auch für sie. Zwei Schiffe der Angreifer und das Fort waren dabei abgebrannt, und die Angreifer zogen ab, da ihre restlichen Schiffe einen zu hohen Tiefgang für den Fluss hatten.
    Die Verteidiger hatten sich mit ihren Verwundeten nach Grauben zurückgezogen, und ein paar Tage machte niemand einen Unterschied zwischen Graubenern und den Sklavenlagerwachen.
    Die meisten waren danach ins Landesinnere marschiert, Orks jagen, wie sie sagten. Und das Bündnis mit ihnen und den Graubenern bröckelte bald, denn sie zahlten nicht für das, was sie verbrauchten, und es verschwanden Leute, die mit ihnen unterwegs gewesen waren, so auch der Sohn eines bekannten Händlers. „Hast du ihn gekannt?“ fragte Gero. „Nicht wirklich, er war so ein Arsch von einem reichen Sonnenscheinchen. Aber es kann auch nicht sein, dass sie Leute verschwinden lassen. Dafür haben wir das Land nicht verteidigt.“ „Sie haben schon vorher Leute entführt.“ Gero erzählte von Mineti und Jaru. „Ich weiß. Deshalb habe ich dich herausgefordert, damals, vor der Ernte. Ich dachte, du bist einer von ihnen.“

    Gero hatte die drei Schnitterinnen in der Klause nicht gesehen, und er kannte ihre Geschichte nicht. So blieb dieser Teil Kerems Erzählung ohne Berichtigung.

    Gero war wie die anderen zu Nachtwachen eingeteilt, und es war in seiner zweiten Nacht in Grauben, dass Marik die Posten abging und eine Weile bei ihm stehen blieb, am Wehr bei der Mühle, wo man ein gesprochenes Wort keine fünf Schritte weit hörte.
    Gero erzählte vom Fall der Stadt und von Iregs Tod, der Marik tief bewegte. Als er zu Jarus Fund des Orkjungen kam und zu der Nachricht, dass die Orkwald-Leute jetzt in der Mine waren, atmete Marik tief aus. Es klang fast erleichtert.

    „Es muss dein Freund Jaru gewesen sein, den meine Leute gesehen haben. Ich erzähle dir jetzt was über mich, aber ich will, dass das unter uns bleibt. Ich bin aus Myrtana hierher gekommen. Das Land war in untauglichen Hierarchien erstarrt, es gab nichts, was mich Bauernknecht dazu gebracht hätte, die alte Ordnung zu verteidigen. Und so wurde ich Orksöldner, aber dann musste ich fliehen, als die Königstreuen Teile des Landes zurückeroberten. Ireg hat das gewusst.
    Die Orks von Nordmar und Myrtana sind kriegerisch, stolz, unabhängig. Sie schätzen die persönliche Kraft und Wildheit eines Kriegers über alles, fast sogar über den Zusammenhalt des Verbandes, und sie sind bis zur Unverschämtheit gerade heraus und ehrlich. Deshalb konnte ich gut mit ihnen zusammenarbeiten, wenn du dir einmal ihren Respekt erkämpft hast, lassen sie dich in Ruhe und akzeptieren dich. Und ich habe gut verdient bei ihnen.
    Aber die Orks dieser Insel sind anders. Sie hören auf den Wald, und sie arbeiten perfekt im Team. Das ist ein Grund, warum sie als Sklaven so begehrt sind. In Freiheit knüpfen sie kunstvolle Hängebrücken innerhalb einer Stunde, und im Süden jagen sie Wale mit ihren Galeeren. Ich habe Ireg immer davor gewarnt, was passiert, wenn diese zwei Orkstämme sich treffen und voneinander lernen.
    Deshalb war ich einverstanden, die Sklavenhändler zu unterstützen, als sie zu einer Strafexpedition aufbrechen wollten, nachdem das Dorf im Orkwald abgebrannt worden war. Obwohl es mich misstrauisch machte, dass mich die Sklavenhändler darauf ansprachen, und nicht die Orkwald-Leute. Von dem entführten Orkjungen wusste ich nichts. So sandten wir einen Trupp unserer Bogenschützen mit den Sklavenhändlern ins Landesinnere. Ombhau´ hat ihn befehligt, einer meiner besten Leute, ich werde ihn Dir vorstellen.
    Nun, sie trafen sich mit neun Schwarzmagiern und spürten die Orks auf. Und es war ein myrtanischer Orkschamane bei ihnen. Sie umzingelten sie in einem engen Tal, aber dann geschah etwas Seltsames. Ein junger Mann in unserer Uniform griff in den Kampf ein, und zwar auf Seiten der Orks, und er hatte ein Orkjunges dabei.

    Ombhau´ wollte nicht auf einen unserer Leute schießen, und zog seine Bogenschützen ab. Darüber kam es zwischen ihm und den Sklavenhändlern zum Streit. Zum Glück hatten sich die Schwarzmagier zu dem Zeitpunkt schon irgendwohin teleportiert. Aber seitdem ist das Bündnis brüchig, und wir umschleichen einander mit Misstrauen auf beiden Seiten. Problematisch ist, dass sie die meisten unserer Befestigungen jetzt kennen. Umgekehrt haben sich manche ihrer Männer auch von ihrem Gewerbe abgewandt, als sie andere Perspektiven angeboten bekamen. Ich hoffe darauf, dass wir von ihnen einiges erfahren – vielleicht nicht sofort. Die Situation ist also schwierig, deshalb würde ich Deine Rolle bei der Befreiung der Mine gerne nicht an die große Glocke hängen.“

    „Kerem hat mich mit den Sklavenhändlern gesehen, und er weiß, dass Du mich damals bei dem Kampf hier hast gewinnen lassen. Ich musste es ihm erzählen, damit sie mir aus dem Graben halfen. Und er weiß inzwischen von Jaru und Mineti.“
    „Ich werde mit ihm sprechen. Er ist nicht redselig, und er lernt schnell.“

    Sie sprachen noch eine Weile über den Zustand an der Küste. „Niemand kennt die Signale dort, und sie haben mir nicht geglaubt, weil ich nicht spreche, wie sie.“
    „Das ist ein Problem, viele unserer Leute sind dort gefallen, wo es nur wenige von ihnen gab.“

    Dann fragte Marik Gero noch nach Nela. Gero berichtete davon, dass sie jetzt die Robe der Feuermagier trug. „Ich habe das aus ihrem Brief geschlossen, konnte es aber nicht so richtig glauben. Hast Du sie einen Zauber anwenden sehen?“ „Nein. Aber sie hat sich für Magie interessiert, seit wir damals mit Hilfe von Magie fliehen konnten.“
    Marik sah zu Boden. „Ich hätte sie fragen sollen, ob sie meine Frau werden will. Aber ihre Gegenwart war mir immer selbstverständlich, ich hätte nie gedacht, dass sie einfach geht.“
    Gero schwieg. Er akzeptierte Marik, und seine Trauer bewegte ihn. Doch er erinnerte sich an Nela, wie sie mit ihm gesprochen hatte, als er in Marlans Klause lag, und er wusste, sie war dort am richtigen Ort.

    Gothic Girlie
    Geändert von Gothic Girlie (21.08.2012 um 23:05 Uhr)

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