Für mich fühlte sich „Shining“ unter anderem wie eine fast schon hohnlachende, brutal ehrliche Fortführung von Andrei Tarkowskis „Solaris“ (1972) an. Solaris, ein Sci-Fi-Film, der – obwohl ich ihn für, überspitzt gesagt, beinahe albern halte – aufgrund seiner Machart ohne Zweifel auch 10/10-Punkte verdienen würde, wird meist, auch von mir als Antwort Tarkowskis auf Kubricks 2001 gesehen. Eigentlich unzulässig kurz gesagt sieht man am Ende (Achtung Spoiler) eine Insel, die alleine nach die Wünsche bzw. Gedanken des Protagonisten erzeugt wird.
Dieses Konzept, formal und inhaltlich vereint, steckt für mich durch und durch in Shining, am deutlichsten äußert sich dies in den jeweiligen „Visionen“:
Danny: Danny, der bisher niemand zum spielen hatte (4:25) und der alles über Kannibalismus weiß, da er es aus dem Fernsehen kennt (11:35) wird mit Bildern von Geschwistern konfrontiert, die ihn zum Spielen „für immer“ auffordern und währenddessen getötet zu sehen sind.Somit wird auch klar, dass die gesehen Zwillingsschwestern kein „Fehler“ sind und mitnichten die zwei Schwestern (8 bzw. 10 Jahre), die am Anfang erwähnt werden, sein müssen.
Wendy: Die „confirmed ghost story and horror film addict “ (8:20) begegnet dem “It’s a great party”-Sprecher, die Szene sexuell einseitiger Befriedigung (die irgendwie zufällig und verfremdet aus dem Buch übernommen worden zu sein scheint) scheint gut zu ihrer Beziehung zu Jack zu passen.
Jack: Der Alkoholiker trifft Partygäste, einen Barmann und einem Kellner, der so aussieht wie der „Grady“, den er in der Zeitung gesehen hat. Ein unbeabsichtigter Namensfehler bezüglich des am Anfang erwähnten „Charles Grady“ liegt hier – dafür lege ich meine Hand in alle Feuer der Welt - nicht vor, wie es ja auch schon die Charaktere sagen: „What do they Call you around here?” “Grady, sir. Delbert Grady.” “Grady?“ „Yes sir.“ „Delbert Grady.“ „That’s right sir“
Spätestens hier wird deutlich, dass Shining aus verschiedenen, präzise konstruierten Perspektiven erzählt wird, die wir nicht für bare Münze nehmen können. Die Erzählperspektiven übertragen sich auch auf die Form des Filmes, Danny ist z.B. überwiegend in langen Kamerafahrten zu sehen, Jack ist Beteiligter an langen Dialogen während Wendy beinahe unsichtbar verschwindet, konfrontiert wird und nicht reagiert, von der Kamera nur wenig Beachtung findet. Bemerkenswert auch, dass die eindringliche und kryptische Szene, die zu einer Art Aushängeschild für den Film (auch im Originaltrailer) geworden ist, nämlich der Aufzug, der sich öffnet, Blut freilässt, kurz stoppt und sich anschließend weiter öffnet, während Blut herausströmt, von Danny und Wendy gesehen wird, nicht jedoch von Jack. Dessen Wahrnehmungen finden vor Spiegeln (Kellner, Barmann) statt.
Wenn man also annimmt, dass die Erscheinungen keineswegs echt sind – an einer Stelle des Filmes, als man Jack aus einer offensichtlich „unsichtbaren“ Flasche trinken sieht, wird dies noch einmal explizit deutlich – muss man natürlich anfangen zu fragen: Was hat sich tatsächlich ereignet? Was war „real“?
Eine – von mir noch nicht erwähnte Vision – scheinen sich wiederum Danny und Jack und sogar Dick Hallorann zu teilen (man beachte die nicht weniger als brillante Schachtelung verschiedener „Visionsebenen“ an dieser Stelle), auch sie scheint durch mehrmaliges auftauchen eine Schlüsselstelle zu spielen: Das Geschehen in Zimmer 237, dass wir zu Beginn der Szene nicht einmal eindeutig einer Person zuordnen können: War sie real? Ich behaupte: Nein, denn der Film fordert uns sogar explizit dazu auf, sie zu hinterfragen: Jack erzählt Wendy, er habe in Zimmer 237 nichts gefunden. Er könnte lügen, wir könnten die Szene aber auch als Dannys Sicht betrachten. Welche andere Erklärung könnte es geben, fragt uns der Film. Nun, ich denke manchmal ist die trivialste Lösung nicht unbedingt die schlechteste, wenn auch nicht die einzigste: Jack hat Danny misshandelt.
Und unter dieser Annahme scheinen gleich zwei weitere Puzzelsteine zu passen: Wir erfahren zweimal das Jack Danny schon einmal misshandelt hat, allerdings stimmen dabei die Zeitangeben nicht überein. Und: Kurz vor Zimmer 237 hat Jack kein Geld im Geldbeutel, nachdem er herauskommt ist er wieder gefüllt. Was uns auch gleich ein Motiv beschert: Danny hat das Geld gestohlen.
Bevor Danny ins Zimmer ging kam übrigens etwas auf ihn zugerollt: Ein Tennisball. Und wer spielt mit diesem: Genau, Jack. Und was spielte Danny zu diesem Zeitpunkt: Autounfall – was ihn wieder mit Dick Hallorann verbindet. Spätestens hier muss ich einräumen, dass der Film zu komplex ist, um ihm in Worten gerecht zu werden: Er ist nicht wirklich reduzierbar, ohne entscheidendes auszulassen, ich habe mich schon jetzt hemmungslos im Labyrinth verlaufen: Deshalb werde ich jetzt noch einige meiner Gedanken in Stichpunkten schildern, das Projekt, Shining auf den Punkt zu bringen, muss ich allerdings schon jetzt verloren geben: Wenn ich alle Assoziationen, die mein Hirn mir hier zu diesem Film liefert, aufschreiben würde, wäre ich wohl Monate beschäftigt und würde immer noch zu kurz greifen.
Wir sehen die „Wahrheit“ im Film aus verschiedenen, subjektiven Augen. Wie wir auch wir in unserer heutigen, komplexen Welt keine Chance haben, zu wissen was richtig und falsch ist. Es gibt immer ein rechts und links, schier unendlich viele Lösungsvorschläge zu unendlich vielen Problemen, die alle behaupten, dass sie richtig sind. Wir können uns nicht unserer Wahrnehmung sicher sein. Dies macht uns Angst, wir müssen es verdrängen, um konstruktiv zu bleiben. Man beachte Wendy, die wegsieht, wegläuft, sich nicht schützend von Danny stellt: Sie ist nur zu groß, um durchs Fenster zu passen, nicht opferbereit.
Für mich ist „Shining“ eine perfekte und die schlussendlich konsequenteste Darstellung dieses menschlichen Albtraums der Unmöglichkeit der Bestimmung der Wahrheit, das untrennbar mit unserem Bewusstsein einhergeht: Die Erzählung kennt keine objektive Wahrheit, die Wahrnehmung (die Bilder, die wir sehen) ebenso nicht, selbst die Kulisse wird zu einem Labyrinth aus Labyrinthen (man denke an den Zoom), es gibt nicht nur mindestens zwei verschiedene Labyrinthe vor dem Hotel, sondern sogar das Hotel selber wird zu einem Labyrinth mit sich stetig verändernden Lokalitäten, währenddessen uns ständig höhnisch die „Exit“-Schilder anlachen. Dies überträgt sich auf praktisch alle nur denkbaren Aspekte, sogar die Bildgestaltung kennt mit ihren ständigen Spiegeln kein oben und unten, rechts oder links. Ja, sogar der Zeitbegriff löst sich komplett auf.
Im Gegensatz zu "konventionellem" Horror, der die instinktiven Ängste des (unaufgeklärten) Menschen anspricht, der Angst vor bösen Mächten bzw. Bedrohung der persönlichen Unversehrtheit, geht Shining wesentlich weiter, ohne dies im ersten Moment offensichtlich werden zu lassen: Er ist Horror für unser Bewusstsein und steht damit - man muss sich das einmal vorstellen - 30 Jahre nach erscheinen praktisch im Horrorgenre alleine. Kein Wunder, dass man beim sehen von Shining die Genialität und den Horror zwar fühlt und sie unbewusst mit sich trägt (weiteres dazu im letzten Abschnitt meines Reviews, das kulturelle "Grundbrummen" spricht Bände), aber sie nicht wirklich fassen kann, da einem ganz einfach die Maßstäbe, die Konventionen dazu fehlen, so revolutionär ist dieser Film meiner Ansicht nach immer noch, bis heute. Ja, es gibt z.B. Lynch, aber dessen Filme sind etwas anders, auch wenn sie gewisse Schnittmengen aufweisen. (Mehr Mysteryhorror als Horror um es mal zu vereinfachen)
Filme mit dieser Thematik gab es schon lange vor Shining, ich sage nur Rashomon (Kurosawa). Aber bei Shining ist diese – so empfinde ich es – nicht nur in der Handlung, sondern in allen Bereichen, Elementen und Aspekten des Filmes umgesetzt: Er verschmilzt völlig, wird zu einem Werk, zur puren Audiovision, deren Tonspur sich nicht von den Bildern trennen lässt, die sich nicht in Worten ausdrücken lässt, sondern immer ein Stück mehr ist. Er ermöglicht es – wie auch „2001“, „Barry Lyndon“ und die meisten anderen Kubrick-Filme – auf einer Ebene zu denken, die mit Worten nicht erreichbar ist, er hebt diese Limitierung auf. Er „erweitert“ das Bewusstsein. Oder wie Spielberg einmal über 2001 (sinngemäß) sagte: Leute nahmen Drogen und sahen den Film, für mich war der Film die Droge. Dito.