Portal-Zone Gothic-Zone Gothic II-Zone Gothic 3-Zone Gothic 4-Zone Modifikationen-Zone Download-Zone Foren-Zone RPG-Zone Almanach-Zone Spirit of Gothic

 

Seite 3 von 21 « Erste 12345671014 ... Letzte »
Ergebnis 41 bis 60 von 401
  1. Homepage besuchen Beiträge anzeigen #41
    Mythos Avatar von Ferox
    Registriert seit
    Jan 2004
    Ort
    Im Herzen des Feuers
    Beiträge
    8.014
     
    Ferox ist offline
    Der Weg zog sich bis in den frühen Abend hinein. Wie ein rotes Band verschleierte das vergehende Sonnelicht den wolkenlosen Himmel, auf dessen Horizont sie zuliefen. Ein gleißender Dorn ragte aus dem weiten Feld, das sie beschritten. Es war der Turm des Windmagiers. Wenigstens glaubte Ferox das, denn sein Begleiter konnte es ihm nicht sagen. Pferde sprachen eben nicht. Aber immerhin vermochte Götterfunken, ihm ein Gefühl zu vermitteln, das seinen Glauben bestärkte. Er schwieg. Auch sein Kopf schwieg. Da war keine innere Stimme, die ihn kommentierte oder ihm zweifelhafte Gesellschaft bot. Seine einzigen Gefährten waren das neben ihm trottende Pferd und sein Schwert. Ab und an streifte er mit den Fingern der Linken über den Griff; nicht um zu sehen, ob es noch da war. Einfach deswegen, weil es ihm ein eigenartiges Gefühl innerer Ruhe vermittelte. Jeden Kampf würde er damit bestreiten, mit seinem Schwert. Allerdings sollte Ferox häufiger die Übungen durchführen, die er sich aufgetragen hatte. Sonst würde das nichts mit einem neuen Kampfstil. Alte Muster, bewährt aber verdorrt, konnten ihm bald nicht mehr helfen. Weder gegen neue noch alte Feinde. Und im ewigen Kampf um den Einklang mit sich selbst und den Göttern, konnten alte Denkweisen nur schaden.
    „Darf ich dich Funke nennen?“ Ferox drehte den Kopf. Das Pferd schien ihn von der Seite anzublicken. Es machte ein bisher ungehörtes Geräusch, das eine Mischung aus verschiedenen anderen gewesen sein konnte. Ferox hatte gar nicht über den Namen nachgedacht, geschweige denn darüber, seine Verwendung zu erfragen. Zwar konnte er die Antwort nicht deuten, doch schien nichts Ablehnendes darin zu klingen.
    Er stellte sich im Geiste bereits auf diesen Namen ein, wollte gerade einen Gedankengang beginnen, da schloss von Hinten ein Mann zu ihnen auf und grüßte in freudigem Ton den Paladin. Dieser drehte sich um und fand seinen Blick mit dem eines vermissten Gefährten gekreuzt.
    „Kuratis!“ Seine unverhohlene Freude in Worten und Augen steckten den Magier wie das Pferd an. Beide trugen eine ähnliche Stimmung in die einbrechende Nacht. Sie verlieh dem Streiter Glauben und Kraft, erhellte gar sein finsteres Gemüt. „Verzeih, dass ich nicht da war.“ Der Heiler hob beschwichtigend die Hand. „Das ist Götterfunken.“, stellte er vor. Kuratis senkte sein Haupt vor dem Kopf des Tieres zur Begrüßung. Funke tat es ihm gleich. Dann tauschten sie ihre Geschichten aus und alle wichtigen Informationen, die sich hinter ihnen verbargen.
    Kuratis war es nicht gelungen, den Magier der Winde aufzusuchen. Er wollte ihn nicht empfangen. Ein Diener, der den Eindruck eines Dämons bei ihm erweckte, hatte ihn abgewiesen, woraufhin er die Stadt der Wassermagier aufgesucht hat. Dort berichteten ihm seine Ordensbrüder vom Krieg und wie sie herausgefunden haben, dass ihn der Magier zu verschulden hätte und dass er kein Magier, sondern ein Dämon sei, der die Länder der Wasser- und Feuermagier unterwerfen will. Er hat beiden Städten Heiligtümer gestohlen und sie den Bauern untergeschoben, wodurch der aktive Krieg ausgebrochen ist. Irgendwann haben sich die Wassermagier dem Geschehen abgewandt, um den Winddämon zu erforschen und einen Weg, ihn in seine Sphäre zurückzusenden.
    „Und?“
    „Es ist fast unmöglich. Er ist nicht mit Magie zu bannen, sondern nur durch eine Klinge.“, erwiderte der Magier etwas resigniert. „Ein lange verschollenes Schwert, der Nebelspalter, ist das einzige Mittel gegen ihn.“
    Hatte der Streiter gerade das Richtige gedacht? Es war doch nicht möglich, dass er diese Klinge gefunden hatte, durch einen Zufall.
    „Bringen die Wassermagier uns nach Myrtana, wenn der Dämon verschwindet?“
    Kuratis nickte.
    „Dann auf zum Turm.“, triumphierte der Paladin und zog sein Schwert. Verwirrung sprach aus Kuratis’ Augen. Doch er folgte Ferox, ebenso wie Götterfunken, der sich keinen Zweifel anmerken ließ. Zweifelten Pferde überhaupt? Es war seltsam mit diesem Tier. Ferox fragte sich, ob alle Pferde so wären, während sie - wie so oft schweigend - in die Nacht hinein schritten. Ihr Ziel war der weiße Turm, der immer näher kam.
    Das Schwert lag wachend in des Streiters Hand.

  2. Homepage besuchen Beiträge anzeigen #42
    Mythos Avatar von Ferox
    Registriert seit
    Jan 2004
    Ort
    Im Herzen des Feuers
    Beiträge
    8.014
     
    Ferox ist offline
    Sie überwältigten den Wachdämon, indem Kuratis ihn in einen Eisblock verwandelte. - Dem Paladin war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, dass Wassermagier solche Kräfte besaßen. - Ferox hatte mit seinem Schwert und einer Anleitung des Magiers, wo man den Dämon treffen musste, ein leichtes Spiel mit dem Nebelspalter. Mühelos ließ sich die Waffe durch die Luft schwingen. Es wirkte fast so, als bekäme sie ihren eigenen Willen, als kämpfte sie von sich aus gegen die windige Kreatur, die sich ihr in den Weg stellte. Hoffentlich verhielt sie sich bei dem Magierdämon nicht anders.
    Mit dem Verschwinden hatte der Wächter einen Weg freigegeben, mitten in der Mauer. Ein Teil von ihr verwandelte sich einfach in Nebel, dann in fliehende Luftströme, bis schließlich nichts mehr den Weg versperrte. Sie eilten die Treppen hinauf.
    Je höher sie kamen, desto stärker wurde der Wind, der den Beiden entgegen wirkte. Wie zum Schutz hielt Ferox die Klinge vor seinen Kopf. Und obwohl er nicht an irgendeine Wirkung dessen glaubte, schien doch eine zu existieren. Es war, als ob sich der Luftstrom an der Schneide brach, sich um den Krieger vorbei schlich. Aber das konnte nicht sein. Unbeirrt rannte er weiter, bis sie eine Plattform erreichten, blendendweiß wie der ganze Turm. Ferox hob Einhalt gebietend die linke Hand. Langsamer ging er voran. Er wusste nicht wieso, aber etwas zog ihn durch den Raum, durch ein Portal in den nächsten und wieder in den nächsten.
    Plötzlich verebbten alle Winde für einen Moment, um für einen weitaus stärkeren Platz zu machen, der kurz darauf an Ferox vorbei zischte und ihm fast das Gleichgewicht nahm. Er schien sich vor ihm zu materialisieren. Verunsichert sah der Streiter diesem Schauspiel zu, da bemerkte er, dass die treibende Kraft erloschen war. Der Windmagier, zischte etwas in seinen Ohren. Hektisch sah er zu allen Seiten. Nichts. Einzig das vor ihm entstehende Ungetüm aus Luft und Nebel… aus irgendeinem Grund erhob er das Schwert und führte einen harten, zweihändigen Schlag gegen die Winde aus. Zu seinem Erstaunen glitt die Klinge nicht hindurch. Sie traf hart und führte zum nächsten Schlag aus.
    So ging es weiter und weiter. Irgendwann kam ein zweites Schwert hinzu, dass sich dem Nebelspalter entgegen setzte, dann ein drittes. Ferox verlor sich in dem Kampf, ohne sich überhaupt daran beteiligt zu fühlen. War er es selbst, der da kämpfte? Seine Gedanken überschlugen sich, bis sie irgendwann abrissen.
    Dann lag er da, Kuratis beugte sich über das Gesicht des Streiters. „Ferox? Ferox! Bei Adanos, wir müssen hier raus. Der Turm bricht zusammen.“
    Er hörte nur die Worte und sprang auf. Ohne über sie nachgedacht zu haben, eilte er zurück durch die Räume, die Treppen hinunter, bis sie wieder unten waren. Den Nebelspalter hielt er weiterhin fest in der Hand. In dem Moment, als sie schon einige hundert Schritte weit vom Turm entfernt Götterfunken erreichten und sich dem weißen Dorn zuwandten, begann sein endgültiger Zusammenbruch. Gerade in dem Moment, als Ferox sein Schwert in den Waffengurt steckte
    „Geschafft.“, hauchte Kuratis ehrfurchtsvoll.
    Der Rest des Tages verlief ziemlich schnell. Zusammen mit Götterfunken und Kuratis gelangte Ferox in die Stadt der Wassermagier. Sie waren erfreut und berichteten, dass bereits Boten zu den Feuermagiern entsandt worden waren. Der Krieg wäre bald vorbei.
    Doch Ferox interessierte in dieser Stunde nur eines: „Ich möchte nach Myrtana zurück.“
    Den Wassermagiern schien dies nichts auszumachen. Schnell war ein Schiff für sie aufgetrieben. Das heißt: Für Götterfunken und Ferox. Kuratis gedachte, die Stadt vorerst nicht zu verlassen, um seine Brüder zu unterstützen. Ein kurzer Abschied genügte den beiden Männern, dann trennten sie sich. Das Schiff legte ab, überbrückte das Ende des Flusses reibungslos und segelte ins offene Meer hinaus, gen Horizont, gen Vengard.
    Hoffentlich war der Navigator kein Laie.

  3. Beiträge anzeigen #43
    Held Avatar von Dansard
    Registriert seit
    Feb 2006
    Beiträge
    5.849
     
    Dansard ist offline
    Das Klirren von Metall drang in Dansards Ohren. Er stöhnte kaum hörbar und versuchte, die Augen zu öffnen, als er einen pochenden Schmerz am Hinterkopf wahrnahm. Mit sichtbarer Anstrengung griff er an seinen Hinterkopf. Blut floss an seinem Haar herunter. Alles um ihn herum kreiste zunächst und das Bild, was er sah, zog ständig nach, wenn er seinen Kopf bewegte, sodass die Flammen der Fackeln zu langen, hellen Linien wurden. Nach einer Weile, die von misslungenen Versuchen, sich zu konzentrieren, erfüllt wurde, sammelten sich die schwammigen Konturen schließlich und die Gegenstände bekamen die gewohnten Umrisse wieder. Er erkannte nun, woher das Klirren kam. Etwa in der Mitte des Raumes, also ungefähr zwanzig Schritt von der Wand entfernt, an der Dansard lag, tobte ein Kampf. Der Priester hatte ein Schwert in der Hand, einen Zweihänder sogar. Der verletzte Jäger konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, woher er es hatte. Der einzig mögliche Weg wäre seine Magie, welche in diesen Kavernen keine Grenzen zu kennen schien. Sie war es vermutlich auch, die den alten Mann dermaßen behände und kräftig mit der Waffe kämpfen ließ. Es sah ziemlich widersprüchlich aus, wenn man einen alten, zerbrechlichen Mann, der sonst kaum sein eigenes Gewicht tragen konnte, beim Kämpfen mit einer solch riesigen Waffe beobachtete. Navarro, der ihm mit seiner eigenen Waffe gegenüber stand, wirkte nicht nur überrumpelt, sondern auch zutiefst verwundert. Der Priester jedoch, der mit dem Rücken zu Dansard stand und sämtliche Angriffe seines Gegners mühelos abwehrte und gelegentlich auch mit unangenehmen Folgen konterte, wirkte lässig, nicht zuletzt durch die Sprüche, mit welchen er sich über Navarros Kampfkunst lustigmachte. Er genoss den Kampf.
    „Merkst du es jetzt, Ungläubiger?“, höhnte er, als er mit einer gefährlichen Riposte Navarros Wade aufschlitzte. „Nicht mal in deiner eigenen Disziplin kommst du gegen mich, einen Sohn Rhamutras an. Und bald, das verspreche ich dir, beginnt die Hölle für dich erst. Rhamutra wird sich deiner persönlich annehmen, bevor er die gesamte Welt der gottlosen Sünder knechtet und sich als einziger Gott wirklich offenbart! Mir tut es fast Leid, dass ich diesen Tölpel dort hinten getötet habe, Rhamutra hätte sich an zwei Opfern sicherlich noch mehr erfreuen können.“
    Dansards Blick fiel auf Navarro. Der Schatzjäger atmete schwer. Er blutete aus vielen Wunden an Armen, Beinen und Bauch. Der Alte schien ihn wirklich nur quälen zu wollen.
    Dansard atmete schwer auf. Navarro würde nicht lange durchhalten. Und wenn das Gerede von Rhamutras Erweckung wirklich wahr sein sollte, dann musste er schnell etwas unternehmen. Allein schon Grimward war er es schuldig.
    Den Schmerz in seinem Kopf und dem verletzten Oberschenkel ignorierend erhob sich Dansard schwerfällig auf die Beine. Er wäre beinahe wieder umgekippt, fand aber Halt an der Wand. Er atmete erneut einige Sekunden durch und sah wieder zu den Kämpfenden hinüber. Navarro hatte ihn gesehen, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Auch er wusste, dass Dansard seine einzige Hoffnung war, mit dem Leben davonzukommen.
    Dansard stieß sich von der Wand ab, ging vielleicht zwei oder drei Schritt weiter und griff nach dem Bogen an seinem Rücken. Er holte die Waffe hervor und zog sogleich einen Pfeil aus seinem Köcher. Diesen legte der behutsam auf die Sehne und begann den Bogen zu spannen. Er hatte die Sehne bis zur Wange zurückgezogen, als er die Augen für einige Augenblicke schloss und vor seinem geistigen Auge die gesamte Reise noch einmal ablief. Das Treffen mit Grimward, Harleks Tod, das Verschwinden Grimwards ins Ungewisse. Der Schütze öffnete die Augen und zielte mit sicherem Blick. Er wartete, bis Navarro mal wieder einen erfolglosen Angriff ausführte und zurückwich, während der Priester ihm wieder Vorträge über Rhamutra hielt, dann ließ er die Sehne peitschen. Der Pfeil sirrte in einer nahezu gerader Bahn auf sein Ziel zu und fand es in Hinterkopf des Alten. Das weiße Haar färbte sich in ein dunkles Rot und der Priester verstummte mitten im Satz. Er ließ das Schwert fallen, das jedoch nicht den Boden erreichte, sondern in der Luft in tausende von Splittern zerbarst und verpuffte. Er selber kippte rücklings um und blieb mit starrem, schmerzverzerrtem Gesicht liegen, während seine leuchtend blaue Augen sichtlich an Farbe verloren und sich in ein helles Grau verwandelten.
    Dansard seufzte erleichtert und humpelte zu Navarro heran, der ebenso erleichtert aufatmete. Der Landstreicher war kurz davor, dem Schatzjäger die Hand zu geben, als sich der Körper des Priesters plötzlich in weißes Licht hüllte und sich – weiterhin die waagerechte Position behaltend – in die Luft erhob. Ein unmenschlicher Schrei drang aus dessen Kehle. Er war unglaublich tief und ließ sich beim genauen Hinhören als 'Rhamutra' definieren. Glücklicherweise reagierte Navarro schnell. Er rannte auf den schwebenden Kadaver zu, packte sein Schwert mit beiden Händen und trennte im blitzenden Halbkreis den Kopf ab, welcher zusammen mit dem Körper auf den Boden fiel. Im gleichen Moment ertönte das unmenschliche Kreischen erneut, diesmal begleitet von heftigem Beben der Erde.

  4. Beiträge anzeigen #44
    Held Avatar von Dansard
    Registriert seit
    Feb 2006
    Beiträge
    5.849
     
    Dansard ist offline
    Das Beben wurde immer stärker. Das Gestein um sie herum begann zu bröckeln. Panik stieg in Dansard auf.
    „Weg hier!“, schrie er zu Navarro hinüber. Im selben Moment löste sich ein riesiges Stück Fels von der Decke und krachte nur wenige Meter von Dansard entfernt auf den Steinboden. Der Lärm war nicht zu ertragen und der Landstreicher suchte verzweifelt nach einem Ausweg, doch sie waren gefangen. Lediglich die Tür, aus welcher der Priester gekommen war, stand noch offen, doch sie führte höchstwahrscheinlich nur noch tiefer in den Berg und würde sein Schicksal nur noch besiegeln.
    „Nein!“, schrie Navarro zurück und Dansard musste einen Moment lang überlegen, um sich zu erinnern, worauf der Schatzjäger eigentlich antwortete. „Ich gehe nicht mit leeren Händen!“ fügte er hinzu und rannte los. Fassungslos sah Dansard ihm hinterher. Er überquerte den ganzen Raum und schlüpfte durch die schmale Türöffnung, welche kurz danach von einem Felsen, verbarrikadiert wurde. Nahezu gleichzeitig, stürzte auf der gegenüberliegenden Seite der Höhle – nahe der Tür, hinter welcher Grimward vor einigen Minuten eingeschlossen wurde – ein noch größerer Brocken von der Decke herunter und gab den Weg für einen schmalen Lichtkegel frei. Als dieser auf den Boden auftraf, zersprang er in mehrere Teile und löste ein noch stärkeres Beben aus als das zuvor. Langsam begann die ganze Wand zu vibrieren und drohte in sich zusammenzufallen. Erschrocken stolperte Dansard einige Schritte rückwärts, als er wieder das unmenschliche Kreischen wahrnahm, das diesmal noch lauter erschien und das Krachen der Felsen restlos übertönte.
    Als hätte diese Schallwelle die Entscheidung herbeigebracht, fielen die ersten Felsensplitter aus der Wand heraus. Es entstanden regelrechte Löcher in der Felswand und es trennten sich immer größere Brocken davon ab, welche größtenteils im Raum dahinter landeten und nicht in jenem, in der Dansard war. Als sich diese Grenze zwischen den beiden Gewölben fast vollständig aufgelöst war, setzte sich der Landstreicher endlich in Bewegung. Sein verletzter Oberschenkel schmerzte höllisch, aber sein Überlebenswille war bei weitem stärker und trug ihm zunächst durch den ovalen Raum, um ihm dann die Kraft zu geben, den Steinhaufen zu erklimmen, um dahinter den Ausweg zu suchen. Der Raum, in welchem Grimward verschwunden war, war um einiges kleiner, als das ovale Gewölbe, aus welchem Dansard zu flüchten versuchte. Es schien rechts und links zwei Flügel zu haben, welche aber nun von Stein und Gerümpel verbarrikadiert waren und somit unzugänglich. Was Dansard dagegen erfreute war der Gang, welcher der Eingangstür gegenüber lag. Er ließ ihn neue Hoffnung schöpfen. Der Verletzte humpelte auf den Tunnel zu, entkam nur knapp einem herabfallenden Steinbrocken und verschwand in dem dunklen Durchgang. Das schwache Licht, das in den Tunnel drang, erleuchtete diesen nicht annähernd ausreichend, sodass Dansard sich mühsam vorantasten musste. Nach etwa hundert Schritt, fand der Tunnel sein Ende. Er wurde von einem Fels versperrt, welcher glücklicherweise nicht hoch genug war, um die komplette Öffnung zu verdecken, sodass der Blonde gerade noch durch eine Lücke oberhalb aus dem Tunnel entkommen konnte.
    Im Raum dahinter angekommen, durchfloss Adrenalin den ganzen Körper Dansards. Er konnte seinen Augen kaum glauben. Das Gewölbe war nahezu kugelförmig geformt und am gegenüberliegendem Ende war ein riesiger Teil der Wand verschwunden. Er musste eingestürzt sein. Die Bruchteile lagen nun auf dem Boden und bildeten eine Art Treppe, welche von dem Ende des Tunnels bis hin zur Öffnung in der Wand führte, welche von derselben Barriere umgeben war, wie der Eingang in die Höhle. Es war die kaum sichtbare Grenze zwischen der Dimension Rhamutras und der Welt da draußen. Dansard hatte sich voller Vorfreude auf die Freiheit schon an den Abstieg gemacht, als ihm etwas auffiel, was ihn noch mehr bewegte. Nur wenige Meter vor der Barriere, welche das Leben vom sicheren Tod abgrenzte, robbte eine Gestalt auf den Felsen und versuchte mit allen Kräften, dem Ausgang näher zu kommen. Beim näheren Betrachten erkannte Dansard darin die hoch gewachsene, magere Statur Grimwards darin, was ihm nur noch neue Kraft verlieh.
    Eilig humpelte der Blonde die Felsen herunter und erreiche den schwachen Körper seines Freundes bald.
    „Grim!“, er beugte sich über den schwächenden Grimward und rüttelte an seinem Kopf. Nur unklares Röcheln kam aus seinem Mund. Dansard erkannte seine Platzwunde an der rechten Schläfe. Einer der herabstürzenden Felsen musste ihm übel zugesetzt haben.
    „Lass uns hier verschwinden“, sagte Dansard mit zitternder Stimme, legte die Hand Grimwards um seinen Hals und versuchte mühsam, den schwachen Riesen zu stemmen. Mit sehr viel Mühe gelang es ihm, die Beine durchzustrecken und einige Schritte in Richtung Freiheit zu machen, als sich das altbekannte Kreischen erneut meldete. Zunächst versuchte Dansard, es zu ignorieren und machte einige weitere mühevolle Schritte, bis er den Rand des Gewölbes erreichte und durch die Barriere hinuntersehen konnte. Doch dann wurde das Kreischen lauter. Es schien nicht mehr aus den Tiefen des Höhlensystems zu kommen, sondern aus nächster Nähe. Schlimmes ahnend, traute sich Dansard, sich umzudrehen. Er erstarrte. Vor seinen Augen erschien etwas, was er seit Tagen zu leugnen versuchte. Das klaffende Maul, die Hörner, die bestialischen Augen. In lodernde Flammen getaucht stand nun das Biest vor ihnen, in dessen Maul sie beim Betreten dieser Höhle gegangen waren. Das riesige Monster setzte zum Sprung an. Es ging in die Knie und einen Augenblick später flog es durch den Raum, direkt auf die beiden Männer zu.
    Mehr aus Reflex und Angst als beabsichtigt taumelte Dansard bei diesem Anblick zurück. Er stolperte über den Abhang und fiel. Zusammen mit Grimward fiel er durch die Barriere. Während die beiden Männer sich am Rande des Bewusstseins durch die Lüfte stürzten, erreichte das Biest das Fenster im Fels und die wilden Augen blickten hinunter auf die fallenden Flüchtlinge. Ein letztes Kreischen, das vor Wut nahezu platzte, ertönte und der lange, klauenbewehrte Arm der Bestie zuckte nach vorn, durchdrang die Grenze zwischen den Welten und kam in der fremden Dimension an. Die Klauen zuckten herunter, immer auf die fallenden zu. Er begann zunächst zu qualmen, erflammte dann und löste sich dann kurz oberhalb der fallenden Männer, begleitet von einem weiterem ohrenbetäubenden Schrei in Rauch auf und wurde zurück in seine Dimension gebannt.

  5. Beiträge anzeigen #45
    Held Avatar von Dansard
    Registriert seit
    Feb 2006
    Beiträge
    5.849
     
    Dansard ist offline
    Seufzend ließ sich Dansard auf den Boden nieder. Grimward saß ihm gegenüber und lehnte an einem Baum.
    Seit dem, was innerhalb des Berges geschehen war, hatten die beiden noch nicht wirklich miteinander geredet. Sie hatten sich seit der letzten Nacht ein gutes Stück vom Berg Rhamutras entfernt, auch wenn es ihnen nicht leicht gefallen war. Grimward klagte nach seiner Verletzung an der Schläfe über höllische Kopfschmerzen, während Dansard noch immer an der Schusswunde in seinem Oberschenkel litt, die ihm jeden Schritt zu Qual machte.
    „Dan“, meldete sich Grimward zu Wort, nachdem einige Minuten verstrichen und sein Atem wieder zum normalen zustand kam.
    „Hm?“, antwortete Dansard recht knapp, drehte aber nicht einmal den Kopf in seine Richtung. Die Erschöpfung lastete auf ihm wie ein Felsen.
    „Wie... sind wir eigentlich aus dem Berg entkommen? Ich erinnere mich an gar nichts mehr. Nur an das Beben und den schrecklichen Schrei“, fragte der Bogenschütze leise.
    „Grim, das ist eine lange Geschichte... Willst du sie wirklich hören?“, fragte Dansard zurück und verzog sichtlich genervt das Gesicht.
    „Wir haben genug Zeit“, stellte Grimward fest und sah Dansard in die Augen.
    Dansard seufzte unzufrieden. „Na gut.“
    Er begann zu erzählen. Er berichtete möglichst kurz und bündig über alles, was passiert war, nachdem Grimward von ihnen abgeriegelt wurde. Er erzählte von dem Tod des Priesters und der Flucht aus den in sich zusammenstürzenden Gewölben. Grimward hörte aufmerksam zu und nickte gelegentlich bis Dansard der Erzählung ein abruptes und wenig geistreiches Ende setzte. Er war eben nicht zum Poeten geboten.
    Grimward wachte erst einige Sekunden später aus seiner Konzentration auf und blickte Dansard an. „So lang war sie doch gar nicht, deine Geschichte“, bemerkte er gezwungen lächelnd und nahm einen tiefen Atemzug, als hätte ihn die Erzählung erschöpft. Dansard zuckte nur stumm die Achseln.
    „Was war eigentlich mit dir?“, stellte der Blonde wenig später seinem Gegenüber dieselbe Frage, auf welche er gerade antworten musste.
    „Mit mir?“, gab Grimward die Frage mit überraschend hoher Stimme zurück. Er zuckte förmlich zusammen, als er seinen Gefährten die Fragen stellen hörte. Es mochte an Spekulation grenzen, aber irgendwie schien sich der Bogenschütze ertappt zu fühlen.
    „Mit dir“, wiederholte Dansard kurz. „Was geschah mit dir hinter dieser Mauer?“, erläuterte er seine Frage, als selbst nach einigen Sekunden Pause nichts von Grimward kam.
    „Ich...ähm.“ Die Frage schien Grimward in Unbehagen zu versetzen. „Ich war dort eingesperrt. Es war ... dunkel. Ich hörte nur dieses verrückte Geschrei und sonst eigentlich nichts. Dann später begann die Erde zu beben und ich habe den Brocken an den Kopf bekommen... Den Rest kennst du ja.“
    „So, so“, murmelte Dansard misstrauisch. Er kannte Grimward schon lange genug und wusste, dass er kein sonderlich guter Lügner war. Zumindest ihm gegenüber. Er spielte mit dem Gedanken, ihn darauf anzusprechen, verwarf den Einfall aber schneller, als er gekommen war. Er sah sich demonstrativ um. Er machte sich selbst klar, dass er nun mal alleine mit Grimward mitten im gorthanischen Wald war. Wer weiß, wie lange noch? Nachdem er in den letzten Tagen mehr Verrat gesehen hatte, als ihm lieb war, war Dansard überzeugt, dass ein Streit mit Grimward jetzt völlig fehl am Platz wäre. Wer wusste schon, wie er sich hoch schaukeln konnte? Nachher endet ihre Kameradschaft noch so wie die von Navarro und Harlek. Bei dem Gedanken lief es Dansard kalt den Rücken herunter. So was konnte er jetzt nicht riskieren. Nicht jetzt.

  6. Beiträge anzeigen #46
    Held Avatar von Dansard
    Registriert seit
    Feb 2006
    Beiträge
    5.849
     
    Dansard ist offline
    Dansard biss die Zähne zusammen. Wut kochte ihn auf.
    „Gar keine?!“, fragte Grimward neben ihm. Die Frage war an einen kahlgeschorenen Jüngling gerichtet, der von sich behauptete, zur Hafenaufsicht zu gehören, was Dansard ohnehin höchst fraglich erschien und ihn deshalb ärgerte. Was er jetzt auch noch von sich gab, trieb es auf die Spitze.
    „Nein, verdammt! Es kommen keine Schiffe. Es fahren auch keine raus. Keine Kriegsschiffe, keine Handelskoggen, keine Fischer. Kein verdammtes Schiff verlässt diesen Hafen!“ Er klang ein wenig gereizt.
    Dansard war weit mehr als das. Er war wütend, versuchte aber die Wut zu verdrängen, um sie zumindest nicht an dem Kerl auszulassen. Schließlich war es nicht seine Schuld. Glücklicherweise verzog sich der Mann recht schnell, was möglicherweise sein Glück war.
    Nach dem Marsch aus den Bergen immer der Nase nach, hatten die beiden Reisenden schlussendlich von einem Gipfel aus die Stadt erblickt und hatten sich nun auch darin eingefunden. Was sich als schwierig gestaltete, hatten sie gar nicht eingerechnet. Der Schiffsverkehr war weitestgehend lahm gelegt worden. Die einen machten die unruhige See dafür verantwortlich, die anderen die zunehmenden Piratenüberfälle, welche sich vor allem zwischen Gorthar und Khorinis häuften. Weiter von der Insel entfernt, in der Nähe des Festlandes gab es für die Seeräuber offenbar nicht mehr viel zu holen, nachdem neun von zehn Schiffen mit Orks gefüllt waren, die sich auch ohne Waffen wesentlich besser zu wehren vermochten, als die Händler, die um die khorinische Insel pendelten. Alles in allem war es zurzeit nicht einfach, Gorthar hinter sich zu lassen und nach Myrtana zu gelangen. Genau das war der Punkt, der mit Dansards Plänen partout nicht einhergehen wollte.
    Grimward meldete sich zu Wort, nachdem der Kerl von der Hafenaufsicht in den Gassen verschwunden war. „Und nun?“Dansard schwieg. „Bleiben wir jetzt hier oder hast du eine bessere Idee?“
    Dansard schwieg noch immer und kaute nachdenklich an seiner Lippe herum. Er sah sich um. Sein Blick schweifte über das ruhige Wasser, welches in der Abendsonne glitzerte.
    „Als ich das letzte mal hier war, gab es hier eine Menge Fährmänner, die einen von hier aus nach Drakia brachten...“ Seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen und suchten die Küstenlinie ab. „Warst du damals nicht dabei gewesen?“, murmelte er leise. Er wusste nicht, ob Grimward ihn verstanden hatte und erwartete auch keine Antwort. Stattdessen trat er näher ans Hafenbecken und sah hinunter. Niemand war zu sehen. Dann fiel ihm zu seiner Linken – bestimmt mehrere Hundert Schritt entfernt – ein winziges Segelbötchen ins Auge. Es hielt Kurs auf den sandigen Strand abseits des gepflasterten Hafens.
    „Sieh“, sprach Dansard leise. „Das ist unser Fährmann.“
    „Was?“ Grimward war irritiert. „Woher willst du denn wissen, dass er einer ist?“
    „Jetzt ist es einer.“

  7. #47
    Solaufein
    Gast
     
    Für einen kurzen Moment lief sein ganzes Leben an ihm vorbei, jedenfalls die Zeit, seit er seine Heimat verlassen musste. In einer irren Geschwindigkeit kehrten verzerrte Bilder in sein Bewusstsein zurück. Bilder von Hoffnung, Bilder von Glück, Bilder von Schmerz und Bilder von Trauer.
    Seine Pupillen tanzten unkontrolliert, drohten über den Rand zu fallen und hinaus zu kullern. Kalter Schweiß lief aus allen Poren und ein unheimliches Knirschen schien seine Zähne bersten zu lassen.

    »Du?«

    Die Antwort als Frage, nein, als Aussage. Verwirrung wog in jenen Worten, doch war es wirklich echt? Keine gespielte Farce im Spiel des Lebens? Wer führte hier Regie und wer leitete diese Aufführung? Sie drohten sich ewig anzusehen, mit Blicken zu töten, nur noch zu wiederholen, was der eine sagte, doch sie war nicht allein.

    Schon dicht neben ihr, leicht nach vorne versetzt, hatte sich der Türbrecher den Weg in das Haus gebahnt, auch wenn sie sich ewig anzustarren schienen, drängelten unmittelbar danach die anderen an ihr vorbei, hinein in die gute Stube.

    Vermutlich ewig wäre er zur Salzsäure erstarrt gewesen, aber als die Schöne ihr dreckiges, ungepflegtes Gesicht für einen Moment abwendete, ein einziges Mal blinzelte, schlug sein Unterbewusstsein Alarm, öffneten sich die verschlossenen Platten, hörte die melancholische Musik auf zu spielen.

    »Wer is das?«, grummelte es deutlich hörbar, als der Letzte die kaputte Tür wieder anlehnte und sich neben das grazile Wesen beugte, ein anderes, beinahe zahnloses Gesicht sah wie irre zu ihm und kratzte sich das raue Kinn und hinter ihm spiegelte sich ein glänzender Gegenstand im blanken Spiegel des Flurs.

    Der Todgeweihte schloss seine Augen und lächelte aus tiefstem Herzen, was den, der bislang als Einziger was gesagt hatte, kurz die Lippen zu einem O formen und die Stirn runzeln ließ. Man konnte es aus seinem Gesicht lesen, dass ihm das ganz und gar nicht gefiel. Von dem Irren mal abgesehen, der anscheinend gar nicht mehr aufhören konnte zu grinsen.

    »Die Antworten sind ohne Kern so nutzlos wie der Kern ohne Frage.« - »Höh?« - »Nein, Karl, n i c h…t!«
    Die Worte wurden aus den Mündern nur so geschossen, wild und durcheinander, einem brillantem Chaos gleich, jeder plapperte gleichzeitig, wollte seinen Teil dazu beitragen, doch die Worte waren einerseits zu schnell und doch zu langsam.
    Die Schöne wusste genau, was passierte, aber sie war zu langsam gewesen, um diejenigen, die es nicht wussten, zu warnen, so schnell die Worte auch durch den Flur hallten, so spät kamen sie doch, um das Fleisch, das sich längst in Bewegung gesetzt hatte, zu stoppen.

    Als sich die Lider wieder erhoben hatten, war in ihnen das längst erloschene Feuer zurück, doch noch immer regierte die kalte, verzweifelte Wut über seinen Geist, einem Geist, der durch die Anwesenheit der Schönen nur kurz verwirrt war, nun aber genau wusste, was er wollte. Chaos, Zerstörung und vor allem eins: Antworten! Antworten um jeden Preis.

    Karl, wie der Dolchschwinger anscheinend hieß, kannte die Protzbude noch nicht, ansonsten hätte er den Spiegel bemerkt, in den der Leichnam ganz genau schaute. Der gezückte Dolch hatte keine Chance mehr sein Ziel zu treffen, stattdessen traf ihn der nach hinten schnellende Ellenbogen, keine halbe Sekunde darauf die blanke Faust. Beim Zurückweichen endgültig das Gleichgewicht verlierend, streckte der Fausthieb den kräftigen Mann nieder, wobei er eine Kommode auseinander nahm.
    Doch der Wolf ließ den Dolchstoßattentäter nicht in Ruhe. Er packte den Kerl und drehte sich geschickt hinter ihn, ehe eine Verbindung zwischen Stoß und Tritt die träge Fleischmasse nach vorne beförderte. Die Deckung war auch zwingend nötig, denn dicht neben seinem Ohr – dass es blutete, bemerkte er nicht – schlug ein Wurfmesser in die Wand ein, kurz darauf splitterte eine Porzellanvase, die ebenfalls getroffen wurde.
    Der Irre hatte sich kaum bewegt, hielt aber schon wieder zwei von diesen kleinen, miesen Dingern in der Hand und wirkte auf ihn wie ein großes Fragezeichen. Dem noch nicht genug, rannte der etwas dicke "Redner", er sah etwas aus wie ein Schwein, mit einer riesigen Keule auf ihn zu.
    Nun war der Flur seiner Villa kein Platz, auf dem man locker ein paar Truppenübungen hätte abhalten können, es dauerte nur einen Muskelschub, schon war er in Schlagweite. Zögern kannte er jedoch nicht mehr, in jenem Moment war ihm egal, was mit dem Abschaum geschah. Er zückte sein Schwert und blockte den Überkopfschlag der Schweinebacke, noch im selben Moment verlor er mit einem Mal seine gesamte Muskelanspannung, dementsprechend konnte der Schwertarm keinen Widerstand mehr aufbauen, sank schlaff zur Seite und ließ die Keule niedersausen. Allerdings rechnete der Dicke nicht damit und zog nicht voll durch, sondern hielt für einen Moment die Keule durch seine eigene Kraft in der Luft.
    Als er schon fast liegend durch die Luft segelte, bemerkte er erstmals den Schmerz in seinem Körper. Das Messer hatte seine Seite getroffen, dicht an Brust und Herzen vorbei. Und mit schielendem Blick sah er, wie der Irre schon wieder zwei neue Messer in seinen Händen hielt. Doch als akut erwies sich Schweinebacke, der, grinsend und ohne große Sprüche oder Gesten sofort zum Angriff bereit, ausholte. Aber trotz des bitteren Eisens in seinem Körper war der Todgeweihte kaum geschwächt, im Gegenteil.
    Wie zu seinen besten Ausbildungszeiten rollte er über den roten, etwas abgetretenen, Schmutz erfüllten Teppich und ließ die Keule ins Leere sausen, allerdings hatte das Schwein Kraft wie ein Bulle und ließ eine Bodendiele aus der Verankerung springen, die unter dem Teppich lag.
    Nun holte er zum Gegenschlag aus, noch am Boden zog er dem Dicken mit den eigenen Beinen den Halt weg, ließ ihn krachend auf seine Ebene plumpsen und sah, wie der Irre zum Wurf ausholte. Ein Schuhschemel diente ihm als Deckung, als das Messer zielsicher in das Holz splitterte. Mit einer interessanten Mischung aus Tritt und Schwung verpasste er dem Dicken eine volle Breitseite, trat mit voller Absicht auf die Hand, die nach seinem Bein griff und schleuderte voller Konzentration den Schemel Richtung Eingang.
    Der letzte Wurf des Irren verfehlte das Ziel deutlich und das massive Holzstück massierte seine Brust massiv, eine scharfe Kante dürfte mehr als einen blauen Fleck verursacht haben. Doch dieses Mal des Schmerzes war die geringste Sorge des Irren, wie zur Rache bestellt wurde sein verzweifelter Griff nach neuen Waffen – welche er scheinbar an unzähligen Stellen unter dem viel zu langen, viel zu dicken Mantel trug – mit einem brutalen Hieb gekontert. Der Stich glitt durch den Mantel und das butterweiche Fleisch, spießte den Irren regelrecht auf, entlockte ihm jedoch keinen Schrei, was selbst den Wütenden abschreckte.

    Aufgerappelt und scheinbar voller gleichwertiger Wut hatte sich Schweinebacke, stieß ihm nun seine Keule in den Rücken und ließ den Leichnam in die Knie sinken. Ohne Pause ging es weiter, ein Hieb traf ihn in der Seite, der nächste direkt auf der schmerzenden Schulter. Für einen Moment blieb ihm die Luft weg, doch dann zögerte der Schläger einen Moment zu lange. Die wie Spinnen krabbelnden Finger des Hausherren griffen nach dem Erstbesten, was sie zu fassen bekamen und dies war eine der scharfen Scherben der zersprungenen Vase.
    Wie ein Blitz zuckten die Handgelenke, die Keule schlug ihm die Scherbe aus der Hand, doch davor hatte diese sich bereits in das Fleisch unter der zähen Haut gefressen, so dass auch der Dicke seine Waffe reflexartig verlor.
    Beide waren sie benommen, aber Sol drehte sich nicht zu seinem Peiniger um, sondern taumelte die ersten Schritte unsicher in Richtung des Irren. Dort, wo sein Schwert lag, ergriff er es und schlug den Knauf direkt in dieses bösartige Antlitz, welches daraufhin blutig zusammensackte.
    Aber die Zähigkeit des schweinischen Bullen war bemerkenswert. Das Spiel drohte sich zu wiederholen, erneut sollte der Leichnam niedergestreckt werden, aber dieses Mal hatte er aufgepasst und war vorbereitet. Das Schwert schlug mit Leichtigkeit die Keule und im anschließenden Faustkampf kannte er kein Erbarmen mehr. Dreimal traf der Dicke sein Gesicht, zweimal seinen Hals und zahlreiche ungezählte Male seinen Oberkörper, doch dies war nichts gegen die Treffer, die dieser einstecken musste. Die eher kraftlosen Hiebe des Wütenden setzten wie ein wildes Tier unbarmherzige Panik in das Herz des Opfers, ehe er mit zwei Schlägen an die Schläfe das blutunterlaufene Gesicht des Dicken zum Schlafen brachte.

    Selber voller Blut, knickte sein Standbein fast um, als er wieder gerade stehen wollte. Nur sein Schwert als Stütze machte es möglich. Über der rechten Augenbraue war eine Risswunde, die ein Schweiß-Blut-Gemisch höllisch brennen und ihn kaum etwas sehen ließ, doch nach einer kurzen Orientierung fand er den Eingang wieder. Ihm war bewusst, dass er kaum noch Stehen konnte, aber die Person die er suchte, war nicht fort. Sie stand noch immer dort, wo sie die ganze Zeit gestanden hatte.
    Der Leichnam baute sich auf, ging unnormal nah an ihr Gesicht, sie hätten sich beinahe Küssen können, er hätte die Feinheiten ihrer schönen aber im Moment etwas verdreckten Haut erkennen können, wäre sein Blick nicht so schwach gewesen, doch was er sah, war genug. Er sah ihre Augen. Er sah ihren Blick. Sie versuchte stark auszusehen, aber das war sie nicht. Sie trug eine Maske, die just nun kaputtging. Die Risse sah man überall. Es bebte. Sie bebte. Innerlich.

    Er hätte sie gerne an sich gerissen, umarmt, ja, auch geküsst, aber diesen Fehler machte er nicht. Stattdessen verschob er sein Gesicht etwas nach links und flüsterte in ihr Ohr:

    »Nenn mir nur einen Grund, warum ich dich nicht töten sollte.«

    Solaufein war bewusst, dass er bei einem Kampf Mann gegen Frau keine Chance gehabt hätte. Selbst, wenn er nicht schon vollkommen fertig gewesen wäre. Er hatte kein Vertrauen mehr in sich selbst, handelte nur aus kalter Wut und Zorn. Denn diese Frau war kein unschuldiges Weib, keine schutzlose Maid. Sie war eine tödliche Waffe. Und er musste es wissen.
    Er hatte sie ausgebildet…

    Die Sekunden verstrichen, aber das Weib sagte kein Wort, war wohl einzig und allein darum bemüht, die Fassung zu bewahren, kämpfte mit sich selbst, kämpfte gegen zwei starke Seiten, von denen eine ihr sagen musste, dass sie ihn töten sollte. Was die andere sagte…?

    »Dann tut es mir leid…«
    Seine Worte waren unklar und schwach, aber in ihnen schwang ein Ton echter Traurigkeit mit. Und traurig war er auch, denn im selben Moment schlug er die Frau, die er einst aus der Sklaverei befreite und ausbildete, mit dem Griff des Schwertes ohnmächtig.

  8. #48
    Solaufein
    Gast
     
    Köstlichster Wein – das Zeug wurde tatsächlich immer weniger und war keinesfalls unendlich oder immer wieder nachfüllend vorhanden, ganze Ecken waren schon ganz sauber, weil keine verstaubenden Flaschen mehr dort lagerten – lagerte hier unten, im Keller, einem tiefen, gut abgeschirmten, kühlen, dreckigen, staubigen Kellerloch. Der Weinkeller des Filius de Braga, nein, es war nun s e i n Keller, der Keller des Leichnams.

    »Dieses Gemäuer ist ein Fluch. Nichts als Ärger habe ich mit dem Luxus! Und für was? Ich will dich nicht. Verschwinde, elender Traubensaft. Verschwinde, weiches Bett. Verschwindet alle aus meinem Leben! Waaaaahhhhh! Mag sein, dass der Wald ein unsicheres, unkultiviertes Zuhause ist, aber er würde mir nie solchen Kummer bereiten. Sieh dich doch an, Solaufein. Was ist nur aus dir geworden? Eine Trauergestalt, ein Verräter, ein Todgeweihter. Wo ist das geblieben, was du immer so geliebt hast? Wo ist deine Hoffnung? Wo ist dein Glaube? Wo ist deine Zuversicht? Dein Wille? Deine Stärke? Wieso gibst du so schnell auf? Du hast alle verraten. Willst lieber heute als morgen sterben. Doch selbst dafür fehlt es dir an Mumm.



    Pah! Geschwätz! Verschwinde aus meinem Kopf! Verschwinde, verlass mein Leben!«

    Die Gedanken mussten weichen, als eine zittrige Hand nach einer Flasche griff und aus ihrer Halterung löste. Ekliger Staub wurde von den nackten Fingern fortgewischt und mittels Zahnkraft und unter freundlicher Mithilfe eines spitzen, fingerbreiten Stäbchens wurde der Korken gelöst.
    Nur kurze Zeit später spuckte er diesen mit humaner Geschwindigkeit gegen die blanke Stirn des Schweinsgesichtes, die sich daraufhin regte und einen Rotz und Speichel untermalten Schädel offenbarte.
    Während die ersten Schlücke des viel zu guten Weins verschwenderisch und einfallslos den Weg in die Kehle fanden, weckte er den guten Karl mit einem nicht mehr ganz so humanen Tritt gegen das Kinn. Die Kette, an der die Arme des Dolchstoßmörders hingen, rasselte und schwang durch die Luft.
    Gerade wollte er den irren Messerwerfer mit einer Ohrfeige wecken, den er an seinen Beinen an einem Seil aufgeknüpft hatte und von der Decke baumeln ließ, als er sah, wie dessen eben noch fest verschlossenen Augen ihn mit mörderischer Aufmerksamkeit beglotzten. Dieser Kerl war wahnsinnig, er machte ihm Angst, ja, Angst. Aber sein Waffen beladener Mantel war fort und seine dürren Arme gut eingeschnürt.

    »Wisst ihr, was das hier ist?«
    Der Wolf ließ einen dolchartigen Gegenstand mit Daumen und Zeigefinger vor sich baumeln, den er im Flur gefunden und bald als jene Waffe ausgemacht hatte, mit der Karl ihn abstechen sollte. Das Schweinsgesicht sah grimmig wie eh und je aus und drohte, seinen Befrager anzuspucken, der irre Blick des Messerwerfers wirkte so, als ob er die Antwort zwar nicht kannte, sie aber kaum abwarten konnte, nur Karl, der hatte in seinem Gesichtsausdruck etwas, dass ihn zögern ließ.
    Nun war es aber schon an dem Ausdruck der Frage klar geworden, dass Solaufein die Antwort bereits kannte. Oh ja, er kannte sie. Und zwar so gut, dass es ihm Angst einjagte und selbst er, der Furchtlose, einen Schluck trinken musste, bevor er diese Antwort preisgeben konnte.

    »Dies hier ist ein Spitzdolch, m e i…n…« In jenem Moment geschah etwas Merkwürdiges. Für einen Moment verlor der Abgekämpfte die Kontrolle, ein kalter Frosthauch überkam ihn, seine Hand zitterte mehr noch als sonst und plötzlich verlor er die Macht über Muskeln und Sehnen, die Anspannung zuckte nur noch kurz, dann ließ er die Waffe fallen, wo sie hell klingend auf dem kalten Stein aufkam.

    Die Augen des Leichnams weiteten sich und seine frei gewordene Hand berührte die Brust, das schneller schlagende Herz war gut zu spüren.
    Als ob er dem Irren seinen Blick gestohlen hätte, sahen die Augen auf die so weit wie möglich ausgebreitete Handtellerfläche. Dann hob er den Dolch wieder auf und konzentrierte sich darauf, sowohl die Waffe fest zu umschließen als auch seinen Satz zu vollenden.

    »… mein Dolch…«

    Eine Sekunde herrschte Stille in dem nur durch zwei Fackeln und einer Öllampe erhellten Raum, ehe Schweinebacke wieder zu alter Form fand.

    »Was soll die Schose, das ist nur ein…«
    »Schnau-ze!«

    Eine gewaltige Rechte traf das Gesicht des Vollschlanken und ließ diesen nach hinten fallen, doch die Spannung der Ketten verhinderte einen Überschlag.

    »Du weißt sicher, wovon ich rede, nicht wahr?«

    Noch eben hatte sein ganzer Körper eine Wut an sich gehabt, die einen Berserker in ein Schoßhündchen verwandelt hätte, er wusste genau, dass diese Waffe seine Waffe war, eine der vielen Stücke, die ihm gestohlen wurden und von denen er vor allem sein Schwert wieder haben musste, nur das, aber das um jeden Preis. Und er wusste, dass irgendwo in diesem Keller Antworten warteten. Keiner von ihnen sollte so tun, als ob sie ihn nicht kannten. Als ob dies alles bloß ein räudiger Zufall wäre und nicht sein Schicksal.
    Doch der Mensch war außergewöhnlich. Dieses Tier war in der Lage, binnen Sekunden zwischen Wut und Trauer, zwischen Hass und Verzweiflung zu wechseln. Selbst die gewaltigsten Emotionen mussten nicht von Dauer sein.
    Kein Feuer mehr, dafür erloschene Wärme, die mit jeder Sekunde mehr zu kaltem, harten Eis wurde, begegneten ihm nun, als er die lediglich an ihren Händen gut gefesselte Frau, die bis eben an der Wand gelehnt hatte, ansprach.

    Liebevoll beugte er sich zu ihr, hielt vorsichtig ihr Kinn und gab ihr etwas von dem guten Wein zu trinken, wonach sich die anderen sicher auch schon verzehrten. Doch darauf konnten sie lange warten. Zur Not würde er sie erst in den Wahnsinn und dann in den Tod treiben. Umgeben von Wein, sollten sie elendig verdursten. Es sei denn, sie waren bereit, ihre vertrockneten Zungen zu lösen. Doch so lange wollte er nicht warten. Sein Blut kochte und die kalte Wut hielt ihren eisernen Griff um die nachsichtigen, gütigen Ideale des Wolfes. Gnade war nicht zu erwarten. Sie waren in seiner Folterkammer und er würde das Unaussprechliche wahr werden lassen, er, er würde foltern. Mit diabolischem Vergnügen…

    »Keiner von euch wird diesen Keller lebend verlassen, wenn ihr nicht sprecht!«

    Mit diesen Worten ging der schwer Getroffene nach oben und kam kurze Zeit später mit einen kleinen Holzstuhl und einigen "Dingen" zurück.
    Geändert von Solaufein (19.07.2008 um 21:32 Uhr)

  9. #49
    Solaufein
    Gast
     
    »Ihr wollt also noch immer nicht reden, hm? Na schön…«

    Vorsichtig nahm er auf den Stuhl Platz und sah sich in der Runde um. Die Luft war erfüllt mit Rauch und einem stechenden Schweißgeruch. Unter ihren Klamotten schwitzten seine Gefangenen ganz schön, trotz der eigentlichen Kühle des kalten Kellergesteins heizten Fackeln und Nervosität die Produktion des stinkenden Geruchs förmlich an.

    »Was ist mit euch Karl, wollt ihr mir etwas sagen und am Leben bleiben? Nein? Dann redet vielleicht der da!«
    Seine Finger deuteten unbewusst auf den Kerl mit dem irren Blick, er scheute sich, diesem Blick direkt in die Augen zu sehen. Doch Karl räusperte sich plötzlich viel versprechend und krächzte etwas.

    »Was? Was war das?«
    Näher ging der Todgeweihte und hörte den Gefangenen etwas sagen.
    »Der Kerl redet bestimmt nicht mehr… er kann nicht reden.«

    Für einen Moment glaubte Sol an einen Trick, dann aber stürmte er auf den Irren zu, gab seinem Blick Kontra, packte seinen Kiefer fest mit der rechten Hand, kniff ihn zusammen und drückte den Oberkiefer nach oben. In dem schummrigen Licht erkannte er, dass Karl die Wahrheit gesagt hatte. Dem Messerwerfer fehlte die Zunge. Jemand hatte sie abgeschnitten. Ein grausiger Anblick, zumal dieser Mensch kaum noch Zähne besaß.

    »Dann redet ihr!«
    Der abschätzige Blick des Schweinegesichts beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Wie aus dem Nichts hatte der Hausherr plötzlich einen Hammer in der rechten Hand und beugte sich zu dem Vollschlanken hinunter.
    »Wie heißt ihr? Euer Name?«
    Stöhnend regte sich der Nacken, die kalten Augen sahen ihn an, ehe eine Ladung des letzten Speichels aus dem vertrockneten Mund den Weg in sein Gesicht fand.
    »Verreck!«

    Ohne direkte Reaktion drehte er sich um, griff nach einem Handtuch und entfernte den Dreck aus seinem Gesicht. Doch den Hammer ließ er dabei nicht los.
    »Ihr wollt mir also nicht helfen… das ist bedauerlich… sehr… bedauerlich.«

    Die Nackenhaare des Kriegers sträubten sich und er knüpfte das ohnehin dreckige Hemd auf, ehe er es ganz ablegte. Mit freiem Oberkörper war die Hitze etwas erträglicher und die Kühle angenehmer. Und noch etwas war entscheidend. Er wollte jeden Tropfen Blut sehen und spüren und nicht auf seiner Kleidung verschwenden. Seine Gedanken waren wie verseucht, der diabolische Blick dominierte die Wand, als er den Gefangenen den Rücken zugewandt hatte.

    Langsam drehte er sich um, sein Blick fokussierte nun die Hand des Namenlosen. Als er diese greifen wollte und sich der Kerl wehrte, drückte er dessen Körper an die kühle Wand. Die Ketten zuckten und rasselten und seine linke Hand presste die Rechte seines Opfers fest an den Stein. Der Hammer donnerte durch die Luft und stieß erst beim Knochen des Daumens auf einen Widerstand. Schmerzensschreie hallten in dem Gewölbe, ehe seine Stimme hinterher spie.

    »Sprich endlich!«

    Doch die erhoffte Reaktion blieb aus. Und so kannte der Folterknecht kein Erbarmen mit den Knochen des Gefangenen. Noch schneller als zuvor brach er zunächst den Ringfinger, ehe es den Mittelfinger erwischte. Schon wollte er den Zeigefinger brechen und auch vor dem Kleinen keine Rücksicht nehmen, als das Stöhnen verfremdete Laute von sich gab. Anscheinend hatte der Dicke doch was zu sagen.

    Als sich Solaufein wieder umdrehte und dem Geschundenen eine Verschnaufpause einräumte, wanderte sein Blick unauffällig über die restlichen drei Gesichter. Er glaubte nicht daran, dass das Schweinegesicht ihm weiterhelfen würde. Deswegen konzentrierte er sich auch auf zwei andere Charaktere. Aber diese sollten sich vorerst mal in Sicherheit wiegen. Er hatte von Anfang an einen Plan, wie er an seine Informationen kommen sollte. Es war kein Zufall, dass dieser Dolch zurück in seine Hände gekehrt war. Sein Dolch, mit dem er ermordet werden sollte. Daran gab es keine Zweifel mehr.

    »Ich höre!«, sprach er klar und fordernd, als er wieder die Wand ansah und den Gefangenen seinen Rücken zukehrte, während er mit dem Handtuch seine Hand vom Schweiß reinigte.

  10. #50
    Solaufein
    Gast
     
    »Er ist zurück.«

    Die grässlich fettigen, teils spröde und angesengten, teils Dreck- und Sand verseuchten Haare hatten ihren wundervollen Glanz einer Prinzessin verloren, die zarte, jugendliche Haut schimmerte im Schein der Fackel glänzend, was einer nicht unerheblichen Talg- und Schweißschicht geschuldet war, die Lippen, genauso ausgetrocknet und spröde wie der ganze Rest, während die Augen auf den Boden starrten und viel kälter als noch vor ein paar Tagen aussahen.

    Verzweiflung machte sich breit, in dem engen Keller roch die Luft nach dem frischen Blut, selbst das Stöhnen war nicht mehr zu hören, selbst dafür reichte die Kraft bei den entstellten Körpern nicht mehr. Karl, der Attentäter, hatte sich nichts entlocken lassen. Seine Frechheiten waren mit seinem Grinsen aus dem Blut verschmierten Gesicht, das mittlerweile wieder getrocknet und verkrustet war, verschwunden, seine Arroganz der puren, essentiellen Angst gewichen, doch seine Lippen waren versiegelt.
    Nun starrten die Augäpfel zu der jungen Frau, zu schwach war seine Zunge, aber noch war er nicht vollends tot. Die Frage war nur theoretisch und doch wollte er es wissen.

    In die Bewusstlosigkeit geprügelt, baumelte der vollschwere, noch immer lebende Fleischsack des Namenlosen neben ihnen und dem Kerl mit dem irren Blick waren die Augen verbunden. Er konnte vielleicht nicht reden, aber er konnte auch nicht mehr gehen, der Folterknecht hatte ihn verschont, doch es war ungewiss, ob er nach seiner Beteiligung an dem Überfall den Keller jemals wieder verlassen könnte.

    Kara und Karl, sie waren es, an denen die Zeit am intensivsten vorbei zu ziehen schien, sie sahen sich nun an und erinnerten sich an die letzten Stunden. Vermutlich nachts, ein Zeitgefühl hatten sie lange nicht mehr, hörten sie die Stimmen über ihrer massiven Decke, sie hörten die Schläge gegen die Wände und am Ende… hörten sie die Schreie.

    In jener Nacht hatten sie Kara gebrochen…

    --

    Mit einem Schlag riss er ihren Blickkontakt abrupt ab, wie von zwei Geisterschemen berührt, fuhren die beiden zurück. Nicht weit von ihnen war die schwere Holztür hin zum Keller gegen die steinerne Wand geschlagen und hatte den Krach verursacht. Gemächlich wischten die Stiefel den Staub von den Steinen und näherten sich langsam dem zugleich kühlen und stickig-warmen Verließ.

    Der Puls der Schönheit hielt der meisterhaft angelernten Unterdrückung von Emotionen nicht mehr stand, sie blickte zu Karl und mit ihrem Blick schwang die Botschaft, dass es vorbei war. Niemand in Gorthar kannte den, den sie Solaufein nannten, besser als sie. Deswegen hatte man sie ausgewählt. Der Dicke mochte seine eigenen Vorstellungen haben und der Zungenlose nur ein bemitleidenswerter Mitläufer sein, doch Karl, der junge Armeedeserteur, er vertraute der Meinung der Wunderschönen. Jetzt noch mehr als je zuvor. Seine Lider schlossen sich, sein Kinn nickte an die Brust.

    Mit gesenktem Haupt näherte sich ihr Hausherr aus dem Schattenkegel hin ins flackernde Licht, sein Oberkörper war nackt, wie seit Tagen schon, doch hinter ihm zog sich eine Spur. Die Stiefel verwischten einiges, schliffen sie sich doch mehr über den Boden als zu gehen, aber auch ohne die Spur am Boden erkannte man, was geschehen war. Nur der Schwerkraft wegen war das weiße Fleisch nicht in einem kräftigen Rot getaucht, unzählige kleine Wunden lagen offen, einige gestillt, andere noch immer am bluten. Ein wahrer Rausch ergoss sich Richtung Becken, Steiß und Boden und wären sie nicht in einer solch verzweifelten Lage gewesen, hätten sie sich sicherlich gefragt, warum…

    Doch diese Frage war nicht mehr wichtig…

    In der Mitte, vor zwei großen Eichenfässern, blieb der scheinbar nur deswegen so langsam schlurfende Körper, weil er sonst getorkelt wäre, stehen. Sein Kopf streckte sich, die linke, freie Hand schob das ähnlich aussehende Haar wie das von Kara zur Seite und offenbarte ein völlig blutleeres Gesicht, das im schummrigen Licht wie das eines Sterbenden aussah. Seine Augen verkrochen sich tief in deren Höhlen, die Wangenknochen machten das Gesicht eng.

    Sein Blick wanderte zunächst zu Karl, doch dieser war fortan nicht nur nutzlos, er hatte auch seinen Wert verloren. Er schien wirklich nichts zu wissen, doch gleichzeitig stellte er den ersten Menschen dar, den der Leichnam opfern musste… konnte… schlimmer noch… wollte. Fortan. Ein Rest Menschlichkeit ließ ihn für einen Moment zögern, einen kurzen, kalten Frostkuss spüren, sein Herz vereiste kurzzeitig und verkrampfte, Schmerzen, wohl der Blutarmut geschuldet, schüttelten ihn, aber das Feuer, das ihn umgab, ließ dieses Eis verdampfen und machte den Weg für eine neue Energie frei, eine dunkle Kraft, die ihn schon seit Jahren umgab, doch nun endlich voll und ganz Besitz von ihm ergriffen hatte.

    Karas Blick wich ihm aus, doch ein Knurren, das zwischen seinen gebleckten Zähnen zu kommen schien, ließ sie aus der Deckung kommen und fortan nicht mehr los. Er hatte ihren Blick wie in einem Würgegriff und urplötzlich wurde die dunkle Energie freigesetzt, durch seinen scheinbar geschwächten Körper gespült und auf seine Umwelt losgelassen.
    Das Fleisch verkrampfte sich, die Muskeln spannten sich an, das Gesicht bekam mehr Fülle doch auch mehr Schnitt. Bislang hatte er geschwiegen, aber nun wich die Stille.

    »W-E-R?«, keuchte, ächzte, spie, nein, röchelte er mit einem donnernden Nachhall, doch die Lippen aller blieben versiegelt.
    In einer scheinbaren Geste der Aufgabe, der absoluten Ohnmacht, sank er auf die Knie und ließ die dunkle Energie wie ein Seidentuch von sich fallen. Seine Lider waren geschlossen und ihn überkam erneut und viel heftiger ein kalter Stoß. Kara… bislang hatte er sie besser als alle anderen behandelt, hatte sich um sie gekümmert, sie in Ruhe gelassen, nicht gefoltert.

    War es Schicksal? Sogar ihr Halstuch hatten sie ihm genommen. Doch gerade das hatte sie nun verraten. Auch dieses Mal trug sie eines. Und die feine Nase des kultivierten Mannes roch selbst jetzt, bei all dem Schweiß, Dreck, Blut und Wein, welch ihr eigener Duft da von ihrer Seite zu ihm strömte. Hatte er sie geliebt? Liebte er sie? Würde er sie lieben? Eine heiße Träne kullerte über seine Wange.

    Er hatte das Spiel durchschaut, es hatte lange gedauert, aber nun wusste er, wer von den Vieren die Information haben musste. Es war nicht der Dicke, nicht Karl und erst recht nicht der Irre, nein, es war Kara. Niemand anderes konnte es sein. Sie war perfekt ausgebildet und würde nie eine Information verraten. Nie.

    Die Träne fiel auf die Erde, direkt in eine kleine Blutlache.

    Nie?

    Als der Leichnam in den Keller kam, hatte er nur eine Hand frei gehabt. In der anderen hielt er den dicken aber kleinen Strick. Nun stand er auf, von einem Sog umgeben, der die dunklen Energien aus jeder Ecke zog, selbst aus den Körpern der vier Attentäter. An einem Haken befestigte er den Strick, keine seiner Handgriffe wirkte überhastet oder ungekonnt, alles schien schon so eine Routine zu haben, wie es nur jemand haben konnte, der diese Dinge schon einmal getan hatte.
    Doch das hatte er nicht.

    Plötzlich wurde Karl klar, was aus diesem Seil geformt wurde. Seine eigene Aufgabe wandelte sich nun in Todesangst. Hatten sie ihm nicht vergewissert, dass dieser Kerl keine Menschen tötete? Dass es ihm zutiefst widerstrebte? Ihm verboten war?

    Eine Hand packte den jungen Mann am Oberarm, während gleichzeitig das Schloss seiner Fesseln gelöst wurde. Beide Männer schienen äußerlich keine Kraft mehr zu besitzen, doch Karl war entsetzt von der Wucht, mit der diese knochigen Finger sein geschundenes Fleisch umschlossen. Er versuchte sich zu wehren, aber es war absolut sinnlos.

    »Nein, aufhören, nicht, loslassen, nein, nein, aufhören, das könnt ihr nicht, das… nein, Kara, NEIN, KARA… LOSLASSEN…«

    Der Keller war nicht groß und wie es die meisten Keller an sich hatten auch nicht sonderlich hoch, doch es war ein Weinkeller und es reichte, um noch gut zwei Köpfe Luft zu haben, wenn man die Größe des Leichnams besaß. Und Karl hatte seine Größe. Ein winziger Schemel, mehr ein Fußschemel, diente dem zu Hängenden als letzte Rettung, der Haken hing leidlich tief, doch für den Tod kam es nicht auf Ästhetik an. Straff zurrten die Hände das Seil fest um den Hals, als ein letzter Blick die Prinzessin traf, längst wusste er, dass er sie gebrochen hatte, die Frage war nur, wie viele Beweise sie noch brauchte, um auch überzeugt zu sein von dem, was er hier tat. Der Blick, der auch so etwas wie ein Abschied war, enthielt eine Botschaft.

    »Hier ist eine Grenze überschritten. Hier wurde ich, Solaufein, zum Mörder meines Bruders und meiner Schwester.«

    Das Gewinsel und Gebettel von Karl nahm kein Ende, doch es existierte in seinen Ohren nicht mehr. Er hatte Abschied von diesem Menschen genommen. Für den Leichnam war Karl bereits tot. Sein Blut klebte bereits an seinen Händen. Nur so war er fähig zu tun, was er tun musste. Denn Kara schwieg auch jetzt noch. Sie war gut. Sehr gut.

    --

    Der Schemel schmetterte gegen die Wand und der junge Mann baumelte scheinbar schwerelos. Er wollte nicht sterben, wollte er wirklich nicht. Seine Beine strampelten, seine Finger versuchten den Strick von sich fort zu schieben, ein Röcheln ging durch den Keller.

    Nach circa fünf Sekunden setzte sich der Todgeweihte in Bewegung, ein Dolch zückte in seine Hand. Er beugte sich hinab zu Kara, griff nach ihren Fesseln und hielt den Dolch an den Strick. Dann wartete er und sah tief in ihre Augen. Glaubte sie wirklich noch, dass e r den Gehängten retten würde?

    »Kara!«

    Es dauerte leidlich lange, bis ein Gehängter tot war, wenn er nicht das Glück hatte und sein Genick brach, Ersticken war ein solch grausamer Tod, er war alles andere als ehrenvoll. Dem Scharfrichter drohte dafür umso mehr Strafe, doch um das Maß der Geißelung seiner Seele machte sich der Leichnam keine Gedanken, es war ohnehin zu spät, er war hier und heute gescheitert, im Namen des Blutes, das ihn nun beherrschte.

    »Ka…ra…«

    Die eiskalte, die unheimliche junge Frau sah nicht hin, konnte sie es vielleicht nicht ertragen? Das Psychospiel ging in die entscheidenden Sekunden und der Knochen rang die Eisprinzessin mit seinem letzten Zug nieder. Nun kam es ihm zugute, dass er nicht mehr litt, dass er abgeschlossen hatte, sich voll und ganz hingab, nichts wäre schlimmer gewesen als wenn die junge Frau gespürt hätte, wie schwer es ihn doch mitnahm. Stattdessen grinste er kälter als der Frost des Schattenzahngebirges und berührte ihren Nacken mit seiner Hand. Er zwang sie hinzusehen, jetzt, wo Karl allmählich die Puste ausging und der Tod winkte.

    »K..a……«

    Seine Hand spürte, wie ihr Nacken zu zittern begann, sie hielt nicht mehr lange durch, jetzt, wo kein Röcheln mehr zu hören war, jetzt, wo er langsam aber sicher starb. Jetzt…

    »FÜRST ADEMIT DUTORA!«

    Von der Gewalt ihrer Stimme betäubt, ließ er diese drei Worte sacken und so Sekunden verstreichen. Dann erst sah er ihr in die bebenden Augen und grinste abermals, was weitere Sekunden kostete. Doch plötzlich rissen die Fesseln und die Frau sprang nach vorne und stützte augenblicklich den Gehängten.

    Solaufein hatte ihr den Rücken zugekehrt, spreizte die Arme und atmete gut hörbar ein und aus. Dann warf er ein einfaches Messer vor die Füße der Befreiten, die mit aller Mühe den Strick vom Hals des Leblosen zu lösen versuchte. Selber machte er sich keine Mühe und er half Kara auch nicht, den vielleicht noch Lebenden zu retten. Er hatte was er wollte und drehte sich noch einmal um.

    »Du solltest so schnell wie möglich verschwinden…«

    Ein gänzlich anderer Blick traf die junge Frau nun, die ebenfalls gänzlich anders zu ihm sah. Sie hatte ihren Respekt, ihre Ehrfurcht vor diesem Menschen verloren, den sie doch töten wollte. Jetzt war er nur einer von vielen, einer von Mördern und Verbrechern, er hatte seinen besonderen Schein, seine Gabe verloren. Doch sie sah auch, dass es sinnlos war, nun auf Rache zu sinnen. Als der, den sie als Solaufein kannte, noch Angst hatte, einen anderen Menschen zu töten, war diese große Schwäche eine allgemeine Schwäche des so Unnahbaren. Jetzt, wo er diese Schwäche, die sie insgeheim immer an ihm bewundert und für die sie ihn einst geliebt, verloren hatte, war er nicht mehr in ihrer Reichweite oder der von Leuten wie Karl. Es war nicht mehr ihr Kaliber. Der Blutende musste keine Rache von ihr fürchten und dies wusste er genau. Es war der einzige Grund, warum sie noch lebten.

    --

    Es war ein schönes, großes, teures Haus gewesen. Den Wein hatte er zu einem großen Teil versoffen, doch viele Dinge hatte er nie genutzt. Auch viele der Bücher nicht. Geschichte war und ist ein laufender Prozess und Solaufein wusste dies genau, als er nun die Fackel im Erdgeschoss in seinen Händen hielt, in das er soeben zurückgekehrt war. Er zog ein dunkles Hemd an, auf dem das Blut nicht so auffiel und ging ins Obergeschoss, in sein Arbeitszimmer und sah hinaus in das nächtliche Gorthar, in sein geliebtes, verhasstes Gorthar.

    Er hatte dieses Haus immer gehasst, gehasst, weil es das Haus Filius de Braga’s war, ein Umstand, den er nie akzeptiert hatte, nie verwunden. Doch er hatte das Haus auch gebraucht. Es hatte ihm geholfen, für Gorthar und einen Menschen wie ihn gab es nichts Besseres als dieses Haus, keine Bruchbude, sondern eine Luxushütte, tausende von Goldstücken wert, ruhig und sicher, ein Rückzugsort für einen Getriebenen.

    Doch nun hatte er den Namen. Fürst Ademit Dutora, ein Name, der ihm noch nichts sagte, doch schon bald würde er ihn kennen lernen. Es war vorbei. Die Folter. Diese Zeit. Dieses Leben. Alles.

    Zuerst brannten die Vorhänge. Bald schon Bücher, leichtes Holz und Decken sowie Teppiche. Als der Rauch zu dicht wurde, verließ er sein geliebtes, verhasstes Haus zum letzten Mal über das Dach und mit einem gewagten Sprung, den er aber schon oft aus dieser Position vollbracht hatte. Noch ein letztes Mal sah er, wie die Flammen aus dem Arbeitszimmer peitschten und bald schon alles was brennbar war verschlungen hätten. Er griff nach der Tasche in der alles verstaut war, was irgendeinen Wert für ihn hatte und verließ das Anwesen. Sein Anwesen. Das Anwesen des Filius de Braga. Seine… zweite Heimat.

    Er riskierte keinen Blick zurück, kümmerte sich nicht um die vier Menschen in seinem Keller. Kara hatte Zeit genug sich zu retten. Ihr Leben lag in ihren Händen. Genau wie die Leben der drei Männer, die ihn töten wollten. Er verschwand aus diesem Leben. Und während er aus einer dunklen Seitengasse auf den Marktplatz kam, auf dem sich immer mehr Menschen versammelten, hatten sie doch von hier aus einen guten Blick auf das Feuerinferno, das dort im Adelsviertel tobte, verschwand der Feuerteufel auch schon wieder, einige Straßen weiter, im Viertel der Handwerksleute und Händler, wo er ein solides Gasthaus aufsuchte, das er ebenfalls kannte und dort sogleich auf sein Zimmer ging, welches er ebenfalls bereits bezahlt hatte.

    Das Zimmer war im zweiten Stock des großen Gebäudes und die Fenster waren auf die Burg gerichtet. Als er es öffnete, erkannte er dennoch die noble Straße und den Feuerball, der noch immer nicht gelöscht schien. Es war ein sehr großes Haus und es gab sehr viele Dinge, die sehr gut brannten. Er sah noch lange von Zeit zu Zeit zu jenem Fleck, während er die Wunden an seinem Körper mit Leinenverbänden umwickelte, erst als er damit fertig war, ging er erneut auf die Fensterklappen zu und war bereit sie zu schließen.

    »Fürst Ademit Dutora…«, murmelte er leise und sein Blick fiel instinktiv auf die Burg Gorthars. Dann verschloss er das Fenster wieder und gab der dunklen Umarmung den Laufpass. Zwar umgab sie ihn, doch sie konnte ihn nicht unsterblich machen. Er war geschwächt, körperlich und geistig, brauchte nun fiel Ruhe und Schlaf. Doch innerlich frohlockten er und das Dunkle in ihm. Das Feuer brannte stärker denn je und er sah sich auf einem guten Weg. Sein Fleisch mochte geschunden sein, aber mit der Aufgabe des Tötungsverbots hatte er einen scheinbaren Ballast von sich geworfen, der ihn ewig zu bremsen schien. Noch nie hatte sich Solaufein so entschlossen gefühlt wie jetzt. Er erkannte nicht mehr, wie schrecklich seine Entscheidung war. Er war verblendet, hatte sich dem Blute nach all den Jahren der Annäherung nun voll und ganz unterworfen. Und der Fürst hatte ja keine Ahnung, was ihn erwartete…

  11. #51
    Solaufein
    Gast
     
    Der Hammer traf auf den Amboss, unmenschlich heißer Stahl zischte in viel zu warmen Wasser, die Glut des Feuers wurde immerzu von den Gehilfen des Meisterschmiedes angefeuert, der Hitzeschwall huschte in die Gasse und begrüßte den Besucher schon von Weitem. Auch vor dem eigenen Wohnhaus, dem Erdgeschoss und dem ersten Stock machte sie keinen Halt. Holz, Eisen, Kupfer, Stahl, Stein, die Materialien des großen Meisters, des großen Glückes. Fäden, Seide, Leder, Hanf, Leinen, Öl und noch viele andere Materialien dienten der Arbeit. Es roch nach Schweiß, es roch nach Arbeit. Nach ehrlicher Arbeit. Nach Vollkommenheit. Nach Glück.

    Der Leichnam roch es seit Stunden… und der Gestank vernebelte ihm den Kopf. Was für eine Welt, was für ein Leben. Welche Abmachung hatte diese Seele mit den Göttern? Sein eigener Schweiß rann ihm die Stirn herab, unter der Wolfsmaske war es noch ein gutes Stück heißer, doch ein Gefühl für diese Dinge vermochte er nicht mehr zu spüren. Er zehrte von der Wut auf das Schicksal, auf die Gerechtigkeit, gar auf die… Götter?

    »… gute Arbeit…«
    »Klar… ihr denn…?«
    »…«
    »…Jungs… Feierabend…«

    In der Kammer konnte er nur einzelne Wörter verstehen, die da von draußen an sein Ohr drangen, doch es reichte ihm, um die Sätze logisch zu vervollständigen. Und in der Tat, nicht lange nach diesem Gespräch kehrte Gunos, der wahrscheinlich größte Schmied in Gorthars Stadtmauern, in seine eigenen vier Wände zurück. Es gab weit und breit keinen besseren Schmied als ihn. Etwas dermaßen Gutes kannte der Wolf nur aus seiner eigenen Heimat, dem Schattenzahngebirge. Nicht nur einmal hatte er bereits daran gedacht, dass Gunos vielleicht… aber nein, das war vollkommen unmöglich. Oder doch?

    Der Schmied war jedoch nicht nur ein Meister seines Fachs, es schien fast zwangsläufig so zu sein, dass ein Mann wie er einen besonders wachen Geist haben musste. Kein Dummkopf konnte dermaßen gute Schmiedewerke mit seinen bloßen Händen schaffen. Die Götter selbst mussten ihn gesegnet haben. Und dabei seinen Geist geformt. Gunos war gut, nicht nur in der Schmiedekunst hatte er einen guten Lehrmeister gehabt. Er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte, selbst ein Schatten wie Solaufein konnte sich nicht vor ihm verbergen. Seine Augen starrten in die bizarre Dunkelheit einer Sitzecke, seine Nase schnüffelte in der Luft und schien jede Form von fremdem Körper wahrzunehmen.

    »Es ist Feierabend, kommt morgen wieder!«
    Die Stimme des Mannes wirkte bestimmend und gleichzeitig humorvoll, doch eines konnte man nicht in ihr hören. Angst. Viele Menschen hätten in einer ähnlichen Situation versucht ihre Waffe zu greifen oder wieder unauffällig zur Tür zu kommen, nicht jedoch Gunos.
    Zur Begrüßung seines Gegenübers atmete der Leichnam tief ein und aus, schwieg jedoch zunächst. Seine unheimlich schwer wirkenden Knochen erhoben sich nach den Stunden des Wartens und traten aus dem Schatten. Das mimiklose Gesicht durchbohrte Gunos ebenfalls hartes Gesicht, während die Maske des Wolfes wie ein hungriges Tier auf seine Beute zu warten schien.
    »Interessantes Tier, selbst gemacht?«
    »Wisst ihr, wer ich bin?«
    »Nein.«
    Und dies glaubte er auch sofort. Gunos vergaß schnell, denn er hatte keinen Grund, einen Mann namens Solaufein in seinem Gedächtnis zu behalten. Noch nicht. Der Leichnam zog das Schwert aus der Scheide und reichte es mit einer formlosen, aber geschickten Bewegung hinüber.
    »Das ist eines meiner Schwerter!«
    Der Wolf zog sich die Maske vom Gesicht und sah auf den dunklen Holzboden, wo sich Staub und Metallreste die Klinke in die Hand gaben.
    »Ja…«, knurrte er darauf.
    »Was wollt ihr?«
    Für einen Moment schwieg er, dann drehte er sich um und nahm das Schwert wieder und steckte es zurück.
    »Wer seid ihr, Gunos? Was macht ein Schmied eures Talents in Gorthar? Warum schmiedet ihr Waffen für reiche Adlige, dumme Wachen und noch dümmere Schläger? Ihr seid der wahrscheinlich größte Schmied dieser Stadt, dieses Landes und dann das! Irgendetwas stimmt hier nicht. Entweder ihr seid auf der Flucht vor irgendetwas oder…«
    »Oder?...«
    Er sah dem Schmied tief in die Augen, nur wenige Männer hielten den Blicken des blutjungen Lebenssklaven stand, doch für Gunos schien es ein Kinderspiel zu sein.
    »Ich habe noch etwas für euch.« und schon hatte er den Spitzdolch in der Hand. Den Dolch, den ihn von Anfang an begleitet hatte. Schon seit er im Schattenzahngebirge aufgebrochen war. Jetzt endlich war er wieder in seinem Besitz.
    »Was sagt ihr dazu?«
    Der Schmied nahm den Dolch und schien ihn für recht nutzlos zu halten. Abschätzig sah er auf das Stück herab, das scheinbar nicht seiner Qualität genügte. Doch dann, als er das Licht seiner Kerze etwas forcierte, zuckten die kräftigen Finger des Mannes für einen Moment und fast wäre ihm die Waffe aus der Hand geglitten.
    »Das… das ist unmöglich.«
    Mehr wollte er nicht sagen, war jedoch bemüht das Ding schnell wieder aus seiner Hand zu geben. Solaufein nahm den Spitzdolch und sah ihn genau an. Es war ein einfacher, schnörkelloser, ja, fast billiger Dolch, der weder Magie noch Wert besaß, höchstens einen ideellen… und der schon zahlreiche Male Blut geschmeckt hatte. Vor allem auf einer Jagd.
    »Ich weiß…«… begann der Leichnam leise, fast flüsternd... »… ich weiß, dass ich euch weder foltern noch drohen kann. Ihr würdet mir nichts verraten. Egal was ihr in dieser Waffe gesehen habt, ihr könnt es nicht sagen, nicht wahr? Ich möchte von euch nur eines wissen: Fürst Ademit Dutora. Kann diese Waffe…« und er deutete dabei auf das Schwert, dass er sich einst von Gunos hatte schmieden lassen, nachdem sie ihm Drachenzahn gestohlen hatten. »… kann diese Waffe gegen die Morgendämmerung bestehen?«
    »Morgen… dämmerung?«

    Das Gesicht des Schmiedes versuchte wie ein riesiges Fragezeichen auszusehen, doch seine Stimme machte aus diesem Plan eine Farce. Egal ob Gunos aus dem Schattenzahngebirge stammte oder nicht, egal ob er den Leichnam kannte oder nicht, ein Schmied wie er es war kannte alle legendären Schwerter dieser Welt und erst recht die Gorthars. Noch immer kannte der junge Landstreicher keine Antwort auf die Frage, wer seine Häscher waren, warum sie seinen Tod wollten und was sein Schwert damit zu tun hatte, aber er hatte sich längst von der naiven Vorstellung verabschiedet, dass seine Waffe nur ein bloßes Stück Stahl war. Und Gunos wusste es genau.
    »Das ist Wahnsinn Junge… ich kann… ich kann das nicht glauben…«
    »Warum tut ihr es dann?«
    Gunos schluckte.
    »Dutora hat dutzende Wachen, Söldner, Getreue, gorthanische Garde. Er war Waffenmeister der Stadtverteidigung, Oberster Primus des Herzogs und außerdem… hat er sich verändert…«
    »Es ist euer Schwert Gunos, euer Schwert. Sagt mir nur, ob es ausreichen wird.«

    Liebevoll sah der Schmied auf die Schwertscheide, in der seine Waffe steckte. Wie hin und her gerissen rang er mit seinen Gefühlen.
    »Morgendämmerung ist nichts als eine kleine Randnotiz, nicht mal eine Legende, ich habe nur ein einziges Mal etwas davon gehört, es nie gesehen. Ich kann es doch nicht von hier beurteilen.«
    »Ihr müsst es!«
    »Also schön, also schön… alles was ich über das Schwert weiß ist, dass es ein vollkommen normales, unscheinbares Schwert sein soll, keine Magie, kein Schnickschnack, kein Hokuspokus, keine Edelsteine. Der einzige Grund für dessen Besonderheit soll sein Schöpfer gewesen sein. Bei der Herstellung des Schwertes ging eine Bestimmung einher. Es scheint, als ob etwas in dem toten Stahl schlummern würde. Aber ich weiß nicht was. Der Schöpfer hieß Irka Donnerson, ein legendärer Schmied aus dem Norden Gorthars. Jeder bessere Schmied kennt seinen Namen… und seine Legenden.«

    Es war ein seltsamer Moment gewesen. Selten hatte jemand Gunos so gesehen, er redete voller Rage und Fesselung, seine Augen weiteten sich und sein hartes, faltiges Gesicht schien kindlich zu strahlen. Man sah ihm die Sehnsucht an, einen ähnlichen Ruf zu haben wie jener Irka. Fast so, als ob er ihn gekannt hätte. Und mehr wusste, als er zugab. Gunos war jedoch auch abgelenkt. Mitten in seiner Rede bemerkte er, dass der Leichnam nirgends mehr zu sehen war. Er war wieder fort. Verschwunden in den Schatten. Gunos wusste, es war ein Abschied für immer.

    »Niemand kann die Morgendämmerung beherrschen… nur die Morgendämmerung selber… beherrscht dieses Schwert…«

  12. #52
    Solaufein
    Gast
     
    Es war schon witzig, wenigstens seltsam, vielleicht degenerierte sein Humor genauso schnell wie seine innere Beherrschung, aber das menschliche Gebiss war doch wahrhaftig ein schlechter Witz für die so genannte "Krone der Schöpfung", so empfand er zumindest beim Zerteilen eines frisch erlegten Hasen. Vor dem Mahl hatte es eine bizarre Momentaufnahme gegeben, so schien der Leichnam so einen Appetit auf den bloßen, nackten Hasen zu haben, dass er ihn am liebsten roh gegessen hätte. Nur im letzten Moment konnte er seinen Trieb bremsen und das Tier in Ruhe ausnehmen und über einem kleinen Feuer braten. Es roh zu essen… was für eine Idee… doch das seltsame war, sein Hunger hielt sich dank des guten Essens in der Herberge wahrhaftig in Grenzen. Und doch, dieser Trieb, er schien so stark zu sein, das Blut des Hasen hatte seine Sinne wie so oft völlig vernebelt. Doch dieser Tag hatte noch viele solcher Szenen zu bieten gehabt. Kaum vorstellbar war es, dass Solaufein, der einstig wohl durchaus geschickte Jäger, sich wieder einmal auf die Jagd gemacht hatte. Wie lange hatte er nichts mehr gejagt, geschweige denn erlegt? Es waren gefühlte Jahre, viele Monde waren es jedoch mit Sicherheit. Einst war das Jagen seine einzige Möglichkeit an Nahrung zu kommen, ebenfalls viele Monde lang, doch er war faul, behäbig und selbstherrlich geworden. Die Dekadenz schüttelte er nun ab, für den Moment jedenfalls. Doch der Hase hatte sich keinesfalls freiwillig töten lassen. Seine Übungen hatten den ganzen Tag angedauert. Mehr als ein dutzend erfolgloser Versuche waren vorangegangen. Aber ein ehemaliger Jagdmeister konnte dieses Talent weder verlernen noch verleugnen. Er konnte nicht viel, aber das was er beherrschte, beherrschte er meisterlich. Der Minimalismus war von jeher seine größte Stärke gewesen, doch nun drohte er ihn zu vernichten.

    Und der Tag kannte noch kein Ende für den Wolf…

    So zerriss er Sehnen, Schenkel, Muskeln, Fettpolster und dünne Knochen mit seinen Zähnen, sie rissen, zerschnitten, kauten, mahlten. Doch welch Gebisse hatte die Natur schon erschaffen? Mächtige, tödliche Gebisse. Dagegen war seines doch wirklich lächerlich. Er sehnte sich in jenem Moment nach Strömen von Blut, nach frischen, pulsierenden Organen, die er durchschlug, nach der puren Essenz des Lebens.

    Und so saß er an seinem kleinen Feuer und aß, aß und sah herab, von jenem kleinen Hügel, von dem aus man die Stadt gut sehen konnte, Gorthar, die Stadt der Städte, sein Schicksal hielt ihn hier gefangen, der Weg seiner Bestimmung, der Weg des Kriegers, der Weg des Solaufein. Die knackenden Äste und Scheite glühten wärmend und unheimlich, ihr feuriger Blick schien sein Blut zum Kochen und Wallen zu bringen, seine Gedanken kreisten nur um die eine Sache, seine Pupillen fokussierten ein blindes Ziel und in seiner Phantasie tanzte er bereits wieder mit dem Drachenzahn in seiner Hand. Er wusste, was dazu zu tun war. Er war bereit erneut zu töten.

    Der junge Mann bröckelte mehr noch als man es ihm ansah. Er verlor stündlich mehr von seiner Identität, mehr von seiner Güte, seiner Gnade, seines Gewissens. Und es schien nichts auf dieser Welt zu geben, was diesen Prozess noch aufhalten konnte.

    --

    Gefesselt in seiner geballten Konzentration, umhüllt von schwarzer Macht und abgelenkt durch die Kraft der Vorstellung, hörte er das gut zu hörende Gewirr des Waldes viel zu spät. Der Boden raschelte, Äste knickten um, ein Keuchen kündete von einer schwer arbeitenden Lunge. Erst als es bereits zu spät war, zuckte es durch seinen Körper. Wie ein Schlag in den Nacken, nur… anders.

    Eine dunkle Gestalt rannte aus dem Ring der Bäume, schien einen Moment inne zu halten und zu schauen, wollte dann weiter, verlor jedoch den Halt, rutschte aus und kullerte einige Purzelbäume den Hang hinab, ehe sie unsanft gegen einen morschen Baumstumpf krachte.

    Mit schnellen Schritten näherte sich der Leichnam dem Schatten, preschte nach vorne und hielt sein Schwert in Schlagdistanz. Waren es seine Häscher? Oder nur eine von ihren hundert Fallen? Er war bereit sie zu töten. Alle.

    »Langsam umdrehen und aufstehen.«

  13. Beiträge anzeigen #53
    Veteran Avatar von Tuk-Tuk
    Registriert seit
    Feb 2007
    Beiträge
    547
     
    Tuk-Tuk ist offline
    Weg, einfach nur weg.
    Weg von hier.
    Weg mit den Beweisen.
    Weg mit den Erinnerungen.
    Weg mit den Verfolgern.
    Weg, weg, weg.

    Wo war sie?
    Weg…

    Wer war sie?
    Sie war eine Orkschamanin aus Faring.
    Weg…
    Ja… sie erinnerte sich…
    Weg…

    Was war bloß los?
    Weg…
    Der gestohlene Kürbis…
    Weg…
    Die Bauern?
    Weg…
    Und die Orks hinter ihr?
    Weg…
    Nein, sie waren noch immer da, sie spürte ihren Atem in ihrem Nacken
    Und dabei waren sie doch weg…

    Ihre Magie… ja, die Magie, sie hatte ein Gespür dafür…
    Weg…
    Welche Magie? Was war das?
    Weg…
    Hatte sie das gemacht? Aber was? Und wie?
    Weg…

    Ihr Kopf…
    Weg…
    Nein, er war noch da… noch…
    Weg…

    Die Höhle… oh nein… die Höhle…
    Weg…
    Sie war weg…
    Aber wie… wo… wer…
    Weg…
    Was war bloß geschehen…
    Weg…
    Die Magie… wieso die Magie? Welche Magie?
    Weg…
    Hatte sie es tatsächlich geschafft? Oh ja… das Experiment… die Probe… Sie hatte die Ketten des Machbaren gesprengt… nichts hatte sie mehr aufhalten können… alles war…
    Weg….

    »Ich…« Sie stöhnte…. röchelte, spuckte Blut aus einer gerissenen Lippe. Es musste beim Sturz passiert sein, die Robe endgültig zerrissen, aber was kümmerte es noch. Es war ohnehin alles zu spät. Sie war am Leben, aber was machte sie an diesem Ort? War das Myrtana? Wo war Faring? Und warum war sie auf der Flucht?
    »Die Illusion…« Sie erinnerte sich. Flüchtig. Die Illusion. Sie war eine Schamanin. Sie konnte so etwas. Die Orks… irgendwer war hinter ihr her. Eine noch nicht ganz auskurierte Wunde haderte in ihrer Schulter. Schwer ranzukommen. Irgendwann musste sie geblutet haben. Es schmerzte unendlich, schien frisch, frisch verheilt. Wer… sie… war sie es? Und wieder schwand die Erinnerung… welche Illusion? Weg…

    »Ein Ork... … … …«

    Irgendetwas ließ sie mehr spüren als Schmerz. Etwas zerrte an ihr, rüttelte, schüttelte, ihr Gedankenbild verschwand. Nichts zu erkennen. Alles dunkel, die Augenlider kaum offen. Müde, dreckig, schwach… nichts ging mehr. Aber irgendetwas hielt sie am Leben, fern von Ohnmacht… Ohnmacht… richtig… sie war ohnmächtig… irgendwann einmal.

    Grausige, wabernde Finsternis, was ging hier bloß vor.

    »… … … … …«

    Sie hörte nichts mehr, nur ein Piepsen, ein heller Ton, was war bloß los. Sie versuchte krampfhaft zu denken, aber an was? Alles war… weg.

    »… … ILLUSION!«

    Ein Donnerhall zuckte durch ihren Körper. Was war das? War sie tot? Wo war sie gestorben? Wer hatte sie getötet? War das das Ende? Wieso konnte sie nichts tun? Illusion, was für ein Wort, was beschrieb dieses Wort? Hatte sie das gerade gesagt? Illusion, welch witziges Wort, was… etwas wurde über sie gegossen, war das Wasser? Es fühlte sich an wie Wasser… es "fühlte" sich an wie… sie fühlte etwas… ihr Körper kam langsam wieder zu sich… Illusion… noch einmal zuckte es, doch es war ihr eigener Herzschlag, sie erinnerte sich wieder, nur kurz, doch sie bekam einen fürchterlichen Schock, einem Herzstillstand gleich, sie zuckte nach oben, wäre fast in die Klinge gesprungen, die sie weder wahrnahm noch sehen konnte, etwas manifestierte sich aus dem Schatten, es war ihr egal was es war, ein Frosch, ein Baum, ein Stier, egal, vielleicht konnte es ihr helfen, ja, helfen, sie brauchte Hilfe, die Illusion…

    »She shak… keshe nok tar… keshe… garantish sha…«

    Ihr wurde wieder schwarz vor Augen, noch schwärzer als ohnehin schon, die kurze Erholung schien vorbei, das Wasser wirkte nicht mehr. Ihr Kopf sackte nach unten, doch kaum war er kurz gesunken, katapultierte ihn etwas wieder nach oben. Und schon wieder ging dieses fürchterliche Geschüttel los. Es verfehlte nicht seinen Zweck. Sie blieb wach. Wenn man diesen Zustand einer matschigen Anwesenheit für wach halten wollte.

    »Was… für… eine… Illusion?«

    Sie öffnete die Augen, dieses Etwas schien wieder etwas klarer zu werden. Es klang lustig, was er da sagte. Unglaublich lustige Stimme hatte das Ding da. Und wie es aussah. Wenn sie jetzt tot war und alle Dinge so aussahen wie dieser Morra da, hui…
    Morra… irgendetwas sagte ihr dieser Begriff… warum hatte sie ausgerechnet daran gedacht? Morra, Morra, Morra, sie wiederholte den Begriff immer wieder, wollte mit ihm tanzen und lachen, etwas Lächerliches ergriff ihre Gedankenwelt. Doch auch hier half ihr die Vergangenheit. Selbst für die Lächerlichkeit war der Begriff aus ihrer Vergangenheit zu präsent. Er hatte sich in ihren Kopf gebrannt. Viel zu viel verband sie damit.

    Für einen kurzen Moment gelang es ihr, wieder zu denken. Nicht viel Brauchbares kam dabei raus, aber die Schamanin verstand… für den Augenblick. Er wollte etwas. Dieser Morra… dieser lustige Morra… dieser lustige Morra mit dem Schwert… der da… sie musste anders sprechen… anders sprechen… sie hatte es irgendwann gelernt…

    »Meine shak… illu… sion… keshe nok tar… sie… sie ist zerstört… garanti… sie… sind… gleich… hier…«

    Sie wusste nicht, was sie da redete, alles war augenblicklich wieder weg, die Schmerzen, die Erschöpfung, die Magie, das Chaos, nichts war mehr normal. War sie tot? Ja… wahrscheinlich. Und schon hatte sie wieder vergessen, was sie gerade gesagt hatte. Der Morra verschwand in der Ferne und eine angenehme, schwarze Finsternis verschluckte sie wieder. Ein orkisches Gesicht tauchte vor ihren Augen auf… sie kannte es… sie kannte diesen Ork… sie hatte ihn einst Meister genannt… ja… es war ihr Meister… war er etwa auch hier? Auch… tot?

  14. #54
    Solaufein
    Gast
     
    Das Schwert kreiste zwischen den Fingern, immer und immer wieder wich die Entscheidung einem Aufschub, während der Dolch über die jugendliche, immer hässlicher werdende Haut fuhr. Furche für Furche, Knochen für Knochen, Fleisch für Fleisch. Der Kopf des Wolfes wippte auf und ab, auf und ab, auf und ab… nach links, nach rechts, nach links, nach rechts…

    Aus den Mundwinkeln tropfte der Speichel, unbemerkt, nur das Knurren vernahm das Tier, unbeständig, keinen Abständen folgend, im Takt mit dem Chaos der Seele.

    »Wie viele muss ich töten… wie viele… von euch…«

    Das Tier erhob sich, die unscheinbare Gestalt wuchs und wuchs, unvorstellbare Muskeln spannten sich, jede Sehne, jede Faser des Fleisches rebellierte, das Tier erhob sich gegen das Tier, Solaufein erhob sich und sein Kiefer war weit aufgerissen, bereit zu töten, bereit zu trinken…

    Doch das Chaos der Seele rebellierte ebenso. Noch war die Verderbnis seines Herzens nicht vollends vollkommen. Noch gab es etwas wie Güte und Mitleid in seinen Augen. Er starb… langsam. Qualvoll. Elend. Nicht schnell und gütig.
    Das Tier vor ihm schien keine Gefahr mehr darzustellen. Er hätte es retten können. Und es genauso gut töten. Mit diesem Krieg hatte er nichts am Hut. Viel zu oft hatte es ihn den Kopf gekostet. Dieses Tier… es war wie Kara. Eine Venusfliegenfalle. Ganz recht. Eine Falle. Eine Falle, in die er hinein tappen sollte, er…

    Nicht weit von ihm donnerten Schritte, große Schritte, mächtige Schritte, Riesenschritte. Schritte einer ganzen Armee. Mit einem lauten Knurren machte der Zweibeiner kehrt, sein Umhang kündete von Abschied, seine geschlagenen Wellen säuselten von Bitterkeit und Melancholie. Sie spielten sein Lied. Das Lied der Todgeweihten.

    Doch seine Füße wollten ihn nicht mehr länger tragen. Sie verweigerten ihren Dienst. Voller Wut auf sein inneres Chaos, auf den langsamen Tod, ballte er die Hände zu Fäusten, sein Hals schwoll an, er dürstete nach Blut. Nach Rache. Nach Ablenkung.
    Und er sollte sie bekommen.
    Es war zu spät…

    Drei Riesen sprangen aus der Deckung, gepanzerte Festungen, bewaffnete Massenmörder, gestählte Berserker. Seine Armee war angekommen… und noch immer konnte er nicht kämpfen. Es hieß: "Kämpfst du für etwas oder jemanden, bist du unsterblich – kämpfst du für nichts, ist der Kampf bereits verloren."
    Für wen sollte er kämpfen? Für was? Für das Tier, das hier lag? Ein Stück Fleisch? Kaum in der Lage zu atmen, mit dem Wahnsinn mehr ringend als mit dem Tode?
    Früher hatte er diesen Grund nicht gebraucht. Die Orkjäger lachte er nur aus. Ein Ork war ein Tier wie sie es auch waren, wie die Hunde, wie die Wölfe, wie die Schweine. Wieso sollte man sie grundlos jagen. Einen Grund fand sich doch immer. Für sie genau wie für die Menschen. Sinnlosigkeit, die er nicht unterstützte. Er konnte für einen Ork sterben. Früher. Doch für welche Ideale konnte er heute noch kämpfen? Er hatte keine Ideale mehr, hatte sich selbst verraten, aufgegeben, verurteilt.

    --

    Die Jäger drosselten ihr Tempo. Ihre Wildheit war unverkennbar, doch ihre Barbarei hielt sich in Grenzen. Sie waren intelligent genug, die Situation zu überblicken. Ihr Ziel war gescheitert, was auch immer es vorhatte. Es lag nun auf dem Servierteller. Der Leichnam war die einzige Komponente, die nicht in ihr Bild passte. Vorsicht statt blinde Wut und blinder Hass ließen sie richtig reagieren und den exzellenten Taktiker wissen, dass er es nicht mit besser ausgerüsteten Vollidioten zu tun hatte, sondern mit einer Eliteeinheit der Tiere, denen er nicht gewachsen war. Seine Wunden fühlten sich nicht gut an, sein Körper war geschwächt, mehr in einem Zustand, der sich auf den wahrscheinlich letzten Kampf vorbereitete als in glänzender Schlachtlaune.

    Ihre Lederrüstung mochte imposant sein, doch sie deckte Schwächen auf und doch wirkte die Einheit keinesfalls müde oder erschöpft, im Gegenteil, sie waren Jäger, Jäger wie er, sie kannten den Wald, kannten das Terrain, kannten Vor- und Nachteile. Wie hätte er schon entgegenhalten können, mit einem Fetzen Leinen, durch den jedes Butterbrotmesser glitt, doch die Tiere hatten keine Butterbrotmesser…

    »Wee-r bist duu-u?«
    Eines der Tiere trat vor, ihn unterschied nichts von den anderen, nur dass an seiner Schulter die Köpfe von zwei getöteten Tieren baumelten. Er sprach gut, besser als es die meisten Menschen erwarteten, doch der Leichnam würdigte ihm keines Blickes. Stattdessen schluckte er die angestaute Verzweiflung herunter und erkannte, dass es keine Flucht mehr geben konnte…

    Es war vorbei… endgültig…

    »Ich… bin… niemand…«

    Und die Grashalme bogen sich im Wind.

    »Niemand… verlaa-sse diesen Oo-ort, wir führee-en keinenn-n Krieg mitt-t dir, du kaa-anst gehen.«

    Vermutlich sagte das Tier sogar die Wahrheit. Ja, natürlich tat es das. Es sah so feindselig aus, so barbarisch, so hinterhältig, so unglaubwürdig, doch was kümmerte es den Blinden, der die Gestalt des Tiers nicht sehen konnte, nicht sehen wollte… Aber so einfach war es nicht. Seine Füße wollten nicht von hier gehen

    »Jaaaaaaaaaaa…«

    Die Stimme verschluckte den Vokal und der Umhang tanzte erneut im Wind, doch dieses Mal war der Wind stürmischer, kräftiger, keine Brise, nein, ein Sturm kam auf, die ersten Ausläufer erreichten sie und das Geräusch verlor seine Hoffnungslosigkeit, der Umhang spürte, dass der Kampf nicht mehr fern war, er bereitete sich vor und stimmte seine Instrumente für das anstehende Konzert des Blutes, der Klingen und der Schreie.

    »Dann-nn verschwindd-de… SOFORT!«

    Die Orks zückten ihre Waffen und es heulte fürchterlich, beim Schrei des Tieres zuckte selbst der Wind zusammen, wusste doch auch er, was ihn nun erwartete, es blieb ruhig und auch der Knochen bewegte sich nicht.

    »Ich bin ein Niemand… doch man kann mich nicht töten, versteht ihr? Es gibt jemanden auf dieser Welt, der mich unbedingt tot sehen will. Doch er will es selber tun. Er gibt sich mit nichts anderem zufrieden. Und er wird alles tun um zu verhindern, dass Tiere wie ihr sein Vergnügen stören. Ihr wollt mich also töten? Dann versucht es doch, ich bin unsterblich…«

    Noch im selben Moment, als sich der Leichnam schlagartig umdrehte und dem Wortführer der Orks sein Schwert in die obere, rechte Schulter schlug, wurde ihm bewusst, dass er diesen Kampf verloren hatte. Es gab nichts und niemanden, an den er glaubte. Er würde dieses Mal seinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen können, er würde dieses Mal draufgehen.

    Und so nahm das Schicksal seinen Lauf…

    Das Blut des ersten Schlages eröffnete den blutigen Segen, eine wahre Fontäne der roten Schönheit ergoss sich über sie, wie ein zorniges Sturmkind überrumpelte er die zunächst überraschten Tiere, blockte ihre Schläge, zog nach, indem er dem Zweiten von ihnen den so lieb gewonnenen Dolch in den Oberschenkel rammte, wich aus und drückte gar den Dritten mit seiner bloßen Kraft zu Boden, ehe der Stahl des Wortführers seinen Oberkörper durchbohrte und im Sog des Schwunges zu Boden torkeln ließ. Aber so leicht würde er es den Tieren nicht machen, er wollte wie seine Vorfahren sterben, voller Würde und Stolz. Es war kein persönlicher Groll gegen die Angreifer und kein Hass der ihn trieb, dennoch wollte er so viele wie möglich mitnehmen, mindestens einen, gar zwei, am Ende sogar alle… der Kampf fand seine Fortsetzung, das Blut zweier Tierarten benetzte die Erde, Blut für Nichts… Blut für das Vergessen… doch vergessen konnte er nicht, als ein ähnlich gewaltiger Schrei wie soeben den Hügel erzittern ließ.

    »TÖTET II-IHN, TÖTET NIEMAND!«

  15. Beiträge anzeigen #55
    Veteran Avatar von Tuk-Tuk
    Registriert seit
    Feb 2007
    Beiträge
    547
     
    Tuk-Tuk ist offline
    Kein körperlicher Schmerz vermochte es mehr, eine Regung in ihr hervorzurufen. Die Nerven waren abgestumpft und verroht. Sie hatte sich mit Mächten eingelassen, die ihre Fähigkeiten überstiegen hatten. Und nun bezahlte sie den Preis dafür. Klar und rein.

    Die Verwirrung wich in der Umarmung des Todes.

    Ihre Flucht war so unerklärlich gewesen, nun wusste sie, warum sie fortgelaufen war. Ihre eigenen Brüder jagten sie und das zu Recht. Mehr noch, ein Kopfgeld war auf sie ausgesetzt. Die vielen Morde ließen ihnen keine andere Wahl, wie hätten sie schon ahnen können, dass es nicht sie war, die mit der Magie gesündigt hatte.

    Lediglich Emotionen waren noch lose in ihr vorhanden, schlecht gebundene Schleifen, dünnes, altes Bast. Die Trauer fiel von ihr ab, die Schuld folgte sogleich. Für Enttäuschung, Verzweiflung und Wut gab es kein Halten mehr und sie ließ langsam aber sicher los. Sie war so stark gewesen, aber für die eigene Tat gab es keine Entschuldigung, keinen Reiz mehr, sie ungeschehen zu machen. Ihr fataler Ehrgeiz hatte ihr eine schwarze Maske aufgesetzt – gegen die ein Kampf sinnlos erschien.

    Die Bilder zogen vor ihrem Auge vorbei, das Lächeln aus dem Gesicht verschwand und ein ausdrucksloser Blick blieb zurück. Kaum etwas nahm sie jetzt noch wahr, fühlte sich nur noch leicht und schwerelos, wenn es überhaupt noch ein Gefühl gab.
    Plötzlich jedoch riss das Band, wie von einem scharfen Messer durchtrennt, wie ein bewusster Schnitt durch ihren Muskel, durch ihre Sehne, scharf und berechnend, die Wirkung blieb nicht aus.

    Körperlicher Schmerz, welch eine Farce konnte dies sein? Das Bewusstsein kehrte zu ihr zurück, sogar die Augen sahen wieder Farben und sogleich den Hügel nahe des Waldes. Ein Blick auf ihren rechten Arm verriet ihr das Messer, das zwischen dem Fleisch steckte, aber Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht.
    Eine hell strahlende, fast weiße, nein bleiche oder war es gar eine schemenhafte Wolke näherte sich ihr. Mit rasender Geschwindigkeit zog der Nebel auf, doch als er sich ihr näherte, war es keineswegs so, als ob das Phänomen natürlichen Ursprungs wäre.
    Ohne eine Chance zur Reaktion packte sie eine manifestierte Hand am Hals und drückte ihr die Luft ab. Was geschah hier? Warum brauchte sie diese Luft noch? Und wie war es möglich, dass sie diesen Schmerz noch fühlen konnte?
    Aus der restlichen Nebelmasse manifestierte sich die Gestalt endgültig. Ein Gesicht und einen Körper wurden geformt und sogleich wusste sie, wen dieser Nebel darstellen sollte. Es war ihr Meister. Es war Ic'Shak. Aber das war… unmöglich? Nein, es war…

    Mit grimmigem Blick sah er sie an, durchbohrte ihren Blick förmlich, der Nebel bildete jedes Detail seines Gesichtes nach, ließ keine Unebenheit aus. Mit der Gewalt eines Riesen hievte er ihren Körper nach oben, bevor er den Griff um ihren Hals wieder locker ließ. Der Schemen sprach kein Wort und verzog keine Miene, doch er zeigte mit unbändiger Entschlossenheit auf etwas an ihrer Hüfte, ehe der Nebel zerlief und nach und nach wieder verschwand. Doch nicht nur das, er schien regelrecht an einen Ort zu flüchten, an eine konzentrierte Stelle. Etwas, das an ihrer Hüfte war…

    Als erste körperliche Reaktion wollte sie dieses bizarre Phänomen trotz allem nicht entkommen lassen, doch ihr Griff durchstreifte nur die Luft und schien dem Nebel nichts auszumachen.

    Nicht fähig zu sprechen, wurde der Name des großen Orkschamanen in ihrer Kehle verschluckt, ehe eine unbemerkte, heimliche Träne über ihre Wange lief.
    Eine Träne? Ungläubig über dieses warme, unangenehme Etwas auf ihrer Wange wischte sie sich über selbige und blickte ungläubig auf. Wie konnte das sein?
    Hektisch suchte sie ihren Körper ab, an der zerrissenen, dreckigen Robe, die nichts mehr von ihrem alten Glanz besaß, fehlten viele Dinge, die sie dort einst untergebracht hatte. Aber ein schwarzer Beutel baumelte noch immer daran. Eiligst öffnete sie ihn und holte ein schwarzes Tuch hervor, welches sich leicht abwickeln ließ. Zum Vorschein kam ein Knochen. Ein Oberarmknochen. Doch es war nicht irgendein Knochen. Sie wusste augenblicklich wieder, was das für ein Knochen war. Ihr wurde kalt, dann wieder warm und schließlich wieder sehr, sehr kalt. Ihre Gedanken sammelten und konzentrierten sich. Alles, was sie vergessen hatte, alles, von dem sie besessen war, es kehrte zu ihr zurück.

    Wie aus einer Trance erweckt blickte sie auf ihre Hände, in denen der Knochen nun ehrfürchtig lag. Sie spürte innerlich, wie ihr ganzer Körper wieder zum Leben erweckt wurde, sie spürte die Kraft, sie spürte den Blutkreislauf, sie spürte die Magie in sich.

    Erst jetzt nahm sie ihre Umgebung war. Erst jetzt sah sie den Kampf. Doch eine Erklärung hatte sie nicht. Früher hatte sie die Erklärungen gebraucht, Rechtfertigungen, Begründungen, Argumentation. Aber diese Tuk-Tuk, so war ihr Name, gab es nicht mehr. Jetzt, wo sie von dem Fluch befreit schien, jetzt musste sie über die weitere Entwicklung nachdenken. Aber ihr Hirn war schon viel schneller, es erholte sich in rasender Geschwindigkeit. Sie brauchte keine Deutungen mehr, brauchte keine Fragen mehr stellen. Sie wusste, was zu tun war. Sie brauchte den Schädel des Ic'Shak. Und sie brauchte das Artefakt, das noch immer in Faring warten musste. Sie brauchte die Macht des Meisters, sie war wichtiger als alles andere.

    Ohne zu zögern machte sie einen Schritt nach vorne, während sich die Magie der Umgebung in den Handflächen sammelte, sie erkannte nicht weit von ihr die drei Orks, die sie verfolgt hatten, sie kämpften mit irgendetwas, ja, sie erkannte diese Gestalt, wie sie nur ein Morra haben konnte. Der Wind begann direkt aus dem Wald zu heulen, während die stampfenden Schritte von etwas Großem den Waldesrand erreichten, das platte Gras begann vor ihren Augen zu wachsen und mit ihm die ein oder andere Überraschung der Natur.

    Etwas Dunkles lag in dem Blick der Schamanin, jetzt, wo sie wieder kontrollierte und wirkte, jetzt, wo sie ganz genau wusste, was zu tun war. Nicht nur Dreck hatte ihre Robe verunreinigt, auch Blut klebte daran, eine Mordlust war es vielleicht nicht, die sie sogleich wieder mitten hinein in jenen Kampf führte, doch sie schien ganz genau zu wissen, was sie tun musste, um in jener Auseinandersetzung zu töten. Ihre Illusion hätte genügt um zu verschwinden, aber das konnte ihr nicht reichen, nur am Leben zu bleiben. Sie konnte keine Zeugen brauchen, niemand durfte wissen, was nach dieser Nacht geschah, bevor sie es nicht selber bezweckte. Sie tauchte ein, direkt zwischen die Kämpfenden, in Reichweite ihrer Waffen sowie in Reichweite ihrer Gedanken, je besser sie diese kontrollieren konnte, desto leichter würde sie es haben…

  16. #56
    Solaufein
    Gast
     
    Wie der tödliche Hieb einer Himmelskreatur erschien die fremde Einmischung in den Kampf, den nur ein ferner Beobachter in seiner ganzen, entscheidenden Wirkung betrachten, ja, genießen konnte.
    Für derlei Unwichtigkeit hatte der Tod keine Augen. Für ihn ging es nur um Brutalität. Banale, instinktive Gewalt. Die Konzentration der Empfindungen lag primär auf Fleisch, Blut und Knochen. Der Zustand der Verrohung im blanken Kampf um das Leben war beschämend für das Menschengeschlecht, das sich kulturell-denkend rühmte. Der Grad fand dennoch eine Differenzierung. Keiner der Bestien war gut oder schlecht, sie alle taten das, was sie tun mussten. Eine Wahl besaßen sie nicht, nicht der Ork, nicht der Mensch. Eine Wahl vorzutäuschen lag in der Sichtweise nicht beteiligter, sich kulturell-denkend schimpfender Individuen. Kreaturen, die schon tot waren, bevor der Kampf seinen Höhepunkt erreicht hatte und die nur deshalb lebten, weil sie diese Kämpfe versuchten zu vermeiden. Dies war ihre Begründung für ihren Überlegenheitsanspruch. Sie, jene seltsam komische Oberschicht, zumal primär der menschlichen Rasse angehörig, war sich einig, wie jener Kampf, rein in der Theorie, zu behandeln war. Verrohte Tiere ohne Hirn und Kultur, ja, so sah man die Orks doch an, kämpften barbarisch und ohne Ehre, wild und, ja, maximal verroht.

    Wäre es nur so gewesen…

    Der Mensch, genauso Tier wie alle anderen, hatte seine Wurzeln verlassen. Er strebte nach Überlegenheit, Kultur, Intelligenz, ein wertungsfreier Gedanke, der vielleicht sogar in ihrer Natur lag, doch nicht jeder hatte seine Herkunft so leicht abschütteln können…
    In jenem Kampf, drei gegen einen, ohne Hoffnung, ohne Sinn, ohne den Willen, das Morgen zu überleben, weil dieses Leben so schön war, dass man es solange genießen wollte, wie die Götter einem Zeit schenkten, diesem wundervollem Dasein voller Glück und Freunde, ohne all diese Gaben an Geist, Seele und Herz war der Kampf entschieden. Kein menschlicher Krieger dieser Welt hatte Kraft, Intelligenz und Talent, gegen diese drei orkischen Tierberserker zu bestehen… nicht ohne Hilfe… nicht mit Gedanken der Ehre, von Grenzen, einem eigenen Heil.

    Als das Rumoren des Waldes ansetzte, der tiefe Klang der unheilvollen Einmischung, als Donnerblitze vom Himmel regneten und seine Feinde in den Wahnsinn trieb, da hatte der Kampf bereits den Höhepunkt überschritten.
    Kein Blut wollte mehr fließen, kein Schritt mehr die wackelnden Beine vorantreiben.
    Sein Schwertarm zierte eine mehrere Fingernagel tiefe, noch viel längere Fleischwunde, aus der das Blut strömte, mehrere Rippen waren gebrochen und seine Lunge eingedrückt, das Atmen wurde zur Qual, die dünne Kleidung in Fetzen geschnitten, eingetaucht in kräftiges Rot, ein Auge zugeschwollen, die Wimpern mit Blut verkrustet.

    Obwohl es seinen orkischen Kampfesbrüdern nicht anders erging, hielt jeder sein Schwert tapfer in der Hand. Ihre Mission war wichtig, keine Lappalie. Sie hingen an ihrem Leben, doch noch mehr an ihrem Kampf. Niemand gab auf, niemand rannte fort. Die letzten Hiebe sollten das Schicksal des Kampfes entscheiden, der nur deshalb noch tobte, weil die Grünfelle nicht nur schwerfällig, sondern auch schwer beeindruckt waren. In ihren anfänglichen, noch nicht glühenden, mit Blut verkrusteten Augen konnte man sehen, dass sie niemals zuvor eine solche Verrohung im Kampf erlebt hatten. Nicht einmal sie, die vielleicht größte Kriegerrasse dieses Kontinents, konnte mit der Wildheit des Aufgebenden mithalten, dem nichts mehr blieb außer dem reinen, puren Kampf.

    In jenem Moment also, als das seltsam irre Tier, das er – ob er wollte oder nicht – durch sein Tun gerettet hatte, in den Kampf eingriff, als die Fugen der Realität durch faulen Zauber verschoben und sie alle um ihre Ehre betrogen wurden, da widerstand seine pure, reine Fokussierung der faulen Blendung, als sich seine Kampfesbrüder verwirrt abwendeten und kurz darauf starben.

    Ohne Pause, ohne Mitleid und ohne Zögern schlug er noch drei kräftige Schläge mit dem besudelten Schwert, das noch immer – trotz all der inzwischen ruhmreichen Siege – keine Seele hatte und für den Krieger nur ein billiger Abklatsch der Morgendämmerung darstellte.
    Erst jetzt, mit den letzten, doch eigentlich schwächsten Schlägen, brach er den Widerstand der orkischen, gestählten Körper und durchbrach sie und ihren Schutz wie weiche Butter. Jeder Schlag bedeutete unmissverständlich ein Todesurteil, durchtrennte den dünnen Faden des Lebens haargenau und ließ die riesigen, gefürchteten Berserker wie Säcke umfallen.

    Mit der letzten, ungemein grazilen Bewegung wagten es seine Füße noch einmal sich auf die Zehenspitzen zu stellen, während sich jede der angespannten Muskelfasern noch einmal zusätzlich dehnte, der faulende, krank aussehende Oberkörper, den kaum noch ein Stück Stoff bedeckte, wirkte für einen Moment vollkommen gesund, als ob er sich selber heilen könnte, keine der Wunden mehr existierte, er streckte sich, hin zum Himmel, hin zu seinem Ende, hin zu dem Ort, den er hoffte nun endlich erreichen zu können, wie auf dem Präsentierteller, dass die Götter ihn ja bloß gut sahen, jenen schmucken, schmutzigen, unglaublich dummen, dummen Jungen, der es einfach nicht lassen konnte, ein Mensch zu sein.

    Aber das Bild war kein Bild für die Ewigkeit. Nur für einen Wimpernschlag existierte es, dann verließ ihn die Kraft und das von Orkblut triefende Schwert fiel scheppernd auf einen Stein, zeitgleich schlug sein Schädel auf, der Kampf war vorbei, er kannte keine Sieger, wie schon gesagt, er war nicht und nie zu gewinnen gewesen…

    Der junge Mann horchte noch ein letztes Mal tief in seinen Körper. Er hatte schon viele Wunden gehabt. Er war kein Gott. Keine Legende. Und auch kein Held. Er war sterblich. Und die Wunden tödlich. Nicht im Stande sich noch zu bewegen, sollte es schnell gehen, er hatte viel zu viel Blut verloren.

    Solaufein sah, wie sich etwas näherte. Aber er war zu schwach um seinen Hals noch zu bewegen. Alles was er noch sah waren die Füße, von wem sie waren wurde ihm noch klar.

    Er hatte sie gerettet. So oder so. Sie sollte ihm danken und seine Tat ehren, aber bloß nicht versuchen sich zu revanchieren. Sie durfte ihm unter keinen Umständen helfen, obwohl das sowieso so gut wie unmöglich war. Aber auch den Versuch hatte sie zu unterlassen. Er wollte es nicht. Er lehnte es zutiefst ab. Alles was er noch wollte war der Tod. Nicht mehr und nicht weniger. Er, Solaufein, verdiente den Tod. In absolut jeder Hinsicht. Als Strafe und Belohnung. Auf jeder Linie hatte er versagt. Und doch hatte er wieder jemanden gerettet, wie schon so viele zuvor. Uneigennützig und ehrbar. Aber daran konnte er noch nie einen Gedanken verschwenden.

    Nicht in der Lage zu sprechen oder nur einen Muskel zu bewegen, schloss er langsam seine Augen, als sich die Kälte in seinem Inneren stärker ausbreitete und sein Herz zu erreichen drohte.

  17. Beiträge anzeigen #57
    Veteran Avatar von Tuk-Tuk
    Registriert seit
    Feb 2007
    Beiträge
    547
     
    Tuk-Tuk ist offline
    Sie näherte sich dem Schlachtfeld, das von Blut getränkt war. Ihre Füße berührten die Erde, zerstört und aufgewühlt, ein warmes, angenehmes Gefühl, fern von der sonstigen Kälte des Bodens.
    In ihrem Gesicht formten sich die Züge von Zufriedenheit und boshafter Entzückung. Die Schamanin konnte wirklich sehr zufrieden mit sich und der Welt sein, alle hatten sich selber umgebracht. Das hieß, fast. Der Morra lebte noch immer. Gefühle wie Dankbarkeit oder Mitleid waren ihr genauso abhanden gekommen wie die Schwäche. Das Zögern und Vergeben war etwas für die Verlorenen, für jene, die es nie zu etwas bringen würden. Wie der Alte, an dessen Lippen sie noch vor kurzem gehangen hatte, seine Lehren, seine Worte, welch eine Potentialverschwendung. Aber sie wusste es besser.
    Das bloße Grauen ihrer neuen Macht umgab sie in einem schwarzen Dunst, so voller dunkler Kraft, das ein bloßer Hauch genügte, um das Leben zu stehlen. Nichts war mehr von der schwachen, verwirrten Orkin zu sehen, die auf der Flucht stolpernd das Gleichgewicht verlor und stürzte, ihren brutalen Häschern hilflos ausgesetzt. Erinnerung war Macht. Sie führte zu dem fürchterlichen Wissen in ihrem Kopf.
    Genüßlich erlebte sie diesen Moment, ehe sie sich genug an ihrer Überlegenheit gelabt hatte und mit bloßer Gewalt ihr rechtes Bein anhob und mit voller Wucht ihren Fuß auf den Kopf des sterbenden Morra sausen ließ.

    Geräusche von knackenden Knochen, gebrochenen Wirbeln und zerquetschtem Knorpel drangen an ihr Ohr, doch noch mehr, das Gefühl der absterbenden Nerven, der unglaublichen Kälte, die tausend Mal kälter als Schnee sein musste, erfassten ihre exzellent geschulten Sinne.

    Das blanke Grauen stand ihr in das Gesicht geschrieben, der weit geöffnete Mund entließ die verbrauchte Luft ähnlich eines schwarzen Fluches, der auf ihr gelastet hatte.
    Die orkische Schamanin stand direkt neben dem sterbenden Morra, doch dessen Genick war noch heil, die Vision der Tuk-Tuk auf ihrem Weg in die Reihen des Kampffeldes ein Vorbote ihrer Erlebnisse, die mit einer bloßen Erinnerung nicht aufgearbeitet sein konnten, sondern die Wahrheit noch längst nicht preisgegeben hatten.

    Wer war sie? Was war sie? Und vor allem, seit wann?

    Ihre Häscher waren tot, sie hatte Zeit gewonnen, mehr als sie sich erhoffen konnte. Ihre Magie war stark gewesen, doch es war eine defensive Magie, eine Magie, mit der man nur schlecht töten konnte. Eine Magie, die – selbst mit der dunklen Macht die sie zweifellos umgab – viel Kraft kostete. Sie kannte diesen Morra nicht, kannte nicht einmal sein Gesicht, aber zweifellos hatte sie ihm viel zu verdanken.

    Mittlerweile hatte sie sich neben dessen Körper gekniet und streichelte nun seine Haare, Haare, die zwar seit gefühlten Äonen nicht mehr gewaschen schienen, in denen aber genauso Blut und Dreck vom Kampfe klebten wie überall sonst auch.
    Ihr feines Gespür verriet ihr viel über den Fremden. Seine Blutbahnen leerten sich, einige seiner Organe hatten bereits ihren Dienst versagt, weniger tragisch waren die zahlreichen Knochenbrüche und Knorpelabsplitterungen, von denen er wohl nur die Rippe spürte, die auf seine Lunge drückte und die ebenfalls eine ernste Bedrohung für sein Leben dargestellt hätte, wenn nicht der hohe Blutverlust gewesen wäre und eben die Organe, die ihn früher, wohl sogar schon sehr bald, das Leben kosteten.

    Einst hatte sie Ork und Tier, Morra und Sklave für weniger Anlaß geholfen, sie erinnerte sich vage an ihren Eid, ihr Versprechen, dem Leben zu dienen, aber sie wusste auch ganz genau, welche Kraftanstrengungen bei dieser Vielzahl von tödlichen Verletzungen notwendig war. Kraft, die sie nach der langen Flucht kaum hatte und zusätzlich brauchte, denn noch war völlig unklar, wie viel Zeit sie durch den Tod der drei Elitespäher gewonnen hatte.

    Während sie vorsichtig seinen Kopf drehte und in sein Gesicht sah, erinnerte sie sich wieder an die Vision und musste sich selber entsetzt abwenden. Diese Tuk-Tuk wollte sie nicht sein. Auch wenn sie es vielleicht bereits war, hatte das Böse noch nicht die Oberhand gewonnen. Der fremde Morra, er sah so friedlich und unschuldig aus, fast, als ob er mit einem Lächeln dem Tod gegenübertreten wollte. Aber soweit wollte es die Heilerin nicht kommen lassen.

    Viele Seelen sollten wegen ihr noch ihr Leben lassen, doch diese Seele hatte sich ihr Leben erkauft. Unbewusst hatte Tuk-Tuk nie eine Wahl gehabt. Das sich entwickelnde Böse musste so handeln. Nie hätte die Schamanin ihre bestimmte Entwicklung gehen können mit der Last einer solchen Bürde, einer solchen Schuld. Nie fiel es ihr leichter unbewusst dankbar zu sein.

    Ihr gefiel dieser Morra, der noch relativ jung zu sein schien. Sie hatte gesehen, wie er gekämpft hatte, wie er sie beschützt hatte, doch sie wusste nicht, warum. Und auch wenn ihre Haltung den Morras, den Menschen, wie sie sich nannten, eine kleine aber feine Änderung durchgemacht hatte, sie fürchtete sich aus mehrfacher Hinsicht nicht mehr vor ihnen, hatte keinerlei Berührungsängste mehr, ignorierte die Haltung der Morras ihrem Volk gegenüber, welche sie immer besser verstand.

    Sie war nicht in erster Linie Heilerin. Ein Leben liebendes Wesen. Eine dankbare Kreatur. Eine Freundin gar. Für sich und noch mehr für den Sterbenden war sie eine Kreatur der Dunkelheit, eine schwarze Schleier tragende Hexe, eine Schamanin des Todes, die das Leben schenkte.

    »Hör mir zu: Du nicht wirst sterben, hörst du? Vertrau mir, Krieger.«, hauchte sie ihm zu.

    Von seinem Ohr war es nicht weit bis zu seinem Mund, ihre Finger glitten über seine Haut und ihre Augen schlossen sich, denn die Blinden sahen die magischen Netze besser ohne die Ablenkung der Realität.

  18. #58
    Solaufein
    Gast
     
    Das Licht am Ende des Tunnels, Fanfarenklänge der geleitenden Geister, die Hände der Ahnen, der purpurrote Teppich, wie der Gang in die letzte Schlacht, dort oben, dort war die Arena, alles war herausgeputzt, schmückte sich wie nie zuvor. Das Leben hatte es selten so gut gemeint, malte sich nicht bunt und glitzern, sondern braun, schwarz, weiß, grau. Normalerweise kämpften dort im Dreck und Sand schweißtriefende Tiere um ihr Überleben, doch diesmal, diesmal erreichte der glorreiche Recke nur ein weiteres Mal die güldene Halle, der Ort des ewigen Glückes, das Paradies schlechthin.

    Wie oft schon war er diesen Weg gegangen? Wie oft hatte sich der Tod nach ihm gesehnt und er dessen Wunsch nur bereitwillig erwidert.

    »Solaufein, wie siehst du denn aus?«
    »Schau nur, was aus dir geworden ist!«
    »Wehe du schaffst es wieder nicht bis zum Bogen!«

    Vom einst geschmückten Helden in protziger Rüstung, mit gepflegtem Haar, aufrechtem Gang, eisernen Blick und vor allem, mit dem Eintritt in die Halle der Besonderen, mit Morgendämmerung, war nicht viel übrig geblieben, jedes Mal schien er ein wenig schlechter auszusehen, bis heute, wo der endgültige Tiefpunkt erreicht schien.
    Ein gebrochener Mann stand da, sich kaum mehr auf den Beinen haltend, mit starrem Blick gen Boden und nichts, was man den Göttern hätte schenken können. Seine einzige Motivation den scheinbar endlosen Gang noch entlangzulaufen war die Aussicht auf ein Ende.

    Bitterkeit hatte sich breit gemacht, vermischte sich in seinem Mund zu einem sauren Geschmack, ließ ihn unendlich wütend werden, Wut und Haß, sie waren seine liebsten Freunde geworden. Er konnte keine Erklärungen mehr finden. Tausende Fragen hatte er sich sein Leben lang gestellt, doch damit war jetzt Schluß, es gab kein Leben mehr, Solaufein war von der Landkarte getilgt, gestorben für einen Ork, nein, gestorben für das bloße Ende, dass ein Suizid niemals herbeigeführt hätte, er hätte sich in sein Herz stechen können und hätte ohne es weitergelebt, da war er sich sicher.

    Als er das Ende des Tunnels erreicht hatte hielt er inne.

    Licht heller als alles was er je zuvor gesehen hatte blendete seine Augen, so schloss er sie und sah dennoch den Weg vor sich. Von diesem Licht beeindruckt hielt er einen Moment inne, sank auf die Knie und betete.

    »Götter, ob gut oder schlecht, ob groß oder klein, ob alt oder jung, ich, Solaufein, jüngster der Sippe der Frostwinds des Schattenzahngebirges, ich bitte euch um den Einlaß in eure Hallen, um euren Segen und um die Anerkennung meiner Taten. Ich bereue nichts, was ich je getan, doch will ich mich richten lassen von euch für jedes Vergehen.
    Vater, Mutter, ich habe euch seit der Prüfung nicht mehr gesehen. Wenn ihr hier seid, so sage ich euch eins. Vergebt mir. Vergebt mir mein Versagen, mein Scheitern, meine Schwäche. Ich konnte die Prüfung nicht beenden. Ich habe euch Schande gemacht, doch mein einziger Wunsch ist es, euch noch einmal zu sehen.
    Christine… ich… habe versagt…«

    Und dann geschah etwas, an das sich der Krieger nicht mehr erinnern konnte, obwohl er sich sicher war, es früher schon einmal erlebt zu haben. Die Götter gewährten ihm eine Träne. Er konnte, er durfte weinen. Ein Zeichen, mehr als er sich je erhoffen durfte. So erhob er sich wieder und blickte glücklich und zufrieden in das Licht.

    »Wohlan denn, Lasst mich her-«

    Sein Herz schlug, doch so fest wie er es noch nie erlebt hatte. Es schien, als ob es aus seiner Brust springen wollte, so hart, als ob es einen eigenen Willen besaß.
    Der Druck des Herzschlages war gewaltig. Es riss ihn fort, fort von dem Licht, fort vom Bogen, fort aus dem Gang.

    »…eeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnnnnnnnn…«

    Ein schriller Schrei begleitete das Fallen, das einem senkrechten Knallfall gleichkam, doch jetzt, mit dem Glück einer einzigen Träne beschienen, fand der Recke neuen Lebensmut und kämpfte, er kämpfte für das Reich der Toten und gegen das, was ihn da holen wollte. Er fand halt an einem Stück des purpurnen Teppichs, doch es war vergeblich, die Macht war stärker, er riss den gesamten Teppich mit, ehe sich die Fallgeschwindigkeit noch einmal erhöhte und er plötzlich in einem komplett dunklen Raum war, es war nichts mehr von dem Licht zu sehen, es musste unendlich weit weg sein.

    Der Sterbende spürte, wie sich in seinem Körper etwas tat, ein ganz und gar unangenehmes Gefühl, das immerzu zunahm, er nahm die Reizungen der Organe war, schon bald spürte er wieder Schmerzen und plötzlich, plötzlich fühlte er, wie etwas an seinen Lippen hing.

    Wie ein in einem Käfig Gehaltener wartete er, nicht mehr Herr seiner Sinne wartete er nur noch auf den Moment, als sich die Gittertüren erhoben, um herauszuspringen und die Feinde in der Luft zu zerreißen. Auch der Krieger konnte nicht mehr an sich halten. Sein ganzer Mut war wieder zerstört, er wusste genau, dass ihn irgendjemand oder irgendetwas erneut vor dem Tod bewahrt hatte oder es zumindest noch versuchte, doch er wollte das nicht, nicht ein x-tes Mal.

    Wut und Hass fraßen sich schneller als die Fallgeschwindigkeit durch sein Hirn und endlich spürte er wieder Hand und Augenlider, so zögerte er keine Sekunde sie zu öffnen und seine Hand blind nach etwas ausstreckend. Er hatte Glück, er erwischte das Etwas genau am Hals, hatte er doch schon vorher gespürt, wie etwas an seinen Lippen war. Jetzt sah er es. Oder war es tatsächlich eine Sie?

    Mit einer Stärke als sei nie etwas gewesen drückte er zu und presste dem Ork die Luft ab, doch als er erkannte, wer es war, verlor sich der schwarze Schleier hinter seinen Pupillen, auch wenn sich Wut und Haß nur etwas tiefer in ihn hineinfraßen. Hilflos, fast schon ängstlich sah er sie an, während gleichzeitig sein Zustand sich wieder rapide verschlechterte und er spürte, wie sich eine Ohnmacht ankündigte. Nur solange diese Orkin an ihm herumzauberte schien ihm ein weiteres Leben vergönnt zu sein, ein Leben, das er nicht wollte, weil es nur ein weiterer Neuanfang wäre, der am Ende nichts bringen konnte.
    Er war der Mann, der niemals lebte, weil er niemals sterben konnte. So schien es jedenfalls.

    »Warum…?«, hauchte er noch in den Wind und griff mit einer Hand durch die Luft, so als ob er damit den Tod ein weiteres Mal einfangen könnte, ehe seine Befürchtung eintrat und seine noch immer bedrohlichen aber scheinbar nicht mehr tödlichen Wunden ihren Tribut forderten.

  19. Beiträge anzeigen #59
    Veteran Avatar von Tuk-Tuk
    Registriert seit
    Feb 2007
    Beiträge
    547
     
    Tuk-Tuk ist offline
    Das Zittern kam und ging, wie im Fieber, wie bei einer Vision, wach und doch nicht anwesend, die Fingernägel bohrten sich in die Erde, um einen Halt zu finden, um dem Beben des Körpers nicht zu sehr nachzugeben.
    Dann wieder Ruhe. Unregelmäßige Phasen des Unwohlseins wechselten sich ab mit unsagbaren Schmerzen, vor allem aber einem Übelkeitsgefühl, das sie jedes Mal zwang sich zu übergeben.
    Die Schamanin konnte zufrieden sein, aber Zufriedenheit war ein Zustand, den sie seit dem Tode Ic'Shaks ewig nicht mehr zu spüren gehabt schien. Als ob mit seinem Ableben das bloße Können abhanden gekommen war. Zufrieden auf eine perfekte Arbeit, eine Operatio complexus, Anschauungsunterricht für künftige Heiler. Dabei war es doch unverantwortlich gewesen, in ihrem Zustand eine solche Fülle von Wunden zu regenerieren. Die Organe hatte sie vollständig von ihren Schäden befreien können, den Brustkorb hatte sie in seinen Urzustand geformt und dabei sogar einige alte Schäden quasi mit bereinigt, doch am wichtigsten war ihre Fähigkeit zur Reproduktion von Blutzellen für die Heilung gewesen, eine Blutart, von der sie nicht ahnte, welch ein Fluch darauf lag, Blut, das auch sie nun besitzen musste. Aber während der lebensgefährlichen Operatio hatte sie für solche empfindlichen Störungen keine Wahrnehmung. Sie gab dem Herzen einen neuen Anstoß, quasi in letzter Minute, denn allzu lange durfte das Herz nicht aufgehört haben zu schlagen, dann war nur noch in den seltensten Fällen etwas zu machen, dann, wenn sich die Seele weiter an das Leben klammerte und nicht gehen konnte oder wollte, aber dies war so selten der Fall, dass es kaum Lehren und Aufzeichnungen von Heilmeistern dazu gab. Auch Tuk-Tuk war ein solcher Fall nicht geläufig.

    Erst jetzt, in den Momenten der Ruhe, wo nur ein wärmendes, knisterndes Feuer die Stille durchschlug, von einigen Geräuschen der nahen Waldbewohner einmal abgesehen, erst jetzt konnte sie wieder durchatmen und nachdenken. Hin und wieder ging ihr Blick ab von den Sternen am Himmel, hin zu jenem Morra, dem sie zwei der drei Umhänge der toten Elitespäher ihrer Häscher als Decke umwickelt hatte, die Nächte wurden langsam empfindlich kalt und das dünne Hemd des Kriegers – der ungewöhnlich gut kämpfte, zumindest für seinen Aufriss, der einem Bauern oder gar einem Sklaven ähnelte – war nicht mehr der Rede wert, weswegen sie es auch vollkommen entfernt hatte.
    Noch immer hinterfragte sie die Reaktion, als er urplötzlich wieder zu sich gekommen war. Konnte es ein Schock gewesen sein? Eine Art "Alptraum"? Oder steckte mehr dahinter? Die Schamanin war nicht auf den Kopf gefallen, sie hatte ein Naturtalent für die richtige Intuition, sie ahnte bereits, dass es tatsächlich möglich sein konnte, dass der Morra sterben w o l l t e. Dann wiederum wäre es ein echtes Dilemma gewesen. Aber auch Tuk-Tuk war nicht allwissend, sie fragte sich, wieso selbst ein Mensch wie dieser einen Wunsch nach dem Tod haben sollte. Und wieso er diesen ausgerechnet in einem Kampf mit drei Orks finden musste, wo es doch hunderte einfachere Möglichkeiten gab.
    Je länger sie darüber nachdachte, umso mehr bereitete ihr das Kopfzerbrechen Besorgnis. Sie sah immer wieder zu ihm herüber, achtete genau auf seine Regungen, wie es ihm ging, ob etwas geschah. Dabei bemerkte sie eine bizarre, unerklärliche Sympathie zu diesem Stück Fleisch, doch gleichzeitig auch ein gehöriges Stück Distanz, ja, sogar Furcht. Es schien ihr, als ob hinter dem kindlichen Gesicht ein dunkler Schleier tanzen würde, manchmal glaubte sie sogar ihn durch das magische Netz sehen zu können, was den Schweiß auf ihrer Stirn ausbrechen ließ und sie gleichsam zurückzucken.
    Doch während sie sich nur auf ihre Gefühle für den vermeintlichen Lebensretter – mit dem sie summa summarum absolut quitt war und dem sie nichts mehr schuldete – konzentrierte, übersah sie den eigenen, inneren Kampf. Gab es wirklich zwei verschiedene Ichs in ihr? Oder durchmachte sie bloß eine persönliche Entwicklung zwischen einem alten, naiven, gutherzigen und liebenden Typen und einer finsteren, neuen, starken und beherrschenden Maske, wie sie nur die dunklen Magien schöpfen konnten, mit denen sie in Berührung gekommen war.
    Dunkle Mächte und Magien, wie sie so viele böse Charaktere schon angeführt hatten, existierten sie denn wirklich? Oder waren es nicht die Lebewesen selber, die einen dunklen Teil in sich trugen und diesen bloß weckten? Doch hatte Tuk-Tuk wirklich eine solche Macht in sich, die nur darauf gewartet hatte, die Herrschaft in ihr anzutreten?

    Nicht lange gewehrte ihr der nun vollends geschwächte Körper eine weitere Ruhepause, ehe die Magenkrämpfe ein x-tes Mal verdorbene Magieüberreste mitsamt allerlei Abbauprodukten in ihr hoch würgten und sich die Schamanin erbrechen musste. Sie war das Gefühl gewöhnt, auch wenn es ihr nicht gefiel. Trotzdem unterdrückte sie mit Leichtigkeit den Schmerz, wenn es ihr zu viel wurde und legte sich danach wieder hin, sowohl die Sterne in der Ferne als auch den Morra in der Nähe studierend. Auch wenn es ihr schlecht ging hätte sie wohl gehen und jenes Schlachtfeld verlassen können, aber es war mehr als ihre Verantwortung als Heilerin, weswegen sie noch nicht gehen konnte. Noch nicht.

  20. #60
    Solaufein
    Gast
     
    Nuancen.

    Nuancen entschieden.

    Entschieden über Dinge, die alles waren, nur nicht sie selber. Bedeutungsvoll wäre noch untertrieben. Kolossal ein erster Ansatz.

    Nuancen waren Winzigkeiten. Sie waren nicht der Rede wert. Und gaben der Rede doch erst ihre wahre Bedeutung. Sie fortzulassen beschädigten das Gesamtbild.

    So auch in jener Nacht…

    Stundenlang hatte er der Bewusstlosigkeit gedient, kein Traum linderte die Irrfahrt seines Geistes durch die ewige Dunkelheit der Verdammten. Auf dem Weg in den Tod hatte er gehört, gesehen, gefühlt, gerochen, jetzt waren seine Sinne verkrüppelt, ja tot gewesen. Die Bewusstlosigkeit war der wahre Tod gewesen. Einen Tod, dem er schon viel zu viele Stunden geschenkt hatte.

    Als er aus diesem Gefängnis wieder ausbrechen und aufwachen konnte, fühlte er zuvor in das Innere seines Körpers. Eine Phase vor dem eigentlichen Erwachen sozusagen, einer Zwischenwelt. Die Schmerzen ließen sich nicht verleugnen und schon kleinste Bewegungen hatten es in sich. Aber diese Schmerzen waren nichts Neues, er war selbst in jungen Jahren schon relativ abgestumpft, nicht nur seelisch, es gab auch einen körperlichen Nutzen. Schlimmer wäre es gewesen, hätte er ein Auge verloren, einen Finger, gar einen Arm oder ein Bein. Was wusste ein normaler Mensch schon über Schmerzen? Ein eingeklemmter Finger, ein eitriger Zahn, ein gebrochenes Bein. Schmerzen, pah. Schmerzen waren nicht gleich, doch im Wesentlichen waren es die Erfahrungen, die ihren Härtegrad bestimmten.

    Dieses Mal riss er also nicht seinen Körper in die Höhe, bewegte sich nicht, sondern blieb starr und steif auf dem Boden. Seine Sinne kehrten wieder in seinen Körper zurück. Er roch einen deutlichen Duft von Asche, sehr beißend und nah, er hörte das gleichmäßige Atmen in seiner Nähe, aber auch das brennende Holz, knackende Äste und raschelndes Laub und natürlich fühlte er, Schmerz, nahe Wärme, die Kälte der Nacht, den harten Untergrund. Doch noch viel wichtiger war, dass er sah. Solaufein sah. Minutenlang blickte er regungslos in den fast sternenlosen Himmel. Er war schwarz. Beinahe jedenfalls. Es kam dem ohnmächtigen Schwarz sehr nahe, doch immer wieder gab es winzige, leuchtende Punkte oder Lichtschimmer, die ihm bewiesen, dass es sich um den echten Himmel handeln musste und er nicht mehr ohnmächtig war. Ohne Macht…

    Es waren Nuancen.

    Doch sie ermöglichten dem Schwergeschlagenen selbst jetzt schon wieder eine innere Ruhe und Gelassenheit. Es gab kaum mehr Rettung oder gar Heilung für den Todgeweihten, kaum mehr etwas, was ihn noch berührte und zu echter Empfindung zwang, doch die Winzigkeit eines dunklen Himmels genügte, um dem bescheidenen Diener der Götter ein Stück seiner bitteren Grimmigkeit zu rauben, sei es nur für den Moment.

    ___

    Der Zorn und der Haß waren mächtige Verbündete, doch ebenso mächtige Widersacher. Sie richtig für seine Zwecke einzusetzen war ein Ding der Unmöglichkeit, an dem jeder Proband scheitern musste, wenn nicht heute, dann sicher morgen. Solaufein versuchte, sich von ihnen zu distanzieren, wo es ihm nur möglich war.
    Es waren andere Dinge, die den einst so stolzen, kindlich-naiven Mann so verbittert hatten und die ihn nun von innen verkümmern und verkommen ließen.
    Ein Spiel, das nun eine unfreiwillige Zugabe der Zugabe der Zugabe der Zugabe… erhielt. Ein nächster Zug, das niemals enden, das niemals einen Sieger sehen wollte. Grund genug war, um mit dem Schicksal oder den Göttern zu hadern. Doch die Verkümmerung der Seele des Kriegers war so weit vorangeschritten, dass ihn dies alles schon nicht mehr kümmerte. Wieder war ein Stück gestorben und so gut wie für immer verloren, nur noch mit unvorstellbarer Kraft zurückzuholen. Er hatte sich mit all dem abgefunden. Ungerechtigkeit, Verzweiflung, Leere… sie bestimmten nicht länger sein Handeln, sondern waren zu diesem geworden. Ein nahtloser Übergang, doch wenn der Tod ihn nicht haben wollte, wohin sollte dieser Weg noch führen?

    So und nicht anders richtete er sich wieder auf, durchbrach die Grenzen des Schmerzes, als sich scheinbar unsichtbare Fäden seiner Wunden bis zum Bersten dehnten und in das gesunde wie kranke Fleisch pressten.

    Das Tier war unmittelbar neben ihm, auf der anderen Seite des Feuers, saß still und friedlich, sah ihn durch die für menschlichen Verhältnisse seltsamen Augen groß an und beobachtete genau. Auch seine sterbenden Augäpfel sahen herüber, er verspürte keinerlei Angst oder Notwendigkeit etwas zu tun, ohnehin hatten sich viele wichtige Fragen schon ohne Erklärung aufgelöst, denn er wusste, dass er diesem Tier sein neues Leben zu verdanken hatte, sicher mit Hilfe der Götter, doch diese hatten sicher keinen Heiler auf die Erde geschmissen, um ihn kurz zu segnen. Was jedoch normalerweise zu einer bizarren, unendlichen Dankbarkeit hätte führen müssen, verbot sich gleich mehrfach. Seine dumme und doch typische Tat ging all dem voraus und nur die Götter wussten, warum sich die zwei Tiere ausgerechnet hier und zu dieser Zeit begegnen mussten. Den Wunsch, durch den Bogen der Arena zu laufen, vollkommen außen vor lassend, da es für diesen krassen Gegensatz einfach keine Erklärungen mehr gab. Dankbarkeit war es also nicht, die er zu empfinden vermochte. Doch fühlte er auch nichts Negatives. Es fiel schwer, überhaupt an Gefühle zu denken, stand er doch vor einer Wand der Leere, selbst wenn er wieder gesundet wäre, wusste er nicht, wohin er noch gehen sollte, schließlich war der Weg in die Heimat seit Jahren ein Tabu und sein Haus in Gorthar hatte er selber abgefackelt. Blieb noch der geliebte Wald, aber mit den Schrecken im Rücken konnte kein Lebewesen friedlich leben, auch nicht ein genügsamer und leidensfähiger Krieger wie es der Nordmann war.

    »Nicht bewegen. Wunden sind frisch. Schmerz ist stark.«

    Als sie sprach wurde seine innere Leere für einen Moment mit frischer Kraft aufgesaugt, die Bedeutung ihrer Worte, die er wunderbar verstehen konnte, brachte neue Wahrnehmungen an die Oberfläche.
    Immer hatte er sich aus dem Krieg zwischen diesen Tieren und seiner eigenen Rasse herausgehalten und doch wusste er immer – zwangsläufig – Bescheid. Doch erst heute verinnerlichte der sonst immer im Voraus wissende Krieger, dass auch die, denen man den Namen "Ork" gegeben hatte, männliche wie weibliche Geschlechter hatten. Doch was wusste dieses Orkweib schon von Wunden und Schmerz. Sie konnte nicht ahnen, wie es wirklich um ihn stand. Dass sein Körper schon lange nicht mehr von seinem Geist, sondern nur noch von dem bloßen Willen beherrscht wurde. Ein Wille, der sich nicht darum scherte was ging, sondern nur auslotete, was gehen könnte.

    Kurz darauf warf sie einige Blätter ins Feuer und als diese in Flammen aufgingen, verbreitete sich ein angenehmer Wohlgeruch in dem kleinen Lager und selbst Solaufein saugte jede Nuance dieses Duftes in sich hinein. Es musste ein wahrer Zauberduft gewesen sein, denn schließlich setzte er sich aufrecht an das Feuer und wirkte vollkommen entspannt. Die harten Gesichtszüge wichen allmählich herrlicher Neutralität. Ein Blick in sein wahres Ich schien zum Greifen nahe.
    Erinnerung stieg in ihm hinauf und er fuhr sanft über die Trümmer seines Gesichtes, vor allem seiner Lippen. Er blickte dem Tier tief in die Augen und erinnerte sich genau, wie es ihn geküsst hatte. In dem Moment, als er jene Welt verlassen wollte.
    Und dann, ja dann sprach er tatsächlich, mit ruhiger, fast schon wehleidiger Stimme.

    »Kein Schmerz, nur viele Fragen. Ein Mensch und ein Ork haben sich nicht viel zu sagen, oder? Ich möchte zuhören und lernen. Sprecht, sprecht zu Solaufein, bitte…«

Seite 3 von 21 « Erste 12345671014 ... Letzte »

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
Impressum | Link Us | intern
World of Gothic © by World of Gothic Team
Gothic, Gothic 2 & Gothic 3 are © by Piranha Bytes & Egmont Interactive & JoWooD Productions AG, all rights reserved worldwide