[Marvin]

Die Sonne kletterte gerade erst über den Horizont und Marvin stand schon wieder senkrecht im Bett, jedenfalls soweit man dieses komische Teil in dem er ein paar Stunden geschlafen hatte, Bett nennen wollte. Er hatte sich ohne groß Nachzufragen eine Kajütte genommen, immerhin war er ein Teil der Begleitung des neuen Kapitäns, auch wenn er Win'Dar immer noch nicht besonders leiden konnte. Der Gedanke brachte ihm zum Lächeln, Win'Dar als Kapitän. Wenn das ein neuer Dauerzustand sein sollte, war dieses Schiff dem Untergang geweiht. Wobei Piraten mit Feigheit sogar meistens etwas anzufangen wissen.
Langsam richtete er sich auf und begab sich auf Deck. Er konnte mit Hilfe der Sonne einschätzen, dass er keine sechs Stunden geschlafen hatte, dabei hätte er ein bisschen Schlaf sicherlich vertragen, schließlich hatte er einen anstrengenden Tag gehabt.
»Ja moin, auch schlaflos oder wat.« begrüßte ihn der alte Kapitän freundlich. »Du hast gestern Blut vergossen, lässt dich dein Gewissen nicht schlafen?« Die Frage überraschte den Orktöter dann doch etwas. Er hatte Vieles erwartet, aber keine Diskussion über sein Gewissen.
»Gewissen? Nein, dafür ist es etwas zu spät. Wenn ich jetzt erst damit anfangen würde ein schlechte Gewissen zu haben, dann hätte ich die letzten Jahre etwas verpasst.« erwiderte Marvin. Die Frage gefiel ihm nicht.
»Nie n' schlechtes Gewissen g'habt?« hackte der alte Mann weiter. Eigentlich wollte der Waffenschmied es verneinen, aber er wusste dass es gelogen wäre und gelogen hatte er noch nie gerne. Ganz abgesehen davon, dass er kein guter Lügner war.
»Du bist neugierig.« sagte Marvin und stieß ein leises Lachen aus. »Doch hatte ich. Beim ersten Mal war es schlimm, ich wäre fast an Ort und Stelle stehen geblieben, es wäre meine letzte Tat gewesen. Beim zweiten und dritten Mal auch noch, da kam dann die Angst, dass es so bleiben würde. Und genau das passierte, inzwischen ist es, so traurig es klingen mag, nichts allzu Besonderes mehr. Ich betraure jeden Toten, den ich erschlagen musste und wenn es sich vermeiden lässt, töte ich nicht, aber schlechtes Gewissen? Nein.«
Der Kapitän nickte. Er schien das zu kennen. Seinen Gesichtszügen und Narben nach, hatte er schon viel vom Leben gesehen, aber auch der Tod war ihm mit Sicherheit nicht fremd. »Ich habe dich kämpfen sehen. Fühlst du wirklich nichts mehr, wenn du tötest, gar nichts mehr?« fragte der Kapitän, es schien dem Einhandlehrmeister, als wäre es die Suche nach einer Antwort auf eine Frage, die ihn selbst anging. »Vielleicht manchmal eine Art Befriedigung?« hängte der Kapitän leise an.
Marvin wünschte er hätte es überhört. Er hatte lange geschafft es zu verdrängen, sich diese Frage nicht zu stellen, nicht darüber nachzudenken und jetzt brach dieses Kartenhaus zusammen. Seine Stimme versagte, etwas das er nicht gewohnt war. Er konnte nur leise nicken, was war aus ihm geworden? Auch der Kapitän nickte leicht. In seinen Augen lag Sehnsucht, nach was wusste Marvin nicht, aber er nahm an, dass es Todessehnsucht war. Dann drehte sich der Kapitän um und ging seines Weges, während Marvin wieder aufs Meer hinausblickte.

[Redsonja]

Als Redsonja erwachte, schaute sie direkt in die blauen Augen des Piratenkapitäns. Er spielte mit einer Strähne ihres Haares und betrachtete sie nachdenklich.
„Gut geschlafen?“
Fragte er leise.
„Ja.“
Meinte sie glücklich lächelnd. Das Bett war federweich und angenehm, die Kabine chaotisch, aber dennoch luxuriöser, als alles, was sie seit Wochen zu Gesicht bekommen hatte und schlussendlich war er da. Das alleine dies ausreichte, um ihr Herz fliegen zu lassen war ungewohnt, trotzdem ein schönes Gefühl. Sie hätte einfach nur daliegen und in Win'Dars Augen versinken können. Welch süsse Art zu ertrinken.

Dann pochte es jedoch gegen die Tür.
„Käptn.“
Die rothaarige Kriegerin seufzte.
„Du wirst wohl dringend gebraucht. Wer weiss vielleicht haben sie irgendwo Blutflecken entdeckt oder der Rum ist ausgegangen.“

[Win'Dar]

"Wenn das der Grund für die Störung sein sollte, werden sie bald ganz andere Probleme als nen durstigen Rachen haben...", grummelte Win'Dar, während er versuchte, seine Klamotten aus dem restlichen Chaos herauszupicken.
"Wo warst du eigentlich, als es um die große Kapitänsfrage ging?", fragte er auf einem Bein balancierend, während er seinen Fuß zu überreden versuchte, in seinen Stiefel zu passen. "Du hast doch sicher viel mehr Ahnung davon, so mit Leuten rumkommandieren, und außerdem würden diese Säcke sicher viel effizienter arbeiten, wenn sie sehen, dass da ne Frau das Ruder in der Hand hält. Vor allem könnte ich dann weiter faul im Bett rumlümmeln, während du dich von diesen Fritzen in ihrem seltsamen Jargon bequasseln lässt..."
Er fand seinen Hut auf dem Weg zu Türe, öffnete und sah sich sich dem Mann gegenüber, den er gestern als zweiten Maat zu identifizieren geglaubt hatte.
"Was gibt's, Matrose?"
Der Mundwinkel des Mannes zuckte und verriet Win'Dar, dass er es wohl bereits mit drei Worten geschafft hatte, sich in der Etikette zu vergreifen.
"Naja, Käpt'n, die Mannschaft fragt sich immer noch, wie unser neuer Kurs lautet. Außerdem gibt's Probleme in der Befehlskette, weil Langfinger Lago beim Entern verreckt is', naja, und der Erste Maat is' ja auch weg."
"Wer bist denn du überhaupt", fragte Win'Dar, "und warum rückt dann nicht einfach der... dritte, oder wasweißich wievielte Maat nach?"
"Plattfuß Pelly, das bin ich", meinte der Pirat mit einem verlegenen Grinsen in Richtung seiner distinktiven Füße, "bin der dritte Maat, aber..."
"... aber was?"
"... aber ich hab wenig Lust, so zu enden wie Schlitzaugen Schorsch. Ich häng an meinem Leben, Käpt'n. Ich hab nur das eine."
"Hurm", sagte Win'Dar. "Na, da müssen wir uns wohl was überlegen."
Er wollte die Tür bereits wieder schließen, als ihn der seltsam erwartungsvolle Blick Pellys stocken ließ.
"Ist noch was?"
"Wir erwarten deine Befehle, Käpt'n."
Win'Dar bemerkte, dass er den Hut verkehrt aufgesetzt hatte und rückte ihn zurecht.
"Jetzt?", fragte er und sah die Rückkehr ins Bett bereits in weite Ferne driften.
"Yarr."
"Keine fünf Minuten mehr?"
"Nay. Die Mannschaft wird bereits unruhig."
"Na denn... dann... geh ich wohl mal besser", seufzte Win'Dar und folgte Pelly aufs Deck.
Zu seinem Unbehagen war die Mannschaft tatsächlich längst versammelt. Und diese Piraten hatten die unangenehme Angewohnheit, ihre Missgunst direkt und offen an ihre Mienen zu übertragen.
"Ja, erm, guten Morgen", sagte Win'Dar.
Schweigen.
Er sah, dass sich Weißhaar einen Schemel neben dem Ruder geparkt hatte und ihn mit unverhohlenem Amüsement beobachtete.
"Ja, nun, ihr wollt jetzt wohl wissen, wie's weitergeht, hm?"
Weißhaar schaffte es mit sparsamer, aber gekonnter Mimik, einen Mann nachzumachen, der qualvoll und langsam aufgeknüpft wurde. Ein Plan musste her. Am besten bevor die Mannschaft ihren Unmut mit fliegenden Messern oder dergleichen äußerte.
Das ist wie auf der Bühne stehen, versuchte er sich einzureden, man muss nur so tun, als ob man Ahnung hätte, hauptsache entschlossen vorgehen. Er räusperte sich und stemmte dann die Fäuste in die Hüfte.
"Während ihr mit euren faulen Ärschen das Blut vom Deck geschrubbt habt, hab ich die Zeit genutzt, um in dem Verhau, den mir diese Sackratte eines Möchtegernkapitäns hinterlassen hat, nach den nötigen Seekarten zu suchen, auf denen unser nächstes Ziel zu finden ist. Wenn ich diesen traurigen Haufen anschau, wundert es mich nicht, dass mich in den Laderäumen kein einziges Goldstück müde anlächelt. Was habt ihr denn die letzten Wochen getrieben? Nur Seekühen auf den Arsch geglotzt oder was?"
Ein leises Murren war zu hören, aber es flogen immerhin noch keine spitzen Gegenstände. Stattdessen schienen die Piraten sogar beeindruckt, dass das Vokabular ihres neuen Kapitäns Wörter mit mehr als drei Silben beinhaltete. Win'Dar glaubte sogar den alten Kapitän anerkennend nicken zu sehen.
"Ich sag euch, daran wird sich jetzt was ändern", fuhr er ermutigt fort. "Unter meinem Kommando werdet ihr mehr Gold zu sehen bekommen, als eure Makrelenhirne zählen können!"
Noch während sich Win'Dar fragte, wie er ein solches Versprechen eigentlich halten sollte, waren die ersten "Yarr!"-Rufe zu hören. Er wollte seinen Mund zum Schweigen bringen, doch einmal in Schwung gebracht, ließ sich der nicht mehr so einfach aufhalten.
"Selbst die Orks werden sich in ihren Pelz pissen, wenn sie unseren Mast am Horizont sichten."
"Yarr!"
"Und wenn diese Arschkriecher von Paladinen unseren Kurs kreuzen, sollen ihre Kadaver am Meeresgrund verrosten."
"Yarr!"
"Neuer Kurs: Khorinis!", beendete er seine Rede, weil ihm nichts besseres einfiel.
Plattfuß Pelly versuchte mit konfusen Gesten auf sich aufmerksam zu machen.
"Bevor ich's vergess und damit ihr wisst, wer euch künftig den Arsch aufreißen wird: Das ist Taeris, mein neuer Erster Maat. Der ist so knallhart, dass er nach dem Aufstehen gerne mal Knoten in die Ruder macht. Und wer nicht pariert, den verfüttert er an Marvin. Pelly hier darf sich freuen, endlich nicht mehr an dritter Stelle zu stehen."
Pelly schien sich nicht sicher, ob er sich wirklich freuen oder lieber weinen sollte.
"Achja, und wir haben nen neuen Steuermann. Das ist der Opa da oben", meinte Win'Dar mit einem hämischen Grinsen zu Weißhaar. So leicht kam der ihm nicht davon.
"Und jetzt ran an die Arbeit, ihr Arschkrabben!"
Win'Dar war selbst verwundert, dass sich die Versammlung schnell und ohne fliegende Waffen auflöste. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass sein Leben nicht wirklich einfacher geworden war.
Win'Dar wollte sich gerade Redsonja zuwenden, die sich mittlerweile aus der Kajüte bequemt hatte, als ihm jemand auf die Schulter tippte.
"Käpt'n", sagte Pelly, "da ist noch was."
"Was?", knurrte Win'Dar.
"Wie sollen wir dich eigentlich nennen?"
"Ja, errr", begann Win'Dar auf der Jagd nach einer passenden Antwort.

[Taeris]

Angestrengt grübelnd kaute Taeris auf einem Stück von dem erbeuteten Pökelfleisch herum, das er in Händen hielt. Während er mühsam versuchte sich vor zu stellen, dass er auf einem schmackhaften Stück Fleisch herumkaute anstelle eines gepökelten Etwas, das mehr nach Schuhsohle schmeckte, versuchte er gleichzeitig nicht darüber nach zu denken, woher die Piraten auf hoher See dieses Fleisch überhaupt her hatten.
Je mehr er nicht versuchte darüber nach zu denken, umso weniger Hunger hatte er schließlich. Angewidert warf er den letzten Rest des Pökelfleischs über die Reling ins Meer und wandte sich dem plötzlich lauter werdenden Spektakel zu, das hinter ihm an Deck stattfand. Win’Dars Stimme, die in Taeris´ Augen nervtötender als je zuvor klang, ertönte immer wieder und wurde nach jeder kurzen Pause von einem „YARR“ untermalt. Gelangweilt gähnend schlurfte er näher heran um sich die kleine Predigt des offenbar voll in seiner neuen Rolle aufgehenden frischgebackenen Kapitäns an zu hören.
Es klang so, als wäre Taeris gerade zu so etwas wie dem ersten Maat gemacht worden. Zumindest fiel sein Name in diesem Zusammenhang und wenig später blickten ihn eine Menge von einzelnen Augen und Augenpaaren an. Maat? Taeris hatte keinerlei Ahnung von der Seefahrt, und am liebsten würde er ohnehin jedes anwesende menschliche Wesen an einem Seil hinter ihrem neuen Schiff herziehen, um wenigstens seine Schießübungen fortsetzen zu können und gleichzeitig seine Ruhe vor all diesen durchgeknallten Egomanen zu haben.
Es war ihm egal, ob ihm jemand zu hören würde. Er beschloss sich trotzdem nach vorne zu drängeln und Win’Dar die Meinung zu geigen. Dieser war offenbar gerade dabei sich von seiner Herzensdame zu seiner Großartigkeit gratulieren zu lassen.
Nurnoch wenige Schritte trennten Win’Dar von seinem gerade ernannten neuen ersten Maat, als sich plötzlich einer der Piraten vordrängelte und diesem auf die Schulter tippte. Taeris verstand die Frage nicht ganz, doch Win’Dars Antwort darauf war gut zu verstehen.
“Nennt mich….“

Doch dann war Taeris auch schon bei ihm und schnitt ihm das Wort ab.

"WIN’Dar! der hasenfüßge Schrecken der Meere!.... Ach nein..das ist wohl zu lang...

sprach Taeris und fuhr sich durch den inzwischen auf einen 12-Tage angewachsenen 3-Tagebart.

“Großmaul-Jack!... Du heißt zwar nicht Jack, aber was ein echter Piratenkäpptn sein will, der kann sich mit derlei Kleinigkeiten nicht aufhalten… Nicht wahr?“

fuhr Taeris lautstark fort, ehe er ihm den Rücken wieder zukehrte um zur breiten Masse zu sprechen.

“Großmaul Jack! Ein Hoch auf unseren neuen Käpptn!“

rief er mit erhobenen Händen, als wolle er die Mucksmäuschen stille Menge noch weiter über den nicht vorhandenen Grad an Euphorie hinaus treiben….und zog schließlich langsam von dannen. Von soviel Sarkasmus auf leeren Magen bekam man ohnehin nur Bauchschmerzen.

[Redsonja]

„Yarr! Grossmaul Jack.“
Ertönte es aus mehreren Kehlen gleichzeitig und Redsonja glaubte dazwischen das „Hoho“ eines alten Mannes zu hören. Sie schmunzelte, blickte zwischen den Versammelten hin und her. Als ihr Blick jedoch Win'Dar streifte, schwante ihr Übles.
Hat es Taeris dieses Mal zu weit getrieben?
- Du solltest vielleicht eingreifen.
Verdient hat er es nicht. So wie er sich im Moment aufspielt. Ganz abgesehen davon. Wie sollte ich das anstellen?
Als erstes beschloss sie vorerst in der Nähe des Söldners zu bleiben, denn sie glaubte zu wissen, dass der Wanderer Taeris in ihrer Gegenwart wohl kaum nieder stechen würde.
Und wenn du dich irrst?
Verdammt.
Sie schaute hilfesuchen zum Kapitän hinüber, der schenkte ihr jedoch nur ein freudiges Augenzwinkern.
„Ach, macht doch, was ihr wollt.“ Sie war verärgert und hatte das deutlich lauter gesprochen, als beabsichtigt. Sogleich drehten sich ihr ein Dutzend Augenpaare zu und schauten sie neugierig an.
„Ihr würdet besser das Schiff mal auf Kurs bringen, als hier über Namen nachzudenken. Soll ihm doch jeder sagen, wie er will.“

Der Tag hatte so schön begonnen, aber es schien ihr wohl nicht vergönnt zu sein ihn einfach zu geniessen. Sie war wütend und enttäuscht. Wieder einmal begann sie mit ihrem Schicksal zu hadern.
Redsonja schaute den Piraten hinterher, wie sie sich etwas suchten, was den Anschein machte Arbeit zu sein und quittierte Taeris' Verhalten mit einem wütenden Blick.

[Bartix]

Bartix stand noch immer da und steuerte, als die Arbeiter plötzlich zu singen begannen, in einem rauen tiefen Ton:

Lang schon fahr ich auf den Meeren, Wind und Woge weiß wohin. Fern von allen meinen Ufern fühl ich, dass ich traurig bin. Wind und Woge flüstern leise von Le Maire und Magellan.
Von der Strömung und Gezeiten doch ich sing dagegen an.

Wenn die Sterne früh verdämmern zieht mich alles nach dem Land. Meine müden Augen bleiben stets dem Hafen zugewandt. Wenn die Segel nicht mehr glänzen, wenn die Winde nicht mehr wehen. Werd ich um zu dir zu kommen über Ozeane gehen.

Die Seemänner hatten ihr trauriges Lied beendet. Es war nun Nacht und Bartix war unglaublich müde.
Er traute sich allerdings auch nicht einen der Männer zu fragen ob er sich hinlegen dürfe, als er an seinen Vorgänger dachte. So versuchte er sich damit abzufinden und hielt das Steuerrad weiter.
Seine Hände spürte er nicht mehr, Bartix konnte sie nicht mehr bewegen und der Mond strahlte hell. „Du kannst dich hinlegen!“ Er zuckte zusammen. Einer der Männer war zu ihm gekommen und zeigte auf einen kleinen Deckenhaufen. „Dort kannst du schlafen, ist nicht das bequemste Plätzchen, aber es sollte reichen.“

Bartix atmete auf und schritt steif gefroren zu seiner Schlafstätte hinüber. Er legte sich hin und machte die Augen zu. Wenige Minuten später war er eingeschlafen. Es war seit langem wieder ein traumloser Schlaf.

[Taeris]

Geistesabwesend, nahezu apathisch beobachtete Taeris die Flüssigkeit, die in der Flasche in seiner Hand hin und her schwappte. Die Schrift auf dem vergilbten Etikett war nicht mehr lesbar. Aber wen interessierte das schon. Langsam ließ er sich rücklings auf das spartanische Bett in seiner Kajüte sinken, schloss die Augen und setzte die Flasche an. Der Geschmack folgte erst lange nach dem ersten Schluck. Wenig später setzte er den Rachen in Flammen und auch der vierte…fünfte…und sechste Zug brannten sich schließlich Ihren Weg in seinen Magen hinunter. Spätestens jetzt war es ihm herzlich egal, woher er den Rum hatte. Win’Dar war es gewesen, der ihm die Flasche überreicht hatte. Sozusagen als eine Art Versöhnungsgeschenk.
„Scheiß auf die Versöhnung…“ dachte Taeris bei sich. Die Gedanken in seinem Kopf fingen an sich in seinem Kopf zu drehen. Was zum Teufel hatte ihn überhaupt geritten hierher zu kommen. Er hatte vollkommen aus den Augen verloren, was sein eigentliches Ziel gewesen war. Und jetzt? Jetzt waren sie gerademal ein paar Tage auf dem Meer unterwegs und er fing schon an, an seinem Verstand zu zweifeln. Seine Wut schlug in Erschütterung und Unverständnis um, als er realisierte, dass sich niemand mehr auf ihn zu verlassen schien. Er wusste nichteinmal mehr, ob er überreagierte oder nicht. Je mehr er über die vergangenen Tage nachdachte, umso wütender wurde er. Je mehr er von diesem verfluchten Versöhnungsgeschenk trank, umso mehr drehte sich alles…und wurde nur noch schlimmer.
Nicht nur, dass dieser von seinen eigenen hochtrabenden Worten so überzeugte Clown von Win’Dar ihn am liebsten schon in der ersten Nacht an Bord dieses Schiffs los geworden wäre,… nein, er war ein Feigling wie er im Buche stand und spielte sich jetzt zum großen Anführer auf.
Weitere drei tiefe Züge aus der Flasche folgten. Die nur schwer in der fast undurchsichtigen Flasche zu erkennende bräunlich-gelbe Flüssigkeit schien die Flasche jetzt nur noch zu einem drittel zu füllen… oder vielleicht doch weniger?. Je mehr er trank, umso weniger „störte“ ihn das Brennen im Rachen. Die Gedanken drehten sich schneller, verschwammen zu einem Brei aus Unverständnis und Schuldzuweisungen. Wieso vertraute sie diesem Kerl mehr als ihm? Sah sie denn nicht den feigen selbstherrlichen Redner, den er sah?
Und wie sollte das überhaupt alles weitergehen? Sie würden Khorinis nie erreichen. Nicht mit dieser Besatzung und diesem Kapitän. Verdammt, er musste Alrik finden…durfte sich nicht von diesen falschen Freunden ablenken lassen, Was redete er da? „Du bist betrunken…“ dachte er noch bei sich. Sorge überkam ihn, dass er sich da in Dinge verrannte, die er nicht wirklich dachte. Aber wenn dem so war, wieso dachte er es dann überhaupt? Alles drehte sich. Seine Augenlider wurden schwer.
Taeris wollte aufstehen. Obgleich er nicht wusste was er danach tun wollte. Er stand auf. Der Boden unter seinen Füßen schien nach zu geben…und dann doch nicht, als er dagegen ankämpfend nach trat. Er lief auf die Tür zu….und stützte sich plötzlich verspätet an der Wand neben der Tür ab. Zwei weitere Versuche folgten. Doch Taeris fiel ein, das er immer noch nicht wusste, wozu er überhaupt durch die Tür wollte. Er beschloss wieder zum bett zurück zu gehen.
Jetzt hatte er die Flasche angefangen….jetzt konnte er sie auch leeren. Wenigstens das konnte er zu ende bringen.

[Win'Dar]

Missmutig lehnte Win'Dar auf dem Geländer des Achterdecks und sah dem Treiben auf dem Deck zu. Wobei der Großteil seiner Aufmerksamkeit Taeris galt, der sich gerade in Richtung Kajüte trollte. Win'Dar verfolgte seinen Weg mit Argusaugen.
Dieser Söldner mochte ihm ans Bein pinkeln - aber nicht ohne Konsequenzen. Nicht auf seinem Schiff.
Verdammt, jetzt ging das schon wieder los. Was konnte er denn dafür, dass diese Hohlköpfe sich wirklich an irgendwelche bescheuerten Traditionen hielten? Wunder genug, dass es so etwas unter Piraten überhaupt geben sollte.
"Der sieht aber wütend aus", kommentierte Plattfuß Pelly Taeris' Abgang.
Da kam Win'Dar eine Idee.
"Trauma Taeris", raunte er verheißungsvoll. "So nannten sie ihn auf Käpt'n Karrrrkass' Schiff."
Er spürte, wie sich Pellys Blick in sein Gesicht zu bohren versuchte, als er nicht weitersprach.
"Warum das?", fragte Pelly.
Win'Dar drehte halb den Kopf und sah dem jungen Burschen lange und wissend in die Augen, bevor er zurück auf das Deck blickte.
"Hast du seinen Blick gesehen?", meinte er dann, "Man erzählt sich, dass sie bis auf den Grund blicken können."
"Den Grund der Seele?", fragte Pelly gespannt.
"Nay, den Grund der See, Schwachkopf. Und wenn Trauma Taeris nen schlechten Tag hat, kriegen davon sogar die namenlosen Schrecken, die in den tiefsten Abgründen der See hausen, Muffensausen von seinem Blick. Einmal wär Karrrrkass' Kahn fast von ner Seeschlange versenkt worden. Trauma Taeris war verdammt übel drauf, weil der Schiffsjunge seinen Grog gesoffen hatte. Fand er gar nicht gut - hat aus den Knochen des Jungen glatt ne neue Galleonsfigur gebaut. Naja, jedenfalls war da diese Seeschlange, ein Biest, das sag ich dir, wie es Adanos selbst das Fürchten lehren könnte, naja, und drei der besten Harpuniere hingen bereits zwischen ihren Fängen und der geschuppte Leib drohte, das Schiff zu zermalmen, doch dann - und das ist genau so passiert, wie ich es jetzt erzähle - tritt Trauma Taeris aus seiner Kajüte. In seiner Hand hält er noch seine Rumflasche, weil sein Grog ja leer war, und er sieht dieses riesige Monstrum, und wie gesagt, er hatte nen echt miesen Tag, und naja, was glaubst du, was er gemacht hat?"
"Die Seeschlange zum Wettsaufen gefordert?", schlug Pelly vor, von der Geschichte voll und ganz in den Bann geschlagen.
"Nay - Seeschlangen reagieren nur auf Apfelwein, weil sie Grog oder Rum ohnehin auf jedem versenkten Schiff finden. Trauma Taeris nimmt also die leere Flasche und wirft sie dem Biest genau zwischen die Augen. Nur um seine Aufmerksamkeit zu erregen! Und die bekommt er. Also dreht die Schlange ihren Kopf und sie reißt das Maul auf, in dessen Fängen noch Daggoo, Fedallah und Tashtego hängen, und die Leute denken schon, dass es jetzt vorbei ist, weil das Biest gleich zubeißt und das Schiff einfach unter sich zermalmt - doch da blickt die Seeschlange dem Trauma Taeris genau in die Augen."
Er gönnte sich eine dramatische Pause.
"Und dann hat sie Schiss bekommen und ist abgehauen."
Plattfuß Pelly nickte sichtbar beeindruckt.
"Trauma Taeris also...", murmelte er.
Win'Dar nickte. Mehrere Minuten standen sie schweigend nebeneinander; Pelly in Gedanken noch immer bei der Geschichte und Win'Dar beim Ausarbeiten eines Plans, wie er möglichst heil aus diesem Schlamassel rauskommen konnte.
"Achja", wandte er sich schließlich an Pelly, "wie lautet eigentlich der Name dieses Schiffes?"
Pelly schreckte aus seinen Phantasien hoch.
"Das's die Faule Seegurke, warum?"
Win'Dar blinzelte.
"Das war sie mal", meinte er dann., "Neuer Name, neues Glück."
"Was schlägst du dann vor, Käpt'n?"
"Ich überleg mir was. Haben wir noch Farbe an Bord?"
Pelly nickte.
"Dann schnapp dir das Zeug und ein paar Jungs. Ich hab eine Aufgabe für euch."
Nachdem Pelly mit seinen Anweisungen davoneilte, grinste Win'Dar zufrieden in sich hinein. Wenn dieser stiefelleckende Söldner ihn unbedingt herausfordern wollte, bitte. Er würde schon sehen, was er davon hatte.

[Redsonja]

Redsonja hatte sich davon gestohlen während Win'Dar sich mit einem der Piraten unterhielt. Sie war miserabel gelaunt, denn sie machte sich immer noch zu viele Gedanken wegen Taeris. Seine Vorwürfe hatten sie hart getroffen. Zusätzlich war ihr übel und der Wanderer schien überhaupt keine Zeit mehr für sie zu haben. Als sie dann unter Deck auch noch von einem der Seemänner angemacht wurde reichte es ihr endgültig.
Sie liebte es auf dem Schiff zu sitzen, stunden- oder gar tagelang in die Ferne zu blicken, den Wellen zu lauschen, das Salz zu riechen und dabei die unendliche Ruhe der See zu geniessen. Aber davon war hier nicht die Rede. Immer schwirrte jemand um sie herum, immer geschah etwas unerwartetes, immer... Statt die erhoffte Zweisamkeit mit Win'Dar geniessen zu können geriet sie von einem Desaster ins nächste.

Wieder einmal tastete die junge Frau nach ihren Schwertern. Wenigstens die waren für sie da, spendeten ihr Trost und gaben ihr Sicherheit.
Kannst du dich hören?
- Ja, grauenvoll, ich ersaufe nächstens im Selbstmitleid.
Gut erkannt.

Plötzlich streifte Redsonja an Taeris' Kajüte vorbei. Sie erhob die Hand, um gegen die Tür zu pochen, liess sie jedoch unverrichteter Dinge wieder sinken. Wenn sie jetzt auf die Idee kam mit ihm zu sprechen, dann könnte dies tatsächlich irreversible Folgen für ihre Freundschaft haben.
Stattdessen steuerte sie auf die Kapitänskabine zu, schlüpfte in einem unbeobachteten Moment hinein und begann dort sich durch den Wirrwarr zu wühlen, der auf dem Boden verteilt lag. Sie fand einige interessante Dinge, welche sie genauer unter die Lupe nahm.
Irgendwann stolperte sie sogar über einen Liebesbrief. Wobei er eher aus einer Zeichnung bestand, als aus Text. Aber irgendetwas daran war niedlich. Das Pergament war bereits vergilbt und die Kohle etwas verwischt. Die Verfasserin war des Schreibens auch nur halbwegs mächtig gewesen. Trotzdem rührte es Redsonja. Aber es machte ihr das Ausmass des Todes des ehemaligen Kapitäns auch deutlicher.
Sie faltete den Brief sorgfältig zusammen und steckte ihn ein, dann kramte sie weiter.

[Win'Dar]

Zumindest bis die Tür aufging und die Person hereinkam, auf deren Kopf man ein derartiges Rangabzeichen am wenigsten erwartet hätte.
"Bei allem was heilig ist", sagte Win'Dar und warf seinen Mantel achtlos über eine herumstehende Truhe, "bis wir Khorinis erreichen, hat sich auch der letzte Rest meines Verstandes in ein buntes Vögelchen verwandelt, um dann fröhlich zwitschernd auf Nimmerwiedersehen davonzufliegen. Jetzt darf ich mir auch noch einen neuen Namen für diesen verdammten Kahn überlegen."
Er trat hinter Redsonja um zu schauen, was sie dort trieb, hielt es dann aber doch irgendwie für falsch, sich so in ihre Angelegenheiten einzumischen. Stattdessen nahm er den Hut ab, deponierte ihn auf ihrem Kopf und warf sich dann erschöpft aufs Bett.
Ein Tag war vorbei und er hatte schon genug von dieser ganzen Scharade. Dieser Weißhaar machte sich einen riesen Spaß daraus, ihn zu beobachten und rang wahrscheinlich jedesmal mit einem Lachanfall, wenn sein Kopf aufgrund des Seemannjargons, der ihm jede Minute um die Ohren wehte, kurz vorm Platzen war. Aber der würde auch noch sein Fett weg kriegen. Genau wie Taeris, der alte Dummbatzen.
"Warum erwischt es eigentlich immer mich?", beschwerte er sich, "Hätte mir doch irgendwer sagen können, dass man diese Piratenkapitäne während Verhandlungen nicht einfach so umbringen sollte. Warum hat Taeris da nicht seinen Arsch hingehalten? Oder Marvin? Die haben doch sonst auch nie was anderes zu tun, als anderen Leuten die Rübe einzuschlagen. Aber nein, lasst mal den Win'Dar machen, der wird das schon irgendwie hinkriegen und jetzt nennen mich diese Hirnamöben auch noch Großmaul Jack, dank dieser eingelegten Schnapsleiche. Warum können wir ihn nicht einfach loswerden? Der weiß eh zuviel und er geht mir tierisch auf die Nerven und überhaupt..."

[Redsonja]

„Shhhhhht.“ Redsonja hatte sich Win'Dar während seiner Rede langsam genähert und legte ihm nun den Finger auf den Mund. „Ein Schiff zu benennen ist doch etwas Schönes, aber wenn ich dich schon einmal ganz für mich alleine habe, dann sollst du nicht immer an den Käpt'n, Taeris oder wen auch immer denken.“
Und bevor er noch etwas erwidern konnte verschloss sie ihm seinen Mund mit einem sanften Kuss. Seine Lippen schmeckten nach Salz und waren etwas rauer als gewöhnlich.
Piratenbraut.
Schoss es ihr da durch den Kopf, als sich ihre Lippen wieder trennten und sie musste lächeln.
„Ach Win'Dar was machen wir bloss, wenn wir in Khorinis sind?“
„Shhhhhht.“ Meinte er nur mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, welches Redsonjas Herz zum flattern brachte und sie war schon ruhig. Seine Argumente waren überzeugend genug.

[Win'Dar]

"Deswegen musst du mir ja helfen, den Taeris loszuwerden. Solang der da ist, kann ich nicht nur an dich denken. Ich hab da immer dieses fiese Grummeln im Hinterkopf."
Er schlang seine Arme um sie und genoss einige Zeit einfach nur das Gefühl, endlich seine Ruhe zu haben.
"Schon verrückt", meinte er irgendwann, "Dachte, das würde alles irgendwie ruhiger ablaufen. Mit Schifffahrt und so. Ich mein, was soll denn da schon groß passieren, gut, vielleicht ein, zwei Seemonster, aber da wär ich davon ausgegangen, dass du die schon irgendwie pürierst, aber sonst gibt's ja fast nur Wasser, ich mein, diese Piraten und alles, wär hätte das denn gedacht, und dass dann gleich sowas rauskommt, das ist ja schon alles irgendwie sehr unwahrscheinlich, und--"
Da waren schon wieder diese Lippen auf seinen. Das hieß wohl, dass er besser die Klappe halten sollte. Eigentlich konnte er damit auch ganz gut leben.
--
Aber andererseits waren da noch so viele Gedanken in seinem Kopf und er hatte das Bedürfnis, sie auszusprechen, weil sie am Tag ohnehin nicht dazu kommen würden und ohnehin war es sicher nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Idiot an die Tür klopfte und irgendeinen Käpt'n verlangte, der im Moment einfach nicht da sein wollte und es vielleicht auch niemals sein würde. Aber er kannte da einen Trick, wie er weiterreden konnte, indem er sich einfach auf sie rollte, weil sie dann nicht so gut an ihn rankam.
"-- also, was ich sagen wollte: Der Taeris muss weg, bevor der hier noch ne Meuterei anzettelt, oder irgendnen Mist baut, wasweißich was der macht, wenn er getrunken hat, und ich mein, der Rum, den ich ihm gegeben hab, der könnte schon etwas heftig gewesen sein, aber ist ja auch egal, der macht jedenfalls nur Ärger. Und Khorinis, na, ich denk, wir machen, dass wir so schnell wie möglich das Weite suchen, bevor diese Dumpfbacken da oben schnallen, dass wir nicht mehr zurückkommen wollen. Oder willst du etwa ewig auf diesem Schiff vermodern?"

[Taeris]

Taeris hätte schwören können, von einem Holzhammer geweckt worden zu sein, den man ihm mit reichlich Anlauf gegen die Stirn geschlagen hätte. So in etwa fühlte es sich zumindest an, als er die Augen aufschlug und sich langsam aufrichten wollte. Er beließ es fürs Erste bei dem gescheiterten Versuch und sank wieder zurück auf sein Bett. „Klein anfangen“ dachte er bei sich und öffnete noch einmal langsam die Augen. Immerhin fehlte der sonst so erbarmungslose Kegel aus gleißendem Sonnenlicht, der für gewöhnlich durch irgendein Fenster ins Zimmer fiel und einen brutal darauf hinwies, dass man gefälligst seinen faulen Arsch nach draußen ans Tageslicht bewegen sollte. So gestaltete es sich auch etwas angenehmer die Augen zu öffnen. Das spärliche Tageslicht, was da durch das Bullauge drang erinnerte zwar daran, dass es draußen Tag war, aber mehr auch nicht.
Ächzend versuchte Taeris fest zu stellen, wie viel Restalkohol und dessen Wirkung er noch in sich trug. Ruhig auf dem Rücken liegend schien er sich zumindest recht gut zu fühlen. Langsam hob er erst einen und schließlich beide Arme, ballte die Hände zu Fäusten und ´streckte die Finger schließlich wieder aus. Vielleicht ein wenig unkoordiniert, aber er hatte zumindest die Kontrolle über sich selbst zurück…
Zweiter Versuch: Taeris erhob sich, drehte sich um und setzte sich auf sein Bett. So weit so gut. Jetzt nur noch aufste… Der nächste Holzhammer traf ihn. Sein Kopf steckte in einer Schraubzwinge. Taeris kämpfte. Er fiel zurück auf das Bett, stand aber sogleich wieder auf. Unbeholfen blieb er stehen, blickte sich um.
Irgendwas oder Irgendwer hämmerte gegen die hölzerne Tür.

“Trauma Taeris!“

rief jemand. Taeris sah irritiert zur Tür hinüber. Trauma Taeris? Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Seufzend rieb Taeris sich das Gesicht und bewegte sich mühevoll auf die Tür zu. Im Gehen stieß er eine am Boden liegende Flasche um. Er hielt sich mit der linken Hand am Türknauf fest, tastete mit der anderen nach der Flasche.
Ein letzter Schluck des gestrigen Rums schwappte noch darin, als er die Flasche vor seinen Augen hin und her schüttelte. Er trank ihn aus, warf die Flasche hinter sich in eine Ecke des Raums auf den Boden, wo sie splitternd zerschellte.
Angestrengt zog er die Tür auf. Frische Seeluft brach durch die Tür wie Wasser in ein sinkendes Schiff. Jetzt war plötzlich auch das gleißende Sonnenlicht da und stieß ihn mit einem letzten Hammerschlag zurück in den Schatten seiner Kajüte. Erst als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten stellte er fest, dass es ja gar kein Sonnenlicht war, sondern lediglich eine Öllampe, die an der Decke des Ganges vor seiner Kajüte hing.
Schützend hielt Taeris seine Hand über seine Augen und blinzelte den Kerl an, der an seine Tür geklopft hatte.

“Was zum Teufel willst du von mir? Und was soll dieser bescheuerte Name?“

Sein Gegenüber sah ihn irritiert an. Das Bild das sich ihm in jenem Moment bot sprach wohl für sich.

“Trauma Taeris, wir können den Käpptn nicht finden. Der Wind hat sich gedreht wir haben beim Hissen des Hauptsegels bemerkt, dass es Löcher hat und …“

Den letzten teil des Satzes hörte Taeris nicht mehr. Zumindest registrierte er ihn nicht wirklich. Unsanft rempelte er ihn bei Seite und ging an ihm vorbei.

“Geh mir aus der Sonne,…

nuschelte Taeris in seinen nicht ganz ausgewachsenen Bart und schlurfte mehr oder minder koordiniert den Gang entlang zur Treppe.
Als er die Tür nach draußen öffnete umspülte ihn noch mehr frische und kalte Seeluft. Er atmete tief ein, versuchte sich daran zu gewöhnen und seinen rebellierenden Magen zu besänftigen. Es half verhältnismäßig wenig. Die Wirkung des Restalkohols schien sich nun ob der frischen Luft noch besser zu entfalten. Taeris torkelte, fing sich aber nach einigen Schritten wieder. Einige der Piraten standen vor ihm. Sie hatten wohl auf ihn gewartet. Oder wollten sich einfach nur über das ihnen dargebotene Schauspiel amüsieren.

“Trauma Taeris!!“

drang es aus einem dutzend rauer Kehlen.
Wieder grummelte sein Magen. Doch diesmal hörte er nicht wieder auf. Eilig torkelte Taeris zur Reling und beugte sich darüber.
Das suspekte Pökelfleisch von gestern in Verbindung mit zu vielen Gedanken und einer Flasche hochprozentigem Rum schienen sich nicht ganz so gut zu vertragen.
Nachdem jetzt irgendein undefinierbarer Teil davon im Meer gelandet war, schien es jetzt in Taeris´ Magengegend ein wenig ruhiger zu zugehen. Auf die Reling gestützt blickte Taeris einen Moment aufs Meer hinaus. Weit und breit war nichts außer Wasser zu sehen. Die See war trist und grau an diesem Tag. Ebenso war es der Himmel…und eigentlich alles.
Seufzend wandte Taeris sich von dem Panorama ab und sah in die Gesichter von ratlosen Piraten.

“Herr im Himmel was macht ihr denn überhaupt den ganzen Tag?! Ihr werdet doch wohl wissen wie ihr euer eigenes scheiß Schiff in Schuss haltet oder etwa nicht?!“

fuhr er sie an. Ratlose Gesichter. Taeris ließ die Schultern hängen.

“Hat euch euer KÄPPTN denn überhaupt keine Befehle gegeben?!“

Taeris betonte das Wort „Käpptn“ extra laut und extra abfällig.

“Doch, das hat er wohl. Wir kriegen Gold hat er gesagt! Und wir sollen nach Khorinis segeln…und irgendwas mit Orks und Paladinen.“

“YARR!“

tönte es bestätigend von den anderen Piraten, nachdem der eine von ihnen gesprochen hat. Seufzend blickte Taeris in die Runde.

Nach Khorinis segeln. Lange hatte er gestern darüber nachgedacht. Glaubte er jedenfalls. Er wusste immernoch nicht, wieso er überhaupt dorthin wollte…oder sollte. Am liebsten würde er den Kurs ändern und einfach zurück segeln. Er musste Ihn finden. Er durfte Ihn nicht einfach davon kommen lassen. Dieser feige Bastard. Dieser Verräter. Kameraden, Brüder waren sie gewesen… Das hatte er sich zumindest eingebildet. Stattdessen hatte dieser Hundesohn ihn nur benutzt und die ganze Zeit mit diesen Orks unter einer Decke gesteckt. Dafür würde er büßen.
Völlig in Gedanken versunken starrte Taeris auf das flatternde Hauptsegel. Es wies tatsächlich zahlreiche Löcher auf. Eines der Befestigungsseile hatte sich gelöst, während einige Piraten versuchten es wieder ein zu fangen und zu befestigen.
Aber andererseits? Wie sollte er Alrik schon je wieder finden? Quer durch Myrthana war er gereist und niemand hatte ihn gesehen. Er hatte nur Hoffnungslosigkeit und Resignation gesehen… und klägliche Versuche die übermächtigen Orks zu bekämpfen. Seine treuesten Gefährten hatten ihn im Stich gelassen oder waren von ihm im Stich gelassen worden. Claw, Waylander und Trebor hatte er mitten im Kampf im Stich gelassen. Der gesamte Feuerclan war ohne Anführer, da dieser jetzt in Selbstmitleid versunken auf dem Meer herum trieb. Doch niemand schien das zu interessieren. Redsonja war bei ihrem Win’Dar und hörte sich wahrscheinlich blind vor Liebe irgendwelche Mordpläne an, ohne etwas dagegen zu tun. Und dieser undankbare Feigling von Win’dar hatte Taeris´ Schwäche ausgenutzt.
Wozu wollte er denn überhaupt noch irgendwo hinsegeln?
Zurück nach Myrthana? Was hielt ihn denn dort? Nichts. Er konnte ebenso gut nach Khorinis segeln. Es kümmerte doch ohnehin niemanden wo er hin ging. Niemand wartete auf ihn. Und Alrik? Alrik konnte ihm doch ebenso gestohlen bleiben. Der saß doch ohnehin in irgendeinem gemütlichen Haupthaus der Orks und schmiedete hinterhältige Pläne…
Also Khorinis…

“Und jetzt hört auf mich so dämlich an zu glotzen! Repariert das verdammte Segel und haltet den Kurs!“

[Marvin]

Das Wetter war alles ander als das, was die Meisten als traumhaft bezeichnen würden. Es war nicht besonders warm, die Sonne schien sich versteckt zu haben und es sah auch nach Regen aus. Ein bisschen Regen würde ihm jetzt guttun, auch wenn er im Augenblick auch darauf verzichen könnte. So faul hatte Marvin sich selten gefühlt, er lag an Deck, nahe der Reling, den Kopf auf einem aufgerollten Seil und die Füße überschlagen. Einen Hut, den er in seiner Kabine gefunden hatte, auf dem Kopf, leicht über die Augen gezogen. So lies es sich leben, das Beste war, keiner störte ihn. Nachdem Win'Dar Taeris zu seinem ersten Maat ernannt hatte, hatte er den Orktöter nicht gerade als friedlich dargestellt, beinahe als persönlich Inquisitor falls jemand auf dumme Ideen kommen sollte. Und irgendwie schienen wirklich die meisten Piraten einen gewissen Respekt vor ihm zu haben. Er konnte nicht behaupten, dass er sich in dieser Rolle gefiel, aber immerhin hatte er seine Ruhe, was ihn vor Allem deswegen freute, weil er tatsächlich auf einem Piratenschiff ein Buch gefunden hatte, dass sich auch noch lesen lies. Es war nicht besonders spannend, total durcheinander und auch sonst nichts Besonderes, außer dass es ein Buch auf einem Piratenschiff war. Bücher waren so schon nicht allzu häufig, aber dann auch noch auf einem Piratenschiff, Ironie des Schicksals, wahrscheinlich konnte auf diesem Schiff niemand lesen.
Wirklich ruhig war es leider trotzdem nicht. Gerade eben war Taeris über das Deck getrampelt und hatte befohlen das Segel zu reparieren, das an einen Käse erinnerte. Er gab sich dabei keine Mühe zu verbergen wie viel er von dem neuen Kapitän hielt. Das Ganze hatte etwas Belustigendes. Taeris konnte Win'Dar nicht leiden, schien aber mit Redsonja recht gut befreundet, aber Sonja und Win'Dar konnten sich allem Anschein nach sogar sehr gut leiden, wobei er sich da noch nicht ganz sicher war.
Doch das war nicht alles was seine Ruhe störrte. Eine Ecke weiter stritten zwei Piraten. Er konnte sie zwar nicht sehen, aber ihre Diskussion schien lautstark zu werden. Marvin interessierte sich nicht dafür, bis er das Wort "Kapitän" hörte. Er legte sein Buch zur Seite, richtete sich ein wenig auf und spitzte die Ohren. Das was er hören konnte, wollte keinen wirklichen Sinn ergeben: Zweck, verrückt, Ehre, es schien sich beinahe um eine Grundsatzdiskussion zu halten, aber dann gab ein weiteres Wort dem ganzen etwas Sinn: meutern. Es schienen nicht alle ganz zufrieden mit ihrem neuen Kapitän zu sein. Marvin musste lächeln, er hätte nicht gedacht, dass die Piraten auf diesem Schiff so zu viel Denken in der Lage waren. Er sollte dem Kapitän mal davon berichten oder er könnte es lassen und das Schauspiel genießen, eine verlockende Möglichkeit. Mit einem weiteren Grinsen widmete er sich wieder seinem Buch.

[Redsonja]

„Taeris wird schon keinen Blödsinn anstellen. Bis anhin war auf ihn immer Verlass und das wird sich in der Zeit kaum verändert haben. Mit ihm habe ich schon vor Jahren versucht die Brauerei auf Onars Hof auszurauben, war in der Khorinis, um Kleider zu kaufen und wir schlugen uns gemeinsam aus einigen heiklen Situationen heraus.“
Redsonja befand sich im Halbschlaf und hörte sie sich nochmals von den Abenteuern, die sie mit dem Söldner gemeinsam bestritten hatte erzählen.
Ist diese Freundschaft in Gefahr?
Fragte sie sich mit einer gewissen Angst im Nacken, dann schlug sie die Augen auf. Obwohl der Tag schon fortgeschritten war, lag Win’Dar neben ihr. Seine Züge wirkten entspannt und es machte den Eindruck, als schliefe er noch immer. Sie betrachtete ihn ein Weilchen, strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. Wenigstens diese kleine Welt schien für einen Augenblick in Ordnung zu sein. Der einzige trübende Punk war, dass ihr schon wieder übel von diesem ewigen Geschaukel wurde. Sie brauchte dringend frische Luft.
Vorsichtig schlüpfte sie unter der Decke hervor, um den Wanderer nicht zu wecken, streifte sich die Kleider über, öffnete leise die Türe, spähte hinaus, ob sie keiner bemerkte und befand sich kurze Zeit später auf Deck.
Ein mürrischer Taeris, dessen Gesicht farbloser als auch schon war, liess erraten, dass die Alkoholration, von welcher Win'Dar gesprochen hatte, vom Söldner bereits vernichtet worden war.
Ich lasse ihn lieber alleine.
War der erste Gedanke, aber er hatte sie bereits entdeckt. Also ging sie doch auf den Freund zu, setzte sich neben ihn wünschte ihm einen guten „Morgen“.
Der Geruch, welcher ihr dabei in die Nase stieg bestätigte die Vermutung in Bezug auf den Rum.
"Hoffentlich sind wir bald in Khorinis. Ich mag diese Enge auf die Dauer doch nicht sonderlich."

[Bartix]

Als Bartix am nächsten Morgen erwachte war es nicht mehr so kalt wie am Vortag… es war noch kälter. Schon beim aufstehen schmerzten seine Glieder, was allerdings auch an der Tatsache liegen konnte, das er von mehreren Besenstielen geweckt wurde.

Die Seemänner hatten sich um ihn herum aufgestellt und beharkten ihn mit eben diesen. Bartix schlüpfte zwischen ihnen hindurch und ging wieder hinüber zum Steuerrad. Er griff nach seinen Sachen die er daneben gelegt hatte und aß das letzte Stück Molerat, welches mittlerweile echt ungenießbar war.
„Wir werden Khorinis wenn wir gut durchkommen heute Abend erreichen, spätestens morgen früh“, rief einer der Händler aus der Kajüte. Bartix atmete auf, er wollte keine unnötige Minute mehr mit diesen Halunken verbringen und endlich seine Familie wieder sehen. Er hatte ihre Gesichter gar nicht mehr richtig im Kopf, wie sie wohl jetzt aussahen und ob es ihnen besser ging? Er ertappte sich schon wieder mit den selben Gedanken, die ihn tagtäglich plagten. „Achtung, scharf Steuerbord, Klippen voraus.“ Einer der Seemänner war zu ihm gerannt.
„Vor uns liegt eine kleine Insel, zu klein um auf einer Karte verzeichnet zu sein.“ Bartix riss das Steuerrad hastig nach Rechts. Nur langsam änderte das Schiff die Richtung. Durch den Nebel hatten sie die Insel erst spät entdeckt. Aber es reichte noch, es fuhr um sie herum und nahm danach wieder gewohnten Kurs auf.

Nun tauchten wieder Möwen auf und folgten ihnen mit lautem Kreischen. „Ihr bekommt nichts, ihr räudigen Biester!“
Einer der Seemänner warf einen Stein nach ihnen. Allerdings hatte er ihn zu steil geschleudert und so traf er einen weiteren beim herunterfallen an der Schulter.
Sie rauften sich und nach einiger Zeit wurden sie auseinander getrieben und gingen wieder schweigend ihrer Arbeit nach.
Mittlerweile hatte sich Bartix an diese kleineren Zwischenfälle gewöhnt und das Segeln machte ihm sogar ein wenig Spaß, allerdings nicht so viel das er Kapitän oder Matrose werden wollte. Und so setzten sie ihren weg fort…

[Taeris]

Taeris´ Blick verlor sich in der Ferne, schweifte irgendwo auf der graublauen Fläche aus wogenden Wellen umher. Die Wirkung des Alkohols war mehr und mehr in den Hintergrund gerückt, je länger der Tag andauerte. Und so kehrten auch langsam seine Sinne zurück. Auch die Gedanken hörten auf sich wild und chaotisch ins einem Kopf zu drehen und liefen nicht mehr mit derselben Energie Amok, wie noch am gestrigen Abend heute Morgen.

“….“

Taeris wollte etwas sagen. Irgendetwas. Aber ihm fiel einfach nichts ein was es wert war, gesagt zu werden. Sein Blick wanderte in rasender Geschwindigkeit wieder zurück auf das Schiff auf dem sie sich befanden, nur um sich dann vor seinen Füßen in die Holzplanken zu bohren. Vor einigen Stunden hatte der Wind stark aufgefrischt, fegte nun förmlich über das Deck hinweg. Es war nicht sehr kalt, aber dennoch ungemütlich. Taeris störte dies nicht sonderlich. Er war ohnehin viel mehr damit beschäftigt sich zu fragen, ob er im Recht war oder nicht. Redsonja war das, was man eigentlich eine Frohnatur nennen konnte. Zumindest wenn man sonst eher mit Leuten umgeben war, die Taeris Gemütslage näher waren. Wobei das momentan wohl höchstens Totengräber oder Henker waren.
Bilder schossen ihm durch den Kopf. Wie er ihr dabei half über die Stadtmauer von Khorinis zu fliehen, verfolgt von einer Heerschar von Milizsoldaten. Wie er ihr im Minental in seinem Haus sein Leid geklagt hatte und sie den ganzen Abend dagesessen und einander irgendwelche Geschichten aus vergangenen Tagen erzählt hatten. Oder wie er bis nach Gorthar gereist war, um sie für Lee zu suchen… und schließlich in ein Abenteuer mit ihr, diesem eigenartigen Typen namens Frost, Sly und noch einigen Anderen hineingerutscht war. Die guten alten Zeiten…
Taeris seufzte. Und das alles war jetzt zunichte?
Er blickte auf und sah sie an, wie sie nicht minder nachdenklich in die Ferne starrte.
Und sie vertraute ihm nicht? Dieser Typ…in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, änderte dies alles? Taeris blickte wieder auf den Boden. Ein Teil von ihm wollte sich entschuldigen, sagen dass er es doch alles nicht so gemeint hatte…dass er überreagiert und falsch geurteilt hatte…
…Aber da war dieser verdammte Win’Dar…

“…Weist du…Ich wollte nicht, dass es so weit kommt.“

raunte Taeris und versuchte weiter durch bloßes Anstarren Löcher in die Holzplanken zu bohren. Vielleicht lag mehr „Entschuldigung“ in diesem Satz, als er eigentlich hatte aussprechen wollen. Er konnte Win’Dar noch immer auf den Tod nicht ausstehen. Und dieser wollte ihm wohl ohnehin immer noch ans Leder. Aber machte das Sonja automatisch zum Feind?

[Redsonja]

Sie nickte.
„Ich auch nicht.“
Kurz darauf wiederholte sie die Worte nochmals. Dann blickte sie wieder in die Ferne.
„Es ist viel geschehen seit ich von Onars Hof weggegangen bin. Vielleicht zu viel. Es hat mich misstrauisch gemacht.“
Begann sie und Taeris holte eben Luft, um etwas zu entgegnen, als sie fortfuhr:
„Das heisst nicht, dass ich dir nicht vertrauen würde. Es gibt nur wenige Menschen in dessen Hände ich mein Leben eher legen würde, als in deine, aber da sind Dinge, die niemand wissen darf. Denn es würde diejenigen, die davon erfahren in Gefahr bringe. Dafür kann ich nicht verantwortlich sein und dennoch möchte ich endlich mit jemandem offen sprechen können, denn es gibt Stunden, wo mich die Last beinahe erdrückt.“

Plötzlich musste sie lachen.
„Ja, man preist immer die Liebe und habe ich sie endlich gefunden, so schwindet mein Frohmut dahin. Aber ich werde ihn wiederfinden.“
Dann schwiegen sie wieder einen Moment, bis ihr Taeris herausfordernd einen Sumpfkrautstängel hinstreckte. Redsonja musste kurze Zeit nachdenken. Win’Dar würde keine Freude haben, aber sie war nicht bereit sich für einen Mann zu sehr zu biegen, denn irgendwann würde sie brechen und wenn es ihm mit seiner Liebe ernst war, dann sah er darüber hinweg.
„Gerne.“
Entgegnete sie schlussendlich, begann genüsslich am Glimmstängel zu ziehen und genoss es, wie sich die Welt langsam verzog. Alles wurde etwas leichter, das Kitzeln des feinen Nieselregens streichelte ihr sanft über die Haut und der Wind verwehte ihr Haar. Das Kraut verstärkte auf eine wunderbare Weise all diese Empfindungen.

[Win'Dar]

Andere Leute hatten den halben Tag damit verbracht, ein Buch mit nautischen Begriffen in sich hineinzupressen. Nach zwei Stunden umgeben von Affenfäusten, Kiel- und Bilgenschweinen und Kuhwenden war er nervlich weit genug, das geballte Wissen kurzerhand zu verschlingen.
Außer dem fahlen Geschmack alten Leders in seinem Mund hatte es wenig geholfen.
So hatte sich Win'Dar schließlich auf seinem Stammplatz am Geländer des Achterdecks eingefunden, obwohl er sich dort der ständigen Belästigung durch den alten Kapitän ausgesetzt sah, der in seiner neuen Rolle als spitzzüngiger Steuermann zu neuer Jugend zurückzufinden schien.
"Na, mein Jung", kam es auch schon bald von dem Alten, der nichts besseres zu tun hatte als sich neben Win'Dar zu stellen, "du machst ja ganz schöne Fortschritte, was?"
Das ist das Schlimmste an dem Kerl, dachte Win'Dar, bei dem weiß man nie, wie er was meint, der will mich doch nur verarschen, dachte er, und das alles nur, weil er so'n alter Sack ist und wahrscheinlich nicht einmal eine Mutter hatte, sondern direkt aus dem Meer auf irgendeinen Kutter gekrabbelt kam. Deshalb kann er jetzt jedem seine Meinung geigen, der sich in sein Revier vorwagt.
"Hätt ja nicht gedacht, dass sich hinter deiner großen Klappe ein waschechter Pirat versteckt, als wir euch lausigen Haufen in Vengard auf den Kahn geladen ham."
Win'Dar hob warnend den Finger.
"Vorsicht. Ein falsches Wort und wir haben nen neuen Smut."
Weißhaar lachte sein "Hohoho"-Lachen.
"Na, mach mal halblang, Quappe. Solltest froh sein, meinen alten Arsch auf deinen Planken zu sehen. Ohne mich kannste den Kahn vom nächsten Riff kratzen, sobald wir in die Nähe von Khorinis kommen."
Der Alte kramte in seiner Manteltasche herum, bis er eine bauchige Flasche zutage förderte. Mit schwarzgelben Zähnen zog er den Korken und spuckte ihn achtlos weg. Dann gönnte er sich einen kräftigen Schluck.
"Vielleicht sollteste etwas mehr auf deine Jungs achten", meinte er dann mit halb zugekniffenem Auge. "Mit Pelly hast dir ja nen guten Mann gesichert, aber der andere, dein neuer Maat..."
"Was ist mit dem?", hakte Win'Dar nach.
"Scheint dich nicht sonderlich leiden zu können."
"Gut erkannt", meinte Win'Dar zynisch.
"Warum ziehste ihn dann so weit am Haken hoch?"
"Damit ich ihm besser beim Zappeln zusehen kann", erwiderte Win'Dar kalt.
Der Kapitän dachte darüber bei einem weiteren Schluck nach. Letztlich lachte er leise.
"Gar nicht so dumm, Quappe. Gar nicht so dumm."
"Wenn wir grad schon über Krankheiten reden", schnaubte Win'Dar, "hast du meinen Maat irgendwo gesehen?"
"Mhm", der Alte überlegte kurz, "Vorne beim Bug, irgendwann."
Er grinste verschmitzt.
"Hat sich wohl ganz gut mit deinem Mädel unterhalten."
"So", sagte Win'Dar. "Hat er das."
Er stieß sich vom Geländer ab.
"Na, dann sollte ich sie vielleicht auch mal besuchen."
Ohne Weißhaars Grinsen weiter zu beachten, machte sich Win'Dar auf den Weg. Eigentlich waren die beiden kaum zu übersehen, wie sie dasaßen und grünlich-graue Rauchwolken in den Himmel bliesen.
Win'Dar steckte zwei Finger in den Mund und pfiff so schrill, dass über ihm einer der Matrosen fast vom Mast gefallen wär.
"He, Trauma Taeris! Heb deinen faulen Arsch von meinen Planken und geh das Kielschwein füttern. Ich bezahl dich nicht dafür, dass du hier die Luft vollstänkerst."

[Taeris]

Taeris schwieg. Zu gerne hätte er gefragt, was es denn nun mit dieser Geheimnistuerei auf sich hatte… Aber letzten Endes hatte er es dann doch gelassen. Er wusste nicht genau wieso, aber irgendwie hielt er sich dann doch zurück und beließ es bei der friedlichen Raucherei. Es war angenehm, sich mal wenigstens ein paar Augenblicke lang keine Gedanken machen zu müssen. Auch wenn das Wetter zunehmend beschissener wurde und sich zu dem Nieselregen auch noch die hereinbrechende Dunkelheit gesellte.
Wo war eigentlich Win’Dar? Schoss es ihm durch den Kopf, als sie nach einiger Zeit immer noch dort am Bug saßen.
Die Antwort folgte auf dem Fuße…. Und erinnerte ihn sogleich daran, wieso er Win’Dar für einen von sich selbst überzeugten Schnösel hielt.

“ "He, Trauma Taeris! Heb deinen faulen Arsch von meinen Planken und geh das Kielschwein füttern. Ich bezahl dich nicht dafür, dass du hier die Luft vollstänkerst."

maulte er und baute sich vor ihnen auf. Taeris bemerkte die Unruhe, die plötzlich in Redsonja auf zu kommen schien.
Doch Taeris blieb sitzen und rührte sich nicht einen Finger breit von der Stelle.

“Du bezahlst mich? Wovon?