Unverzeihlich
Jahr 2182, Citadel, 12. Revier
„Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich doch.“ Captain Yuhki schloss die Tür des Büros und setzte sich dann an seinen Tisch. „Wir können nicht einfach auf Zuruf Personenschutz gewähren! Zudem sind sie keine Bewohnerin der Station und -“ „Aber Sie müssen! Verstehen Sie denn nicht, alle anderen sind schon tot! Ich bin die nächste, ich weiß es!“ „ - und außerdem habe ich das Gefühl, dass Sie uns nicht alles erzählen, Miss Thompson!“
Hektisch öffnete Niall das Aufnahmeprogramm des Computers und drückte auf der holografischen Oberfläche den An-Knopf. „Das Protokoll läuft, Captain.“ „Sehr gut. Und nun hinsetzen und Ruhe geben, O‘Grady!“ Niall gehorchte, nahm sich einen Stuhl und setzte sich damit in die Ecke des Raums, weg von dem Tisch. Während sein Boss sich zu der dunkelhaarigen, jungen Frau setzte, holte er sein Datenpad hervor und begann seine Notizen zu machen. Diesen Teil der Ausbildung würde er nach Abschluss der selbigen sicherlich nicht vermissen.
„Also, wer genau verfolgt Sie?“ „Ich weiß es nicht….wirklich nicht…..ich kenne nicht einmal sein Gesicht.“ Mit zittrigen Händen griff sie nach dem Glas Wasser auf dem Tisch und trank einen Schluck. „Ich habe nur d-die Aufnahme gesehen…..auf der er sie…..getötet hat….u-und ich weiß ich bin….“
Für einen Moment vergrub sie ihr Gesicht in den Handflächen und schluchzte. „Gibt es dafür denn irgendwelche konkreten Anhaltspunkte, abseits der Tatsache dass Sie auch zur Ecplise gehört haben? Ich möchte nicht empathielos klingen Miss Thompson, aber Streitigkeiten unter Söldner sind in den Terminussystemen an der Tagesordnung.“ „Es ist mehr als das…..bitte, Sie müssen mir glauben! Ich kann Ihnen keine Beweise geben, aber ich weiß es einfach! Er ist hinter mir her….und wenn Sie mir nicht helfen wird er mich finden….“
Mitleidig sah Niall zu Miss Thompson. Die Frau war nervlich völlig am Ende. Der Captain merkte das wohl, doch er versuchte seine professionelle Distanz zu wahren. „Tut mir Leid Miss Thompson. Auch wenn Sie nicht ehrlich mit mir sind, ich muss es mit Ihnen sein: Nichts, was Sie mir vorgelegt haben, rechtfertigt auch nur im Ansatz das, was Sie verlangen. Natürlich werden wir ermitteln, doch die Chance auf Erfolg sehe ich eher als gering an. Vor allem, weil sich der von Ihnen geschilderte Vorfall nicht in unserem Zuständigkeitsbereich ereignet hat. Ich halte Sie daher hiermit zu Eigenverantwortung über ihre Sicherheit an, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.“
Das konnte doch nicht sein! Diese Frau war offensichtlich ein nervliches und physisches Wrack, sie hatte panische Angst um ihr Leben, sie konnten sie doch nicht einfach wegschicken! „Captain, gibt es wirklich nichts -“ „O‘Grady, ich habe nicht um ihre Meinung gebeten.“ unterbrach der Captain ihn scharf. „Bitte begleiten Sie Miss Thompson jetzt nach draußen.“ „Kommen Sie…..“
Mit wackeligen Beinen erhob sie sich von ihrem Stuhl und bewegte sich zittrig aus dem Raum. „Hören Sie….“ flüsterte Niall ihr leise zu, während sie sich gen Ausgang bewegten. „Geben Sie mir ihre Kontaktdaten…..ich werde versuchen Ihnen irgendwie zu helfen…..“
Mit überraschtem Blicke sah sie zu ihm, ihre Miene hellte sich augenblicklich mit einem hoffnungsvollen Lächeln auf. „Niall O‘Grady, du bist wirklich der dämlichste Idiot weit und breit…..“ dachte sich der Ire bereits im nächsten Moment. Immerhin konnte ihn eine solche Aktion seine Ausbildung kosten……
***
Citadel, Devil‘s Tips
„Das heißt, Sie haben nicht einmal einen Anhaltspunkt?“ „Nein….es hat einfach eines Tages angefangen…..einer nach dem anderen….tot….und ich weiß es einfach, dass ich die Nächste bin...“
Ein wenig unwohl sah der junge Ire sich um, während sie sich unterhielten. In diesem Teil der Station war er bisher nur 3x gewesen, und immer in Begleitung seiner erfahreneren Kollegen.
Auch wenn er seine Uniform nicht trug, so merkte er die misstrauischen Blicke, welche ihm zugeworfen wurden. Es war wie eine eigene, kleine Parallelgesellschaft, Außenstehenden traute man nicht.
„Hören Sie, ihr Captain hatte Recht, ich war nicht ganz ehrlich mit Ihnen Niall…..ja, Sie wissen dass ich Söldnerin war, und Jobs für diverse kriminelle Elemente übernommen habe…..ich habe selten Fragen gestellt….und eines Tages….nunja, kam heraus dass wir für einen Kunden…..lebendige Ware geschmuggelt hatten.“ Entsetzt fuhr der Rothaarige herum und starrte der Frau ungläubig ins Gesicht.
„Ich weiß, das hört sich furchtbar an, und das war es auch….aber ich hatte keine Ahnung, was da wirklich ablief. Nachdem es rauskam, habe ich den Vertrag sofort aufgelöst….es tut mir Leid okay…? Ich habe Angst….ich will nicht sterben…..ich habe doch bloß unüberlegt gehandelt….niemals böswillig…..“
Niall musste erst einmal tief einatmen. Das war natürlich schon ein ziemlicher Hammer, den sie ihm da erzählte. Ob unwissend oder nicht, für eine Beteiligung an Schmuggel von intelligenten Lebensformen würde sie sich hier auf der Citadel in jedem Fall vor Gericht verantworten müssen. Und ihre ursprüngliche Unehrlichkeit sprach nicht gerade für sie. Eigentlich verlangte es sein Berufsethos, das ganze dem Captain zu melden. Andererseits…….
Er betrachtete sie aus der Nähe. „Sie ist nicht viel älter als ich.“ dachte er sich. Naivität, Unvorsichtigkeit, vielleicht sogar Dummheit…..aber Böswilligkeit? Das konnte beim besten Willen nicht in ihrem Blick erkennen. Und egal was jemand getan hatte, niemand verdiente es einfach außergerichtlich hingerichtet zu werden. Wer auch immer hinter ihr her war, er musste ihn aufhalten!
„Gut, ich werde Ihnen helfen…..aber eines müssen Sie mir versprechen….sobald wir diesen Kerl haben stellen Sie sich selbst, mit der ganzen Wahrheit. Versprechen Sie mir das, Miss Thompson?“ „Ich verspreche es, hoch und heilig! Danke Niall, ich kann Ihnen gar nicht sagen wie dankbar ich Ihnen bin…...“
***
„Du weißt, dass dich das deine Ausbildung kosten kann? Im besten Fall! Im schlimmsten verknackt man dich!“
„Das weiß ich Jeffrey, verdammt nochmal! Aber du hast sie nicht gesehen…..sie war am Ende. Irgendein Verrückter ist hinter ihr her…..egal was sie getan hat, man kann sie doch nicht einfach umbringen….“
„Die Citadel hat strengste Waffenkontrollen! Egal wer hinter ihr her ist, wenn er von außerhalb kommt hat er schlechte Karten. Gemäß dem Fall dass die ganze Geschickte überhaupt so stimmt….du solltest nicht alles glauben was dir jemand fremdes erzählt.“
Natürlich bestand diese Möglichkeit. Doch Niall drängte den Gedanken schnell beiseite. Er wusste nicht, wieso er überhaupt davon erzählt hatte, denn entschieden hatte er sich längst. Und er alleine würde mit den Konsequenzen leben müssen.
***
„Haben Sie das gesehen?“ „Was denn?“ „Wie dieser Typ mich eben…...der beobachtet uns doch, oder?!“ Der Atem der Dunkelhaarigen ging sofort hörbar schneller. „Miss Thompson, ich glaube Sie verwechseln Wachsamkeit gerade mit Paranoia.“ sagte Niall und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sehen Sie, er ist schon weg.“ „Aber falls gerade das zu seiner Taktik gehört?! Erst nervös machen, dann verschwinden….“ „Ich glaube, Sie sollten sich wirklich etwas beruhigen. Wir sind in den Tips. Hier beobachtet jeder jeden, den er nicht kennt. Sie haben mir immer noch nicht erzählt, was wir hier eigentlich tun.“
Sie versuchte sich wieder zu fangen, räusperte sich und flüsterte Niall dann etwas ins Ohr. „Ich warte auf einen Broker, der mir eine neue Identität verschaffen soll.“
Beihilfe zur Identitätsfälschung. Die Liste, die Niall seine Ausbildung kosten konnte, wurde stetig länger.
„Sooooo….“ Beide fuhren herum und sahen dann zu ihrer Überraschung, dass vor Ihnen ein Volus stand. „Wer von Ihnen beiden möchte gerne von der Bildfläche verschwinden…..?“
***
„Wer ist der Clown, und was will er hier?!“ bellte der grauhaarige Mensch und schwenkte bedrohlich mit einer Eisenstange in der Hand. „Woah, hey, ich bin nicht hier um Ärger zu machen!“ Niall hob beschwichtigend die Hände. „Schon in Ordnung Harry, er wird nicht lange bleiben, versprochen. Hier, ich zahle auch etwas drauf für die Umstände….“ Thomson tippte auf ihrem Omni-Tool und überwies offensichtlich einen kleineren Geldbetrag, welcher auch sofort bei dem unfreundlichen Herren ankam. „Hrm, na gut. Aber in 2 Stunden ist er aus dem Haus!“
Knallend schlug er die Tür hinter sich zu. „Sie haben ja einen reizenden Vermieter.“ „Er ist ein wenig eigenwillig, aber wenn man ihn bezahlt stellt er keine dummen Fragen. Kommen Sie, gehen wir nach oben.“
Die Wohnung der jungen Frau war so, wie er sie sich vorgestellt hatte: Nur mit dem nötigsten versehen, chaotisch und bereits im Umbruch. Offenbar hatte sie sich nie vollständig eingerichtet, und nun war sie bereits wieder im Begriff zu verschwinden. „Was tun wir jetzt eigentlich hier?“ fragte Niall ein wenig ratlos. Sein Blick fiel auf einen kleinen Bildschirm über der Wohnungstür, welche eine Live-Überwachung zeigte. Die Kamera war offensichtlich über der Haustür unten angebracht. „Haben Sie….das mit ihrem Vermieter abgesprochen?“ „Nein. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Kommen Sie, helfen Sie mir, ich brauche ihren Zugang um meinen Flug von hier zu buchen.“
Niall war irritiert. „Einen Flug?“ „Nach Omega. Allerdings nur zum Übergang. Mein finales Ziel werde ich Ihnen nicht nennen. Nichts für ungut, Niall.“
Als er das hörte, war er zunächst verwirrt. Dann jedoch wandelte sich die Verwirrung in Ärger. „Miss Thompson, ich muss sagen dass ich nicht verstehe, was mir das jetzt sagen soll! Sie sagten doch, Sie würden sich stellen, sobald wir diesen Kerl haben! Ich dachte ihre neue Identität wäre dafür gedacht, dass wir ihn auf eine falsche Fährte locken und schnappen können. Und nun sagen Sie mir, dass Sie einfach abhauen wollen? Ich komme nicht umhin mich von Ihnen ausgenutzt zu fühlen!“ „Nein, bitte beruhigen Sie sich! Ja, ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen, schon wieder….. Aber ich will nicht ins Gefängnis…..ich will ein neues Leben anfangen, ohne die Altlasten. Bitte, es war doch nur ein Fehler, soll ich dafür wirklich mein ganzes Leben büßen? Wenn Sie mir nur noch dieses eine Mal helfen, werde ich auf ewig in ihrer Schuld stehen…..“ „Ist das so….“ schnaubte Niall. „Ich glaube ich werde - “ Mitten im Satz begann er zu stocken. „Niall?“ „Schauen Sie!“
Er deutete auf die Übertragung. Die Dunkelhaarige drehte sich langsam um, ihre Augen weiteten sich und sie wurde kreidebleich. „Da…...das ist er…..“ Eine kräftige Gestalt in Rüstung und Helm stand vor der Tür. Sie klopfte an der Tür. Rüttelte daran.
„Wir müssen Harry - “
Doch es war zu spät. Die Tür wurde geöffnet. „Wer sind Sie? Was zur Hölle wollen Sie hier?“ hörten sie es von unten rufen. „Sofort verschwinden Sie, oder - “
Ein dumpfes, schlagendes Geräusch war zu hören, gefolgt von etwas schwerem, was zu Boden fiel. „Verdammt, ich muss Hilfe rufen!“ schoss es Niall durch den Kopf, er aktivierte sein Omni-Tool, versuchte einen Notruf abzugeben, doch die Verbindung wurde blockiert. „Er ist hier. Er bringt mich um.“ murmelte Thompson und zitterte am ganzen Körper. „Ganz ruhig. Verstecken Sie sich, schließen Sie sich im Bad ein.“
Niall blickte sich hektisch um. Der Durchgang zum Schlafzimmer bot die beste Position für ein Schussfeld auf die Tür, während er sich hinter der Ecke in Deckung begeben konnte.
„Machen Sie schon, schnell!“ Sie gehorchte. Der junge Ire platzierte sich, die Waffe auf die Tür gerichtet. Seine Hände zitterten. „Reiß dich zusammen Niall. Es geht hier um Leben und Tod!“ Und nicht nur für ihn. Dies hier war seine Pflicht.
Momente vergingen. Minuten. Angestrengt versuchte er das laute Pochen seines eigenen Herzens auszublenden und zu horchen, was dort draußen vor sich ging. Er erblickte einen Schatten unter dem Türspalt. Offensichtlich stand der Kerl direkt davor. Sollte er schießen? Nein, am Ende würden die Projektile die Tür nicht durchschlagen und er wäre bloß gewarnt. Aber was tat er davor nur? Er vernahm ein gedämpftes Geräusch an der Tür. Dann ein leises Piepsen. Noch bevor sein Verstand vollständig geschaltet hatte, riss die Druckwelle ihn von den Füßen. Er stieß mit Hinterkopf und Rücken unsanft an die Wand, rutschte an ihr herunter, spürte das Pfeifen in seinem Gehörgang. Er tastete nach der Waffe, welche er fallen gelassen hatte, hustete, erkannte aufgrund seines verschwommenen Blickfeldes noch weniger durch den aufgewirbelten Staub als ohnehin schon. Im nächsten Moment bekam er einen dumpfen Schlag ins Gesicht und verlor endgültig das Bewusstsein.
***
„Hrrch!“
Niall schlug die Augen auf. Er spürte bei dem tiefen Atemzug, wie es in seiner Lunge brannte, er hustete, spuckte ein wenig aus dabei. „Wo bin ich….?“ murmelte er, und spürte, dass er offenbar mit den Händen an den Stuhl gefesselt war, auf dem er saß.
Um ihn herum war es stockdunkel. Doch unweit von sich konnte er etwas hören. Ein leises, unterdrücktes Schluchzen. „Hallo? Ist da jemand?!“
Der Raum wurde mit Licht geflutet, Niall kniff die Augen für einen Moment zusammen. Als er sich langsam an die Helligkeit gewöhnt hatte erkannte er, dass Thompson wenige Meter von ihm entfernt ebenfalls an einen Stuhl gefesselt befand. Der Raum in welchem sie sich befanden war klein, die metallenen Wände waren kalt und steril, nur ein halbgroßer Bildschirm war dort befestigt. Er versuchte den Kopf zu wenden, doch er war so fest auf den Stuhl fixiert, dass es nicht möglich war. „Er hat mich….er wird mich umbringen….“ schluchzte Thompson wie im Delirium. „Bleiben Sie ruhig! Wir können noch…...“ Mit aller Gewalt wandte er sich so weit es ging nach hinten und erblickte in seinem Augenwinkel etwas. Ein Tisch. Und lag dort auf dem Tisch etwa….?
>>Bemühen Sie sich nicht.<<
Niall fuhr so stark zusammen, dass die Fessel in sein Handgelenk zu schneiden begannen. Eine von der Wand perfekt getarnte Tür öffnete sich. Eine breite, gepanzerte Gestalt betrat den Raum. Die Rüstung war pechschwarz, das Gesicht von einem Helm verdeckt. In der linken Hand hielt sie eine Schrotflinte. Thomson begann beim Anblick der Gestalt sofort unkontrolliert zu schluchzen.
„B-bitte....“ „Ruhe!“<< herrschte die Gestalt sie an. „Was soll das? Warum tun sie das?!“ schrie Niall. „Sie hätten sich nicht einmischen müssen. Sie ist es, hinter der ich her bin.“<< „W-wieso….i-ich weiß nicht einmal wer sie sind…..“
Die Gestalt drehte sich zu Thompson und hielt ihr den Lauf der Schrotflinte direkt unter ihr Kinn. Sie atmete scharf ein. „Feigling!“ brüllte Niall. >>Wie bitte?“<< fragte die Gestalt und blickte nun wieder zu ihm.
„Sehen Sie uns wenigstens in die Augen, wenn sie uns töten!“
Einige Momente war es still. Regungslos stand die Gestalt da, die Spannung zerriss förmlich die Luft. Dann griff sie an den Helm und zog ihn sich vom Gesicht. Niall erstarrte bei dem Anblick, der sich ihnen bot. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit.
„Bitte…..es ist noch nicht zu spät! Lassen Sie uns gehen, Sie können sich noch dazu entscheiden das Richtige zu tun…..“ „Entscheiden? Das wird bloß das Schicksal.“
Der Batarianer griff in die Tasche an seinem Gürtel und holte etwas heraus. Eine Münze? „Sie stirbt…..“ Er hielt die eine Seite in seine Richtung, in welche eine Kerbe geritzt war. „…..sie hat noch eine Chance.“ Er drehte die Münze um. Ein Gesicht war darauf zu sehen, doch Niall konnte aufgrund der Entfernung keine Details erkennen.
Die Münze flog durch die Luft. Der Batarianer fing sie, drehte sie um und hielt die obere Seite hoch. Sowohl Thompson als auch Niall atmeten hörbar erleichtert auf. Doch der Fremde steckte seine Schrotflinte nicht weg. Mit einem hörbaren Geräusch entsicherte er sie.
„Aber Sie sagten, Sie würden Sie leben lassen!“ „Sie leben lassen? Nein, oh nein. Das was sie getan hat ist unverzeihlich. Ich sagte, Sie hat noch eine Chance.“
Mit einem Klicken aktivierte er ein Omni-Tool an seiner Waffenhand und tippte mit der freien darauf rum. „Sie können ihr diese Chance verschaffen.“ Mit einem schnappendem Geräusch öffneten sich die Fesseln, welche Niall an seinen Stuhl fixiert hatten. Perplex starrte er erst in Richtung des Batarianers und Miss Thompson.
Dann drehte er den Kopf in die Richtung, wo er zuvor nur etwas aus dem Augenwinkel hatte erahnen können. Und ohne nachzudenken sprang er in Richtung des Tisches, welcher in der Ecke des Raumes stand, griff nach seiner daraufliegenden Waffe und richtete sie auf den Batarianer.
„Keine falsche Bewegung! Legen Sie die Waffe weg!“ Seine Hand zitterte merklich. Er biss die Zähne zusammen und zwang sich ruhig zu bleiben. „Ich mein‘s ernst! Ich drücke ab wenn‘s sein muss!“
„Sie haben das noch nie getan, oder?“
Niall schluckte und biss sich auf die Zunge. Sein Feind blickte ihn mit vollkommen gefasster Miene an, ohne die Spur von Beunruhigung. „Sie haben noch nie auf jemanden geschossen.“ „Ruhe! Und wenn es so wäre….Sie werden der erste sein, das schwöre ich!“ „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“
Der Batarianer aktivierte abermals sein Omni-Tool und begann darauf zu tippen. „Aber bevor Sie diese schwere Entscheidung treffen, sollten Sie die ganze Wahrheit kennenlernen.“
„N-nein...“
Der Bildschirm ging an und begann etwas abzuspielen. Irritiert sah Niall auf die Aufnahme. Es waren offensichtlich die Aufzeichnungen von Sicherheitskameras. War dies das Innenleben eines Frachters?
„Das war ein guter Fang.“ Ein Kroganer in Eclipse-Rüstung trat ins Bild. „Aber wieso war die Auszahlung 30.000 Credits niedriger als vereinbart?“
„Die Lieferung kam….beschädigt an.“ antwortete eine weitere männliche Stimme aus dem Off. „Was genau heißt das?“
„Eines der Subjekte hatte sich offenbar während des Transports etwas eingefangen.“
Niall stockte der Atem. Nicht nur erkannte er die jetzt sprechende Stimme sofort. Im nächsten Moment trat unverkennbar die Frau ins Bild, welche gerade wenige Meter entfernt von ihm auf einen Stuhl gefesselt im Raum saß.
„Mensch, weiblich. Ein sehr junges Ding. Wir konnten leider nichts mehr für sie tun. Nächstes Mal sollten wir den Gesundheitszustand vorher gründlicher kontrollieren.“
„Hrm, ja. Nun kommt, der nächste Auftraggeber wartet bereits.“
Die Aufnahme endete so schnell wie sie begonnen hatte. Eine grauenvolle Stille breitete sich im Raum aus. Niall‘s Hände zitterten so stark, dass er seine Waffe senken musste.
„Es tut mir Leid…..“ schluchzte Thompson und durchbrach die Stille schließlich. „Bitte, ich….ich war dumm. Geblendet vom schnellen Geld…..ich wusste nicht was ich tat…..“
„Sie haben mich belogen…..benutzt…..schon wieder…..wussten Sie da auch nicht, was Sie taten?“ erwiderte Niall mit tonloser Stimme.
„Ich war zu feige….ich hatte Angst….bitte….ich will nicht sterben…..“
Mit emotionsloser Miene hob der Batarianer mit einer Hand die Schrotflinte und richtete sie wieder auf sie. Er drückte den Lauf der Waffe direkt an ihre Wange. Ihr Atem ging schnappend und es sah für einen Moment so aus, als würde sie hyperventilieren.
„Sie hat sie belogen. Nun kennen Sie die Wahrheit. Jetzt liegt es an ihnen, zu entscheiden.“
Entscheiden. Er mit seinen gerade mal 19 Jahren sollte entscheiden. Worüber eigentlich? Was in jemandem vorgegangen sein musste, der so etwas tat? Ob sie wirklich Reue gezeigt oder einfach nur aus Angst agiert hatte? Ein wie großer Vertrauensbruch es war, ihn auf diese Weise ausgenutzt zu haben? War all dies Grund genug dafür, dass sie den Tod verdient hatte?
„Nein!“
Er war ein angehender Officer von C-Sicherheit! Er stand für etwas! Für Recht und Ordnung, nicht für Anarchie und Selbstjustiz! „Lassen Sie sie gehen!“ rief er, und richtete wieder die Waffe auf den Batarianer. „Unabhängig davon was diese Frau verbrochen hat, es liegt weder an mir, noch an Ihnen zu entscheiden was sie deshalb verdient hat! Sie muss vor Gericht!“
„Ganz wie Sie meinen. Aber sind Sie auch bereit die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu tragen? Ein Leben wird heute in jedem Fall ausgelöscht werden müssen. Sie wollen ihres retten – also nehmen sie meines.“
Niall schluckte. „Nein…..bitte….es muss nicht so enden….lassen Sie sie einfach gehen und wir können das ganze vergessen…..“ „Sie wissen genau wie ich, dass das nicht passieren wird.“
Beide Männer fixierten sich. „Bitte….ich will nicht sterben….“ wimmerte Thompson abermals.
„Noch haben Sie die Wahl…..entscheiden Sie….“
Niall‘s Hand zitterte. Der Finger am Abzug bewegte sich…..doch er betätigte ihn nicht. Und mit einem Mal spürte er, wie sich seine Waffe unwillkürlich wieder zu senken begann.
Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Mit weit aufgerissenen Augen sah der junge Ire, wie der Kopf der Frau blutig zerbarst.
„NEIN!“
Seine Waffe fiel zu Boden, er sank auf die Knie, verschlug die Hände vor dem Gesicht und schluchzte.
Thompson‘s Mörder jedoch verstaute die Schrotflinte, nahm den Helm und bewegte sich mit schweren Schritten in Richtung der geöffneten Tür.
„Was sind Sie?“
Wie eine Klinge zerschnitten seine Worte die Luft. Der Batarianer hielt inne. „Was hat man Ihnen angetan? Was treibt jemanden an….zu so etwas zu werden?“
Er drehte sich um. Niall starrte auf das doppelfarbig tätowierte Gesicht. Ihre Blicke trafen sich. Für einige Momente schien es, als würde die Zeit stillstehen. Bemerkte er da einen Hauch von Schmerz?
Nur für einen Moment hielt es an. Dann drehte er sich um und ließ ihn endgültig zurück.
***
„Ist das alles, was Sie dazu zu erzählen haben?“
„Ja, Boss.“ murmelte Niall und sah betreten zu Boden. Yuhki seufzte und stand aus dem Verhörstuhl auf. Er ging zur Scheibe, starrte einige Momente durch sie hindurch und kam dann zu ihm herüber. „Hören Sie Niall, ich bin nicht dumm. Ich merke, dass auch Sie mir etwas verheimlichen, genau wie Miss Thompson es getan hat. Sie können von Glück sagen, dass es Videoaufnahmen von diesem Kerl gibt, und dass die forensischen Beweise eindeutig sind, dass Sie den Abzug nicht betätigt haben. Wir haben die Aufnahme, die dieser Typ ihnen laut ihrer Aussage vorgespielt hat, ausgewertet. Es sieht ganz so aus, als hätte Miss Thompson uns so einiges verschwiegen.“
„Ja….das hat sie….“ murmelte Niall leise.
„Nichtsdestotrotz ist ihr Tod natürlich eine tragische Angelegenheit. Wir haben bereits eine Großfahndung nach dem Kerl veranlasst, doch es scheint als habe er die Station bereits wieder verlassen. Ich bezweifle dass wir den noch einmal wiedersehen.“
Das hoffte Niall inständigst. Auch weil er nicht umhin kam, weiter an diesen einen Moment zu denken. Wieso hatte er seine Waffe gesenkt? War er einfach zu feige gewesen ein Leben zu nehmen? Hatte er den Tod der Frau irgendwo in seinem Inneren in Kauf genommen, gar gebilligt? Er wollte diese nagenden Gedanken aussperren, sie aus seinem Kopf verbannen.Vor allem, nachdem er diesen Teil dem Captain nicht erzählt hatte. „Wie auch immer. Der Punkt ist, dieser Alleingang wäre unter normalen Umständen bereits ein Grund, sie aus der Ausbildung auszuschließen.“
Niall riss die Augen auf. „Aber Sie haben Glück. Ich kenne Sie nun schon eine Weile. Und auch wenn ich weiß, dass es da etwas gibt was Sie mir verschweigen, so weiß ich auch dass ihr Herz am rechten Fleck ist. Daher geben ich Ihnen noch eine Chance O‘Grady. Beweisen Sie mir, dass Sie diese Ausbildung wirklich abschließen, und für Recht und Gesetz auf dieser Station einstehen wollen. Ohne Abkürzungen, ohne weitere Regelüberschreitungen. Ich habe mich für Sie eingesetzt, und erwarte dass Sie mir zeigen, dass ich es nicht umsonst getan haben. Versprechen Sie mir das?“
„Ich verspreche es Captain. Hoch und heilig. Und danke für die Chance.“ „Gut. Dann gehen Sie jetzt. Sie haben den Rest der Woche frei. Versuchen Sie das Erlebte erst einmal in Ruhe zu verarbeiten. Und nächste Woche will ich Sie in Bestform und hochmotiviert wieder hier sehen. Verstanden?“ „Ja, Sir!“
Bevor er das Revier verließ, machte er noch einen Abstecher zur Toilette. Während er sich die Hände wusch, blickte er in den Spiegel. Er betrachtete sich selbst, innerlich wie äußerlich. Er dachte an den Batarianer. Und er versprach sich, dass dieser eine Moment der Schwäche der einzige bleiben würde. Was auch immer diese arme Seele erlebt haben musste, um dazu geworden zu sein…...er wollte auf keinen Fall auch so enden.
Jahr 2186, Citadel, Downhall Privatgefängnis
„Alle Gefangenen begeben sich sofort zurück in ihr Zellen. Der Nachteinschluss beginnt heute vorgezogen. Wiederhole: Alle Gefangenen begeben sich sofort in ihre Zellen. Vorgezogener Nachteinschluss.“
Während alles um ihn herum aufstand, blieb Niall sitzen. Mental abgedriftet blickte er auf das metallene Tablett, welches vor ihm auf der Tischplatte lag. Er betrachtete seine eigene Reflexion. Betrachtete seine entstellte Gesichtshälfte, die orangefarbene Gefängniskleidung. Noch während ihm all die Ereignisse, die ihn bis zu diesem Punkt geführt hatten durch den Kopf gingen, spürte er eine Hand an seiner Schulter.
„Hey, pennst du oder was? Komm jetzt, sonst kriegen wir Ärger!“ Er folgte Paul, und sie kamen gerade noch rechtzeitig in ihrer Zelle an. Die Tür hinter ihnen verriegelte sich. Wie immer kletterte Paul auf die obere Pritsche, Niall setzte sich auf seine Bettkante und schaute noch einige Momente nachdenklich.
„Hey, ist alles okay bei dir? Du wirkest eben, als hättest du einen Geist gesehen, Mann!“
Das Licht wurde ausgeschaltet, Niall blieb noch einige Momente sitzen, dann legte er sich hin und zog sich die Decke über den Körper. „Es ist nicht wichtig…..“
Ende