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Stadt Khornis - Oberes Viertel
»Wie habt ihr ihn gefasst?«, fragte Hagen als die anderen Personen gegangen waren und sie allein zurückgeblieben waren. Er fragte neugierig nicht fordernd. Aus Interesse scheinbar. DraconiZ atmete schwer ein und aus. Fast hilfesuchend schaute aus dem Fenster, so wie es der Lord vor ihm getan hatte. Doch auch ihm schien die Dunkelheit nichts zu verraten.
»Er hat sich mir ergeben. Meine Leute haben ihn ausgemacht und ich bin zu ihm gegangen. Dann hat er mir vorgeschlagen, dass er sich stellt. Im Gegenzug soll das Reich gnädig zu seinem Sprössling sein«. Der Veteran schnaubte.
»Er meint also wir wären grundsätzlich so ungerecht seine Sippe zu vorzuverurteilen«, stellte er fest.
»Er scheint mir müde zu sein. Verloren sicherlich. Viele Geister aus der Vergangenheit die an ihm haften«, meinte der Weißhaarige. »Er hat kein Vertrauen in Nichts mehr«
»In euch scheinbar schon«, bohrte Hagen nach.
»Scheinbar. Nicht genug um mir nicht am Ende noch zu drohen. Ich werde mein Wort halten, so ihr es erlaubt. Nareth hat nichts mit ihm zu schaffen«. Hagen kam näher und sah ihn prüfend an.
»Ihr seid immer für eine Überraschung gut«. Der Veteran hielt kurz inne. »Nun tut was ihr meint. Nareth ist weit von dem Weg womit ich mich beschäftigen sollte.« Er klopfte mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Schon erstaunlich oder? Euer alter Waffenbruder, der so lange fort war und der gesucht wurde kommt just in dem Moment auf die Bildfläche in der ihr wirklich gut ein positives Ereignis gebrauchen könnt. In dem Zeitraum wo ich euch auf Akils Hof versauern lasse. Um dem noch einen drauf zu setzen setzt ihr euch noch dafür ein, dass er nach Vengard kommt und nicht von mir getötet wird. So bleibt er womöglich auch noch am Leben, obwohl er das nicht im mindesten verdient hat. Eigenartig nicht?«, fragte Hagen. Wieder dieser neugierige fast beiläufige Tonfall. »Würde euch das nicht komisch vorkommen? Ihr der ihr zu Daelons Männern gehört und Informationen für das Reich sammelt sollt?« Die Frage hatte Potential die weitere Zukunft des Klingenmeisters zu gestalten. Daher wog er seine Worte wohl ab.
»Wenn ich ein doppeltes Spiel hätte spielen wollen, hätte ich ihn außer Reichweite gebracht. Die Insel ist groß und euer Einfluss war auf Akils Hof gering. Es wäre ein Leichtes gewesen eure Gardisten zu täuschen und ihnen vorzugaukeln ich hätte ihn gleich dort gerichtet. Noch besser: Ich hätte dort seinen Tod inszenieren können und trotzdem die Ehre dafür hier beanspruchen können, indem ich persönliche Gegenstände mitgebracht hätte. Dann hätte ich mit ihm zusammen gegen euch konspiriert.« Draco trat nähe legte seinen Zeigefinger auf den Tisch. »Ich habe meine Aufgabe gegenüber dem Reich erfüllt und ich habe es ohne Blutvergießen erreicht, was nicht häufig in diesen Zeiten ist. Ich bin es leid Männer sterben zu sehen ohne Sinn. An meinen Händen ist genug Blut!«. Er brauchte einige Atemzüge um weitersprechen zu können. Er spürte die Erregung wie einen Tiger in ihm pochen. »Ich habe getan was ihr verlangt habt. Ich weiß was ich getan habe und ich habe um Vergebung gebeten. An eurer Seite habe ich gestanden, ich habe die Erniedrigung ertragen auf Akils Hof zu bleiben und ich habe Trilo gefasst«. Er zog Valien, drehte die Klinge und legte sie Hagen mit dem Griff voran auf den Tisch. »Innos kann mir vergeben. Ich führe sein Schwert. Jetzt entscheidet ihr ob wir zusammenarbeiten können oder nicht. Entscheidet ob ihr nicht mich statt seiner richten wollt«. Er setzte alles auf eine Karte. Doch was blieb ihm? Die Anschuldigungen und Erniedrigungen würde kein Ende nehmen. Das Schicksal war auf seiner Seite oder nicht. Der Paladin wollte die Entscheidung. Jetzt.
Der Lord nahm Valien in die Hand und beäugte die Klinge, so als hätte er die inbrünstigen Worte überhaupt nicht gehört. »Ihr habt sie selbst geschmiedet und ihr habt sie für beide Schwüre genutzt. In Tyrien habt ihr die Tränen gefunden die für ihre Vollendung gesorgt haben«. Er schaute grimmig drein. »An dem Tag des Verrats war sie nicht bei euch«. Hagen schaute die Klinge an, als hätte er so etwas noch nie gesehen. »Es gibt keinen Weg daran vorbei nicht? Der König vertraut euch. Daelon tut es und die magische Leitung tut es auch. Ihr habt mit mir zusammen gekämpft und euch für mich eingesetzt. Ihr habt die Prüfung der Geduld überstanden und ihr habt Trilo hierher gebracht«. Einen Moment noch, dann reichte er DraconiZ seine Waffe. »Ihr seid Teil des Reiches und als solches respektiere ich euch. Ein Teil der notwendig ist das Reich zusammenzuhalten«. Hagen schaute ihn hart an. »Doch ihr werdet in meinen Augen nie mehr ein vollwertiges Mitglied des Ordens und ich werde euch niemals mehr meinen Bruder nennen«. Der Klingenmeister schluckte. Das war wohl mehr als er jemals hätte erwarten können und doch fühlte es sich wie ein Schlag in der Magengrube an. »Ich da...«, begann der Streiter, doch der Veteran unterbrach ihn. »Euer nächster Auftrag ist euch bei ihrer Eminenz Françoise zu melden«. Der Weißhaarige nickte. »Das wäre dann alles Lómin«. Das letzte Worte hatte er geknurrt.
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Khorinis Stadt - Hafen / oberes Viertel
Am Hafen
»Hier finde ich dich«, meinte Draco sanft und setzte sich zu Nareth der so aussah als säße er schon einige Zeit hier am Hafen auf einer kleinen Mauer und würde über alles und nichts nachdenken. »Ich weiß du hast viele Fragen und suchst wahrscheinlich insbesondere nach dem Hintergrund an all dem«, meinte er. »Ich habe die Antworten nicht direkt die du suchst und ich habe noch immer damit zu ringen, was mein Platz in diesem ganzen großen Spiel sein wird«. Er hielt inne und schaute den Wellen zu wie sie sich bewegten und wie sie scheinbar durch die Gezeiten getrieben wurden. Hin und her. Hin und her. Im ewigen Kreis. Beruhigend. Zumindest irgendwie. »Ich habe für dich arrangiert, dass dir geholfen wird Antworten zu finden. In Vengard«. Er reichte dem jungen Mann einen Brief, einen Beutel mit Gold und einen Dolch. »Frag in der Hauptstadt nach Daca und sag ich schicke dich.« Er hielt kurz inne. »Nun natürlich, wenn du das denn willst. Es stehen dir viele Möglichkeiten offen. Ich habe Trilo versprochen auf dich aufzupassen und das werde ich tun. Manchmal jedoch ist es weiser weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen. In Vengard findest du deine Antworten und mehr. Vielleicht sogar deine Schwester. Wer weiß das schon. Mein Platz wird vorerst hier sein. Lass dich blicken, wenn du mehr weißt. Dann erzähle ich dir noch mehr von deinem Vater und das, worauf es meiner Meinung nach in der Welt ankommt. Das heißt, wenn du dann nicht mehr so grün hinter den Ohren bist«. Er lachte. Eine ganze Weile lang saßen sie noch am Hafen und unterhielten sich und Draco beantwortete noch ein paar Fragen. Dann war es Zeit, dass der Paladin dem Willen von Lord Hagen entsprach. Er verabschiedete sich von Nareth und lies ihn zunächst zurück. Nicht ohne einen der seinen angewiesen zu haben ihn im Auge zu behalten. Sein Versprechen würde er nicht brechen.
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Oberes Viertel
Er fand Françoise im oberen Viertel. Die Truppen des Ordens hatten ihr eigene Räumlichkeiten eingerichtet, worauf sie natürlich keinen Wert legte. Sie war wie so oft in Meditation verbunden. Der Drache, wie sie ihren Leibwächter zu nennen pflegte, schaute ihn wie immer mit einer Mischung aus Misstrauen und Verachtung an. Vielleicht deutete er den Blick aber auch einfach falsch. Medin hatte ihm oft gesagt, dass er die Deutung nicht sonderlich gut konnte. Seiner Meinung nach schaute er jedenfalls recht grimmig drein. »Ich soll mich auf Befehl von Hagen hier melden«, meinte er als Einstieg und Erklärung gleichzeitig, woraufhin der Krieger nur ein Brummen von sich gab. War nicht der Gesprächigste. »Habe ein paar Fortschritte bei der Paladinmagie gemacht«, meinte Draco weiter, solange seine Freundin noch nicht bereit war. »Und ein paar Rückschritte in die Vergangenheit«. Er dachte an Trilo und dass er bald auf dem Weg nach Vengard war. »Wie das Leben so spielt nicht? Wie es nur so spielt...«. Jetzt meinte er das Gesicht von Konstantin so zu deuten, dass er gefälligst aufhören sollte zu reden. Aber was wusste Draco schon von Gesichtsausdrücken.
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Vor der Burg im Minental
Dies war nun wahrlich nicht der erste Troll, gegen den der Gor Na kämpfte. Allein um das Pyramidental damals für die Bruderschaft zu erschließen, hatten sie eine dieser Bestien niederringen müssen. Der winzige Unterschied war: Damals hatten sie eine Armee. Und Oberbaal hundder, der sich in einem Akt absoluten Wahnsinns mit einer Sturmfaust selbst über den Troll katapultiert hatte. Das perfekte Ablenkungsmanöver: Unerwartet, improvisiert, irre. Das schien es immer zu sein, worauf es im Kampf gegen einen überlegenen Gegner ankam: Ein Höhenvorteil und Wahnsinn.
Wahnsinn... davon hatten sie definitiv ausreichend an diesem Ort versammelt. Allein die Tatsache, dass sie allesamt hierher zurückgekehrt waren. Und zwar freiwillig. Aus Neugier der eine, aus Nostalgie die anderen, aus... keine Ahnung, der Rest. Ja, das mochte man durchaus Wahnsinn nennen.
Esteban? Der hatte definitiv zu nah am Abgrund des Wahnsinns getanzt. Allein auf eine Welt zu gucken, die sich - wenn man den Priestern und Paladinen glauben konnte, was der Templer zwar nicht tat, aber gingen wir mal davon aus - in ewigem Widerstreit zwischen der schöpferischen Macht des Lichts und der zerstörerischen Kraft des Schattens befand und zu sich selbst zu sagen "Schatten klingt verlockend", das verlangte schon nach einem Geist, der anders tickte. Natürlich wusste der Templerführer, dass selbst das Fundament ihrer Welt von Licht und Schatten nicht so einfach war und eine unglaubliche Komplexität und Tiefe im Wirken Beliars lag. Aber wusste ein Schwarzmagier das, wenn er sich für diesen Weg entschied? Oder was zog einen auf die, wenn man so wollte, Gegenseite?
Dumak? Vielleicht am offensichtlichsten. Er hatte auf eine Welt geguckt, in der Menschen als göttliche Spielbälle ein Chaos nach dem anderen entfachten und gesagt "Da sollte jemand ein Lied drüber schreiben". Es war, als ob irgendwas in ihm sich die unglaubliche göttliche Schöpfung anguckte und unmittelbar das Bedürfnis entwickelte, dem noch etwas hinzuzufügen. Manchmal glaubte der Templer, es war jene Kraft der Urschöpfung, die durch Dumaks Worte floss. Lange hatte er gedacht, Barden waren im Kampf so ziemlich das Nutzloseste, was man sich ans Bein binden konnte. Doch was konnte mächtiger sein als die Kraft der Schöpfung selbst? Und wie oft hatte er gesehen, dass nicht der Ausgang der Ereignisse das Antlitz der Welt veränderte, sondern wie von ihnen berichtet wurde? Nichtsdestotrotz auf diese Idee musste man erstmal kommen.
Heric? Auch ein klarer Fall. Der junge Mann hatte gemessen am Rest der Gruppe vielleicht gerade drei Schritte in die Welt getan und sich schon mehr oder weniger frei dafür entschieden, es auch gleich potenziell auf die grausamste Art zu beenden. Das schien ihm jetzt gerade fürchterlich bewusst zu werden. Doch es war mehr als nur das. Irgendwas blitzte in seinen Augen, das dem Templer das Gefühl gab, er hätte genauso gut seinen Platz in der Kolonie gehabt. Und zwar nicht irgendeinen Platz. Es gab zwei Typen von Menschen in der Kolonie: Jene, die ihren Platz unter den Buddlern, Schürfern oder bestenfalls Novizen finden würden und dort auch blieben. Unauffällig, ohne Aufsehen, ohne Ärger zu machen, einfach nur, um irgendwie über die Runden zu kommen. Die meisten von ihnen endeten als Scavenger-Futter. Und dann waren da die anderen, denen man sofort anmerkte, dass sie sich durchbeißen würden. Dass da bereits das Zeug zum Söldner, Gardisten oder gar Templer, Schwarzmagier, Meisterdieb oder tollkühnen Minnesänger darauf wartete, entfesselt zu werden. Jene, die heute noch da waren. Und das war definitiv Wahnsinn.
Bei sich selbst musste der Templer gar nicht erst anfangen. Fanatismus war eine Einstellungsvoraussetzung in der Elite der Bruderschaft. Nicht nur die bedingungslose Hingabe für den Schläfer, allein die selbstverachtende Disziplin, mit der die Templer ihre Körper in Form brachten. Doch so weit musste der Gor Na gar nicht denken. Seit der Schleichausbildung bei Meister Scatty, in welcher er klammheimlich die Verzierungen auf den Bauchseiten riesiger Cephalopoden abzeichnen musste, von deren Existenz er heute noch wider besseres Wissen überzeugt war, ging es mit der geistigen Gesundheit bergab.
Ja, Wahnsinn hatten sie genug hier versammelt. Jetzt fehlte ihnen nur noch eine Möglichkeit, dies zu nutzen, um auch diesen Gegner in die Knie zu zwingen. Oder sich einen Höhenvorteil zu verschaffen. Oder beides. Der Gor Na sah sich in einer gewagten Aktion auf die Faust des Golems klettern, in hohem Bogen durch die Luft schleudern und schlussendlich unrühmlich an der Mauer der alten Burg zerklatschen. Nein, er war zu weit gekommen, um nun doch schlussendlich ausgerechnet im Alten Lager zu sterben. Es musste einen anderen Weg geben. Sein Blick zuckte ausgerechnet zu Dumak. Vielleicht ein Lied? Alles andere hatten sie schon probiert.
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Khorinis Stadt, Stallungen
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, goldene Sonnenstrahlen fielen durch das notdürftig zugestopfte Fenster und hob den tanzenden Staub in der dunklen Kammer hervor, die Redlefs Schlafgemach war. Stöhnend zog er die dicke Federdecke über das Gesicht, wollte die Wärme und Ruhe des Schlafens noch etwas halten, doch es gelang ihm nicht. Sein Körper schmerzte, nicht nur das verletzte Bein, sondern auch der Rücken vom langen Liegen. Zu dem war seine Blase zum Platzen gefüllt und ließ ihm daher keine Entspannung mehr unter der Decke finden.
Redlef stemmte seinen Körper in die senkrechte, knirschte mit den Zähnen, während er seine Beine aus dem Bett zog. Das rechte Knie war immer noch dick geschwollen, der Umfang der Schenkel darunter und darüber wirkten im Kontrast dazu unnatürlich dünn.
Das Bild seines Körpers versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. All die Kraft, die er sich in den letzten Monaten zurückgekämpft hatte, war nun wieder von ihm gefallen, wie er sie im Kerker verloren hatte. Er drohte erneut in die Nutzlosigkeit abzurutschen. Die kleine Verletzung am Bein hatte sich natürlich nach ihrer Rückkehr aus der Goblinhöhle entzündet und ihn über Wochen ins Bett geschickt. Jacques war es zu verdanken, dass er die bestmögliche Versorgung erhielt und dem alten Bardasch, dass die Pferde unter seinem Fernbleiben nicht leiden mussten. Jacques hatte ihm berichtet, dass die Ställe täglich gemistet wurden und die Tiere Futter und Wasser erhielten. Die beiden Männer hatten auch verantwortungsbewusst darauf geachtet, die Pferde möglichst häufig zu bewegen und kleine Runden zu reiten, sodass die Tiere nicht ihre Kraft verloren, wie er es nun getan hatte, als das Fieber in ihm wütete.
Alles entwickelte sich positiv, nur er machte Rückschritte…
Redlef wischte sich mit den Händen durch das bärtige Gesicht. Seine Blase drückte immer noch. Also zwang er sich die trüben Gedanken anzustreifen und hievte sich nun endgültig aus dem Bett. Sein Nachttopf war schnell gefüllt, das Entleeren musste später folgen. Priorität hatte das Frühstück, welches Jacques ihm vermutlich in aller Frühe in die Kammer gestellt hatte. Getreidebrei und ein aufgeschnittener Apfel.
Gestärkt und gewaschen, griff er nach dem Stock, den Eric ihm aufgrund einer gut gewachsenen Astgabel ausgesucht hatte. Er klemmte ihn sich unter den Arm und hopste mit Hilfe der Krücke die Stiege hinunter und den Stall.
Die Pferde dösten ruhig in ihren Ständern. Alles sah zu seiner Zufriedenheit aus.
»Jacques? Bardasch?«, erkundigte er sich in die Stille, doch niemand antwortete.
Auf der noch warmen Kohle der alten Schmiedestätte stand noch ein Kessel mit erwärmtem Wasser. Redlef kippte davon etwas in eine angeschlagene Tonschale und legte die Rasierseife hinein. Dann zog er das Hemd aus und warf sich ein zerschlissenes Handtuch über die Schultern.
Der fische Wind machte ihm Gänsehaut, als er den oberen Flügel der Tür ausstieß, damit etwas Licht auf den polierten Metallspiegel fiel, an der er sich zu rasieren begann.
Heute war der erste Tag, an dem er die gesamte Morgenroutine geschafft hatte, ohne einen Schweißausbruch zu bekommen. Dies hob seine Laune, war es doch ein gutes Zeichen dafür, dass er das Schlimmste überstanden hatte.
Seine Laune hob sich und der Rittmeister begann ein beinahe fröhliches Liedchen zu summen, während er sich den struppigen Bart herunter schor.
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Khorinis
Nach ihrem Ausflug zum Turm des Nekromanten hatte sich die Oberste Feuermagierin ausgiebig mit den Schriftstücken auseinander gesetzt, die sie von dort mitgebracht hatte. Insgeheim hoffte sie etwas zu finden, was ihr die Möglichkeit eröffnete, in die andere Welt zurückzukehren. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass dies kein Themengebiet war, welches Xardas zu interessieren schien. Einige Schriftrollen handelten zwar von Dimensionsportalen; leider beschränkten sie sich auf die Reise zwischen den Sphären der Götter. Was Xardas wohl mit diesem Wissen anzufangen gedachte. Zum Erstaunen der Priesterin hatten ausgerechnet die Orks offenbar vor Urzeiten ein derartiges Portal errichtet und auch in Kraft gesetzt. Wissenschaftliche Neugierde einmal beiseite, zweifelte Françoise allerdings daran, für sich einen Nutzen aus dem Wissen ziehen zu können.
Am liebsten hätte sie sich anschließend sofort in Meditation begeben, um all die Informationen zu verarbeiten und magische Kräfte zu sammeln. Bevor sie dazu kam, suchte erst Hagen das Gespräch und danach ein Novize aus dem Lazarett. Das Anliegen des Paladinlords war eine beunruhigende Erzählung von einer Patrouille, die auf untote Goblins gestoßen war. Im ersten Moment tat es Françoise als Beiwerk der Machenschaften des Lichs ab. Je mehr Hagen ins Detail ging, desto weniger überzeugt war sie jedoch von ihrer eigenen These. Sie käme nicht umhin, sich das Ganze selbst anzugucken. Eine besondere Dringlichkeit hatte es für sie nicht. Ganz im Gegensatz zu dem, was der Novize zu berichten hatte. Zum großen Erstaunen der Obersten Feuermagierin hatte sich Saraliel abgesetzt und das Lazarett, welches Françoise ihm in die Verantwortung übergeben hatte, seinerseits wiederum den Novizen übergeben. Dracos Bruder hatte manchmal einfach den Kopf in den Wolken. Leider sehr zum Leidwesen der Kranken und Verletzten in Khorinis. Die Novizen taten ihr bestes, doch gewisse Dinge brauchten das Wissen eines Medicus'. So musste Françoise selbst tätig werden und sich um die kritischen Fälle kümmern. Gleichzeitig schickte sie eine Nachricht mit dem nächsten Schiff, dass ein Feuermagier vom Festland schnellstmöglich nach Khorinis kommen sollte. Und was Saraliel betraf, ihn würde sich die Priesterin vornehmen, wenn er wieder aus der Versenkung auftauchte.
Schließlich hatte Françoise endlich Zeit gefunden zu meditieren. Um nicht wieder gestört zu werden, hatte sie Konstantin angewiesen, alle Besucher abzuweisen. Bis auf einen. Und jener Besucher stand nun vor ihr.
»Setz dich erst mal, Draco.«, sagte die Priesterin und wies auf den Boden vor sich. Nicht in Ermangelung von Stühlen; sie selbst saß auf einem Sitzkissen auf dem Boden, denn das war am angenehmsten, um zu meditieren.
»Was für Fortschritte hast du denn gemacht? Und was für Rückschritte? Du sprichst in Rätseln. Ach, noch etwas. Weißt du, wo dein Bruder abgeblieben ist? Er sollte das Lazarett führen und ist sang und klanglos verschwunden.«
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Khorinis - oberes Viertel
»Nun«, begann Draco und setzte sich der obersten Magierin gegenüber, während er ihre volle Aufmerksamkeit genoss. Sie war eine der wenigen Personen bei der man sich sicher sein konnte, dass sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. Ihren wachen Augen schien kaum etwas zu entgehen. Das konnte Fluch und Segen zugleich sein. Sie hatte einige Menge Fragen gestellt und er bemühte sich diese so knapp wie möglich zu formulieren. »Dieses Mal hat Saraliel tatsächlich – ausnahmsweise möchte ich ergänzen – nicht auf irgendeine Eingebung reagiert. Elyndra Gregoria, eine Priesterin, ist auf uns losgegangen. Sie war der nicht ganz abwegigen Meinung ich wäre mit Raschid al-Din, einem uralten Schwarzmagier im Bunde. Tatsächlich hat er mit vor einem Jahrzehnt geholfen die Schattenmimik besser zu begreifen«, den letzten Satz hatte er etwas leiser hinzugefügt. »Hagen wird dir vielleicht von dem Kampf am Strand erzählt haben. Die beiden Männer mit denen wir zu tun hatten und die sich dem Gleichgewicht verschrieben hatten, waren von ihr beauftragt oder besser aufgehetzt worden«. Er dachte mit Schaudern daran, dass sie auch Saraliel gefangen genommen hatten. Im Endeffekt war er dankbar, dass das Schicksal ihm weitere Qualen erspart hatte. »Als Elyndra feststellte, dass das nicht half kam sie selbst um mit mir abzurechnen. Saraliel half mir und gemeinsam konnten wir sie bezwingen«. DraconiZ hatte noch immer den Blick seines Bruders vor Augen. »In dem Augenblick wo es vorbei schien hatte er wieder einen seiner Momente«. Der Klingenmeister rollte die Augen. »Er verschonte unsere Widersacherin und beschloss im gleichen Atemzug das Missverständnis auszuräumen, indem er sich ihr anschloss und zum anderen Ende der Welt reiste. Nach meiner Informationen ist es ihnen gelungen al-Din zu besiegen. Irgendetwas hält ihn allerdings scheinbar immer noch davon ab zurückzukehren. Hat wahrscheinlich dort eine Frage in den Kopf bekommen die ihn brennend interessiert. Du kennst ihn ja«. Der Weißhaarige seuftze. Vielleicht konnte sein Gegenüber zumindest ein bisschen besser verstehen, warum er seinen Posten aufgegeben hatte.
»Trilo hat sich mir gestellt«, meinte er dann, als er gewahr wurde, dass Françoise wohl erst die komplette Antwort haben wollte. »Er ist in Ketten auf dem Weg zum Festland. Hat mehr oder weniger günstige Bedingungen für seinen Jungen erbeten«. Er streckte sich. So oft war er dann doch nicht im Schneidersitz unterwegs. »Gut für meinen Ruf, dass er gefangen ist, doch ein mulmiges Gefühl einen alten Freund ans Messer zu liefern«
»Bei der Paladinmagie gibt es Fortschritte. Seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, hat sich etwas verändert«. Er zog kurzerhand seine Kleidung aus, so dass man die Symbole auf seinem Körper sehen konnte. »Die Symbole auf meinem Körper verbinden die 8 Siegel zu etwas Neuem. Seitdem es sich so geändert hat kann ich freier auf die Magie zugreifen, ja ich kann sie direkter fühlen. Nur wie soll ich es sagen. Ich hatte gehofft, dass du mir wohl helfen könntest. Weil auch wenn sie jetzt da ist, weiß ich nicht so recht wie ich das volle Potential ausschöpfen kann. Die Zauber die wir schon geübt hatten Dinge erkennen, mich vor Schaden schützen, meine körperliche Grenzen überwinden, meinen Körper gegen Blutungen schützen, Licht herbeirufen und die Magie zum Angriff nutzen klappen schon recht gut. Doch ich fühle, dass da mehr ist. Mehr zu erkunden. Doch ich weiß nicht wie ich dort weiterkomme. Außerdem weiß ich nicht ob ich das Potential der schon einigermaßen verinnerlichten Zauber ausschöpfe«
»Wie war es denn bei dir? Hast du gefunden wonach du gesucht hattest?«. Er hatte sich nur durch seine Quellen sagen lassen, dass Françoise sich länger außerhalb der Stadt aufgehalten hatte. Was genau sie dort gemacht hatte, war scheinbar nicht in Erfahrung zu bringen gewesen. Es interessierte ihn allerdings brennend.
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Stadt Khorinis - Hafen
Es war nun so weit, das Schiff konnte fast ablegen um sein Ziel, der Hauptstadt Vengard, entgegen zu segeln. Und was für Segel das waren. Zwei irrwitzig hohe Masten mit jeweils einem beeindruckend weißen Segel, das Symbol des Innosordens protzte unübersehbar auf ihnen. Ein Umstand den Nareth als nur allzu dämlich empfand, da es über weite Strecken signalisierte, wer auf dem Schiff war sodass Piraten und ähnliches Gesindel auf den Meeren in aller Ruhe planen konnten, was sie machten. Gemütlich aus dem Weg gehen, oder aber eine tolle Falle stellen. Das Schiff war riesig, also nicht gerade wendig und schnell, lediglich robust. Wie eine große, hölzerne Schildkröte. Wieder dieses Seufzen des Jünglings, eines seiner ungewollten Markenzeichen, zusammen mit dem genervten Kneifen seines Nasenrückens und dem abfälligen Kratzen seines Kinns. Zweifelsfrei alles bereits sorgfältig notiert in dem kleinen, dunkelbraunen Büchlein seines Aufpassers.
Nareth ging davon aus, dass es sich um einen von Draco’s Leuten handelte, denn es dauerte bis der Jäger den Kerl bemerkte und er verschwand auch immer wieder komplett aus der Wahrnehmung. Macht er das mit Absicht? Will er mir zeigen, dass ich zur Not jemanden da habe, gleichzeitig ich mich aber nicht darauf verlassen sollte? Nervig… entweder oder!
Als die finalen Vorkehrungen an Bord getroffen wurden, entschied sich Nareth seinen Verehrer zu konfrontieren. Immerhin brauchte es noch eine offizielle Erlaubnis mitzureisen. Nareth konnte sich die Reaktionen der Paladine gut vorstellen, wenn er einfach so auftauchte und an Bord wollte.
„Hey. Ja du. Ich weiß, dass Draco dich auf mich angesetzt hat.“
„Hm, was willst du?“
„Ich will an Bord, mit nach Vengard. Eine Zusage deines Herren, doch mir fehlt die offizielle Erlaubnis. Besorg mir… uns, diesen Wisch und-“
„Hier. Geh.“
Der an sich unauffällige Kerl drückte Nareth ein Schreiben in die Hand, eine Reiseerlaubnis an Bord eines Paladinschiffes. Als wäre es das gewöhnlichste der Welt… noch bevor Nareth so recht reagieren konnte und vom Schriftstück aufblickte, war sein Verfolger jedoch bereits verschwunden. Scheiße ist der gut. Kann sich mein Vater ne Scheibe von abschneiden… Dann mal auf zum Schiff!
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Khorinis
Dracos Erklärung, weshalb sein Bruder Khorinis verlassen hatte, empfand Françoise als ernüchternd. Gewiss hatten Feuermagier einen weiten Ermessensspielraum, wenn es darum ging, was sie tun wollten und wohin sie reisten. Dennoch brauchten sie Saraliel auf der Insel. Vielleicht hätte ich Felia und Curt verpflichten sollen, dachte die Priesterin. Es war zu spät zum Bedauern. Ein anderer Feuermagier würde Saraliels Platz in Khorinis einnehmen. Damit hätte sich die Sache erledigt. Nun, Françoise würde Dracos Bruder trotzdem rügen.
»Trilo?«, wiederholte die Oberste Feuermagierin fragend. Ihr fiel nicht sofort ein, um wen es sich dabei handelte. Die Magie ihres Rings half ihr letztlich auf die Sprünge. Denn aus ihrer Perspektive war der Prozess des früheren Soldaten mehr als ein paar Lebzeiten her. Nun erinnerte sie sich wieder. Der Wiedergänger war ein komplizierter Fall gewesen und es wunderte Françoise, dass er überhaupt noch einmal auftauchte. An seiner Stelle hätte sie alle Länder unter myrtanischer Kontrolle tunlichst gemieden. Denn dass er seinem Schuldspruch beim letzten Mal entronn, kam einer göttlichen Intervention gleich. Natürlich war der Angriff des Drachen zu genau jenem Zeitpunkt purer Zufall gewesen. Während Françoise darüber nachsann, strich sie über das Amulett an ihrem Hals.
»Er hat eine lange Liste an Verbrechen begangen.«, sagte sie schließlich. »Wobei du dir auch einiges zuschulden kommen lassen hast. Du hast allerdings Reue gezeigt. Gott und König haben dir deshalb eine zweite Chance eingeräumt. Zumindest hat Trilo sich für seinen Sohn eingesetzt. Das kann man ihm anrechnen.«
Geduldig hörte Françoise dem Streiter zu, wie er anschließend seine weiteren Erfahrungen mit der Paladinmagie schilderte. Er zeigte wirklich Talent, so viel in so kurzer Zeit gelernt zu haben. Einen deutlicheren Beweis von Innos' Gunst konnte es kaum geben.
»Du bist wirklich eine Klasse für sich, Draco.«, sprach die Oberste Feuermagierin lächelnd. »Viele Paladine tun sich schwierig darin, die Magie für sich zu entdecken. Ein Grund, weshalb wir früher auf Runen zurückgegriffen haben. Sie waren direkter, einfacher. In der runenlosen Magie sind die Grenzen längst nicht so strickt; genau das hast du jetzt erkannt. Das volle Potential aus jeder Zauberformel zu schöpfen, braucht jahrelange Erfahrung. Wobei ich fast sagen würde, dass es immer etwas neues zu entdecken gibt. Wir könnten trotzdem etwas anderes probieren. Es ist zugegebenermaßen ziemlich unorthodox. Ab einem gewissen Grad des Verständnisses für Zauberei, entwickeln wir Magier unsere eigenen Zauberformeln. Frei von dem, was in Lehrbüchern steht. Es ist eine komplexe und mitunter gefährliche Angelegenheit, denn du beschreitest neue Wege. Ich glaube, auch ein Paladin könnte das erreichen. Nicht im selben Umfang wie ein Feuermagier, versteht sich. Wir werden nicht umsonst die Erwählten Innos' genannt. Der erste Schritt in diesem Unterfangen wäre, dass du dir Sinn und Zweck für eine neue Zauberformel überlegst. Etwas ganz eigenes, was sich von deinen anderen Zaubern unterscheidet. Wenn du das geschafft hast, musst du die Struktur der Formel in deinem Kopf manifestieren. Nur wenn du ein unmissverständliches Bild vor Augen hast, wirst du in der Lage sein, es in die Realität zu übertragen. Simpel!«
Françoise lachte ausgelassen. Ob Draco dazu in der Lage wäre, wusste auch sie nicht. Er mochte Talent besitzen, doch auch manchen Magiern viel es selbst nach jahrelangen Studien schwer, dieses Konzept wirklich zu begreifen und vor allem umzusetzen. Die magische Ausbildung des Ordens fing nicht umsonst bereits im Rang der Adlati an.
»Nicht wirklich.«, antwortete die Oberste Feuermagierin auf die letzte Frage ihres Freundes. »Vielleicht lässt sich das, was ich suche, in dieser Welt auch gar nicht finden.«
Ihre Worte waren absichtlich kryptisch. Draco und sie mochte eine lange Freundschaft verbinden. Dennoch ging es hierbei um Dinge, die Françoise auch ihm nicht anvertrauen konnte. Dabei wäre seine Hilfe eine immense Bereicherung. Eine wahrhafte Zwickmühle.
»Ich habe den Turm südlich der Stadt durchsucht. Ein untoter Magier hatte sich dort breit gemacht. Was dort auf dem Tisch liegt, habe ich mitgebracht.«
Sie deutete auf den Schreibtisch am Fenster, auf dem sich Bücher und Schriftrollen stapelten.
»Ein Bruchteil dessen, was im Turm lagert.«
Einen Moment lang hielt die Oberste Feuermagierin inne.
»Wir könnten dem Kloster einen Besuch abstatten.«, sagte sie schließlich. »Soviel ich weiß, hat sich vor Jahren jemand erdreistet, unsere Barriere um das Kloster einzureißen. Dementsprechend wird dort ein heilloses Chaos herrschen und vieles gestohlen oder zerstört sein. Die geheime Bibliothek wurde vielleicht davon verschont. Eventuell können wir dort etwas finden, dass dir mit der Magie weiterhilft. Denn das Kloster wurde erbaut, lange bevor wir die Runenmagie einführten. Lust auf ein kleines Abenteuer?«
Es war nicht nur für Draco, weshalb Françoise ins Kloster wollte. Die geheime Bibliothek, sofern sie noch existierte, verbarg ein immensen Hort an Wissen. Vieles davon fand sich aus gutem Grund nicht in den öffentlich zugänglichen Bücherregalen der Tempel wieder. Es kam einem riesigen Giftschrank gleich.
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Die Hafenkneipe
Die Luft in der Schankstube war schwer vom Rauch der Talgkerzen, dem Hauch von Branntwein und dem säuerlichen Restgeruch alter Fische, der sich selbst durch aufgerissene Fensterläden kaum vertreiben ließ. Stimmengewirr, Würfelklappern, das Klirren von Bechern – es war der Klang eines Ortes, der stets in Bewegung.
Delvin Corgano saß mit dem Rücken zur Wand an einem massiven, grob gezimmerten Tisch, der bessere Zeiten gesehen hatte. Neben ihm Christoph in gepflegter, aber unauffälliger Kleidung, den Kragen halb geöffnet, die Finger ruhend über einem Tonbecher verschränkt. Auf der anderen Seite saß Heinrich, der schweigsame Hüne, dessen Körperhaltung auch in Ruhe einem Wachposten glich.
Delvin schwieg. Seine Augen lagen auf der Szenerie der Kneipe. Zwei Matrosen warfen sich beschimpfend Knochenwürfel zu, ein alter Mann mit zitternden Händen starrte in sein leeres Schüsselchen, während in einer Ecke ein Mädchen mit Messingspangen im Haar einem betrunkenen Händler den Geldbeutel streifte. Nichts davon war neu. Nichts davon entging ihm.
"Eine Stadt, die sich selbst aufgegeben hat..." murmelte Delvin schließlich, mehr zu sich selbst als zu den anderen. "Oder eine, die lange genug gewartet hat, bis jemand kam, der sich ihrer annimmt." entgegnete Christoph leise und nahm einen Schluck. Delvin lächelte kaum merklich. Es war kein Lächeln des Vergnügens, sondern der Bestätigung. "Sie sind träge geworden. Die Ordnung ist löchrig, die Gier liegt offen zutage. Und wer sich hier bindet, bindet mit Schulden, Abhängigkeit, Angst. Ich bezweifle, dass der König von Myrtana das ändern wird ohne diejenigen zu vertreiben, die dieses Loch ihr zu Hause nennen." Heinrichs Stimme kam tief und ruhig: "Manchmal braucht es Gewalt."
"Nur wenn es sein muss." Delvins Blick ruhte kurz auf einer Befestigung hinter dem Tresen, an dem zwei schwere Schürhaken hingen. "Lieber mit Versprechungen." Er sah sich erneut um. Die Kneipe war nicht groß, doch gut besucht. Ein Ort, an dem Gerüchte schneller wuchsen als Moos an den Kaiwänden. Und gerade deshalb wertvoll. Einer der vielen Gründe, warum Delvin Corgano die Hafenkneipe in Thorniara übernommen hatte. Zu seinem Bedauern war die Hafenkneipe in Khorinis in einem sehr viel schlechteren Zustand. Er würde keinen Gedanken daran verschwenden, sich ihrer anzunehmen.
Nach einer Weile erhob er sich. Sein Mantel, dunkelgrau mit abgesetzten Saum, fiel schwer über den Stuhl. Sein Gewand aus feiner Baumwolle und eleganten Verzierungen schimmerte im spärlichen Licht der Kerzen. Er streckte den Rücken und warf Christoph einen Blick zu. "Ich will mit dem Wirt sprechen. Kommt ruhig mit. Hört zu."
Der Wirt stand hinter dem Tresen, ein beleibter Mann mit dunklen Ringen unter den Augen und fettigen Händen, die ständig ein Tuch kneteten, das mehr Dreck verteilte als entfernte. Als er Delvin kommen sah, setzte er ein bemühtes Lächeln auf, das weder Wärme noch Vertrauen ausstrahlte. "Der Herr aus dem Ausland." sagte er mit einem Seufzen "So sitzt Ihr schon eine Weile bei mir und ich hab noch nicht recht erfahren, was Euch nach Khorinis geführt hat. Ihr beobachtet gern, wie mir scheint."
Delvin blieb vor dem Tresen stehen, legte beide Hände ruhig auf die hölzerne Platte. "Beobachten ist ein guter Anfang. Man erfährt mehr über einen Ort, wenn man sich nicht gleich mitteilt. Khorinis... scheint seine besten Jahre hinter sich zu haben." Der Wirt schnaubte, halb Lachen, halb Resignation. "Die besten Jahre? Die sind schon lange fort. Der König hatte diesen Teil seines Reiches wohl vergessen und uns dem Schicksal und marodierenden Banden überlassen. Jetzt ist er zurück und wirbelt mehr Staub auf, als wir vertragen..."
Delvin hörte aufmerksam zu, ließ den Mann erzählen, ohne zu unterbrechen. Als der Wirt verschnaufte, fragte er: "Und wer hält den Hafen am Laufen? Wer sorgt dafür, dass die Zungen nicht verstummen, das Bier fließt, und die Männer mit klingenden Münzen kommen?" Der Wirt zuckte mit den Schultern. "Niemand wirklich. Ein paar Händler, zwei, drei alte Familien. Und die Stadtwache... wenn sie Lust hat. Aber meist kümmern wir uns selbst. So gut es eben geht." Delvin neigte den Kopf leicht. "Und wenn einer käme, der das ändern wollte? Einer, der nicht dem König die Treue geschworen hat?"
Ein flüchtiger Schatten huschte über das Gesicht des Wirts. "Dann müsste er wissen, mit wem er reden muss. Und mit wem besser nicht." Delvin lächelte kühl. "Dann fangen wir besser an, uns zu unterhalten."
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Kaserne
Die Speere flogen durch die Luft, der eine in höherem, der andere in niedrigerem Bogen, die meisten im Flug herumeiernd, einer drehte sich sogar um gute 180 Grad und traf den Boden mit dem Schaft voran. Nur zwei der Waffen kamen am Ende überhaupt in den aufgestellten Zielen zum Stecken, die übrigen landeten in wilder Anordnung vor, hinter und neben den Zielscheiben.
Jacques seufzte leise. Sein Blick wanderte über die Gruppe von Rekruten, denen er seit einigen Tagen den Umgang mit Stangenwaffen näherbringen sollte. Warum ausgerechnet er zu dieser zweifelhaften Ehre gekommen war, das war ihm selbst noch ein Rätsel. Aber ob es nun Zufall gewesen war, weil sein Name vielleicht auf irgendeiner Liste ganz oben gestanden hatte, oder ob irgendjemand - Sir Eric vielleicht? - eine ‘Empfehlung’ ausgesprochen hatte, oder ob der Grund ein ganz anderer sein mochte: Jedenfalls hatte er vor wenigen Tagen den Befehl erhalten, bei der Grundausbildung frischer Rekruten für die Miliz mitzuhelfen.
Seit die Anwesenheit der Paladine in der Stadt langsam als etwas akzeptiert wurde, das von Dauer sein würde, hatte die Miliz einen ansteigenden Zustrom von neuen Freiwilligen zu verzeichnen, und Lord Hagen hatte ausdrücklich angeordnet, jedem, der nicht vollkommen ungeeignet für den Waffendienst war, zumindest eine Chance zu geben. Das Ergebnis dieser Politik stand nun in einer losen Reihe auf dem Kasernenhof und versuchte, angespitzte Stöcke auf geflochtene Zielscheiben zu werfen: Ein alter Fischer, der beim Gehen einen Fuß nachzog; ein nervöser junger Bursche, der ständig einen Blick über die Schulter warf, als fürchtete er, verfolgt zu werden; eine Witwe, der das Schicksal tiefe Falten ins Gesicht gegraben hatte; ein ehemaliger Handwerker, dessen Hang zum Glücksspiel ihn ruiniert hatte …
Diese Rekruten waren nicht das Material, aus dem man Elitesoldaten schmiedete. Es waren Menschen, deren Motivation zu kämpfen nicht darin bestand, dem Reich, dem König, Innos oder einem Ideal zu dienen. Ihnen ging es um einen warmen Schlafplatz, tägliche Verpflegung und den vielleicht schmalen, aber regelmäßigen Sold. Jacques zweifelte, dass die meisten von ihnen jemals für den Kampf taugen würden, selbst wenn sie es schafften, die Grundlagen des Waffenhandwerks zu erlernen. Es war nun einmal etwas völlig anderes, ob man auf dem Kasernenhof trainierte, oder tatsächlich dem Tod ins Auge sah.
“Beim … bei Innos, die werfen ja, als würden sie mit ihren Hunden Stöckchenholen spielen!”
Jacques seufzte. Der Mann, der neben ihm stand, war zwar einen guten halben Kopf kleiner als er, aber seine Schultern waren mindestens ebenso breit und der kahlgeschorene Kopf saß auf einem Stiernacken, der zu massig für die lederne Halskrause seiner Milizuniform wirkte.
“Sie sind nicht mit dem Herzen dabei”, fuhr Gor Na Sekh fort, seine Stimme ein dumpfes Grollen. “Sie wollen all das gar nicht. Sie wollen einfach nur fertig sein mit den Übungen, sich in ihre Kojen verkriechen und am Ende der Woche den Sold einstreichen. Warum lässt euer … unser Lord Hagen solche Nichtsnutze in die Miliz?”
Jacques warf dem missgelaunten Mann neben sich einen kurzen Blick zu. Dessen Augen blieben auf die Rekruten fixiert, die dabei waren, ihre Speere wieder einzusammeln und sich für den Nächsten Versuch bereit zu machen. Gor Na Sekh gehörte zu der Gruppe von Männern, die in der Stadtwache als ‘die Bruderschaft’ bekannt waren und die vor dem Eintreffen der Paladine die Wache angeführt hatten. Grundsätzlich hatte sich daran nichts geändert - doch in diesem einen Punkt, der Auswahl der Rekruten, hatte Hagen seine höhere Autorität deutlich gemacht.
“Ich weiß nicht”, antwortete Jacques, “Aber angesichts dessen, was ich dort draußen vor den Mauern gesehen habe, können wir hier jeden brauchen, der eine Waffe halten kann - und sei es nur, um den echten Kriegern im Ernstfall den Rücken freizuhalten, indem sie innerhalb der Stadt die Ordnung aufrechterhalten.”
“Ach, das glaubst du?” Gor Na Sekhs Stimme triefte vor Sarkasmus. “Hast du gewusst, dass unseren besten Leuten angeboten wurde, in die Reihen der Garde einzutreten?”
Jacques zog die Augenbrauen zusammen. “Nun, das ist doch … gut für sie, oder nicht? Und für Khorinis - der Orden ist schließlich für die Sicherheit der Stadt verantwortlich!”
“Der Orden? Und ich dachte, dafür gäbe es die Stadtwache.”
“Also …”
Gor Na Sekh winkte ab und wandte sich zum Gehen. “Wenn du mit diesen Witzfiguren für heute fertig bist, schick sie zu mir. Die werden sich ihr warmes Süppchen erst noch mit ein paar Runden um den Platz verdienen, bis ihre verdammten Lungen pfeifen!”
Jacques sah dem alten Krieger hinterher, wie er mit weiten Schritten in Richtung der Schmiede davonschritt. Ein seltsamer Haufen, diese ‘Bruderschaft’. Er wusste noch immer nichts genaues über sie, ihre Herkunft, ihre Ideale … aber es war offensichtlich, dass sich langsam Spannungen auftaten zwischen ihnen und der Führung des Ordens. Aber warum? Vertraut Hagen ihnen nicht? Will er deswegen die besten Kämpfer der Wache als Gardisten dem Orden eingliedern, um sie dem Einfluss der Bruderschaft zu entziehen? Er kratzte sich am Hinterkopf. Politik … Bei Innos, was könnten wir nicht alles erreichen, wenn wir alle am selben Strang ziehen würden? Aber es lag wohl in der menschlichen Natur, dieses ständige Ringen um Macht und Einfluss, bis zur Selbstzerstörung … Jacques seufzte und wandte sich wieder seinen Rekruten zu: “Okay, herschauen, ich zeige es euch noch einmal …”
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Khorinis - Stadt
Der Streiter schaute sich die Dokumente an, die Françoise aus dem Turm mitgebracht hatte. Er flog nur kurz mit ein paar Blicken darüber. Vieles schien ihm kryptisch und verworren. So als hätte es ein Geist geschrieben der sich wellenförmig bewegte. »Müsste man sich wohl herein denken nicht?«, fragte er rhetorisch und legte dann die Schriften wieder weg. Das war gerade nichts, womit er sich beschäftigen konnte. Auch wenn es sicherlich einige spannende Dinge zu erzählen hatte. »In welcher Welt willst du denn noch suchen? Das scheint mir schon relativ fernab der normalen Aufzeichnungen zu sein«, fragte er noch immer etwas in Gedanken versunken. Meinte sie das überhaupt, wenn sie von Welten sprach? Welten der Wahrnehmung oder meinte sie wirklich andere physische Sphären? Wenn er daran dachte wie er 10 Jahre in Finsternis verbracht hatte schauderte er.
Während sich Konstantin und die oberste Magierin bereit machten für die Reise berichtete er noch etwas von den übernatürlichen Dingen, die scheinbar bei ihm umgingen: »Nun meine Ausbildung in Magie ist schon alt. Irgendwie war auch die Schattenmimik eine Art von Magie. Da sie nun mit der, ich weiß nicht wie ich es sagen soll, richtigen? Jedenfalls der Paladinmagie verschmolzen ist scheine ich einen guten Draht dazu zu haben. Mir fehlt noch etwas, was etwas ähnliches wie die Schattenminik bewirken kann. Ich habe keinen Zugriff mehr auf die Schatten selbst und kann sie nicht manipulieren. Doch mich verborgen zu halten war etwas, dass mir fehlt. Wenn es eine Möglichkeit gäbe das mit dem was in mir ist zu bewerkstelligen: Das wäre großartig«, resümierte er. Dann zuckte er mit den Achseln. Wer wusste schon, was sich in Zukunft ergeben mochte. Er ging nochmal auf die Schriften zu. Jetzt wo ihm einfiel, dass es auch noch andere Aspekte seiner Magie gab, die Erforschung benötigten. Er legte seine Hand darauf und schloss die Augen.
»Hmm ich fühle zumindest nichts gefährliches daran«, sagte er nach einer Weile ohne zu wissen ob es daran lag, dass er noch nicht weit genug war oder, dass es nichts zu fühlen gab. »Wissen ist ja im eigentlichen Sinne auch neutral. Erst die Anwendung macht es nützlich oder gefährlich«, philosophierte er. Der Drache, wie der Streiter an der Seite seiner Freundin oft genannt wurde, schaute ihn wieder mit diesem undeutbaren Blick an. Zumindest schien er fertig zu sein. Stolz und bewaffnet. Konnte nur gut werden. »Ich freue mich jedenfalls wieder mit euch auf ein Abenteuer zu gehen. Das Kloster birgt viele alte Erinnerung und wahrscheinlich auch Potential für neue. Ich kann mich noch gut erinnern, dass dort Valien geweiht wurde, nachdem wir aus Tyrien wiederkamen«. Er klopfte mit seiner Hand gegen den Griff. »Für dich muss es noch mehr bedeuten. Schließlich war es lange Zeit dein Zuhause. Wie meinst du wird es sein? Wie nach Hause kommen? Das Kloster hat ja schon einiges mitgemacht….«, fragte er an Françoise gerichtet.
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Khorinis
»Du wirst ein wenig kreativ werden müssen, mein Freund.«, sagte Françoise, als Draco davon erzählte, seine früheren, von Beliar verliehenen Fertigkeiten nicht mehr einsetzen zu können. Es lag auf der Hand, dass er keinen perfekten Ersatz finden könnte. Umdenken war hier das Stichwort. »Sich zu verbergen ist auch nicht unbedingt die Art und Weise, wie ein Paladin agiert. Jedenfalls der Stereotyp eines Paladins. Zum Glück ist das bei dir kein Hindernis.«
Dann trat sie an seine Seite, während er die Schriften begutachtete.
»Wenn sie gefährlich wären, hätte ich sie nicht hierher gebracht.«, erwiderte die Oberste Feuermagierin. »Die wenigsten Bücher und Schriftrollen über Magie beinhalten selbst Magie. Solche Dinge sind seltene Artefakte. Kein Magier, der etwas auf sich hält, würde das einfach irgendwo rumliegen lassen. Dafür gibt es Orte, wie die geheime Bibliothek im Kloster.«
Schließlich setzten sich die drei in Bewegung. Ihre erste Anlaufstelle lag noch im Rathaus selbst. Während sie die Treppe hinabstiegen, beantwortete Françoise die Fragen ihres Freundes.
»Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, wie ich mich fühle. Einerseits hast du Recht, dass das Kloster eine Zeit lang mein Zuhause war. Andererseits hatte ich seitdem andere Orte, die mein Zuhause wurden. Für wesentlich längere Zeit.«
Und Bindungen, die alles übertrafen, was sie auf Khorinis jemals geknüpft hatte. Inklusive der Freundschaft zu Draco. Das minderte ihre Wertschätzung für den Streiter nicht im Geringsten. Es setzte alles bloß in eine ganz andere Perspektive.
Im Erdgeschoss angekommen, liefen Draco, Konstantin und Françoise geradewegs zu Hagen.
»Innos zum Gruß.«, sprach der Paladinlord. Sein Gesichtsausdruck uneindeutig. Draco gegenüber wollte er vermutlich nicht allzu nett auftreten. Gleichzeitig verband den alten Krieger eine Freundschaft mit der Obersten Feuermagierin, so dass er ihr gegenüber gleichzeitig nicht allzu grimmig dreinblicken konnte. Um ihn aus seiner Zwickmühle zu erlösen, fasste sich Françoise kurz.
»Innos zum Gruß, Hagen.«, sagte sie. »Draco und ich werden uns jetzt auf den Weg zum Kloster machen. Du hattest mir eine Eskorte versprochen.«
»Ja, richtig.«, antwortete der Paladinlord. »Ein halbes Dutzend Soldaten sollen dich begleiten. Ich habe schon den Befehl an die Kaserne weitergeleitet.«
»Ich danke dir!«, sprach die Priesterin und lächelte. »Dann werden wir dich nicht länger von deinen Papieren fernhalten.«
Hagen grummelte und schüttelte nur den Kopf. Mit solch einem Spruch konnten ihm nur wenige ungeschoren davonkommen.
Gemeinsam verließen die drei Abenteurer das Rathaus und machten sich auf den Weg zur Kaserne. Unterwegs dachte Françoise noch einmal über Dracos Anliegen nach und kam dabei auf eine Idee.
»Wie wäre es mit einer Fata Morgana?«, sagte sie an ihren Freund gewandt. »Zumindest vom Prinzip her. Wenn du das Licht brechen könntest, es um dich herum leitest, würdest du dich auch auf eine gewisse Weise vor Blicken verbergen. Eine Art Tarnkappe. Der Vorteil ist, dass es selbst unter der gleißenden Sonne wirken würde. Natürlich auch in den Schatten. Denn solange das Auge etwas sehen kann, gibt es Licht, das du umlenken könntest. Das ist doch sogar noch besser als vorher!«
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Khorinis - Stadt
Er war immer noch perplex als sie sich von Hagen wegbewegten und die Stufen vom oberen Viertel herunterstiegen. Er kannte den Lord als stolzen und führungsstarken Mann, der sich kaum Jemandem beugte, es sei denn das Haupt war gekrönt oder, wie er hier gesehen hatte, trug die Robe der obersten Feuermagierin. Selbst Daelon perlte bei ihm wie Wasser an einer Scheibe ab, wie er es selbst beschrieben hatte. Der Einfluss seiner Freundin konnte sich also sehen lassen. »Ich war noch nie in der Bibliothek. Ich mag kaum verhehlen, dass ich mich freue sie mal zu Gesicht zu bekommen« Sie kamen gerade an Vatras Schreib vorbei, als der Klingenmeister den Faden der Magie wieder aufnahm. »Eine Fata Morgana hört sich gar nicht so fern an. Das Licht zu brechen wie es die Wüste tut wäre ganz im Sinne Innos’, denn schließlich tut es seine Macht selbst jeden Tag. Gleichzeitig hat es die Verbindung zu meiner ehemaligen Heimat Varant. Sehr passend«, philosophierte er. »Das wäre quasi die Synthese aus Feuer und Heimlichkeit«. Er blieb stehen und schaute auf seine Hand. Er konzentrierte sich auf die Umrisse und fühlte in sich hinein. »Nicht jetzt«, hörte er den Drachen brummen. »Später«. DraconiZ nickte. Wohl ein unpassender Moment. Er spielte das Szenario in seinen Gedanken dennoch weiter. Ein Krieger der nur verschwommen sichtbar war. Die Macht Innos um ihn herum die das Licht beugte….
Ein mulmiges Gefühl überkam ihn als sie die Kaserne erreichten. Er hatte viel Zeit hier verbracht. Als Soldat und als Schmied. Hier hatte er seine Waffe geschmiedet die er nun auf dem Rücken trug. Hier hatte er mit Freunden gelacht und sich von Andre Befehle abgeholt. Wie ein dunkler Schleier legte sich Altes über die Gegenwart. Die Blicke der Soldaten vor der Kaserne holten ihn zurück in den Moment. »Doch ihr werdet in meinen Augen nie mehr ein vollwertiges Mitglied des Ordens und ich werde euch niemals mehr meinen Bruder nennen «, hallten Hagens Worte wie ein Donnerschlag in seinem Kopf wider. Das galt sicherlich nicht nur für seine Lordschaft, sondern für die meisten der Soldaten hier ebenfalls. Françoise bewahrte ihn wie ein Schild vor handfesten Anfeindungen. »Ich denke ich überlasse dir wohl das Reden. Auch wenn du wohl nicht recht weißt was du fühlst, strahlst du deutlich mehr Charisma als ich aus schätze ich«, meinte er angespannt.
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Khorinis
»Das macht alles die Robe.«, witzelte die Priesterin und übernahm die Führung der Gruppe. Insgeheim fragte sie sich, ob ihr Freund jemals sein Stigma loswerden könnte. Jedes Mal, wenn jemand von Rang und Namen aus dem Orden auf ihn traf, gab es unterschwellige Spannungen. Oder nicht so unterschwellig, wenn ihre Position offene Feindseligkeit zuließ. Françoise hoffte inständig, dass es niemals zu einer echten Auseinandersetzung käme. Selbst wenn sich Draco nur verteidigte, hätte er am Ende vermutlich das Nachsehen.
Zu ihrer Überraschung befand sich im Dienstzimmer des Kommandanten kein Paladin. Auch kein Milizsoldat, der Kluft nach zu urteilen. Ein Mann mit kahlgeschorenem Kopf und prominenten Tätowierungen. Seine Augen zuckten kurz auf, als die Gruppe das Zimmer betrat. Fast so, als prüfte er sie. Offenbar hatten sie seinen Test bestanden, denn anschließend widmete er sich wieder seinen Dingen.
»Innos zum Gruß.«, sagte die Priesterin freundlich und trat an den Tätowierten heran. Dieser hob den Kopf und blickte ihr in die Augen.
»Erwache.«, antwortete der Mann ohne weitere Erklärung. Françoise mutmaßte, dass es sich um eine in seinen Kreisen übliche Grußformel handelte. Neugierig war sie durchaus, was es damit auf sich hatte. Doch dafür waren sie nicht gekommen.
»Ich bin Françoise, die Oberste Feuermagierin. Dies sind meine Begleiter DraconiZ und Konstantin.«, führte die Priesterin aus. Die Augen des Mannes huschten von ihr zu ihren Gefährten, dann wieder zu Françoise.
»Gor Na Kosh, Templer.«, bekam sie dann als Antwort von ihrem Gegenüber.
»Lord Hagen sagte, dass mir ein Geleit von Soldaten zur Seite gestellt werden würde, damit ich das Kloster aufsuchen kann.«
»Das ist richtig.«, erwiderte der Templer abermals präzise und knapp. »Ich werde sie auf dem Hof antreten lassen.«
Ohne ein weiteres Wort verließ Kosh das Dienstzimmer.
»Ich gehe mal davon aus, dass wir ihm folgen sollen.«, kommentierte die Oberste Feuermagierin. Am Gesichtsausdruck von Konstantin konnte sie bereits ablesen, dass der Templer ihrem Leibwächter nicht sympathisch war. Ein Drache duldete keine Nebenbuhler und die stoische Art, die Kosh an den Tag legte, war wie eine unausgesprochene Herausforderung für ihn gewesen.
Kurzerhand folgten die drei Gefährten dem Templer nach draußen. Françoise nahm auf einer Bank Platz, während der Templer die Soldaten zusammentrommelte.
»Ich hoffe wirklich, dass die Bibliothek die Jahre unbeschädigt überstanden hat.«, sagte die Priesterin. »Als wir uns damals aus dem Kloster teleportiert hatten, nahmen wir nur das nötigste mit. Viele Dinge dort unten sind von unschätzbarem Wert.«
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Khorinis Hafenviertel
Sunder schlenderte ziellos durchs Hafenviertel, das machte er in letzter Zeit öfters. Das half ihm seine trüben Gedanken und schlechte Erinnerungen, die immer wieder mal aufkamen, mehr oder weniger zu verdrängen. Vor allem aber halfen ihm die ausgiebigen Spaziergänge, nicht wieder, wie in alten Zeiten, dem Alkohol zu verfallen. All seinen Kummer in Bier und Schnaps zu ertränken war jedenfalls keine Lösung, davon war der alte Seemann, nach seiner nach langen Zeit der Abstinenz, grundsätzlich überzeugt. Allerdings müsste er gestehen, wenn er danach gefragt würde, das er in solch melancholischen Momenten, öfters ins grübeln kam, ob manch Schicksal im Suff nicht doch leichter zu zu ertragen war. Gerade hier in Khorinis, der Ort an dem er einen Großteil seines Lebens verbrachte, fiel es dem Seebären besonders schwer, gegen den inneren Schweinehund der sich gerne sinnlos besaufen würde, zu überwinden, in Thorniara fiel ihm das viel leichter. Das lag vermutlich daran, das er dort fast ständig im Suff war und deshalb nicht wirklich wahrgenommen hatte, was um ihn herum geschah, versuchte der alte Seemann dieses Phänomen zu erklären, sicher war es sich aber nicht.
Vor sich hin grübelnd, hatte Sunder gar nicht bemerkt, das er seine Schritte zum Kai gelenkt hatte. Seine Spaziergänge endeten meistens dort, das war wohl die Macht der Gewohnheit, fast schon ein Ritual. Frische Seeluft atmen und aufs Meer hinausschauen war für einen alten Seemann wie ihn, nach wie vor das beste Mittel um den Kopf freizubekommen, für ein paar Augenblicke die Zeit zu vergessen. Jedoch nur wenn es ihm gelang, die schlechten Erinnerungen die ihn ebenso mit diesem Ort verbanden, nicht an sich heranzulassen, sonst war eher Trübsal angesagt. Schon verrückt das sich manche Ereignisse immer wieder in Erinnerung riefen, sich geradezu penetrant aufdrängten um nicht in Vergessenheit zu geraten. Der olle Seebär musste sich wohl damit abfinden, das er immer wieder mit Fehlern aus seiner Vergangenheit konfrontiert wurde. Zum Glück hatte Sunder in seinem Leben auch vieles richtig gemacht, glaubte er jedenfalls, das half ihm in solchen Momenten nicht zu verzagen, wieder Frieden mit sich zu finden, irgendwie musste es ja weitergehen...
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Am Galgenplatz, Hafenstadt Khorinis
„‚Zum schlafenden Geldsack‘, ein interessanter Name für eine Herberge.“
Larah konnte der Aussage des Kapitäns nur zustimmen. Gemeinsam musterten sie das für die khorinischen Verhältnisse dieser Tage gut instandgehaltene dreistöckige Fachwerkhaus, dessen Obergeschosse oberhalb des Eingangs, getragen von massiven hölzernen Ständern, über den Platz aufragten.
„Und noch dazu ein ziemliches Wunder, dass eine Herberge direkt gegenüber der Kaserne bislang von jeglicher Einquartierung verschont geblieben ist.“, fügte Yared hinzu.
Die Fischjägerin sah, wie sein kühler Blick zu Kaldrin und Magister Arvideon wanderte.
Die Gastwirtin, eine Frau namens Hanna, schien sehr überrascht gewesen, als die Offiziere gerade eben bei ihr vorgesprochen hatten. Sie hatte sichtlich nicht damit gerechnet, Soldaten und nun sogar Seeleute kostenfrei bei sich aufnehmen zu müssen. Erst hatte sie die Entourage des Kapitäns abwimmeln wollen, doch irgendwas an der Anwesenheit des kleinwüchsigen Magisters hatte sie plötzlich ihre Meinung ändern lassen.
Wandermönch und Waffenmeister lächelten einmütig, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Hier war definitiv was im Busch.
„Martin, der Proviantmeister der Garnison, hat mir gesagt, es wäre das einzige Haus in diesem Teil der Stadt, das noch Zimmer frei hätte.“, verkündete der hagere Sildener mit dem riesigen varantischen Krumschwert, der für die schweren Ballisten und Werke auf Yareds Schiffen zuständig war und sich sonst für die ruppigeren Arbeiten im Kompaniestab des Paladins federführend zeichnete.
„So so“, brummte Yared.
„Er hat nur seine bescheidenen Kontakte bemüht, so versichert der Vater der falschen Bescheidenheit“, fügte der umtriebige Wandermönch mit den goldenen Augen an.
Der Kapitän seufzte.
„Sei’s drum. Wir haben ein anständiges Quartier. Gut gemacht.“
Larah ließ ihren Blick über den Platz streifen, hinüber zu der heruntergewirtschafteten Kaserne. Trotz ihrer baulichen Mängel war immer noch spürbar, welche Bedeutung diese Garnison einst, zu ihren Hochzeiten für die Stadt, die Insel, ja diesen Teil des Myrtanischen Reiches gehabt haben musste. Das war also ihr vorübergehender Bestimmungsort für die nächsten Monde.
Sie atmete tief ein.
Der Wind hatte aufgefrischt und den morgendlichen Nebel zerstreut. Nun fegte er die ersten gefallenen farbigen Blätter über das Kopfsteinpflaster. Er roch frisch, kühl, aber nicht eisig, und nach Regen.
„Ist das nicht Redlef Cast dort drüben?“
Die Gortharerin wandte sich abermals der Stimme des Kapitäns zu. Sie wusste noch nicht recht, warum er sie hier dazu gebeten hatte.
„Kann schon sein. Dort drüben hat man die Pferde untergebracht. Das sind die provisorischen Stallungen. Cast hatte es ja immer schon mit Pferden“, erläuterte Kaldrin.
„Ich werde ihm kurz Guten Tag sagen, bevor wir zu Sir Lothar gehen“, meinte Yared kurzentschlossen, „Kalle, Magister Arvideon, ihr habt uns dieses Quartier aufgetan. Bitte kümmert euch nun auch zwischenzeitlich um die Ausschiffung und Unterbringung unserer Leute.“
Arvideon war irgendwie bereits unbemerkt aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Trotzdem schien der Paladin davon auszugehen, dass der Innosdiener ihn schon gehört hatte.
„Aye!“, bestätigte der Waffenmeister die Anweisung.
Larah folgte indes Yared hinüber zu einem rothaarigen Mann, der gerade die Tür im verwitterten Tor zuschob, hinter dem sich mutmaßlich der Innenhof der Stallungen auftat.
Geändert von Larah (30.10.2025 um 08:42 Uhr)
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Khorinis Hafenviertel
Die Tage wurden kürzer und das Wetter immer ungemütlicher, nicht mehr lange, da stand schon der Winter vor Tür. Die wohl schlimmste Zeit für die überwiegend armen Bewohner des Hafenviertels und noch schlimmer für die Obdachlosen. Für die ärmsten der Armen gab es nirgendwo einen Platz. Die wenigen, eher baufälligen Hütten, waren meist von kleinen Grüppchen besetzt, die gemeinsam versuchten den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen. Sie teilten das Wenige das sie hatten und wenn es gut lief, reichte das um die kalte Jahreszeit einigermaßen zu überstehen. Doch wehe dem, der nichts Essbares beitragen oder wenigstens Holz zum heizen auftreiben konnte, dem blieben die Türen zu den kärglichen Behausungen versperrt. Das Leben der Armen war in Notzeiten hart und unerbittlich, seit jeher, Sunder konnte sich jedenfalls nicht entsinnen, das es irgendwann mal anders war.
Dabei brauchte es doch gar nicht viel um die Armen über den Winter zu bringen. Ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen, schon waren die Chancen einen kalten Winter zu überstehen gleich viel besser. Wieso gab es hier Niemanden der sich um die Ärmsten der Armen kümmerte?, kam es Sunder in den Sinn. Im gleichen Atemzug fiel ihm ein, das sich früher die Bürgerwehr für solche Leute zuständig fühlte. Das waren noch Zeiten als alle zusammenhielten, da blieb Niemand auf der Strecke, irgendwie fand sich immer eine Lösung den Notdürftigen zu helfen, erinnerte sich der alte Seemann mit Wehmut. Doch das war längst Vergangenheit, die damaligen Freunde und Kameraden, die die Bürgerwehr tatkräftig unterstützt hatten waren nicht mehr da. Ob tot oder verschollen, der Seebär wusste es nicht, es spielte keine Rolle mehr, er hatte sich längst damit abgefunden oder erfolgreich verdrängt, wie er es für sich formulieren würde.
Ja, Sunder hatte wohl so manches verdrängt, manches war sicherlich durch die Wirren der Kriege in Vergessenheit geraten. Anderes hatte der Seebär schlichtweg durch Suff in die hinterste Ecke seiner Hirnwindungen gespült, auf das es dort ewig verborgen bliebe. Äußerst seltsam war, das er sich beim Rückblick an Zeiten der Bürgerwehr gar nicht als Oberhaupt der Bürgerwehr gesehen hatte. Dabei hatte ihn diese Aufgabe doch große Freude bereitet, mit Stolz erfüllt, einen Sinn gegeben. Das wurde ihm erst viel später wieder bewusst, als weitere Bilder aus diesen Tagen vor seinem geistigen Augen vorbei zogen. Warum waren diese schönen Erinnerungen verschollen?, der alte Seemann fand keine Erklärung dafür.Vielleicht war das ja ein Zeichen das diese Erinnerung ausgerechnet jetzt wieder zum Vorschein kam, mutmaßte Sunder, dem so langsam vom vielen denken der Kopf schwirrte...
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Ställe
Mit kräftigen Stößen fuhr die Raspel über den Huf der Fuchstute, die ungeduldig, ob des Ertragens ihrer Pediküre, erneut in den Stoff der Hose, des ihr entgegen gestreckten Hintern des Mannes zwickte, der ihre Zehe kürzte. Redlef grunzte genervt und vertreib ihr Maul mit der freien Hand wedelnd von seinem Steiß. Leise vor sich hin fluchend beendete er seine Arbeit, prüfte mit einigen routinierten Handbewegungen, ob er den Huf gleichmäßig gekürzt hatte und stellte das Bein des Pferdes dann zufrieden auf den Boden zurück. Stöhnend und sich den Rücken haltend erhob er sich und tätschelte dem Tier den Hals. Das Pferd, welches Calan auf Khorinis von seinem kleinen Abenteuer im Umland Thorniaras mitgebracht hatte, entwickelte sich prächtig. Redlef konnte inzwischen kaum mehr leugnen, dass er den Fuchs ins Herz geschlossen hatte. Das Tier war unglaublich gelehrig und fleißig, fast übereifrig. Nur ihre Ungeduld beim Stehen und Warten war eine Unart, die er ihr noch nicht ausgetrieben hatte. So hatte er das Knabbern an seiner Kleidung mehr oder weniger hilflos über sich ergehen lassen müssen, während er ihre Hufe bearbeitet hatte. Von der langwierigen, gebückten Arbeit und dem Halten ihrer zappelnden Hufe mit seinem Knien taten ihm nun Rücken und auch die Beine weh. Glücklicherweise konnte er die Pferde nun wieder an Bardasch übergeben und musste sich nun aufmachen, Jaques die versprochenen und von ihm selbst zurecht geschnitzten Behelfsspeere bringen. Hatte sich der arme Trottel doch allen Ernstes freiwillig für die Ausbildung der Rekruten gemeldet… Suchend sah sich Redlef nach seiner Krücke um. Doch anstelle des Stocks erspähte er ein bekanntes doch lange nicht mehr gesehenes Gesicht. »Kapitän Yared!«, rief er dem hageren Seemann entgegen, der im Tor zum Hofes ihrer improvisierten Stallung aufgetaucht war. Der Mann wurde von einer jungen Frau begleitet. Redlef kniff kurz die Augenbrauen zusammen, als er sich die deutlich jünger erscheinende Begleiterin genauer besah: Hatte der Kapitän je eine Tochter erwähnt? Red klaubte die zu Boden gefallene Krücke auf und humpelte über den Hof der ehemaligen Stellmacherei den Beiden entgegen. »Es tut gut Euch hier zu wissen! Haben sich die hohen Herren endlich zur Sendung einer Unterstützung durchgerungen?«, begrüßte er freundschaftlich den Kapitän. Er hatte lange nichts von ihm gehört. Soweit es zu ihm durchgedrungen war, war Yared während seiner Zeit im Kerker nicht auf Argaan gewesen. Wo er sich wohl herumgetrieben hatte? Das Meer war so unvorstellbar groß, es überstieg Redlefs Vorstellungskraft. »Verzeiht, Innos mit Euch!«, grüßt er nun auch die Dame an Yareds Seite etwas reservierter. »Ich bin Ordensbruder Redlef Cast.« Er musterte sie einen Moment. Man mochte sie wohl als hübsch bezeichnen, mit ihrem langen goldblonden Haaren und ihrer ansehnlichen Figur, Redlef machte sich jedoch ausschließlich Gedanken darüber, ob sie sich zurückhalten wusste, um keine Unruhe in den Trupp zu bringen… Er schulterte mit einem letzten abschätzigen Blick die Übungsspeere, die neben dem Tor bereitgelegen hatten und wandte sich darauf erneut an Yared. »Entschuldigt bitte, ich werde an der Kaserne erwartet. Begleitet Ihr mich und erzählt mir, woher und wozu euch der Wind hierher geweht hat?«
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Provisorische Stallungen, Hafenstadt Khorinis, Khorinis, Provinz des Großreichs Myrtana
„Es tut gut, Euch zu sehen, Redlef“, grüßte Yared zurück und meinte leicht amüsiert, „Gern begleiten wir Euch. Wir haben gewissermaßen das gleiche Ziel.“
Redlef schob sich voran durch das Tor wieder hinaus auf den Galgenplatz. Larah und der Kapitän folgten ihm.
„Eigentlich wollten wir nur Wasser und Nahrungsmittel aufnehmen und weiter zum Festland“, erläuterte der Sappeur derweil, „aber dann hat uns Lord Hagen verpflichtet. Wir sollen Kaserne und Hafenanlagen in Stand setzen, damit die Kauffahrer die Kaianlagen und die momentan belegten Lagerhäuser und Kontore wieder nutzen können, wenn sie hier ankommen.“
Es war nicht so, dass das Wasser in keinem Fall mehr ausgereicht hätte. So auf Kante genäht hatten sie für die Fahrt von Qart'hadast nach Myrtana selbstverständlich nicht geplant. Aber die Ladekapazität war begrenzt und die Reise zwischen den beiden Kontinenten lang. Wenn sie es geschafft hätten, dem Sturm vollständig zu entgehen, wäre der Landgang in Khorinis nicht notwendig geworden. Doch so hatte sie das zu viele zusätzliche Tage gekostet und ohne diesen Zwischenhalt wären sie auf dem letzten Tropfen Frischwasser nach Vengard gesegelt – ein zu hohes Risiko. Und der Sturm hatte sie sozusagen auch zugleich direkt in Hagens Hände getrieben, durch die zumindest seine Leute und damit auch die Gedanken und Pläne des Kapitäns erstmal hier gebunden waren.
„Wir waren gerade auf dem Weg von der Herberge dort drüben – vorerst wohl unser Quartier an Land – zur Kaserne. Man hat mir gesagt, ich könne dort mit Sir Lothar über den Zustand der Bauten und Schanzwerke sprechen.“
„Das ist übrigens Larah“, stellte Yared seine Begleiterin vor, die bislang schweigend ihrem Gespräch gefolgt war. Nun nickte sie Redlef nur nocheinmal zur Begrüßung stumm zu, wie sie es zuvor schon kurz getan hatte, als sich der Ordenbruder vorgestellt hatte. “Sie stammt aus Gorthar, hat früher einmal für meine Handelskompanie gearbeitet und mir zuletzt als Kundschafterin auf meinen Reisen in den tiefen Südosten wertvolle Dienste geleistet.“
Je näher sie dem Gebäudekomplex auf der anderen Seite des Platzes kamen, desto deutlicher wurden die Missstände des alten Garnisonsbaus. Doch richtig sichtbar wurde das Ausmaß erst jetzt, als sie die Freitreppe und die umlaufenden Außenbastionen hinter sich ließen und durch das breite Tor schritten.
Lord Scaruders Schiffszimmerleute hatten die Löcher in den Dächern, das heruntergekommene Gebälk über ihnen und die morschen Treppen, die man durch die Durchgänge zu beiden Seiten des Eingangs zum Hof erspähen konnte, notdürftig geflickt. Doch für eine Generalsanierung brauchte man wenigstens richtige Marinepioniere, wenn nicht eigentlich gar einen Festungsbaumeister, denn selbst die meterdicken Mauern bröckelten an der ein- oder anderen Stelle bereits sichtbar. Yared verstand nur zu gut, warum sich Lord Hagen die Chance nicht hatte entgehen lassen, seine Leute eine Weile hier zu behalten.
„Und? Wie ist es Euch ergangen, Redlef?“, wandte sich der Paladin an den Ordensbruder. Er hielt seine Neugier in Zaum und vermied es absichtlich zu erwähnen, was er vom tiefen Fall des einstigen Stadtkommandanten von Thorniara bereits mitbekommen hatte.
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Khorinis Hafenviertel
„Du bist in letzter Zeit so nachdenklich..., ist alles in Ordnung“ fragte Luthger, der mit Sunder durch das Hafenviertel schlenderte. „Wat interessiert disch dat?, dat kann dir doch ejal sein“ maulte der alte Seemann unfreundlich, damit der Kamerad ihn in Ruhe ließ. „Das ist mir aber nicht egal, ich mache mir Sorgen..., irgendwas beschäftigt dich doch“ hakte Luthger nach. „Ach guck dir doch mal dat janze Elend hier an, dat schläscht mir aufs Jemüt..., so schlimm war dat früher nit“ brummte der Seebär. „Stimmt, du hast ja früher hier gelebt..., was ist denn heute anders als früher?, was ist heute schlimmer als früher?“ fragte Luthger interessiert nach.
„Wie soll isch dat erklären“ begann Sunder, „früher herrschte mehr Ornung..., die Leute haben mehr zusammenjehalten und sisch jejenseitisch jeholfen, verstehste wat isch meine? Und da jab et ja noch die Bürjerwehr, die hat auch noch jeholfen wo sie konnte“.Der alte Seemann erzählte von sich aus, bevor Luthger ihn wieder mit Fragen löchern würde, von der Bürgerwehr, das er das Oberhaupt war und was sie damals alles geleistet hatte. „Verstehe..., du hast ja wirklich viel Gutes geleistet..., ich wusste gar nicht das du so ein großes Herz hast“ kommentierte der junge Kamerad. „Wat?..., willste damit sagen, dat isch keine Jefühle hab?“ brauste Sunder unvermittelt auf.
„Nein, das hast du falsch verstanden“ versuchte Luthger gleich die Wogen zu glätten. „Natürlich hast du Gefühle..., Jeder hat Gefühle..., nur bei dir vermutet man das vielleicht nicht so direkt. Und das liegt wohl daran, das du so verschlossen bist, meist miesepetrig erscheinst und Jeden der versucht mit dir ins Gespräch zu kommen, mit deiner störrischen Art voll auflaufen lässt. Man könnte meinen du würdest lieber als Einsiedler leben..., ich weiß das dem nicht so ist“ brachte Luthger zum Ausdruck, was ihm wohl schon länger auf dem Herzen lag. „Jedenfalls machst du es einem nicht leicht dich zu mögen“ scherzte der Jüngling um die Stimmung etwas aufzulockern. „Ja, ist ja jut..., isch weiß dat isch wat komisch bin..., aber wat soll isch machen, isch bin wie isch bin..., und dat krieje isch auch nit mehr raus. Aber mit uns klappt dat doch eijentlisch janz jut, dat ist doch schon mal wat, oder nit?“ brummte der alte Seebär und klopfte Luthger freundschaftlich auf die Schulter..., der Kamerad schwieg und seufzte leise...
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