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„Ihr wollt also das Angebot annehmen, in den Stallungen zu arbeiten? Das freut mich! Wir können hier jede Hand gebrauchen!“
Jacques' Freude war ehrlich, aber der suchende Blick, mit dem der Vagabund den Hof abzutasten schien, wollte ihm nicht recht gefallen. Es war nicht der Blick, mit dem man nach Arbeit suchte – sondern nach Beute …
Er würde den Kerl besser nicht aus den Augen lassen. Vielleicht stellte er sich ja doch als ehrliche Seele heraus, die bereit war, auf den rechten Pfad zurückzukehren. Immerhin roch er deutlich weniger streng als bei ihrer letzten Begegnung und sah zwar nicht unbedingt gepflegt, aber doch zumindest gepflegter aus. Ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wie ging doch gleich das alte Sprichwort? ‚Gelegenheit macht Diebe‘. Es lag sicherlich im beiderseitigen Interesse, wenn Jacques dem Vagabunden keine solche Gelegenheit gab. Zu dumm, dass er sich gerade jetzt erst einmal um seine Verletzung kümmern musste – mit dem Vagabunden würde sich also erst einmal Redlef befassen müssen.
„Redlef ist meistens im Stall.“ Jacques deutete knapp mit dem Kinn in Richtung des großen Anbaus, in dem die Pferde untergebracht waren. „Kommt, sehen wir mal nach!“
Sorgsam darauf bedacht, den anderen Mann im Auge zu behalten und ihn nicht seinen anschwellenden Daumen sehen zu lassen, ging Jacques voraus und stieß das Tor zum Stall auf. Der inzwischen altbekannte Pferdegeruch schlug ihm entgegen. Nachdem er den ganzen Tag im hellen Sonnenlicht gearbeitet hatte, konnte er im Halbdunkel zunächst jedoch nicht viel erkennen. Seine Augen würden sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen müssen.
„Redlef? Seid Ihr da? Hier ist jemand, der nach Arbeit sucht!“ Und jemand, der etwas Verbandszeug brauchen könnte …
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»Wie gut, dass du endlich auftauchst!« Redlef hatte nur Jaques Stimme gehört und es noch nicht geschafft sich in seine Richtung umzudrehen. Vielmehr machten ihm gerade die beiden Hengste zu schaffen. Seraphis versuchte weiterhin freundlich Redlef zum Spielen aufzufordern, indem er nach einigen Strähnen des Roten Haares schnappte, während Möhre, von so viel Aufdringlichkeit angestachelt, seine Hengstallüren in den Tiefen seiner Trägheit wiederfand und seinerseits versuchte, den Schimmel auf Abstand zu halten. Das kräftigere Pferd stieg leicht, quietschte lauf und biss in den Mähnenkamm des kleineren Schimmels.
»Verdammte Scheiße!«, schnauzte der Mensch, der sich zwischen den balgenden Hengsten befand, die Tiere an. »Ihr kommt in die Wurst, beide!« Mit dem Ende der Stricke, der an den Halftern der Pferde befestigt war, verlieh er seinen Worten Nachdruck.
Schließlich schaffte er es die Hengste zu trennen und drückte Jaques schnaufend Möhres Strick in die Hand. »Bring Marodeur raus!«, wies er den jungen Kämpfer an und ruckte noch einmal kräftig an Searphis Zaum, um ihn auf seinen Platz zu verweisen.
»Hengste!«, brummte er verärgert. »Wenn man sie nicht stetig an der kurzen Leine und unter Arbeit hält fangen sie an einem auf der Nase herumzutanzen! Ist eine schmähliche Geschichte, von unerzogenen Pferden verkrüppelt zu werden! Merkt euch das!«, sprach er zu den beiden Männern.
Erst jetzt bemerkte, wer der Zweite war.
»Ach sieh an«, bemerkte er mit einer Spur Abfälligkeit in der Stimme, während er den Schimmel auf den Hof führte. »Ich hätte nicht erwartet Euch wieder zu sehen, Bardasch.«
Schell war das Pferd an einem Ring in der Hauswand angebunden und Redlef konnte sich dem Taugenichts zuwenden.
»Arbeit also soll es sein? Meine Bedingungen bleiben die Gleichen: Misten, Füttern, Wasser schleppen, alles Nötige von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Finde ich Euch besoffen im Stroh, müsst ihr gehen! Schlimmeres, wenn den Pferden etwas passieren sollte, doch das versteht sich sicherlich von selbst..!«
»Schließt du Freundschaften auf deine übliche Art?«, mischte sich eine sonore Stimme lachend in das Gespräch ein.
Zwei Männer im Ordensornat hatten den Hof betreten. Der kleinere Mann war wenige Jahre älter als Redlef und begrüßte seinen Ordensbruder herzlich mit Handschlag. Die beiden Männer hatten vor einem halben Leben zusammen in Myrtana gegen Orks gekämpft. Erst heute Morgen hatte Redlef ihn unter den Ordensrittern wiedergesehen. Eine sehr angenehme Überraschung, Eric war ein guter Reiter, besserer Kämpfer und angenehm derber Zeitgenosse.
Der größere war ein blasser Junge mit pickeligem Gesicht. Redlef hatte ihn erst heute Morgen kennengelernt. Er war aus einem guten Haus und Sir Eric zugeteilt worden, damit aus ihm ein guter Ritter wurde. Redlef hatte Erics Blick, während er die Worte sprach, ansehen können, dass er dies stark bezweifelte.
Offensichtlich erwartete der Ritter keine Antwort, denn er wandte sich sofort an Jaques und Bardasch: »Das ist also dein Haufen, Red?«
»Die Hälfte davon«, korrigierte der Angesprochene sofort, überhaupt nicht glücklich, dass hier so leichtfertig sein ungeliebter Spitzname verwendet wurde. »Dies ist Ordensbruder Jaques. Ein anderer Mann wurde mir leider abgezogen. Er ist auch Schmied und seine Fähigkeiten werden dringender für das Befestigen der Stadt benötigt.«
»Haha! Die Reiterei der Zwei! Ein Meister und ein Schüler?! Es wäre komisch, wenn es nicht so traurig wäre.«
Redlef konnte dem nur gezwungen lächelnd zustimmen.
»Und der da?« Nun galt sein Interesse dem Taugenichts. »Du siehst mir nicht gerade nach Ordensbruder aus, Bursche«, scherzte der Ritter. »Aber bei einer so mageren Truppe, kann der gute Red wohl nicht wählerisch sein!?«
»So schlimm kann es um die Truppe nie bestellt sein«, knurrte Redlef leise, einen finsteren Blick auf Bardasch werfend. »Bardasch gehört natürlich nicht dem Orden an. Er will hier aber als Stallbusche arbeiten«, erklärte er nun etwas lauter.
»Redlef!«, Erics Stimme hatte den lustigen Unterton verloren. »Du braucht jeden Mann! Deine Mission ist auch mir zu Ohren gekommen. Eine Truppe auch unter widrigen Umständen aufzustellen und zusammenzubringen, sollte eine der Kernkompetenzen eines Kommandanten sein. Es mag dir nicht passen, doch wir, der Orden, sind hier nicht in der Situation nur mit handverlesenen Männern arbeiten zu können – sieh mich an!« Im Hintergrund verdrehte Bruder Anselm die Augen, während Eric mit seiner Hand in Bardaschs Richtung zeigte. »Du siehst zwar recht fertig aus, doch nicht unfähig. Sag, traust du dir zu dich auf ein Pferd zu setzten und deine Heimat, das wunderbare Khorins zu beschützen?«, die Dramatik in Erics Stimme bettete dem Moment in eine Bedeutungsschwere, in der der Taugenichts heroisch aus seiner Unbedeutendheit hätte treten können, seinen heldenhaften Kern hätte zeigen können. Doch er nuschelte nur: »Bin früher geritten. Hatte ‘n Hengst, der hieß Simun…«
Redlef seufzte. Eric aber fand seine gute Laune wieder: »Na siehs’te! Ran an den Dienst und rauf auf‘s Pferd mit dir. Im Sattel wirst du dich beweisen können.«
»Fein, ich halte nichts von der Idee, da ich lieber keine, als unzuverlässige Männer habe, doch da wir nicht alle Pferde vernünftig bewegen können, wäre ein gut reitender Stallbursche vielleicht eine größere Bereicherung«, gab Redlef sich bereit Bardasch eine Chance zu geben. Wenn Eric seinen Spaß haben wollte, sollte er ihn eben bekommen. »Bruder«, damit war Eric gemeint, »sei so gut, den Neuen einzuweisen. Jaques komm, wir hohlen Rittmeister, Loric und Morgenglanz, den alten Wallach für unseren Neuen.«
Kaum hatten sie das kühle Dunkel des Stalls betreten zeigte Red auf Rittmeister, den sich Jaques fertig machen sollte und sah seinen Kameraden an. »Was ist mit deinem Daumen?« Ihm war nicht entgangen, dass dieser geschwollen erschien und immer dunkler anlief.
Geändert von Redlef (25.05.2025 um 08:08 Uhr)
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Ställe
Der Stand des Ergrauten in diesem Hof hatte schon fast zu lange angedauert. Er war fast, von alkoholischen Tagträumen umlullt, eingeschlafen und nur dadurch erwacht, dass die Worte ‚Reiten‘ und ‚Rauf aufs Pferd‘ gefallen waren. Im Ernst?
Bardasch’s Puls stieg und seine Hände bekamen etwas Feuchtes. Seine Emotionen bestanden aus Angst und Überforderung, aber auch aus plötzlich auftauchenden Erinnerungen, die sich in kleinen Erinnerungsblitzen zeigten, als er sich im Geiste auf ein Pferd schwingen sah. Natürlich war keiner von denen Simún, aber der Ergraute fühlte sich schnell an den Haflinger erinnert, der einmal seiner gewesen war. Irgendwann einmal vor einer gewissen Zeit, die für den einstigen Nomaden so weit in die Vergangenheit gerückt war, dass er eigentlich keinen großen Gedanken mehr an den Gaul verschwendete, doch jetzt schienen die sterbenden Erinnerungen sehr lebendig zu werden.
Noch war der Wallach namens ‚Morgenglanz‘ in den Stallungen und damit nicht in Reichweite des Ergrauten, der den Impuls fühlte auf der Stelle kehrt zu machen und auf diese Chance zu verzichten, aber er wusste auch – wenn er DAS tat, war alles für ihn vorbei.
Bardasch beantwortete die Frage Sir Eric’s mit einem Nicken und folgte Jacques und Redlef schließlich in den Stall.
Die Erinnerungen an seine lange zurück liegende Reiterei und die Bemerkung Redlefs ließen Bardaschs Pulsschlag weiter steigen. War dieses Tier vielleicht in Wahrheit garstig und ein bewusst gewähltes Pferd, welches den Ergrauten schnell zum Scheitern bringen sollte?
Mit einer Handbewegung ergriff Bardasch die Decke und näherte sich von links zögerlich dem Wallach, murmelte beschwörende Worte, die das vielleicht nervöse Tier beruhigen und es davon abbringen würde, ihm etwaige Verletzungen zuzufügen. Mit zitternden Händen schwang er die Decke auf den Rücken des Tieres und tat einen Schritt – weg von Morgenglanz, der ihn – nach Bardasch’s Meinung – schief von der Seite ansah. „Nur ruhig mein Junge“, murmelte er und schritt wieder etwas näher heran, um mit ausgestreckten Armen an der Decke zu zupfen. „Ich bin gleich fertig – nicht die Gedult verlieren, mein Guter“, murmelte er, als der Gaul Bardasch bedenklich auf die Pelle rückte.
„Ääähm!“.
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Im Minental
Als Dumak erwachte, sah er den Magier dunkel brütend vor einem Stück blanker Erde sitzen. Er musste während der letzten Wache, die er nach den Templern übernommen hatte, die Grasnarbe dort weggekratzt haben, um ... ja weshalb eigentlich?
Es konnte nur bedeuten, dass er vor hatte, einen seiner Beschwörungskreise in den Boden zu zeichnen, um irgendeine Kreatur hervorzurufen, die aus Beliars Sphäre hier in diese Welt über trat, um ihm für eine Weile zu dienen.
»Schlechtes Gefühl?«, fragte Dumak nur.
Esteban nickte.
»Es ist das Minental«, erwiderte der Sänger nur lakonisch.
Dann öffnete er die Fibeln, die seinen blau leuchtenden Umhang hielten, ließ Bogen und Laute, die er am Rücken trug, ebenfalls hinab gleiten und war nun von allem befreit, was ihn bei dem hindern konnte, was er nun vor hatte: Eine Spähermission in den Wald in Richtung der alten Mine.
»Ich schaue mich mal etwas um. Der Rauch über der Burg muss etwas bedeuten«, erklärte er.
»Wenn sich dort Leute aufhalten, dann nur, weil sie irgendeine Art von Ziel oder Mission hier im Minental haben. Ich werde es herausfinden«
Esteban nickte nur knapp und Dumak verließ das Lager ohne weitere Worte, um sich nach dem Ausgang des Kessels talabwärts zu wenden, um dort unten dann am Fluss entlang zu schauen, ob er Spuren irgendwelcher Aktivitäten fand.
Den Weg ins Tal hinab wählte er so, dass er in den Spuren, die sie am Vortag in den Waldboden gesetzt hatten, folgte. Dabei achtete er darauf, keine Zweige abzuknicken und erst recht, auf keine am Boden liegenden Äste zu treten, sondern möglichst Stellen zu finden, auf denen entweder kein totes Holz lagen oder aber möglichst viel altes Laub, das Geräusche dämpfte.
So gelangte er bis hinab ins Tal. Irgendwo zwischen einigen Bäumen, die hier mittlerweile gewachsen waren und die früher vorherrschenden Wiesen abgelöst hatten, musste die steinerne Brücke über das Flüsschen liegen, über die man zur Burg kam. Hier in diesem Bereich hatte die Taverne zum Schattenläufer gestanden, Sadors erstes Gasthaus, dass er übernommen hatte, nachdem ein Schattenläufer sein Bein zerfleischt und Esteban ihn versorgt und ein Holzbein organisiert hatte.
Das alles war lange her. Seitdem waren Drachen, Echsenmenschen, Drachenjäger, Orks, Paladine und wer weiß noch alles durch das Minental gezogen und die wenigsten davon hatten dazu beigetragen, diesen Ort zu einer friedlichen Stelle zu machen. Irgendwie hatte er als ehemaliger Insasse der Barriere das verdrehte Gefühl, für das Schicksal dieses Tales eine gewisse Verantwortung zu tragen und es, wenn schon nicht zu beschützen, doch immerhin achten zu müssen. Es hatte ihm Heimat gegeben. Gut, es war eine Heimat voller menschlichen Abschaums gewesen. Nicht gerade erste Wahl, wenn man darüber nachdachte. Aber immerhin das, was dem Wort Heimat in seinem Sinn am nächsten gekommen war. Wer konnte sich das schon selbst aussuchen. Robar II. und seine Richter hatten die Auswahl daher für ihn einst getroffen. Nunja, die Dankbarkeit dafür hielt sich trotzdem in Grenzen. Dumak musste unwillkürlich grinsen.
»Nicht ablenken lassen«, flüsterte er zu sich selbst und beendete diese Gedankenspiele über die Vergangenheit.
Vielmehr bog er einen Zweig beiseite und linste durch das entstandene Loch im Blätterwerk. Tatsächlich schien die Brücke repariert zu sein. Frische Bretter bildeten einen festen Weg über das Wasser. Und der Weg, der sich dann von der Brücke Richtung Alte Mine erstreckte, wies frische Wagenspuren auf.
Dumak folgte dem Weg, indem er parallel dazu durch das Unterholz schlich, immer darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen. Er wählte jeden Schritt sorgfältig und kam nur langsam voran. Irgendwann bog der Weg vom alten Pfad ab und führte gegen den Fels.
Hier war anscheinend eine neue Mine angelegt worden. Ein Höhleneingang führte ins Dunkel, doch der Barde blieb im Unterholz und beobachtete. Neben dem Eingang stand ein aus grob behauenen Baumstämmen errichtetes Haus, eher eine kleine Blockhütte, vielleicht ein Wachposten.
Dumak beschloss, weiter zu beobachten.
Und nach einer Weile des stillen Beobachtens erschien aus dem Eingang der Höhle ein Mann. Er zog einen Karren. Auf dem Karren waren einige Säcke gestapelt. Vielleicht Erz?
An der Hütte tat sich zuerst nichts. Der Mann hingegen zog seinen Karren weiter den Weg entlang. Plötzlich öffnete sich die Tür der Hütte und ein weiterer Mann trat heraus.
Er trug einen Bogen auf dem Rücken, ein Schwert am Gürtel und mindestens Schultern, Oberkörper und arme waren von einer Rüstung bedeckt. Leder? Schuppenpanzer? Dumak konnte es nicht erkennen aus der Entfernung. Er rief dem anderen irgendwas zu, was Dumak nicht verstehen konnte, worauf der Karrenzieher stehen blieb und sich umdrehte. Nachdem der Bewaffnete aus der Hütte aufgeschlossen hatte, lief er weiter und beide folgten nun dem Weg, der sie zur Brücke und ins Alte Lager führen würde.
Dumak folgte ihnen unauffällig und möglichst geräuschlos im Unterholz.
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Auf der Insel vor Khorinis
Nur das Wellenrauschen um sie herum schien die tödliche Stille zu trüben. Beide Brüder standen Seite an Seite. Saraliel stand aufrecht wie ein Fels der der Brandung der Wellen trotzte. DraconiZ hatte Valien in der Hand und schien wie ungezähmter Säbelzahntiger, der endlich wollte, dass es losging. Ihnen gegenüber stand Elyndra. Ihr roter Robe bewegte sich im Wind, ihre Augen funkelten und ihr Gesicht war starr vor Anspannung. Alles schien darauf hinzudeuten, dass der Tag der Abrechnung gekommen war. Hier auf der kleinen Insel vor Khorinis würde sie wohl Niemand stören. Bis auf die Meerestiere und ein paar verirrten Vögeln würde Niemand von ihrem Konflikt Kenntnis nehmen.
»Ich bin schwerer zu töten als ihr wohl dachtet«, knurrte sein Bruder in die Stille hinein und der Magier musste sich fast bewusst dagegen stemmen das der Zorn nicht auf ihn überging. Einer hier musste die Stimme der Vernunft bewahren und das würde wohl oder übel er sein müssen.
»So scheint es«, gab Elyndra betont gleichmütig zurück. Sie war tatsächlich alleine gekommen. Entweder war sie hochmütig genug zu meinen sie wäre stärker als sie, ihre Verbündeten waren ihr abhanden gekommen oder es war eine Falle. Der Magus fühlte sich gänzlich unwohl bei jeder dieser Optionen.
»Vielleicht mögt ihr eure Gründe darlegen, bevor wir uns wie Tiere angehen«, versuchte Saraliel das Gespräch auf eine zivilisierte Bahn zu lenken. Den Seitenblick des Weißhaarigen ignorierte er betont.
»Ich habe keinen Streit mit euch Saraliel von Myrtana. Ihr seid ein ehrenhaftes Mitglied des Ordens und habt euch mehr als einmal bewiesen. Ihr seid der Linie eures ehrenhaften Vaters Arion treu. Euch trifft nicht der Zorn gegen das Haus Lómin. Ihr habt mehr als einmal deutlich gemacht, dass ihr euch für das richtige entschieden habt. Lasst mich tun, was getan werden muss und wir gehen unserer Wege«
»Das wird natürlich nicht geschehen«, entgegnete Saraliel ruhig. »Ich verrate meine Familie nicht und ich beschmutze nicht das Erbe unseres Vaters, indem ich meinen Bruder verleugne«.
»Ich hatte befürchtet, dass ihr das Sagen würdet«.
Ein kurzer Augenblick. Elyndras Augen funkelten. Der Zauberer fühlte ihre Magie fließen. Dann schrie er. »Halt!«. Die Magie der Herrschaft floß aus seinem Körper heraus und versuchte sie zu erdrücken. Schweiß lief ihm über die Stirn und so war es auch bei Elyndra, die ihre Hand nicht mehr zu heben vermochte. Sie schaute ihm hasserfüllt entgegen. Dann mischten sich Verwirrung und Angst auf ihrem Gesicht. »Bei Innos’ ich verbiete weitere Gewalt«, donnerte er. Sie starrten sich gegenseitig ein. Sie wehrte sich mit allem was sie hatte. Er fühlte wie ihr Zorn zu ihm zurückschwappte. Die Welt schien in Paralyse still zu stehen. Er konnte es nicht mehr lange halten. Blut lief aus seiner Nase heraus. Sein Kopf schien zu zerplatzen. Sie war zu stark.
Es endete abrupt. DraconiZ brachte sie brutal auf die Knie und band ihre Hände mit einem Strick hinter dem Rücken zusammen. Dann trat er einen Schritt zurück und hielt ihm Valien an die Kehle. Der Paladin schien mit seinem eigenem Schwert zu hadern. Die Klinge zitterte. »Wollt ihr mich nun töten?«, fragte sie. Tränen zierten ihre Wangen wie ein trauriges Mosaik. »Das würde ich nur zu gern«, knurrte der Assassine, während Saraliel ein paar Schritte nach vorne taumelte und sich notdürftig die Nase abwischte.
»Es ist nicht richtig«, meinte der Magus resignierend und sanft. »Du könntest es nicht einmal, wenn du wolltest.«, stellte er seinem Bruder gegenüber klar. Der schaute fassungslos auf seine Waffe, die ihm den Dienst zu verweigern schien. Er ging ein paar weitere Schritte und drückte die Klinge sanft von Elyndras Hals weg, bevor er sich herunterbeugte.
»Was ist, dass ihr so verachtet?«, fragte er und schaute ihr direkt ins Gesicht. »Das ihr selbst hierher kommt und so unvorbereitet euch solch einer Gefahr aussetzt?«
Sie schaute ihn an. Wut, Trauer und Verzweiflung schienen sich bei ihr zu mischen.
»Sinan ibn Salman Abu al-Hasan Raschid al-Din«, sagte sie ruhig und schaute ihm tief in die Augen. »Der alte vom Berge«, entgegnete der Magus grimmig. Er kannte ihn. Die bizarre Begegnung von damals würde er nicht vergessen. Es war lange her und doch konnte er sich immer noch an diesem alten Mann erinnern. So als hätte sich die Erinnerung in seinen Gedanken eingebrannt. Bei Innos’ er hoffte, dass er mittlerweile der Vermoderung anheim gefallen war, die er seit Ewigkeiten verdient hatte. Zumindest wenn man seinen Ausführungen glaubte.
»Was ist mit ihm?«, verlangte er zu wissen.
»Ich will, dass seine Präsenz von dieser Erde verschwindet«
»Da seid ihr in guter Gesellschaft«, meinte Saraliel verwirrt und wartet noch immer auf den Moment, wo sie wahrhaft in Konflikt geraten waren.
»Er ist ein Geschöpf Beliars«, meinte DraconiZ. Es schien ihn zu schaudern, wenn er daran dachte. »Es wird Zeit für ihn zu gehen«, fügte er hinzu. Es war immer noch verwirrend.
»Er hat den Verräter berührt«, meinte sie weiter. »Indem er die dunkle Gabe in ihm vollständig erweckt hat, hat er ihn an sich gebunden. Jeder von Al-Din berührt wurde muss sterben, bevor er vernichtet werden kann«. Die Brüder schauten sich an.
»Es stimmt, dass er mich ausgebildet hat. Doch das Konstrukt in mir ist nun ein gänzlich anderes. Ich kann mir kaum vorstellen...«, begann der Paladin und brach dann ab. Keiner wusste wirklich, was dort nun vor sich ging. DraconiZ schaute Elyndra an und wandte sich dann an seinen Bruder: »Ich kann keine Lüge in ihren Worten erkennen«.
Saraliel nickte. Eine Weile geschah gar nichts. Dann kam die Erleuchtung über ihn. Er sah sehr klar, was nun geschehen musste. Es war als würde Innos selbst ihm die Augen öffnen und ihm den Blick auf das Große und Ganze möglich machen. Saraliel öffnete ruckartig die Fessel mit Hilfe seiner Magie. Sowohl sein Bruder als auch die Magierin vor ihm schauten ihn fassungslos an. »Was tust du?!«, fragte der Weißhaarige fassungslos. »Das Richtige«, entgegnete Saraliel und hob seine Hand als Widerspruch einsetzen wollte. »Innos zeigt mir den Weg. Dein Schwert kann sie nicht verletzen und es ist keine Lüge in ihren Worten«, stellte er fest, wohl wissend, dass da mehr Spielraum war als er in diesem Moment zugeben mochte. »Al-Din muss aufgehalten werden. Der Schatten der von ihm ausgeht muss erleuchtet werden. Daher werde ich mit Elyndra reisen um das Richtige zu tun«, sprach er im Stolze seines Amtes. Sein Bruder hingegen schaute als ob er sich wirklich fragte, ob er noch alle Sinne beisammen hatte. »Du erm… was?«, stammelte er und deutete fassungslos auf die sich erhebende Elyndra, die nun ebenfalls fassungslos ihre Hände rieb. »Du wirst hier in Khorinis gebraucht und du solltest dich von diesem Einfluss fernhalten. Du hattest schon einmal Schwierigkeiten ihm zu widerstehen«. DraconiZ wollte protestieren, doch Saraliel erhob wieder die Hand. »Wenn wir von Vertrauen reden, dann schuldest du mir noch Einiges. Daher beanspruche ich das Recht des älteren Bruders und weise dich darauf hin, dass du momentan sicherlich noch nicht in der Position bist Forderungen zu stellen«. Der Weißhaarige schluckte. Er sah wirklich so aus als könnte er kaum begreifen was vor sich ging. »Erm«, wollte sich Elyndra zu Wort melden und er unterbrach auch sie. »Ich gebe euch die Möglichkeit wieder gut zu machen was ihr an Schande über den Orden gebracht habt«, funkelte er sie an. »Das sollte eure Zweifel mehr als zerstreuen«. Sie machte die Mund auf und schloss ihn dann wieder. »Dann wäre das beschlossen. Morgen segeln wir neuen Herausforderungen entgegen. Ihr werdet mir auf der Reise alles Wesentliche erzählen. Ich entsende von Zeit zu Zeit Nachricht«, wandte er sich abwechselnd an die anderen Beiden. Er war Saraliel von Myrtana. Er würde einen Weg finden. Er brachte Ordnung ins Chaos. Er räusperte sich. Elyndra wusste hoffentlich wo ihre Suche beginnen würde.
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Im Minental
Der Karren folgte dem Weg bis zur Brücke und rumpelte darüber. Dumak bewegte sich weiter ostwärts bis zu dem Kliff, das etwa zehn Fuß höher als die umgebende Talsohle lag. Er erklomm den Hang an dessen Ostseite und sichte dann wieder den Karren, den er bald am gegenüberliegenden Ufer erspähte und er konnte sehen, wie er in Richtung der Burg gezogen wurde und dann am Burgtor in der Ferne ankam und eingelassen wurde.
Die Burg im Minental erhob sich weiterhin wie in alten Zeiten. Ihr Tor war weiterhin von einem Eisengitter gesichert. Ob es noch herabgelassen werden konnte? Vermutlich. Auch die Dächer hatten noch immer ihre Ziegelabdeckung. Vermutlich wurden die Häuser noch genutzt. Wenn Rauch aus dem Inneren drang, mussten dort Menschen ihr Lager haben. Irgendwer schien Erz abzubauen und vermutlich wurden damit Geschäfte mit irgendwelchen Abnehmern gemacht. Naja, zu glauben, dass dieser wertvolle Rohstoff völlig unbeachtet bleiben würde, wäre auch naiv gewesen, dessen war sich Dumak bewusst.
Aber noch etwas anderes fiel ihm auf. Ein anderer Weg, der auch aus dem Burgtor kam, bog nach Osten ab und verlief am Fluss entlang weiter nach Osten. Dort, wo die Ruinenreste eines alten Klosters lagen und der Nebelturm und die Klippen. Das war interessant. Aus irgendeinem Grund wurde der Weg in diese Richtung wohl auch genutzt. Fürs Erste hatte Dumak nun genug gesehen und er machte sich wieder auf den Rückweg.
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"Riskant", murmelte Gor Na Jan, als Dumak von seiner Spähmission zurückgekehrt war und von seinen Entdeckungen berichtete. "Eine Handvoll Banditen würde wohl kaum das Risiko eingehen, sich ausgerechnet im Minental niederzulassen. Und dann auch noch in der Burg... ja, es ist der am besten zu verteidigende Punkt. Aber nur mit ausreichend Kampfkraft. Alles andere wäre nur ein Präsentierteller. Und sie schaffen das Erz nach Osten? Das schreit alles nach einer größeren Opration..."
Der Templer hielt inne und ließ sich seine eigenen Worte durch den Kopf gehen. Sein Blick fiel auf Esteban.
"Du willst da rein, richtig?"
Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. Unter anderem dafür war er hierher gekommen. War nur die Frage, wie wichtig ihm dieses Anliegen war. Die alte Orkramme war seiner Erinnerung nach schon vor Jahrzehnten abgrissen worden. Infiltration mit drei einhalb Kriegern und einem Magier...
Riskant. Möglich. Aber äußerst riskant.
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Khorinis - Stadt
»Und ihr … habt ihr dann mit ihr fahren lassen?«, meinte Hagen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er schien mehr alles andere belustigt zu sein als er den Assassinen von oben bis unten musterte. »Er ist… stur Mylord und ein Magier des Feuers.«, presste DraconiZ hervor. Er war noch immer noch sehr unzufrieden mit dem Ausgang der Situation. Doch es war außerhalb seiner Möglichkeiten gewesen aufzuhalten was geschehen war. Saraliel war mit Elyndra auf eine Mission gefahren, die eigentlich ihm gelten sollte und er saß hier in Khorinis fest, bis die Insel wieder Erz förderte. Es blieb ihm nur inständig zu hoffen, dass sein Bruder heil aus dieser Situation herauskam. Hoffentlich würde Daelon seine Finger in dem Spiel haben. Der Magier selbst war völlig aufgeschmissen, wenn es darum ging sich zurecht zu finden. Sich dem Schicksal zu ergeben fühlte sich falsch an. Falsch in jeder möglichen Hinsicht. »Mhmm. Ihr habt euch also der Hierarchie gefügt«, konstatierte Hagen. War das Zufriedenheit in seinen Worten?
»Ich habe einen neuen Auftrag für euch. Das wird euch sicherlich auf neue Gedanken bringen«. Der Veteran ging zu einigen Papieren und reichte sie dann an den Klingenmeister. »Das sind die Informationen die eure Leute gesammelt haben«. Der Weißhaarige nickte. Er erkannte die Handschrift und die Karten. Hagen zeigte auf eine Stelle auf der Karte. »Akils alter Hof«, meinte DraconiZ nickend. »Ihr werdet vorgehen und sicherstellen, dass uns dort nichts unvorhergesehenes erwartet«. Der Streiter schaute noch einmal auf die Karte. Der Hof lag sehr zentral und war die nächste Station auf dem Weg ins Minental. Eine Möglichkeit wäre eine Route zu errichten die von Khorinis an Akils Hof vorbei, dann an Bengars Hof vorbei und schließlich ins Minental führte.
»Die Berichte sind unauffällig«, meinte der Paladin nachdenklich. »Ihr werdet euch dort einquartieren«, gab Hagen zurück. DraconiZ nickte. So etwas hatte er erwartet. »Von dort aus lassen sich Aktionen besser planen«, gab er Hagen recht. »Ich werde Männer brauchen um die Häuser dort einigermaßen in Stand setzen zu können«. »Zwei Zimmermänner. Ansonsten habt ihr auch zwei Hände. Das ist der Dienst am heiligen Orden«. Der Weißhaarige verstand. »Es wird geschehen wie ihr wünscht Mylord«.
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 nomina nuda tenemus
Im Minental
Der Schwarzmagier antwortete nicht gleich. Er zeichnete weiterhin mit einem Zweig, den er irgendwo abgebrochen oder gefunden hatte, seine fremdartigen Symbole in die Erde, wo er die Grasnarbe kreisförmig entfernt hatte.
Erst als er ein weiteres kompliziertes Zeichen, das aus vielen Schwüngen, Bögen und Stichen in verschiedenen Längen und Winkeln zueinander vollendet hatte, wandte er sich Gor Na Jan zu.
»Ja, das will ich tatsächlich.«
Er machte eine Pause und zeichnete einen einzigen weiteren Strich.
»Allerdings nicht um den Preis einen aussichtslosen Kampfes«, sprach er dann weiter
»Was du vermutest, erscheint auch mir plausibel. Im Minental haben sich ganz offenbar nicht nur eine handvoll Wagemutige breit gemacht. Es handelt sich wohl viel mehr um groß organisierten Erzschmuggel, in den einige Ressourcen geflossen sind. Von woher auch immer. Leute, die Erz fördern, Leute, die Transportaufgaben übernehmen und vor allem Leute, die das alles schützen. Vor den Monstern im Tal und sicher auch vor ebenso neugierigen wie ungebetenen Gästen.«
Er warf den Stock nun weg. Offenbar war er fertig mit dem Zeichnen.
»Es ist also nicht ratsam, die Burg stürmen zu wollen. Aber ich habe eine andere Idee.«
Esteban schaute in Richtung des Barden.
»Da du nun des Lesens mächtig bist, kannst du auch die Skalen meiner Messinstrumente ablesen«, konstatierte er ganz rational.
»Und wer sich durch den Wald pirschen kann, um ungesehen ins Tal, zu dieser neuen Mine und wieder zurück zu kommen, der kann sich sicher auch über die Dächer der Burg in den alten Feuermagiertempel schleichen, um dort die notwendigen Messungen auf dem Teleportpentagramm vorzunehmen und danach wieder still und leise verschwinden.
Ich weiß, dass dir diese Art der ... sagen wir ... andere nicht bei ihren Beschäftigungen störenden Fortbewegung alles andere als fremd ist.«
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»Jaja, die hochgestochenen Worte kannst du dir schenken«, meinte der Barde nur belustigt über die Herumeierei des Magiers und beließ es dabei.
»Interessante Idee ...«, meinte er dann gedehnt und überlegte. Herausforderungen dieser Art reizten ihn tatsächlich. Zu lange hatte er sich nicht mehr mit solchen Aufgaben beschäftigt.
»Wenn ich die Burg noch richtig im Gedächtnis habe, gibt es am Tempel kein überstehendes Gebälk. Das macht es schwer, ein Seil dort irgendwo zu befestigen. Ich müsste also von der Nordseite kommen. Das Haus neben dem Tor, dort wo früher die Gardisten schliefen, hat eine weit überstehende Traufe. Dort könnte ich ein Seil durch eine der Öffnungen schießen ...«
Alle weiteren Gedanken sprach er nicht mehr aus, sondern murmelte nur noch hin und wieder etwas.
»Ja, so könnte es gehen«, sagte er dann schlussendlich.
Er wandte sich an den Magier: »Aber du musst mir erklären, wie ich deinen magischen Krempel bediene, schließlich will ich nicht noch weitere Male dort einsteigen, bis dir das Ergebnis endlich passt.
Und ich brauche zwei Seile, die mich tragen können und ein dünneres. Eines der beiden Seile sollte mindestens 50 Fuß lang sein und das dünnere ebenfalls. Das andere Seil mindestens 30 Fuß. Hat jemand sowas?«, fragte er in die Runde.
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 nomina nuda tenemus
Esteban kramte in seinem Reisesack und nach wenigen Augenblicken zog er ein Seil - fein säuberlich aufgerollt - aus demselben und meinte: »Sechzig Fuß! Beste Kastellqualität. Ich wusste, dass ich es brauchen würde.«
Der fragende Blick Dumaks entging ihm. Schließlich brauchte es nicht der Magier, sondern der Sänger. Aber solche Feinheiten waren Esteban in diesem Fall völlig gleichgültig.
Und auch einer der Templer holte aus seinem spärlichen Gepäck tatsächlich ein weiteres Seil, das auf den ersten Blick ebenfalls lang genug zu sein schien.
Aber das dritte geforderte, dünne Seil hatte niemand. Dann würde es auch so gehen müssen.
»Und was die Gerätschaften angeht, Dumak«, begann er, dem Spielmann zu erklären, »solltest du das sicher hinbekommen. Du musst zuerst den Arcanographen« - er holte ein messingfarbenes Gerät mit verschiedenen Hebeln, Rädern und Platten aus seinem Beutel, das von Nieten und Schrauben zusammen gehalten wurde - »mit einer dieser Linsen aus Obsidianglas bestücken. Stell dich dann neben den Teleportpunkt und verändere die Richtung des Arcanographen, während du hindurch schaust. Irgendwann wird sich die Farbe des gebrochenen Lichts ändern und statt der sieben üblichen Farben des Regenbogens wirst du die magische achte Farbe erkennen. In dieser Richtung baust du dann sogleich den Magolithen auf, setzt ihn auf das ausklappbare Dreibein und stellst die umlaufenden Skalen ein, indem du sie gegeneinander verschiebst, bis die einfallende magische Strahlung eine Interferenz anzeigt. Sobald die Magiebänder scharf voneinander getrennt sind, liest du die drei Skalen ab und merkst dir die Werte jedes der drei Skalenringe.
Das ist auch schon alles. Den Magolithen vorsichtig wieder einpacken, damit das Drachenglas nicht zerbricht. Wer kommt heutzutage schon in die Wüste Phlan, um dort neues zu besorgen? Genau, niemand! Die Obsidianlinse aus dem Arcanographen verstaust du ebenfalls wieder so, dass sie keine Kratzer erhält und wenn du alles zusammen gepackt hast, kommst du auf schnellstem Wege wieder zurück.«
»Ähm ... ja.«
Dumak wirkte nicht so, als hätte er nach dieser Erklärung keine Fragen mehr.
»Du bekommst das schon hin. Es ist ganz einfach.«
Gerade wollte Dumak, um sich von den komplizierten magischen Erklärungen mit etwas einfachem zu erholen, das zweite Seil entgegen nehmen, da knackte hinter ihnen etwas im Unterholz.
Esteban wähnte schon seine Ahnung bestätigt und erhob die Hände zur Beschwörung, intonierte die fremd, hart und abweisend klingenden Worte eines magischen Spruches und es erhoben sich alsbald über der Stelle mit dem Runenkreis dunkle Nebel, die unvorhersehbar hin und her wallten, als ob sie beseelt wären und einen Ausweg aus ihrem magischen Gefängnis suchen würden. Dann verdichteten sie sich und es erhob sich aus ihrer Mitte ein Fels. Und als sich die Nebelschwaden verzogen hatten, sahen alle, dass es ein großer, steinerner Golem war, auf dessen Schultern einige violett glitzernde Kristalle wuchsen. Vor Überraschung hatten die Templer sirrend ihre Schwerter gezogen, bereit, sich zu verteidigen.
Der Magier wollte das Geschöpf in die Richtung schicken, aus der vor wenigen Augenblicken das verdächtige Geräusch gekommen war. Aber anstatt einer Bestie tauchte dort nur der junge Heric auf, der wohl seine Notdurft abseits des Lagers verrichtet hatte.
Mit blassem Gesicht starte er das graue Ungetüm an, dass im Begriff war, auf ihn zuzukommen und war wohl sicher froh, seine Blase gerade entleert zu haben.
Doch Esteban stoppte den Golem mit einer kurzen Bewegung seiner Hand.
»Nun, jetzt wir haben einen Golem zur Verstärkung«, meinte er dann nur kurz und achtete weder auf Heric, der kurz vor einer Ohnmacht stand, noch auf die Templer, die ihre Schwerter fast an dem Golem gewetzt hätten. Die Ironie, andere darüber zu belehren, ihre Handlungen anzukündigen, es selbst aber für völlig unnötig zu halten, das Gleiche zu tun, entging ihm.
»Und was dich angeht, Heric, melde dich beim nächsten mal ab, wenn du eigene Wege gehst. Das Minental ist voller wilder Bestien und man kann nie wissen, was hinter dem nächsten Baumstamm wartet.«
Er drehte sich wieder zum Rest der Mannschaft um.
»Wie auch immer, gehen wir wieder ins Tal hinunter und beginnen unseren Plan.«
Und so geschah es.
Und als sie den Weg, der vom alten Austauschplatz zur Brücke über das Flüsschen führte, fast erreicht hatten, blieb der Magier stehen und meinte: »Hier warten wir, gedeckt vom Unterholz.«
Selbst der Golem gab kein Gerüsch von sich, aber das war auch nicht verwunderlich, waren diese magischen Wesen doch dafür bekannt, lange Zeiten völlig regungslos an einem Platz stehen zu können, so dass sie dort ganz still verharrten.
Alle beobachteten das andere Ufer mit der sich ein Stück dahinter befindlichen Burg.
Mittlerweile hatte die Abenddämmerung eingesetzt.
Da sprach plötzlich Gor Na Jan leise: »Dumak, ich begleite dich!« und nickt seinen Waffengefährten zu.
Dem Barden wars nur recht. Er legte seinen Umhang ab und überhab ihn und die Laute Heric. Nur einen sehr langen, recht gerade gewachsenen Ast, den er sich auf dem Weg ins Tal gesucht hatte, nahm er stattdessen mit.
»Gut drauf aufpassen, hörst du!«
Eine Weile warteten sie noch, bis die Helligkeit des Tages fast gänzlich nachgelassen hatte.
Auf den Burgmauern sah man trotz der voranschreitenden Dunkelheit keine Fackeln erscheinen. Der Torturm war wohl nicht bemannt. Gut so!
Beide überschritten nun den Weg, gedeckt vom Schummerlicht der späten Abenddämmerung, ließen sich weit abseits der Brücke langsam ins Wasser des Flüsschens gleiten, durchschwammen es mit wenigen Zügen und erreichten das gegenüberliegende Ufer dank der starken Strömung ein wenig weiter flussabwärts.
Dann verlor Esteban sie aus den Augen, denn es war zu dunkel, um so weit entfernt noch Einzelheiten klar unterscheiden zu können. die beiden waren mit den vor ihnen liegenden dunklen Burgmauern verschmolzen.
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Gor Na Jan und Dumak stiegen am gegenseitigen Ufer wieder aus dem Bach,m patschnass.
»Verdammt kalt«, zitterte Dumak, »man könnte meinen, dass wir erst Mai haben.
Ach, haben wir ja auch.«
Er schüttelte die langen schwarzen Haare aus und strich sie sich wieder glatt nach hinten. Währenddessen war das Wasser aus seiner Rüstung gelaufen. Der Panzer aus kleinen, auf Leder genähten Schuppen aus Minecrawlerplatten war das letzte Andenken an die Barriere, Die der Sänger noch hatte. Und sie besaß den großen Vorteil, dass sie niemals rostete, kein Öl brauchte und obendrein noch viel leichter als ein gleichwertiger Schuppenpanzer aus Eisen war. Ja, damals hatte es im Sumpflager einen fähigen Rüstungsbauer gegeben.Warum gab es eigentlich noch kein Loblied auf ihn und seinen Schuppenpanzer? Achja, weil Dumak noch keins geschrieben hatte.
Nur der Gambeson unter dem Kettenhemd hatte sich nun vollgesogen. Er würde in diesem Lied sicher nicht erwähnt werden.
Der riesige Templer hingegen stand einfach nur still und wartete stoisch ab, bis sich die Rinnsale an seinem Körper verlaufen hatten.
»Na dann mal los«, flüsterte der Barde und rannte schnell über den freien Bereich, kreuzte den Weg, der irgendwo nach Osten richtig Meer verlief und hatte alsbald den Fuß der Mauer unter dem ehemaligen Gardistenhaus erreicht.
Gor Na Jan war ihm lautlos wie ein Schatten gefolgt. Ein riesiger Schatten. Aber mittlerweile war die Dämmerung so weit fortgeschritten, dass man beide wohl kaum noch bemerkt hätte, wenn jemand von der Wachplattform über dem Tor herab gespäht hätte.
Beide verharrten still und achteten auf Geräusche, doch nichts drang an ihre Ohren außer das Plätschern des Baches, den sie durchschwommen hatten und der Wind, der in den Bäumen im Tal die Blätter zauste.
Dumak rollte das kürzere der beiden Seile ab und nestelte es an einen dafür gedachten Spezialpfeil mit besonders schwerer Spitze - oder besser einem ballenförmigen Bleigewicht an der vorderen Seite, die das Gegengewicht zum seil bieten sollte - den er anlegte und mit seinem Kurzbogen versuchte, zwischen der Stelle hindurch zu schießen, an der ein Dachbalken von schräg oben auf einen waagerechten Deckenbalken traf und so einen offenen dreieckigen Durchlass bildeten.
»Bei Beliar!«, flüsterte Dumak leise. Der Pfeil hatte nicht getroffen und war mit einem Klappern von den Dachziegeln abgeprallt und mitsamt dem seil wieder nach unten gefallen.
»Zu hoch gezielt.«
Er wartete eine Weile, doch nichts regte sich. Niemand hatte sie gehört.
Der nächste Versuch. Wieder den Bogen mit dem Seilpfeil gespannt, gezielt und ... es klapperte erneut. diesmal aber in einem anderen Ton.
»Zu tief! Das war die Mauer.«
Mit der Armbrust wäre das alles viel einfacher«, knurrte er, als er den Pfeil ein weiteres mal angelegt hatte.
»Aber das haben die Götter mir bisher nicht vergönnt«, seufzte er und versuchte es nun ein drittes mal.
Jetzt blieb das Seil oben.
»Na also, geht doch!«, kommentierte er zufrieden.
Dumak lief an die Stelle, an der das Seil herab hing, ließ es etwas nach, bis der Pfeil mit dem Bleigewicht wieder nach unten kam und entfernte diesen Dann wieder.
»Jetzt kommt die schwierige Stelle«, erklärte er Gor Na Jan.
»Ich muss am doppelt hängenden Seil hinauf klettern und dabei immer beide Seilhälften festhalten, um nicht wieder an einer Hälfte nach unten zu rauschen. Aber du kannst mir helfen. Halt einfach beide Seilhälften fest zusammen, dann kann nichts passieren. Wenn ich oben bin, verknote ich das Seil und du kannst mir folgen.«
Und so passierte es. Als Dumak an der Traufe angekommen war, umschlang er mit den Armen die unter dem Dach verlaufenden Balkenenden des Dachstuhls und schwang sich mit ein wenig Schaukelei so weit herum, dass er mit einem Bein über die Dachkante kam und sich danach auf das Dach rollte. Zum Glück war es im unteren Teil nicht allzu steil. Er legte den langen Stock ab, den er bis jetzt auf dem Rücken getragen hatte.
Mit dem schweren, vollgesogenen Gambeson war das ein echtes Kunststück. Schade nur, dass er es nirgendwo vorführen und damit Geld verdienen konnte.
Jetzt holte er ein Seilende zu sich herauf und knotete es am Dachbalken fest.
»Kannst!«, rief er flüsternd nach unten und bald tauchte der Templer oben auf und kletterte ebenfalls auf das Dach, wo er in gebückter Haltung verharrte.
Dumak löste dass Seil und rollte es wieder ein.
»Schauen wir in den Hof«, flüsterte er und beide stiegen das Dach empor, über den Dachfirst und auf der anderen Seite vorsichtig weiter, bis sie über die Kante des Daches nach unten sehen konnten.
Hier saßen tatsächlich einige Grüppchen um zwei größere Lagerfeuer herum. Der Sänger zählte knapp zwei Dutzend Leute. Und wer weiß, wie viele sich noch in den Gebäuden befanden. Es schien eine bunt zusammengewürfelte Truppe zu sein, die sich hier im Minental zusammengefunden hatte. Dumak konnte keine einheitlichen Abzeichen oder Rüstungen erkennen. Einige saßen in Kettenhemden, ein paar hatten Brustharnische übergezogen, Viele hingegen schienen eher einfache Arbeiter zu sein. An mehreren Stellen waren Speere, Hellebarden und ähnliches kegelförmig zusammengestellt worden. Aus ein paar Fässern ragten Schwertgriffe heraus. Waffen gab es hier wohl genug. Wachen waren im Hof aber nicht aufgestellt. Niemand, der seine Blicke schweifen ließ oder irgendwie den Eindruck eines Aufpassers machte.
Sie zogen sich wieder von der Dachkante zurück.
»So, jetzt kommt der schwierige Teil«, meinte Dumak nun zu seinem Begleiter.
»Ach, Moment, den hatten wir ja schon. Dann kommt jetzt der noch schwierigere Teil«, fuhr er leise flüsternd mit einem Grinsen, bei dem man für einen Augenblick seine Zähne in der Dunkelheit leuchten sah, fort.
»Siehst du da gegenüber den Feuermagiertempel mit seinen spitzen Türmchen an den Ecken? Wir müssen das lange Seil um eines dieser Türmchen bekommen. Dazu brauchen wir einen Faden, den ich ebenfalls mit herüber schieße und an dem ich das Seilende dann wieder um den Turm herum zurück ziehe und dann kannst du das Seil fest spannen.«
Er begann, das kürzere der beiden Seile wieder zu entrollen und auf dem Dach auszubreiten. Dann dröselte er es auf, so dass einzelne Fäden entstanden. Es dauerte eine Weile, bis er damit durch war. Mittlerweile war es Nacht geworden.
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Der Templer war sich unsicher gewesen, ob es eine gute Idee war, das gerade er Dumak auf dieser Mission begleitete. Im Gegensatz zu den anderen in der Gruppe hatte er zwar grundsätzlich die nötigen Fähigkeiten, doch war er auch wahnsinnig groß. Ja, er konnte sich lautlos bewegen, aber er hatte auch nie einen hehl daraus gemacht, dass ihm das niemals dabei nützen würde, katzengleich über die Dächer von Khorinis zu huschen oder derartiges. Aber wenn diese Operation schiefging, würde er Dumak nicht seinem Schicksal überlassen wollen, sofern er irgendetwas dagegen tun konnte.
Wo sich Gor Na Jan jedoch absolut sicher gewesen war, war bei der Entscheidung, seine Templerrüstung im Lager zu lassen, was sich nun mehr als auszahlte. Wenn sie aufflogen, würde sie sowieso keinen Unterschied mehr machen und auch wenn er wohl in der Lage gewesen wäre, sich auch mit Rüstung an dem Seil hochziehen, er war mehr als froh, dass er es nicht musste. Auch der Weg über das Dach der Gardistenhauses gestaltete sich dadurch bedeutend einfacher.
Bereits in den ersten Augenblicken dieses Unterfangens hatte der einstige Zweihandmeister feststellen dürfen, dass es einen gewaltigen Unterschied gab zwischen Schleichen und "Schleichen". Scatty hatte ihm die körperlichen Fähigkeiten beigebracht, aber Dumak brachte ein völlig neues Skillset mit, um diese Fähigkeiten zur Anwendung zu bringen. Und Jan war froh, dass er den Ton angab und er nur zu folgen hatte.
Der Blick in den Innenhof ließ ihn nun doch wehmütig an seine Templerrüstung denken, auch wenn er die Nutzlosigkeit dieser, wenn sie entdeckt wurden, nur offensichtlicher machte. Wie viele mochten es sein? 25? 30? Und wie viele noch in den Häusern? Der Miene? Verstärkung außerhalb der Burg? Das erklärte, warum sie sich offenbar sicher genug fühlten, keine sonderliche Bewachung zu organisieren. Vielleicht war es aber auch einfach die Erfahrung, wenn ein Jahrzehnt niemand mehr an der Tür geklopft hatte. Und hier lag unser Vorteil.
Der Templer hielt sich vom Rand des Daches fern, um nicht aufgrund seiner Größe trotzdem irgendwie aufzufallen und beobachtete Dumak bei seiner Arbeit. Er selbst hielt die Ohren offen, ob nicht doch jemand die beiden Fehlversuche zuvor gehört hatte. Immerhin hatte er die Sumpfschneide noch dabei.
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Dumak hingegen war von solchen Gedanken nicht belastet.
»Pass auf, mein Freund«, wisperte er leise.
»Jetzt haben wir zum einen das Seil und zum anderen einen viel dünneren Faden. Jetzt rollen wir beide jeweils schön zu einer Schnecke auf, damit sie sich gut abwickeln beim Schuss.«
Und so geschah es.
»Und nun das Dünne Seil an die eine ecke des Daches und das richtige Seil an die andere Ecke. Dann haben sie beide einen guten Winkel zueinander.«
Der fahrende Sänger, der in seiner Jugendzeit einer ganz anderen Profession nach ging, von der er hier und heute noch immer zehrte, erklärte sein Tun weiter.
»Und jetzt knote ich von beiden ein Ende an den Pfeil und schieße ihn über den Eckturm des Feuermagiertempels.
Und das ist der schwierige Teil an der Sache.«
Er hielt kurz inne.
»Ach, das habe ich ja vorhin schon behauptet. Na egal. Man wächst mit seinen Aufgaben«, zwinkerte er dem stoisch wirkenden Templer zu.
Er war sich nicht mehr so sicher, ob die Attitüde echt war oder nur eine gut gelernte Fassade. Aber das war egal. bislang war Gor Na Jan durchaus eine Hilfe gewesen und Dumak war sich sicher, dass das auch so bleiben würde. Wenn er doch nur früher auch immer einen hilfreichen Sechs-Fuß-Hünen dabei gehabt hätte ...
»Du stellst dich neben die Spirale des dicken Seils und hältst sie fest, sobald der Pfeil gelandet ist! Wünsch mir Glück«, flüsterte er nun.
»Das Ding ist nämlich ... ich muss mit dem ersten Versuch treffen. Alles andere würde für Verwirrung im Burghof sorgen und uns in die Bredouille bringen.«
Der Templer tat, wie ihm geheißen.
Dumak selbst lamentierte auch gar nicht lang herum, sondern spannte seinen Bogen und schoss den Pfeil ganz unvermittelt ab. Er flog in einem hohen Bogen, zog beide Seile, das dünne und das dicke, hinter sich her und landete tatsächlich so, dass das eine links vom Türmchen und das andere recht davon zu liegen kam.
Mit ein paar schnellen Schritten huschte er über das ziegelgedeckte Dach und erwischte noch geradeso das Ende des Fadens, ehe die Schwerkraft ihn in den Hof plumpsen ließ. Schnell raffte er ihn wieder an sich und begann, ihn zurückzuziehen, so dass er das dicke Seil um das Türmchen zog und dessen Ende zum Schluss in den Händen hielt. Jetzt trafen sich der Templer und Dumak, um die beiden Enden des Seiles am Schornstein festzuzurren. Aber nicht, bis sie nixcht die beiden Seilstränge so oft miteinander verzwirbelt hatten, dass aus den zwei Seilhälften ein einzige neues Seil geworden war.
»Es ist wichtig, ich brauche dich jetzt, damit du das Seil straff hältst. Ich muss jetzt darüber balancieren und je weniger es dabei nach unten durchhängt, um so besser.«
Der Templer hatte verstanden.
Dumak hingegen schnappte sich den langen, geraden Ast, den er mit sich führte und wollte ihn als Balancierstab nutzen, um über das Seil zu laufen, wie einer von diesen Artisten, die manchmal in den größeren Städten des Reiches auftraten, um die Leute in Erstaunen zu versetzen.
Das ahnungslose Publikum, das meist mit Aahs und Oohs auf solche Vorführungen reagierte, wusste dabei nie, zu was für Dingen man diese Fähigkeit außerdem noch nutzen konnte ...
Der Barde betrat das straffe Seil und nutzte den langen Stab wie geplant als Balancierstange, um den Hof zu überbrücken und an das andere Ende, nämlich den Feuermagiertempel, zu gelangen. Und das gelang ihm besser, als befürchtet. Mit langsamen Schritten tastete er sich Klafter um Klafter vor und kam auch mit der zu erwartenden Durchbiegung des Seiles klar. Gor Na Jan hielt dagegen, straffte allein mit seiner Kraft das Seil ein wenig und kompensierte dadurch die Elastizität der Konstruktion.
Der Feuermagiertempel kam immer näher.
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Zuerst wunderte sich der Templer darüber, warum Dumak nicht aufhörte zu reden. Ähnlich wie er Heric den einen oder anderen Kniff in die fragwürdige Kunst des Schlösserknackens vermittelt hatte, fand sich der Spielmann nun sichtlich wohl in der Rolle des Lehrmeisters über ... nunja ... Einbruch. Jan fragte sich, ob es ein Zufall war, dass der Spielmann sowohl im Erzählen von Geschichten als auch an der Lehrmeisterei seinen Gefallen fand, oder ob das Erzählen und das Unterrichten von Natur aus nah beieinander lag. So oder so, Dumak hatte ein Talent dafür. Dies erkannte der Gor Na nicht zuletzt daran, dass er, wo er am Anfang nur aus Höflichkeit seine Aufmerksamkeit hielt, zunehmend tatsächlich gespannt den Worten lauschte und sich nicht wunderte, wenn er am Ende tatsächlich etwas gelernt hatte. Eine weitere Feststellung, die er dabei über sich machte, war, dass es ihm gefiel, etwas zu lernen, wovon er so überhaupt keine Ahnung hatte. Zwar sah er sich nicht in der Rolle, jemals alleine seinen gewaltigen Körper durch das Fenster eines wohlhabenden Bürgers zu wuchten, doch warum nicht mal lernen um des Lernens Willen? So oder so, es löste in dem Templer ein gewisses Wohlgefallen aus, wie sich die alten Getriebe in ihm wieder in Gang setzten, denn wie lange war es her gewesen, dass er von jemandem unterwiesen worden war? Zwanzig Jahre bestimmt. Armbrust muss das gewesen sein. Heute wusste er nicht mal mehr, wie man eine bediente.
Schlussendlich wurde nun aber doch eine Fähigkeit gefordert, in welcher der Templer mehr zuhause war. Das Seil um die Arme gewickelt hielt er kräftig dagegen, als Dumak darauf über den Burghof spazierte. Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, er hätte es nicht für möglich gehalten, dass dieser doch recht unscheinbare Mann zu einem solchen Kunststück in der Lage war. Bei all der Magie, die ihre Welt beherrschte, war doch ein Akt außerordentlicher Körperbeherrschung immer noch etwas, das ihn beeindrucken konnte. Mit den Anforderungen an seine Kraft hatte Jan gerechnet. Auch wenn Dumak vielleicht etwas mehr als die Hälfte von ihm wog, das Seil mit seinem Gewicht auf Spannung zu halten, war keine Leichtigkeit. Womit er nicht gerechnet hatte, war der Anspruch an sein Geschick. Das Seil ruhig zu halten, einerseits nachzugeben, wo Dumak es in Schwingung versetzte, damit er es ausbalancieren konnte, es aber gleichzeitig straff genug zu halten, damit es nicht durchhing, war ein ... Drahtseilakt?
Instinktiv versucht der Templerführer das Gewicht mehr mit dem rechten Arm zu halten. Als er gerade erneut in einer routinierten Bewegung die Last von seiner Linken nehmen wollte, stellte er mit Faszination fest, dass diese bedeutend weniger schmerzte, als er es erwartet hätte. Nicht nur, dass die Wunde, durch welche der Geist des Waldes ausgetreten war, den Schmerz nicht schlimmer gemacht hatte, er hatte in gewisserweise sogar das Gefühl, Esteban hatte mehr als nur die letzte Verletzung dieser geheilt oder zumindest die natürliche Selbstheilung nach Jahrzehnten wieder in Gang gesetzt. Der Schmerz war noch da, keine Frage, und zu viel wollte er sie definitiv nicht belasten, doch irgendwas wurde nach all den Jahren zum ersten Mal endlich besser.
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Akils alter Hof
»Das ist jetzt unsere Arbeit? Bäume fällen, schleppen, Sägen und Hilfsarbeiten leisten?«, fragte Alenya geknirscht und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Tag war anstrengend gewesen. Da keiner der Assassinen eine handwerkliche Ausbildung genossen hatte – nun zumindest nicht im klassischen Sinne – waren die Zimmerleute diejenigen die den Ton angaben und sie halfen aus wo sie konnten. Es würde noch lange dauern, bis der Hof wieder in voller Blüte stehen würde und so etwas wie eine Behausung darstellte. »Ich würde es nicht Arbeit nennen«, meinte der Klingenmeister und streckte seine müden Knochen. »Es ist Buße. Meine Buße um genau zu sein. Ihr seid kollateral inbegriffen. Ich bin dankbar, dass ihr noch nicht das Weite gesucht habt«, meinte er demütig. Hagen hatte ihnen gerade mal die beiden Zimmerleute und vier weitere Männer mitgegeben. Die restlichen sechs die das Dutzend komplettierten waren Assassinen. Zweifelsohne war es von Vorteil gerade diesen Hof wieder zu reaktivieren. Schließlich war er zentral gelegen und bot die besten Möglichkeiten um von hier aus Erkundungen anzustellen. Nur das Aufbauen als solches diente Hagen mit absoluter Sicherheit dazu von dem Paladin Demut einzufordern. »Ich halte es für ein gutes Zeichen. Immerhin will er nun nicht mehr direkt unsere Köpfen auf einen Spieß stecken«, meinte DraconiZ schulterzuckend. »Immerhin«, meinte Alenya grimmig. »Hätte ich gewusst, was es werden würde, wäre ich dir womöglich nicht gefolgt«. »Das wäre ein wirklicher Jammer gewesen«, meinte der Streiter und lachte. Als seine Begleiterin in das Lachen einstimmte wusste er zumindest, dass die Moral noch nicht völlig im Keller war.
»Wurde Françoise mittlerweile gesichtet?«, fragte er hoffnungsvoll. Eine der Assassinen die ebenfalls in der Runde saß schüttelte den Kopf. »Außerhalb der Stadt«. Der Paladin nickte. Um die ganze Verwirrung rund um seine Magie aufzuarbeiten, würde er ihre Hilfe brauchen. Doch das hatte Zeit. Bevor dieser Hof einigermaßen ansehnlich sein würde, würde er ohnehin zu so etwas nicht kommen. »Lasst uns das Beste aus der Situation machen«, meinte er schulterzuckend.
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Im Minental
Und das Seil dehnte sich imemr weiter nach unten. In seiner Vorstellung musste Dumak schon bald mitten im Burghof schweben und diese ganzen Erzschmuggler dort unten mussten ihn doch sehen. Eben noch saßen sie an ihren Feuern und erzählten sich die Taschen mit irgendwelchen Abenteuermärchen voll und plötzlich spazierte da ein Seiltänzer zwischen ihnen ...
Wenn Gor Na Jan doch nur das vermaledeite Seil ordentlich straffen würde.
Aber Moment mal! Genau das tat er ja. Und es ging wieder bergauf. Das Seil, dessen untersten Punkt immer die Stelle bildete, die sein Fuß berührte, stieg vor ihm an. Dumak fühlte neue Zuversicht.
Doch mit jedem Schritt wurde der Anstieg steiler, denn das noch zu überwindende Seilstück wurde kürzer. Doch Dumak setzte weiter in ruhigem Rhythmus Fuß vor Fuß und gelangte schlussendlich am Dach des Feuermagiertempels an. Und niemand rief aus dem Burghof: »Ey, schaut mal, was ist das denn?«, oder irgendetwas in der Art. Es flogen ihm auch keine Pfeile um die Ohren.
Jetzt, wo er auf dem Tempeldach angekommen war, konnte er sich endlich umschauen und sah den Burghof noch immer ruhig vor sich, die Männer und Frauen dort unten saßen wie vordem um ihre Feuer und ahnten nichts.
»Na dann wollen wir mal sehen ...«
Er verstaute den langen Stab am Türmchen, indem er ihn in eine Lücke klemmte und machte sich dann auf die Suche nach ein paar lockeren Dachziegeln. Das war nicht schwer, die Gebäude der Burg hatte schon lange keiner mehr gepflegt. Bald hatte er eine geeignete Stelle gefunden, lugte hindurch und stellte fest, dass der Tempel völlig unbewhnt war. Niemand hielt sich dort drin auf. Umso besser.
Schnell war er durch den Dachstuhl geschlüpft und baumelte an einem Balken. Ehe er sich fallen ließ, überzeugte sich der Barde, dass es auch eine Möglichkeit gab, wieder hier hoch zu gelangen. Schließlich konnte er nicht einfach am Ende aus dem Tor spazieren und »Hallo Leute, allgemeine Tempelkontrolle. Bevollmächtigter des Ordens. Hier muss wirklich mal wieder durchgefegt werden, das ist so keine Zier für Innos. Das wird der Ordensleitung in Vengard aber gar nicht gefallen«, sagen.
Der Überraschungsmoment würde ungefähr einen Lidschlag lang halten.
Schlechte Idee.
Er erspähte ein paar alte Schränke, Bretter, aufgerissene Dielen ... Ja, damit ließ sich arbeiten. Und schon ließ er los und landete sechs Fuß weiter unten auf der oberen Ebene des alten Feuermagiertempels.
Hier oben hatten Corristo, Damarok, Rodrigues und Konsorten also ihre Zeit verbracht, wärend sie in der Barriere fest saßen.
Dumak schaute sich um. Na gut, sie mochten damals noch eine kleine Bibliothek gehabt haben, um sich die Zeit zu vertreiben. Aber irgendwann kannte man auch das letzte Buch auswendig. Es war schon ein ziemlich stumpfes Leben in der Barriere ... sicher auch für Feuermagier. Wahrscheinlich meditierten sie damals die meiste Zeit ganz kontemplativ und beschäftigten sich den restlichen Tag damit, über die göttliche Natur Innos' nachzudenken.
Natürlich war nichts übrig von der Einrichtung, die hier einst den Tempel füllte. Selbst der Fußboden war aufgerissen worden auf der Suche nach irgendwelchen Schätzen. Mussten wohl Anfänger gewesen sein.
Aber im Bereich des Pentagramms war er noch intakt. Vor der Beschädigung dieses alten magischen Symbols hatten sie wohl zu viel Ehrfurcht.
Dumak holte die Tasche von seiner Schulter und packte aus.
»So, wie war das nochmal?«, murmelte er leise zu sich selbst.
»Erst mit diesem Ding hier rumwedeln ... Achja, diese Linse hier einsetzen. Jetzt gehts ...«
Er hielt den Arcanographen vor sich und änderte die Richtung. Dann schaute er, wie von Esteban bruchstückhaft erklärt, hindurch und erkannte einen Regenbogen, veränderte die Richtung weiter und plötzlich ...
»Aaaah ... DAS ist also die Farbe der Magie. Tja, wenn es ein Wort dafür geben würde, könnte ich sie ja beschreiben, aber so ...«
Hier musste also das Dreibein hin, das Magodings. Gesagt, getan.
Er dengelte alle Einzelteile zusammen, passte auf, die angeblich so teure, besondere Linse darin nicht zu beschädigen und schraubte ein wenig an den Skalen umher und irgendwann leuchtete etwas auf, was sich bei weiterer Fummelei als verschiedene senkrecht laufende Lichtbänder entpuppte. War es Licht? War es Magie? Dumak fand es so oder so merkwürdig. Was Magier so trieben, wenn sie mal nicht kontemplativ meditierten ... Vielleicht sollte er Esteban mal vorschlagen, es damit zu probieren, anstatt mit abstrusen Gerätschaften durch die Welt zu reisen.
Nach weiterem Herumgedrehe an verschiedenen, offensichtlich zum Drehen gedachten Teilen nahm alles durch die Obsidianlinse eine noch prachtvollere Form an. Die Strahlen wurden schärfer und verloren ihren Hof. Das musste es sein. Dumak drehte noch etwas weiter, bis es nicht mehr schärfer wurde.
»Sengk, Yachot, Subbutal, Sengk, Sengk«, las er dann ab.
Seine neuen Lesefähigkeiten waren ihm noch immer sehr suspekt.
»Was auch immer das bedeutet«, zuckte er mit den Schultern.
»So: Einpacken, und weg hier.«
Im Erdgeschoss, wo sich einst die magischen Labore befunden hatten, gab es sicher auch nichts anderes als vergangene Verwüstungen zu sehen.
Deshalb vertrödelte Dumak auch keine weitere Zeit. Schnell waren alle Gerätschaften zusammengesammelt und verstaut, ein hoher Schrank unter das Loch im Dach geschoben und mit ein paar Brettern eine Treppe improvisiert, um an dessen Spitze und von dort wieder in den Dachstuhl zu gelangen. Auf dem Dach klaubte er den Stock wieder auf und begab sich über das Seil auf die Rückreise.
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Der Templer nahm einen letzten Bissen von seinem Apfel. Es war nicht die allerbeste Energiequelle, aber wenn er das Seil noch für den Rückweg halten musste, so wollte er nicht, dass ihm die Arme versagten. Locker schüttelte er die Muskulatur aus und genoss die Pause, bevor Dumak wieder in der Finsternis erschien. Eigentlich fühlte er es mehr, als der Barde an der anderen Seite zog, denn zu erkennen war in der Finsternis nun wirklich nicht viel.
So machte Dumak sich auf den Rückweg und Gor Na Jan hielt stramm dagegen. Inzwischen hatte er ein gewisses Gefühl dafür bekommen, wie der Körper des Barden mit dem Seil interagierte, so dass der Rückweg deutlich leichter für diesen sein musste als der Hinweg.
Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als einer der Dachziegel und dem Templer, der dazu noch das Gewicht eines Barden mitstemmte, nachgab. Mit einem Knacken brach der einstige Zweihandmeister ein und verlor für einen kurzen Moment den Halt. Kriegerischen Reflexen sei Dank verlagerte er seine Haltung rasch auf das andere Bein, zog den Fuß aus dem Bruch und platzierte ihn an einer anderen Stelle. Das Seil hielt er verbissen umklammert und warf sich dagegen.
Zwar war es ihm nicht entglitten, aber der spontane Ruck setzte sich durch die gesamte Länge fort und erreichte auch Dumak. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt Jan das Seil so ruhig er konnte und versuchte gegen die Vibration zu arbeiten, doch der Barde geriet sichtlich ins Straucheln. Der Templer hielt den Atem an und für einen quälend langen Moment schien es am seidenen Faden zu hängen, ob der Spielmann wieder ins Gleichgewicht kam oder in den Innenhof stürzte. Mit fatalen Konsequenzen.
Dann jedoch beruhigte sich das Seil und auch Dumak und einen Moment später setzte der Barde sich wieder in Bewegung. Sein Fluchen, obwohl weder hör- noch sichtbar, glaubte der Hüne noch durch die Vibration des Seils zu spüren. Das würde was geben, wenn er die andere Seite erreichte... Falls. Falls war gut.
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In einem gemächlichen Tempo führte Konstantin den Roten Hasen den Hang hinauf. Françoise lief neben ihm und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Je weiter sie in die Berge vorstießen, desto dichter war das Unterholz am Wegesrand. Das war das Erstaunliche: es existierte immer noch ein brauchbarer Pfad, der sich gen Westen schlängelte. Es war Françoise ein Rätsel, was die Natur davon abhielt, ihn völlig zu überwuchern. Aus der Stadt kam außer ihnen niemand in diese Richtung, denn den Karten zufolge führte der Weg in eine Sackgasse. Zumal die Stadtbewohner die Gegend ohnehin mieden. Was hielt ihn also frei? Magie? Möglich, aber zweifelhaft. Gab es tatsächlich jemanden im alten Dämonenbeschwörerturm, dann verschwendete er seine Kräfte gewiss nicht mit solch einem Unfug. Was der Grund auch sein mochte, hatte vermutlich keine Bedeutung.
Schließlich gelangten Françoise und Konstantin zu einem enormen Felsbogen. Fast hatte die Priesterin das Gefühl, als würden sie durch ein Portal in eine andere Welt eintreten. Denn die Luft kühlte rapide ab und das satte Grün, was sie bisher umgeben hatte, verlor seine Farbe.
»Eine Stimmung, wie auf einem Friedhof.«, kommentierte der Drache. Françoise nickte nur gedankenverloren. Diese Veränderung der Umgebung besaß keinen natürlichen Ursprung. Eine unbekannte Macht hatte das Leben regelrecht aus ihr heraus gesogen.
»Wir müssen auf der Hut sein.«, sagte Françoise schließlich. »Die Sache schmeckt mir nicht.«
Nicht viel später erblickten sie über den Baumwipfeln die Spitze eines schwarzen Turms. Ein martialisch anmutendes Bauwerk, gespickt mit einer Vielzahl von steinernen Dornen. Genau was sich ein unbescholtener Bürger unter dem Begriff Turm des Dämonenbeschwörers vorstellen würde. Von tanzenden Lichtern und markerschütternden Schreien fehlte allerdings jede Spur.
Als hätten sie sich abgesprochen blieben Françoise, Konstantin und das Pferd abrupt stehen. Ein Wasserfall rauschte in ihrer Nähe. Doch das war nicht, was sie zum Halten gebracht hatte. Unter dem Dröhnen des Wassers drang ein weiteres Geräusch zu ihnen herüber. Ein Knirschen und Knarzen von blanken Knochen, die aneinander rieben. Dass sie es sogar über das Getöse des Wasserfalls hören konnten, verhieß nichts gutes.
Konstantin löste die schwere Hellebarde vom Sattel des Roten Hasens und schickte das Tier dann weiter bergab. Zu zweit schlichen sie sich dann Stück für Stück näher an den Turm heran. Das Knirschen und Knarzen wurde indes immer lauter, bis es schließlich sogar den Wasserfall übertönte. Mit aller gebotenen Vorsicht lugte Françoise hinter einem Busch hervor.
Vor dem Turm hatte sich eine ganze Horde von Untoten versammelt. Zombies und Skelette wohin das Auge reichte. Sie schienen den Eingang zum Turm nicht zu bewachen, sondern vielmehr sich zufällig davor zusammengerottet zu haben. Natürlich wusste die Oberste Feuermagierin, dass diese Anhäufung ganz gewiss kein Zufall war. Jemand hatte die Kreaturen beschworen und sie sich dann selbst überlassen. Ohne direkte Kontrolle durch einen Meister blieben die Untoten einfach dort stehen, wo sie beschworen worden waren. Françoise drängte sich die Frage auf, ob das Skelett, welches sie auf Lobarts Hof angegriffen hatte, ursprünglich auch zu dieser Horde gehörte. Denkbar war es. Einige der Untoten liefen hin und wieder scheinbar ziellos ein paar Schritte herum, bevor sie abermals stehen blieben. Mit genügend Zeit hätte einer auf diese Weise bestimmt den Weg bis zum Hof schaffen können.
»Ich will in den Turm.«, flüsterte die Priesterin ihrem Weggefährten zu. Konstantin nickte ohne einen Moment zu zögern. Ein furchtloser Krieger durch und durch.
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Südlich vor der Stadt
Vorsichtig hatte Redlef Jaques Hand genommen und seinen Daumen untersucht. Seinen Erzählungen und seinen eigenen Erfahrungen nach (die er Schwerpunktmäßig mit Tieren gesammelt hatte) war nichts gebrochen. Auch blutete der Finger nicht, sodass er Jaques eine kühlende Salbe aus Rosmarinöl, Arnikaextrakt, Kampfer und Beinwell behutsam aufstrich und einen festen Verband anlegte. Jaques sollte den Daumen schonen und ihn umgehend ansprechen, sollte er sich verschlimmern.
»Was, bitte, wird das denn?« Redlef hatte Bardasch Handeln beim Heraustreten aus dem Stall beobachtet und sah sich sofort in all seinen Befürchtungen bestätigt. Der Lump hatte vielleicht einmal ein Pferd besessen: doch das bemitleidenswerte Wesen hatte vermulich vor Schmerzen kaum gearde aus sehen können: Satteldruck, offene Wunden in der Sattellage, Reude und die Haut von juckenden Ekzemen und aufgebrochenen Eiterpusteln durchzogen.
Wütend griff er eine Bürste und fuhr, für einen Krüppel erstanlich schnell, zwischen Bardasch und Morgenglanz. Das goldene Pferd mit der blonden Mähne zuckte erschrocken zusammen und tänzelte einen Schritt zur Seite. Redlefs Aufmerksamkeit, sowie sein finsterer Blick waren gänzlich auf den Grauen gerichtet.
»Niemand, und wenn es König Rhobar persönlich wäre, legt einen Sattel auf einen ungeputzten Pferderücken in meiner Gegewart!« Zur Bestätigung hob Sir Eric ironisch lächelnd in Redlefs Rücken seine Bürste und strich mir ein paar schnellen Zügen über das Fell seines Pferdes, nur um dann selbst nach der Decke zu greifen.
Redlef setzte seine Zurechtweisung fort: »Auch im Gefechtsfall darf nichts unter dem Sattel scheuern. Dieses Tier wird Euch im Zweifel unter Schmerzen bis auf Beliars Tellerrand tragen, also sollte es das Mindeste sein, dass sich jeder Reiter vollumfänglich für das Wohl seines Pferdes einsetzt – immer! Diese Pferde beklagen sich nie, also werde ich das Wort für sie ergreifen!« Er drückte Bardasch die Bürste in die Hand und beaobachtete mit Alderaugen, dass die Arbeit zu seiner vollsten Zufiredenheit aufgeführt wurde.
Dadurch verzögerte sich der Aufbruch der kleinen Gruppe und zuletzt hatten auch Bardasch und Redlef die Pferde gesattelt. Kurzentschlossen hatte Redlef Marodeur Jaques zugewiesen, da er ihn in dieser Situation für einfacher händelbar hielt. Er selbst wollte Rittmeister ins Gelände reiten. Es versprach ein windiger Tag zu werden und der Braune tänzelte jetzt schon über den Hof, da er spürte, dass es dieses Mal nicht auf den eingezäunten Platz gehen sollte, sondern nach draußen.
Sir Eric und sein Knappe stiegen zuerst über einen Bock am Tor ihres kleines Pferdehofes auf. Währenddessen versuchte Möhre verbogenen Leckereien in Jaques Wams zu finden. Mit seinem mächtigen Schädel warf er ihn dabei beinahe um. »Lass ihm das nicht durchgehen! Er soll nicht betteln, während du ihn führst!«, wies Redlef den jungen Mann an und schickte den braunen Wallach an seiner Hand streng einige Schritte zurück, da der Esel das Loskommen kaum noch erwarten konnte. Nur der alte Morgenglanz stand gelangweilt neben Bardasch und wirkte eher die wohlige Wärme des Stalls vermissend als in freudiger Erwartung auf einen ausgedehnten Ritt.
Eric und Anselm ritten voraus, ihnen folgte erst Jaques und anschließend Bardasch, den Schluss bildete Redlef, der die Truppe so am besten im Blick behalten konnte.
»Also los, Richtung Süden. Wir werden uns dort bei den Höfen etwas umsehen.«
Kaum hatten sie die kleine Brücke am südlichen Tor überritten, spürte die Truppe den steifen Seewind. Die Pferde wurden davon angestachelt. Sie schritten viel freudiger voran, als auf dem kleinen Trainingsplatz üblich war.
Unwillkürlich schlich sich ein entspanntes Lächeln auf Redlefs Gesicht. Er genoss wie Briese in seine Haare griff, das feurige Pferd unterm Sattel und dass die Sonne seine Haut wärmte. Für einen Moment gab er sich der Sorglosigkeit hin, vergaß das schlimme Bein und lachte leise, als Rittmeister übereifrig antrabte, um zu Bardasch mit Morgenglanz aufzuschließen.
»Der Wind macht die Pferde flott!«, stellte Eric von vorn fest. »Ja«, reif Redlef zurück. Pass auf, dass dich der Schimmel nicht absetzt, alter Mann!«
»Sicherleich hast du ihm gestern eine extra große Portion Hafer gegeben, oder wie? Der Gaul ist kaum zu halten. Hattest wohl schiss, dass ich dich mit `nem ordentlichen Ross alt aussehen lasse, was? Red, schlottern dir die Knie bei dem Gedanken? Ach ne… das Knie?«
»Sogar mit zwei steifen Knien und rückwärts auf ein Maultier gebunden, könntest du mich nicht alt aussehen lassen, Eric!«
Der Ritter machte eine abwinkende Handbewegung und beschloss, dass es Zeit für einen kleinen Trab war. Die Gruppe legte an Tempo zu und drang weiter in das von teils verwilderten Feldern und jungen Baumgruppen geprägte Land vor. Es war auch für den Laien zu erkennen, dass diese Böden schon lange nicht mehr in allen Bereichen effektiv bewirtschaftet wurden. Hier und da trugen kleine Felder noch grünes Korn oder andere Feldfrüchte. In einiger Entfernen hüteten zwei Kinder einige Ziegen und ein dickes Schwein am Rande eines kleinen Hains. So wirkte die Landschaft idyllisch und beinahe etwas vergessen. Doch wenn man gleichzeitig die hungernde Stadtbevölkerung bedachte, dann war es eine Schande. Mit so wenig Ernte, wie sie sich hier abzeichnete, würde es ein harter Winter werden.
Sein Blick fiel auf Bardasch. Ob er wohl schon einen Winter hier erlebt hatte?
»Geht es? Erinnert Ihr Euch an den Schwung eines Pferdes?« Die gut gelaunten Tiere waren in einen kräftigen Mitteltrab gefallen, und es benötigte schon einiges an Gewöhnung und Ausdauer die kräftigen Bewegungen auszusitzen. Barasch stellte sich nur halb so schlecht an, wie Redlef es erwartet hatte. Vielleicht taugte er doch etwas?
»Eric, Durchparieren!« wies Red sie Spitze an. Nun im gemächlicheren Tempo würde ein Gespräch sicherlich einfacher fallen. Außerdem lag ein kleiner Wald vor Ihnen, durch den Redlef nur ungern hindurchstürmen wollte. Zwar hatte man ihm die letzten Wochen immer wieder berichtet, dass es in den Feldern ruhig sein sollte, doch waren auch einzelne Unbekannte, vermutlich Banditen gesichtet worden. Da hieß es besser Vorsicht walten lassen.
»Der Zustand dieser Ländereien ist beschissen!«, stellte er fest, als sie in das Dunkel unter dem Blätterdach eintauchten. »Was wisst ihr? Wo sind die Bauern hin? Warum verfällt hier alles. Ein paar Banditen können doch nicht allein der Grund für eine solche Verwahrlosung sein?« Sein Blick verfinsterte sich: »Orks?«
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