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»Ach, das eben meinst du?«
Er zuckte wie beiläufig mit den Schultern und tat so, als haben Nereas vielsagender Blick und ihre unausgesprochene Drohungen ihn nicht bis ins Mark erschrocken.
»Das war doch gar nichts. Ein echter Waldläufer lässt sich doch von deiner Oma nicht einschüchtern.«
Mit der Faust schlug er sich einmal gegen die Brust. Für alle Außenstehenden schien es zur Bestärkung seiner eben gesprochenen Worte zu sein. Er selbst aber wusste, das es ausschließlich dazu diente, sein galoppierendes Herz zur Ruhe zu zwingen.
Er würde sein Essen die nächsten Tage ganz genau kontrollieren. Den Rest seines Daseins als verzauberte Kröte zu fristen erschien ihm wenig angenehm.
»Und danke dir, meine Liebe.«
Er lächelte Zarra verlegen an.
»Dass du mich vor deiner Oma beschützt hast, meine ich. Das ist nicht selbstverständlich.«, erklärte er nicht ganz ohne Bewunderung in seinem Blick. Sich Nerea Rimbe entgegenzustellen war etwas, das die wenigsten des Waldvolkes freiwillig tun würden. Sich aber der eigenen Oma zu widersetzen - und das auch noch in der Form wie Zarra das getan hatte - war beeindruckend. Und niemals hätte Griffin gedacht, dass das kleine, schüchterne, weißhaarige Mädchen, das er mit Ryu und Freiya einst aus den tausend gierig grabbelnden Beinchen eines vielbeinigen Unholds gerettet hatte, genau das tun würde.
Schweigend legte er ihr die Hand auf den Kopf und wuschelte vorsichtig durch ihr Haar. Es war ein schmaler Grat zwischen einem freundlichen Kopfstreicheln und der vollständigen Zerstörung einer Frisur.
»Ist es wirklich so lange her, seit du den Sumpf verlassen hast?«, fragte er neugierig.
Aufmerksam betrachtete er die Gesichtszüge der jungen Frau. Statt ihm zu antworten wanderte ihr Blick in die Ferne und es schien so, als suche sie die Antwort auf diese Frage zwischen den Stämmen und über den Wipfeln der in der Ferne aufragenden Bäume. Schließlich nickte sie niedergeschlagen.
»Oma sagt, es sei zu gefährlich.«, murmelte sie halblaut und rieb sich ihren Oberarm.
Der ehemalige Hüter machte einen großen Schritt und blieb vor ihr stehen. Herausfordernd funkelte er sie an.
»Willst du?«
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Zarra zog die Schultern hoch und blickte mit zusammengepressten Lippen in den Wald hinein. Wollte sie? Wollte sie wirklich? Die Anspannung in ihrem Körper stieg, drohte gar sie zu zerreißen, bis sie alles mit einem tiefen Seufzer ausstieß.
„Ich weiß nicht. Was, wenn sie Recht hat? Oma, meine ich“, beantwortete sie Griffins Frage mit einer Gegenfrage, „Das Gebiet um Tooshoo grenzt an jeder Seite an gefährliche Gegenenden, wildes Land. Der Orkwald, wo der brutale Stamm lebt. Das Weißaugengebirge, wo es noch Echsenmenschen geben soll und solche Monster wie du und die anderen es beim Thing gezeigt haben. Der Dschungel im Osten, wo sich nur die erfahrensten Jagdkommandos hinwagen und ansonsten gibt es nur das Meer. Wer weiß, was sich in dessen Tiefen herumtreibt?“
Der Sumpf selbst war auch alle andere als ungefährlich, doch hier kam sie damit zurecht. Hatte größtenteils gelernt, welche Gegenden sie meiden sollte und wo es trotzdem die besten Pflanzen gab. Blutfliegen waren an ihren üblichen Sammelplätzen die gefährlichsten Tiere und für solche Fälle hatte sie meist etwas Minze oder Lavendel dabei. Der frische Geruch war diesen Insekten zuwider.
„Ich glaube, dass ich wirklich erst wieder zu Maris gehen sollte, damit ich besser verstehe, was es mit der Magie auf sich hat. Vielleicht klappt es ja dieses Mal besser und ich scheitere nicht schon an einer Molerat“, scherzte sie, konnte jedoch nicht verhindern, dass ein wenig Bitterkeit mitschwang.
Bei Insekten klappte es gut, doch andere Tiere? Vielleicht war sie doch nicht dafür geeignet Magie zu wirken oder gar ihre Sippe wiederaufleben zu lassen. Immerhin endete diese Aufgabe nicht mit dem Ergründen der mystischen Kräfte, sondern sie würde Kinder bekommen müssen und…
Rot wie eine Tomate lief sie an, als sie diesen Gedanken abrupt unterbrach.
Nein, das kann ich nicht!, dachte sie vehement und schüttelte zur Bekräftigung des Gedankens den Kopf, was Griffin einen fragenden Blick abrang.
„Tut mir leid, blöder Gedanke, der mich grade quält“, versuchte sie abzulenken, „Ich war zuletzt außerhalb des Sumpfgebiets, als wir Schwarzwasser verlassen mussten. Das ist über zehn Jahre her und die Zeit im Fort im Bluttal war alles andere, als toll“, erzählte sie, „Ich hab mich fast die ganze Zeit in unserer Unterkunft aufgehalten und mich geweigert nach draußen zu gehen.“
Toll Zarra, so führt man ein fröhliches Gespräch!, tadelte sie sich selbst, ehe sie versuchte zu retten, was zu retten war.
„Wohin wollen wir heute gehen?“
Sie drehte sich beim Laufen um, verschlang die Finger hinter ihrem Rücken und lief rückwärts weiter, während sie Griffin mit einem Lächeln ansah.
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Richtung Osten -> Affenkopffels
Die Zeit bis zum Aufbruch war verflogen in betriebsamer Vorbereitung auf die Reise. Sei es das Vervollständigen der Ausrüstung, von Seilen, Nägeln und ein Hammer zum Erklimmen von Klippen, Ersatzsehnen für den Bogen, Pfeilspitzen, Federn, einem Kürschnermesser zum Bearbeiten von Beute, sei es zum Heraustrennen von Fleisch oder dem Herausbrechen von Krallen, Klauen und Zähnen. Auch das Abziehen von Fellen und Pelzen wäre damit möglich und für Kiyan eine Selbstverständlichkeit, würde doch ein Großteil ihrer Währung auf Reisen im Tausch von ebensolchen Dingen gegen andere, nötige Sachen erforderlich sein.
Ein Wetzstein für das Wächterschwert, einen schlichten, hölzernen Becher sowie einen tiefen Teller aus dem gleichen Material, um die Speisen auf der Reise nicht aus der hohlen Hand futtern zu müssen. Ein in ein Wachstuch eingeschlagenes Notizbuch, welches ihn wirklich einiges an Goldmünzen gekostet hatte, sowie einige Kohlestifte zum Schreiben. Sei’s für ein Tagebuch oder um sich wichtige Notizen über Orte, Lektionen oder Leute zu machen.
Von größter Wichtigkeit war ein zweites Paar der Jägerstiefel gewesen, die er bereits sein Eigen nannte. Von den Jahren auf Expeditionen hatte der Gortharer gelernt, immer ein einmarschiertes Ersatzpaar zu haben. Warum bereits eingelaufen? Weil es nichts Schlimmeres geben würde, als vor etwas oder jemandem in Stiefeln flüchten zu müssen, die sich noch nicht den Füßen angepasst hatten. Blasen würde sich der Jäger so oder so laufen, aber sofern er schmerzende Sohlen vermeiden konnte, tat er dies auch.
Auch an anderen Stellen der Klamottenfront hatte Kiyan wohlwissend Ersatz eingepackt. Hosen, Unterhosen, Hemden. Utensilien zum Rasieren, da er genau wusste, dass sein Auftreten als Waldschrat abschreckend wirken würde … nur nicht für allerlei Käfer und Läuse, die sich liebend gerne in dem blonden Bart einnisten würden. Auch hatte er einige Stofflappen mitgenommen, die man an einem Fluss auswaschen konnte. Zum einen zur morgendlichen Körperhygiene – auch das war im Wald und auf Reisen möglich und wichtig! – und um bei einer Notdurft nicht auf Blätter oder andere Gaben der Natur zurückgreifen zu müssen. So sehr er Teil des Waldvolkes war, die Gemeinschaft und ihre Werte schätzte … am Ende war er im Herzen noch immer ein Sohn des fortschrittlichen Herzogtums Gorthar und kein zugewachsener Einsiedler aus dem Nirgendwo von Myrtana.
So ausgerüstet hatte Kiyan dann Onyx getroffen und mit einer kargen Speise die Wartezeit bis zum Eintreffen Turyas. Der torgaanische Waldläufer hatte sich auf seine Art ordentlich herausgeputzt und machte in seiner neuen Ausrüstung einiges her, hochwertig und mit verschiedenen Komponenten, die auf ihre Weise seiner Beweglichkeit und seinem Schutz zugutekamen. Einzig der Umhang wirkte fast schon spartanisch.
Schön, dass der sich neu eingekleidet hat. War er als Bandit auch so unterwegs? Ausstaffiert und mit neuen Kleidern bestückt, um zu zeigen, dass man gerade erst geraubt hatte? Kiyan ertränkte das abfällige Grinsen in einem Schluck aus seiner ledernen, leicht bauchigen Wasserflasche. Unauffällig ist das auf seine Art jedenfalls nicht, wenn zwei Mitglieder der Gruppe eher eingetragene Rüstungen tragen und der Torgaaner aussieht, wie frisch aus der Rüstkammer …
Aber nun, am Ende würde der Waldläufer wissen, was er da tat. Kiyan würde ihn nicht darauf hinweisen. Vielleicht war das auch Teil irgendeiner Masche, was wusste er da schon drüber.
Nachdem sie also den Sitz ihrer Ausrüstung kontrolliert hatten, machten sie sich auf den Weg. Onyx führte sie durch mehrere Meilen Sumpf, erst über Stege und relativ befestigte Wege, dann in den morastigen Urwald Tooshoos. Irgendwann ragte vor ihnen eine Felsspitze aus den Mangroven und Sumpfbäumen, die breit genug schien, dass man oben lagern konnte. Als sie den Fuß erreicht hatten, der ebenfalls Spuren von auf- und abgebauten Lagern zeigte, sah Turya hinauf, verzog das Gesicht und seufzte.
Sie legte ihr Gepäck ab, ebenso wie ihre beiden Begleiter. Ein kokettes Grinsen in Richtung Kiyan.
„Na, mein Hübscher, möchtest du hochklettern? So habe ich Zeit, mir deine Kehrseite eingehend anzuschauen.“, sprach sie und lächelte wölfisch. Kiyan, der die lasziven Marotten der Frau zur Genüge kannte, lächelte schief zurück.
„So viel wirst du davon dann nicht mehr zu sehen bekommen, Turya“, erwiderte er und deutete nach oben, „da ich wahrscheinlich ab der Hälfte zu Boden stürze. Dann war’s das mit dem Gaffen.“
Sie warf in gespieltem Frust die Hände in die Luft. „Nichts gönnst du einem, Kiyan, wirklich“, sie schüttelte tadelnd den Kopf, „Irgendwann bekomme ich dich noch dazu, dass zu machen, was ich möchte.“ Sie grinste verhängnisvoll. „Spätestens auf dem Festland.“
Ehe er antworten konnte, sprang Turya wie ein Panther an die Felswand, griff sich zwei Kanten und begann geschickt wie ein Affe hinaufzuklettern. Onyx nickte zufrieden und Kiyan – in der Hoffnung, der Begleiter würde ihn nicht eingehend beobachten – genoss die Augenblicke, die es dauerte, um die Kehrseite der Waldläuferin zu studieren.
Es dauerte nicht lange, dass die Waldläuferin ein Seil hinterwarf und sie zuerst die Ausrüstung hinaufschafften. Danach folgte Kiyan, dann Onyx. Oben wurde ein einfaches Lager aufgeschlagen, die hiesigen Vorräte gesichtet und in bester Manier des Waldvolkes daran bedient, aber auch wieder aufgestockt, was sie hierlassen konnten.
In der Ferne, als die Sonne unterging, blickte Kiyan über die Bäume zum Meer hin, nach Osten. Irgendwo dort in der Ferne lag seine Heimat. Seine verlorene Heimat. Würde er dorthin zurückkehren? Rache üben? Unrecht vergelten?
Hinter ihm lachte der Verbrannte heiser und verneinte alle Fragen. Kiyans Blick ging zu den Klippen, der Gegend, die Schwarze Schluchten hießen. Irgendwo da meinte er ein Gebäude auszumachen, am Rande einer Klippe, die so schwarz wie Beliars Reich selbst war. Ein Krähen aus dieser Richtung. Kor’ha kreiste um die Spitze, ließ sich auf Kiyans Schulter nieder und ihre Rückkehr nach mehreren Tagen wurde mit einer kurzen Streicheleinheit und einem Streifen Trockenfleisch belohnt.
„Mal sehen was diese Reise uns noch bringt, meine Schöne“, flüsterte er der Rabin zu und beobachtete weiter die Schwarzen Schluchten und das, was sie beinhalten mochten.
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Schmiede von Tooshoo
Ryu nickte. „Aye. Ab ins Feuer mit dem guten Stück.“ Und wie beschworen, schob der Hüter den Stahl wieder in die schier nicht zu bändigen Hitze welche den Raum, gefühlt, zum Glühen brachte. Die Arme verschränkt neigte er einige Male das Haupt hin und her, nickte dann jedoch nach einem kurzen Schnuppern zufrieden. Das Eisen-Sumpfkraut-Verhältnis schien gelungen und die beiden hatten noch einen Augenblick, durchzuschnaufen. Einige Gedanken gingen dem Templer dabei durch den Kopf, als er sah, wie die letzten Fetzen des geschwärzten Krautes vergingen und in feinen, zerfallenden Flocken nach oben zum Rand der Esse trieben. Doch kein einziger Krümel, so tapfer sie auch waren, schaffte es. Sie alle vergingen, um etwas Neues zu schaffen. Etwas Starkes, das den Lebenszyklus eines einfachen Halmes aus den Sümpfen lange überdauern würde. Wieder dachte der Templer an das Gespräch mit Godo vor langer Zeit.
„Schon komisch“, begann er und schloss die Augen, fast schon mit der Schwere eines gewissen Ausdrucks von Nostalgie und Fernweh. Er spürte den Blick der tiefgrünen Augen seiner Gehilfin die sich ein wenig Luft mit den dicken Handschuhen zu fächerte. „Ist was schiefgelaufen?“
„Nein.“ Ryu schüttelte den Kopf und öffnete die Augen leicht, unsicher darüber wie er in Worte fassen konnte, was ihn gerade beschäftigte. Dann, nachdem er die heiße Oberfläche jener Handschuhe auf seinem Oberarm gespürt hatte, blickte er ganz zu Freiya. Es war wieder einer dieser kurzen Momente des Gebannt seins, als der Wyvern keine Möglichkeit fand, sich von der sprudelnden Quelle ihres Wissensdurstes zu verstecken. „Wir sollten etwas trinken. Drüben stehen ein Fass und ein paar Krüge.“
Worte, die beide begleiteten, als die rote Snapperin dem aussprechenden Hüter folgte. Nach dieser kurzen Erfrischung, den Tonkrug noch in Händen, lehnte er ruhig gegen das Geländer der Plattform und schaute gen Himmel. „Ein Krug Kirschsaft für deine Gedanken, großer Meisterschmied.“ Freiya erntete ein sanftes Lächeln des Schmiedes, welcher seinerseits noch einmal sachte den Kopf schüttelte. „Bitte. Keine falschen Titel. Das Erz, du weißt schon …“
Freiya schmunzelte hingegen nur, trank noch einen Schluck und neigte dann den Kopf etwas hin und her, während sie ihn beäugte. Da war sie wieder, die freche, fast schon hypnotische Strähne, die ungefragt über ihr Gesicht tänzelte. „Jaja. Das sagtest du bereits. Also, warum die Falten auf der Stirn?“
„Das Kraut.“
„Jaaa?“
„Es … ist uns ziemlich ähnlich. Nein, hör erstmal zur bevor du lachst: von Geburt an wächst es und versucht sich immer weiter zu strecken. Stärker zu werden und dem Leben standzuhalten, wie es auch fallen mag. Es wächst. Gedeiht. Geht ein und kommt wieder. Und am Ende nehmen wir es, seine Essenz und fertigen daraus etwas, dass jede Lebensdauer so eines Halmes überdauert. Und trotzdem, selbst wenn es alles verloren hat, strecken sich die letzten Reste weiter nach oben, um dem Himmel näher zu sein … auch wenn sie vielleicht sogar spüren, dass es sinnlos ist. Aber was verbleibt ist ihre Kraft, die den Stahl so … einzigartig macht. Ein Opfer aus dem heraus ein Beschützer oder Zerstörer heraus geboren wird. Der wiederum nichts von seinem Schicksal weiß, bis jene Hand ihn ergreift und es bestimmt. Ich glaube … dieses Bewusstsein ist nur wenigen Schmieden gegeben. Dass selbst der kleinste Halm Wände einreißen und Königreiche zu stürzen vermag, wenn man ihn nur richtig einsetzt. Manchmal frage ich mich, ob das nur weitgegriffene Spinnereien oder die versteckten Wahrheiten hinter unseren Handlungen sind …“
Ein kühler Wind zog vom Meer heran und erfüllte die offene Schmiede für einen Augenblick mit einer angenehmen Frische. Ein immer willkommener Genuss für die dort arbeitenden Handwerker. Und so war es nicht anders für den Hayabusa, der jener sanften Berührung mit einem Lächeln entgegenblickte. Vielleicht ein kleiner Wink, den Stahl nicht sich selbst zu überlassen. „Gut. Lass uns nach dem Stahl schauen.“
Ryu wandte sich ab, nickte in Richtung der Esse und nahm die, über seine Worte wohl nachgrübelnde Freiya wieder mit. „Sieht gut aus. Das Glühen ist genau richtig für die erste Form. Jetzt kommt der spaßige Teil: das erste Formen des Kerns.“
„Also wird es mehr so ein Kugelkopf oder so eine Stabkopf?“
„Zylinderförmiger Kopf.“
„Bitte?“
„Zylinderförmig nennt man diese Stabköpfe.“
„Ah, ja, dann das!“
Der Schmied klopfte mit der Unterseite der Zange zwei Mal gegen den Rand der Esse, um das Werkstück ein wenig von Kohle und Funken zu befreien, dann führte er es über den Amboss und griff sich den Hammer. „Finden wir’s raus. Wenn du genau zuhörst, verrät dir der Stahl vielleicht, was er sein will.“
„Du … lässt dir also verraten, vom Stahl, was er sein will?“ Er kam nicht umher, zu grinsen beim Anblick ihrer angehobenen Brauen. „Vermutlich hab‘ ich schon einmal davon erzählt, aber manche Handwerker, unsere schüchterne Bognerin gehört übrigens dazu, reden mit ihren Werkstücken. Könnte mir vorstellen, dass sie deinem Bogen beim Feilen etwas vorgesungen hat.“
„Und du? Wirst du Onyx Keule etwas vorsingen?“
„Ich soll … warte, war das ein Schmuddelwitz, rote Snapperin!?“
„Der Stahl kühlt ab!“ Sie hatte recht. Dennoch blieb noch genug Zeit ihr einen skeptischen, misstrauischen Blick zuzuwerfen, den er jedoch nicht ohne ein kurzes Grinsen halten konnte. "Vielleicht sollte ich dir ja mal was vorsingen."
Dann griff er sich den Hammer und atmete durch. „Arm, Rhythmus und Herzschlag müssen in Einklang und Wechsel sein. Achte genau darauf, was ich tue und versuch‘ den Trick zu erahnen.“
Noch einmal schloss der Schwertmeister die Augen und hörte erst in sich hinein, dann auf das Zischen des Stahls auf dem Amboss. Der Hammer war hoch erhoben über seinem Haupt. Und dann, als er bereit war, gab der erste Herzschlag den Rhythmus vor. Herzschlag – Hammerschlag – Atemzug. Herzschlag – Hammerschlag – Atemzug. Wieder und wieder. Wie bei einem rhythmischen Tanz zwischen Werkzeug, Schmied und dem Stahl als Tanzpartner. Und spätestens nach dem dritten Schlag war er vertieft in jenen Tanz. Zufrieden lächelnd und bei jedem Treffen von Hammerkopf und Stahl genau lauschend.
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Verschiedenste Gedanken huschten dem Braunhaarigen durch den Kopf.
Zuerst war da natürlich die Tatsache, dass Zarra ganz offensichtlich Gedanken hatte, die sie nicht zu teilen bereit war. Entweder noch nicht oder gar nicht. Einerseits eröffnete Griffin das die Möglichkeit, rücksichtsvoll und empathisch zu agieren - zu akzeptieren, dass Zarra Dinge hatte, die sie nicht mit ihm teilen wollte. Dass ein Teil ihrer Geschichte eben nur Teil ihrer Geschichte war und er kein Recht hatte, neugierig nachzubohren.
Andererseits wäre genau das eine Möglichkeit gewesen. Die junge Frau entgegen allen Verständnisses dafür, dass sie gewisse Dinge für sich behalten wollte, mit Fragen zu löchern und ihr auf den Keks zu gehen, bis sie entweder entnervt zu ihrer Oma zurückkehrte, Griffin in eine quakenden Kröte verwandelte oder aber nachgab und ihn einweihte in ihre Gedanken. Insbesondere Letzteres wäre selbstverständlich die präferierte Variante gewesen. Auch wenn Griffin sicherlich eine der schöneren Kröten am Tümpel gewesen wäre.
Dann bestand aufgrund ihrer Äußerungen die grandiose Möglichkeit, der Weißhaarigen mit gespielter Empörung darüber, dass sie nicht in seine Fähigkeiten als Beschützer vertraute, zu ärgern. Die Spitzen dieser Zankerei ergaben sich förmlich wie von selbst: Er würde darüber sprechen, dass er als alter Mann natürlich längst nicht mehr so stark war wie die jungen Krieger des Waldvolkes. Dass er es selbstverständlich verstehen könne, dass Zarra auf einen mächtigen, zaubernden Druiden warten wollte und er vollstes Verständnis dafür hatte, dass sie ihm als einfachen Kämpfer schlichtweg nicht vertraute auf sie aufzupassen. Und schlussendlich hätte all das abgerundet werden können mit einem finalen, gesprochenen Dolchstoß und dem Hinweis darauf, dass er nicht nur aufgrund des Alters, sondern auch wegen seiner körperlichen Fülle wohl nur noch als Snack und nicht mehr als Gegner für all die gefährlichen Monster des Sumpfes fungieren konnte.
Eine durchaus verlockende Alternative, denn aus ihm unerfindlichen Gründen empfand er besondere Freude daran, Zarra zu piesacken.
Schlussendlich bestand noch die Möglichkeit, dass er die Rolle des weisen, lebenserfahrenen, alten Mannes einnahm, der Zarra darin bestärkte, ihren Weg weiterzugehen. Der vielleicht die ein oder andere grandiose Metapher für ihre Schwierigkeiten fand, sie daran erinnerte, dass selbst ihre Oma, ein Ryu oder der Druide Maris mit Sicherheit in ihrem Leben einmal an dem Punkt gewesen waren, an dem sie sich jetzt befand. Er hätte dann sagen können, dass alle Schwierigkeiten im Leben, alle Hindernisse und Hürden schlichtweg ein Test waren. Dass nichts unmöglich war, wenn man sich nur genug anstrengte. Er hätte sie dann zum erröten bringen können, indem er ihr erneut sagte, dass sie eine ganz besondere, außergewöhnliche und sehr einzigartige junge Frau war und er fest daran glaubte, dass sie alle Schwierigkeiten im Umgang mit der Magie früher oder später beseitigen können würde.
All diese Möglichkeiten wägte er für eine halbe Sekunde ab.
Zumindest solange, bis er ihr Lächeln sah.
Die Art und Weise, wie Zarra die Arme hinter ihrem Rücken verschränkte und mit einem ehrlichen, breiten Lächeln auf den Lippen zu ihm heraufsah, ließ ihn selbst und sein Herz kurz stolpern.
»Also- uh. Ehm. Ich- nun. Vielleicht... da lang?«, entgegnete er eloquent und deutete in eine willkürlich ausgewählte Richtung und war dabei bemüht das Stolpern über eine Wurzel als so beabsichtigt wie möglich wirken zu lassen. Er wandte seinen Blick von Zarra ab und suchte in der gezeigten Richtung nach irgendetwas, von dem er selbst noch nicht so wirklich wusste, was es sein konnte. Die Bäume sahen dort genauso baumig aus wie überall sonst und ob es dort Kräuter gab, entzog sich gänzlich seiner Kenntnis.
Wortlos stapfte er los und rief Zarra über die Schulter ein kurzes »Deine Oma also, hm?« zu, ohne sich umzudrehen. »Was glaubst du beschäftigt sie? Hat sie vielleicht Sorge, dass die Enkelin langsam flügge wird?«
Die nächste Wurzel überschritt der Braunhaarige ohne größere Probleme.
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Zarra musste kichern, als Griffin offensichtlich zufällig eine Richtung vorschlug. Dass er dabei stolperte, überging sie großzügig, denn hätte sie ihn auffangen wollen, wären sie wohl beide nicht ungeschoren davongekommen. Außerdem wollte sie nicht, dass Griffin geschert wurde, die übermäßige Behaarung gehörte einfach zu ihm und verlieh ihm das kuschelige Äußere, was sie so an ihm mochte.
Was denke ich denn da?, fragte sie sich und schüttelte wieder den Kopf, um ihr Gehirn wieder in Bahnen zu zwingen, die sie gutheißen konnte.
„Also da lang, ja?“, fragte sie bemüht ernsthaft, „Weißt du denn noch, welche Pflanzen am ehesten in der Richtung wachsen?“
Über die letzten Tage hatte der gutmütige Riese durchaus Fortschritte gemacht, wenn es darum ging zu erkennen, um welche Kräuter es sich handelte, wenn sie verlangte, dass er sein Wissen abrief. Zumindest brachte er ihr nicht länger Wildes Sumpfkraut, wenn sie ihn Sumpf-Iris suchen schickte. Allerdings machten ihm noch immer die Unterschiede der Beeren zu schaffen. Einmal hatte er es tatsächlich geschafft die schwarzgefleckten, gelben Goblinbeeren zu finden, wobei diese äußerst selten sind. Dabei hatte sie ihn um Schlafbeeren gebeten, die es nur in einem dunklen Violett gab. Trotzdem freute sie sich mit ihm über jeden Erfolg, den er verzeichnete.
„Ich verstehe Oma in letzter Zeit nicht wirklich. Ich lerne die Magie in mir zu nutzen und soweit ich sie verstehe, ist es das, was sie von mir erwartet. Gleichzeitig ist sie aber nicht einverstanden mit Entscheidungen, die ich treffe“, antwortete sie, „Es ist ziemlich frustrierend für mich“, gab sie nach einer kurzen Pause zu, in der sie ihrerseits über einige Wurzeln stieg, die Griffin mit einem großen Schritt überquert hatte.
Tatsächlich konnte sich Zarra keinen Reim aus ihrer Großmutter machen, seit sie in den Druidenzirkel von Tooshoo eingetreten war. Offensichtlich verachtete sie den Jadewolf, hatte mit Maris aber keine derartigen Abneigungen gezeigt. Ihm schien sie sogar zugetan gewesen zu sein, als es hieß, dass der Varanter ihr Mentor sein würde.
„Wie ist das eigentlich mit deinen Eltern gewesen vor ach so langer Zeit?“, fragte sie neckisch, wobei sie besonders ironisch sein Alter erwähnte, da er es ja so gern als Mantel für sich nutzte, „Musstest du auch ein Handwerk lernen? Anders als ich, siehst du aus, als würdest du von hier kommen. Mit deiner dunklen Haut und…“
Sie errötete, als sie bemerkte, dass sie ins Brabbeln geraten war.
„Entschuldige, das klang in meinem Kopf anders.“
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»Das waren jetzt aber einige Fragen, meine Liebe.«, entgegnete Griffin mit einem kurzen aber ehrlichen Lachen und wandte sich dann von Zarra ab, um ihr Zeit zu geben, sich von ihrer Verlegenheit und der tomatenroten Färbung ihrer Wangen zu erholen.
»Wenn wir weiter in diese Richtung gehen, wird der Boden fester. Es ist dann nicht mehr ganz so sumpfig, aber der Boden hält das Wasser länger als andernorts. Das ist gut füüür...« Angestrengt überlegte er. Die einzelnen Untergründe zu unterscheiden hatte ihn bereits eine nicht unerhebliche Anstrengung gekostet. Zu lernen, dass es zwischen "sumpfig", "morastig", "feucht", "nass" und "hä-das-ist-doch-ganz-normaler-Boden-halt" Unterschiede - abgesehen von dem Schmatzen das die Stiefel machten, wenn man sie anhob - gab und sich das dann wiederum auf die Pflanzen auswirkte, war ziemlich augenöffnend gewesen. Die kleinen Feinheiten der Flora hatten ihn bisher ehrlich gesagt ähnlich wenig interessiert wie die Änderungen der Fauna. Es gab Pflanzen, die wollten ihn töten und es gab Tiere, die wollten dasselbe. Bisher hatte er keine Gedanken daran verschwendet, was er wo finden konnte.
Zarra aber bestand darauf, dass die Umgebung zu kennen und Veränderungen der Böden wahrzunehmen ein essentieller Bestandteil der Kräuterkunde war. Wer eine Sumpflilie suchte, sollte eben nicht in der Wüste suchen. Und wer sich bei Gewitter unterstellen wollte-
»Pappeln und Buchen!«, verkündete er stolz.
»Wenn man sich bei einem Regenguss ganz dringend mal Schrubben will, kann man im Notfall Buchenblätter nehmen.«, erinnerte er sich selbst und Zarra nickte zufrieden.
»Und was noch?« Der weißhaarige Kräuterteufel war eine unnachgiebige Lehrerin und selbst wenn Griffin mit Ach und Krach irgendwelche Baumfakten aus den letzten Winkeln seines Hirns herauskramte, bohrte sie weiter nach.
»Harnischkraut?« Seinem Gesichtsausdruck und der Intonation war deutlich zu entnehmen, dass das mehr eine Frage als eine Antwort war.
»Das zählt nicht. Harnischkraut wächst so gut wie überall. Aber welche Pflanze wächst besonders gut auf feuchtem aber nicht sumpfigen Boden?«
Es vergingen einige Sekunden, in denen der ehemalige Hüter gedanklich die Kräuter, Büsche und Sträucher durchging, von denen er in den letzten Tagen die Namen gelernt hatte.
»Krötenwurz, Griffin.«, erlöste Zarra ihn schließlich und lächelte ihn mitfühlend an. Bei aller Strenge war sie noch immer genug Zarra. Aufmunternd legte sie ihm die Hand auf den Unterarm, zog sie dann aber schnell wieder weg.
Überrascht stellte er fest, das er das Fehlen ihrer wärmenden Hand auf seiner Haut für nicht gut befand und lenkte sich daher mit der Antwort auf ihre anderen Fragen ab.
»Da wo ich herkomme gibt es nur wenig feuchten Boden.«, begann er gleichzeitig seine Erzählung und die Entschuldigung dafür, dass er nicht auf den Krötenwurz gekommen war.
»Ich komme von einer der vielen Inseln, die noch weiter südlich liegen als Argaan. Die Sonne scheint dort stärker, länger und gnadenloser. Die Städte sind kleiner und wachsen dort, wo Wasser ist. Dazwischen gibt es oft lange Strecken von absolut gar nichts außer Sand und Tod. Dann aber gibt es Abschnitte, in denen es so viel regnet, dass die Wälder so dicht sind, dass man sich mit Leichtigkeit dort verlaufen könnte.«
Er stupste sie mit dem Ellenbogen an.
»Ich wette, dass deine Oma und du dort Jahre verbringen und doch jeden Tag etwas neues finden könnte. Dort wimmelt es von kleinen und großen Krabblern.«, erinnerte er sich. Er selbst wusste kaum kaum wie die Besuche in den Dschungeln seiner Heimat gewesen waren, aber die begeisterten Erzählungen seiner Mutter hallten zum ersten Mal seit Jahren in ihm wieder.
»Ich war zu jung, um irgendein Handwerk zu lernen. Meine Eltern haben sich und uns mit dem Handel ein... sagen wir mal durchaus gemütliches Leben finanzieren können. Sie waren oft nicht zuhause, aber umso wichtiger war ihnen meine Bildung - deswegen wurde ich schon als Kind damit gequält, Lesen und Schreiben von Gelehrten aus allen möglichen Kulturen zu lernen. Geschichte, Mathematik, Sprachen, Ethik und Geografie standen fast täglich auf meinem Lehrplan.« Schmunzelnd blickte er zu seiner Lehrerin. »Zumindest hätten diese Dinge auf meinem Stundenplan gestanden.«, gestand er ehrlich. »Ich habe schon als Kind eine Vorliebe dafür gehabt ausschließlich das zu tun, was mir gefällt. Ich fürchte also, dass ich für meine Lehrer und Lehrerinnen kein sonderlich guter Schüler gewesen bin - selbst wenn sie mich gefunden und zum Unterricht geschleppt haben.« Laut lachte er.
»Du kannst dich also glücklich schätzen, dass ich freiwillig hier bin.« Er zwinkerte seiner weißhaarigen Lehrerin zu und versuchte seine Verlegenheit zu überspielen.
»Meine Eltern sind gestorben als ich jünger war als du. Ich hatte also wenig Zeit, ein vernünftiges Handwerk zu lernen. Vermutlich wäre ich heute sonst irgendein reicher Schnösel in einem großen Anwesen oder ein völlig verarmter Kerl, der mal ein reicher Schnösel gewesen ist und dann seinen Reichtum weggefuttert hat.« Mit einem Grinsen klopfte er sich auf den Bauch.
Für eine Weile schritten die beiden schweigend nebeneinander her. Griffin schimpfte innerlich mit sich selbst darüber, dass er einen weiteren Ausflug und Zarras Laune mit seinen bedrückenden Geschichten zu ruinieren drohte.
»Was würdest du denn machen wollen, wenn es nicht die Kräuterkunde und die Selbstgespräche mit Insekten wären?«, fragte er interessiert und durchaus glücklich ein Thema gefunden zu haben, das hoffentlich interessanter war als die Geschichten eines alten Mannes über seine Kindheit.
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Der Schrein der Mutter - Gilana
Gilana hatte die nach ihrem Geschmack schönste Rabenfeder ausgewählt. Zärtlich strichen ihre Finger über das schwarze Gold in ihrer Hand. Schon immer hatte sie nur die schönsten Federn für den Schrein ausgesucht, diesmal war es ihr wieder besonders gut gelungen.
Langsam setzte sie ihre Schritte und war eigentlich voller Vorfreude auf diesen kostbaren Moment des Tages, an dem sie der Mutter huldigen würde und die Rabenfeder dem Schrein übergeben wollte. Ein Moment der Stille, nachdem sie den ganzen Tag die Gören unterrichtet und Furia und die anderen in wichtigen Druidendingen unterwiesen hatte. Doch ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, als Gilana feststellen musste, dass sie nicht allein war. Eine Fremde hatte sich zum Schrein verirrt und hatte einen gehörnten kleinen Dämon bei sich. Gilana spürte Säure in ihren Mund steigen.
Alleine der Anblick der Ziege verursachte ihr schon eine Magenverstimmung. Das Tier daneben auch. Nicht einmal hatte man seine Ruhe. Ständig wollten Leute etwas von einem. Sie wusste natürlich gar nicht, ob diese Fremde etwas von ihr wollte. Aber sie störte. Egal, sie würde ihr tägliches Abendritual durchführen. Es war so essenziell für sie wie für die Robenträger in den Städten ihre Gebete.
Als der Ziegenbock einen Haufen Kacke fallen ließ, rümpfte sie abwertend die Nase, entschied sich dann aber, die beiden zu ignorieren. Hoch erhobenen Hauptes ging sie zum Schrein, als die beiden Gestalten auf sie aufmerksam wurden. Der Blick des Bocks verfing sich mit ihrem. Kauend blickte er sie aus seinen kleinen fiesen Ziegenaugen an.
„'s geht?“, raunte er ihr angeberisch zu.
Gilanas Augen wurden schmal. Die dunkle Aura des Bocks war deutlich wahrzunehmen.
„Zeig etwas mehr Respekt, wenn du vorm Schrein der Mutter stehst, gehörnter Dämon“, erwiderte sie und straffte sich erneut. Die Ziege schien nicht sonderlich beeindruckt.
„S’schmeckt gut hier, das Gras“, erwiderte er und nickte. „Ihr solltet das lieber essen, statt es zu rauchen.“
„Oh, schau an, der feine Herr will uns Menüvorschläge geben“, sprach Gilana.
„Immer stets bemüht.“
Sie war sich sicher, dass er grinste.
„Was willst du hier, Beliarskreatur?“
„Kannst du meiner Zweibeinerin helfen?“
Gilanas Blick wanderte zu der Frau, die stumm und glotzend neben dem Bock stand. Sie musterte sie abschätzig, dann wandte sie ihren Blick wieder der Ziege zu.
„Hörst du dann auf, den Schrein hier zuzuscheißen und verschwindest samt ihr?“
„Vielleicht.“
Gilanas Kiefer mahlte.
„Dein Gestank überdeckt sämtliche Würde dieses Platzes“, stellte sie fest.
„Das ist mein bestes Parfüm, extra für dich.“
Allmählich bekam Gilana Kopfschmerzen. Von dem Vieh und seiner Aura und all den Worten, die sie redeten. Entnervt schloss sie die Augen und massierte kurz ihre Schläfen, die Rabenfeder immer noch in der Hand.
Dann öffnete sie die Augen wieder und blickte angesäuert zu der Frau.
„Also?“, sagte sie einfach nur und erwartete, dass die Fremde jedes Wort ihres meckernden Mäh-Dialoges mit der Ziege verstanden hatte.
Freiya
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Zarra war fasziniert von Griffins Erzählungen seiner Kindheit. Sie hätte niemals erwartet, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammt. Nicht, dass er einen ärmlichen Eindruck machte, doch es gab wohl nicht viele Menschen beim Waldvolk, die materiellen Reichtum besaßen. Aber das tat er ja auch nicht. Es lag in der Vergangenheit und das Leben hatte für ihn einen anderen Pfad vorgesehen.
„Es tut mir leid, dass deine Eltern so früh gestorben sind“, gab sie mitfühlend preis.
Sie konnte es nachempfinden und es war ihr wichtig, dass er wusste, dass sie verstand. Doch wollte sie auch nicht weiter an Themen hängen, die ihre gemeinsame Zeit traurig, statt spaßig machten. Daher vertrieb sie die dunklen Wolken in ihrem Kopf mit einem Schütteln eben jenem und fokussierte sich auf die Frage, die er ihr gestellt hatte.
„Eine gute Frage! Aber wie beantworte ich sie am besten? Ich kenne nichts anderes, als das“, überlegte sie laut, „Gar nicht so einfach! Und außerdem frage ich mich, was Ethik und Geografie sind, die du lernen musstest“, fügte sie mit einem leichten Grinsen hinzu.
Was würde sie gern machen? Hatte sie sich jemals ernsthaft gewünscht, dass ihr Leben anders verlaufen wäre? Offensichtlich wäre sie gern mit einer Mutter und einem Vater aufgewachsen, doch das war nicht der Kern der Frage, vermutete sie. Es ging um eigene Entscheidungen.
Vielleicht hätte sie eine lange Reise über den Kontinent gemacht. Wäre von Stadt zu Stadt gezogen oder von Lager zu Lager. Sie wäre weniger schüchtern und verlegen gewesen, hätte unzählige Menschen kennengelernt und dabei Interessen entdeckt, die selbst die Hingabe zur Kräuterkunde und den Insekten in den Schatten gestellt hätte.
Oder sie hätte es wie Enya und Fynn gemacht. Mit ihrer Stimme den Lebensunterhalt verdient und ein Instrument gelernt, um als Bardin den Menschen Freude zu bringen. Vielleicht sogar als Teil einer Gruppe und sie hätten sich einen tollen Namen gegeben. The Beetles oder etwas ähnliches Abstraktes. Ein Künstler hätte ihnen ein Plakat gemalt mit Käfern, die vom Schatten ins Licht traten, alle hintereinander wie im Gänsemarsch.
Eventuell hätte sie auch in einer Schenke gearbeitet, hätte Gästen Essen und Getränke gebracht, gescherzt und gelacht und sich manches Mal unsittlich berühren lassen müssen, nur damit sie genügend Trinkgeld bekam, um zu überleben.
Nein, das war nichts, was sie gern gemacht hätte! Bei der Mutter! Am Ende hätte man sie noch gezwungen Innos zu huldigen und sie hätte ihre Tage statt unter der Sonne zwischen staubigen Bücherregalen verbringen müssen.
Sie bereute tatsächlich, dass sie als kleines Kind kein Talent für die Fähigkeiten der Jäger und Waldläufer gezeigt hatte. Sie hätte wie Runa sein können, furchtlos und gefährlich. Ein geschätztes Mitglied des Waldvolks, statt nur das kleine Mädchen der Kräuterfrau, Nereas Enkelin.
Doch wenn sie ehrlich war, dann hätte sie wohl die gleichen Entscheidungen getroffen, die sie dorthin gebracht hatten, wo sie jetzt war. An der Seite von Griffin, einem tollen Menschen, der ihr in der recht kurzen gemeinsamen Zeit sehr ans Herz gewachsen war.
Sie bemerkte, dass sie bereits eine ganze Weile geschwiegen hatte und der liebenswerte Riese hatte sie in aller Ruhe nachdenken lassen.
„Ich glaube, dass ich bereits das mache, was ich gern tun würde. Kräuter und Insekten sind es, was mich interessiert, was mir Freude macht! Und ich bin so glücklich, dass ich mit dir ein wenig davon teilen kann!“, beantwortete sie endlich seine Frage mit einem breiten Lächeln.
Ihre Wangen waren leicht gerötet und sie war stehen geblieben, um ihm zu sagen, was sie empfand.
„Ich wünschte bloß, dass ich viel früher aus mir herausgekommen wäre, mich eher den Menschen von Tooshoo gezeigt hätte. Jeder hier ist ein wenig seltsam, also brauche ich auch nicht beschämt sein, dass ich anders bin, als die meisten, oder? Vielleicht kann ich eines Tages so sein wie Maris oder Ornlu, zumindest was den Beitrag angeht, den ich leisten kann. Das würde mich glücklich machen, glaube ich.“
Geändert von Zarra (24.12.2024 um 03:36 Uhr)
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Schmiede von Tooshoo
Das erste Formen des Kernes.
Wie viele würden dem wohl folgen?, grübelte Freiya für einen Augenblick. Sie würde es wohl herausfinden. Nachdenklich strich sie die Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich da schon wieder ungewollt eingefunden hatte.
Ja, dass Vareesa mit dem Holz sprach, hatte Ryu ihr bereits bei ihrem Ausflug durch die Ruinen erzählt, als er selbst dem grünen Erz gelauscht hatte, das der Krötenprinz dem Waldvolk als Geschenk gereicht hatte. Wer hätte gedacht, dass Handwerken so viel mit Zuhören zu tun hatte.
Ihre Gedanken wanderten zu dem, was er außerdem gesagt hatte. Seine philosophisch anmutenden Ausführungen über den Halm und das Schwert. Sie konnte diese Gedankengänge nachvollziehen und hätte selber noch ein wenig länger darüber nachgesonnen, hätte sie die Möglichkeit gehabt. Ein kurzes Schmunzeln jedoch kam über ihre Lippen, als ihr auffiel, wie gerne er sein Tagwerk mit einem nachdenklichen Aspekt füllte. Wieder hatte er philosophiert. Das mochte sie.
Nun aber ging es ans Eingemachte. Zumindest für den Schmied selber. Den glühenden Stahl auf dem Amboss und den Arm gehoben wartete er – sehr sicher auf den richtigen Augenblick, der sich ihm, und nur ihm, offenbaren würde.
– Hammerschlag –
Sie sollte ihn beobachten und herausfinden, nach welchem Muster er vorging. Also tat sie das. Stellte sich mit dem Rücken zur offenen Schmiede und fühlte den kühlen Wind an ihrer Rückseite, während ihr Gesicht immer noch die Hitze der Esse und des Stahls spürte.
– Hammerschlag –
Da war es wieder, das typische metallische Plingen, was ihr einen merkwürdig vertrauten und zugleich ungewohnten Schauer über den Rücken trieb. Doch wieder ließ es sich nicht greifen, sondern entschwand wie der Rauch einer verloschenen Kerze zwischen den Fingern.
– Hammerschlag –
Ryu war schnell in dem gefangen, was er tat. Formte den Stahl mit der Kraft des Hammers und seines starken Arms. Das glühende Eisen beugte sich nur widerwillig dem, was der Schmied ihm aufzwang. Doch musste das Material sich der brachialen Gewalt des Menschen geschlagen geben. Wie sehr das Schwingen des Hammers doch im Gegenzug zu den zuvor gesagten Worten stand.
– Hammerschlag –
Was hatte er gesagt? Arm, Rhythmus und Herzschlag müssen im Einklang sein. Erneut legte sie ihren Blick auf ihn. Der Rhythmus war da, aber in welchem Takt? Sie sah ihn hämmern und … atmen!
Ein Atemzug nach jedem Hämmern und dann … eine Pause? Wieso?
– Hammerschlag – Atemzug.
Das Klingen des Hammers wurde lauter in ihren Ohren. Sie fühlte, wie es abermals durch ihren Körper vibrierte. Angefangen am Brustkorb bis in den Bauch und die Beine. Es breitete sich aus. Bis in ihre Fingerspitzen.
– Hammerschlag – Atemzug.
Still hatte der dunkle Ozean in ihrem Geist unter einem schwarzen Himmel gelegen. Flügelschwarz über reinigenden Gewässern. Vielleicht war dieses Land einst verbrannt gewesen und die Flut war gekommen, um das Feuer zu löschen und hatte sich über alles gelegt, was sie erfasst hatte.
– Hammerschlag – Atemzug.
Doch dieses Meer, es lag nicht mehr still und regungslos. Es vibrierte und kleine Wellen breiteten sich unaufhörlich aus. Brachten das Wasser in Bewegung, aber riefen keinen Sturm hervor. Nur eine immer stärker werdende Reaktion, da es diesem unaufhörlichen Klang ausgesetzt war.
– Hammerschlag – Atemzug.
Plötzlich regte sich etwas in den Tiefen des Ozeans.
Etwas sehr Altes. Ein Funke, der einst Teil des großen Feuers gewesen sein musste. Doch das Wasser konnte ihm nichts anhaben. Er stieg langsam empor und alles, was da war, wunderte sich über das Vorhandensein dieses Funkens. Es war nicht einmal dem großen Feuer bewusst gewesen, dass der Funke einst Teil von ihm gewesen war, war das Feuer doch so bemüht, all seine anderen Funken wiederzufinden.
– Hammerschlag – Atemzug.
Der Funke reagierte auf den Hammerschlag und Freiya blickte auf den Hammer, der auf den Stahl traf. Dann plötzlich spürte sie starke Arme, die sie hielten und eine bärtige Wange, gegen die sie ihr Gesicht drückte.
„Wir gehen nicht zu nah heran, Liebes. Siehst du alles?“
Freiya nickte und wischte sich kurz die Locken aus dem Gesicht, bevor sie den Arm wieder um den Nacken des rothaarigen Bärtigen legte. Sie saß auf dem Arm ihres Vaters. Und vor ihnen an Esse und Amboss stand – ihre Mutter. Sie klopfte einen Gegenstand aus einer Gussform.
„Siehst du, jetzt nehme ich das abgekühlte Silber und muss es noch ein wenig grob berarbeiten. Jemand möchte, dass ich einen Kerzenständer mache.“
Fasziniert blickte das kleine Mädchen zu der Frau mit den blonden, zurückgebundenen Locken und den grünen Augen. Sie hatte ihre Mutter noch nie in so einer Schürze gesehen.
„Nun brauche ich einen Hammer. Keinen großen Hammer, wie die Plattner oder die Waffenschmiede. Silber ist weitaus geschmeidiger als die rohen Metalle, die es für Waffen braucht.“ Die Frau mit dem Namen Sylvana schien in ihrem Element. Sie griff nach einem kunstvoll aussehenden Hammer und nahm ihn in die Hand.
„Wenn man ein Werkstück bearbeitet, muss man zunächst kurz warten, bis es bereit ist. Das hat was mit Erfahrung zu tun. Und … Zuhören.“
„Wieso Zuhören, Mama?“, fragte das Mädchen, nicht älter als vier oder fünf Sommer.
„Die Geräusche, die es macht, können uns verraten, ob es so weit ist.“
„Und dann?“
„Dann werde ich versuchen mit dem Hammer noch ein bisschen mehr Form in das Silber zu bringen.“
Sylvana hielt das Stück an der Zange in die Höhe. „Sieht nicht gerade wie ein schicker Kerzenständer aus, was?“
Freiya kicherte: „Nein.“
„Wenn ich mit dem Hämmern fertig bin, kommt noch die Feinarbeit mit der Feile“, erklärte die Silberschmiedin. „Jetzt aber …“ sie schien einen Wimpernschlag zu lauschen, „beginnen wir.“
Sie nahm den Hammer und begann rhythmisch und zugleich elegant auf das Metall einzuschlagen.
„Das Geheimnis ist, jeder Schmied hat seinen eigenen Rhythmus, jeder Hammer tanzt nach seinem eigenen Takt.“ Sylvana bearbeitete weiterhin das Silber mit dem Hammer, während sie erklärte.
„Ich verrat dir mein Geheimnis, wenn du es für dich behältst.“
Sie zwinkerte ihrer Tochter zu und erntete ein eifriges Nicken.
„Ich bin der Überzeugung, dass das Herz dabei sein muss beim Schmieden. Erst dann bekommt das Schmiedestück eine Seele.“
„Aber Mama, wie gibst du denn dein Herz?“
„Ich gebe meinen Herschlag, ich höre auf ihn, wenn ich hämmere. Sowie auf meinen Atem. Ich höre auf meinen Körper und gebe meinem Werkstück so etwas Tiefes von mir selbst.“
Die kleine Freiya staunte und beobachtete, wie ihre Mutter weiterhin das Silber bearbeitete.
Kurz blickte Sylvana zu ihrer kleinen Familie, die nich weit von ihrem Amboss stand. Auf den Lippen der Silberschmiedin ein glückliches Lächeln:
„Ich freu mich so, dass ihr mich heute in der Schmiede besucht!“
Freiya hob die Hand und legte sie auf die Mitte ihres Körpers. Sie fühlte ihr Herz.
Herzschlag – Hammerschlag – Atemzug.
Diese Erinnerung … an ihre Mutter. Die schützenden Arme ihres Vaters. Beide so lebendig und liebevoll, wie Freiya es fast schon vergessen hatte. Wie lange war es her, dass sie daran gedacht hatte? Es musste unter Berlerwins Schneidertisch gewesen sein, dass sie das letzte Mal voller Schmerz und Tränen daran gedacht hatte, nachdem sie beide Elternteile verloren hatte. Danach hatte sie die Erinnerung verdrängt, es war zu peinvoll gewesen.
Herzschlag – Hammerschlag – Atemzug.
Doch jetzt, hier, am Feuer der Esse und mit dem Wissen, an einem Ort der wirklichen Wärme angekommen zu sein, brachte ihr diese Erinnerung Trost und Frieden.
Ihr Blick verschwamm kurz und sie schloss die Augen.
Ihre Mutter hatte ihr geholfen, Ryus Geheimnis zu lüften.
Herzschlag – Hammerschlag – Atemzug.
Als es still wurde, öffnete sie die Augen.
Ryu nahm den zylinderförmigen Kopf der zukünftigen Keule und schob ihn wieder ins Feuer. Freiya hatte die Hand immer noch auf ihrem Herzen. Sie trat zu ihm.
„Mir hat mal jemand gesagt, dass der Trick ist, dass du dem Werkstück mit deinem Atem und deinem Herzschlag eine Seele einhauchst.“
Ihr Blick wanderte von seinen faszinierenden Augen zu dem Stahl in der Flamme und sie schwieg. Ob er überhaupt eine Ahnung davon hatte, was er da ausgelöst hatte? Gerne hätte sie seine Hand genommen, um für einen Augenblick Halt zu finden.
Etwas fiel ihr ein, was er gesagt hatte. Die Rothaarige musterte den Hüter daraufhin genau. Sie war sich nicht sicher, ob er einen Scherz gemacht hatte oder es ernst gemeint hatte. Nun, sie ließ es drauf ankommen. Er schien ihren Blick zu spüren und hob nur eine Augenbraue.
„Du kannst mir gerne etwas vorsingen“, sagte sie schließlich. „Naja ... vielleicht ... lieber nicht hier.“
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Am Schrein der Mutter
So oft wie Corsikas Stirn in den letzten Tagen in Falten lag, musste sie schon fürchten, sie würden sich in ihre Haut einbrennen. Dabei hatte sie zeitlebens versucht, sich eine neutrale Mimik zu bewahren, sei es, um der Alterung vorzubeugen oder fremden Liebhabern keine falschen Signale zu senden. Doch hier in Schwarzwasser entglitten ihr Mal um Mal ihre Gesichtszüge und für das größte Erstaunen war zweifelsohne die Seherin Gilana verantwortlich. Die Frau hatte sich doch glatt auf eine verbale Konfrontation mit Ziegenbock Timo eingelassen, allerdings verstand Corsika kein einziges Wort, das sie von sich gab, sofern sich bei den meckernden und mähenden Geräuschen tatsächlich um eine primitive Sprache oder gar Zwischenspezieskommunikation handelte. Sie wollte dieser Frau ihre Erfahrung mit den Wildtieren und der Magie des Waldes nicht aberkennen, doch insgeheim war sich Corsika sicher, dass in Gilanas Kopf irgendeine Gehirnwindung falsch geknotet war. So einen verrückten Auftritt hatte immerhin noch kein anderer Waldbewohner hingelegt!
Dennoch straffte sich Corsika und bemühte sich erneut um eine neutrale, wenn nicht gar leicht freundliche Miene.
„Seid gegrüßt, Hüterin des Schreins“, sagte sie demütig und verneigte sich knapp. „Mein Name ist Corsika und das hier ist Timo.“
Sie streichelte dem Ziegenbock über das wuschelige Haupt, was er sich mit einem zufriedenen Mähen gefallen ließ. Er umgarnte Corsika gar wie eine Katze und platzierte sich stolz vor ihren Füßen, als wolle er sie vor Gilana beschützen. In den Augen der Seherin konnte Corsika ein bösartiges Funkeln erkennen. Irgendetwas gefiel ihr überhaupt nicht. Da steckte gewiss mehr dahinter als die pure Störung ihrer … nun, was auch immer sie hier getrieben hatte, bevor sie unterbrochen wurde. Corsika wollte schnell zur Sache kommen.
„Nerea Rimbe schickte mich zu Euch, da Ihr als Expertin für Zeichen und Symbole geltet.“ Sie entfaltete die Abschrift des Monolithen und hielt sie der konfusen Frau unter die Nase. „Könnt Ihr mir sagen, was es mit diesem Text hier auf sich hat? Ich fand ihn an einer alten Steinsäule hier auf der Insel. Eines der Zeichen befindet sich auch auf meiner Handfläche. Es entstand aus einer geraden Schnittfläche heraus. Von selbst ist die Wunde nie verheilt und ich habe das Gefühl, als laste eine Unruhe auf mir. Sie wird stärker, je länger ich an einem Ort verweile. Timo hier scheint es ganz ähnlich zu gehen.“
Der Ziegenbock reckte der Seherin herausfordernd das Haupt hin. Corsika hoffte nur, dass sich Gilana nicht auf ein Kopf-an-Kopf-Duell einließ. Sie mochte eine mächtige Magierin sein, doch Timo hatte von allen Anwesenden gewiss den stärksten Dickschädel.
Geändert von Corsika (08.01.2025 um 09:22 Uhr)
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Lachend hielt der Südländer sich den üppigen Wanst und konnte nicht anders als der jungen Frau mit der freien Pranke über den Kopf zu wuscheln und ihre vermutlich mühsam frisierte, schlohweiße Haarpracht durcheinander zu bringen.
»Ich würde mir und dir und deiner Oma wirklich von Herzen wünschen, dass du nie so wirst wie Ornlu.«, entgegnete er ihr mit einem breiten Grinsen, sag sich aber sofort nach seinem Spaß für einige Sekunden im Wald um. Bei Ornlu konnte man nie wissen, hinter oder in welchem Busch er sich verstecken möge. So nah an Tooshoo sollte man blöden Späßen über ihn durchaus aufpassen, wenn man sich nicht am falschen Ende einer sabbernden Wolfsschnauze wiederfinden wollte.
Erst als er sich sicher war, dass gleich kein schwarzer Warg aus dem Unterholz herausstürzen würde, fuhr er fort. Während er redete versuche er erst, Zarras Haare zumindest halbwegs wieder in Ordnung zu bringen, gab aber schnell auf und ließ seine Hand dann einfach auf ihrem Kopf liegen.
»Ich muss wirklich aufpassen, was ich sage.« Zarra blickte ihn leicht verwirrt an. Auf seinen Zügen aber breitete ein zufriedenes Lächeln sich genüsslich aus und schien es sich durchaus gemütlich zu machen. Der Hedonist in ihm jubilierte darüber, dass Zarra anscheinend tatsächlich ihre Zeit mit den Dingen verbrachte, die ihr am meisten Freude bereiteten. Eine, wie er fand, viel zu selten vertretene Denkweise.
»Ich wollte jetzt schon wieder Dinge sagen wie "Bitte behalte dir das bei" oder "Es ist toll, dass du deine Passion gefunden hast." aber dann wäre ich wirklich so alt geworden, wie ich mich immer selbst verkaufe.« Es hallte ein weiteres Mal ein lautstarkes Lachen durch den Wald.
»Aber im Ernst: Es ist wirklich beneidenswert, dass du schon so genau weißt, was du liebst.«
Er schloss die junge Frau seitlich in die Arme und genoss die Wärme ihres Körpers. »Ich für meinen Teil genieße unsere Ausflüge und Unterhaltungen. Du bist zwar eine furchtbar strenge Lehrmeisterin und ich habe überall am Körper blaue Flecke, weil du mich ständig knuffst, zwickst und schlägst, aber das ist ein Preis, den ich zu zahlen bereit bin.«, gestand er ehrlich und entließ die Kräuterfrau dann aus seiner Umarmung.
»Aber ich fürchte, dass all das schon bald ein Ende nehmen wird oder?« Er blickte sie für einige Sekunden an und diesmal konnte er in ihrer Mimik erkennen, dass er Recht hatte. »Wenn du wirklich einmal eine Position in den Reihen der Druidinnen und Druiden einnehmen und einen noch größeren Beitrag für die Gesellschaft leisten möchtest, solltest du deine Reise bald fortsetzen.« Er lächelte sie sanft und verständnisvoll an. Die Worte waren mindestens so sehr für ihn wie für sie. Und obwohl er sich selbst nicht so wirklich glauben mochte, wusste er, dass es endlich an der Zeit, Zarra gehen zu lassen. Und für ihn vermutlich an der Zeit, zurück zu seinem Alltag zu kehren. Jeden seiner Vorschläge, Schwarzwasser zu verlassen und einfach nicht mehr wiederzukommen, ihrer beider grauenhafte Verantwortung hinter sich zu lassen und schon wieder zu verschwinden hatte Zarra abgelehnt. Höflich. Voller Verständnis. Aber sie hatte abgelehnt.
»Ich verspreche, dass ich versuche, noch mehr zu lernen, auch wenn du weg bist.«, meinte er zum Abschluss und band das kleine Säckchen mit Beeren zu und schnürte es an seinem Gürtel fest..
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Als Griffin ihr abriet so zu werden wie Ornlu, legte sie den Kopf schief und blickte ihn verwirrt und fragend an. Wäre es nicht etwas Gutes, wenn man so mächtig war, wie der Älteste? Sie könnte bei Bedrohungen helfen oder jene unterstützen, die sich nicht selbst verteidigen konnten. Zwar konnte sie sich nicht vorstellen zu kämpfen, aber es gäbe sicher Dinge, die sie besser machen konnte, als jetzt!
„Eins muss ich dir lassen, Griffin“, sagte sie auf seine weiteren Worte hin mit einer gespielten Ernsthaftigkeit, „Dass du als Kind so viel gelernt hast, scheint sich vor allem in abgedroschenen Phrasen auszuleben, die selbst jemand wie ich kennt!“, fuhr sie fort und konnte schließlich ein Lachen nicht mehr unterdrücken.
Sie wandte sich wieder um und konzentrierte sich auf das Pflücken weiterer Beeren und das Sammeln von Rinden und Kräutern.
„Danke“, meinte sie dann nach einer Weile, „Danke, dass du findest, dass es beneidenswert ist, wie ich meine Zeit verbringe.“
Sie meinte es so und es tat unendlich gut zu hören, dass es ihrem teuren Freund wichtig war, dass sie ihre Zeit mit etwas verbrachte, was sie liebte. Doch was war mit ihm? Liebte er es sich die Namen und Wirkungen von Bäumen, Blumen und Wurzeln zu merken? Warum hatte er überhaupt angefangen ihr zuzuhören, wenn sie darüber sprach und sogar Fragen gestellt?
„Du, Griffin?“, fragte sie vorsichtig und blickte wieder zu ihm, während er gerade fachmännisch eine Beere aus seinem Beutel neben die an einem Strauch hielt und zu vergleichen schien, ob es sich um dieselbe Art handelte.
„Es ist nicht so, wie du denkst!“, rief er laut und versteckte die Beere in seinem Mund.
„Was… wieso…“, stammelte sie verwirrt, „Ich wollte etwas anderes fragen“, versuchte sie ihn zu beruhigen.
„Oh“, stieß er aus und schluckte im nächsten Augenblick herunter.
Zarra kicherte. Er mochte vielleicht glauben, dass er alles schon wissen musste, was sie ihm ein- oder zweimal gesagt hatte, doch tatsächlich lernte er ausgesprochen schnell, insbesondere wenn man die Menge an unterschiedlichen Informationen betrachtete, mit denen sie ihn quälte.
„Bin ich wirklich so eine strenge Lehrerin?“, fragte sie schließlich und war sichtlich besorgt, „Ich dachte, dass es in Ordnung sei dich ab und an zu ärgern. Immerhin bist du sehr stark und…“, ihre Stimme verlor sich, weil sie nicht wusste, wie sie weitermachen sollte.
Während sie auf eine Antwort wartet, ratterte es in ihrem Kopf und sie beeilte sich damit, etwas zu finden, was sie noch hinzufügen konnte.
„Du musst auch nicht weiterlernen, wenn ich wieder bei Maris bin! Ich weiß zwar nicht, wie lange es dauert die Magie zu lernen, aber wenn ich wieder da bin und du noch immer Lust hast Zeit mit mir zu verbringen, dann können wir auch etwas machen, was… nun… dir Spaß macht?“
Es war mehr eine Frage, als ein Vorschlag, denn sie war sichtlich verunsichert.
„Aber ja, es sieht so aus, als müssten wir bald zurück“, meinte sie noch leise und blickte zum dämmernden Himmel hinauf, Bedauern in ihrer Miene.
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Ein furchtbar schlechtes Gewissen verhagelte Griffin die bis eben noch halbwegs gute Stimmung, die bereits deutlich darunter gelitten hatte, dass die gemeinsame Zeit mit Zarra bald ihr Ende finden würde. War er mit seinen Späßen und Neckereien mal wieder zu weit gegangen? Hatte er ihr wirklich ernsthaft auch nur im Ansatz das Gefühl gegeben, dass sie nicht die vermutlich beste - und durchaus einzige Person auf der ganzen Welt - Person war, um auch nur halbwegs sein Interesse für ein Thema wie Kräuter zu wecken?
Nach Worten ringend presste er die Lippen aufeinander und hörte die nächsten Worte Zarras kaum noch. Stattdessen schritt er, seinen eigenen Gedanken hinterherlaufend, schweigend neben seiner weißhaarigen Lehrmeisterin her.
»Es tut mir leid.«, murmelte er nach einer Weile leise. Sich zu entschuldigen war dem Südländer noch nie schwer gefallen. Vermutlich war es eine der Floskeln, die er am meisten nutzte. Insbesondere, seit er wieder im Wald aufgeschlagen und sich ständig für sein Tun der Vergangenheit rechtfertigen - und entschuldigen - musste. Sich aber aufrichtig und ernsthaft bei einer Person zu entschuldigen, die ihm so wichtig war die junge Frau an seiner Seite, damit hatte er seit je her Schwierigkeiten gehabt.
»Ich wollte nicht-« Zarra blickte ihn fragend an und der Braunhaarige musste den Blick abwenden. Scheinbar irgendetwas in der Ferne suchend fuhr er fort. »Wenn ich dir das Gefühl gegeben habe... Also- ich meine... Du weißt schon. Wegen der Lehrerinsache. Ich finde-« Frustriert stieß er Luft aus und blieb stehen. Sanft packte er Zarra bei den Schultern und fixierte sie mit seinem Blick. Mühsam schluckte er den faustgroßen Kloß in seinem Hals herunter und atmete ein letztes Mal seine Nervosität aus.
»Du bist eine ganz fantastische Lehrmeisterin und wenn ich dich jemals daran habe zweifeln lassen, dann tut mir das ganz furchtbar leid.« Die Stimme des Südländers schien sich förmlich zu überschlagen. »Du hast geschafft, was seit vermutlich Jahren niemand mehr geschafft hat. Du hast mein ernsthaftes und aufrichtiges Interesse für ein Thema wecken können. Und du bist die mit Abstand beste, verständnisvollste, ruhigste und geduldigste Lehrerin, die ich jemals hatte.«, gestand er ehrlich und schnappte nach dem Redeschwall kurz nach Luft. Er entließ Zarra aus seinem Klammergriff und stapfte einige Schritte voraus.
»Und du, meine liebe Zarra, bist ein ganz verzückendes, kleines Persönchen. Aber nicht mal du könntest es schaffen, dass ich irgendetwas mache, wozu ich keine Lust habe. Ich möchte mehr über Kräuter lernen.« Grinsend drehte er sich zu dem eben benannten kleinen Persönchen um.
»Und ich hätte nie gedacht, dass ich das eines Tages mal sagen würde.«
Dann wandte er sich wieder nach vorn und verschränkte beide Arme hinter dem Kopf.
Es würde bald dunkel werden und er hatte wenig Lust am letzten Abend noch einmal Ärger von Oma Rimbe zu kriegen, weil er ihre Enkelin erst nach Einbruch der Nacht nach Hause gebracht hatte.
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Perplex starrte Zarra Griffin hinterher, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in Richtung Tooshoo trottete. Sie war stehen geblieben und musste verarbeiten, was er ihr gerade gesagt hatte. Sorge hatte sie bereits geplagt, dass sie ihn mit ihrem Gerede über Kräuter und Beeren nervte und dass er es nur über sich ergehen ließ, weil er sie nicht verletzen wollte. Aber so, wie er sich gerade verhalten hatte, hätte sie wohl nicht ferner der Wahrheit sein können oder aber er war ein fantastischer Schauspieler. Ein fantastischer und äußerst gemeiner Schauspieler, wenn er so mit ihren Gefühlen spielte!
Sie eilte ihm hinterher und warf sich ohne Rücksicht auf Verluste gegen seinen Rücken – nicht, dass ihr geringes Gewicht ihn auch nur im Entferntesten belastet hätte – und grub ihre Finger in den Stoff seiner Kleidung. Sie presste ihr Gesicht gegen ihn, roch den Schweiß durch sein Hemd und fühlte, wie ihre Wangen zu glühen begannen.
„Danke“, presste sie erstickt von Emotionen und groben Leinen hervor, „Ich habe wirklich gedacht, dass ich eine grauenvolle Lehrerin bin“, fuhr sie fort, wobei wohl keines der Wörter auch nur ansatzweise verständlich war, da sie mehr oder weniger zwischen ihren Lippen und Griffins Rücken gefangen waren.
Einen Moment später wurde sie durchgeschüttelt, als der liebenswerte Hüne endlich wieder zu lachen begann, was seinen ganzen Körper, und durch die Nähe auch den ihren, zum Beben brachte. Warum er genau lachte, konnte Zarra nur erahnen, doch es war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er lachte und nicht mehr traurig in die Ferne blickte, so als wäre sie nicht da, direkt neben ihm.
Sie gab sich selbst etwas Raum zum Atmen, ehe sie wieder zu besprechen begann.
„Ich verspreche, dass ich dir alles zeige, was ich über Kräuter weiß“, gelobte sie.
Zögerlich lockerte sie ihre Finger, die seine Kleidung im Klammergriff hatten. Sie wollte nicht loslassen, denn das würde bedeuten, dass sie weitergehen würden, dem Ende des Tages und damit vorerst auch der gemeinsamen Zeit entgegen. Doch sie wusste, dass sie es nicht würde verhindern können.
Schlussendlich ließ sie ihn los, trat neben ihn und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken, wo sie ihre Hände unsicher knetete.
„Oma sagt zwar, dass ich noch nicht genug über Pflanzen weiß, aber was ich weiß ist, dass sie ohne mich keine Vorräte hätte oder ihre Hilfe nicht ohne Gegenleistung anbieten könnte“, sammelte Zarra etwas Mut und Selbstwertgefühl, „Zwar geben uns die Leute manchmal etwas als Gegenleistung, aber sie verlangt es nicht.“
Die junge Frau hatte sich noch nie gefragt, warum ihre Großmutter so handelte. Es war einfach normal. So liefen die Dinge im Waldvolk. Man half einander und zeigte sich erkenntlich, wenn man konnte oder erwiderte irgendwann den Gefallen. Jeder hier konnte irgendwas und so ergänzten sie sich untereinander und bildeten die Gemeinschaft, die sie waren.
„Einmal hat uns Bierbauchfranzl wegen Magenverstimmungen aufgesucht. Oma hat ihm einen Tee gegeben und er hat sich einige Tage später mit einigen Würstchen bedankt. Die waren weiß! Ich hab gedacht, die wären verschimmelt aber Oma hat gesagt, dass sie auf besondere Art gemacht wurden. Aber da wir beide kein Fleisch essen, haben wir sie weitergegeben und dafür einen neuen Eimer bekommen. Die Tinkturen, die Oma mischt, brauchen oft viel Wasser, weißt du? Darum haben wir immer einige volle Wassereimer in der Hütte stehen.“
Weshalb redete sie auf einmal so viel? Vermutlich wollte sie Griffin keine Gelegenheit geben erneut ein trauriges Gesicht aufzusetzen. Dummerweise erreichten sie viel zu schnell die Stege Schwarzwassers, welche jeden Tag ein wenig ausgebessert und erweitert wurden. Es war so gut wie dunkel und die Fackeln wurden bereits entfacht.
Etwas betreten trat Zarra von einem Fuß auf den anderen, während sie es vermied Griffin ins Gesicht zu sehen, aus Angst, dass er nicht lächelte.
„Danke, dass du die letzten Tage mit mir verbracht hast“, flüsterte sie und lehnte sich gegen ihn, als seine Hand ihren Schopf fand.
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Schmiede von Tooshoo
Erst als das Werkstück wieder im Feuer war, hatte Ryu sich die Zeit genommen, Freiya eingängig ins Auge zu fassen. Sie schien … woanders hingewandert zu sein. An einen Ort der Klarheit und Verständnis zu schenken gedachte. Die Sänfte mit der sie sich ans Herz gefasst und gelauscht hatte. Es erinnerte ihn selbst an jene Gestik, die damals, lange vor seiner Zeit in der westlichen Welt, eine andere Person an den Tag gelegt hatte. Unweigerlich und mit einem sanften Lächeln bedachte der Hayabusa sie dabei stumm, als sie ihre tiefgrünen Augen öffnete und ihm entgegensah. Sie hatte verstanden. Und wenn es nur ein Ansatz war. Aber die Saat war gesät und nun musste sie nur ein wenig gepflegt werden, bis sie ihren eigenen Weg gen Himmel suchte. Doch ihre Worte, nicht die über seine irrsinnige Idee zu singen, zeugten davon, dass jener Ansatz bereits mehr war als sie vielleicht glauben mochte. Dennoch ließ ihn gerade letzterer Satz aufhorchen, brachte ihn gar zum Schmunzeln. Wie so oft trat der Templer auf sie zu, legte ihr beide Hände auf die Schultern und schüttelte nur sachte den Kopf. „Hör mal. Ich mag dich, Freiya. Also verschone ich dich lieber damit.“
Noch bevor sie wirklich antworten konnte, wackelte jedoch der alte Godo vorbei, die Augen auf Halbmast und mit dem obligatorischen Versuch, den Ruß aus den verbrannten Spitzen seines Bartes zu streichen. „Einmal ein Weib in der Schmiede und schon erspart er uns sein Gekrächze. Die jungen Burschen heutzutage …“
Doch bevor Godo noch mehr von sich geben konnte, war er schon daran, einem der Lehrlinge einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben und ihn für die falsche Haltung beim Betätigen des Blasebalges zu tadeln. Dann … murmelte er weiter. Ein wenig unbeholfen fasste sich der Hayabusa an den Hinterkopf und runzelte die Stirn. „Tja. Nun.“
„Nuuun…?“ Freiya schmunzelte und neigte den Kopf etwas schief. „Nun, dieser Jemand von dem du da gesprochen hast, muss sehr weise gewesen sein. Oder zumindest ein Gefühl dafür, was ‚mit dem Herzen dabei sein‘ wirklich bedeutet.“
Sein Blick wanderte kurz etwas ziellos durch die Schmiede, bis er auf der Haarspange, dem so hochgeschätzten und geheiligten Kleinod der roten Snapperin hängenblieb. Wieder lächelte er sanft und verstand schließlich. Eher zu sich selbst gerichtet, ließ er nur ein schlichtes „Ja, das sollte gehen“, von sich und blickte dann wieder gen Esse. Die Jahre im Umgang mit dem Sumpfstahl hatten ihn genug gelehrt, um zu wissen, wie man ihn bei kleineren Verfehlungen ohne Abstriche retten konnte und Freiya … würde dem keine Bedrohung darstellen.
„Noch ein wenig Grobarbeit, dann kann der Stahl erst einmal ruhen, bevor wir an die Dornen gehen.“
„Ach, das wird so ein richtiger Totschläger? Kein glatter Kopf?“
Ryu nickte. „Nicht, dass ein gewisser Druide sich beleidigt fühlt, wenn er das sieht. Wo steckt der Kerl eigentlich gerade?“
„Belästigt vermutlich wieder irgendwelche Frauen im Mondschein …“
„Aber die Sonne … Ach, vergiss es. Der schafft es auch bei Tag, zu … Also, Schmieden!“ der Schwertmeister klatschte einmal in die Hände und ging dann herüber zu dem Brett an dem allerlei Schürzen hingen, blickte kurz zu Freiya, dann zurück, nickte und reichte ihr eine die wohl grob passen würde. „Keine Lust auf Ricklens Vorwürfe, wenn du mit Brandflecken auftauchst“, gab der Hüter zu verstehen, grinste dabei etwas schief und half ihr, die Schürze überzuziehen.
„Gut. Der nächste Teil verhält sich ähnlich wie zuvor: der Kopf muss in Form gebracht werden. Und dieses Mal von deiner Hand. Schnapp dir den zweiten Hammer und dann fangen wir an. Ich tippe zwei Mal mit der Zange an den Rand des Ambosses und wenn du den richtigen Zeitpunkt fühlst, dann schlag zu. Schnell, fest und präzise. Gleichgewicht. Wenn ich einen Schlag nachsetzen muss, lief etwas schief. Keine Sorge, du kannst nichts kaputt machen. Bereit?“
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Der Schrein der Mutter - Gilana
Unbewusst fuhr sich Gilana mit der weichen Spitze der Rabenfeder über ihr Kinn, während sie zunächst auf die Abschrift und dann auf die Hand blickte, die ihr dargeboten wurde.
Der Blick der Druidin blieb dabei abweisend mit einer Spur Arroganz, da sie es immer noch nicht verstand, wieso man sie für derlei Nonsens in ihrer Ruhe störte. Natürlich war sie die einzig fähige Fachfrau in diesem Sumpf und ganz sicher auf der gesamten Insel, aber dass jetzt schon gemeine Fremde einfach zu ihr geschickt wurden, war fast schon ein Sakrileg! Sie musste eindeutig noch an ihrem Ruf arbeiten, offensichtlich war sie immer noch zu nett! Jedenfalls musste sie, wenn sie ihren monatlichen Frauenzirkel der geheimnisvollen Vetteln von Tooshoo* abhielt, der alten Rimbe mal ein paar Takte husten, was das Schicken von Fremden – oder überhaupt Menschen – betraf.
Jedenfalls brauchte es nur einen einzigen Blick, um zu sehen, dass es sich hier nicht um die Alte Sprache handelte. Und alles, was nicht mit der Alten Sprache zu tun hatte, war für Gilana uninteressant. Ihr Blick fiel wieder auf den Ziegenbock, der sie anfunkelte. Sie konnte spüren, dass er eine weitere Ladung Ziegendreck zwischen den Arschbacken sitzen hatte, die nur darauf wartete, den Schrein der Mutter weiterhin zu verunreinigen.
Entnervt schnappte Gilana sich das Pergament.
„Daher weht also der Wind“, sagte sie dann. „Du hast ein Problem und schleppst deswegen deine Zweibeinerin hier an.“
„Da geht’s dem Menschlein wie dem Ziegenbock“, meckerte Timo und es klang, als würde er sich über seinen eigenen Spruch amüsieren.
„Unruhe, hm?“, sprach die Druidin schließlich zu Corsika. Zwei Fremde mit Verdauungsproblemen am Schrein der Mutter, na großartig. „Was auch immer das hier bedeutet, ich will es nicht lesen, denn es ist die Sprache des dunklen Gottes und diese wird hier auf diesem Hain niemals gesprochen werden, solange ich hier lebe. Aber … diese Unruhe, nun, du … ihr scheint noch nicht am Ende eurer Reise angekommen zu sein.“
Corsika und Timo blickten Gilana fragend an. Gereizt drückte Gilana Corsika das Papier wieder in die Hand. „Ihr müsst zu den Schwarzmagiern, wenn ihr diese Beliar-Symbole deuten lassen wollt. Hier jedenfalls werdet ihr nicht fündig.“
Sie stellte sich vor die Statue der Mutter und massierte entnervt ihre Schläfen. Beliar-Symbolik am Schrein der Mutter! Hatte man solch eine Ketzerei denn schon einmal gesehen?
Timos Arschbacken begannen zu zittern.
„Wie kommen wir zu den Schwarzmagiern?“, blökte er.
„Auf euren Beinen, ihr fliegt, ihr schwimmt, ist mir egal!“, erwiderte Gilana. Doch dann drehte sie sich zu Corsika um und sagte wesentlich weniger gereizt:
„Die Schwarzmagier leben im Süden der Insel, angeblich in nem Schloss oder sowas hoch über der Küste. Zumindest wird man euch dort weiterhelfen. Irgendwie. Ganz sicher.“
Sie hoffte, dass das reichte, um diese Störer des Friedens wieder loszuwerden.
Freiya
*Dem MFZdgVvT gehörten nur die schrecklichsten geeignetsten Frauen, sprich die Alten mit dem größten Warzen Wissen über den Sumpf und das Waldvolk an. Das waren die alte Rimbe, Hooqua und natürlich Gilana selbst, abgesehen von ein paar weiteren Wachteln, deren Namen Gilana nicht einfallen wollten. Trotz größter Umsicht, den Zirkel absolut geheim zu halten, schienen einige Individuen bereits davon Wind bekommen zu haben. So hatte wohl erst kürzlich der Hauptmann versucht, die Rimbe-Enkelin darüber auszuquetschen. Gilana suchte immer noch nach dem Strafmaß für derlei maßlose Impertinenz!
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Gasthütte
‚Ihr müsst zu den Schwarzmagiern‘, wiederholte Corsika in Gedanken den einzigen Satz von Wert, den sie aus Gilanas aufgebrachter Reaktion hatte mitnehmen können. Es war inzwischen Nacht und sie lag mit wachen Augen in ihrer provisorischen Bettstatt, wo sie den nächtlichen Klängen des Sumpfes lauschen konnte. Das sanfte Gluckern des feuchten, ja fast schon lebenden Bodens und die leisen Gesänge der Wildnis hatten etwas Beruhigendes an sich.
Corsika hatte sich hier eigentlich schon ganz gut eingelebt; die Waldbewohner waren zwar alle ein wenig verschroben, aber vielleicht war das auch ganz einfach eine Eigenheit der Inselkultur. Dion kam ihr ja auch schon immer seltsam vor, doch im Vergleich zu Gilana war er friedlich, freundlich und harmlos und seit er sich nicht mehr für einen Untoten hielt, konnte man sogar wieder normal mit ihm sprechen. Meistens zumindest. Gerade kam er in die Hütte geschlurft und zog eine Schnute wie drei Tage Regenwetter. Corsika wusste längst, was Sache war, immerhin hatte sie Schuld daran. Sie hatte eine seiner Ziegen verkauft - ausgerechnet die kuschelweiche Molli hatte sich Ronja ausgesucht. Und obwohl Corsika ihm hoch und heilig versprochen hatte, dass sie die eingetauschten Sachen mit ihm teilen würde und sie damit langfristig vielleicht wirklich etwas verdienen konnten, wollte sich seine Laune nicht bessern. Sie musste ihn irgendwie auf andere Gedanken bringen.
„Hey Partner“, rief sie ihn, als er seinen Blick einmal nicht wie bedröppelt am Boden hängen ließ. „Komm her, ich hab ein Geschenk für dich.“
„Will ich aber nicht …“
„Jetzt benimm dich nicht wie ein Kleinkind und komm her!“ Sie klopfte auf den Platz neben sich und er gehorchte widerwillig. Dann reichte sie ihm einen Stängel vom Sumpfkraut, das Ronja ihr vermacht hatte. Corsika selbst hatte davon noch nichts probiert, aber es schien eine sehr beruhigende Wirkung auf die Leute hier zu haben. Vielleicht konnte es auch Dions Stimmung etwas heben. Sie drückte es ihm in die Hand und lehnte sich wieder zurück.
„Sag mal, du kennst dich doch mit den Göttern und ihren irdischen Vertretern ein bisschen aus, nicht wahr?“
„Ein bisschen … aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“
Scheiße, wie konnte man nur so deprimiert sein? Da war ihr ja seine Zombieform noch lieber als das.
„Was hältst du davon, wenn wir den Schwarzmagiern im Süden von Argaan einen kleinen Besuch abstatten, hm? Die Seherin Gilana hat mir geraten, mich mit Timo dorthin zu begeben, wenn wir mehr über diese seltsamen Symbole auf dem Monolithen lernen wollen und vielleicht können die deinem Ziegenbock ja helfen, wieder normal zu werden. Und dir auch, immerhin bist … warst du ja auch schon ein halber Untoter …“
Geändert von Corsika (08.01.2025 um 09:23 Uhr)
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Lehrling
„Den Schwa-“ Dion riss die Augen auf und seine Worte gingen in einen Hustenanfall über. Dabei hatte er noch nicht einmal den Sumpfkrautstängel angezündet, als dass er sich an dem Rauch hätte verschlucken können!
Es dauerte fast eine Minute, bis der Husten nachließ. Dions Entsetzen hingegen nicht: „Zu den Schwarzmagiern? Die wo Beliar anbeten? Aber ich habe echt schlimme Geschichten gehört über die! Die machen Leute zu Zombies und so, so wie … wie …“ Er räusperte sich und sah Corsika unsicher an. „So wie du?“
Natürlich. Dion ließ den Kopf hängen. Das war es also. Corsika, die Wu-Du-Hexe, hoffte, in den bösartigen Schwarzmagiern verwandte Seelen zu finden. Wahrscheinlich würden sie dann versuchen, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Und was wäre seine Rolle in diesem furchtbaren Spiel?
„Versprichst du mir, dass … dass du mich nicht wieder zum Zombie machst?“, fragte er mit leicht weinerlicher Stimme. Ihm war schnell klar geworden, dass ihm gar nichts anders übrig blieb. Dass Corsika ihn überhaupt fragte, war doch nur Theater, damit er sich besser fühlte. Eine echte Wahl hatte er nicht – falls er ablehnte, sie zu begleiten, würde sie ihn garantiert einfach mit irgendeinem Fluch belegen oder ihn gleich wieder zum Zombie machen.
Dabei hatte er begonnen, sich an das Leben hier an diesem riesigen Baum mitten im Nirgendwo zu gewöhnen! Die Festlichkeiten, denen er hatte beiwohnen können, waren … festlich gewesen, und nachdem er in den vergangenen Tagen versucht hatte, sich hier und da nützlich zu machen (und sei es nur, indem er nicht im Weg stand), hatte er sogar eine frische Garnitur Kleidung erhalten. Okay, vielleicht nicht direkt frisch, Wams und Hose waren eindeutig schon getragen worden und hatten hier und da einen Flicken, aber die Klamotten waren warm und passten ihm erstaunlich gut. Tatsächlich war die Jacke ihm sogar ein bisschen weit um die Hüfte! Und jetzt, da Corsika die kuschelweiche Molli an die Leute von Tooshoo verkauft hatte, da hatte er eigentlich noch einen Grund mehr, hier zu bleiben. Einen guten Ziegenhirten würde man hier doch sicher nicht ablehnen, oder?
Aber es ging eben nicht. Dion seufzte und drehte den Sumpfkrautstängel zwischen seinen Fingern. Er hatte bisher noch nie einen davon geraucht, obwohl das hier in Tooshoo offensichtlich jeder tat. Im Orden war das natürlich strengstens verboten gewesen! Aber zum Orden zurückzukehren – die Kutsche war ohnehin abgefahren. Er war seit Wochen verschwunden, mitsamt seiner Ziegen. Man würde ihn in Thorniara längst als Dieb suchen. Scheiß drauf!, dachte er sich und zündete das Sumpfkraut an, indem er den einzigen Zauber anwandte, den er in seiner gesamten Karriere als Diener Innos‘ jemals hatte meistern können: Eine kleine Flamme erschien auf seiner Daumenspitze. Das Kunststückchen nannte er ‚Feuerzeug‘, und was einem Feuermagier nur ein verächtliches, müdes Lächeln entlocken konnte, hatte ihm hier in Tooshoo schon einige neidische Blicke eingebracht. Sogar von Leuten, die angeblich selbst Magie beherrschten! Sie alle hätten gern so eine einfache Art, ihr Sumpfkraut zu entzünden. Hatten sie aber nicht. Das konnte nur er!
Er nahm einen tiefen Zug von dem Kaut und hustete direkt wieder los, als er den heißen, kratzigen Rauch in die Lunge sog. Als er sich davon erholt hatte, stellte er jedoch fest, dass ihn die Aussicht, zu den Schwarzmagiern zu reisen, gar nicht mehr so sehr schreckte.
„Zu den Schwarzmagiern, hm?“, nuschelte er und strubbelte Timo über den Kopf. Der kleine Ziegenbock saß vor ihm und sah ihn durchdringend an. Dion zuckte mit den Schultern. „Na, von mir aus. Oder wir legen uns einfach ins Gras und gucken die Sterne an. Mir egal …“
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Wieso gehen wir nicht durch das Dorf?, wollte Exzentrik wissen, die mit jedem Schritt, den sie näher an den mächtigen Weltenbaum Tooshoo gekommen waren, aufgeregter zu werden schien.
Narzissmus schwieg vorerst. Sie hatte ihre Gründe, warum sie nicht an den Wurzeln vorbeiziehen wollte. Es gab mittlerweile einige Menschen dort in Schwarzwasser, die ihr Gründe geben konnten, nicht weiter gen Osten zu ziehen. Sie dachte an Ryu, der sich bei ihrer letzten Begegnung nicht so verhalten hatte, wie sie es sich all die Jahre ausgemalt hatte. All die Jahre, die sie das Versprechen ihm gegenüber ausgehöhlt hatte wie ein Meißel den Marmor.
Dann war da Freiya, der sie kurz vor ihrer Abreise ein Versprechen gegeben hatte. Wie lange war das jetzt her? Und was hätte Chala vorzuweisen, wenn sie aufeinandertreffen sollten? Einen noch immer zerbrochenen Geist und Erinnerungen, die sich auf verschiedene Teile verstreuten. Das war nichts, was sie mit Stolz zugeben wollte.
Können wir nicht wenigstens den Jadewolf begrüßen?, maulte Exzentrik nun und erregte damit endlich die Aufmerksamkeit von Narzissmus, die von der Erwähnung des Namens aus ihren eigenen Gedanken gerissen wurde.
“Was ist mit dem Jadewolf?”, fragte sie vorsichtig, auf der Hut wie ein Tier, welches sich bedrängt fühlte.
Er war eine weitere Person, wegen der sie den großen Baum meiden wollte. Nicht, dass sie ihn nicht gern treffen würde, doch sie war in seiner Baumhöhle aufgewacht nach Beltane, ohne jegliche Erinnerung. Außerdem war er es, der ihr die Idee schwanger sein zu können in den Kopf gepflanzt hatte. Doch jetzt, wo sie darüber nachdachte und Exzentriks Reaktion mitbekam, dämmerte ihr, was geschehen war.
“DU warst es also, die an Beltane… hier war?”, fragte sie, etwas unbeholfen darin sich sinnvoll auszudrücken.
Beltane hieß die Feier?, entgegnete Exzentrik überrascht, War mir nicht klar, aber das Sumpfkraut war gut und das Tanzen mit all den interessanten Männern und der Jadewolf… hmmmmm, summte sie vergnügt und schwelgte wohl in Erinnerungen an eine ereignisreiche Nacht.
Narzissmus seufzte.
“Dank dir bin ich also bei ihm in der Baumhöhle aufgewacht”, nuschelte Chala.
Oh? Bist du? Und? Wie war er noch so? Wir haben die ganze Nacht…
Das muss wirklich nicht sein! Denkt doch Mal an Naivität, echauffierte sich Empathie und es wirkte so als würde sie sich schützend vor die kindliche Persönlichkei stellen, die wiederum versuchte, so viel wie möglich aufzuschnappen.
Ihre Unschuld zu bewahren, dürfte sich durch das Öffnen der Pfade in unserem Geist als ein unmögliches Unterfangen herausstellen, mischte sich nun auch Sorgfalt ein, deren Logik unbestreitbar war.
Kein Grund es nicht trotzdem zu versuchen!, wehrte sich Empathie dennoch.
Wer oder was ist der Jadewolf?, wollte Naivität wissen und schien bereits große Augen zu bekommen.
Exzentrik kicherte und lehnte sich zurück, während Narzissmus ein weiterer Seufzer entwich.
“Ich wünschte, ich könnte euch alle einfach wieder ausblenden”, stieß sie aus.
Mach dich nicht lächerlich. Du hast dafür gesorgt, dass diese Dynamik entstehen konnte, indem du vorangetrieben hast, was ich ins Tagebuch geschrieben habe. Nutz es lieber für uns, statt nur die schlechten Seiten zu sehen, forderte Sorgfalt.
“Das ist genau das, was ich vorhabe. Euch mir zu Nutze zu machen”, flüsterte sie, doch genauso gut hätte sie schreien können, denn die anderen bekamen jedes Wort mit.
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