-
Weniger Kraft also, dafür etwas feinfühliger? Na-Cron zuckte innerlich mit den Schultern. Aniron war da nun mal die Expertin, also sollte er ihr in der Hinsicht wohl vertrauen.
Der Novize hatte gedacht, dass es bei dem Lichtzauber ähnlich wäre wie mit der Erschaffung der magischen Flamme oder dem Schweben lassen von Gegenständen. Man erspürte die magische Kraft, konzentrierte sich und lies sie dann einfach fließen. Und dann war das Ergebnis der entsprechende Zauber.
Doch dann erinnerte sich Na-Cron daran, wie Kisha das Laken entzündet hatte. Oder als er in seiner Wut mittels Kraft seiner Magie das Messer geworfen hatte. Dort war auch mehr Magie eingesetzt worden als nötig gewesen war.
Da war es vermutlich keine schlechte Idee an dem Lichtzauber den Zufluss der magischen Energie zu üben, denn wenn das schlimmste daran eine zerplatzende Lichtkugel war, dann konnte dadurch niemand verletzt werden. Vielleicht länger geblendet, dass ja. Aber dauerhaft? Vermutlich nicht.
Also begann Na-Cron erneut damit, sich auf die Magie zu konzentrieren. Diesmal jedoch versuchte er es, so wie Aniron es ihm geraten hatte, mit etwas mehr Feingefühl. Statt einer fertigen Kugel, die bis zum Rand mit arkaner Kraft gefüllt war, stellte er sich vor, wie die Magie langsam hinein floss und so die Kugel immer mehr ausfüllte.
Als er seine Hand mit der Innenfläche nach Oben ausstreckte, erschien ein schwebendes kleines Fünkchen darüber, kaum mit dem bloßen Auge zu erkennen. Doch je mehr Magie der Novize vorsichtig hinein strömen lies, desto größer und heller wurde die Kugel. Irgendwann hatte sie einen Punkt erreicht, wo sie prall gefüllt wirkte, fast wie ein voller Weinschlauch. Erst dann lies Na-Cron den Zufluss der Magie verebben und bewunderte das stabile, leicht pulsierende weiße Licht der Kugel.
Freude und Erleichterung durchströmten ihn, als er das fertige Ergebnis über seiner Handfläche schweben sah. Er hob und senkte die Hand, was die Kugel problemlos mitmachte. Sie schwebte weiterhin über seiner Handfläche und verringerte ihren Abstand nicht.
Stattdessen wurde das Licht der Kugel langsam Gelb, als er anfing, dass Gefühl der Freude mit der Magie zu teilen. Vielleicht war Magie am Ende doch nicht so schwer zu erlernen, dachte der Bergmann.
Doch plötzlich wurde er aus seiner nachdenklichen Stimmung gerissen. Irgendwas musste Kisha aufgeregt haben, so wie sie vor Aniron stand und energisch auf sie einredete. Na-Cron verstand nicht, worum es ging. Doch seine Verwirrung spiegelte sich im Licht seiner Kugel wieder. Diese flackerte und wechselte immer wieder zwischen den verschiedensten Farben hin und her.
-
Alberichs Schmiede
Isidor spürte den prüfenden Blick seines Meisters auf sich, während er die Rüstung von Taavi abnahm. Seine innere Unruhe war scheinbar selbst von außen zu erkennen und er biss sich unbewusst auf die Unterlippe, ein Ausdruck seiner Frustration mit sich selbst. Nachdem sich der Krieger auch des Gambesons entledigt hatte, fuhr er sich durchs zerzauste Haar, lächelte noch einmal glücklich und verließ die Schmiede mit dankenden Worten. Die schwere Holztür fiel ins Schloss und beinahe erwartete der Schmiedegeselle, dass Alberich ihm eine scheuerte.
„Junge, wir müssen reden“, sagte er stattdessen mit einer Stimme, die sowohl Strenge als auch Besorgnis verriet, „Ich kann dein Verhalten so nicht dulden. Was ist los mit dir? Ich hatte den Eindruck, dass du weißt, wie man ein Geschäft abwickelt.“
Der Hüne senkte den Blick, fühlte sich mit einem Mal sehr klein, und versuchte, die aufsteigenden Emotionen zu unterdrücken.
„Es tut mir leid, Meister. Ich… ich habe einfach viel im Kopf“, brachte er nichtssagend hervor.
Zu seiner Überraschung legte der Schmiedemeister eine Hand auf seine Schulter und drückte sie leicht.
„Ich verstehe, dass du deine eigenen Kämpfe hast, aber du darfst das nicht an unseren Kunden auslassen oder es vor ihnen auch nur zeigen. Wir sind hier, um ihnen zu dienen und ihnen die beste Rüstung zu bieten, die sie bekommen können.“
Isidor nickte stumm, während Alberich fortfuhr.
„Wie eben erwähnt, werde ich dir die Aufgabe übertragen, die Rüstung zur Akademie zu bringen, nachdem du sie noch einmal poliert hast. Vielleicht hilft es dir dabei, deinen Kopf frei zu bekommen.“
„Ja, Meister“, antwortete der Geselle und begann damit die Rüstungsteile durch den Hinterhof in das Lager zu schaffen, wo er sich an die Arbeit machte. Mit einem dünnen Öl und ausladenden Bewegungen säuberte er die Bronze ein letztes Mal von dem feinsten Schmutz, während er seine Gedanken dazu zwang nicht wieder in ungewünschte Richtungen abzudriften. Dafür nahm er alles als Ablenkung, was er finden konnte. Eine besonders hartnäckige Unebenheit im Metall oder die feinen Details der dezenten Verzierungen, die sein Meister in dieses Stück eingearbeitet hatte.
Erst, nachdem er alle Teile zu seiner eigenen Zufriedenheit poliert hatte, holte er Alberich hinzu, damit dieser seine finale Zustimmung geben konnte.
„Sehr gut, verpack sie in einer der Kisten und dann kannst du damit zur Akademie gehen. Nimm dieses Schreiben mit“, er reichte ihm ein mit Wachs versiegeltes Pergament, was dem Symbol der Schmiede entsprach, „und übergib es nur gegen die Bezahlung, die du entweder vom Rüstwart oder Meister Tiberon, dem defacto Leiter der Akademie erhältst.“
„Verstanden, Meister.“
„Und Isidor? Ich bin für gewöhnlich kein Mann der vielen Worte. Aber das hält mich nicht vom zuhören ab.“
Der Blondschopf schluckte schwer bei den Worten, während Alberich bereits wieder auf dem Weg in die Schmiede war. Mehrere Male atmete er tief durch, bevor er sich daran machte, die Rüstungsteile sorgsam zu verstauen und die Kiste sicher zu verschließen. Insgesamt wog sie nicht wenig, doch für einen Schmied war das Gewicht tragbar.
Das Schriftstück sicher in der Innentasche seines Wamses verstaut, hievte er seine wertvolle Ladung hoch und machte sich auf den Weg zur Akademie.
„Ich bin bald zurück, Meister“, verabschiedete er sich und warf einen Blick auf die verschlossene Tür zu Elaras Werkstatt.
Ob sie noch immer schlief?
-
Neuling
Jasque faszinierte die lebendigen Straßen – ihre Leichtigkeit aberauch Härte. Jede Gasse hat eine andere Geschichte. Du willst wissenwie es den Menschen in Stewark geht, dann schau auf die Straßen.Nichts kann das Leben dieser Menschen besser darstellen als ihreDarstellung, fast ein Schauspiel, des Alltags. Und für Freunde desSchauspiels, zu welchen sich Ellie und Jasque zählten, ist dastägliche Gewusel in der Stadt voll mit Akten oder Szenen. Der jungeMann war schon immer beeindruckt von der Fülle an vielen, großenGeschichten welche jeder dieser Einwohner der Stadt erlebt undweiterträgt. Ihn faszinieren die Menschen in all ihren Details undEinzigartigkeiten. Gerade die Menschen und ihre Geschichte haben esihm angetan, die von der Gesellschaft ganz weit unten angesehenwerden. Und vielleicht nennt man es Nächstenliebe, Empathie odersogar Naivität doch Jasque hat immer an seinen Prinzipienfestgehalten und wenn er nicht auf die Nesthäkchen aufpasst – werdann?
„Passend dass du es gerade erwähnst…“, sagte er und setzteeinen Fuß vor den anderen. Ellie, derer Blick noch über die Ständekreiste, huschte ihm schnell nach als sie bemerkte dass er bereitsmehr Schritte machte als sie im Normalschritt aufholen hätte können.„Also…?“, fragte sie seiner Augenpaare suchend und das Vokal Odeutlich in die Länge ziehend. Er blickte immer wieder kurz in ihreAugen, konnte sich das breite Grinsen durch das ganze Gesicht nichtmehr verkneifen. Er rieb durch seinen stoppeligen „ich hab die Tagevergessen mitzuzählen“ Bart und klatschte dann in die Hände. „Ichhab dir doch von meinem kleinen Experiment erzählt, oder?“ Undnoch bevor Ellie irgendetwas sagen konnte, quasselte er einfachweiter. „Da war ja zuerst diese wunderschöne Blume. Ja, die dieich dir mitgebracht habe. Ich habe zuerst nicht drüber nachgedachtals ich sie dir gepflückt habe aber dann gingen mir deine Wortenicht aus dem Kopf. „So eine Blume hab ich hier noch nie gesehen.“Dann kam mir die Idee dass es mit der Erde zu tun haben könnte.“Während er sprach, hörte Ellie ihm regelmäßig nickend zu. WennJasque in solche Erzählverstrickungen geriet, kam er meist dann erstda raus wenn er fertig erzählt hatte. Mit Pech konnte das langedauern. Nicht zum ersten Mal musste Ellie den jungen Mann teils mitseinen Körper durch die Menschenmengen steuern. „Wir laufen immernoch richtig?“, fragte Ellie worauf Jasque nickte und fortfuhr: „Ich habe ein paar Versuche gestartet und wollte heute einfach doppeltsichergehen, dass ich Glück habe und da kommst du ins Spiel. DiesesGlücksspiel…“, sagte er und bückte sich plötzlich um zwischen Mauern hindurch zu kriechen. Er zog sie zu sich runter und erzähltemunter weiter. „ ...sollte ich gewinnen ist das Glück mir Hold.Solltest du Gewinnen habe ich auch Glück weil du mein Glücksbringerbist. Deswegen war es wichtig dass du mitkommst. Ich weiß nämlichselber noch nicht ob es soweit ist aber … dass sehen wir …jetzt.“
Mit den letzten Worten stellte er sich wieder auf und stand mit Ellieauf einem mittelgroßen Erdstück umringt mit Mauern. Man sollteeigentlich meinen, dass es in einem Kasten umringt mit dicken Mauerndüster ist jedoch hatte das Mauerwerk schon bessere Tage gesehen undwar deswegen brüchig und löchrig. „Es hat geklappt!“, sagteJasque mit aufgeregter Stimme und beugte sich hinunter um einzelnePflänzchen zu begutachten. „Das hier sind Jungpflanzen von einerKartoffelpflanze und einigen Wurzelgemüsesorten. Sie scheinen zuwachsen. Ich baue uns Gemüse an.“
-
Kräutergarten
„Ein schönes Blau“, sprach Aniron. Mera, die die Augen geschlossen und den Kopf gen Brust gerichtet hatte, schien aufzuschrecken.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, sprach die Wehmutter. „Aber dein kleines Licht, es hat ein sehr schönes Blau angenommen. Ich mag Blau, ich persönlich verbinde es mit Adanos, wenngleich mir bewusst ist, dass das nicht für jeden gilt.“
Sie lächelte der schweigenden Novizin zu.
„Ich habe den Eindruck, dass dich etwas zurückhält, Mera, aber ich weiß nicht, was es ist. Ich denke, wenn du loslässt, was auch immer dich bedrückt und dich eingrenzt, du wahrlich Großes vollbringen kannst. Mir scheint, du traust es dir nur selber nicht zu. Aber schau, was du schon erreicht hast, seit du hier angekommen bist. Ich würde mich jedenfalls freuen, noch einmal so ein schönes leuchtendes Blau von dir zu sehen. Üb noch ein wenig mit dem Licht und wenn du dich bereit fühlst, können wir weitere magische Herausforderungen angehen.“
Vorsichtig legte Aniron ihre Hand an Meras Schulter und nickte ihr lächelnd zu, dann ging die Priesterin weiter.
Ein tiefes Rot zog Aniron als Nächstes in den Bann. Kishas Lichtkugel leuchtete in einer Leidenschaft, wie sie der Torgaanerin selbst innewohnte. Doch plötzlich färbte sich das Licht grau, ein Grau voller Schmerz, das Leben ablehnend und nicht mehr Licht spendend, sondern sein Umfeld aufzehrend. Aus theoretischer Sichtweise unglaublich interessant! Aus menschlicher Sichtweise jedoch fast herzzerreißend, ganz besonders, als Kisha sich die Maske vom Gesicht riss und weinend zusammenbrach, bevor ihre Lichtkugel erlosch. Aniron machte ein paar große Schritte zu der Novizin hin, doch sie hatte sich schon aufgerappelt und trat mit tränennassem Gesicht auf sie zu.
„In die Silberseeburg, ja?“, fragte Aniron nach Kishas Ausführungen.
Kisha nickte mit wilder Entschlossenheit.
„Ich denke, das ist möglich, dafür sollten wir mit Tinquilius sprechen. Ich befürchte, dann musst du uns jedoch ein wenig darüber erzählen, was du dort zu suchen oder finden gedenkst.“
Sie legte Kisha tröstend den Arm um die Schultern.
„Du hast sehr viel gelernt in der letzten Zeit, es ist vollkommen in Ordnung, wenn du erst einmal nicht weiter machen möchtest. Du hast die Grundlagen von Adanos‘ Magie erfasst und erste Zaubersprüche gewirkt und das auf deine ganz eigene Art und Weise. Du solltest sehr stolz sein, Kisha. Es ist schön, dass du ein Teil dieser Gemeinschaft bist. Solltest du doch eines Tages die Lust nach mehr verspüren, dann werden wir dich gerne wieder unterweisen und weiterhin auf dem Weg begleiten, deine Magie zu erkunden. Dann könntest du bereits kompliziertere Sprüche lernen. Fürs Erste aber kümmern wir uns um deinen Wunsch, in die Silberseeburg zu kommen. Jetzt erhol dich ein wenig, ich möchte noch nach Na-Cron schauen.“
Denn Na-Crons Lichtkugel flickerte und flackerte hin und her, als könne sie sich nicht entscheiden, welche Farbe sie annehmen sollte.
„Das sieht interessant aus und sogar ein bisschen beeindruckend“, sprach Aniron zu dem Novizen. „Damit bist du einer Feier oder einer geselligen Runde auf jeden Fall ein echter Hingucker.“
Sie grinste und der verwirrte Ausdruck auf Na-Crons Gesicht wich langsam.
„Auch du hast das sehr gut gemacht, Na-Cron. Damit bist du wie Kisha auch in die Grundlagen der Magie Adanos‘ eingewiesen. Alles, was du gelernt hast, solltest du noch weiter verfeinern, um dein Gespür für die Magie weiterhin zu steigern. Wenn du dich bereit dafür fühlst, kannst du Aaras, mich oder einen der anderen Magier bitten, dir kompliziertere Sprüche zu zeigen. Es scheint mir, dass du gerne liest, vielleicht findest du etwas in den Büchern, das dein Interesse weckt. Fürs Erste, ruh auch du dich etwas aus und sei stolz auf dich.“
Aaras, der bisher alles still beobachtet hatte, trat an Aniron heran.
„Hast du noch irgendwas hinzuzufügen?“, fragte die Wehmutter, doch der Adept verneinte.
„Haben die Novizen sich nicht sehr gut gemacht?“
Aaras nickte und Aniron spürte wie ein Gefühl der Zufriedenheit und Zuversicht sich in ihr breit machte. Doch dann ordnete sie ihre Robe udn räusperte sich.
„Wunderbar, bleibt alle noch hier, wenn ihr mögt. Aber ich muss weiter, in der Heilkammer wartet jemand auf mich. Kisha, um deine Sache kümmern wir uns. Adanos zum Gruße vorerst, wir sehen uns“, sprach Aniron, dann rief sie nach ihrer Tochter, um den Kräutergarten zu verlassen.
-
Lehrling
Tage vergingen, in denen Necomar zum einen die Stadt Stewark kennenlernte, ihren Bewohner – ursprüngliche wie dazu gezogene – und deren Geschichten lauschte. Noella und Merik waren in der Tat gute Seelen, die ihren eigenen Wohlstand, den sie als Kaufleute durchaus hätten haben können, freiwillig aufgaben, um den Mittellosen der Stadt zu helfen. Ihre eigene Erzählung alleine war schon bedrückend wie inspirierend. Einstmals reiche Händler in der Stadt der Goldenen Dächer, dem Herzen des Argaanischen Reiches, Setarrif, verloren sie beim Angriff des Drachen und seiner Echsenwesen alles, was sie und ihre Vorfahren sich erbaut hatten. Von einem Tag auf den anderen waren sie zu armen Flüchtlingen degradiert worden, die nach ihrer Reise nach Stewark über die Silberseeburg – eine Festung im Inselinneren – selbst auf die Milde anderer Leute angewiesen waren.
Doch auch die Geschichten anderer Flüchtlinge luden zum Trauern, mal aber auch zum Lachen ein. Ein Handwerker, der in Setarrif recht hohe Schulden gehabt hatte – Das verfluchte Würfelspiel, Junge! – war von einem Tag auf den anderen schuldfrei gewesen, einfach weil das Viertel, in dem der Kredithai gelebt hatte, völlig zerstört worden war. Ebenjener hatte ihn zwar am Silbersee vor einen Beamten des Königs gezerrt, der hatte aber nur kurz angebunden erklärt, dass es keinerlei Belege und Beweise gebe und man im Zweifel für den Angeklagten sei. So hatte sich der Handwerker – früher Steinmetz – hier als Schreiner durchgeschlagen, ehe ein Unfall mit einem mannshohen Holzstapel dafür gesorgt hatte, dass sein rechter Arm brach und nie wieder richtig verheilte.
Da war aber auch die Geschichte eines Jungen, der Lewyn hieß. Angeblich, so sagte man sich in der Armenküche, war er das letzte Kind Setarrifs, der letzte Säugling, der dort zur Welt gekommen war, und zwar während des Angriffs. Merik hatte Necomar zwar später gesagt, dass es einige Leute gab, die ihre Kinder als „die letzten Söhne und Töchter“ bezeichneten, dies sich aber einfach nicht überprüfen ließ. Dennoch war die Geschichte von Lewyn – für sich genommen – traurig. Ein Großteil seiner Familie ließ ihr Leben in Setarrif. Andere starben in der Folgezeit und so war dem Jungen nur ein Dasein auf den Straßen Stewarks geblieben. Gelegenheitsarbeiten, für die er taugte, erledigte er, aber für alles andere war er schlicht noch zu jung. Er hoffte zwar, in einige Jahren der Stadtwache oder der Akademie beitreten zu können, aber auch das waren Institutionen, die Rekruten nicht von der Straße aufklaubten.
Der Junge war der einzige Mensch in der Speisung, der zwar dankbar, aber im Grunde tiefbetrübt war. Also hatte es sich Necomar angewöhnt, Lewyn Gesellschaft zu leisten und ihn sogar eingeladen, beim Zubereiten der Speisen zu helfen. Etwas, das ihn freute, hatte er auf die Art eine Beschäftigung.
Dabei plauderte er ohne Unterlass. So lernte der junge Mann aus Nordmar die Stadt und die Leute noch ein bisschen besser kennen. Er erzählte ihm von der Akademie, einem Ort, wo die Kampfkunst gelehrt wurde als das, was sie war: Eine Kunst. Lehrmeister aus allen Weltengegenden bildeten dort aus, auch wenn ihr Glanz nicht mehr dem der Akademie zu Zeiten Setarrifs entsprach. Wobei auch Lewyn darüber nur Geschichten kannte. Es klang jedoch wie ein Ort, wo ein Necomar eines früheren Lebens seine Heimat gefunden hätte. Vorallem als er hörte, dass bekannte, ja fast legendäre Mitglieder der Clans, als sie sich noch nicht vor König Rhobar hatten verbeugen müssen, dieser Einrichtung angehörten oder es getan hatten. Silmacil der Berg, Drakk der Rote Berserker, Taeris der Blutige und Colodos Orktod. Männer, von denen man immer noch an den Feuern in den Langhäusern sang.
Aber nun, Necomar war realistisch. Er war des Kämpfens müde, wusste das sein Körper die Anstrengungen auf lange Sicht nicht mehr verkraften würde.
Und ein stückweit ängstige ich mich davor, wieder Axt und Langmesser in die Hand zu nehmen. Blut zu vergießen. Lieber schlichte ich, als das ich streiten will.
„Ich mag die Leute hier“, meinte Lewyn dann unversehens, als er Kartoffeln schälte.
„Mh, wieso?“, fragte der Nordmann, der sie kleinschnitt.
„Na, also … man kann bei dem einen oder anderen aussprechen, was man denkt. Wenn ich auf dem Platz vor der Zitadelle nur ein schlechtes Wort über König Ethorn sage, droht mir fast sofort Prügel von seinen Soldaten …“ Er sah Necomar an. „Hier aber … ach, es ist einfach schön, über eine Freiheit und ein Leben zu reden, das man haben könnte.“
Necomar nickte, lächelte. „Ich weiß, was du meinst. Aber wer weiß, Kleiner, vielleicht schaffen wir uns diese Welt irgendwann. Freiheit, Frieden … hehre Ziele, die aber unvorstellbar wertvoll sind. So, und jetzt beeil dich. Du trödelst beim Schälen.“
Geändert von Necomar (08.11.2024 um 15:46 Uhr)
-
Heilkammer
„Und du bist vierzehn Sommer alt?“, fragte Chala den Jüngling, der sich nach ihrem Traum sehr darum bemüht hatte, dass sie sich beruhigte.
Teilweise wohl, weil sie mit ihrem Aufschrei die Ruhe der Heilkammer gestört hatte, wohl aber auch, weil er seine Aufgabe sehr ernstnahm.
Er nickte, wobei er es vermied ihr direkt in die Augen zu sehen. Stattdessen schob er zum bestimmt sechsten Mal den Wasserbecher auf dem Beistelltisch zurecht und blickte immer wieder auf ein Stück Pergament in seinen Händen. Seine Finger zitterten leicht und der Becher kratzte leise über das Holz.
„Ich muss sagen, dass du Runa sehr ähnlich siehst. Aber ansonsten habt ihr nicht viel gemein, oder?“
Chala beobachtete, wie der Junge mit den Schultern zuckte und an seiner schlichten, aber sauberen Kleidung zupfte. Die Aranisaani wusste natürlich, dass Sinan ihre Fragerei äußerst unangenehm war. Aber ihr war dermaßen langweilig, dass sie sogar einen Buben wie ihn ausfragen würde. Immerhin war Runa sehr reif für ihr Alter gewesen und sie hatte bereits einige Kerben während der Wilden Jagd verdienen können. Ihr Zwilling hingegen schien das Gegenteil von ihr zu sein.
Ein schelmisches Grinsen bildete sich um Chalas volle Lippen, während sie sich in ihrer sitzenden Position ein wenig nach hinten lehnte. Es war lange her, dass sie mehrere Tage in ihrer normalen Kleidung verbracht hatte und sie begann sich an das Fehlen der einengenden Rüstung zu gewöhnen.
„Und? Gefällt dir eine der Novizinnen, die hier herumlaufen?“, fragte sie ungeniert und beobachtete wie sich die Ohren des Jünglings rot färbten.
Sie wusste, dass er am liebsten verschwinden würde, um ihren unangenehmen Fragen zu entkommen, doch offenbar hatte er ein zu ausgeprägtes Pflichtgefühl oder war zu eingeschüchtert, um sich einfach zu entschuldigen, wie es Ältere sicher getan hätten.
„Du bist doch ein hübscher Kerl. Da werden doch sicher einige der Anwärterinnen schwach, nicht wahr?“, stichelte sie weiter.
Unbehaglich verlagerte der Junge sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Seine Hände zitterten nun stärker, und er schien nach den richtigen Worten zu suchen, während er den Blick auf das Pergament in seinen Händen gerichtet hielt.
„Ich… ich weiß nicht, was Ihr meint“, stammelte er schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Chala konnte sehen, wie der Schweiß auf seiner Stirn glänzte und seine Wangen noch röter wurden. Sie konnte nicht anders, als ein leises Lachen zu unterdrücken. Es war fast zu einfach, ihn in Verlegenheit zu bringen.
„Ah, ich glaube schon, dass du weißt, was ich meine“, grinste die Dunkelhäutige breit und zeigte die Zähne, „Die Roben verbergen zwar vieles, aber das ein oder andere hübsche Gesicht gibt es hier, soweit ich gesehen habe.“
Die Aranisaani wünschte, dass er etwas mehr aus sich herauskäme. Auf lange Sicht würde es ihm nicht guttun, wenn er seine Nase nur in Bücher steckte.
„Schon gut, Sinan“, sagte sie schließlich mit einem sanfteren Tonfall, „Ich wollte dich nur ein wenig aufziehen. Gibt nicht viel, was man hier machen kann.“
Der Junge nickte hastig, sichtlich erleichtert, dass das Verhör vorbei war. Er stellte den Becher ein letztes Mal zurecht und murmelte etwas von „Pflicht“ und „Hilfe“, bevor er sich eilig entfernte. Chala lehnte sich zurück und seufzte leise. Nun würde sie sich eine andere Ablenkung suchen müssen, doch in die kleine Stadt zog es sie dabei nicht. Natürlich hatte sie mehrfach darüber nachgedacht, ob sie sich bei der Akademie melden sollte, doch ohne einen Beweis, dass sie einst eine Klinge war, wäre es ein Kampf gegen Windmühlen. Außerdem hatte sie sich nie recht als eine von ihnen verstanden. Joe war es gewesen, dem sie gefolgt war und noch immer hingen ihre einige Entscheidungen dieser Zeit nach. Ob Aniron eine Lösung für ihr Problem finden konnte?
-
Lehrling
Jasque war ein merkwürdiger Mann mit merkwürdigen Ansichten und noch merkwürdigeren Hobbies. Aber etwas an der Art und Weise, wie er sie quer durch die Stadt geführt hatte, nur um ihr ein kleines Fleckchen voller Dreck zu zeigen, aus dem drei kümmerliche Blättchen an einem nicht mal fingerdicken Stängel vergleichsweise erbärmlich vor sich hinwuchs, veranlasste sie dazu jede auch noch so kleine Gemeinheit schnell wieder herunterwürgen, die sich begierig darauf, ausgesprochen zu werden, instinktiv auf ihre vorlaute Zunge geworfen hatte.
»Das... nun... hm- Kartoffeln also?« Ellie rang verzweifelt nach Worten und stammelte wild blubbernd vor sich hin. Jasque nickte mit wachsender Begeisterung. Das Funkeln in seinen Augen und das freudige Grinsen verrieten ebenso wie das scharfe Einatmen, das er zu einer erneuten Erklärwelle ansetzte. Das wollte die Einbeinige wenn möglich unterbinden. Denn die Sonne stand bereits tief und wenn ihr Freund einmal in Wallung geriet, war er nur schwer zu stoppen.
»Aber hast du keine Angst, dass niemand das hier«, fuhr sie ihm daher knapp dazwischen und deutete mit einer ausladenden Geste auf das winzige Fleckchen Erde, das man kaum als Acker bezeichnen konnte. »entdeckt? Und wie willst du die Pflanzen gießen? Wir mussten ganz schön weit laufen, um herzukommen. Und ich glaube nicht, dass irgendjemand hier-«
Jasques enttäuschter Blick ließ sie innehalten. Vor einigen Jahren hatte sie sich mal versprochen, stets der Wind in seinen Segeln zu sein. Gerade aber war sie mal wieder der Anker.
»Entschuldige, Jasque.« Sie legte ihm versöhnlich die Hand auf den Oberarm.
»Ich denke wieder in Problemen.« Ellie lächelte ihren ältesten Freund schief an. »Den kleinen Hosenscheißern wird es nicht gefallen, wenn demnächst mehr Gemüse auf dem Speiseplan steht. Aber es ist eine gute Idee. Ich bin mir sogar sicher, dass der eine oder andere dir helfen könnte mit deinem... Acker? Feld? Gemüsegarten?« Das nervöse Klackern ihres hölzernen Fußes unterbrach die entstandene Stille. »Irgendwie kriegen wir das schon hin.« Sie nickte aufbauend und sprach die Worte mehr zu sich selbst als zu ihrem Gegenüber.
»Apropos Hosenscheißer - es wird langsam dunkel und die kleinen Racker müssen ins Bett.« Verschmitzt grinsend hakte sie sich bei Jasque ein. »Wenn wir noch einen trinken gehen und das ein oder andere Stündchen totschlagen, schlafen sie schon, wenn wir wieder da sind.« Sie zwinkerte ihm neckend zu. »Also - was sagst du?«
-
Neuling
Der junge Handwerker schnaufte schwer und blickte sichtlich enttäuscht auf seine Pflanzen. Er hätte er ihr sagen wollen, dass seit Tagen keiner mehr hier war und dass er ja immer während seinen Runden vorbeischauen könnte doch hatte Ellie einfach Recht. Es war nicht dass erste Mal, dass er Ellie etwas zeigte und sie ihm ihre ehrliche Einschätzung gab. Sie fiel nicht selten eher fatal für ihn aus aber Jasque schätzte diese ehrliche Art an ihr sehr. Auch wenn ihre radikale Ehrlichkeit ihn manchmal etwas verletzt ist doch sehr froh, dass sie ihn manchmal von noch mehr Unheil rettete. Wenn er nicht auf sie hörte, erinnerte sie ihn immer wieder gerne an den "Feuerblitz". Einer seiner größeren Schnapsideen mit Schwarzpulver und einer Prise Magie. Ellie hatte sie beide und die anderen Kinder vor einer riesigen Katastrophe bewahrt.
"Du weißt doch dass sie nie zeitig schlafen gehen wenn wir nicht da sind ", sagte er doch stoppte im Satz als er Ellie anschaute. Bei ihrem Blick wusste er bereits, dass er nicht viele Möglichkeiten hat da jetzt raus zu kommen. Außerdem war es schon länger her, dass sie beide alleine weg waren und was unternommen haben. Den Küken würde schon nichts passieren. "Bete, dass Luuk nicht da ist. Dem sein Gefasel kann ich heute Abend nicht ertragen.", sagte er enttäuscht seufzend während er auf seine Pflanzen schaute. Luuk war ein junger Mann aus mittelständigen Hause mit dem sich Jasque, ganz gegen seiner Natur, schon öfter in den Haaren hatte. Meist machte Luuk immer Späße auf Jasques Kosten oder er sprach schlecht über Ellie. Und Zweiteres hatte ihn schon das eine oder andere blaue Auge gekostet.
Sie krochen beide aus dem "Miniacker" heraus und fanden sich nach ein paar kleinen Kletteraktionen wieder auf der Straße. Und beiden sah man keinerlei Mühen dabei an was man im ersten Blick ihnen nicht erwarten würde denn unter den dreckigen Klamotten und wuseligen Haare würde man nur Haut und Knochen vermuten. Die beiden lebten aber schon etwas länger das Leben auf der Straße und ihre Körper haben sich über die Zeit ihrer Aufgabe angepasst. Ellie war eindeutig und mit viel Vorsprung die flinkste aus der Gruppe. Jasque konnte nur mit seiner mittelmäßigen, körperlichen Kraft glänzen. Das Geheimnis ihres bisherigen Überlebens war aber nie die Fähigkeiten des Einzelnen sondern das Talent der Gruppe.
Seine Augen suchten kurz den Blick von Ellie bevor er sich im selben Laufschritt rechts neben sie platzierte. Er beugte seinen Arm etwas in ihrer Richtung falls sie sich wieder einhaken wollte.
"Und du findest die Idee echt nicht gut?", fragte er sie während er die Leute um sie herum beobachtete. "Und bevor DU dich um Kopf und Kragen redet - sei bitte ehrlich. Du weißt doch - ohne dich bin ich aufgeschmissen."
-
Lehrling
Ellies Herz sank bei der Frage ihres ältesten Freundes. Mit großen Hundsaugen und einer nur mühevoll zurückgehaltenen Schnute blickte er nach seiner Frage zu ihr und erwartete begierig wie ein kleines Kind, das eine grottenhässliche Kreidezeichnung auf die Hausfassade gekritzelt hatte, eine Bewertung. Und wie bei jedem Balg war Ellie auch bei Jasque hin- und hergerissen zwischen gnadenloser Ehrlichkeit und der damit unvermeidlich verbundenen Enttäuschung und einer vollkommenen, aber die Gefühlswelt schonenden, Lüge.
»Die Idee hat Vorteile.«, antwortete sie nach einer Weile ehrlich. Sie hatte sich diese und die folgenden Worte wahrheitsgemäß zurechtgelegt. Einerseits, um Jasques Bitte nach einer ehrlichen Einschätzung nachzukommen, andererseits um seine Gefühle vor ihrer üblichen Direktheit zu schützen.
»Ich sehe eher Schwierigkeiten.« Um ihm und einer möglichen Reaktion vorwegzukommen hob sie abwehrend die Hände. »Aber-« Sie betonte das Wort besonders deutlich und ließ es für einige Sekunden im Raum zwischen ihnen verhallen. »wenn alles funktioniert, dann haben wir einige wertvolle Goldmünzen gespart und die kleinen Hosenscheißer kriegen auch dann was zwischen die Kiemen, wenn Methoden moralisch fragwürdiger Goldbeschaffung misslingen sollten.« Sie lächelte ihn vorsichtig an und versuchte in seinem Gesicht abzulesen, was in seiner Gefühls- und Gedankenwelt vor sich ging. Mal wieder vergeblich.
Daher fuhr sie fort.
»Ich habe dir ja schon gesagt, dass wir es irgendwie hinbekommen. Nötigenfalls mit ein wenig Unterstützung.« Zögerlich fuhr sie fort. »Die Idee ist gut. Ehrlich. Also wirklich. Und nur, weil ich mehr Probleme als Vorteile sehe, macht das die Idee nicht schlecht. Ich weiß nur nicht, wie gut Kartoffeln im Winter wachsen.«, schloss sie schließlich ihre Einschätzung und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Jasque war das beste Beispiel dafür, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen Straßenschläue und dem durch das Lesen von Büchern erworbenem Wissen gab.
»Aber all das sind Probleme von Morgen-Jasque und Übermorgen-Ellie. Komm - die erste Runde geht auf mich.«
-
Neuling
In der Klippenschenke
"Aber all das sind Probleme von Morgen-Jasque und Übermorgen-Ellie. Komm - die erste Runde geht auf mich."
Jasque seufzte einmal laut und prustete besonders viel Luft dabei hinaus. Er hatte absolut keine Ahnung wann überhaupt welche Aussaat sinnvoll wäre und hatte alles auf gut Glück gepflanzt. Wenn er ganz ehrlich ist könnte er auch nicht sagen ob das wirklich Rübenkraut ist. Vielleicht war es einfach nur wildes Unkraut. Ellie hatte erfolgreich die Blase platzen lassen und die eigentlich prächtige Idee entpuppte sich als Kist mit vielen Schlössern. Ihm war nicht bewusst wieviel Arbeit das wirklich werden würde.
"Vielleicht bekommen wir ja zwei Rüben bei der Arbeit raus."
Es war deutlich rauszuhören, dass er versuchte die Situation mit ein wenig Humor zu nehmen. Es wäre nicht das erste Projekt welches nicht geklappt hätte. Bei seinem letzten Versuch Trockenfleisch herzustellen ist ein komplettes Schinkenstück verschimmelt. Vielleicht sollte er sich nicht mit Lebensmitteln beschäftigen. Es zeigt sich so langsam ein Muster.
Sie erreichten in wenigen Minuten die Klippenschenke vor der sich die üblichen Leute tummelten und ihren Feierabend genossen. Jasque kam gerne hierher weil es immer neue Gesichter zu sehen gab da sich viele Reisende hierher verirrten. Als Jasque die Tür aufdrückte musste er reflexartig Seufzen und brachte ein genervtes "Och nee." heraus als er Luuk mit seinen Freunden am Tisch sitzen sah. Er ging direkt zum Tresen und fühlte bereits auf sich und Ellie unangenehme Blicke. Aus Ingors Blick konnte mehr sofort erkennen, dass er die 2 Waisen direkt erkannt hat. "So wie immer?", fragte er und war bereits dabei Humpen zu füllen. In Gedanken verloren nickte Jasque nur und blickte hin und wieder nach hinten um festzustellen dass Luuk immer noch eine hässliche Visage hatte. Er bedankte sich kurz als die zwei Humpen vor ihn gestellt wurden, nahm diese dann in einem umarmenden Handgriff und steuerte auf den letzten Tisch zu. Am Tisch angekommen stellte er die Humpen ab und setzte sich so hin, dass er nicht zu dem Tisch seines besten Freundes blicken musste. "Gab es heute denn etwas Interessantes?", fragte er Ellie um das Thema und vor allem sich selber umzulenken.
-
Tja, da war er nun. Novize der Wassermagier, angehender Alchimist und Aspirant der magischen Künste. Für einen einfachen Schürfer und Bergmann hatte Na-Cron es bereits weiter gebracht als jeder andere aus seiner Familie. Auch wenn mit ihm vermutlich seine Blutlinie verlöschen würde, schließlich hatte er keine eigenen Kinder, soweit er es wusste. Und es sah auch nicht danach aus, als würde dies in der Zukunft wahrscheinlich werden.
Er gestand sich gern ein, dass ihn der Gedanke etwas bedrückte. Aber vielleicht war es auch besser so. So konnte er sich eher auf all das neue konzentrieren, was er hier in Stewark bisher gelernt hatte und noch lernen würde. Schließlich gab es noch so viel zu entdecken!
Allein jetzt, wo er sich gerade in diesem verstaubten Laboratorium aufhielt und mit Lappen und Besen all die Geräte und Regale reinigte, gab es doch so einiges, was seiner Neugierde neuen Auftrieb gab.
Dort in der Ecke zum Beispiel, dort lag das winzige Skelett einer Maus. Woran diese wohl gestorben war? Während der Novize mit Kehrblech und Handfeger die Überreste zusammen fegte und recht pietätlos in den Eimer verfrachtete, dachte er über dieses kleine Rätsel nach. War sie einfach an eingegangen, weil sie hier eingesperrt gewesen war und elendig verhungern musste? Oder hatte sich die kleine Maus gedacht, dass die Kammer ein guter Ort zum sterben gewesen war?
Aber möglicherweise hatte sie auch etwas gefressen, was sie nicht hätte fressen dürfen und war dadurch vergiftet worden. Einige Zutaten, die in dem Werk über Alchemie erwähnt wurden, konnten bekanntlich zu üblen Verstimmungen bis hin zu tödlichen Vergiftungen führen.
Der komische, grünlich glänzende Schleimklumpen in dem verstaubten Regal zum Beispiel wäre dafür eine Möglichkeit gewesen. Angefüllt mit Glassplittern, welche auf ein zerbrochenes Flässchen hindeuteten, bestand dieser glibbrige Haufen aus einer unbekannten Masse, die überraschend geruchslos war. Dafür aber ziemlich klebrig, wie Na-Cron festellen musste, als er mit dem Kehrblech versuchte, ihn vom Regal zu lösen.
"Will ich wissen, was du mal warst?" murmelte er leise, während er versuchte den Klumpen aus dem Regal zu kratzen. Vermutlich war es besser, wenn er keine Antwort auf diese Frage erhielt.
Da sich die undefinierbare Masse von giftgrün schimmerndem Schleim kaum vom Regalbrett lösen wollte, beschloss der Novize stattdessen, einfach das ganze Brett heraus zu nehmen. Mit genügend Abstand zu dem unbekannten etwas packte er das Brett an der Kante und zog vorsichtig daran. Ein leichtes Knacken begleitete die Aktion.
Mutig geworden packte er fester zu und zog mit einem kräftigen Ruck am Regalbrett, welches sich viel zu plötzlich löste!
Überrascht stolperte Na-Cron nach hinten und bemühte sich das Gleichgewicht zu halten. Wenigstens hatte er das Brett aus dem Regal lösen können. Doch, wie sich direkt im Anschluss zeigen sollte, war dies wohl ein tragendes Brett gewesen.
Rumpelnd und klappernd brach das ganze Regal auf einmal zusammen und wirbelte eine Mischung aus Staub, Dreck und Holzspänen auf und hüllte den Novizen ein.
Hustend wedelte er mit dem Brett und der Hand in der verzweifelten Hoffnung, dass die Staubwolke sich schnell wieder legte. Dabei legte sich ein Geschmack von altem Dreck auf seiner Zunge ab.
Fluchend hustete er und spuckte mehrfach hintereinander aus in der Hoffnung den ekligen Geschmack wieder aus seinem Mund zu bekommen. Vielleicht sollte er doch lieber erst einmal kräftig den Besen schwingen, schließlich war das ja die meist erteilte Aufgabe an einen Novizen.
Grummelnd und immer wieder leise hustend machte sich Na-Cron daran einen Besen zu holen. Den Staub in seiner Kleidung versuchte er vergeblich loszuwerden und gab kurz darauf einfach auf. Da zog er doch lieber staubig durch das Haus der Magier.
-
Die Akademie
Die Akademie trat in sein Sichtfeld direkt nachdem er die Treppen zum mittleren Ring erklommen hatte. Ein hoher Bau, der wohl nur von der Zitadelle im inneren Ring in seiner Größe übertroffen wurde. Was sich wohl hinter diesem klobigen Mauerwerk verborgen hatte, bevor König Ethorn mit seinem Volk hierher geflohen war? Vielleicht das Anwesen eines Adligen oder reichen Händlers? Der Fall der Stadt der goldenen Kuppeln hatte nicht nur die Leben der Menschen aus Setarrif auf einen Schlag geändert, sondern auch die sozialen und politischen Verhältnisse in der kleinen Stadt Stewark auf den Kopf gestellt. Wie wohl Baron Renwick mit der Übergabe der höchsten Position in dieser Stadt umgegangen war? Nicht, dass es für den Isidor von früher eine Rolle gespielt hätte, doch wenn er sich bald tief in die Angelegenheiten der Akademie einmischen sollte, dann wäre jedes Bisschen Informationen wichtig. Vielleicht gab es noch immer solche, die unglücklich darüber waren, wie die Dinge damals gehandhabt worden waren. Menschen, die ihm dabei helfen konnten Ziele zu erreichen, die jemand anderes für ihn setzen konnte.
Denn so ungern er es zugab, war Armond es, der ihm die Richtung anzeigte, in der er laufen sollte und bisher hatte der junge Schmied nur gefragt, wie schnell er denn rennen musste, um den Erwartungen gerecht zu werden. Seines eigen Glückes Schmied war er schon lange nicht mehr.
„Heda!“, rief Isidor dem Wachposten an der Tür zu.
Gewandt in einer Rüstung nicht unähnlich der, die er gerade in einer Kiste transportierte, hielt er eine schwere Hellebarde in der rechten Hand. Seine Augen beobachteten aufmerksam den sich nähernden Hünen und es war unmöglich für den jungen Myrtaner zu erraten, was dem Wächter durch den Kopf ging. Stoisch war seine Miene und den Anschein von Achtlosigkeit erweckte er in keinster Weise.
„Meister Alberich schickt mich mit einer Lieferung für Taavi. Er war heute bei uns in der Schmiede und wir haben die letzten Anpassungen vorgenommen“, kam der Geselle der obligatorischen Frage zuvor.
„Immer langsam“, antwortete der Wächter mit beeindruckend tiefer Stimme, „Stell die Kiste ab und lass mich den Inhalt prüfen. Hast du ein Schreiben von Meister Alberich dabei?“
Der Blondschopf tat wie ihm geheißen, stellte die Kiste ans Ende der Treppe und öffnete den nicht vernagelten Deckel. Das mit Stoffen ausgekleidete Innere beherbergte die einzelnen Rüstungsteile und Isidor trat einen Schritt zurück, während der Akademiewächter sich hinabbeugte, wobei er immer wieder zum Träger dieser Lieferung blickte.
„Die Papiere habe ich hier, ja. Meister Alberich wies mich an sie nur gegen Bezahlung zu übergeben“, erläuterte der Schmied, während er beobachtete, wie der Helm durch die Finger des Kriegers wandert.
„Zeig sie mir“, wurde er aufgefordert.
Aus seiner Innentasche holte der junge Mann das Schreiben hervor. Er hatte den Inhalt selbst noch nicht gelesen und würde es auch jetzt nicht tun. Es würde ihn wegen seiner eher schlechten Lesekenntnisse zu viel Zeit kosten. Dementsprechend nervös übergab er das Pergament und wartete auf das Urteil.
„Hmm“, brummte der Wächter nachdenklich, „Scheint alles so zu sein, wie du sagst. Also gut, geh rein und sprich mit Deanna. Sie wird irgendwo im Vorraum sein.“
Der Hellebardenträger richtete sich wieder auf und nahm seine vorherige Position neben der schweren Tür ein. Isidor beeilte sich die Kiste wieder zu verschließen, öffnete die Tür und hielt sie mit dem Fuß auf, während er die Kiste aufhob.
Er hätte mir wenigstens helfen können die Tür aufzumachen, dachte er verstimmt und schob sich mit de Rücken zuerst ins Innere der Akademie.
Der junge Schmied hätte nicht erwartet so schnell Einlass gewährt zu bekommen. Nicht im Bezug auf die Lieferung, sondern auf seine Zeit in Stewark bemessen. Ja, er war nur als Bote geduldet, doch es war ein erster Schritt in der sprichwörtlichen und wohl auch tatsächlichen Tür. Wenn er seine Karten richtig spielte, würde er diese Gelegenheit nutzen können, bereits erste Kontakte zu knüpfen. Zunächst galt es also diese Deanna zu finden.
-
Lehrling
»Jaja, blabla. Diesdas. Interessant.« Sie winkte ab und lugte vorsichtig durch die Schenke zu dem jungen Burschen, mit dem Jasque seit Jahren eine merkwürdig unausgesprochene Fehde hegte. Keiner der beiden begegnete dem anderen mit offener Feindschaft, es waren nur in Ausnahmefällen ernsthafte Drohungen ausgesprochen worden. All das fand immer nur in Abwesenheit der anderen Person statt. Oder durch die Blume.
»Luuk.«, flüsterte sie über den Tisch hinweg und bemühte sich dabei so unauffällig wie möglich zu wirken. Ein nicht gerade einfaches Unterfangen, wenn man bedachte wie auffällig flüsternde Leute mitten in einer Taverne auf Außenstehende wirkten.
»Wann haut ihr euch denn jetzt endlich mal auf's Maul? Ich hab dir schon so oft erklärt, dass der erste Schlag der wichtigste ist. Freundlich lächeln, hin spazieren, ein Ausfallschritt nach vorn, Arm durchstrecken und schon liegt unser Luuk mit gebrochener Nase auf dem Boden.« In alte Muster verfallend deutete sie im Sitzen die Bewegungen an und demonstrierte ihrem Freund wie die Schulter bei einem Faustschlag zu drehen war. Wie so viele Male zuvor lächelte Jasque nur müde in seinen Krug hinein. Ellie wusste selbst gut genug, dass er keine Freund offener Konfrontation war, insbesondere offene physische Konfrontationen. Aber eine Frau konnte ja noch träumen.
»Langsam werde ich ungeduldig. Also mach endlich - sonst mach ich!«, scherzte sie und drehte sich zu der Person, die quer durch die Taverne geschritten war und jetzt süffisant Grinsend seine Hände auf ihrer Tischplatte abgelegt hatte und sich zu den beiden herunterbeugte.
»Jasque, also ehrlich. Ich weiß nicht, worum es geht, aber wenn unsere Ellie dich schon dazu auffordert, dann solltest du endlich mal aus den Puschen kommen. Weißt du nicht wie unhöflich es ist, eine Dame warten zu lassen? Ich hätte bei einem Mann deines Standes[I]« - bewusst betonte Luuk die letzten Worte - »wirklich erwartet, dass du weißt, wie man mit Frauen umgeht. Aber falls du Hilfe brauchst, kann ich dir gern ein wenig Nachhilfe geben. Und dir zeigen, wie man das macht.« Lüstern zwinkerte er Ellie zu, die als Reaktion lautstark ein Würgegeräusch vormachte und einen großen Schluck trank. »Träum weiter, Schmierlappen.«, warf sie ihm entgegen, schob ihm gleichzeitig aber einen Stuhl hin, damit er sich setzen konnte. So sehr Jasque es auch hassen mochte, aber der großgewachsene Bursche war Teil ihrer Truppe.
»Was gab's denn heute Spannendes bei dir, Jasque? Hast du was Neues erfunden? Hat's diesmal geklappt?«, stichelte er weiter und bestellte mit einer Handbewegung neue Getränke. Woher auch immer er das Geld dafür her hatte mochte nur Adanos selbst zu sagen. Ellie sollte es egal sein - einen geschenkten Krug leerte man in einem Zug. Oder so ähnlich.
-
Die Akademie
Im Vorraum der Akademie, welcher weitläufiger war, als er erwartet hätte und mehr den Begriff Vorhalle verdient hätte, schlug ihm der Geruch von altem Stein entgegen. Aber auch der Duft eines knisternden Feuers, welches in einem Kamin zu seiner rechten fröhlich brannte, um der üblichen Kälte hinter dicken Steinmauern zu trotzen. Es gab nur wenige Fenster, was das vorhandene Licht spärlich machte und Isidor brauchte einen Moment, um sich nach dem doch recht hellen Tageslicht daran zu gewöhnen.
Diese Wände sehen aus, als könnten sie einer Belagerung standhalten, dachte er und betrachtete das graue Mauerwerk. Die Decke der Halle war erstaunlich hoch und mit schweren Holzbalken verstärkt, die das Gewicht der oberen Stockwerke trugen. An den Wänden hingen grobe, aber präzise gezeichnete Karten von Argaan, einige Wandteppiche mit dem Wappen des Königsreichs und einem ähnlichen Symbol, welches er gedanklich der Akademie zuschrieb. Alte Waffen und Schilde verbargen weitere Stellen der Wände und er kam nicht umhin sich zu fragen, ob sie nicht besser zum Einschmelzen geeignet gewesen wären, statt den Wunsch der Menschen nach Zierde zu befriedigen.
Isidor stellte die schwere Kiste kurz ab, um seine Hände zu entlasten. Noch war er nicht in Schweiß ausgebrochen, aber die ungewohnte Verteilung des Gewichts bemerkte er durchaus in seinen Armen. Sein Blick wanderte durch den Raum. Es waren nur eine Handvoll Personen zu sehen, von denen die meisten in seine Richtung schauten, bevor sie kurz darauf das Interesse verloren. Hinter einem massiven Tisch fand er schließlich die momentan einzige Frau in der Halle. Sie war in pragmatische Kleidung gehüllt, die perfekt zu der schlichten Umgebung passte. Ihr Gesicht wirkte streng, aber nicht unfreundlich, und sie schien den Ankömmling mit geübten Augen zu mustern. Das Haar kurz und braun, die Augen wie Bernstein und den typischen Teint der Argaaner ließen sie heimisch wirken. Ihre Statur war durchaus als muskulös zu bezeichnen und der junge Myrtaner vermutete, dass sie nicht bloß als Rezeptionistin tätig war.
„Seid gegrüßt“, begann Isidor, nachdem er sich ihr mit der Kiste genähert hatte, „Meister Alberich schickt mich mit einer Lieferung für Taavi.“
Die Frau, offensichtlich Deanna, nickte knapp.
„Ich verstehe. Bitte lasst mich einen Blick auf die Papiere werfen“, sagte sie und streckte die Hand erwartungsvoll aus.
Er überreichte ihr das Pergament und während sie las, nutzte er die Gelegenheit, sich den Raum weiter einzuprägen.
Jedes Detail könnte nützlich sein, erinnerte er sich selbst.
Das war eine Lektion, die er von Armond gelernt hatte.
Vielleicht gibt es hier sogar potentielle Verbündete, die mir später hilfreich sein könnten.
„Alles in Ordnung“, riss Deanna ihn aus seinen Gedanken, „Meister Tiberon ist im obersten Stockwerk. Ihr findet sein Arbeitszimmer am Ende des Korridors. Er wird euch die vereinbarte Summe übergeben. Die Kiste kann hier stehenbleiben. Ich werde dafür sorgen, dass sie Taavi erreicht“, beschrieb sie ihm den Weg, „Bevor Ihr geht, brauche ich noch Euren Namen.“
„Isidor“, gab er knapp zurück und beobachtet, wie sie etwas in ein Buch schrieb.
„Gut, das wäre alles“, sagte sie mit einer Stimme, die unmissverständlich klarmachte, dass sie das Interesse an jedwedem weiteren Gespräch verloren hatte.
„Danke“, gab er dennoch aus Höflichkeit zurück, was sie jedoch zu ignorieren schien.
Die Treppen, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite des Kamins, also auf der linken Seite vom Eingang aus befand, erklomm er betont langsam. Er nahm sich die Zeit, jedes Geräusch und jeden Geruch aufzusaugen. Von den gedämpften Stimmen der Lernenden bis zum Klirren von Waffen, die in den vermeintlichen Trainingsräumen des ersten Stockwerks aufeinanderschlugen. Alles fügte sich zu einem lebendigen Mosaik zusammen.
Oben angekommen, fand Isidor das beschriebene Arbeitszimmer, nachdem er an mehreren Türen vorbeigelaufen war, wie beschrieben am Ende des Korridors. Er klopfte an das schwere Holz und eine autoritäre Stimme antwortete: „Herein.“
Mit einem letzten tiefen Atemzug öffnete der heutige Lieferjunge die Tür und trat ein. Das Zimmer war schlicht, aber funktional eingerichtet. Ein großer Schreibtisch aus dunklem Holz dominierte den Raum, flankiert von Regalen, die mit Schriftrollen und einigen Büchern gefüllt waren. Meister Tiberon saß auf einem Stuhl und schaute auf.
„Was führt dich hierher?“, fragte er mit einem Unterton, der vermittelte, dass er beschäftigt war.
„Eine Lieferung von Meister Alberich für Taavi“, erklärte der Hüne und hielt das Schriftstück empor, „Es geht um die Bezahlung.“
„Und die Lieferung ist…?“
„Im Erdgeschoss bei Deanna.“
„Verstehe, für gewöhnlich überprüfe ich selbst derartige… Lieferungen. Sonst könnte ja jeder mit einem Wisch wie diesem hier aufkreuzen, nicht wahr?“, stellte er eine rhetorische Frage, die wohl kein anderes Ziel verfolgte, als Isidor zu verunsichern.
Was sollte er antworten? Hätte er darauf bestehen sollen, die Kiste dem Meister oder wahlweise dem Rüstwart zu übergeben?
„Ich habe lediglich die Anweisungen Eurer Leute befolgt, Herr“, gab sich der Geselle demütig, wobei er sich auf die Innenseite seiner Wange biss, um seinen Ärger im Zaum zu halten.
Er hatte keine Zeit für solche Spielchen, doch wenn er es sich mit dem Leiter der Akademie verscherzte, schwanden seine Chancen, Armonds Auftrag zu erfüllen, rapide.
„Du hast Glück, dass mir Meister Alberich bekannt ist und ich seine Unterschrift erkenne. Beim nächsten Mal wirst du die Lieferung direkt zu mir bringen, verstanden?“, forderte er eine sofortige und unterwürfige Antwort.
„Ja, Herr“ gab Isidor ihm, was er wollte.
„Gut“, sagte Tiberon, zog eine Schublade seines Schreibtisches auf und wenig Augenblicke später ertönte das verräterische Klimpern von Münzen, „Das ist die vereinbarte Summe. Richte Meister Alberich meine Grüße aus. Du kannst gehen.“
Offenbar waren die Menschen in der Akademie darauf bedacht, ihre Zeit nicht länger als nötig mit Formalitäten zu verschwenden.
-
„Adanos zum Gruße, Chala“, sagte Aniron ohne Umschweife, als sie an das Bett ihrer dunkelhäutigen Patientin trat. Hinter der Wehmutter schälte sich eine weitere Gestalt hervor, die sich auf den nächstbesten Stuhl fallen ließ.
„Es tut mir leid, dass Ihr warten musstet, hier bin ich jedoch. Dies ist Danee, eine gute Freundin von mir und exzellente Heilerin.“ Danee nickte Chala zu. „Zusammen mit ihr und mit Tinquilius, unserem Obersten Wassermagier und seines Zeichens ebenfalls großer Heiler, habe ich über Euren Zustand beraten“, erklärte die Priesterin. Nachdem sie mit den Novizen fertig gewesen war, hatte sie nach ein paar Patientinnen in der Stadt schauen müssen und erst am nächsten Tag ein ausführliches Gespräch mit Tinquilius und Danee führen können. Doch zumindest hatten sie sich auf eine Strategie geeinigt, wie sie Licht in Chalas dunkle Schatten bringen könnten und deswegen war Danee nun ebenfalls anwesend.
„Wir haben eine Idee und würden dieser gern nachgehen. Das bedeutet jedoch, dass wir Magie anwenden müssen. Dafür braucht es natürlich Euer Einverständnis.“ Langsam rutschte Aniron mit dem Po auf die Liege, dort, wo Chalas Beine lagen, um ihre Beine ein wenig zu entlasten und eine lockerere Position einnehmen zu können.
„Als Erstes jedoch würde mich interessieren, ob es Eurer Rippe besser geht und wie es Euch ergangen ist hier in der Heilkammer seit Eurer Ankunft.“
Mit einem leichten Lächeln schaute die Priesterin in die dunklen Augen der Frau von Aranisa. Im nächsten Augenblick trat Sinan zu ihnen und sah seine Mutter fragend an. Sie nickte ihm leicht zu und mit respektvollem Abstand lehnte er sich an die Wand der Heilkammer, während er beobachtete, was die Frauen da nun zu tun gedachten.
-
Heilkammer
„Viel Zeit ist ja noch nicht vergangen, aber ich muss gestehen, dass mir zwischendurch langweilig war. Glücklicherweise hat mir Euer Sohn ab und an Gesellschaft geleistet“, berichtete Chala mit einem schwachen Lächeln, nachdem sie Aniron etwas Platz auf der Liege gemacht hatte.
Sie stützte sich mit den Ellbogen ab, um nicht flach liegen zu müssen, während sie sich mit den Magierinnen und Sinan unterhielt. Ein sanfter Hauch von Kräutern begleitete die Wehmutter und für einen Moment fühlte sich die Aranisaani auf eine in einen üppigen, friedlichen Wald versetzt. Ganz anders, als die Mangroven und Bruchwälder um Tooshoo oder der finstere Orkwald.
Die alte Frau namens Danee machte sie neugierig, denn obwohl sie zur Begrüßung nickte, was die Dunkelhäutige erwiderte, schienen ihre Augen an ihr vorbeizuschauen. Doch da sie bisher geschwiegen hatte und sich eher aufs Zuhören zu konzentrieren schien, richtete Chala ihre Aufmerksamkeit zunächst auf Aniron.
„Meiner Rippe geht es erstaunlicherweise deutlich besser!“, antwortete sie auf die andere Frage und zog ohne Umstände ihr Leinenhemd hoch und offenbarte damit ihren Bauch und den unteren Brustkorb.
An der Stelle, wo sie pflichtbewusst die Salbe aufgetragen hatte, hatte sich erst ein dunkler Bluterguss gebildet und sich schneller, als sie es jemals zuvor gesehen hatte, mehrmals farblich verändert. Mittlerweile waren nur noch gelbliche Spuren zu sehen und das Atmen verlief wieder ohne Probleme.
„Danke dafür. Es wäre ansonsten wirklich hinderlich gewesen, wenn ich wieder unterwegs bin“, meinte sie ehrlich und fragte sich, ob sie wohl wirklich bald weiterziehen könnte und wenn ja, wohin.
Tatsächlich fehlte ihr ein Ziel seit sie die Silberseeburg und die verfallene Arena des Bundes hinter sich gelassen hatte.
„Sagt mir, Aniron, was ist das für eine Idee, die ihr habt?“, fragte sie schließlich, nicht mehr länger in der Lage ihre Ungeduld zu verbergen.
Sie wollte nur noch Gewissheit und schließlich eine Lösung haben. Mittlerweile machte sie ihren vermutlichen Geisteszustand dafür verantwortlich, dass all ihre Versuche im Leben gescheitert waren. Die Akademie, der Auftrag in Thorniara, ihr Leben auf Aranisa. Vielleicht wäre sie nie aus ihrer Heimat geflohen, wenn sie Herrin all ihrer Sinne gewesen wäre.
-
Zufrieden betrachtete Aniron Chalas Haut und die nur noch leichte Verfärbung darauf. Gut, dass die Dunkelhäutige wenigstens das los war.
Dann erfasste sie wieder die Augen der exotischen Frau. Ja, es war Zeit, dass sie sie einweihten.
„Nun, letztendlich war es tatsächlich mein lieber Mann, der uns den entscheidenden Hinweis mit der Fragmentierung gab. Wir vermuten, dass Euer Geist in verschiedene Teile aufgespalten wurde. Genauer gesagt, in fünf Teile.“
Die Wehmutter ließ die Worte kurz wirken, schaute sogar zu Sinan rüber, der stumm aber staunend und mit offenem Mund da stand. Dann erfasste sie wieder Chala.
„Normalerweise haben wir ein Ich sozusagen. Ein Bewusstsein, das uns unser Leben erleben lässt. Das ruht, wenn wir schlafen, und wenn wir wach sind, lässt es uns mit unserer Umwelt reagieren und lässt uns unsere Erinnerungen sammeln, auf die wir dann, mal besser, mal schlechter, zugreifen können.“
Aniron hob die Hände, um ihre Erklärungen zu untermalen. Sie nutzte ihre Finger dazu, bildete erst eine Faust und streckte nun eben jene Finger einzeln von der Hand.
„Bei Euch aber scheint eben jenes Bewusstsein in verschiedene Teile … zerbrochen. Wenn ein bestimmtes Bewusstsein, nennen wir es mal Geist eins, die Oberhand hat, dann kann Geist eins auch nur auf die Erinnerungen zurückgreifen, die es gesammelt hat.“ Sie deutete auf ihren Daumen, während alle anderen Finger wieder zur Faust geballt waren. „Aber nicht auf die Erinnerungen von Geist zwei zum Beispiel.“ Sie zückte den Zeigefinger, dann wackelte sie mit beiden Fingern. „Es könnte sein, dass da wie eine kleine innere Barriere da ist.“
„Das würde jedenfalls erklären, warum Ihr so lange Aussetzer habt und Euch nicht erinnern könnt“, ergänzte Danee nun. Sie saß entspannt auf dem Stuhl und hatte die Hände vor ihrem Gesicht zusammen gefaltet und an den Seiten abgestützt.
„Es gibt natürlich noch viele Fragen dazu. Zum Beispiel, was die verschiedenen Bewusstseins ausmacht. Was Geist eins bis fünf sozusagen bedeuten. Dann könnte man vielleicht auch verstehen, warum Euer Bewusstsein zerbrochen ist. Denn über die Ursachen können wir nur spekulieren und die können vielfältig sein. Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, ist, dass Euch vielleicht Euer Tagebuch Auskunft darüber geben konnte. Denn jede Schrift scheint für einen der Teile Eures Bewusstseins zu stehen.“ Aniron zögerte einen Moment, bevor sie die nächsten Worte aussprach: „Es könnte tatsächlich so sein, dass fünf verschiedene Chalas im Moment in Eurem Körper wohnen. Deswegen fünf Herzen unter einer Brust.“
Sie ließ Chala abermals ein paar Augenblicke, das Gesagte zu verdauen.
„Ob das Ganze reparierbar ist, wissen wir nicht. Es ist neu für uns und Ihr besitzt diesen Zustand schon sehr lange“, sprach sie sanft. „Aber wir würden ganz gerne mittels Adanos‘ Magie Euren Geist untersuchen. Das tut nicht weh. Adanos‘ magischer Strom umgibt uns alle und damit sollte das Ertasten Eures Geistes, auch wenn er zerbrochen ist, möglich sein.“
Wieder herrschte für ein paar Minuten Stille.
„Also, Chala, wenn Ihr zustimmt, wird Aniron sich unter meiner Anleitung mal mit Eurem hübschen Köpfchen befassen“, sprach Danee dann.
„Ich denke, du behandelst sie und ich guck nur zu?“, wunderte die Wehmutter sich. So hatten sie es abgesprochen mit Tinquilius, da Aniron immer noch in Ausbildung war, was das magische Heilen betraf.
„Habs mir anders überlegt“, grinste die Alte. „Außerdem sollst du nur reinschauen.“
„Nun dann … was sagt Ihr?“, wandte Aniron sich an Chala. „Habt Ihr noch Fragen? Möchtet Ihr Zeit zum Bedenken? Ihr könnt natürlich auch ablehnen, dass wir Magie anwenden.“
-
Heilkammer
Chala blinzelte, dann blinzelte sie erneut und zur Sicherheit noch ein drittes Mal. War sie das? Die Bestätigung, dass sie ihren Körper teilte? Mit nicht weniger, als vier anderen Chalas? Es war nur eine Vermutung oder? Eine Idee, geboren aus Maris‘ Weissagung, ihrer eigenen Befürchtungen und der daraus resultierenden Geschichte, die sie Aniron erzählt hatte. Vermutlich gab es gar keinen anderen Schluss, den sie hätten ziehen können, nachdem die Wehmutter ausgeschlossen hatte, dass sie – den Göttern oder wer auch immer zusah sei Dank – schwanger war. Was, wenn es nur das Ergebnis von Hirngespinsten war, die sich durch ihr eigenes Zutun auf die Menschen, die bereit waren ihr zu helfen, ausgewirkt und sie unbewusst zu dem Ergebnis kommen ließ, was sie hatte hören wollen?
Doch hatte sie es wirklich hören wollen? Jetzt, wo zwei Heilerinnen vor ihr saßen und bereit waren mithilfe ihrer Magie zu prüfen und womöglich zu richten, was in ihrer Seele vor sich ging und vermeintlich als unnormal gesehen wurde, war sie sich nicht mehr so sicher.
Aber sie konnte jetzt keinen Rückzieher machen. Sie durfte nicht!
„Ich gebe zu, dass ich Magie gegenüber immer eher misstrauisch war“, begann die Aranisaani mit ungewöhnlich monotoner Stimme zu antworten, „Wenn meine Erinnerungen mich nicht trügen“, sie gluckste kurz ob der bewusst gewählten Worte, was durch den Kloß in ihrem Hals eher wie ein erstickter Laut klang, „bin ich ihr das erste Mal hier auf Argaan begegnet. Turang hieß der Mann, der mich erkennen ließ, dass es die Götter geben muss, an deren Existenz ich immer gezweifelt habe.“
Für einen Moment fragte sie sich, ob der Name den beiden Magierinnen etwas sagte. Es war lange her, dass sie auf ihn am Ufer des Silbersees getroffen war und doch kam es ihr vor, als wäre die Erinnerung daran nie wirklich verblasst. Als hätte sie bewusst entschieden diesen vielleicht unscheinbaren Moment als das Besondere, das er für sie war, zu bewahren.
„Ist es verrückt, dass ich mir wünsche, es würde schmerzen, wenn Ihr in meinen Kopf schaut?“, fragte sie unsicher und schob die Beine von der Liege, um sich aufzusetzen.
Sie wollte nicht liegen, wenn in Kürze ihr Geist offen lag wie eine Wunde. Ihr Blick suchte den von der alten Frau namens Danee, doch sie trafen sich nicht.
„Maumivu ni dalili ya uhai“, sagte die Dunkelhäutige in der melodiösen Sprache ihrer Heimat, „Schmerz ist ein Zeichen des Lebens“, wiederholte sie es auch in der Gemeinsprache.
Tiefe Atemzüge nahm sie, konzentrierte sich auf das Heben und Senken ihres Brustkorbs und begann ihr krauses Haar mithilfe eines Lederbandes, welches sie vom Nachttischchen nahm, zusammenzubinden. Danach legte sie ihre Hände so still wie möglich auf ihre Oberschenkel und wandte ihre geweiteten Augen auf Aniron.
„Tut es. Ich war theatralisch genug und sollte mich daran erinnern, was ich bereits alles durchgestanden habe.“
-
Aniron schmunzelte leicht. Die Hebamme in ihr stimmte Chala zu. Schmerzen waren ein Teil des Lebens! Gerade als Wehmutter wurde ihre Arbeit von Schmerzen und dem Nutzen, den diese hatten, begleitet. Eine Frau ohne Wehen konnte nicht gebären. Die Mutter in ihr, die selbst drei Kinder, darunter sogar Zwillinge, geboren hatte, erinnerte sich, was sie bei den Geburten über den Wehenschmerz gedacht hatte: Der letzte Scheiß.
Letztendlich aber verstand Aniron. Chala würde lieber Schmerzen haben zum Aushalten, als auf das Unbekannte zu starren, was da in ihrem Kopf wartete.
„Ihr kennt Turang? Er war lange ein geschätztes Mitglied unserer Gemeinschaft. Allerdings habe ich ihn eine ganze Weile nicht mehr gesehen“, überlegte Aniron. „Aber interessant, dass er es war, der die Magie an Euch heran getragen hat.“
Die Wehmutter nahm Aufstellung vor der dunkelhäutigen Schönheit und schmunzelte über ihre ehrlichen Worte. Chalas Witz gefiel der Priesterin.
„Wisst Ihr, Chala, Ihr müsst das nicht allein durchstehen. Wir sind bei Euch“, sprach Aniron anschließend und hob ihre Hände, um sie an den Kopf ihrer Patientin zu legen. „Achtung, Ihr kennt es ja: Meine Hände sind recht kühl. Dann beginnen wir und lassen uns von Adanos leiten.“
Chala atmete gedehnt aus und Aniron schloss nach einem letzten prüfenden Blick auf Danee die Augen.
„Es ist einfach“, meinte die alte Heilerin salopp. „Lass die Magie fließen. So wie immer, wenn du nach etwas tastest in einem Körper. Wir werden sehen, was geschieht.“
Aniron tat wie ihr gehießen.
Sie begann nach dem immer fließenden Strom zu fühlen und konzentrierte sich dabei auf das, was zwischen ihren Händen lag. Immer wieder tauchte sie ein in den Fluss, wanderte durch Chalas Kopf und wieder hinaus. Bisher war nichts Außergewöhnliches zu vernehmen.
„Denk dran, du musst tiefer gehen als an die organischen Oberflächen. Nimm dir Zeit und bleibe konzentriert. Lass den Strom weiter fließen“, leitete Danee sie an.
Das tat Aniron. Ihr Atem wurde ruhiger und passte sich dem von Chala an, dabei kreisten ihre Gedanken immer wieder um Chalas Geist.
Sie fühlte, dass sie in Schichten vordrang, die sie zuvor noch nie ertastet hatte. Ihr war, als würde sie vor ihrem inneren Auge in einen tiefen blauen Ozean blicken. Oder war es ein sternenloser Himmel, nachdem die Sonne hinter dem Horizont versunken war?
Aniron ließ sich tragen, bis … ja, bis sie plötzlich nicht mehr weiterkam. Danee schien die Änderung in der Gemütsregung der Jüngeren sofort wahrzunehmen.
„Was ist?“
„Ein Hindernis. Ich komme nicht weiter.“
„Geh zurück, sieh, ob du aus einer anderen Richtung rankommst.“
Wirklich? Was das so einfach?
Sie zog sich ein Stück zurück und fragte sich kurz, ob sie wirklich eine Bestätigung ihrer Vermutungen finden würden oder ob am Ende vier oder sogar fünf Dämonen aus Chalas Kopf springen und die Heilkammer in Beliars Reich verwandeln würden.
Erneut fokussierte Aniron sich und tastete nach vorn, versuchte im Strom eine andere Richtung einzuschlagen. Jedoch, sie kam erneut an das Hindernis.
„Bin wieder an der Grenze“, sagte sie.
„Das ist mit Sicherheit der Rahmen von Chalas jetzigem wachen Bewusstsein“, sinnierte Danee. Sie stand auf und lief einige Schritte nachdenklich hin und her.
„Gut, in diesem Fall … müssen wir noch tiefer“, sprach sie.
Aniron atmete tief ein und aus, Danee indessen fragte Chala:
„Alles in Ordnung soweit? Könnt Ihr noch?“
-
Heilkammer
Die kühlen Hände Anirons schickten einen leichten Schauer über Chalas Haut und ließen die kleinen Härchen im Nacken und auf den Armen sich aufrichten. Ein Gefühl der Wärme folgte kurz darauf, welches sich langsam ausbreitete und ihr die Nervosität zu nehmen schien. Es war, als ob eine unsichtbare Kraft durch ihre Gedanken wanderte und sie hatte zum ersten Mal eine Vorstellung davon, wie es sein könnte, nicht allein mit sich in seinem eigenen Geist zu sein. Eine Mischung aus Kribbeln und sanftem Druck waren jedoch die einzigen Anzeichen, dass die Wehmutter nicht nur beschwörend ihre Hände an ihren Kopf legte, sondern tatsächlich etwas tat, was für die Aranisaani noch immer unbegreiflich war.
Je tiefer die Magierin ihre Kraft in Chalas Geist fließen ließ, desto stärker wurde ein seltsames Gefühl der Leichtigkeit. Fast so, als hätte sie Sumpfkraut geraucht, welches nur einen kleinen Teil seiner Wirkung zu entfalten begann. Es war, als ob sie in einem tiefen, ruhigen Ozean schwebte und von einer sanften Strömung in die Obhut der nächsten gegeben wurde.
Ab und an gab es aber auch unangenehme Eindrücke. Ein Ziehen hier, ein Drücken dort, wenn die Magie in ihrem Fluss gestört oder gar unterbrochen wurde. In diesen Momenten verzog die Patientin unwillkürlich das Gesicht, doch es erdete sie auch in ihrem Willen durchzuhalten, nicht die Nerven zu verlieren.
Aus der Tiefe des Ozeans drangen auch immer wieder lang vergessene Erinnerungen und Gefühle an die Oberfläche. Eine Resonanz der Emotionen, die sie tief in ihr Unterbewusstsein verbannt zu haben glaubte. Der Moment der Entscheidung Aranisa zu verlassen. Die Angst, als sie den Drachen zum ersten Mal gesehen hatte und auch die konfliktbehafteten Gefühle für einen Mann, welche sie von sich gestoßen hatte, als sie es als Schwäche für sich identifizierte.
Ohne es zu merken, löste sich eine einzelne Träne, der Tropfen, der den Ozean zum Überlaufen gebracht hatte und nun den Weg über ihre Wange antrat. Hätte man sie gefragt, wüsste sie nicht den Grund zu nennen.
„Ja, macht bitte weiter“, antwortete Chala auf die Frage Anirons und überraschte sich selbst mit einem Tonfall, der an Erleichterung erinnerte.
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
|