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Na-Cron musste über Kishas Ausbruch schmunzeln. Die Frau nahm gewiss kein Blatt vor den Mund, so viel stand fest. Doch er bezweifelte stark, dass es ihr immer Gutes bringen würde, schließlich konnte die junge Frau nicht in allen Situationen so direkt sein. Was sie aber gewiss sein würde, glich sie in der Hinsicht doch eher einer Axt, mit der man Rasen mähen wollte.
Das war ein guter Vergleich, fand der Novize. Er sollte sich das aufschreiben, damit er das nicht vergessen würde. Aber da er weder Stift noch Papier mit sich führte... Nun, Na-Cron würde es sich einfach merken müssen. So was gutes konnte er doch nicht vergessen.
Und warum sollte er überhaupt, wenn er anfing mit den verschiedenen Stoffen zu experimentieren, das im Keller machen? Hatte Aniron Angst, dass irgendwas gefährliches passieren würde? Als wenn Na-Cron so unvorsichtig wäre. Schließlich wusste er bereits um die Gefahren, die ein Stollen bereiten konnte. Wenn man hinein biss, dann erwischte man mit Pech eine Rosine. Und die waren nun einmal widerlich.
Moment. Falscher Stollen. Aber eigentlich war es auch egal. Na-Cron nickte einfach nur zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann würde er halt im Keller arbeiten. Vielleicht war Kisha mit ihren Schmiedearbeiten nicht ganz so laut, wie er befürchtete. Wobei er sich darüber wunderte, was diese Frau mit einer Schmiede anfangen wollte. Wollte sie magische Waffen und Rüstungen schaffen? Der Novize hatte Geschichten über solche Dinge gehört, doch das waren zumeist von Göttern geschaffene Artefakte, die so mächtig waren, dass kein Sterblicher sie auf Dauer behalten konnte, geschweige denn selbst erschaffen.
Aber dennoch ein interessanter Gedanke.
Nachdem Aniron ihre Demonstration beendet hatte, wollte Na-Cron sofort die Augen schließen und sich auf die Magie um ihn herum konzentrieren. Doch dann sprach die Priesterin von verschiedenen Farben, was den Novizen zögern lies. Licht hatte doch eigentlich nur eine Farbe, oder? Doch dann fiel ihm das blaue Feuer ein, welches er mit seiner Macht erschaffen konnte. Es war Feuer. Blaues Feuer. Und es machte Licht. Also musste es doch nicht unmöglich sein.
Doch diese Kugel, die Aniron geschaffen hatte, die war etwas völlig anderes als Feuer. Es schien, als wäre sie aus reinem Licht erschaffen worden, ohne Substanz und doch in ihrer Form gleichbleibend, egal was sie dabei getan hatte. Und es schien völlig einfach.
Na-Cron schloss die Augen und sammelte sich, beruhigte seine Atmung und seinen Geist, bevor er erneut die Augen öffnete. Nun konnte er die Ströme und das Funkeln der Magie wieder sehen. Auch wenn er mittlerweile wusste, dass es immer da war und niemals wirklich verschwinden würde, so half es ihm neue Zauber besser zu visualisieren. Schließlich musste er erst einmal sehen, wo sich die Magie am besten sammeln konnte.
Wie beim Flammenzauber auch streckte der Novize die Hand aus und lies die Magie gleichmäßig in die Handfläche strömen. Doch im Gegensatz zum vorherigen Zauber wollte er diesmal kein Feuer entzünden. Er wollte einfach nur Licht. Kein besonders großes, kein Glitzern, kein Funkeln, nur Licht. Und wie Aniron es ihnen geraten hatte, wünschte er es sich. Er wünschte es sich all der Vehemenz, die in ihm war, stellte sich dabei vor, dass er an einem Ort gefangen wäre, der in tiefste Finsternis getaucht war.
Als wäre es so, dass er tief unter dem Berge in einer finsteren Höhle gefangen war, in die noch nie auch nur ein einzelner Funken Sonnenlicht gedrungen war. Und diese Finsternis wollte Na-Cron durchbrechen!
Direkt vor seinen Augen erschien ein kleiner, leuchtender Klumpen, kaum größer als ein Walnuss. Er flackerte und wirkte unstet, so schüchtern wie ein junger Bräutigam vor seiner Hochzeitsnacht. Doch Na-Cron lies sich davon nicht beirren, stattdessen lies er noch mehr Magie in dieses kleine Lichtlein fließen. Plötzlich schwoll es auf die Größe einer reifen Wassermelone an und wurde immer greller, bis es in einem grellen Lichtblitz einfach zerplatzte!
Erschrocken taumelte der Novize ein paar Schritte zurück und rieb sich die tränenden Augen. Geblendet von seinem eigenen Licht versuchte er durch starkes Blinzeln wieder etwas sehen zu können. Doch die Schatten vor seinen Augen verschwanden nur langsam wieder. "Verflucht..." murmelte Na-Cron leise. Das hätte nicht passieren sollen.
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Schweigend gingen Isidor und Frieda eingehakt nebeneinander her, aber es war kein unangenehmes Schweigen, wie er zunächst befürchtet hatte. Vielmehr erfüllte sie eine stille, beruhigende Präsenz, die nur selten zu finden war. Sein Blick wanderte von der kleinen Bäckerin zu den Geschäften der Handwerkerstraße, die im goldenen Schein der untergehenden Sonne erstrahlten. Ihre Schritte hallten leicht auf dem Pflaster wider, während sie sich langsam vom geschäftigen Treiben der Stadt entfernten.
„Ich hoffe, du hattest einen guten Tag in der Bäckerei“, versuchte Isidor dein Gespräch zu beginnen, sein Blick immer wieder zu Friedas Gesicht wandernd, das in der Abenddämmerung noch schöner wirkte.
„Ja, es war recht geschäftig heute“, antwortete sie mit einem leichten Lächeln ob des vertrauten Themas, „Viele Kunden wollten noch schnell etwas vor Ladenschluss besorgen.“
„Johanna sagte, du hättest Arbeit bei einem der Schmiede gefunden“, merkte die Rothaarige an.
„Ja, das stimmt!“, freute sich Isidor, „Meister Alberich hat mich als Geselle.“
„Oh, mein Vater und er kennen sich schon ewig! Wie ist er so als Arbeitgeber?“
„Ich kann mich nicht beklagen.“
Für den Moment verfielen sie wieder in Schweigen und näherten sich bereits dem Torhaus.
„Ein abendlicher Spaziergang?“, fragte einer der beiden Torwächter, als sie unter dem Torbogen hindurchschlenderten.
„Genau! Ihr lasst uns etwas später doch wieder herein, oder?“, fragte Frieda freundlich und lächelte auf eine Weise, dass wohl niemand ihr etwas abschlagen konnte.
„Natürlich, Frieda. Viel Spaß!“
„Danke und eine ruhige Wache!“
Auf der Brücke zum Stewarker Umland hielten sie kurz inne und spähten über die Brüstung. Die Sonne schien vom Dach der Zitadelle aus auf sie herab und spendete noch ausreichend Wärme für einen angenehmen Abend.
„Wo genau gehen wir hin?“, fragte Frieda schließlich.
„Das wirst du bald sehen“, lächelte Isidor mysteriös, der sich ganz auf Johannas Zeichen verließ, „Ich habe mich den ganzen Tag auf diesen Spaziergang gefreut“, gestand er, seine Nervosität so gut wie möglich verbergend, indem er seinen Blick auf den Weg vor ihnen richtete, dem sie wieder folgten.
Frieda ließ ein zufriedenes Summen hören und hakte sich enger bei ihm ein.
„Ich auch“, sagte sie leise, „Es ist schön, mal rauszukommen und die Ruhe zu genießen.“
„In der Bäckerei ist immer viel los, nicht wahr?“
„Ja, die Leute lieben meine Süßgebäcke, aber auch unser Brot ist sehr gefragt!“, bestätigte sie ohne Umschweife und der Stolz auf ihre Arbeit war deutlich sichtbar.
„Du beeindruckst mich, Frieda“, gab der Schmied ehrlich zu, was sie erröten ließ, „Deine eigene Bäckerei und jeder scheint dich zu lieben!“
„Ach, ich bin da so reingewachsen“, winkte sie plötzlich bescheiden ab.
„Wollen wir hier abbiegen? Ich habe da vor meiner Ankunft einen schönen Platz von Weitem gesehen“, fragte er.
Isidor hatte das Zeichen von Johanna bemerkt und lotste ohne Umschweife seine Verabredung zwischen die Apfelbäume der Plantage.
„Dürfen wir hier denn einfach rein?“, fragte sie etwas unsicher.
„Keine Sorge, wir sind hier ungestört“, versprach er und zog sie langsam mit sich.
Etwas Abseits der Wege fanden sie ein schönes Plätzchen mit Blick auf den Sonnenuntergang und genügend Sichtschutz zwischen den reifenden Äpfeln.
„Ich habe uns etwas mitgebracht“, offenbarte er und öffnete seine Tasche, um den Wein und die Schalen mit Eintopf herauszuholen, die er abgedeckt hatte, damit sie nicht ausliefen.
„Oh! Du hast wohl an alles gedacht, was?“, fragte sie grinsend, als er auch noch eine Decke hervorholte und ausbreitete.
Frieda ließ sich auf der Decke nieder und Isidor kam nicht umhin ihr Äußeres erneut zu bewundern, der feine Bogen ihres Halses, der in die Schultern überging und das Kleid, welches unterhalb ihrer Schlüsselbeine spitz zusammenlief. Er starrte wohl etwas, denn sie errötete wieder.
„Setzt du dich zu mir?“, fragte sie leise und schaute auf den Platz neben sich.
„Ehm, ja natürlich!“
Isidor nahm Platz neben Frieda und schenkte den Wein in zwei Becher ein, während der köstliche Duft des kalten Eintopfs die Luft erfüllte und sich mit dem Geruch der Apfelbäume vermischte. Frieda nahm einen tiefen Atemzug und lächelte.
„Das riecht herrlich.“
Er erwiderte ihr Lächeln und reichte ihr einen Becher.
„Auf einen schönen Abend“, toastete er ihr zu und ihre Becher klangen sanft aneinander. Sie nippte vorsichtig an dem Wein, und für einen Moment verloren sie sich in der friedlichen Atmosphäre des Apfelhains.
„Weißt du, Isidor“, begann Frieda nach einer Weile, „es ist nicht oft, dass ich Zeit habe, einfach mal auszuspannen und die Natur zu genießen. Das hier ist wirklich etwas Besonderes.“
„Ich bin froh, dass du es genießen kannst“, antwortete Isidor. „Es ist schön, diese Momente miteinander zu teilen.“
Während sie den Eintopf aßen, fanden sie tatsächlich Themen, über die sie reden konnten, die nichts mit ihrer jeweiligen Arbeit zu tun hatten. Der Wein lockerte ihre Zungen und bald schon lachten sie gemeinsam über lustige Anekdoten, die die Bäckersfrau von allerlei Leuten in Stewark kannte. Als Umschlagsplatz für Klatsch und Tratsch war das Zum goldenen Nudelholz ein geeigneter Ort und Frieda hatte für jeden ein offenes Ohr und geizte nicht mit Ratschlägen, die so voll Lebenserfahrung steckten, die nicht mit ihrem jungen Alter übereinstimmen wollten.
„Der Eintopf war wirklich lecker!“, seufzte sie zufrieden und stellte die leere Schüssel ab, „Ich habe uns Nachtisch mitgebracht“, grinste sie schelmisch und zog ihren Weidenkorb näher, aus dem sie einige Zimtschnecken holte, „Die mochtest du doch, oder?“
„Ich glaube, dass mir alles schmecken würde, was du backst“, trug er wohl etwas zu dick auf, doch dank der gelockerten Stimmung nahm Frieda es gut auf.
Die süße Backware war genauso himmlisch wie beim ersten Mal, als er in den Genuss kam.
„Ein Königreich für das Rezept“, stöhnte er versonnen, während er sich den Geschmack auf der Zunge zergehen ließ.
„Das ist ein Familiengeheimnis“, zwinkerte die Rothaarige ihm kess zu und biss selbst in eine Zimtschnecke, wobei sie genießerisch die Augen schloss.
„Weißt du, Frieda“, sagte er schließlich, „ich bin froh, dass wir heute hier sind. Bisher hatte ich das Gefühl, dass ich nur hin und hergehetzt bin, auf der Suche nach einem Ort, an dem ich mich wohlfühlen kann, nachdem meine Familie gestorben ist. Ich glaube, Stewark hat gute Chancen dieser Ort zu sein.“
Frieda sah ihn mit warmem Blick an, und ihre Hand fand in einem Anflug von Mut die seine.
„Du bist ein besonderer Mensch, Isidor. Ich bin froh, dass du hierhergekommen bist.“
Ein angenehmes Schweigen folgte, in dem die Farben des Sonnenuntergangs den Himmel in ein Gemälde verwandelten. Die warmen Orangetöne mischten sich mit sattem Purpur und tiefem Blau, während die letzten Strahlen der Sonne die Wolken in leuchtendem Gold umfingen. Der Himmel war ein Meisterwerk der Natur, das sich stetig veränderte und in seiner Pracht überwältigte.
Isidor und Frieda saßen nebeneinander auf der Decke, der weiche Duft von Äpfeln und frischem Gras umgab sie. Eine sanfte Brise streichelte ihre Gesichter und ließ Friedas rotes Locken im Wind tanzen, als ob es teil des Himmelsgemäldes selbst wäre.
Sie sahen schweigend zu, wie die Sonne langsam hinter dem Horizon verschwand und der Himmel sich in sattem Indigo verfärbte.
Das Zwielicht tauchte die Landschaft in ein fast magisches Licht, in dem die Apfelbäume wie Silhouetten eines alten Märchens wirkten. Die Sterne begannen, ihre glitzernden Augen am Himmel zu öffnen, und ein Gefühl der Ruhe und des Friedens erfüllte die Luft. Das Zwitschern der Vögel verstummte allmählich, und die Nacht übernahm die Herrschaft über den Tag.
In diesem Moment, eingehüllt in die Schönheit der Natur und die Stille der Dämmerung, fühlte sich Isidor so verbunden wie nie zuvor. Es war, als ob die Welt für einen Augenblick stillstehen würde, um ihnen diesen perfekten Augenblick zu schenken. Sein Herz schlug schneller, als er ungesehen Friedas Profil beobachtete.
„Ich hoffe, wir können das öfter machen“, sagte sie leise und ihr Blick traf den seinen.
„Das hoffe ich auch“, flüsterte Isidor zurück.
„Wir sollten langsam zurückgehen“, seufzte die Bäckerin etwas wehmütig und schaute wieder zum Himmel empor, an dem sich die ersten Sterne zeigten.
„Ja, aber bevor wir aufbrechen…“
Isidor griff erneut in seine Tasche und holte die Südfrüchte aus dem Roten Hahn hervor. Neugierig beäugte Frieda das farbenfrohe Obst.
„Ich wusste nicht recht, was du magst, also dachte ich, dass vielleicht etwas Exotisches dein Gefallen erwecken würde.“
„Für mich?“, fragte sie überrascht.
„Ja, Johanna hat mir einen Tipp gegeben und ich dachte, vielleicht könntest du damit neue Rezepte ausprobieren“, gab er zu und lächelte, als sie die Früchte entgegennahm.
„Dankeschön! Solche Früchte habe ich noch nie gesehen!“, rief sie begeistert und legte sie nach einem Moment in ihren Weidenkorb.
„Sehr gerne! Lässt du mich probieren, wenn du sie für ein Süßgebäck verwendest?“
„Aber sicher!“
Es wurde Zeit, den schönen Abend ausklingen zu lassen und so liefen die beiden, betont langsam und etwas näher aneinander, zur Stadt zurück, wo Isidor sie bis zur Bäckerei begleiten würde.
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Lehrling
Die Geräusche der Stadt umgaben Thorek – das Lachen von Kindern, das Rufen von Händlern, die ihren Waren nachriefen, und der Duft von frisch gebackenem Brot, der ihm in die Nase stieg. Doch als er um eine Ecke bog, fiel sein Blick auf zwei Männer, die in einer schmalen Gasse standen und lautstark diskutierten. Der eine war ein muskulöser Mann mit schmutzigem Schürzenstoff, der unmissverständlich als Fleischer zu erkennen war. Seine Hände waren fleischig und stark, und die Schürze war mit blutigen Spritzern übersät. Der andere trug eine abgewetzte Lederjacke, und obwohl er etwas zerzaust aussah, hatte Thorek das Gefühl, dass der Mann ein Jäger sein könnte. Sein Gesicht war sonnengebräunt, und an seinem Gürtel hing ein kleines Messer, dessen Form bestens für das Häuten eines Tieres geeignet gewesen war.
"Ich sag's dir! Die letzte Lieferung ist seit einer Woche überfällig!" rief der Fleischer und fuchtelte mit einem Stück frischem Fleisch in der Hand. "Ich kann das nicht mehr lange durchhalten! Meine Vorräte gehen zur Neige, und die Kunden warten schon!"
"Du weißt, dass es im Wald nicht gerade viele Wildtiere gibt, oder Orin?" antwortete der Jäger mit einer sarkastischen Note in seiner Stimme. "Die letzten Jagden waren alles andere als erfolgreich. Das Wetter war schlecht, die Tiere sind scheu geworden." Thorek hatte das Gefühl, dass er hier vielleicht eine Möglichkeit finden konnte, sich nützlich zu machen. Er zögerte kurz, bevor er den Mut fand, auf die beiden Männer zuzugehen. "Entschuldigt aber ich habe euer Gespräch mitbekommen..." begann er vorsichtig. "Mein Name ist Thorek, ich bin neu hier in der Stadt. Zufälligerweise bin auch ich ein Jäger und könnte Euch vielleicht behilflich sein?"
Der Fleischer wandte sich langsam zu ihm um und musterte Thorek von Kopf bis Fuß. Sein Blick war skeptisch, und ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen. "Und du meinst, du hast das Zeug dazu, ja!?" Thorek spürte einen Anflug von Nervosität, aber er ließ sich nicht unterkriegen. "Ja, ich kenne die umliegenden Wälder gut und habe vor meiner Ankunft auf Stewark für einen Bauern gearbeitet. Die vielen Hasen, die in seiner Vorratskammer hängen, sind Beweis für meine Fähigkeiten als Jäger!"
Der Fleischer schien für einen Moment nachzudenken, seine Miene wechselte von Skepsis zu einer Art prüfendem Interesse. Er nickte dann langsam. "Nun gut, Thorek. Wenn du wirklich ein Jäger bist, dann könnte ich einen Mann wie dich gut gebrauchen. Ich brauche dringend Wild – Wildschweine, Rehe, Hasen, was auch immer du finden kannst. Wir sind hier auf die frischen Vorräte angewiesen, und ich kann dir ein anständiges Stück für deine Mühen anbieten."
Der Jäger beobachtete Thorek mit einem prüfenden Blick. "Du bist dir der Gefahren wirklich bewusst, die im Wald lauern? Es gibt nicht nur Tiere, die gejagt werden wollen. Manchmal sind es die Jäger selbst, die zur Gefahr werden." Thorek nickte. "Dessen bin ich mir bewusst. Es wäre nicht das erste Mal, das man mir versucht, Schwierigkeiten zu bereiten." Der Fleischer grinste breit. "Gut. Dann haben wir einen Deal. Bringe mir so viel Fleisch, wie du tragen kannst und ich sorge dafür, dass es sich für dich lohnen wird!"
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Im Kräutergarten
Kisha lächelte zunächst, als Aniron nach der Harke griff, und leckte sich dann unweigerlich über die Lippen, als die Wassermagierin mit der selbstsicheren Anmut einer versierten Kämpferin zeigte, dass sie sich mit einem Stab durchaus zu bewegen wusste. Kämpferische Frauen waren genau nach ihrem Geschmack. Wo war eigentlich Anirons Mann? Hatte sie den schon einmal gesehen? Es war bedauerlich, dass die Menschen auf Argaan sich in der Regel an feste Partner hielten und nicht offen für Nähe zu Anderen waren. In Anirons Fall war das eine wahrliche Verschwendung.
Beinahe vergaß Kisha, worauf ihr Augenmerk in diesem Moment eigentlich liegen sollte. Die Lichtkugel an Anirons Seite flackerte nicht und blieb einfach, wo sie war, obwohl die Magierin sich ganz offenkundig nicht mehr darauf konzentrierte. Von ihr ging ein ganz faszinierender Klang aus – nicht so kraftvoll wie das Cheche! des Flammenzaubers, und nicht so verschlungen und hauchend wie das Kijijini der unsichtbaren Hand. Es war ein warmer, voller Ton, beinahe wie Musik, langanhaltend und sich sanft in seine Umgebung einfügend. Kisha konnte sehen, warum es einfacher sein musste, diesen Zauber auch ohne viel Konzentration am Leben zu erhalten, wenn dieser warme Ton in der Welt resonierte. Allein, diese Weichheit machte es ihr verdammt schwer, das Wort zu verstehen, das die Vizuka flüsterten. Das, und vielleicht auch die Hüften ihrer Lehrerin, die sich als reizvolle Verheißung durch ihr azurblaues Kleid abzeichneten.
Anirons Vorführung endete alsbald und ließ Kisha beeindruckt und vielleicht ein klein wenig abgelenkt zurück, doch so recht wusste sie noch nicht, wie sie es angehen sollte. Sich vorzustellen, dass sie dringend ein Licht benötigte – nein, so hatte die Magie bisher noch nicht für sie funktioniert. Sie musste in das Flüstern hineinhorchen, ein Gefühl für die Worte der Vizuka bekommen und mit Hilfe der Maske selbst das richtige Timbre treffen, wenn sie sich daran versuchte.
Doch glücklicherweise preschte Na-Cron hervor und versuchte sich augenblicklich daran, die Anweisungen der Wassermagierin umzusetzen. Ihr Mitschüler gab alles, um es im ersten Versuch gelingen zu lassen – vielleicht ein wenig zu viel. Seine Lichtkugel schwoll mit einem Mal so heftig an und nahm dermaßen an Intensität zu, dass Kisha sich mit einem empörten Aufschrei die Augen mit ihrem Arm verdeckte und sich eilends abwandte. Doch die Heftigkeit seines Ausbruchs ließ das Flüstern der Vizuka so sehr anschwellen, dass sich das Wort geradezu in ihren Verstand brannte.
Ona … Es lag so viel Wärme und Weichheit in diesem Wort! Als sie es leise vor sich hin flüsterte, fühlte es sich in ihrem Mund an wie eine wohlige Umarmung.
Sie wandte sich den anderen wieder zu, und als sie sich von der unerwarteten Blendung erholt hatte, grinste sie Na-Cron breit an.
„Das war kichaa, rafiki! Du hast es echt drauf, eh?“
Nun aber wollte sie selbst auch nicht mehr hinterm Berg halten. Sie nahm ihre Maske vom Gürtel und setzte sie mit einer Selbstverständlichkeit auf, als wäre es vollkommen gewöhnlich, sein Gesicht für diesen Akt zu bedecken.
Kishas Lippen formten lautlos das magische Wort. Ihre Augen ruhten auf Aniron – das Wort passte so gut zu ihr! Und war sie nicht auch ein Leuchtpfeiler des Verstehens für ihre drei Schüler? Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihrer Leber aus, und als sich das Wort in ihrem Mund formte, spürte sie, dass es richtig war, noch bevor sie es aussprach.
„Ona!“
Zwischen ihren Handflächen erglomm ein Licht, warm und unscheinbar, in einer rhythmisch zuckenden Melange aus rot und orange. Kisha strahlte mit der Globe um die Wette, die an Intensität zunahm. Sie sah von dem Licht auf zu ihrer Lehrerin.
„Es klappt!“
Die Farbe der Kugel veränderte sich zu einem lebhaften, dann einem tiefdunklen Rot, und plötzlich verließ sie Leuchtglobe Kishas Hände und driftete zielstrebig auf Aniron zu.
„Eh! Bleib hier!“, rief Kisha, die gar nicht wusste, wie sie ihrer Überraschung Luft machen sollte. Aniron trat ein Stück zur Seite, als das Licht sie erreichte, doch es änderte einfach die Richtung und folgte der Wassermagierin auf dem Fuße.
„Hör auf!“, rief sie empört. Das Licht wurde schwächer und verglomm schließlich vor Anirons Brust. Kisha biss sich auf die Lippe und strich sich fahrig durch das wilde Haar.
„Pole sana. Ich weiß nicht, was das war. Aber es hat geklappt, eh?“
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Lehrling
Vom Stewarker Land in die Stewarker Stadt
Das Mädchen des Schreiners hieß Marlis und war ein Bündel an kindlich offener Neugierde, erbarmungslos offener Dreistigkeit und freundlich offener Weltanschauung. Der Mann aus Nordmar, selber gerade mal halb so alt wie der Vater des Mädchens, fühlte sich in ihrer Gegenwart mindestens viermal so alt und rüstig. Immer wieder deutete Marlis mit dem Finger hier hin und dort hin und erklärte Necomar, worauf sie gerade zeigte.
"Das da ist das Fischerdorf!", rief sie aus und deutete die Küstenlandschaft hinab zum Strand, wo sich eine Ansammlung von Hütten und mehrere Stege befanden, die ins Meer ragten. "Aber Fisch ist eklig! Papa ist ihn gerne, nicht wahr?"
Der Schreiner schnaubte nur, nickte und kaute auf einem Halm herum, der ihm im Mundwinkel hing. Fast hätte Necomar ihn gefragt, was der Trick dabei war, die Stimme der Tochter zum Hintergrundgeräusch zu machen und nur die wirklich wichtigen Fragen herauszufiltern.
"Und da ist die Taverne, siehst du?", Marlis stieß ihn an und deutete auf einen ehrwürdigen Bau, der von einer Palisade umgeben war. Fast ein kleiner Landsitz. "Früher haben wir da ... naja, bevor Mama ... jedenfalls waren wir da öfter essen. Mama hat sich gut mit Murdra verstanden. Papa findet, dass das ne alte Vettel ist."
Wieder nickte der Schreiner vor sich hin, linste kurz zu Necomar und hob einen Mundwinkel.
"Ist sie denn so schlimm?", fragte er Marlis. Das Mädchen nickte heftig.
"Geizig, unfreundlich und laut. Als ich klein war, habe ich mal ein Glas Milch verschüttet. Da hat die mich zusammengestaucht wie ... na, wie, Papa? Du hast es mal gesagt ..."
"Wie'n oller Geier, dem der Kadaver im Mund quer steckt.", vervollständigte der Schreiner trocken, als würde er ein Gesetz aus einer Schrift zitieren.
Necomar lachte kurz, blickte erneut zur Palisade und der Taverne hin. "Na, dann wage ich mich wohl noch nicht in dieses Geiernest, nicht wahr?"
Marlis kicherte. Als sie um einige herbstbelaubte Bäume herumfuhren, die in weitläufige Apfelhaine mündeten, deutete sie auf etwas, das am Ende des Weges auf sie wartete. Eine Festung. Nein, eine Stadt.
Bei Adanos, dachte Necomar, es ist beides.
"Das ist Stewark.", Marlis klang so stolz, als hätte sie selber den Mörtel für die Mauerbauten angerührt. Doch selbst ihr schweigsamer Vater brummte zufrieden bei dem Anblick.
Höher und höher ragten eckige, bedachte Türme in den Himmel. Aus einem Wirrrwarr von steinernen Häusern erhoben sie sich, wobei ein mächtiger Bau in der Mitte den größten darstellte. Necomar pfiff anerkennend durch die Zähne.
"Das ist die Zitadelle", erklärte das Mädchen und deutete auf den mächtigen Turm. "Früher hat da der Herr Baron Renwick alleine gelebt. Jetzt wohnen ganz oben der König der Südlichen Inseln und seine Töchter darin."
Necomar hob eine Braue. "Aber ist Rhobar nicht König von ... naja, allem?", fragte er. Politik hatte ihn schon seit seiner Kindheit nie interessiert. In Nordmar hatten vor Ort die Clanführer etwas zu sagen, ebenso der Botschafter des Reiches, der im Hammerclan residierte. Auch als Necomar die Axt ergriffen und auf Fahrt gegangen war, hatte ihn nie interessiert, wofür sie kämpften. Es ging gegen Orks und Feinde, das war für ihn Grund genug gewesen.
Der Schreiner machte große Augen, spuckte den Halm aus. "Bürschchen, das würde ich innerhalb der Mauern nicht von mir geben", knurrte er, jedoch nicht wütend, eher ratgebend. Seine Tochter nickte eifrig.
"König Ethorn der Sechste regiert Argaan. Es gibt zwar den Orden Innos' in Thorniara, aber eigentlich gehört die Stadt auch dem König Ethorn."
"Es ist kompliziert", ergänzte der Handwerker unnötigerweise. Necomar nickte nur.
"Kein Wort zu Herrschaftsansprüchen, alles klar.", notierte er sich laut. Marlis lachte, fing dann an von den Apfelhainen zu sprechen. Dem leckeren Apfelsaft, den Kuchen und Gebäcken, in denen die Äpfel verarbeitet werden. Der Schreiner brummte lobend etwas von dem guten Apfelwein.
Größer und größer wurde die Stadt auf der Felseninsel vor ihnen, ragte drohend aber auch schützend vor ihnen auf. Sie fuhren über die breite Brücke an den Wachen vorbei, die dem Schreiner etwas zuriefen und ihm winkten. Er winkte zurück. Alte Bekannte, so schien es ihm. Necomar schenkten sie einen kurzen aber musternden Blick und merkten schnell, dass er keine große Gefahr darstellte. Früher hätte ihn sowas auf die Palme gebracht, jetzt nahm er es hin. Er war nun mal keine Gefahr. Auf dem großen Platz hinter dem trutzigen Torhaus warteten ebenfalls winkend drei Knechte, die sich um den Ochsenkarren kümmerten und beim Entladen halfen. Zwei Gesellen in Schreinerkluft kamen dazu, plauderten mit den Knechten, bis der Schreiner schimpfend und zeternd vom Bock kletterte und seine scheinbaren Mitarbeiter an die Kandare nahm. Schnell brachten sie das Holz mit Handkarren zur Werkstatt. Immer noch finster blickend stand der Handwerksmeister da.
Marlis tippte Necomar auf die Schulter. "Wo hin willst du nun?", fragte sie. Ihr Vater trat näher. Vielleicht fürchtete er, dass sich Necomar als unerwünschter Gast einnisten wollte.
"Wo ... äh ...", der Nordmarer blickte sich um, "gibt's hier einen Tempel Adanos?", fragte er. Die hohen Gebäude schüchterten ihn etwas ein.
"Ein Haus der Magier und einen Tempel, ja", Sie deutete auf ein Gebäude links der Zitadelle. "Da ist das Haus der Magier. Da leben die meisten Wassermagier und ihre Novizen." Sie deutete auf ein hohes Haus schräg hinter der Zitadelle. "Das ist der Sitz der Hofmagier. Da leben auch Wassermagier ... aber die sind ..."
Der Schreiner schaltete sich ein: "Das sind Ethorns persönliche Magier. Die unterscheiden sich durchaus von den Wassermagiern aus Varant. Die findest du zum großen Teil im Haus der Magier. Das sind angenehme Zeitgenossen."
Marlis nickte. "Und den Tempel findest du, wenn du über den Königsplatz - eigentlich der Vorplatz des Barons - schreitest und Richtung Seemauer gehst. Eine Treppe führt hinab."
Necomar nickte. "Darf man da ... einfach rein?", fragte er langsam.
Das Mädchen hob eine Braue. "Na, was denkst du denn? Das ist hier keine Kirche Innos', wo dir Ritter den Zutritt verwehren oder jemand erstmal eine dicke Spende möchte. Adanos' Hallen sind für alle da."
Ein wohliges Gefühl, fast wie ein Heimkommen, umfing Necomar. Er stieg vom Kutschbock, ächzte kurz und verbeugte sich dann höflich vor Vater und Tochter.
"Vielen Dank, ihr beiden. Adanos mit euch."
Marlis grinste und nickte. Ihr Vater legte eine Hand an die Brust und antwortete förmlich: "Und mit dir, junger Mann. Mögest du deinen Platz hier finden."
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Isidors ersten Gedanken des neuen Tages galten Frieda, die er am Vortag nach ihrem angenehmen Abend zwischen den Apfelbäumen zur Bäckerei zurückbegleitet hatte. Es war sittlich abgelaufen, wie seine Mutter wohl verlangt hätte. Denn er hatte sie ohne übermäßigen Körperkontakt verabschiedet und ihr eine gute Nacht gewünscht.
Sein zweiter Gedanke wurde von Johanna bestimmt, die er nicht mehr gesehen hatte, obwohl er darauf hoffte. Vielleicht gäbe es heute eine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, wenn sie sich über den Weg liefen. Allerdings glaubte er sich zu erinnern, dass sie erzählt hatte, mit Syrias auf einen Ausflug zu gehen. Er fände es schade, sie vorher nicht noch einmal zu sehen, auch wenn er etwas unsicher war, woher dieses Bedürfnis rührte.
Weil sie mir eine gute Freundin geworden ist, beschied er in Gedanken, während er die Treppe in den Schankraum hinabstieg.
Ein kurzes, aber herzhaftes Frühstück mit viel Speck und Apfelkompott später, war er bereits wieder draußen auf dem Torplatz. Das Wetter wurde unbeständiger, je weiter das Jahr voranschritt und er war gespannt, wie sich Herbst und Winter in den südlichen Gefilden der Insel Argaan auswirken würde. Vengard glich in der kalten Jahreszeit einem Ort der Gegensätze. Winter war in der Hauptstadt des myrtanischen Reiches eine Mischung aus Straßen, bedeckt von einer Eisschicht unter der sich Unrat und Schmutz befand, die dem Unvorsichtigen eine jähe Reise in die ungewollte Waagerechte verschaffen konnten. Dagegen sprachen die warmen Lichter und Feuer der zahlreichen Wirtshäuser, die mit abendlichem Gelächter luden und eine Zuflucht vor den kalten Temperaturen boten. Eiszapfen an den Traufen der Dächer glitzerten im Schein von Sonne und Mond, während warme Feuerstellen den Straßenarbeitern Wärme spendeten, wenn sie sie brauchten.
Doch für den Schmied waren stets die Farben des Herbstes und seine stürmischen Winde das größte Glück gewesen. Wie die bunten Blätter im herrischen Ostwind tanzten und die Eicheln und Kastanien sich vor den Stadtmauern einem Teppich gleich ausbreiteten.
An Alberichs Schmiede angekommen, äußerst früh, wie er versprochen hatte, klopfte er einmal und trat dann ein. Der Meister war bereits am Werk, obwohl die Sonne kaum aufgegangen war, unermüdlich, was Isidor äußerst beeindruckend fand. Doch wie es schien folgte Alberich einer eisernen Routine, von der er nicht abzuweichen gedachte.
„Guten Morgen, Meister“, grüßte der Hüne als er die Türschwelle überschritt und direkt nach der schweren Lederschürzte griff.
„Morgen“, brummte der ergraute Mann und gab einen kurzen, anerkennenden Blick an seinen Gesellen.
Offenbar schätzte er es, wenn man sein Wort hielt. Das würde der Blondschopf nicht vergessen und das entgegengebrachte Vertrauen nicht enttäuschen.
„Seid Ihr gestern noch gut vorangekommen?“, erkundigte sich Isidor.
„Ja, es fehlen noch die die Sabatons, dann ist die Rüstung fertig.“
„Alles andere hattet Ihr bereits geschmiedet, bevor Ihr mich bei euch aufgenommen habt?“
„Ja.“
„Darf ich es sehen?“
Der Meisterschmied nickte und bedeutete Isidor ihm zu folgen. Gemeinsam traten sie in den Hinterhof und von dort in einen weiteren Steinbau, der nachträglich angebaut worden war. Hinter der Tür befand sich derselbe Raum, in dem der Geselle die Beinschiene poliert hatte. Im hinteren Teil der zweiten Werkstatt befanden sich einige Rüstungsständer, die mit Tüchern bedeckt waren, die auf den ersten Blick nach Seide aussahen. Ein teures Material, welches durch sein feines Gewebe die darunterliegenden Arbeiten vor Kratzern und Staub bewahrte.
Alberich zog eines der Tücher beiseite und legte den Blick auf die bereits fertiggestellten Bestandteile der Bronzerüstung frei. Bevor er sich zu einem euphorischen, leeren Kommentar des Lobes hinreißen ließ, betrachtete er fachmännisch die Arbeit seines Meisters. Ihm fiel auf, wie sauber die Nieten angebracht worden waren und wie filigran das Symbol des Handwerkers darauf eingearbeitet worden war.
„Der Kunde wird hocherfreut sein, Meister!“
„Das will ich hoffen. Immerhin arbeite ich, um das Leben jener zu bewahren, die für meine Heimat kämpfen. Jeder Fehler, den ich mache, könnte unverzeihlich sein“, nahm Alberich das Lob an, jedoch nicht ohne einen Grund für seine Sorgfalt zu nennen.
„Euch liegt diese Arbeit sehr am Herzen, nicht wahr?“
„Mir liegen meine Landsleute und jene, die mit unseren Idealen sympathisieren am Herzen und nur deswegen habe ich mich dem Schmieden von Rüstungen verschrieben.“
„Das ist ein sehr ehrbarer Grund.“
Ein zufriedenes Brummen war das letzte Wort, was dazu gesprochen wurde, ehe die beiden zurück in die Schmiede gingen, um die Rüstung fertigzustellen.
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Kräutergarten
Aniron musste kichern ob Kishas ersten Versuch mit dem Lichtzauber. Als das rote Licht schließlich wieder verschwunden war, blickte sie ihre Novizen wieder an.
„Sehr gut! Na-Cron, versuch die Magie noch etwas feinfühliger fließen zu lassen, um mehr Kontrolle über den Zauberspruch zu haben. Ich denke, du kommst eher ans Ziel, wenn du langsamer vorgehst, statt es mit Kraft zu erzwingen.“
Sie lächelte dem Novizen zuversichtlich zu.
„Gut, ihr habt das Grundprinzip verstanden, machen wir uns auf zum nächsten Schritt. Wie Kisha uns gerade so schön gezeigt hat, können wir das Licht sogar in verschiedenen Farben leuchten lassen. Das geht über unsere Gefühle und ist etwas, das ihr selbst ausprobieren müsst. Bestimmte Gefühle wie Wut, Angst oder Liebe lösen verschiedene Färbungen aus.“
Sie erzeugte wieder eine Lichtkugel und diesmal dachte sie als Erstes an ihre Kinder. Das Licht nahm ein fröhliches, warmes Gelb an. Dann fiel ihr der Streit mit Runa ein, bevor Maris aufgebrochen war und das Licht färbte sich in ein Lila-Rot und dann schließlich zu einem tiefen Grau, wie die Wut und die anschließende Traurigkeit, die Aniron empfunden hatte. Als Letztes dachte sie an Adanos und die Ruhe, die seine Lehren und seine Magie ihr verschafften. Die Lichtkugel erfuhr nun ein warmes, helles Blau. Dann ließ die Wehmutter das Licht wieder verschwinden.
„Probiert es mal. Da das mit den Gefühlen etwas sehr Privates ist, könnt ihr euch gerne etwas aufteilen, um mehr für euch zu sein. Ich möchte, dass ihr übt, das Licht in unterschiedlicher Stärke und Farbe zu erzeugen und dass es euch folgt oder ihr es lenkt. Außerdem will ich, dass ihr immerzu die Kontrolle habt. Niemand wird geblendet und euer Licht bleibt bei euch. Also dann, fangt an. Aaras und ich schauen euch zu. Aber denkt dran, nicht zu nah an die Königin der Nacht zu kommen“, sprach Aniron und deutete auf die große Pflanze mit der schönen blauen Blüte in der Mitte des Gartens. „Sie ernährt sich von Magie und würde euch mit Freuden sozusagen leer saugen, bis ihr umfallt.“
Na-Cron, Kisha und Mera verteilten sich.
Aniron indessen sah Kisha hinterher und dachte an die rote Lichtkugel, die sie selbst verfolgt hatte. Was war in Kisha nur vorgegangen? Das Licht der Torgaanerin hatte so leidenschaftlich gestrahlt, wie sie selbst es vermochte. Hatte sie Aniron damit bedenken wollen? Aber warum? Die Priesterin hätte zu gerne gewusst, was im Kopf der exotischen Frau vor sich gegangen war.
Mit einem Lächeln erinnerte Aniron sich daran, wie sie damals in Al Shedim am Tempel selbst mit den Farben des Lichtes geübt hatte, als Melaine sie ausgebildet hatte. Es war schon so viele Jahre her. Damals hatte sie Maris gerade kennen gelernt und der junge Blondschopf hatte sie in der Dunkelheit der Nacht überrascht und ihrer Lichtkugel damit unfreiwillig ein warmes Rot verliehen. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie im Wüstensand unter dem Sternenhimmel endlich zueinander gefunden hatten. Was für eine schöne Erinnerung! Ach, sie vermisste den Vater ihrer Kinder so. Da war die Sorge, dass es ihm – und natürlich auch Runa – gut ging und anderseits niemand, mit dem sie ihre Gedanken so wirklich teilen konnte. Über die Fortschritte der Novizen, das Rätsel, das Chala ihr aufgab, oder das Verhalten der Novizen des Feuers. Ihrem Mann hätte sie ihr Herz ausschütten können, jedoch, er war weit weg ...
Aniron seufzte leise, dann widmete sie ihren Blick wieder ihren Novizen.
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Lehrling
Tempel Adanos'
Eine Treppe führte hinab in eine weitläufige Grotte erstreckte sich, als Necomar die fein gearbeitete Wendeltreppe hinabstieg. Arkadengänge, eine große Schale in der Wasser war und ...
"Bei Adanos", stöhnte der junge Mann und merkte, wie seine Knie nachgaben, wie die Krücke unter seinem Griff zitterte. Er stürzte erwartungsgemäß und blickte wie ein zurückgebliebener Bengel mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen nach dem Schauspiel göttlicher Magie, das sich ihm - einem einfachen Menschen! - so schmucklos offenbarte.
Das Meer. Das offene Meer. Offen in der Hinsicht, dass es zwischen dem Tempel Adanos' von Stewark, dieser Halle hier, und dem Ozean keine Trennwand gab, kein Fels, ja nicht einmal eine gläserne Front, die in dieser Größe unmöglich existieren konnte. Nein, es war die Struktur von Wasser, die dort floss und an einer unsichtbaren Grenze hielt. Ihm drehte sich der Magen um, da er das Gefühl hatte, er würde von oben auf die Wasseroberfläche schauen. Übelkeit stieg in ihm auf, doch er kämpfte sie nieder. Die anwesenden Novizen und Magier des Wassers würden ihm wahrscheinlich die Leviten lesen, würde er ihren heiligen Ort - nein, auch mein heiliger Ort! - mit seinem kargen Frühstücksmahl beschmutzen. Necomar schloss die Augen, amtete tief ein und aus, beruhigte sein Gemüt. Dann öffnete er wieder die Augen und blickte erneut auf das Wasser.
Fische! Er sah Fische, die dort schwammen, einen desinteressierten Blick aus kalten Augen auf die Landbewohner in ihrer Höhle warfen und dann wieder davonschwammen, als wäre alles im Ozean tausendfach spannender als das Wirken ihres Schöpfers. Etwas Großes und Träges schwamm vorbei und einen Moment meinte der junge Mann aus Nordmar einen fast pfeifenden Singsang zu hören, ein langgezogener aber wohlklingender Laut. Ein alter, verhutzelter Fischer von der nordmarischen Küste hatte ihm mal erzählt, dass es Wale gab, die - sollte man mit ihnen schwimmen - geradezu vogelgleich sangen und zwitscherten. Die anderen Krieger und Fischer hatten ihn einen alten, senilen Narren geschimpft. Er auch. Nun revidierte er innerlich die Aussage.
"Alles gut, junger Mann?", eine ältliche Frau war zu ihm getreten, gekleidet in die Tracht einer Kauffrau. Sie hatte wahrscheinlich gebetet und befand sich auf dem Weg hinaus aus dem Tempel, als sie ihn bemerkt hatte.
"Ja ... ja", flüsterte er, den Blick immer noch nicht abwenden könnend. "Bei Adanos ... wie ..."
Die Frau schnaubte belustigt. "Das Wirken unseres Gottes, mein Lieber", erklärte sie und deutete auf die Wand. "Durch Seine Wassermagier wurde es geschaffen. Seine Macht floss in diesem Moment durch sie. Fels und Wasser, Land und See. Seine Elemente im Einklang, im Gleichgewicht."
Mehrmals nickte Necomar. "Ja, anders kann ich es nicht beschreiben", stimmte er zu, "Ich dachte erst ..."
"... das deine Augen dir einen Streich spielen. Mein Göttergatte hat beim ersten Mal, als er's sah - zur Eröffnung des Tempels - im hohen Bogen auf mein Kleid gekotzt. Es ist das Werk Adanos', aber die Augen und der Magen müssen sich erst einmal daran gewöhnen." In ihren Augen leuchtete ein Lachen.
Necomar schmunzelte schief. "Ja, so ähnlich ging es mir auch. Ich muss mich zusammenreißen, es Eurem Mann nicht nachzumachen."
Wohlwissentlich trat die Frau einen Schritt zurück, schätzte den Abstand und nickte. "Ich habe dazugelernt." Dann sah sie sich um. "Ich rate dir aber, junger Freund, hier nicht herumzuspeien, wenn die Hofmagier dem Ort hier ihre Aufwartung machen."
Ein Seuzfer kam über ihre Lippen. "Sie sind ja alle Erwählte Adanos', ich zweifle nicht an Seiner Wahl ... aber wo die Wassermagier aus der Wüste bescheiden und gütig sind, können die Hofmagier ... schwieriger im Umgang sein. Da ist's schnell geschehen, dass dich Soldaten Ethorns festnehmen, nur weil du unwissentlich einen Hofmagier beleidigt hast."
Just in diesem Moment kamen zwei Männer die Wendeltreppe hinab. Die Frau packte Necomar und schob ihn zur Seite, ehe sie das Haupt neigte. Die Männer waren edel gekleidet. Einer in einer prächtigen, blauen Robe, das aristokratische Gesicht unbeteiligt, ja fast abweisend. Der andere war offensichtlich ein Ritter, der den Wappenrock eines Setarrifer Hauses trug. Necomar erkannte, dass der Magier das gleiche Wappen in Form einer Anstecknadel an der Brust trug.
Als sie vorüber waren, atmete die Kauffrau aus. "Als hätten wir's herausgefordert. Das war ein Hofmagier."
Der Nordmarer nickte nur. "Am Ende gibt's überall eine Hackordnung, nicht wahr? Unter Kriegern, Kaufleuten ... und Magiern."
Die Kauffrau lachte auf, ehe sie sich beruhigte und kurz umsah. "Für dein Alter bist du gar nicht so grün hinter den Ohren. Ja, junger Mann, wie überall gibt's auch hier eine Nahrungskette. Oben ist der König; je näher dran du bist, desto besser geht's dir." Sie musterte ihn kurz, nickte dann.
"Komm, äh ..."
"Necomar."
Ein erneutes Grinsen. "Necomar, in Ordnung. Komm, ich habe das Gefühl, du bist neu in der Stadt. Ich möchte dir helfen, dich ein wenig zurecht zu finden."
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Im Kräutergarten
Stumm beobachtete sie, wie sowohl Kisha als auch Na-Cron mit den Lichtkugeln experimentierten. Während das Licht des einen Novizen schier explodierte wanderte das der anderen Novizin aus ihren Händen Aniron entgegen. Sie seufzte. Wenn die beiden es schon nicht schafften, wie sollte sie es dann hinkriegen. Sie hatte einmal ein Lichtlein hinbekommen, vielleicht sollte sie es einfach dabei belassen? Doch sie wagte nicht, etwas zu sagen und so zog sie sich in eine Ecke des Gartens zurück, nachdem die Wehmutter sie dazu aufforderte.
Ein ruhiges Fleckchen suchte sie sich aus, in einer der hinteren Ecken, wo der betörend riechende Salbei sich ausbreitete. Kaum jemand verirrte sich je hierher. Ein Novize vielleicht, der ein paar Kräuter für einen der Magier holen sollte, oder aber ein Magier selbst, der sich der Sache eigens annahm oder einen Moment der Ruhe und des Rückzugs suchte. So wie die Novizin es nun tat.
Sie atmete schwer, blickte auf ihren tauben Arm hinab und seufzte. Wie sich die anderen beiden jetzt wohl schlugen?
Sie schloss die Augen und sah, wie auch mit geöffneten Augen, die Lichtpunkte funkeln, wie in einer mit Edelsteinen besetzte Grotte. Wie hatte sie es letztes Mal getan? Sie hatte sich auf einen der Punkte konzentriert, der wie ein Ursprung wirkte, der die Magiefunkel anzog, die sich langsam daran hafteten und eine kleine Kugel formten. Wie ein Eiskristall, der zu einer dicken Schneeflocke anwuchs.
Die Setarriferin öffnete die Augen und sah nur ein weißes, kleines Lichtlein. Weniger als das, was sie vor ein paar Nächten alleine im Garten hinbekommen hatte. Ein Bruchteil einer Kerzenflamme, ein Tausendstel eines Feuers. Enttäuscht ließ sie ihre Schultern sacken und seufzte schwer. Warum musste ihr nur alles so schwer fallen? Warum konnte ihr nicht einmal etwas gelingen, und wenn es nur ein kleines Lichtlein wäre, das in einer anderen Farbe leuchtete.
Sie schloss die Augen und ließ den Kopf auf die Brust fallen, das Haar fiel ihr über den Kopf. Und so bekam sie nicht mit, dass das kleine Lichtlein langsam, kaum merkbar einen Blaustich bekam. Das matte, kalte Blau von klaren Eis.
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„Siehst du hier?“, fragte Alberich und deutete auf eine längliche Öffnung am unteren Ende der gewölbten Bronzeplatte, „Hier drehen wir eine Niete ein, die dann entlang des freien Bereichs rutschen kann. Weißt du, weshalb?“
Isidor betrachtete den schmalen Spalt im Metall. Es wirkte paradox. In einem Gegenstand, der den Körper eines Kriegers schützen sollte, willentlich Schwachstellen einzubauen, konnte doch nicht zielführend sein oder? Doch der Schmiedegeselle nahm sich einen weiteren Teil des unfertigen Plattenschuhs und hielt sie übereinander, wobei sich die Teile fast vollständig überlappten. Dann zog er langsam den Teil ohne Öffnung herunter und stellte sich vor, wie es mit einem Bolzen darin funktionieren sollte.
„Ist es dafür gedacht, damit die Platten Bewegungsspielraum bekommen?“, fragte er, während er nach einem Bolzen griff und ihn durch den Spalt drückte.
„Richtig, wenn alles aus einem Guss wäre, könnte man den Fuß kaum bewegen. Durch die zusätzliche Flexibilität, wenn die Platten sich etwas übereinander bewegen können, ist man beweglicher und es gibt dem Kämpfer mehr Optionen, was seine Beinarbeit angeht. Und lass dir von einem alten Veteranen gesagt sein, dass mehr Kämpfe mit den Beinen gewonnen werden, als mit den Armen, Junge.“
Der Myrtaner war beeindruckt. Er wusste nicht, ob sein Vater jemals diese Technik verwendet hatte. Dazu war es nie gekommen, denn er hatte beim Ableben seiner Familie immer nur geschliffen, poliert und Ringe genietet.
„Das nennt man Geschübe und ich nutze es auch für den Armschutz und den Kragen. Die Männer und Frauen wundern sich immer wieder, wenn sie das erste Mal meine Rüstungen tragen, wie leicht es ist, sich in ihnen zu bewegen, obwohl Bronze so schwer ist.“
Der Meisterschmied war offenbar in Redelaune geraten. Isidor vermutete, dass das nur bei wenigen Themen geschah und das Schmieden war offensichtlich eines davon. Just in diesem Moment schwang die Tür der Werkstatt auf und Elara brachte eine Brise frischer Luft mit sich.
„Männer, ich sage euch, Herbst ist die beste Zeit zum Jagen, selbst wenn der Wildbestand in letzter Zeit nachgelassen hat“, waren ihre ersten Worte und sie wedelte sich unwirsch einige Blätter aus dem braunen Haar.
Ein Blick auf Alberich verriet Isidor, dass der Moment der Redseligkeit vorüber war und er sah dabei zu, wie der ältere Mann zurück zur Esse trat, um den hintersten Teil des Sabatons zu fertigen.
„Schön dich zu sehen, Elara!“, grüßte der Geselle stellvertretend die Lederin und lächelte ihr freundlich zu.
„Oho, es ist auch schön DICH zu sehen, du Casanova! Na, wie war der Abend mit Frieda, hm? Gib mir alle Details, die romantischen und die verruchten!“, forderte sie breit grinsend und legte ihren Mantel und den Bogen ab, mit dem er sie noch nie gesehen hatte.
„Es…war ein schöner Abend“, versuchte sich der Hüne erfolgslos aus der Affäre zu ziehen.
Doch das Grinsen der Jägerin wurde noch breiter und ihre Augen funkelten.
„Nein, das wird nicht reichen, fürchte ich. Da musst du mir schon mehr geben, wenn du mich heute noch loswerden willst, junger Mann“, triezte die nicht viel ältere Frau ihn.
Mit einem unsicheren Blick über die Schulter erkannte er, dass von Alberich wohl keine Hilfe zu erwarten war, weswegen er mit leicht erröteten Wangen – ob von der Arbeit oder der Scham wollte er nicht weiter spezifizieren – zu erzählen begann, wie der Abend mit Frieda verlaufen war. Dass sie unrechtmäßig auf einer der Apfelplantagen gewesen waren, verschwieg er dabei bewusst.
„Awwww, Sonnenuntergang, Wein, ein Picknick im Freien? Wo warst du vor zehn Jahren, mein Lieber? Ich hätte dich mit Haut und Haar an Ort und Stell aufgefressen!“, lachte sie und klopfte dem viel größeren Isidor mit der flachen Hand gegen die Brust.
Gerade so nochmal davongekommen, huschte ihm ein Gedanke durch den Kopf, als Elara auf die Tür ihrer Arbeitstube zusteuerte.
„Aber solltest du Tipps brauchen“, ließ sie auf den letzten Schritten doch noch nicht locker, „Brauchst du mich nur zu fragen“, neckte sie ihn und zwinkerte ihm über die Schulter zu, ehe sie hinter der Tür verschwand.
„Diese Frau…“, schnaufte Alberich, ließ aber unausgesprochen, was seine weiteren Gedanken zu ihr waren.
Der restliche Arbeitstag verlief wie erwartet. Sie stellten die beiden Sabatons fertig und Isidor konnte beobachten, wie die Geschübe funktionierten. Sie brauchten regelmäßig Fett, um nicht zu verkanten, doch der Aufwand war die Funktionalität allemal wert. Der Abend war bereits weit fortgeschritten und sie waren weit länger in der Schmiede geblieben, als sonst. Doch Alberich wollte fertig werden, denn er hatte dem Kunden versprochen, dass die Rüstung am Morgen fertig wäre. Mehr als einmal wollte er seinen Gesellen in den Feierabend schicken, doch dieser lehnte ab und übernahm das Schleifen und Polieren, während der Meister die Schmiede für den nächsten Tag vorbereitete.
„Ich hoffe, du machst so weiter, Junge“, hatte er gesagt, ohne Isidor dabei anzusehen, „Dann zeige ich dir alles, was ich weiß und aus dir wird ein großartiger Rüstungsschmied.“
So viel Stolz hatte der Hüne zuletzt verspürt, wenn sein Vater ihn wegen einer guten Arbeit gelobt hatte, und es bedeutete ihm ungemein viel, wobei er nicht die richtigen Worte fand, um seinen Dank auszudrücken. Alberich bemerkte dies, verstand es wohl sehr gut und ließ es mit einem seltenen Lächeln dabei bewenden.
Zurück in der Klippenschänke war das einzige Anliegen des Blonden in sein Bett zu fallen, doch als er über die Schwelle zu seinem Zimmer schritt, trat er auf ein Stück Pergament, welches man ihm unter der Tür hindurchgeschoben hatte. Mit einem Ächzen und Schmerzen im unteren Rücken hob er es auf und las angestrengt die kleine, gedrungene Handschrift darauf.
Festplatz Mittagessen
Kurz und bündig, ohne Unterschrift. Doch Isidor hatte eine Vermutung, dass er morgen jemanden treffen würde, der die Geschäftigkeit des Mittags zu seinen Gunsten nutzen wollte. Es blieb bloß zu hoffen, dass dem Schmied etwas einfiel, was für diese Person von Interesse sein könnte.
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»Gute Arbeit.«, verkündete er zwischen zwei Bissen seines Mittagessens. Isidor hatte wie üblich gezögert und durfte nun zuschauen, wie Armond sich satt aß. Selbst Schuld. Mit dem Gesicht über das Essen gebeugt konnte er aus dem Augenwinkel dennoch sehen, dass Isidor verwundert die Stirn kraus zog und ihm einen fragenden Blick zuwarf. Armond schmunzelte müde.
»Kümmern wir uns erst um deine Sorgenfalten.« Mit dem Löffel deutete er auf die Stirn des Hünen. »Ja, wir behalten dich im Blick. Das habe ich dir doch versprochen oder? Aber keine Bange, ich habe kein Interesse daran, was du mit einer Bäckersfrau oder dem Schmiedemeister hinter verschlossenen Türen machst oder dass du deine kleine Novizenfreundin wiedergetroffen hast. Wobei - mittlerweile ist sie eine Magierin. Soll eine bezaubernde Feier gewesen sein, sagt man. Soll ich Grüße ausrichten?« Er grinste hämisch.
»Jetzt zu deinen unausgesprochenen Fragen: Nein - du bist nicht allein hier. Ja - es gab schon andere vor dir. Nein - ich werde dir nicht sagen, wer sie sind. Ja - einige von ihnen sind gestorben. Manche unfreiwillig. Andere haben sich hier...« Er legte eine theatralische Pause ein, nahm einen weiteren Löffel Eintopf und kaute genüsslich für einige Sekunden länger als nötig auf dem Fleisch herum, ehe er fortfuhr. »nennen wir es zu heimisch gefühlt und vergessen, wieso sie hier gewesen sind. Und vertrau mir: Du willst keinen Brief bekommen, in dem etwas anderes steht als ein Treffpunkt.«
Wieder ließ er einige Sekunden verstreichen. Armond war ein geduldiger Mensch. Und heute hatte er es nicht eilig. Außerdem genoss er es stets, außerhalb Thorniaras zu sein. Selbst wenn es ihn hierher führte.
Stewark war nicht zwingend eine Perle was Städte anging. Aber das geschäftige Treiben hier auf dem Marktplatz, das scheinbar kopflose Gewusel der Menschen hier und die Unbeschwertheit, mit der so viele Leute ihrem Tagesgeschäft nachgingen, erfüllte ihn stets mit einer gewissen Zuversicht. Zuversicht, dass er seine Arbeit vernünftig machte, wenn all diese Lämmer vollkommen blind noch auf der Schlachtbank grinsten.
»Du hast bisher gute Arbeit geleistet, Bursche. Niemand verdächtigt dich und du genießt das Vertrauen einiger. Das ist mehr, als viele dir zugetraut haben.« Er zog ein kleines Säckchen aus seiner Manteltasche und schob sie ihm über den Tisch zu. »Ein Bonus.« Mit einem Augenzwinkern nahm er einen weiteren Löffel.
»Es wird also Zeit für die nächsten Schritte. Das Wissen Setarrifs.« Noch bevor sich wieder Fragen auf dem Gesicht seines Gegenübers bilden konnten, fuhr er fort. »Nach dem zugegeben unvorhergesehenen Untergang Setarrifs werden sie wohl kaum die ganze Bibliothek mitgeschleppt haben.« Seine monotone Stimme überdeckte die tiefempfundene Enttäuschung über diesen Fakt. Der Verlust der Menschenleben kümmerte ihn nach all den Jahren weniger, das Wissen aber, das mit all diesen sinnlos ausgeblasenen Lebenslichtern ebenfalls erloschen war, erfüllte ihn mit tiefer Trauer. Die Bücher, Karten und Chiffren, die in den Drachenflammen und eingestürzten Wänden zum Opfer gefallen waren, mussten unbezahlbare Schätze gewesen sein. Nicht nur für ihn und die Leute, für die er arbeitete. Insbesondere für die Leute, für die er arbeitete.
Sehr langsam schüttelte er den Kopf.
»Umso kostbarer ist das, was davon übrig geblieben ist. Und genau das möchte ich haben.«
Er hob den Blick und taxierte den Schmiedemeister in spe. Seit seinem Aufbruch aus Thorniara hatte der junge Bursche viel vollbracht. Mehr vielleicht, als die meisten vor ihm. Weniger aber, als Armond zu hoffen geglaubt hatte.
»Du wirst in die Akademie gehen.«, stelle er fest. »Du wirst in die Akademie gehen und mir besorgen, was sich dort drin befindet. Fragen?«
Felia
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Isidor war sichtlich überrascht gewesen, als er Armond tatsächlich entdeckte. Die unerwartete Nachricht und anschließende Begegnung verunsicherten ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, demselben Mann so bald wieder zu begegnen, und schon gar nicht an einem so öffentlichen Ort in der Stadt des Feindes. Unweigerlich musste er an das Würfelspiel in der Marktschänke in Thorniara zurückdenken und wie Armond ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass er am längeren Hebel saß.
Isidor beobachtete Armond genau, während dieser genüsslich seinen Eintopf aß und spürte, wie die Anspannung in ihm stieg. Die Ereignisse er letzten Tage schienen ihn einzuholen, all die neuen Bekanntschaften, die er in Stewark geschlossen, im Kontrast zu seiner eigentlichen Aufgabe. Wie konnte es sein, dass all diese Menschen an einem Ort versammelt waren? Felia, die ihn bereits in Thorniara misstrauisch beäugt, dann aber als guten Freund bezeichnet hatte, Piero, der ihn mit seinen undurchsichtigen Plänen auf Pfade gelenkt hatte, denen er unweigerlich folgen musste, und Johanna, die sich in kurzer Zeit als gute Freundin herausgestellt hatte, der er sein Vertrauen schenken wollte.
Trotz seiner inneren Zerrissenheit zwang sich der ungeübte Spitzel zu einem freundlichen Lächeln und legte seine Arme betont lässig auf den Tisch. Er wusste, dass er Armonds Unterstützung brauchte, um sein Ziel zu erreichen: Rache an Ardan Hsia, dem Mörder seiner Familie. Zumindest war er darauf angewiesen, dass sein Kontaktmann ihm mitteilte, wann die Hinrichtung stattfand. Denn die würde er um keinen Preis verpassen wollen.
„Ich hab nicht damit gerechnet, dass du persönlich hier auftauchen würdest“, versuchte Isidor möglichst ruhig und gefasst zu wirken.
Armond blickte von seinem Teller auf und musterte Isidor mit einem durchdringenden Blick. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Belustigung, als würde er die Unsicherheit des Schmiedes genießen. Die Fragen, die er vorwegnahm und beantwortete, machten dem Hünen nicht gerade Mut, doch er tröstete sich damit, dass er bisher wohl ausreichend gute Arbeit geleistet hatte. Dennoch drängte sich ihm die Frage auf, wozu sie Spitzel wie ihn brauchten, wenn sie ohnehin beobachteten, was er tat.
Vermutlich, damit sie sich nicht selbst in Gefahr bringen müssen, schlussfolgerte er und wartete darauf, dass Armond weitersprach.
Stattdessen schob der adrette Mann ihm einen Beutel voll Münzen über den Tisch, den Isidor etwas zögerlich entgegennahm und in seiner Kleidung verschwinden ließ. Ein wenig nagte das schlechte Gewissen an ihm, Bezahlung für etwas zu bekommen, was er noch nicht richtig verstanden hatte, doch ihm war sein Gold ausgegangen, weshalb er sich nicht beschwerte.
Dann jedoch kam der Kernpunkt dieses Treffens zur Sprache und der Blondschopf spürte, wie er immer weiter in seinem Stuhl zusammensank. Die Akademie? Wie sollte er dort hineinkommen?
„Das…klingt nach einer schwierigen Aufgabe“, gab er zu und ließ den Blick über die anderen Leute schweifen, die so in ihre eigenen Gespräche vertieft waren, dass dem Schmied dämmerte, wieso Armond diesen Ort gewählt hatte.
Was war auffälliger? Ein Treffen in einer dunklen Gasse, wo man zufällig entdeckt werden konnte und damit Fragen aufwarf oder ein gemütliches Mittagessen unter Gleichen, die alle ihren eigenen Problemen und Themen nachgingen? Es war eine Lektion darin, die sich Isidor merken würde.
„Der Schmiedemeister war einst Teil der Akademie. Vielleicht kann ich über ihn Zugang bekommen. Lieferungen und dergleichen. Aber vermutlich komme ich so nicht an die Schriften, die du beschreibst.“
Es waren Bedenken, die ihn schon jetzt zu quälen begannen. Johanna hatte ihm erzählt, dass die Leute in der Akademie nicht jeden hereinließen und sie waren wohl auch nicht die angenehmsten Zeitgenossen. Wie also sollte er ihr Vertrauen gewinnen?
„Ich vermute, dass der beste Weg wäre, einer von den Klingen zu werden, aber das ist nichts, was über Nacht erreicht werden kann, schätze ich. Zumal ich keine Ahnung vom Kriegerhandwerk habe“, überlegte Isidor murmelnd, sodass nur Armond ihn hören konnte.“
Der Blick des gepflegten Mannes gab ihm zu verstehen, dass das Isidors Problem war und er nur an den Ergebnissen interessiert war.
„Ich werde sehen, ob ich einen Weg finde, aber es wird dauern“, schloss er schließlich und akzeptierte seine neue Aufgabe, die er ohnehin nicht hätte ablehnen können.
Kurz verfiel er ins Schweigen, versuchte sein pochendes Herz zu beruhigen, welches diese Situation treffend erfasst hatte. Dieser Mann war gefährlich und er hatte Recht damit gehabt, dass Isidor nicht herausfinden wollte, was geschah, wenn er eine Nachricht bekam, auf der kein neuer Treffpunkt stand. Dennoch gab es noch etwas, dass er fragen musste.
„Wie steht es um Ardan Hsia? Wann ist seine Hinrichtung?“
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Wortlos hatte Armond den Knaben beobachtet und aufmerksam seinen Überlegungen gelauscht. Er war tatsächlich in kurzer Zeit weiter gekommen als all die anderen vor ihm. Das hatte Armond vorsichtig optimistisch werden lassen, dass sich hinter dem etwas unscheinbaren Äußeren Isidors vielleicht ein ganz brauchbarer Spitzel verbergen konnte. Ein halbwegs cleverer Fuchs im - zugegeben bisweilen schmutzigen, in jedem Fall aber angesengten - Schafsfell sozusagen. Sein Vorschlag, sich als Schmiedegeselle ohne jegliche Kampferfahrung dem feindlichen Heer anzuschließen, um Zugang zur Akademie zu erhalten ließ den unscheinbaren Mann aber an seiner bisherigen Einschätzung zweifeln. War Isidor vielleicht doch nur ein weiteres Schaf im Schafspelz?
Er kratzte mit dem Löffel die letzten Reste Eintopf aus der hölzernen Schale. Genüsslich schmatzend befreite er den Löffel von ebendiesem Rest und deutete dann mit dem Stiel auf Isidor. »Du bist dir wirklich sicher, dass du nichts willst? Schmeckt fantastisch.« Sein Gegenüber schüttelte den Kopf, noch immer auf eine Antwort wartend. Eine Antwort, die Armond ihm nur ungern geben wollte.
»Ardan hat sein Schicksal in die Hände der Götter gelegt.«, erklärte er emotionslos. »Eine barbarische Angelegenheit, wenn du mich fragst, aber das ist nicht meine Sache. Jedenfalls - und bitte bleib einfach sitzen und schrei hier nicht den ganzen Laden zusammen wenn ich dir das jetzt sage -« Er blickte Isidor an, um unmissverständlich klarzumachen, dass das keine Bitte war. »er ist frei.« Sofort hob er abwehrend und beschwichtigend die Hände, aber sowohl das als auch die Beschwichtigenden Worte waren gerade genug, um das äußerst gefährliche Gemisch aus Gefühlen zu bändigen, das in Isidor hochkochte.
Er unterbrach den Mann in seinem fassungslosen, wütenden Luftholen, um ihm jeden Wind aus den Segeln zu nehmen. »Ardan macht keinen Schritt, ohne dass wir davon wissen. Ich habe nicht vor, meinen Teil unserer Abmachung zu brechen.« Seine Stimme machte klar, dass es sich hierbei nicht um ein Versprechen, sondern um eine Tatsache handelte. »Wenn die Zeit reif ist - und du deinen Auftrag weiterhin so gut erfüllst - dann wird ihn sein ihn vorbestimmtes Schicksal ereilen. Götter hin oder her. Nötigenfalls durch meine Leute, wenn du wünschst kannst du der sein, der zum Streich ausholt.«
Für einen kurzen Augenblick meinte Armond so etwas wie Zweifel auf dem Gesicht des jungen Isidors zu erkennen aber noch bevor er einschätzen konnte, was die Ursache dieses Zweifels hätte sein können, wich der Ausdruck von den Zügen des Schmiedegesellen.
»Ardan wird sterben.«, versicherte er erneut und ließ die Worte eine Weile wirken.
»Wenn du tatsächlich als Rekrut in die Akademie kommen willst, musst du lernen zu kämpfen. Ich könnte dir dabei helfen.« Es schien unklug, weiter über den pyromanischen Wahnsinnigen zu sprechen. Zweifel daran, dass Armond seinen Teil der Vereinbarung halten könnte, würden zweifelsfrei zu Problemen führen. Und Probleme führten zu Verzögerungen, die wiederum zur folge haben würden, dass er eine isidorförmige Leiche aus Stewark heraus und einen weiteren Spitzel nach Stewark rein schaffen musste. Beides keine große Schwierigkeit, aber Armond hasste solcherlei Verzögerungen.
Felia
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Isidor saß reglos da, die Worte Armonds schwebten schwer in der Luft. Sein Herz pochte wild, die Anspannung war kaum zu ertragen. Ardan Hsia war frei? Diese Information traf ihn wie ein Hammerschlag, als wäre er der Rohling auf dem Amboss und Innos der Schmied, der den Hammer führte. Doch statt einem Meisterwerk ließ der Gott des Feuers nur einen missratenen Klumpen Eisen zurück.
Die Wut und das Verlangen nach Rache, nach Gerechtigkeit, kochten in ihm hoch, aber er wusste, dass er sich beherrschen musste. Armond war gefährlich und nicht das Ziel seines Hasses.
Er zwang sich, ruhig zu atmen und seine Gedanken zu ordnen. Wenn Ardan wirklich keinen Schritt machen konnte, ohne dass Armond davon wusste, dann gab es Hoffnung. Doch das bedeutete auch, dass der Hüne keinen Fehler machen durfte. Jeder Schritt, jede Bewegung musste sorgfältig überlegt sein.
„Ich werde deinen Auftrag erfüllen“, sagte Isidor schließlich mit festem Blick, „Ich werde lernen zu kämpfen, und ich werde einen Weg in die Akademie finden. Aber Ardan wird mir gehören.“
Die Augen des älteren Mannes funkelten belustigt, als würde er über die angestaute Wut seines Gegenübers nur lachen können, doch er nickte zustimmend.
„Gut, Isidor. Zeig mir, dass du mehr bist als nur ein einfacher Schmied. Ich werde dir helfen, doch vergiss nicht: meine Geduld ist begrenzt.“
Mit einem letzten Blick auf den hölzernen Löffel in Armonds Hand und dem gefüllten Beutel Münzen in seiner Kleidung, stand Isidor auf. Die Aufgabe, die vor ihm lag, war gewaltig, doch seine Entschlossenheit war größer.
Der Weg in die Akademie würde nicht leicht sein. Er musste sich zunächst das Vertrauen des Schmiedemeisters erarbeiten. Vielleicht würde er durch unermüdliche Arbeit und Demonstration seines handwerklichen Könnens einen Zugang finden. Aber das war nur der erste Schritt. Der wirkliche Test würde darin bestehen, sich das Vertrauen der Mitglieder der Akademie zu erschleichen – ein gefährliches Spiel, auf dem er kaum Erfahrung besaß.
Er verabschiedete sich von Armond, der ihn wissen ließ, dass er eine Nachricht vorfinden würde, mit Anweisungen wie er das Kämpfen lernen sollte. Trotz des frühnachmittäglichen Sonnenscheins legte sich eine Dunkelheit wie ein Mantel um ihn, schirmte ihn ab vor Einflüssen von außen, gefangen in der Spirale seiner bitteren Gefühle. Er musste seine Gedanken sammeln, eine Struktur in das Chaos bringen. Wieso hatte man ihm nicht wie zugesichert informiert, wann die Hinrichtung des Brandmörders hätte stattfinden sollen? Wieso erhielt er die Nachricht von seiner Freilassung so spät? Und wie wollte sein Kontaktmann ihm helfen das Kämpfen zu erlernen? Frage, die er nicht zu beantworten wusste. Ein schwerer Kloß hatte sich in seinem Rachen festgesetzt und er sah nicht freudig auf den Rest des Tages, der vor ihm lag. Die Mittagszeit war vorüber und die Schmiede rief bereits wieder nach ihm.
So oder so würden die kommenden Tage und Wochen eine harte Prüfung sein. Isidor wusste, dass er sich verändern musste. Der junge, naive Schmied aus Vengard würde weichen müssen, um Platz für jemanden zu machen, der sowohl Hammer, als auch Schwert zu führen wusste. Jemand, der in den Augen der Akademie als würdig erachtet wurde. Trotz der erdrückenden Last des bevorstehenden Weges, hielt er an einem Gedanken fest. Am Ende dieses steinigen Pfades wartete Ardan Hsia. Isidor würde er für Gerechtigkeit sorgen, Rache üben an jenem, der sein Leben zerstörte und nach Jahren im Kerker wieder auf freiem Fuß wandeln durfte. Wie Innos so etwas zulassen konnte, erschloss sich ihm nicht. Wie konnten die Menschen Myrtaners an einen Gott glauben, dem das Schicksal seiner Anhänger einerlei war, es gar mit Füßen trat?
Er würde nicht scheitern. Für seine Familie und für sich selbst. Er würde das scheinbar Unmögliche möglich machen.
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Stewarker Umland
Da waren sie nun, der große Syrias und die kleine Johanna und zogen ihre Handkarren stetig voran. Früh waren sie an diesem Tag aufgebrochen. Überraschenderweise war Johanna trotz dessen recht gut gelaunt gewesen. Und das, obwohl die Sonne kaum aufgegangen war. Syrias hatte das doch etwas verwundert, schließlich waren die meisten jungen Menschen nicht so besonders gut gelaunt zu der frühen Stunde. Er kannte es ja von sich selbst.
Dementsprechend wortkarg war er gewesen, als die kleine Dunkelhaarige ihre übliche gute Laune verbreitete. Und wie immer war sie nicht untätig gewesen und hatte dem Waffenschmied die ein oder andere Stichelei an den Kopf geworfen.
Und auch wenn Syrias ihr Geplänkel mochte, war es dafür einfach zu früh gewesen. Außerdem hatte ihm immer noch die rechte Hand Sorge bereitet. Die Schmerzen waren nicht wirklich verschwunden, auch wenn er die übel riechende Kräutersalbe immer wieder auftrug und den Verband neu wickelte. Götter, mit was hatte die Kräuterhexe das Zeug bloß angerührt?
Das war vermutlich auch der Hauptgrund, warum Syrias den Karren überwiegend mit seiner linken zog. Wenigstens war er noch nicht so schwer, schließlich hatten sie ihre Vorräte und Gebrauchsgegenstände recht gleichmäßig auf die beiden Karren verteilt. Doch auf dem Rückweg würde das eine ganz andere Geschichte sein, so viel stand fest.
Wenn er und Taron keine Abmachung miteinander gehabt hätten, dann müsste Syrias jetzt nicht in Richtung Eberstein ziehen und das verdammte Erz holen. Doch ohne diese Abmachung wäre er immer noch arbeitslos, was er auch nicht wollte.
Götter, manchmal war das Leben echt nicht fair.
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Alberichs Schmiede
„Nicht mit so viel Kraft!“, ermahnte Alberich, während Isidor dabei war eine gute Bronzeplatte zu malträtieren, als wäre es das Gesicht Ardan Hsias.
Er stockte, hielt mitten in der Bewegung inne und schloss für einen Moment die Augen. Schweiß rann ihm über die Stirn, hinab auf die Lider, sammelte sich in seinen hellen Wimpern. Mit Mühe zwang sich Isidor zu atmen, ruhig und tief. Der Geruch der Schmiede flutete sein Bewusstsein, heiße Bronze, der Rauch der Esse, der Schweiß auf seiner Haut. Es beruhigte ihn, lenkte ihn ab von den Gedanken, die ihn dominierten.
„Entschuldigt, Meister“, presste er gequält hervor und ließ den Hammer endlich los, der bereits auf dem Amboss ruhte, neben der zu bearbeitenden Bronze.
Der Geselle spürte den Blick Alberichs auf sich, erwartete fast, dass weitere Ermahnungen oder, was noch schlimmer wäre, Nachfragen folgen würden. Doch der betagte Mann brummte nur grimmig und wartete wohl darauf, dass der Blondschopf weiterarbeitete, damit er sehen konnte, ob sein Geselle verstanden hatte, was er falsch machte.
Langsam, darauf bedacht, dass es nicht auffiel, ließ Isidor die Schultern mit einem unterdrückten Seufzer sinken. Er hielt dem Verlangen stand schnell die Luft auszustoßen und hoffte damit, dass er sich besser beruhigen konnte. Außerdem wollte er nicht das Gefühl vermitteln von der Arbeit genervt zu sein, denn das Gegenteil war der Fall, auch wenn das Werkstück darunter hatte leiden müssen.
Mit mehr Feingefühl und Präzision ging er wieder ans Werk, stellte jedoch nach zwei Schlägen bereits fest, dass die Bronze von der harten Behandlung bereits nicht mehr formbar genug war. Er nahm die schwere Zange und bugsierte das Metall zur Esse, deren fast rosafarbenen Flammen an dem vermeintlichen Brennstoff leckten.
Aus dem Augenwinkel sah Isidor, wie Alberich sich abwandte und wieder daran arbeitete, die Werkzeuge zu säubern. Die Rüstung, welche er mithilfe seines Gesellen gestern fertiggestellt hatte, stand auf einem Ständer neben der Eingangstür, mit einem Seidentuch bedeckt. Das Werkstück Isidors war lediglich ein Testobjekt, aus dem er einen Helm fertigen sollte, wobei er bisher versagte. Es gab weitere Aufträge, die erledigt werden wollten, doch Alberich hatte vorgehabt ihm erst etwas beizubringen. Leider war der Hüne jedoch alles andere als aufnahmefähig gewesen, nachdem er vom Treffen mit Armond zurückgekehrt war. Und Hunger hatte er mittlerweile auch.
Mit einem Mal schwang die Tür der Schmiede auf und ein kräftiger Mann, einige Jahre älter als der Myrtaner, wenn er sich nicht täuschte, trat ein. Seine Haltung war gerade, die breiten Schultern nach hinten geschoben. Mit einem knackigen Schritt trat er an den Tisch heran, hinter dem Alberich gerade arbeitete.
„Seid gegrüßt, Meister Alberich. Ihr ließt nach mir rufen?“
Eine kratzige Stimme hatte der Mann und dunkle, unergründliche Augen, die etwas zu eng beieinanderlagen. Daran änderten auch die buschigen Augenbrauen nichts, die er erwartungsvoll hochgezogen hatte.
„Ah, Taavi. Ja, die Rüstung ist fertig. Gestern Nacht haben wir ihr den letzten Schliff verpasst“, antwortete der Meisterschmied und lächelte auf eine Art und Weise, wie Isidor sie bisher noch nicht kennengelernt hatte.
Man konnte es fast als väterlich bezeichnen, wie er den offensichtlichen Krieger ansah. Der ergrauende Veteran trat hinter dem Arbeitstisch hervor und lief auf den verhangenen Rüstungsständer zu. Mit einem Ruck offenbarte er, was sich unter der Seide verbarg.
„Adanos! Die Arbeit eines Meisters!“, keuchte Taavi und hob zögerlich eine Hand, bevor er sich auf ein ermutigendes Nicken Alberichs hin traute, die glänzende Bronze anzufassen.
„Einer Klinge würdig“, brummte der Handwerker und wirkte weniger stoisch als sonst.
„Fürwahr! Ich kann Euch gar nicht genug Danken!“
„Das Gold wird von der Akademie bereitgestellt. Leg sie an, das ist Dank genug. Junge! Hilf Taavi in die Rüstung. Nimm einen der Gambesons aus Elaras Werkstatt“, wies Alberich seinen Gesellen an, der das gerade heiß gewordene Stück Bronze zur Seite legte und tat, wie ihm geheißen wurde.
Mit großen Schritten eilte er auf die Tür zum Nebenzimmer zu, klopfte und trat ein, nachdem die Lederin geantwortet hatte.
„Ein neuer Geselle, Meister?“, hörte er den Kunden hinter sich fragen, doch die Antwort bekam er nicht mehr mit, als er tiefer in die Werkstatt trat.
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Alberichs Schmiede
„Elara?“, fragte Isidor mit, seiner Stimmung geschuldet, gedämpfter Stimme in den Raum hinein.
Als er um das große, vollgepackte Regal schritt und so die Sicht auf die Werkbank freiwurde, an der die Lederin für gewöhnlich sitzte, entdeckte er sie mit dem Kopf in der rechten Hand, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Der andere Arm lag ausgestreckt über einem Stück Pergament, auf dem einige verschmierte Kohlestriche zu sehen waren. Sie schien ihn nicht bemerkt zu haben, weshalb er sich räusperte, doch sie rührte sich noch immer nicht. Vorsichtig näherte sich der Hüne der Dunkelhaarigen und war im Begriff ihr seine Pranke auf die Schulter zu legen. Doch er bemerkte, dass sie über ihrer Arbeit eingeschlafen war.
Kurz überlegte er, fragte sich, ob er sie wecken sollte, doch entschied sich dagegen. Jeden der letzten Tage war sie später als sonst in der Schmiede erschienen, immer mit zerzaustem Haar und jedes Mal etwas erschöpfter. Soweit er wusste, ging sie auf die Jagd, ehe der Winter hereinbrach, um mit dem Fleisch die Stadt zu unterstützen und das Leder, der sich Fett anfressenden Tiere zu bekommen. Und das noch vor ihrer eigentlichen Arbeit bei Alberich. Dass sie vor Verausgabung einschlief, konnte Isidor also gut nachvollziehen. Bei einer ruhigen Gelegenheit würde er sie fragen müssen, ob es einen Unterschied machte, ob man die Haut von fetten oder weniger fetten Tieren in Leder verarbeitete.
Für den Moment wollte er ihr jedoch die Erholung gönnen. Vielleicht würde sie es ihm übelnehmen, sollte sie erfahren, dass er sie nicht geweckt hatte, doch er brachte es nicht über sich. Stattdessen schaute er auf einen Stapel von Gambesons, die einige Tische weiter lagen. Er war nicht sicher, was die Größe anbelangte oder ob Elara einen Neuen für Taavi angefertigt hatte, doch da es nur zur Anprobe war, griff er sich einen, der seiner Einschätzung nach passen müsste. Der Stoff war grob, aber gut verarbeitet und die Füllung machte ihn angenehm schwer.
Leise stahl er sich wieder aus der Lederwerkstatt und kehrte zurück in die Schmiede, wo der Schmiedemeister im Gespräch mit seinem Kunden vertieft war. Seit wann unterhielt sich Alberich freiwillig länger als drei Sätze mit jemandem?
„Der Gambeson“, kündigte er seine Rückkehr an und übergab den gefüllten Stoffberg an Taavi, der ihn dankend entgegennahm und sich über den Kopf streifte.
Der Myrtaner fand es immer wieder amüsant zu sehen, wie jemand, der eigentlich drahtig war, plötzlich unförmig wirkte.
„Danke! Meister Alberich erwähnte, dass du seit Kurzem für ihn arbeitest“, versuchte der Dunkelhaarige ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
Der dunklere Teint, der an den der Menschen aus Varant erinnerte, war hier allgegenwärtig und zeichnete die Menschen als Argaaner aus. So auch Taavi. Würde er ihn verurteilen, wenn er wüsste, dass er zum Volk jener gehörte, die vom Norden der Insel seine Heimat bedrohten? Oder sah er es ihm ohnehin an der Nasenspitze an?
„Das ist richtig“, antwortete Isidor kurz angebunden und stellte die Plattenschuhe vor den Krieger auf den Boden, damit er hineinsteigen konnte.
„Er ist…“, wollte er scheinbar in Lobeshymnen ausbrechen, doch schien er zum ersten Mal den Gesellen wirklich wahrzunehmen, „Bei Adanos! Das ist eine verdammt große Narbe!“
Die Blicke der beiden trafen sich. Eine seltsame Mischung aus Gefühlen schien durch die Mimik des Kriegers sprechen zu wollen. Schock, Respekt, etwas Ekel und Neugierde.
„Tja, wenn man an der Esse nicht vorsichtig ist…“, versuchte er abzulenken und bückte sich, um Taavi in die Sabatons zu helfen und die Riemen zu befestigen, ehe er die Beinschienen vom Rüstungsständer nahm und sie um die Waden und das Schienbein legte.
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Lehrling
Noellas Armenküche
Necomar wischte sich den Schweiß mit dem Ärmel von der Stirn. Er hatte früher schon in der Küche gestanden, hatte im Hammerclan Essen ausgegeben, wenn die Lehrlinge der Orkjäger im Langhaus gespeist hatten. Sein Lehrmeister hatte ihm eingeprägt, dass Kameradschaft nicht nur im Kampf entstand, sondern vor allem beim gemeinsamen Essen, beim Trinken und auch – so war es letztlich – dem Aufräumen und Abwaschen danach. Daher war die Arbeit, die ihm die Händlerin – Noella ihr Name – beschafft hatte, nichts Neues.
Auf dem Weg aus dem Tempel Adanos‘ heraus hatte sie ihm nämlich erklärt, wofür ein Teil ihrer Einnahmen aus ihrem Geschäft verwendet wurden: Eine Armenküche.
Ein Teil von Necomar hatte irgendwie nicht daran gedacht, dass eine Stadt wie Stewark solche Probleme haben könnte. Armut. Hunger. Seine Verwunderung hatte Noella mit einem traurigen Lächeln beantwortet.
„Überall da, wo Krieg herrscht, herrscht irgendwann unweigerlich Armut“, hatte sie ihm erklärt, „Thorniara, da wo der Orden Innos‘ herrscht, hat ein ausgedehntes Armenviertel, in dem fast Gesetzlosigkeit herrscht.“ Sie hatte dabei mit einer Kette gespielt, die das Wappen Setarrifs trug. „Auch meine Heimatstadt Setarrif … war nicht frei davon gewesen. Besser wäre es wohl, diese Auseinandersetzung ohne Ergebnis würde enden, aber …“
Ihr Blick war zur Zitadelle gewandert. Necomar hatte verstanden. Könige sahen alles von ihrer erhöhten Position, so weit oben, dass die einzelnen Probleme gar nicht auszumachen waren. Die Armut eines Mannes kümmerte einen König nicht.
„Mein Mann und ich haben uns entschlossen, unseren Teil dazu beizutragen, den Mittellosen zu helfen. Opfern vergangener Kämpfe, Bettlern und … allen, denen Leid zugestoßen ist.“ Sie hatte geseufzt und ihn dann zu ihrem Haus geführt. In den oberen Etagen wohnte Noella mit ihrem Mann, im Erdgeschoss befand sich die Armenspeise.
Der Eintopf köchelte im großen Topf und sorgte dafür, dass sogar Necomar das Wasser im Mund zusammenlief. Noellas Gatte – Merik – grinste den jungen Mann an, während er Holz nachlegte, um den Ofen weiter anzuheizen. Die Tage waren kälter geworden und ein deftiger Gemüseeintopf war das richtige für die Jahreszeit. Die Armen dankten es ihnen. Der Mann aus Nordmar schnitt gerade Kartoffeln und Möhren.
Er bemerkte eine kleine Hand, die langsam von der Tischkante her in Richtung der Möhrenscheiben trippelte wie ein kleines Spinnchen. Lächelnd schob er einen nicht gerade kleinen Teil des Haufens zu der Hand. Ein blonder, langer Haarschopf kam unterm Tisch hervor, blaue Augen und ein zahnlückiges Grinsen.
„Na los“, sagte er, „Das ist mein Tribut an dich. Nicht dass du mich irgendwann noch überfällst.“
Das Mädchen kicherte. „Ich bin eine Gemüsediebin!“
„Aber sowas von, du Zwerg. Na los, sonst musst du mir noch helfen. Husch, husch!“
„Ihh, Arbeit!“, das Mädchen sprang lachend weg. Merik schüttelte nur mit einem Lächeln, das eine Spur traurig wirkte.
„Ein wunderbares Kind. Kommt oft vorbei“, er seufzte, „Die Mutter starb letztes Jahr an einer Krankheit. Ich Vater … fiel bei einem Scharmützel gegen die Echsenmenschen.“
Necomar nickte nur. Am liebsten hätte er dem Kind alles gegeben. Das Gemüse, den Eintopf, Gold, Frieden … aber das war unmöglich. Aber bei Adanos, er würde versuchen seinen Teil beizutragen. Selbst wenn er darin bestand, Suppe zu verteilen und Gemüse zu schneiden.
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Im Kräutergarten
Als Aniron ihnen erklärte, dass die Farbe des beschworenen Lichts von den Emotionen der Magierin beeinflusst wurde, wären Menschen wie Mera vermutlich augenblicklich im Boden versunken und hätten sich für den Rest des Tages nicht mehr ausgegraben. Kisha hingegen riss lächelnd die Augen auf und murmelte zu sich ein verstehendes „Ah!“. Das erklärte natürlich, was gerade geschehen war – und die stolze Argaanerin, die es gewohnt war, ihre Emotionen offen auf ihren Zügen zu tragen, schämte sich kein bisschen dafür.
Kisha suchte sich für die Übung ein ruhiges Plätzchen am Südrand des Gartens. Sie ließ ihren Blick über die Küstenlinie des Stewarker Landes streifen, über die herbstgraue See. Starke Emotionen also… eine Aufgabe, die einer Frau wie ihr sicher nicht schwerfiel. Und doch war es eine ganz bestimmte Erinnerung, die ihr in diesem Moment in den Sinn kam.
Behutsam ließ sich Kisha auf ihre Knie nieder, legte ihre Hände in den Schoß und schloss die Augen.
„Ona“, sprach sie, leise zwar, doch mit einer durch und durch von fürsorglicher Liebe erfüllten Stimme. Ein Licht glomm auf vor ihrem Herzen, ein kleines Licht, aber so tiefrot und strahlend, dass es heller leuchtete als ihr erstes Licht. Sie selbst sah lediglich das gedämpfte glimmen durch ihre geschlossenen Augen, während sie sich erinnerte an das Schönste, was sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Das Schönste, das sie je in ihren Armen halten durfte.
Doch der Moment verging so schnell, wie er gekommen war. Denn der Gedanke an das Schicksal, das ihre kleine, geliebte Philile ereilte, traf sie so hart wie ein Faustschlag. Das Licht verlor mit einem Schlag alle Farbe und zurück blieb nichts als eine Globe von so hoffnungslosem und schmerzerfülltem Grau, dass es Nichts und Niemanden zu erleuchten vermochte. Kisha riss sich die Maske vom Gesicht, die Wangen überströmt von einem Fluss aus Tränen. Das Licht erlosch vollends, als sie vornüber fiel und sich vollends dem Kummer hingab. Sie hatte zu lange gewartet, war nicht da gewesen, als Philile sie gebraucht hatte. Und nun verbrachte sie ihre Zeit damit, es sich im Haus der Magier und diesem Garten gemütlich zu machen und das Flüstern der Vizuka zu ergründen. Nein, sie konnte nicht so weitermachen! Sie war nach Stewark gekommen, weil sie mehr über diese verfluchten Sturmkrähen herausfinden wollte, um ihre Tochter nach all den Jahren endlich wiederzufinden. Es wurde Zeit, dass sie endlich tat, wofür sie gekommen war.
„Ich kann das nicht mehr!“
Kisha sprang auf, erfüllt von Trauer von Wut, und trat mit tränenerfülltem Antlitz auf Aniron zu.
„Ich kann nicht mehr hier lernen! Dafür bin ich nicht gekommen!“
Sie wischte sich die Tränen mit dem Ärmel aus den Augen und reckte stolz das Kinn.
„Ich muss in diese Burg. Ihr habt dort Bücher über alles. Dort muss ich hin, und dafür brauch ich eine Erlaubnis. Keine Zauber mehr!“
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Alberichs Schmiede
„Der junge Isidor hier macht sich sehr gut“, schaltete sich Alberich in das Gespräch ein.
Ob er verhindern wollte, dass sein Geselle den Kunden mit seiner offensichtlich miserablen Laune vergraulte? Oder würde es zu einer stellvertretenden Entschuldigung für sein Benehmen kommen, wenn er sich nicht zusammenriss? Sein Vater hatte häufiger derartig gehandelt, insbesondere wenn sich der für sein junges Alter kräftige Isidor mit anderen Kindern des Viertel geprügelt hatte. Meist war es der enttäuschende Blick gewesen, den er ihm dabei zugeworfen hatte, der die tiefsten Wunden gerissen hatte.
Doch dank Ardan Hsia konnte er nicht einmal mehr das erleben. Er hatte ihm alles genommen und Isidor hätte alles gegeben, um selbst die unliebsamsten Erinnerungen an seine Familie noch einmal erleben zu können.
Die Kniekappen folgten und schließlich brachte der Hüne die Tassetten an die Oberschenkel des Kriegers an. Die Beine waren somit vollständig geschützt und der Oberkörper sollte folgen.
„Arme nach außen“, bat der Schmiedegeselle und versuchte die Bitterkeit aus seiner Stimme zu verbannen.
Doch seine Gedanken kreisten immer wieder um das, was Armond ihm offenbart hatte. Der Mörder lebte und war nicht mehr hinter Gittern.
Wieso, Innos?, fragte er in Gedanken an den Gott des Feuers gerichtet.
Er war mit dem Glauben an den obersten Gott aufgezogen worden, auch wenn er nie sonderlich devot gewesen war. Doch was nutzte es, einem Gott zu huldigen, der Verbrechen nicht strafte, die so schrecklich waren, dass das Leben der Hinterbliebenen sinnlos erschien?
„Erst die Halsberge, Junge“, erinnerte Alberich ihn, als er bereits nach dem Harnisch greifen wollte.
„Ja, richtig“, bestätigte er abwesend und half Taavi dabei den Halsschutz anzulegen.
Als nächstes folgte der Brustharnisch, der an dem Gorget befestigt werden musste. Der aus zusammengeschweißten bronzenen Platten bestehende Harnisch lag nun über dem Gambeson.
„Festhalten, bitte“, presste Isidor hervor und machte sich daran den Rückenschutz mithilfe der Lederriemen am Brustschutz zu befestigen. Eine Schnalle nach der anderen schloss sich und er griff als nächstes nach den Armschienen.
All die Mühe sich um die Überfahrt nach Argaan zu kümmern, um bei der Hinrichtung dieses Monsters dabei zu sein, das Annehmen schier unmöglicher Aufgaben wie die Akademie der Argaaner zu infiltrieren, waren umsonst gewesen. Doch was sollte er tun? Armond hatte mehr als einmal in aller Deutlichkeit klar gemacht, dass er Mittel und Wege hatte, um herauszufinden, was Isidor wann tat und im Zweifel Menschen verschwinden lassen konnte, sodass man sie nicht mehr finden würde.
Doch wäre das so schlecht? Zu verschwinden und in Vergessenheit zu geraten?
„Arme senken, damit ich die Schulterstücke anbringen kann“, wies er Taavi an, der ihn mittlerweile mit einem seltsamen Blick beobachtete.
Hatte der Hüne eine Frage verpasst, während er in Gedanken war?
Selbst wenn…, dachte er missmutig.
Wäre es wirklich so schlimm zu verschwinden? Aufzuhören zu existieren schien ihm wie eine einfache Lösung, um den schmerzhaften Gefühlen zu entkommen, die sein Innerstes zu zerreißen drohten. Doch was dann? Wer würde sich dann um Ardan Hsia kümmern? Innos offensichtlich nicht. Armond?
Beinahe hätte der Hüne ein von Sarkasmus triefendes Lachen ausgestoßen. Armond würde keinen Finger rühren, wenn Isidor nicht mehr wäre. Und wieso auch? Ihm hatte der Brandmörder ja auch nichts angetan, nicht wahr? So war die Welt eben. Jeder war sich selbst der Nächste.
Die Handschuhe folgten und waren schnell angelegt, was als letztes Rüstungsteil nur noch den Helm übrigließ. Doch Isidor wollte sich erst vergewissern, dass Taavi sich weitestgehend uneingeschränkt bewegen konnte. Der Kopfschutz würde daran nichts ändern und in einer heißen Schmiede wäre es nicht sehr angenehm unter einer bronzenen Haube, die das Atmen erschwerte und die Sicht einschränkte.
„Wie ist sie?“, fragte der Meisterschmied seinen Kunden, der einige Testbewegungen machte.
Der Krieger ließ die Arme rotieren, beugte die Knie und drehte die Hüften.
„Perfekt! Meine Bewegungen sind kaum eingeschränkt, Meister!“, antwortete Taavi enthusiastisch.
„Das freut mich zu hören. Dann lass dir von Isidor helfen die Rüstung wieder abzulegen und ich schicke ihn dir im Laufe des Tages zur Akademie. Dann kannst du sie entgegennehmen.
Und alles rückwärts…, stöhnte Isidor innerlich, der einfach nur allein sein wollte, zum Guten oder zum Schlechten.
Die Gelegenheit, die sich ihm gerade bot, entging ihm dabei.
Geändert von Isidor (05.11.2024 um 01:15 Uhr)
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