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Stewark #4
Piero konnte es nicht anders sagen: das Umland von Stewark im Spätsommer war ein wirklich schöner Flecken Erde. Am südlichen Rande der großen Apfelplantagen, die unübersehbar die Wirtschaft der Region dominierten, schmiegte sich eine Reihe kleinerer Höfe und Wirtschaften zwischen weg und Felskamm. Eine schier endlose Reihe, wie er bekennen musste, doch eine unterhaltsame. Und irgendwo in dieser Reihe aus Hühnerhöfen und Obstgärten musste sich die geheime Empfehlung der zumindest noch im Herzen jungen Weinkennerin befinden, die er tags zuvor auf seinen Erkundungen mit einem Weinkelch in der Hand ausfindig gemacht hatte. Es hatte ihn nur eine halb ernst gemeinte Schmeichelei, ein unangenehmes Anstoßen mit ineinander verschlungenen Armen und das Versprechen gekostet, die lebenslustige Greisin in sein neues Etablissement einzuladen, um die Quelle ihres ausgezeichneten Rebensaftes zu erfahren. Und zu Pieros Freude und Überraschung war dieser Ort ohne Umstände fußläufig erreichbar.
Gerade fragte er sich, ob er es vielleicht übersehen hatte und zu weit gegangen war, da erwuchs eine moosbewachsene, halbhohe Mauer zu seiner Rechten. Was er dahinter erblickte, ließ ihn innerhalten und einen Seufzer der Erleichterung gen Himmel schicken.
„I miei dei, ich danke euch!“
Denn vor seinen Augen erstreckten sich, Reihe um Reihe an den Berghang geschmiegt, unzählige Weinreben bis hinauf in die höchsten Höhen des Berghanges. Und mittendrin prangte ein kleines, aber durchaus geschmackvolles Landhaus, das nur darauf wartete, von einem wahren Mann von Welt besucht zu werden.
Piero durchschritt den Torbogen am Fuße des Hanges, der ihn auf einen Schotterpfad entlang der Weinreben bis hinauf zur Pforte des Hauses führte. Einige Arbeiter liefen emsig zwischen den Pflanzen umher und hegten die kostbaren Trauben. Wenn sie ihn bemerkten, dann ließen sie es sich nicht anmerken. Schließlich fand er sich vor der schweren Tür aus dunklem Holz und klopfte an.
Drei schwere Faustschläge verhallten im Wind, dann kehrte Ruhe ein.
„Santa Maria, Madre di Innos“, murrte Piero. Sein Blick streifte über das Landgut, taxierte die Arbeiter. Ob er einen von ihnen fragen sollte?
„Seid herzlich willkommen, edler Herr“, ertönte da eine nasale Stimme. Überrascht fuhr Piero herum und sah einen kleinen Mann mit grau melierter Halbglatze im schwarzen Frack vor sich stehen. „Wen darf ich Herrin Agathe ankündigen?“
Die Überraschung auf Pieros Gesicht währte nur einen Wimpernschlag an, dann schlich sich ein gewinnbringendes Lächeln auf seine Züge.
„Danke, vielen Dank, werter Mann“, antwortete er. „Ich kam in der Tat hierher, um mit der Herrin des Hauses zu sprechen. Würdet Ihr die Freundlichkeit besitzen, sie über mein Eintreffen zu informieren, Signore?“
Der Mann nickte knapp. „Wen darf ich der Herrin ankündigen und welches Anliegen führt Euch hierher?“
„Geschäftliches, Wertester, das reine Geschäft. Wie ich aus verlässlicher Quelle hörte, kommt der beste Wein des Stewarker Landes aus ihrer Kelterei, und ich würde mich liebend gern mit Frau Agathe über die Möglichkeiten eines regelmäßigen Erwerbs ihrer hervorragenden Produkte austauschen.“
Der Bedienstete zog die Tür weit auf in stummer Einladung, hereinzukommen. „So folgt mir bitte unauffällig in das Kaminzimmer, edler Herr. Ich werde die Herrin sogleich informieren.
Piero strahlte und setzte den Fuß über die Schwelle.
„Es ist mir ein Vergnügen.“
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Tarons Waffenschmiede
Da hatte der alte Lump ihr aber einen gehörigen Schrecken eingejagt! Zu gleichen Teilen hielt sie das sich selbst und ihm vor, weil er sich verdammt ungünstig ausdrückte und sie ihrer großen Freundin tatsächlich zutraute, sich mit ihrem Jähzorn in so gewaltige Schwierigkeiten zu bringen, dass es mit ihr zu Ende ging. Aber zum Glück war ja alles nur ein einziges großes Missverständnis, auch wenn der gequetschte Fuß sich nach ganz furchtbaren Schmerzen anhörte.
„Verdammt nochmal, erschreck mich doch nicht so!“, rief sie in zumindest halb ernst gemeinter Empörung. „Und das hat sie einfach akzeptiert, dass sie nicht mehr laufen kann? Da muss ihr ja schon der halbe Fuß abfallen, damit sie ihren Stolz herunterschluckt, Schmerz aushalten zu können!“
Und schon machte sie sich wieder Sorgen. „Ist sie jetzt in der Heilkammer? Ich hab die Leiterin und ihren Sohn dort schonmal kennengelernt – die wissen wirklich, was sie tun!“
Auf dem Weg nach draußen – Syrias schnappte sich nebenbei noch ein passendes Schwert – jagte der Schmied ihr dann aber noch einen viel größeren Schrecken ein, den sie nur mit großer Mühe unter der Oberfläche zu halten vermochte. Als er nach Rudra fragte und sich nach dessen Namen erkundigte, konnten seine Vorschläge unmöglich ein Zufall sein. Und Syrias fragte nicht ohne Hintergedanken, da war sie sich sicher.
Udra … wie hatte der Mistkerl denn Rudras wirklichen Namen erfahren? Und warum wollte er sie so darauf stoßen, dass er es wusste? Sie kniff die Augen zusammen und funkelte ihn argwöhnisch an.
„Schreiben ist nicht so deine Stärke, oder? Udra fängt weder mit M, noch mit R an. Denkst du vielleicht eher an die alte Murdra, draußen in der Taverne im Süden?“
Johanna schüttelte den Kopf. „Er heißt Mungu. Ja, der hat schonmal Erz geschmolzen, hat er erzählt. Muss aber noch auf Torgaan gewesen sein, denn seit wir uns kennen, waren wir eigentlich nur unterwegs, bevor wir hier gelandet sind. Ich glaub aber, er hat mehr Erfahrung mit Bronze, als mit Stahl. Immerhin ist er Künstler, kein Schmied.“
Beim letzten Punkt war sie sich ehrlich gesagt gar nicht so sicher. Es hätte sie jedenfalls nicht gewundert, wenn er einfach losgelegt und ein Glanzstück hingezaubert hätte, wenn man ihm einen Hammer in die Hand gedrückt und gesagt hätte: ‚Los, schmiede was!‘
„Brauchst du jemanden zum Fachsimpeln, oder so?“
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Alberichs Schmiede
Im Laufe des Tages formte Isidor unter der Aufsicht Alberichs die Bronzeplatte nach und nach in eine zweite Beinschiene. Der Meisterschmied überließ ihm den Großteil der Arbeit, anders als am Vortag, wo er das meiste gemacht hatte. Offenbar wollte er sehen, wie sich sein Geselle allein schlug und was er an Tipps behalten hatte. Der Hüne lief deutlich häufiger zur Lehmvorlage des Kunden, als Alberich es getan hatte, um zu überprüfen, wie viel er noch biegen musste oder ob nach einem weiteren Arbeitsschritt das Werkstück nicht zu eng geworden war. Als es schließlich an das Rollen des oberen und unteren Teils ging, wurde Isidor langsam nervös. Mittag war längst vorüber und er musste das ganze Rüstungsteil noch abschleifen. Unterbewusst huschte sein Blick immer wieder in Richtung Fenster, allerdings verriet ihm das Licht nicht, wie spät es war. Die schwere Wolkendecke tauchte alles in ein tristes Grau.
„Das genügt für heute“, sprach Alberich, nach Stunden die ersten Worte, und beinahe hätte Isidor sich mit dem Hammer auf die Hand geschlagen, weil er sich so erschreckte.
„Aber Meister, die Beinplatte ist noch nicht fertig“, protestierte der Geselle.
„Du bist nicht mehr bei der Sache. Ich kann es nicht gebrauchen, wenn du jetzt anfängst Fehler zu machen“, wies er ihn zurecht, wobei keine Anklage in seiner Stimme mitschwang.
Dennoch fühlte sich der Hüne ertappt.
„Entschuldigt Meister, ich…“
„Schon gut, Junge. Ich war auch mal jung und verliebt. Geh schon und morgen kommst du eine Stunde früher“, unterbrach Alberich ihn.
„In Ordnung“, lenkte Isidor ein und legte den Hammer nieder, „Danke Meister, ich mache mich dann auf den Weg.“
Dass der ältere Mann ihn als verliebt bezeichnete, machte ihm nichts aus, selbst wenn es nicht stimmen mochte. Wer wusste schon, was sich in der nächsten Zeit ergeben würde. Doch wenn er ehrlich zu sich war, dann konnte er es sich nicht leisten mit einer Frau anzubandeln. Oder wäre es sogar zuträglich für seinen Auftrag? Es wurde Zeit, dass er weitere Instruktionen bekam, sonst würde er weiterhin blind einem neuen Leben folgen, welches er sich nur aus einem Grund aufgebaut hatte: Um den Brandmörder Ardan brennen zu sehen.
Sorgfältig hing er seine Lederschürze an den Haken und wusch sich seine Hände im Wassereimer, der genau dafür in einer Ecke stand. Mit einem letzten Abschiedsgruß an Alberich gewandt, schritt er auf die Tür zu und war bereits fast auf der Straße, als er von Links ein neckendes „Viel Spahaß!“ trällern hörte. Elara stand mit einem breiten Grinsen in der Tür zum Nebenraum und winkte ihm, was er mit einem Lächeln seinerseits erwiderte.
Draußen an der frischen Luft atmete Isidor tief durch. Er mochte es in der Hitze der Schmiede, doch es schlug nicht das Gefühl, wenn man dem Dunst entkam und einen Atemzug tat, um die Lunge zu füllen. Was waren seine nächsten Schritte? Am besten steuerte er das erste Heim der Leute an, die Piero ihm empfohlen hatte. Doch den Zettel mit den Beschreibungen hatte der Gegenstände hatte er in der Klippenschänke auf seinem Zimmer gelassen. Demnach war sein erstes Ziel klar. Ob er sofort ein Bad nehmen sollte oder erst nachdem er alles erledigt hatte?
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"Mungu, das wars." Syrias schmunzelte. Anscheinend war Johanna noch nicht bereit die Wahrheit über ihren großen Freund zu erzählen. Dabei war er fest davon überzeugt, dass es sich bei "Mundu" nicht um einen Menschen handelte. Die Dunkelhaarige konnte sich wohl nicht mehr wirklich an ihren Saufabend erinnern und wie sie sich dort verplappert hatte.
Syrias vermutete, dass es gesunde Vorsicht war, welche die beiden dazu brachte eine solche Scharade weiter aufrecht zu erhalten. Dabei hatte er überhaupt kein Problem damit, dass sie mit einem Ork befreundet war. Ihm als ehemaliger Orksöldner war das mehr als egal. Zwar hegte er keine wirklich freundschaftlichen Gefühle für die Kreaturen, aber feindlich eingestimmt war er ihnen gegenüber auch nicht. Sie hatten sich als recht brauchbare Dienstherren damals erwiesen. Aber das war vor langer, langer Zeit gewesen. Aber ob die Argaan-Orks auch so waren, das konnte er nicht beurteilen. Nach allem, was er gehört hatte waren diese Orks mehr Bestien als Krieger. Wobei hier auch wieder dagegen sprach, dass sich "Mundu" mit einer Menschenfrau abgab, die ihm verbunden war. Götter, das war alles viel zu kompliziert.
"Ja, vermutlich dachte ich an die alte von der Jungfrau. Muss ich was miteinander verwechselt haben. Liegt vermutlich am Alter." Syrias begab sich in die Mitte des Hofs, nahm Aufstellung und lies sein Schwert ein, zwei mal ums Handgelenk kreisen. Mit einer Geste wies er Johanna drauf hin, sich ihm gegenüber zu stellen. Die kleine Frau trat mittlerweile mit einer gewissen Selbstsicherheit auf, wie an ihrer Haltung erkennbar war. Die Schritte waren fest und zielgerichtet, ihre Haltung wirkte entschlossen. Ja, die Kleine machte sich gut, befand Syrias, als sie ihm gegenüber Haltung annahm und ihre Waffen bereit hielt.
"Ich brauch niemanden zum fachsimpeln, ich brauch jemanden, der weiß, ob man hier auf Argaan magisches Erz findet. Ich hab nicht die Zeit oder die Laune nach Khorinis zu schippern und nach Nordmar bringen mich keine Zehn Pferde." Syrias dehnte seine Schultermuskeln und wärmte sich kurz auf. "Und da dacht ich, vielleicht weiß Mundu ja was darüber."
Der Söldner winkte mit der Hand und begab sich locker in Abwehrhaltung. Mal sehen, wie Johanna eröffnen würde.
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Der grüne Eber
Die drei Zettel in der Hand, schaute er sich die Kohlezeichnungen an. Sie waren nicht sonderlich detailreich, doch vermittelten das Wichtigste. Wenn er sich recht erinnerte, würde er eine der Anlaufstellen, den grünen Eber, im Süden der Stadt finden. Ohne Zeit zu verlieren lief er die Treppe der Klippenschänke hinab, hinaus auf den Torplatz, ehe er sich zunächst nach Westen wandte. Östlich der Schänke entlang zu gehen, würde ihn lediglich in eine Sackgasse führen, dorthin, wo die Stadtwache ihren Sitz hatte. Also musste er erst über den mittleren Ring über den Marktplatz laufen. War nicht einer der Orte im mittleren Ring angesiedelt? Die Kommune, der feierwütigen Damen, wenn er sich recht entsann. Doch es erschien ihm sinnvoller, sich von Süden nach Norden durch die Straßen zu schlagen.
Mit gebührender Eile schritt er über den Marktplatz, wo ihm die unterschiedlichsten Gerüche entgegenwehten. Er entdeckte eine Händlerin für Stoffe und einen für Obst und Gemüse von den nahen Bauernhöfen. Ob er dort wohl auch exotische Früchte finden konnte? Darauf würde er achten, wenn er beim grünen Eber vorbeigeschaut hatte.
Die Treppen hinunter zum äußeren Ring zwischen zwei eng zusammenstehenden Gebäuden, nahm er immer zwei Stufen auf einmal und sah sich am Fuße angekommen um. Eine genauere Beschreibung wäre ihm jetzt nützlich gewesen, doch vermutlich hätte sein Orientierungssinn es ohnehin unmöglich gemacht, auf Anhieb das richtige Haus zu finden.
„Entschuldigt, gnädige Frau“, sprach er kurzerhand eine Dame mittleren Alters an, die einen großen Weidekorb unter dem Arm trug und wohl auf dem Weg zum Markt war, „Ich suche eine Hauswirtschaft, die sich grüner Eber nennt.“
Der zuvor argwöhnische Blick wich bei der Erwähnung des vertrauten Namens einem Lächeln.
„Du willst zu Christel? Sie wohnt gleich dort vorn, zweite Haus, linke Seite.“
„Ich danke Euch! Noch einen angenehmen Tag.“
Isidor steuerte auf das beschriebene Gebäude zu und entdeckte tatsächlich ein kleines Schild, welches ihm bewies, dass er richtig war. Enthusiastisch klopfte er gegen die Holztür und wurde mit einem „Es ist offen!“, hereingebeten.
Das Innere der Behausung war klein, doch erfüllt vom Duft der Heimeligkeit. Ein sanftes Blubbern aus einem großen Topf war zu hören, der hoch über einer Feuerstelle hing. Das Eisen war von vieljährigem Gebrauch geschwärzt, doch der Geruch allein ließ den Magen des Schmiedes knurren.
„Huch, du sieht aus, als könntest du viel Essen“, grüßte ihn eine freundliche aus der Ecke des Zimmers.
Die ältere Witwe, welche dort saß, war von durchschnittlicher Größe, etwas rundlich um die Hüften mit aschblondem Haar, in welchem mehrere Holzstricknadeln steckten, um es zu bändigen. Sie hatte die Augen zusammengekniffen, während sie den Besucher beobachtete.
„Seid gegrüßt gute Frau, ich hörte, dass Ihr Eintopf nach dem Rezept Eurer Urgroßmutter zubereitet und an die Hungrigen verkauft?“
„Da hast du richtig gehört, Jungchen“, bestätigte sie lächelnd und erhob sich, „Mein Name ist Christel und der grüne Eber ist seit Generationen das Zuhause meiner Familie. Unser Eintopf ist weithin bekannt, jaja!“
Als die Witwe ins Licht des Feuers trat, erkannte Isidor mehr Details. Sie war faltig, doch bei weitem noch nicht so alt, dass man sich Sorgen machen musste. Ihre Schürze war befleckt, doch nicht direkt schmutzig. Ihre Hände wiesen Schwielen auf, die von täglicher Arbeit zeugten.
„Deshalb bin ich hier! Ich würde gern meinem Meister und seiner Partnerin etwas mitbringen, wenn das geht?“, fragte er geradeheraus.
„Natürlich, natürlich. Solange du versprichst mir die Schalen wiederzubringen“, forderte sie und begann in dem Eintopf zu rühren.
„Das werde ich machen! Reicht es, wenn ich sie morgen wiederbringe?“
„Besser wäre heute, ich habe nicht so viele, verstehst du?“
Der Hüne rieb sich den Hinterkopf. Wie sollte er das anstellen? Würde er Piero früh genug antreffen, damit das alles klappte? Er würde es drauf ankommen lassen müssen.
„Dann werde ich versuchen, sie noch heute zurückzubringen.“
„Gut, gut.“
Sie begann drei Schalen mit dampfendem Eintopf zu füllen und stellte sie auf einen nahen Tisch. Isidor hätte gern jetzt schon gekostet, aber die Zeit drängte. Dummerweise fiel ihm gerade auf, dass er in Kürze ein Transportproblem bekäme, wenn er alle drei Anlaufstellen hintereinander aufsuchen würde.
„Was bekommt Ihr für Euren köstlichen Eintopf?“
„Zwei Gold und fünf Silber pro Schale“, antwortete sie postwendend.
„Das klingt gerechtfertigt. Habt Ihr eine Geheimzutat?“, scherzte er und lächelte schief.
Sie schielte ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen an und er fragte sich, ob sie schlecht sehen konnte. Scheinbar erkannte sie jedoch das Lächeln in seinem Gesicht, denn auch sie schmunzelte.
„Liebe und Fürsorge, mein Lieber“, verriet sie ihm mit erhobenem Zeigefinger, ehe sie auch die letzte Schüssel füllte.
Der Hüne bezahlte, bedankte sich artig und machte sich auf den Rückweg. Er würde wohl erst Piero aufsuchen müssen, ehe seine Rundreise durch Stewark weitergehen konnte.
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Kräutergarten
Aniron atmete die kühle Morgenluft ein. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb weiße Schäfchenwolken über den blauen Himmel. Die Sonne ließ die Pflanzen im Kräutergarten der Wassermagier erstrahlen. Grüne Blätter, rote und gelbe und weiße Blüten, dazwischen immer wieder ein paar Insekten, die sich ebenso an der Blütenpracht erfreute wie die Herrin dieses Kleinods.
Sie könnten schon wieder etwas vom Adanoskraut ernten und auch die Friedensblumen waren bereit für die Trockenkammer. Bei den Aurikeln musste sie dringend Unkraut zupfen. Die Wehmutter seufzte, der Garten war in den letzten Tagen etwas zu kurz gekommen.
Doch bevor sie sich weiter gedanklich damit beschäftigen konnte, näherten sich ihr zwei Personen. Unauffällig im Hintergrund stand Aaras und sie schmunzelte, dass der Adept so selbstverständlich die Situation bewachte. Vielleicht war er auch einfach nur neugierig, was aus dem Dolch da im Meer werden sollte.
Die Priesterin aber wandte sich nun Curt und Felia zu, die an diesem windigen Morgen zu ihr kamen. Sie hatte die beiden Novizen des Feuers zu sich in den Garten bestellt. Weil es einerseits Anirons liebster Ort in der Stadt war und es sie beruhigte hier zu sein und andererseits an dieser Stelle Ruhe herrschte, damit sie besprechen konnten, was es zu besprechen gab.
„Adanos zum Gruße“, begrüßte sie die beiden Ankömmlinge. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht. Ich konnte Euch gestern nicht mehr treffen, weil ich zu einer Geburt gerufen wurde.“
Deswegen hatte Felia unverrichteter Dinge in die Novizenkammer zurückkehren müssen. Curt hatte bei Na-Cron und Rüdiger eine behelfsmäßige Übernachtungsmöglichkeit gefunden, statt wieder ins Gefängnis zurückkehren zu müssen. Eigentlich hatte Aniron auch Gabriel und Rüdiger zu diesem Gespräch gerufen, aber während Ersterer sich weigerte und stattdessen lieber im Gefängnis blieb, war Letzterer nicht aufzufinden. Einige der Novizen durchkämmten gerade das gesamte Haus der Magier nach ihm. Der frische Wind jedenfalls tat gut, um die Müdigkeit der kurzen Nacht abzuschütteln.
Das Gespräch mit Tinquilius und Hyperius hatte den ganzen Nachmittag bis in den Abend gedauert, lange hatten sie hin und her überlegt. Hyperius war dabei natürlich der Pazifist, der stets das Gute in den Kreaturen in Adanos‘ Sphäre sah, während Tinquilius sich zwar erfreut gezeigt hatte, dass Francoise ihre Novizen nach Stewark geschickt hatte, aber verwundert bis besorgt gewesen war über das ganze Geschehen drumherum. Es war ihm wichtig gewesen, Ethorn und seine Wachen sowie die Hofmagier aus der ganzen Sache rauszuhalten.
Aniron atmete gedehnt aus und ließ den Blick schweifen, dann begann sie erneut zu sprechen: „Wusstet Ihr, dass es Magier verschiedener Schulen gebraucht hat, um das Weißauge zu besiegen? Den Drachen, der Setarrif in Schutt und Asche gelegt und die ganze Insel bedroht hatte?“
Aniron fixierte die beiden nun.
„Es brauchte die vereinten Kräfte von Feuermagiern, Wassermagiern, von Schwarzmagiern und sogar den Magiern, die mit der Natur im Bunde stehen. Das ist natürlich schon einige Jahre her jetzt, wie Ihr wisst. Jahre, die wir seitdem in Frieden leben können, wenngleich die Setarrifer immer noch ohne ihre Heimatstadt sind.“
Wieder ließ sie den Blick schweifen über ihre Pflanzen, die sich im Wind hin und her wogen. Der Wind ließ auch die Haare der drei Menschen tanzen, die hier zwischen dem Grün standen. Wie lange es schon wieder her schien, dass sie den Drachen in Setarrif vom Himmel geholt hatten ... damals als sie aufgebrochen waren ... Maris und sie hatten die Zwillinge in Obhut gelassen, um auf die gefährliche Reise zu gehen, gemeinsam mit Ornlu, Tinquilius, Francoise, Olivia und Don-Esteban. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Es war so unfassbares Glück gewesen, dass sie aus dieser Sache lebend rausgekommen waren.
„Ohne dieses Bündnis wäre das Weißauge noch am Leben. Wer weiß, ob wir es dann wären.“ Nun fixierte ihr Blick wieder die beiden Novizen des Feuers.
„Jedenfalls ist unser Oberster Wassermagier immer noch Eurer Obersten Feuermagierin verbunden und deswegen bietet er Euch Folgendes an: Ihr bekommt Hilfe bei der Bergung des Dolches, denn ohne Hilfe könnt Ihr ihn nicht aus dem Meer holen. Sobald Ihr den Dolch habt, verlasst Ihr Stewark. Voraussetzung hierfür ist eine Entschuldigung von Eurer Seite für die Sache am Tor und das Missverhalten im Tempel. Solltet Ihr nicht bereit sein, dies zu tun, werden wir Euch sofort zum Stadttor geleiten und Ihr verlasst Stewark ohne den Dolch, was schade wäre im Angesicht dessen, dass das Bündnis zwischen den Feuermagiern und den Wassermagiern einen neuen Anstrich bekommen könnte. Es liegt in Eurer Hand.“
Und damit legte sich Stille über sie, die nur das Pfeifen des Windes unterbrach.
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Mit jedem Wort, das aus dem Mund der Priesterin drang, verdickte sich das kleine Äderchen auf Curts höher werdender Stirn ein bisschen mehr. Als er davon unterrichtet wurde, dass Aniron sie zu sich bestellt hatte, um diese leidliche Angelegenheit zu klären, sah er ein kleines Licht am Horizont. Und als er Felia tatsächlich wieder sehen und in den Armen halten konnte, verwandelte sich das Licht in ein Abbild der Sonne, die seine Seele wärmte und alles Böse dieser Sphäre zu vertreiben schien. Für einen Herzschlag der Geschichte war er mit sich und der Welt im Reinen. Selbstverständlich war ihm bewusst, dass er sich in diesem drohenden Gespräch rechtfertigen musste, er hatte sich sogar die ganze Nacht davor in eine meditative Trance begeben, um auch den letzten Funken Wut aus seinem Körper zu verbannen und sich nicht noch einmal zu einer rechtmäßigen, aber unter ihren Umständen unklugen Handlung verleiten zu lassen. Aber es fühlte sich so falsch an, gute Miene zu bösem Spiel zu machen und die Rechtschaffenheit über die Klippe zu jagen. Würde sein Herr Innos ihm solch einen Frevel jemals verzeihen?
„Erlaubt mir, Eure Sicht der Situation um eine Perspektive zu erweitern, die Euer Urteil vermutlich nicht mildern, aber Euch zumindest … so hoffe ich … ein Verständnis für unser Handeln geben wird.“
Er nahm bewusst die Zügel in die Hand, da er Felia ansehen konnte, dass sie sogar noch schwerer mit sich haderte als er.
„Die fähigsten Novizen der Tempels Innos‘ erhalten einmal im Leben die Chance, sich in einem Wettstreit um die Lösung einer Prüfung des Feuers die hohe Ehre zu verdienen, in den Rang der Magier aufzusteigen. Dass uns diese Prüfung hierhergeführt hat, muss ein Zeichen der Versöhnung sein, das wir nicht als solches erkannt haben. Es fiel uns schwer zu glauben, hier mit offenen Armen empfangen zu werden, nachdem diese Baronie so … undiplomatisch … die Regentschaft gewechselt hat. Wir haben als Novizen des Feuers mehr als einmal schlechte Erfahrungen mit den Truppen Eures Königs gemacht und uns deshalb entschlossen, die Stadt unter neutraler Flagge zu betreten. Dieses Vorhaben wurde jedoch sabotiert. Nicht von den Stadtwachen, sondern von einem Verbrecher, der heute vermutlich immer noch frei durch die Stadt spaziert. Er war es, der meine Partnerin aufs Widerlichste bedrängte und nötigte. Der Aufruhr am Stadttor mündete darin, dass sie sich dessen Verhalten nicht anders zu erwehren vermochte, als ihn Innos‘ Macht spüren zu lassen. Dass dies als Angriff auf die Stadtwache interpretiert wurde, bedauern wir zutiefst und war nie ihre Intention. Aber in jenem Moment sahen wir alle Chancen, die Prüfung erfolgreich zu beenden, wie Sand durch unsere Finger rinnen, also suchten wir Zuflucht im Tempel, die Ihr uns gewährt habt. Dafür danke ich Euch.“
Ein saurer Geschmack kroch seine Zunge empor. Jetzt bloß nicht nachlassen.
„Den Ärger im Tempel wiederum nehme ich auf meine Kappe, denn er entsprang einem Gefühl der aufrichtigen Liebe, das Ihr verstehen werdet, wenn Ihr die Tyrannei erkennt, die Novize Gabriel über Felia gebracht hat. Es tut mir aufrichtig leid, dass wir ihm ausgerechnet in Euren Heiligen Hallen begegnen mussten und ich meine Fassung verlor.“
Curts Blick wanderte zu Felia. Er hoffte, ihr durch seine Worte etwas Last von den Schultern genommen zu haben. Das hatte nichts mit Bevormundung zu tun. Jeder würde sich in einen Pfeilhagel vor seine Liebsten stellen, wenn es sie vor einem Schicksal wie Kerker, Krankheit oder Verrat bewahren konnte. Wenn die Priesterin ein wahres Gespür für Menschen besaß, dann würde sie seine Aufrichtigkeit erkennen.
„Ich für meinen Teil bin bereit, das Angebot anzunehmen. Es mag uns nicht zu Feuermagiern machen, wenn wir Eure Hilfe annehmen, aber es ist im höheren Interesse unseres Herren, dass das Relikt zur Kirche Innos‘ zurückkehrt.“
Er verneigte sich knapp und trat wieder zurück an Felias Seite. Nun war es an ihr, eine Entscheidung zu treffen. Er würde damit leben können, wie auch immer sie ausfiel. Er würde diese Frau auch ans andere Ende der Welt begleiten, ob in einer Robe oder einem ärmlichen Gewand.
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Mittlerer Ring - Der rote Hahn
Isidor hatte Piero erfolgreich aufgesucht und ihm den Eintopf überreicht. Er fragte sich, was er mit dem Raum neben dem Torhaus vorhatte, doch auf ein längeres Gespräch hatte er sich nicht einlassen wollen, weshalb er selbst eilig weitergezogen war. Sein nächstes Ziel war die Kommune der fünf jungen Damen, die irgendwo im mittleren Ring lebten. Ihr Heim war wohl weithin als roter Hahn bekannt. Aus seiner letzten Suche hatte er gelernt, dass er am besten direkt jemanden fragte, wohin er musste. Die Sonne lehnte sich bereits weit nach Norden und die Zeit rannte ihm davon.
Wenig später stand er vor einem überraschend unscheinbaren Gebäude, welches sich an die Mauer des inneren Rings schmiegte. Ein jüngerer Mann hatte ihm grinsend den Weg gewiesen und seltsame Anmerkungen gemacht, die der Schmied aus seinen Erinnerungen verbannt hatte. Er klopfte beherzt an die Tür, doch niemand reagierte. Der Hüne versuchte es erneut, diesmal etwas lauer, aber wieder blieb eine Antwort aus.
Verwundert trat er einen Schritt zurück und betrachtete das Haus genauer. Es war still, fast so, als wäre niemand daheim. Er überlegte, ob er zur falschen Zeit gekommen war. Vielleicht waren die Damen alle unterwegs? Doch er hatte keine Zeit zu verlieren und beschloss, einen Blick durch das Fenster zu werfen.
Diese waren mit schweren Vorhängen verhangen, die nur wenig Licht durchließen. Isidor konnte kaum etwas erkennen und einen Hinterhof gab es auch nicht, wo er hätte nachschauen können, da dort die Mauer des inneren Rings aufragte.
„Und nun?“, fragte er frustriert und warf erneut einen Blick zum Himmel, wo sich die Sonne zwischen den gräulichen Wolken abzeichnete.
„Für die Feier bist du etwas früh, Kumpel“, ertönte eine Stimme hinter ihm und er wandte sich um.
Ein Bursche, dem Aussehen nach kurz vor dem Erwachsenenalter, stand dort und drehte seinen kleinen Finger in einem Ohr, ehe er ihn herauszog und betrachtete, was er gefunden hatte.
„Die Mädels sind erst abends wach und dann so richtig, verstehste?“, kam er großspurig daher.
Na großartig, ein Halbstarker, der die Weisheit mit Löffeln gefressen hatte. Vermutlich war es ein löchriger Löffel gewesen, wenn er sich den Knaben so anschaute. War er auch mal so gewesen?
„VERstehe, dann komme ich wohl später wieder“, versuchte er sich vor einer Unterhaltung zu drücken.
„Mach das, aber Livia gehört mir, klar? Auf die hab ich Dibs!“
„Dibs?“
„Na sicher, Alter. Ist ne richtige Schönheit, weißte?“, stellte der Jüngling klar und machte eine Handbewegung, die auf einen üppigen Vorbau schließen ließ.
Na klar, nicht mal drei Haare am Sack, aber mit dem besten Stück denken.
„Ah, sicher. Ich muss dann.“
„Alles klar, bis später, Bruder!“
Isidor unterdrückte einen tiefen Seufzer und lief ohne einen weiteren Blick Richtung Norden. Dann würde er eben zuerst das Ehepaar mit dem dunklen Bier und der Schlachterei aufsuchen. Das zu finden dürfte weniger anspruchsvoll sein. Immerhin musste er nur seiner Nase folgen.
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Lucky 7
Der Tag hatte ruhig begonnen, die Luft feucht von der nahen See und erfüllt von einer unheimlichen Stille, die nur von den entfernten Rufen der Stadtwachen unterbrochen wurde. Venom bewegte sich leise durch die engen Gassen der Stadt, seine Gedanken so düster wie die Schatten, die ihn umgaben.
Während er durch die stillen Straßen ging, sickerte seine Abneigung gegen den Gott Innos tief in sein Bewusstsein. Die kalte Wut, die in seinem Inneren brannte, hatte ihren Ursprung in den bitteren Erinnerungen an seine Vergangenheit.
Er näherte sich dem belebten Handwerkerviertel im Norden der Stadt. Die engen, dicht bebauten Gassen waren ein Labyrinth aus kleinen Werkstätten und bescheidenen Häusern, belebt von den Geräuschen des Alltags. Doch trotz des täglichen Trubels wusste Venom, dass die erhöhte Alarmbereitschaft nach dem Zwischenfall am Tor die Stadtwachen auf Trab hielt. Das Gerücht über den Angriff von Feuermagiern hatte die Spannung in Stewark gesteigert, und die Wachen patrouillierten häufiger und aufmerksamer als sonst.
Venom bewegte sich vorsichtig, mied die besser besuchten Straßen und hielt sich in den Schatten. In seinem Inneren kämpfte er mit den Gedanken an Draven. Seit ihrer letzten Begegnung waren Jahre vergangen, doch der Hass, den er in den Augen des Mannes gesehen hatte, brannte sich in sein Gedächtnis. Draven hatte Hailey nie verziehen, dass sie ihn verraten hatte, und Venom wusste, dass Draven ein gefährlicher Gegner war – ein Mann, der nicht vergaß und der nach Rache dürstete.
Er wusste, dass er vorsichtig sein musste. Der Versuch, Draven zu töten oder anderweitig loszuwerden, war gescheitert, und nun musste er herausfinden, ob Draven noch in Stewark war. Diese Stadt war klein, und Neuigkeiten verbreiteten sich schnell. Doch gleichzeitig bedeutete das, dass Draven sich gut verstecken musste, wenn er nicht gefunden werden wollte.
In einer Seitengasse hielt Venom kurz inne. Er sah sich um, seine Sinne geschärft. Er hatte keine Angst vor den Wachen oder den Gerüchten über Feuermagier. Was ihm Sorge bereitete, war die Ungewissheit über Dravens Aufenthaltsort. Wenn Draven noch in Stewark war, dann würde er sich vorbereiten. Vielleicht wartete er auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. Venom konnte es sich nicht leisten, unvorbereitet zu sein.
Schließlich beschloss er, den Rest des Tages zu nutzen, um mehr herauszufinden. Er würde die Taverne „Klippenschänke“ aufsuchen, den Ort, an dem sich Informationen am schnellsten verbreiteten. Wenn Draven noch hier war, dann würde er früher oder später dort Erwähnung finden. Venom wusste, dass die nächste Begegnung mit Draven nicht lange auf sich warten lassen würde. Und diesmal würde er bereit sein.
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Gräfin Agathes Weingut
Stilvolles Auftreten öffnete einem mehr Türen, als man gemeinhin glauben wollte. Agathes Diener hätte ihn sicher nicht einfach so hereingebeten, wenn er wie ein abgerissener Bettler gekleidet an die Schwelle ihres Weinguts getreten wäre. Aber ein Hemd von guter Qualität, die passende Ausstrahlung und die Aussicht auf ein gutes Geschäft brachten Einen beinahe überall hin, ganz ohne Mühe. Wenn doch nur mehr Leute diese Erkenntnis geteilt hätten! Die Welt wäre ein gepflegterer und schönerer Ort.
Schweigend und beobachtend – im Moment noch waren die Augen wichtiger als die Zunge – folgte Piero dem gealterten Bediensteten durch den Vorraum des Landhauses in eine Halle, die von einer breiten Treppe hinauf in das obere Stockwerk des Hauses dominiert wurde. Jagdtrophäen, die wie aus einem anderen Jahrhundert anmuteten, Ölgemälde von ähnlicher Datierung und angestaubte Kronleuchter erweckten den Eindruck eines Anwesens, das seine Glanzzeit schon vor einigen Jahrzehnten vorüberziehen gesehen hatte. Man hielt es in Schuss und bewahrte, was da war, aber allem hier hing der Hauch des Vergangenen an.
Der Diener führt Piero in einen kleinen Empfangssaal rechts des unteren Treppenabsatzes, blieb an der Tür stehen und bat Piero, einzutreten und zu warten.
„Ich werde die Hausherrin über Euer Eintreffen informieren, mein Herr“, sagte der Hausdiener, verbeugte sich knapp und trat hinaus. Piero nahm es mit einem Handwedeln zur Kenntnis. Er schlenderte durch den Salon und betrachtete sich interessiert die – selbstredend nur metaphorisch - angestaubte Dekoration im Stile der Jagdromantik. Da fand sich eine alte setarrifische Armbrust auf einem Ständer, gefertigt aus feinstem Walnussholz und Bein, das in spielerischen Jagdmotiven entlang des Schaftes angeordnet war. Ein Stück weiter stand ein ausgestopfter Wolf in der Ecke des Raumes. Auf der anderen Seite wurde ein Kelch aus grünspaniger Bronze ausgestellt, auf dem in kunstvollen, goldenen Lettern die Worte „König der Jagd“ prangten.
Als er genug von all dem Tand vergangener Jahrzehnte hatte, wandte sich Piero der Tafel in der Mitte des Raumes zu und setzte sich nieder – gerade rechtzeitig, um das Eintreffen der Hausherrin zu erwarten.
„Ich hatte keinen Besuch er- oh!“
In der Tür stand eine Frau von gut vierzig Sommern, die von zartem Grau durchzogenen, gepflegten Haare zu einem strengen Knoten hochgesteckt, der in ersten Andeutungen aus dem Leim gehende Körper in ein durchaus ansehnliches Kleid gepresst. Die hohen Wangen und die gerade Nase waren würdevoll erhoben, der schmale Mund spitz gezogen. Doch als die Dame des Hauses ihren Gast erblickt, öffnete er sich in Erstaunen.
„Harold informierte mich, dass ein Gast gekommen sei, um mir ein Geschäft vorzuschlagen. Er erwähnte aber nicht, dass es sich dabei um ein so gutaussehendes Exemplar handelt.“
Piero erhob sich von seinem soeben erst bezogenen Sitzplatz und schwang sich elegant in eine Verbeugung. Dabei blickte er der Frau die ganze Zeit über in die rehbraunen Augen.
„Meine Verehrung, Teuerste. Ihr müsst Herrin Agathe sein, von der ich schon so viel gehört habe.“
„Für bloße Schmeicheleien habe ich keine Zeit“, sagte Agathe, auch wenn ihr Körper etwas anderes sagte. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Mein Name ist Piero, ich stehe im Dienste der Krone König Ethorns und komme geradewegs aus Stewark, welches ich neuerdings mein Zuhause nennen darf.“ Bei diesen Worten kehrte er seinen Akzent ein klein wenig mehr hervor, als er es üblicherweise zu tun pflegte.
„Ein Zugezogener, also?“ Agathe setzte sich und bedeutete Piero, es ihm gleich zu tun. Dann rief sie ihren Diener in den Saal und orderte einen Tee. „Für Euch auch etwas?“
„Danke, eine Karaffe mit klarem Wasser wäre eine willkommene Erfrischung.“
Agathe wandte sich zu Harold und scheuchte ihn mit der wortlosen Aufforderung von dannen, Pieros Bitte nachzukommen.
„Sehr wohl, Herrin“, entgegnete der Diener gelassen und schritt so unauffällig von dannen, wie es sich für einen guten Diener gehörte.
„Nun, ähm …“
„Piero, Teuerste.“
„Richtig. Dann berichtet mir doch einmal, was Euch in mein bescheidenes Heim führt – und was Ihr für mich im Gegenzug tun könnt.“ Agathe legte die langgliedrigen Finger auf die Wurzelholz-Tischplatte ab und überschlug die Beine.
„Nun, werte Herrin, ich habe kürzlich in Stewark ein Etablissement in bester Lage erworben, das ich zu einem Ort des Wohlgenusses für den distinguierten Gaumen zu wandeln erstrebe. Nicht so profan wie diese Klippenschänke, in der man vergeblich nach einem guten Wein sucht. Und aus verlässlicher Quelle wurde mir angetragen, dass der beste Wein weit und breit an den Hängen Eures wunderschönen Landgutes wächst.“
Agathe lauschte aufmerksam den Worten ihres Gastes, schürzte die Lippen und hob schließlich eine Augenbraue in so hohem Bogen, dass sie beinahe aus dem Gesicht zu springen drohte.
„Der Beste?“ Sie lächelte schmallippig. „Der Einzige.“
„Sì, Signora. Der Einzige innerhalb der Baronie, wie ich hörte“, gestand Piero frei heraus.
„Und Ihr seid nun hier?, um eine Kostprobe der … Genüsse zu erlangen, die Ihr Euch in meinem Hause erwartet?“
Er lächelte gewinnbringend. „Um eine langfristige Partnerschaft in’s Leben zu rufen, Signora.“
Harold tauchte plötzlich neben ihnen auf, als hätte er den Raum nie verlassen, und stellte ein Tablett mit einer fein gearbeiteten Kanne aus Porzellan und einer ebenso kunstvollen Tasse an Agathes Seite ab, goss ihr ein, trat schließlich herüber zu Piero und stellte einen gläsernen Kelch vor ihm ab, in den er aus einer Glaskaraffe eingoss. Dann verschwand er wieder wie ein Schatten aus dem Salon.
Agathe nippte an ihrem Tee und gab einen genussvollen Laut des Wohlgefallens von sich.
„Ich bin eine einfache Frau mit einfachen Bedürfnissen“, sagte sie zuckersüß lächelnd. „Ich mache mir nichts aus den Aspirationen der anderen Grafen oder den Angelegenheiten des Barons oder gar des Königshauses. Sinnenfreuden sind es, die ich wünsche.“
Agathe betrachtete Piero langsam vom Scheitel bis zum Hemd und wieder zurück. „Wie denkt Ihr, könnte diese langfristige Partnerschaft diese Bedürfnisse befriedigen?“
„Nun, abgesehen von dem steten Fluss des Goldes, der Euch ermöglichen wird, Euer wunderschönes Gut den eigenen Neigungen entsprechend weiter auszuschmücken, kann ich Euch noch etwas Anderes bieten, und zwar jedes einzelne Mal, wenn wir uns im Laufe unserer Partnerschaft begegnen. Und wenn ich Euch richtig einschätze, wird Euch das mehr wert sein als das Gold und Euer Wein zusammen.“
Agathe beugte sich vor und stützte sich so weit auf den Tisch, dass sie beinahe aufstand. „Und das wäre?“
Pieros Zähne offenbarten sich in einem hintergründigen Grinsen. Er stand auf, trat langsam an ihre Seite und flüsterte ihr in’s Ohr.
Kurze Zeit später verließ er das Gut der Gräfin Agathe von Eberstein mit einer strohgepolsterten Holzkiste, die je zwei Flaschen Rotwein und Weißwein des Vorjahres enthielt. Es war zu einfach gewesen. Piero kannte Frauen wie Agathe sehr genau: ihr Herz verzehrte sich nach Abenteuern, aber sie wären nie bereit gewesen, das Risiko tatsächlich einzugehen. Alles, wonach sie sich tatsächlich sehnten, war es, von Abenteuern zu träumen. Und Träume aus fernen Ländern dieser Welt – von denen hatte Piero mehr als genug zu bieten.
„Ich wünsche einen schönen Tag, mein Herr“, rief er einem Vermummten zu, der einen ausnehmend schwer wirkenden Handkarren über den getrockneten Erdweg zog. Erst als der Mann an ihm vorüberzog, realisierte Piero, wie groß der Mann eigentlich war, und dass er ihn ziemlich sicher schon einmal im Gedränge gesehen hatte. Eine erstaunliche Gestalt – doch im Moment hatte er keine Zeit, weitere Erkundungen anzustellen. Immerhin besorgte dieser kräftige Kerl mit der Brandnarbe gerade einige Kostproben für seine Unternehmung.
Einen strammen Marsch später erreichte Piero das Stadttor, als die Sonne den Zenit bereits knapp überschritten hatte. Er hatte sich kaum häuslich in der ehemaligen Wachstube niedergelassen, da tauchte auch schon Isidor auf und brachte ihm drei Schüsseln des berühmt-berüchtigten Eintopfes aus dem Grünen Eber. Und flugs war der Junge auch schon wieder weg, davon geprescht zu den ominösen Damen des Roten Hahns. Piero nahm es leicht – dann würde er sein Mittagsmahl eben ohne Gesellschaft zu sich nehmen. Er ließ sich an dem Tisch nieder, auf dem die immer noch warmen Schüsseln Eintopf vor sich hin dampften, schob zwei Portionen beiseite und machte sich an die ausführliche Geschmacksprobe von Eintopf und Weißwein.
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Stolz schnürte Felia die Kehle zu.
Ein froschgroßer Kloß klebte ihr unbeweglich und unnachgiebig im Hals, nachdem die Wassermagierin mit ihren Ausführungen geendet hatte.
Und egal wie viel sie schluckte, jedes Wort, das sie sprach war ein Kampf.
»Ich danke euch für euer Angebot, Aniron.«, sprach die schönste aller Novizinnen knapp. Es lag keinerlei Feindschaft in ihrer Stimme und entgegen aller Befürchtung lenkten weder Wut noch Stolz ihre Worte. »Wenn ihr gestattet, möchte ich noch einige Worte sagen, ehe ich euch meine Antwort gebe.« Der Form halber hielt sie inne, ehe sie fortfuhr.
»Ungeachtet unseres Verhaltens am Stadttor - von dem ihr damals alle noch keine Kenntnis erlangt hattet - wurde uns mit Ausnahme von euch ausschließlich mit Missgunst, offener Feindseligkeit oder hinter vorgehaltener Hand gewisperten Heimlichkeiten begegnet, obwohl wir mit nichts als Freundlichkeit und als Verletzte und Hilfesuchende in eure Hallen getreten sind. Von dem gänzlich ungebührlichen Verhalten in der Unterkunft der Wassernovizen mal ganz abgesehen.«, ergänzte sie vorsichtig. »Rückblickend erscheint diese Feindseligkeit vielleicht angemessen gewesen zu sein, ich möchte aber betonen, dass wir als Fremde in eure Hallen getreten sind und zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen konnte, dass wir hinter dem Aufruhr am Tor gesteckt haben. Das Verhalten der Euren richtete sich nach eurem Kenntnisstand also gegen Fremde, die verletzt und hilfesuchend in eure Hallen getreten sind. Ich erlaube mir zu vermuten, dass es gänzlich ungebührlich wäre, mit einem solchen Verhalten gegenüber anderen Reisenden, Hilfesuchenden und Pilgern aufzutreten.« Felia pausierte einen Augenblick, um sich zu sammeln. Diese Frau war eine der wenigen Menschen in dieser ganzen Stadt gewesen, die sich verhalten hatte, wie sie es von einer Magierin erwartet hatte und der Unmut der Novizin sollte sich nicht gegen sie richten.
»Und so sehr ich verstehen kann, dass dies eure Stadt ist und ihr mit Sicherheit nachgiebiger mit den Euren seid als mit Fremden, die unter Zuhilfenahme von Lügen und Magie in die Stadt eingedrungen sind, so sehr möchte ich euch bitten, dass ihr die Strenge, mit der ihr von uns eine Entschuldigung verlangt, gleichsam auch von den Euren einfordert.« Wieder hielt die Schönheit inne. Es war selten, dass sie ernsthaft über die Wahl ihrer Worte nachdachte, aber sie wanderte einen äußerst schmalen Pfad und wollte sich das letzte bisschen guten Willen der Magierin nicht verspielen. Gleichzeitig war es ihr aber ein Anliegen, nicht stumm nickend ihren Forderungen nachzugeben. »Ihr spracht von einer Vereinigung der magischen Kräften verschiedenster Schulen. Und ja, Curt und ich-« Mit einem kurzen Seitenblick ergriff sie die Hand des Novizen und lächelte ihn sanft an. »haben uns wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert und vermutlich noch eine Menge in Sachen Diplomatie zu lernen. Aber ebenso haben das eure Schützlinge. Sofern wir in Zukunft tatsächlich zusammenarbeiten wollen.« Der sanfte Druck von Curts Hand vermochte, ihr rasendes Herz zu verlangsamen.
»Ich bin gerne bereit, mich für unser Verhalten- nein, für uns Fehlverhalten zu entschuldigen.«, sagte sie schließlich. »Wohlwissend, dass künftige Aufeinandertreffen zwischen Novizen der Götterbrüder Innos und Adanos nach reiflicher Unterweisung durch weisere Magierinnen als wir es sind friedlicher ablaufen werden.«
Felia legte eine Hand auf ihre Brust und senkte mit geschlossenen Augen den Kopf.
»Entschuldigt.«, sagte sie etwas leiser als sie noch zuletzt gesprochen hatte.
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Lucky 7
Klippenschänke
Die Sonne stand hoch am Himmel, als Venom durch die belebten Straßen von Stewark ging. Die Stadt war klein, die Häuser dicht aneinandergereiht und aus dem gleichen hellen Stein gebaut, sodass die Taverne, die Klippenschänke, sich kaum von den anderen Gebäuden abhob. Nur das gemurmelte Lachen und die Geräusche von Gläsern, die gegeneinander stießen, wiesen darauf hin, dass sich hinter der unscheinbaren Fassade eine der wenigen Orte in Stewark verbarg, wo die Menschen für einen Moment ihre Sorgen vergessen konnten.
Venom betrat die Taverne, das vertraute Geräusch des knarrenden Holzbodens unter seinen Stiefeln begleitete ihn. Er trug sein schwarzes Kopftuch wie einen leichten Turban um den Kopf und über Mund und Nase gewickelt, sein Umhang fiel locker über seine Schultern. Der Duft von gebratenen Äpfeln und frisch gezapftem Apfelwein lag in der Luft und lenkte die Aufmerksamkeit von den ernsteren Gedanken, die ihn hergeführt hatten.
Ohne Eile suchte er sich einen Platz in der hinteren Ecke des Schankraums. Ingor, der Wirt, ein Mann mit dichtem, grauem Bart und einem gutmütigen Gesicht, brachte ihm ohne Nachfrage einen Becher Apfelwein. „Lange nicht gesehen,“ begrüßte er Venom und stellte den Becher mit einem leisen Klirren auf den Tisch.
Venom nickte kurz, nahm den Becher in die Hand, doch bevor er trank, sprach er mit leiser Stimme: „Hast du in letzter Zeit einen Mann mit schwarzem Mantel und Degen gesehen oder davon gehört?“
Ingor runzelte die Stirn, bevor er sich neben Venom setzte. „Da war ein Gast hier, vor ein paar Tagen,“ begann er, während er sich erinnerte. „Er hat erzählt, wie er einen solchen Mann gesehen hat. Er meinte, er hätte die Burg und die Baronie in östlicher Richtung verlassen.“
Venom trank einen Schluck des kühlen Apfelweins und ließ die Worte des Wirts auf sich wirken. Das war eine wertvolle Information, auch wenn sie nicht allzu konkret war. Wenn Draven tatsächlich Stewark verlassen hatte, dann war die Bedrohung vorerst gemindert, aber nicht gebannt. Ein Mann wie Draven verschwand nicht einfach. Er war wie ein Schatten, der sich stets am Rande des Blickfelds bewegte, bereit zuzuschlagen, wenn man es am wenigsten erwartete.
„Danke, Ingor,“ sagte Venom schließlich und hob den Becher leicht zum Abschied. Der Wirt nickte ihm zu und stand auf, um sich wieder seinen anderen Gästen zu widmen.
Venom blieb noch einige Zeit in der Taverne sitzen, den Apfelwein vor sich, während seine Gedanken um das kreisten, was er erfahren hatte. Die Nachricht, dass Draven die Stadt verlassen hatte, brachte ihm keine Ruhe. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich erneut gegenüberstehen würden. Es blieb die Frage, warum Draven die Stadt verlassen hatte und ob es klüger wäre ihn zu verfolgen.
Als er schließlich die Taverne verließ, trat er hinaus in das grelle Tageslicht und blinzelte in die Sonne. Die Stadt war geschäftig wie eh und je, die Gerüchte über die Angriffe von den Feuermagiern hatten die Bewohner nervös gemacht, doch das Leben ging weiter. Venom konnte nicht anders, als sich dabei zu erwischen, wie er die Bewegungen der Menschen um sich herum musterte, als wären sie potenzielle Bedrohungen.
Während er zurück zu dem Versteck ging, das er mit Hailey und Colbart teilte, dachte er an seine Vergangenheit und die Götter, die sein Leben geprägt hatten. Mit diesen Gedanken im Kopf kehrte Venom zu dem Versteck zurück. Es war an der Zeit, Hailey und Colbart von dem zu berichten, was er erfahren hatte.
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Beladen mit verschiedenen Sorten Fleisch und einem kleinen Fässchen Dunkelbier verließ Isidor Das fallende Beil, welches die dritte Hauswirtschaft gewesen war, welche Piero ihn hatte aufsuchen lassen. So schwer die Auswahl der gekauften Waren auch war, so bedenklich leichter fühlte sich der Lederbeutel an, der an seinem Gürtel hing. Beinahe alles, was Armond ihm mitgegeben hatte, war aufgebraucht und wenn er bei der Kommune ebenfalls tief in die Taschen greifen musste, würde er bis zu seinem ersten Lohn als Geselle von Resten leben, die er in der Klippenschänke abstauben konnte. Immerhin standen auch noch neue Kleidung und ein Geschenk für Frieda auf seiner Einkaufsliste. Hoffentlich würde Piero für die Kosten aufkommen, wenn er ihn schon als Laufburschen missbrauchte, Hilfe hin oder her.
Statt erneut über den mittleren Ring zu gehen – auf ein weiteres Treffen mit dem aufdringlichen Jüngling konnte er getrost verzichten, bahnte er sich einen Weg über die Straße der Handwerker. Ein Hauch von Zimt lag in der Luft, mischte sich subtil unter die ganzen anderen Gerüche, die aus den verschiedenen Geschäften drangen. Sofort wanderten seine Gedanken zu der jungen Bäckermeisterin und der Verabredung, die ihn wenigen Stunden stattfinden sollte. Hoffentlich klarte der Himmel noch etwas auf und so die Götter wollten, würde er alles Wichtige vorher erledigen können.
Je näher er dem Torplatz kam, desto lauter wurden die Klänge der Schmieden und mit ihnen ein Hauch schlechten Gewissens, dass er unverrichteter Dinge die Arbeit niedergelegt hatte. Zwar war es Alberich gewesen, der ihn großzügigerweise fortgeschickt hatte, doch Isidor nahm sich vor, es ihm doppelt zu vergelten, indem er sich noch mehr anstrengte und bewies, dass er mit der hiesigen Technik zurechtkäme. Es war schon verwunderlich, wie unterschiedlich Männer und Frauen derselben Zunft ihr Handwerk ausführten, wobei die Ergebnisse jeweils für sich sprachen. Die myrtanische Armee war stets zufrieden mit den Rüstungen seiner Familie gewesen und dass die Stadtwache Elara mit einem Auftrag bedachte, zeugte ebenfalls von Anerkennung. Bisher hatte der Hüne versäumt zu fragen, für wen die Rüstung war, die sein Meister und er anfertigten, doch der Lehmvorlage nach handelte es sich um einen drahtigen Krieger. Ob es eine der Klingen war, die in der Akademie lernten?
Am Torhaus angekommen, klopfte Isidor an dieselbe Tür wie bereits früher am Tag und trat ein. Piero hatte einen Becher vor sich auf dem Tisch stehen, während er einige Dokumente zu lesen schien.
„Hier, eine Auswahl verschiedener Teile vom Schwein und ein ganzes Huhn“, kündigte er sich an und ließ das Holzbrett, welches mittlerweile von den Säften, die noch aus dem Rohfleisch drangen, vollgesogen war, „Und ein kleines Fässchen vom dunklen Bier. Ich hab‘ noch nichts davon angerührt, wie du siehst. Also nur zu.“
Für einen Moment blieb Isidor unentschlossen stehen, wägte ab, ob er sofort zum roten Hahn aufbrechen sollte oder einen Augenblick erübrigen sollte, um die finanzielle Lage dieses Unterfangens abzustimmen. Zwar wäre er am Ende der Quest um einiges an Erfahrung reicher, aber zu einem Preis, den er nur schwerlich bereit, beziehungsweise in der Lage, war aufzubringen. Kurzerhand zog er einen Stuhl zurück und setzte sich Piero gegenüber, während er ihn mit krauser Stirn musterte.
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Tarons Waffenschmiede
Für gewöhnlich übertrieb Johanna ja gern aus purem Spaß, wenn es um Syrias‘ Alter ging. Aber manchmal fragte sie sich schon, ob die weißen Haare ihn nicht doch zu Recht jenseits des halben Jahrhunderts verorten ließen. Oder hatte er vielleicht während der Orkbesatzung ein paar Mal zu oft auf den Deckel bekommen? Anders konnte sie sich nicht erklären, dass Syrias innerhalb weniger Worte allen Ernstes schon wieder vergessen hatte, wie ihr Freund vermeintlich hieß. Es sei denn natürlich, er tat es mit Absicht, um sie zu reizen. Denn irgendetwas wusste der Lump doch, da war sie sich ziemlich sicher.
„Mun-gu!“, betonte sie die Silben so langsam, dass man meinen mochte, sie spräche mit einem Kind. „-gu! Nicht -du!“ sie linste ihn durch halb geschlossene Augen argwöhnisch an. „Du machst das doch mit Absicht, oder?“
Der stummen Aufforderung folgend ging sie in Kampfhaltung und griff ohne Umschweife mit einer Folge von drei kreuzenden Schlägen an, die mehr Syrias‘ Reaktion testeten, als ihn ernsthaft zu gefährden, und setzte wieder zurück außer Schlagweite.
„Magisches Erz?“ Sie pfiff durch die Zähne. „Na, du hast ja Ansprüche! Bist du sicher, dass es so einen Firlefanz hier auf der Insel wirklich gibt?“
Johanna breitete die Arme aus. „Keine Ahnung, ob Mungu sich mal mit diesem magischen Erz beschäftigt hat, aber ich kann ihn ja mal fragen. Allzu große Hoffnungen würd ich mir an deiner Stelle aber nicht machen. Wenn’s nicht gut aussieht und in Skulpturen verwandelt werden kann, interessiert es ihn vermutlich nicht.“
Nun, das stimmte so nicht ganz. Rudra hatte nicht nur weitaus mehr Leidenschaften als die Bildhauerei, er war darüber hinaus auch noch so unfassbar wissbegierig, dass sie ihm zugetraut hätte, sich einfach nur deshalb damit zu beschäftigen, weil er dabei etwas Neues lernen konnte. Aber Mungu war eben nicht Rudra, sondern nur ein Torgaanischer Künstler.
Erneut schritt sie auf Syrias zu, testete seine Verteidigungshaltung mit einigen vorsichtigen Schlägen aus und umrundete ihn dabei. Dann sprang sie vor, setzte erneut zu einer dreifachen Schlagfolge an – doch diesmal deutete sie den Rückzug nur an, schlug Syrias‘ Klinge mit dem Dolch nach rechts weg und machte einen Ausfallschritt nach links, um seine Flanke zu attackieren. Der Angriff ging fehl – der alte Mann hatte sich mit guter Beinarbeit aus dem Gefahrenbereich gebracht.
„Rüstig!“, rief sie anerkennend und grinste ihn frech an.
„Aber mal im Ernst, hätte gar nicht gedacht, dass du was mit irgendwelchem magischen Kram anfangen kannst. Was willst du denn mit diesem Zeug machen?“
Ja, wenn sie ehrlich war, hatte sie keine wirkliche Ahnung, was es mit diesem ominösen magischen Erz auf sich hatte. Vor ihrem inneren Auge jedoch sah sie Syrias, der ein halbes Dutzend goldgefasster, bunter Edelsteine um den Hals trug.
Sie kicherte und hielt sich den Dolch vor den Mund.
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Der alte Holzfäller saß in der Sonne auf seiner Lieblingsbank vor seiner Werkstatt und lies sich die Nachmittagssonne auf den Pelz brennen. Ein laues Lüftchen brachte genau die richtige Menge an Abkühlung, sodass es sich wunderbar anfühlte hier zu sitzen und ein wenig Kraft zu schöpfen.
In letzter Zeit waren die Aufträge über diverse Holzarbeiten zwar nicht übermäßig in seiner Zimmermannswerkstatt eingegangen, aber trotzdem war Wombel froh, mal ein paar Tage ausspannen zu können.
Insgeheim genoss er die Ruhe und tatsächlich freute er sich sogar über ein wenig Müßiggang.
Am Nachmittag,- so überlegte er sich dösig - würde er noch ein wenig Werkzeugpflege betreiben. Äxte und Beile nachschärfen, die Sägen und Beitel wieder auf Vordermann bringen, Messwerkzeuge nachjustieren und insgesamt die ganze Bude mal wieder ordentlich durchzufegen. Nun war es jedoch definitiv nicht so, dass das unbedingt nötig gewesen wäre, aber er wollte gewappnet sein. Wenn es im näher kommenden Herbst zu Reparaturen oder sonstigen Arbeiten an den Häusern von Stewark kommen sollte, dann musste sein Equipment einsatzbereit sein.
Für den morgigen Tag plante er nach dem Frühstück, welches er ausnahmsweise in der Klippenschänke einnehmen wollte, einen Besuch im Haus der Magier. Neben einem ausgedehnten Besuch der Handwerkshalle und dem Marktplatz wollte er auch seit längerer Zeit einmal wieder den Schriften und den Büchern zuwenden.
Und so wollte er nun die Pause unterbrechen und die Arbeiten in der Werkstatt abzuschließen um für den nächsten Tag gewappnet zu sein. Auf der Bank räkelte und streckte er sich kurz genüsslich, streckte seine Arme und Beine in die Länge und leicht erschrocken stelle er fest, dass es nicht nur stellenweise ein wenig knirschte, sondern diverse Regionen seines Körpers sich anhörten als würde man fingerdicke Äste zerbrechen.
„Na dann mal los. Nützt ja nix.“ Brummte er vor sich hin und setzte sein Tagwerk fort.
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Alte Wachstube
Als es klopfte, sah Piero gar nicht erst von der Zettelwirtschaft auf, die er vor sich auf dem alten Holztisch ausgebreitet hatte.
„Si accomodi!“, rief er und wandte seine Aufmerksamkeit schon wieder dem Briefwerk zu. Diese verdammte Bürokratie war in diesem Nest nicht anders als im Myrtanischen Reich! Dabei hatte er die Arbeit in seiner Lokalität noch nicht einmal aufgenommen! Aber Mietvertrag, Schanklizenz, Kaution und wusste Beliar was noch alles kamen ihm beinahe schon minütlich ins Haus geflattert! Wie lobte er sich da die Varanter, bei denen das bloße Wort für ein Geschäft genügte! Gut, dafür musste man dort regelmäßig aufpassen, nicht aus Versehen seine Seele zu verkaufen, doch damit konnte Piero leben. Oder die Nordmarer! Solange man trinkfest und geschmacklos genug war, um das abscheuliche Starkbier herunterzuwürgen, das zum Abschluss eines Handels per Handschlag gehörte, war alles in bester Ordnung. Aber nein, Stewark hatte wohl schon zu lange unter myrtanischer Herrschaft gestanden, bevor Ethorn sich die Stadt unter die provinzroyalen Finger gerissen hatte.
Er war wenig überrascht, einen voll beladenen Isidor eintreten zu sehen, der offensichtlich beim Schlachttag ordentlich zugelangt hatte. Etwas überraschter aber war er, als der junge Kerl sich nicht zu seinem dritten Ziel auf den Weg machte, sondern häuslich niederließ. Piero sah auf und betrachtete sich das Fleischbuffet, ohne sich anmerken zu lassen, wie er zu dem Fleisch und dem Bier stand.
„Isidor, mein Freund! Besten Dank, aber ich habe bereits den Eintopf und den Wein verkostet. Wie wäre es, wenn du die Verkostung von Fleisch und Bier für mich übernimmst?“
Er linste zu einem Tisch in der Ecke der alten Wachstube. „Die anderen beiden Schüsseln stehen übrigens noch da hinten. Wenn du es schaffst, sie ohne Schwappen zu deiner Verabredung zu bringen, kann ich das Süppchen sehr empfehlen. Äußerst tiefgehendes Aroma. Man kann förmlich jedes Jahr erschmecken, den diese Suppe schon lebt und atmet.“
Beiläufig deutete er auf die Holzkiste daneben. „Und dort ist der Wein.“ Seine Stimme war bedeckt vom Bedauern, etwas von diesem hart erstrittenen Rebensaft abtreten zu müssen, aber Abmachung war Abmachung. „Nimm dir eine Flasche, wenn du deine Liebste in höchste Sphären des ekstatischen Genusses führen möchtest. Natürlich nur, insofern ihr Gaumen die reichen Aromen zu würdigen weiß.“
Er wedelte mit der Hand in Richtung der Waren, die Isidor mitgebracht hatte. „Ansonsten nimm das Fass. Ich brauche nur eine Wertung des Geschmacks – am besten im Vergleich zum Bier der Klippenschänke.“
Piero schaute noch einmal auf das Papier in seiner Hand, seufzte theatralisch und warf er schließlich auf den Tisch. Dann faltete er die Hände und beugte sich vor. „Und, dein Eindruck von Eber und Beil? Und was ist mit dem Roten Hahn? Diese Frauen interessieren mich ganz besonders! Und ihre Hahnenschwanz-Liköre, natürlich.“
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Alte Wachstube
Etwas verdutzt schaute Isidor auf die reichhaltige Schlachtplatte, die er auf dem Tisch abgestellt hatte. Die verschiedenen Fleischsorten waren längst kalt, doch es würde dem Geschmack sicher keinen allzu großen Abbruch tun. Bevor er jedoch zulangte, griff er nach einem Becher, öffnete behutsam das Fässchen Dunkles und schüttete sich ein. Der erste Schluck war etwas ganz Neues für ihn. Es fühlte sich längst nicht so schwer auf der Zunge wie ein Dunkles Paladiner, besaß aber durchaus mehr Textur als das übliche Ale, was man in den meisten Tavernen bekam. Eine leicht rauchige Note begleitete den herben Geschmack, der mit einer gewissen Süße abschloss, die an jene von Brot erinnerte, wenn man nur lang genug kaute.
„Das ist ein wirklich gutes Bier“, staunte der Schmied und schaute überrascht zu Piero, der sich von seinen Papieren abgewandt hatte und die Reaktion seines Vorkosters beobachtete.
Ein kaum merkliches Schmunzeln spielte über die Lippen des Lebemanns.
„Sicher, dass du nicht auch probieren willst?“, fragte der Hüne, doch Piero winkte ab.
Mit einem Schulterzucken riss Isidor eine Bolle aus dem Huhn, welches außerordentlich fett war. Kein Wunder, dass es einen so stolzen Preis erzielt hatte. Das Aroma des kalten, weißen Fleisches schmeichelte seiner Nase und so blieb ihm nur der Geschmackstest. Zart und saftig war es und man schmeckte eindeutig, dass es ein gesundes Tier gewesen war.
„Das Huhn ist auch besser, als das meiste, was man auf dem Markt bekommt“, schätzte er und legte wenig später den abgenagten Knochen beiseite.
Ehe er sich den verschiedenen Teilen des Schweins zuwandte, nahm er noch einen weitern Schluck Bier und wischte sich den Schaum aus dem Bart.
„Die Witwe im grünen Eber war sehr herzlich, wenn auch ein wenig verschroben. Ich glaube, dass sie schlecht sieht und es genießt mit ihren Kunden zu plaudern. Ganz anders als das Ehepaar vom fallenden Beil“, begann er seine Einschätzungen zu den Menschen abzugeben, „Am besten beschreiben sie wohl die Worte harsch und arrogant. Ich habe versucht sie herunterzuhandeln, doch sie haben gelacht und behauptet, ich würde nirgends besseres Fleisch oder süffigeres Bier bekommen. Der Preis hatte es auch in sich und auch, wenn ihre Erzeugnisse gut schmecken, würde ich sie nicht wieder aufsuchen“, fasste er seine Eindrücke präzise zusammen.
Sein Blick wanderte zu einem der Fenster, welches freie Sicht auf das Stewarker Umland und die stufigen Plantagen und Felder gewährte. Der Ausblick sprach für sich und Isidor malte sich aus, wie er in wenigen Stunden dort unter den Apfelbäumen mit Frieda sitzen würde. Eine Schale Eintopf und eine Flache Wein neben sich, während sie darüber sprachen, was sie beide ausmachte. Nervosität kribbelte in seinem Bauch und er räusperte sich kurz, ehe er ein Stück gut gegrillter Rippe von der Holzplatte nahm.
„Beim roten Hahn war ich, aber dort war absolute Stille. Entweder schlafen die Damen am Tag oder sie waren alle ausgeflogen. Ich werde jetzt gleich aufbrechen und noch einmal schauen, ob jemand Zuhause ist. Willst du einen ihrer Hahnenschwänze probieren oder reicht dir meine Einschätzung?“
Er riss mit seinen Zähnen Fleisch vom Knochen und seufzte zufrieden.
„So gut.“
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Syrias schmunzelte, während Johanna ihn korrigierte. Traf er da einen wunden Punkt? "Ist doch egal ob -Du oder -Gu." Er blockte ihre drei Schläge mit Leichtigkeit, sie wollte anscheinend erst einmal schauen, wie weit sie gehen konnte. Sehr gut, befand Syrias. Nicht gleich am Anfang alles auf eine Karte setzen sondern sich langsam heran tasten war der bessere Weg. Außerdem konnte man so den Gegner einschätzen lernen.
"Das wäre nett, wenn du MunGU fragen würdest."
Johanna testete ihn weiter, wollte schauen, ob er sich reizen lies. Doch Syrias war geduldig. Er hatte nicht so lange auf diversen Schlachtfeldern überlebt, weil er sich waghalsig in den Kampf warf. Was vermutlich auch mit einer der Gründe war, warum er noch alle seine Gliedmaßen besaß.
"Ich brauch keine Magie, ich brauch nur das Erz." Der Söldner achtete auf seine Beinarbeit und blieb stetig in Bewegung. Die beiden begannen sich zu umkreisen, während sie einander taxierten. Syrias sprach weiter.
"Magisches Erz ist leichter und stabiler, selbst wenn man es auf normale Weise verarbeitet." Syrias stach spielerisch nach Johanna, doch die kleine Frau wieselte flink ausserhalb seiner Reichweite, bevor der Söldner sie überhaupt treffen konnte. Ja, die kleine war Flink. Wenn sie es schaffte später auch ihren ganzen Körper im Kampf einzusetzen, dann wäre sie ein ziemlich tödlicher Wirbelwind, dachte Syrias.
"Es verliert zwar seine magischen Fähigkeiten, ist Stahl aber um einiges überlegen. Und DAS brauch ich." Er nutzte ihr Kichern aus und griff an. Syrias trat schnell zwei Schritte an sie heran und schlug zweimal zu, bevor er kurz zögerte. Johanna wich dem ersten Schlag von der Seite aus und lies den zweiten an ihrem Parierdolch heruntergleiten. Und wie es Syrias ihr gezeigt hatte, drehte sie die Klinge ein und versuchte so sein Schwert einzufangen. Doch Syrias drehte sein Schwert einfach mit ihrer Bewegung, wo durch seine Klinge nicht eingeklemmt wurde. Mit einem Schritt zurück und zur Seite brachte er sich wieder aus ihrer Reichweite, als die kleine Frau hektisch mit ihrem Degen nach ihm stach.
"Du hast mit letztens zum Nachdenken gebracht, als du mich auf meinen Anderthalbhänder angesprochen hast. Und das hat mir halt keine Ruhe gelassen. Für das, was ich vorhab, brauch ich genug magisches Erz, weil ich damit noch nich gearbeitet hab. Ich kenn mich nur mit Eisen und Stahl aus."
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Alte Wachstube
Es wartete also Arbeit auf ihn. Der alten Dame mit der Suppe würde er sicherlich gut zureden und sie dazu bewegen können, einen Handel einzugehen. Mit dem Schlachterpaar vom fallenden Beil sah das schon etwas anders aus. Da mussten vermutlich etwas überzeugendere Maßnahmen her, um die beiden zur Kooperation zu bewegen. Nichts, was er noch nie gemacht hätte – es würde eben nur ein wenig mehr Initiative und Kreativität erfordern.
Was Piero jedoch verstimmte, war die wenig hilfreiche Einschätzung von Bier und Fleisch seitens Isidors. Wenn jemand fragte, wie unpräzise man Auskunft geben konnte, rief der Bursche wahrscheinlich laut „Halt mein Bier!“ Ja, wenn er es doch nur eingehender als mit einem schnöden „Echt gut!“ gekennzeichnet hätte!
„Bene! Aber ich will wissen, ob es dem Getränk aus der Klippenschänke vorzuziehen ist! Was ist der Unterschied? Würdest du nach einem langen Tag eher das Eine, oder eher das Andere trinken? Welches würde dir auf Dauer mehr zusagen, und warum?“
Diese Zielgruppenstudie war alles andere als erschöpfend, aber wenigstens wollte Piero aus der geringen Testmenge, die ihm in dieser frühen Phase zur Verfügung stand, das maximal Mögliche herausholen.
Als Isidor verträumt aus dem Fenster in Richtung des Stewarker Landes blickte, ließ Piero ihm den Moment. Der Junge hatte ja schließlich eine Verabredung vor der Brust und schrie förmlich danach, dass er mit solchen Situationen nur schwerlich umzugehen wusste.
„Gute Aussicht, vero? Oben ist sie sogar noch besser.“
In den anderen Etagen herrschte noch dringender Bedarf für Räumarbeiten vor. Es war sträflich, wie die Stadtwache so guten Raum einfach ungenutzt verkommen ließ. Die unauffällige Treppe in einer Nische am Rand führte in ein vollkommen vermülltes Kellergeschoss, das er noch nicht einmal vollends erschlossen hatte, aber mit Sicherheit als hervorragendes Lager nutzen konnte. In die Höhe führten sogar noch zwei weitere Stockwerke. Das erste Obergeschoss mochte sich mit etwas Mühe in eine Unterkunft umbauen lassen. Im zweiten, das sich über das gesamte Torhaus erstreckte, gab es eine direkte Verbindung zur südlichen Wachstube. Piero hatte sich mit Hertan darauf geeinigt, zumindest einen Teil nutzen zu dürfen, den sie durch eine neu eingezogene Wand abtrennen würden. Nicht genug, um eine Nutzung für sein Geschäft zu erlauben – aber ausreichend Platz, um sich selbst ein großzügiges Zimmer mit einer Aussicht einzurichten, bei der selbst König Ethorn neidisch geworden wäre. Er freute sich darauf, nach und nach alles auszubauen, sobald die ersten Kunden einen gewissen Goldfluss mit sich brachten. Doch zuvor musste das Brot-und-Butter-Geschäft abgesichert sein. Nun, eher das Suppe-und-Bier-Geschäft, aber was machte das schon für einen Unterschied?
Als Isidor schließlich den Faden wieder aufnahm und vom Roten Hahn berichtete, hob Piero die Augenbrauen. „Die Damen vom Hahn waren nicht zugegen? Nun, ihre Kundschaft, dürfte für gewöhnlich auch eher abends bei ihnen vorbeikommen.“
Er hatte Mühe, nicht auf das stillose Reißen und Schlingen an dem bemitleidenswerten Hühnerbein zu starren wie auf einen Unfall. Was für vulgäre Essgewohnheiten … ja, Isidor war sein Mann, wenn es darum ging, den Geschmack des einfachen Mannes zu treffen.
„Falls du diesmal Glück hast, bring mir doch gern einen ihrer Liköre mit. Den Hahnenschwanz möchte ich gern selbst auf meiner Zunge spüren“, sagte er mit einem anzüglichen Grinsen.
„Und wenn du zurück bist, nimm dir mit, was du greifen kannst, um deine Verabredung glücklich zu machen. Immerhin hast du ja auch dafür bezahlt.“
Und er würde einen Dämon tun, seine Auslagen zu kompensieren. Immerhin erhielt er kostbare Einblicke in die kulinarische Welt dieser Stadt, und sogar noch eine Weinflasche obendrauf – war das nicht Lohn genug?
Geändert von Piero (30.08.2024 um 19:20 Uhr)
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Tarons Waffenschmiede
„Ist doch egal? Wie würdest du es denn finden, wenn ich dich immer Syphilas nennen würde?“, gab sie ein wenig beleidigt zurück. Klar, Mungu war nur ein ausgedachter Name, und sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob Rudra oder sie damit angefangen hatten, um die Scharade des torgaanischen Künstlers zu spielen! Aber wenn man einmal einen Namen hatte, musste man ihn auch verteidigen, oder nicht? Wenn ihr Freund tatsächlich Mungu hieße, würde sie seine richtige Aussprache auch verteidigen.
Als er ihren Versuch ins Leere laufen ließ, seine Waffe zu binden, trat sie aus seiner Schlagweite und ließ die Klingen sinken.
„Na gut, ich frag ihn mal. Das klingt aber schon echt speziell. Leichter und gleichzeitig stabiler? Würden hier nicht alle mit einem Schwert aus dem Zeug herumrennen, wenn es das hier irgendwo gäbe?“
Sie stemmte die Fäuste in die Hüfte, die Klingen dabei nach hinten gerichtet. „Also, ich würd jedenfalls eines wollen! Machst du mir eines, wenn ihr was auftreibt? Aber mach ruhig erstmal dein eigenes, zum Schmieden Üben“, fügte sie grinsend hinzu.
Als er zu einer Antwort ansetzte, preschte sie wieder unvermittelt vor und ging diesmal direkt auf Tuchfühlung. Syrias blockte den ersten Schlag, doch Johanna hielt den Kontakt mit ihrer Klinge und klemmte Syrias‘ Schwert von der anderen Seite mit dem Dolch ein. Sie nutzte ihre Schnelligkeit, um so nah an ihm zu bleiben, dass er mit seinem Schwert nicht in Position kam. Syrias ließ den Ellenbogen seines freien Arms vorschnellen und traf sie im Gesicht, gerade als sie den Dolch löste und damit zuschlagen wollte. Stechender Schmerz schoss durch ihr Jochbein. Sie stolperte zurück.
„Au! Verdammte Scheiße! Dass du aber auch immer noch was dazwischen kriegen-“
Sie brach mitten im Satz ab und starrte ihn mit immer größer werdenden Augen an.
„Ähm, weißt du, Syrias … du blutest am Unterarm!“
Dass ihr selbst das Gesicht schmerzte wie die Hölle und er den Treffer ohne ihre Bemerkung vermutlich nicht einmal bemerkt hätte, war ihr dabei gerade verdammt egal.
„Hör mal, ich muss dann gleich raus in die Apfelplantagen und zusehen, dass Isi und Frieda ungestört und sicher sind“, sagte Johanna, während sie sich die Wange hielt. „Hab gehört, dort springen wohl ab und zu Feldräuber herum, weil die Äpfel toll finden. Hast du schonmal gegen solche Viecher gekämpft?“
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