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Er hatte es geschafft.
Überrascht war er gewesen, dass dies anscheinend die Prüfung war. Er hatte sich zwar eine andere Prüfung vorgestellt, aber Hauptsache er hatte nun die Grundlagen des Schwertkampfes wieder drauf.
Die drei anderen Jungs hatten ebenfalls Tipps erhalten, die sie sicher in zukünftigen Trainingseinheiten umsetzen würden. Valerion jedoch interessierte sich auch für etwas anderes. Der Speer war sicherlich eine interessante Waffe, Soren hatte ihn doch etwas inspiriert für diese Waffenart. Vielleicht würde er sich damit nochmals auseinandersetzen. Er bedankte sich bei den drei Jungs und bei Darius für das Training immerhin konnte er sich nun verteidigen, wenn er auf Reisen war. Falls er mal unterwegs war, immerhin hatte er einige Verpflichtungen hier und konnte nicht einfach losziehen. Doch Darius hatte ihm noch eine Aufgabe gegeben. Bauholz wurde verlangt, das war sicherlich eine gute Abwechslung zum Täglichen Wachtdienst und der kerl konnte vielleicht auch so, sich so anderweitig beschäftigen. Immerhin hatte er früher in der Kolonie und bei den Piraten schon öfters Holz besorgt und bearbeitet. Er nickte also, dass er verstanden hatte. Onyx und Kiyan führten noch ein kurzes Gespräch und Soren nickte ihn anerkennend zu.
Wo war eigentlich Selana?
Er hatte sie seit dem Morgen noch nicht gesehen, auch hier am Trainingsplatz war sie nicht gewesen. Einige Leute kamen auf ihm zu und Gratulierten dem Salzkönig für seine Errungenschaft. Schmunzelnd verließ er langsam die Trainingsplattform und ging in die Taverne. Diese Prüfung hatte ihn hungrig gemacht und er wollte sich heute etwas gutes gönnen, nach diesem tollen Tag. Doch die Ernüchterung kam ziemlich schnell. Es gab das gleiche wie am Morgen, anscheinend gingen die Vorräte zur Neige und man musste nehmen, was zur Verfügung war. Also nahm er den Eintopf, der einen interessanten Inhalt hatte, aber es machte den Bauch voll und das war alles, was heute zählte. Dazu hatte er sich einen guten Humpen mit Wasser bestellt und ließ es sich nun gut gehen.
Er machte sich Gedanken, wegen morgen. Wie viel Holz man wohl brauchte, um alles wieder aufzubauen? Sicherlich einiges, vielleicht würde er sich auch mal die alten Hütten anschauen, um zu schauen, ob es da noch gutes Holz gab oder die Gebäude abgerissen werden mussten. Sicherlich gab es noch viel zu tun und er hatte auch genug Zeit und konnte sich so bestimmt auch einen besseren Ruf machen, wenn er beim Aufbau half.
Schmunzelnd löffelte er den Eintopf aus, er beobachtete das Treiben im Wald und war gespannt, was die Zukunft für ihn brachte.
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Baumkrone
Mit zusammengekniffenen Augen blickte die Jägerin in die Ferne, schirmte die Augen mit einer Hand ab und konnte tatsächlich das glitzern und funkeln eines Sees weit im Norden sehen. Ein kleiner Fleck, einem Kristall gleich, der die Sonne in dutzenden Farben reflektierte. Erst vor kurzem waren sie dort vorbei gekommen, mit Maris und Runa. Vorbei an der Silberseeburg und durch die Büßerschlucht. Und nun lag es in weiter Ferne, ein kaum sichtbarer Punkt in der Landschaft. Es setzte all die Dinge, über die sich Menschen so gerne Gedanken machte in Perspektive. Wie viel Tote gab es im Laufe der Geschichte wohl, um die Herrschaft über diese Burg zu beanspruchen? Und von hier oben konnte man sie als das sehen, was sie wirklich war: Ein unscheinbarer grauer Klecks in der Landschaft, wie es ihn hundertfach, tausendfach in der Welt gab.
Sie wandte sich ab und folgte Ornlu in die Wohnhöhle. Einem Eichhörnchen gleich sollte sie hier wohnen. Nur, dass Eichhörnchen weniger Stil hatten. Vergnügt schaute sie sich um, ließ sich auf ein freier Bett plumpsen und nahm das Paket entgegen. Ein grüne Robe, weiter geschnitten, als sie es gewohnt war. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich darin nicht wohl fühlen würde. Ihre abgewetzte, zweckmäßige Kleidung würde wohl ihre bevorzugte Gewandung bleiben. Sie legte die Robe beiseite, nahm die einfache, dunkelgrüne Schärpe um die Hüfte. Das also war, was Maris um den Kopf trug! Doch so albern wollte sie nicht durch die Gegend laufen. Sie band sich die Schärpe um die Hüfte und trat wieder nach draußen, in die frische Luft, wo der Druide bereits wartete und Anweisungen gab.
Ylva nickte. Magie in die Hände also. Na klar. Wie auch immer das gehen sollte.
Ein erster Schritt wäre vermutlich auch hier wieder, den Rest auszublenden. Die Augen zu schließen, sich auf die Magie zu konzentrieren, wie sie es heute schon ein paar Mal getan hatte, und im Takt aufzugehen. Ihn zu spüren, mitzugehen, und ihren eigenen Sinn darin zu finden.
Doch diesmal öffnete und schloss sie ihre Faust im Takt, als würde sie ein schlagendes Herz imitieren. Sie drückte ihre Fingernägel in die Handfläche und ließ sie wieder frei, fühlte den Takt, anstatt ihn nur zu hören.
„Finger, fühlt, die freie Kraft.“ murmelte sie, diesmal weniger geleitet, als selber leitend. „lauscht dem lautlosen, leitet und führt.“
Sie fühlte ein Prickeln in ihren Fingerspitzen, wie wenn die Hand eingeschlafen war und sich anfühlte, als würden tausend Nadeln leicht pieksen würden. Doch angenehmer, eindrucksvoller und drückender.
„Und?“ fragte Ornlu, der plötzlich wieder neben ihr stand und sie ansah.
Sie sah auf ihre Hand, die aussah wie immer und streckte ein paar Finger, die sich noch immer verhielten wie immer.
„Es ist, wie wenn man seinen eigenen Puls fühlt.“ sagte sie und entspannte ihre Hand wieder. „Nur dass da noch ein anderer Puls ist, der sich mit dem eigenen überlagert.“
Es war ein schlechter Vergleich, doch der beste, der ihr auf Anhieb einfiel.
„Das ist der Takt der Magie.“ erläuterte sie weiter, was sie meinte. „Aber ich glaube… es würde besser wirken, wenn es alles im Gleichklang wäre. Magie und Worte und Puls und Gedanken. Wie Wellen sich verstärken, wenn sie sich überlag...“ sie würgte kurz beim bloßen Gedanken an hohe Wellen und hielt sich die Hand vor den Mund. „Scheiß Meer“ zischte sie, hatte ihre Idee wohl aber trotzdem erklären können.
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Baumkrone
“Harmoniesieren. Wie eine Kiste bauen deren Enden bündig abschließen und wo der Deckel perfekt drauf passt. Oder wenn zwei Barden gleichzeitig ihre Laute spielen und absolut gleich in der Bewegung sind.”, meinte Ornlu und überlegte nicht lange um es magisch vorzuführen.
Er beschwor seine rötlich schimmernde Magie auf, indem er ein und aus atmete. In seinen Händen kam sie langsam und dünn auf. Er hielt die Luft an und atmete dann tief ein und aus. Seine Magie wurde sichtbarer, deutlicher und fließender zwischen seinen Händen. Mehrmals machte er es und jedes Mal atmete er tiefer ein und aus. Variierte im Tempo und der Menge die er ausatmete und führte Ylva vor, wie man die eigene Magie beeinflussen konnte.
“Das ist nur eine Spielform von vielen. Das kannst du genauso mit deiner Magie und der Art wie du sie wahrnimmst. Mein ein und ausatmen waren schon Geräusche nicht wahr? Ich möchte, dass du dies hinbekommst. Dieses Variieren, das Spiel mit der Intensität. Dabei wird es wie du richtig festgestellt hast auf die absolute Einheit deines Geistes, Magie, Körpers und des Taktes ankommen. Frage dich auch: Wer bestimmt über den Takt? Zieh deine Schlüsse und wende es an. - Ich bleibe hier eine Weile bis spät in die Nacht und lausche. Falls was ist. Ich werde allerdings mein magisches Gleichgewicht suchen. Seit einen großen, magischen Duell ist es noch nicht da, wo es sein sollte. Merke dir schon mal. Je vollkommener Körper, Geist, Seele und Magie eine Einheit bilden. Umso mehr Macht und Potential kannst du wecken. Und jetzt an die Arbeit, Ylva.”, sprach der Druide und ging in den Schneidersitz. Er legte seine Hände gelassen auf seine Oberschenkel ab und schloss die Augen.
Mehrmals atmete er tief ein und aus, ließ seine Magie so aufkommen, dass ihn Strömungen und Strudel sanft umgaben und erhob sich dann in die Luft.
Er schwebte gut eine Elle über dem Boden, atmete ein und aus und glich das wackelige Schweben mit Körper, Geist, Seele und Magie aus. Ob er irgendwann fliegen könnte? Unwahrscheinlich - war doch die Telekinese an die Körperkraft gebunden.
Doch auch hier vermochte Ylva eine Harmonisierung sehen, hören und wohl spüren.
“Aeno!”, schwebe war die geflüsterte Aufforderung an sich selbst.
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Nordwestliche Sümpfe - Am Fuße des Niradh
Das hatte ja prächtig funktioniert mit Zarra. Nachdem das Mädchen mit dem weißen Haar sich abgewandt und sowohl Runa als auch Vareesa hatte stehenlassen, ließ die Bognerin die Schultern eine Weile hängen und blickte ihr nach. Und so kamen diese unliebsamen Gäste wieder: die Gedanken die einen beschäftigten, wenn Erfolge einem fernblieben wie das Wasser auf einer langen Durststrecke durch die Wüsten von Varant. Magie doof. Schwestersein doof. Kein Bogenbau doof. Keine Ronja doof. Alles doof.
Mittlerweile hatten Runa und sie es geschafft, mit freundlicher Hilfe eines doch recht empörten Iltisses den Weg zum Niradh zu finden. Und, einmal mehr, machte sich der Wechsel der Umgebung deutlich bemerkbar. Ein ein langsamer, fließend übergehender Fluss der in einem ruhigen, erfrischenden See endete, der die Strahlen der Sonne sanft reflektierte. So war es auch die Unruhe der Sümpfe, die Geräusche von entfernt schreienden Sumpfhaien und den ewigen Insekten, die mit jedem Schritt mehr in den Hintergrund rückte. Vareesa spürte die Veränderung der Szenerie. Jeder Atemzug fühlte sich leichter, weniger von der schweren Luftfeuchtigkeit der Sümpfe durchflutet an. Ihre Fußgelenke, immer wieder im Kampf gegen kleine Wurzeln, die im Brackwasser nach ihr gegriffen hatten, stöhnten erleichtert auf, als sie wieder halbwegs festen Boden auf moosigen und Laub bedeckten Teppichen fanden und damit, wenn auch nur wenig der lindernden Federung empfingen. Der Iltis hatte wirklich eine schlechte Route ‚empfohlen‘.
Aber nun waren sie ja hier, umringt von steinernen, stummen Wächtern. Ein wenig erleichtert atmete die Frau mit den grünen Strähnen auf, schaute dann auf die nur halb verstandenen, gemurmelten Worte Zarras kurz verstohlen zu ihrer Mitschülerin. Doch dieses Mal sagte die Wanderin nichts, ging stattdessen schweigsam auf den großen Koloss zu, in dem sie schon einmal gerastet hatte. Damals, mit dem Jagdkommando unter Ricklen. Vorsichtig hob die Bognerin Blick und Hand und legte letztere an den von der Mittagssonne erwärmten Felsen. Wie lange er wohl hier schon seine Wacht hielt? Und wie vielen Jägern er Zuflucht geboten hatte? Die Bognerin hielt ihren Atem flach beim Anblick des Niradh. Dann, als die weit entfernten Geräusche Erinnerungen an ihre Ohren drangen, schloss sie die Augen. Das Gefluche Ricklens. Ronjas Gezanke mit Fridtjof. Das Wiederauftauchen Onyx‘. Das Feuer um das die Jagdgesellschaft gesessen war. Die Gedanken, welche die Bognerin zu dieser Zeit im Geiste trug und sie bis zu diesem Punkt noch verfolgten. Schwer fühlten sich ihre Schultern bei den nächsten Atemzügen an, als dieser Spaziergang durch die Vergangenheit ihren Tribut forderten. Beim letzten Aufenthalt an diesem Ort waren die Wunden, die die Harpyien gerissen hatten, noch frisch und schmerzten. Und nun, bei der Erinnerung daran, war er wieder da, der Schmerz. Aber da war nicht der Zorn und die Hilflosigkeit von damals. Die Wanderin suchte. Nach dem ‚Echuio‘, dem Tropfen, der das Fass ihrer Magie zum Bersten gebracht hatte.
„Vareesa?“, drang es verzerrt und wie durch eine Wasseroberfläche an ihr Ohr. „Paps, was macht sie da?“ Es war Runa die wohl bemerkt hatte, dass die Wanderin inne gehalten hatte um … ja, was eigentlich? Ein dumpfes Pochen erfüllte ihre Stirn mit einem flüchtigen Schmerz, als sie ihre Stirn gegen den Felsen lehnte. Wo war er nur? Der Schlüssel? Unweigerlich begann sie, das Zeichen des Tiergeistes auf dem Niradh zu zeichnen. Mehrere Male, jedoch ohne einen Funken der Magie wandern zu lassen. „Sie probiert sich aus.“, antwortete plötzlich die ruhige Stimme des Löwen. „Lasst sie mal machen.“
-Atme das Leben. Ignoriere den Schmerz. Davon gibt es genug auf der Welt.-, dachte sie und biss sich dabei auf die Unterlippe. Natürlich war der Schmerz ihrer Verletzungen nur noch ein Echo damaliger Ereignisse, doch er war da. Und er ließ ihr einfach nicht den Durchblick. Die Bognerin seufzte schwer und drückte störrisch die Stirn gegen den Felsen. Sie wollte ja. Und wie sie wollte! Die Magie in das Symbol fließen zu lassen und ebenjenen Schleier lüften. Eine Kreatur rufen und ihr einen Befehl erteilen. -Ganz ruhig, Vareesa. Du bist nicht im Camp. Du bist nicht im Griff der Federschlampen. Atmen. Das ist der Trick.-, mahnte sie sich gedanklich und tat genau wie befohlen.
Die Wanderin atmete und als der moosige Geruch, der sich unterhalb der freien Stelle ihrer Stirn befand, langsam in ihre Nase strich, überkam sie, langsam, eine merkwürdige Art der inneren Ruhe. Sie war am Leben. Hatte auch die Dinge überlebt, die, während der vergangenen, wilden Jagd geschehen waren. Sie war hier. Mit einem neuen Lehrer der ihr und ihrer Mitschülerin den Rücken stärkte. Und es gab, nach so langer Wanderschaft doch ein Zuhause, das auf sie wartete. Das musste erst einmal fruchten. Aber die Saat war wohl gesät. Ein weiterer, tiefer Atemzug ließ die Spannung von ihren Schultern fallen. Zwar brannte noch immer die Erinnerung an den Schmerz in der Schulter, aber da war noch etwas: die Magie in ihren Adern, die Linderung versprach und leicht dort aufglomm, wo der Fels nun schon ein Stück weit ‚hellere‘ Strukturen aufzeigte. Dort, wo Vareesa immer wieder das Zeichen der Schlange mit der Fingerkuppe auf die felsige Struktur gezeichnet hatte.
War es das, wovon Maris gesprochen hatte? Das frei fließende Gefühl von Magie? Ungläubig löste die Bognerin ihre Stirn vom Gestein, nun geziert und leicht gerötet von den Abdrücken der steinigen Strukturen. Und ihr Blick fiel auf den rechten Arm, umschlungen von einem ihrer steten, spektralen Begleiter dessen ebenso grüne Augen sie stumm begrüßten. Wie hatte sie das angestellt? War das wieder aus einem Moment des Frustes heraus geschehen? Die Magie floss. Langsam und ohne der bewussten Kontrolle der Bognerin, aber … „Wie!?“
Es war ein kehliges, hoch gestochenes Wort der Unverständnis, ehe die Manifestation ihrer Magie, wie immer, in tausende kleine Lichtpartikel zerbarst und auf dem Weg zum Boden verglomm. Vareesa blickte auf ihre nun flache Hand, die auf dem Zeichen lag und blinzelte irritiert. Dann ging der Blick über die Schulter zu ihren drei Begleitern. „Woah, das mit der Schlange war ja klasse!“, meinte Runa und schaute mit großen Augen zu ihrem Vater. Dieser lächelte nur in seiner üblichen Art, sagte jedoch nichts weiter. Dennoch ließ sein Gebaren auf ein „Und? Fühlt sich gut an, oder?“ schließen. Und Zarra? Nach dem erfolglosen Aufmunterungsversuch tat sich die Bognerin doch schwer zu deuten, was in dem Mädchen vorgehen musste. Es lagen eben doch Welten zwischen den beiden, angefangen dabei wie sie aufwuchsen. Doch vorerst, beschloss sie, würde sie ihrer Mitschülerin ein wenig Raum lassen. Am Ende des Tages war sie schließlich auch hier, um mehr über sich und die eigene Magie zu erlernen. Vielleicht war eine ‚große Schwester‘ da einfach fehl am Platz. Und doch … Die meerblauen Augen wandten sich wieder auf das Zeichen unter ihrer Hand. Sie hatte keine Ahnung, wie, aber nun hatte sie zumindest die Erinnerung an das Gefühl frei fließender Magie.
Ein weiterer, tiefer Atemzug verging, ehe Vareesa dann nickte und die Hand vom Niradh nahm. „Entschuldigt. Lasst uns nach oben gehen.“
Diesen Worten folgend ging die kleine Gruppe also weiter um den großen Felsen herum, hin zum besagten Aufgang, der nicht unähnlich einer Treppe war. Schattig war es und das ein ums andere Mal musste die Bognerin zusehen, nicht auf den feuchten, leicht mosigen 'Stufen' auszurutschen. Insgesamt war dieser Aufgang jedoch keine Herausforderung für eine Reisegesellschaft die, zumindest teilweise, wusste, wie der Lichtzauber funktionierte. Also ließ Vareesa, routiniert wie sonst in der Bognerei eine Lichtkugel aus ihrer Handfläche entstehen und in die Luft schweben und behielt immer wieder den Boden vor sich im Blick. Wie schon beim letzten Aufenthalt mit Ricklens tapferen Recken fanden sich die vier Reisenden schon bald, nach dem durchqueren eines schmalen Zuganges im 'Nest' wieder. Noch immer ruhte dort die obligatorische, lang ausgebrannte Feuerstelle in der Mitte. „Hier irgendwo sollte noch eine Kiste mit Hilfsmaterial rumstehen. Schaut euch um.“
Geändert von Vareesa (02.09.2024 um 16:34 Uhr)
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Wasserfall der Geister - Felsenhöhle
Freiya träumte in dieser Nacht.
Vom Berghang voller Lavendel und Hummeln, die sich darauf und drum herum tummelten. Summend und brummend schwirrten sie umher, während die Rothaarige dem regen Treiben verträumt zusah. Eine wohlige Ruhe hatte sie ergriffen.
„Keine Blume“, flüsterte sie, als sie eine besonders schöne Steinhummel aus ihrem Haar befreite, die sich darin verflogen hatte. Dann wurde es ruhiger in ihrem Geist, bis sie eine Berührung spürte. Ungewohnt, doch sanft. Und dort, wo sie auf ihrer Wange raue, warme Haut fühlte, fühlte sie auf der andere Seite des Gesichts Stoff und darunter ebenfalls Wärme. Wie merkwürdig. Das sollte sie einmal näher … Als Freiya die Augen aufschlug, erblickte sie vertrautes Orange und dann ein Lächeln. Ryu begrüßte sie mit ruhigen Worten, die erst langsam in ihren schläfrigen Geist sickerten und mit ihnen kam die Erkenntnis dieses Erwachens und die Erinnerung an den Abend und den Tag zuvor.
Zu müde war sie noch für einen Moment, um sprechen zu können. Sie fühlte sich immer noch wie in eine weiche Decke gehüllt, geborgen und gewärmt. Sprachlos blieb sie ob des Anblicks, der sich ihr bot und der Zärtlichkeit, mit der sie bedacht wurde. Stattdessen breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus und ein Strahlen in ihren Augen. Ihr dämmerte, dass er die Nähe, die sich aufgebaut hatte, bevor sie eingeschlafen war, die ganzen letzten Stunden aufrechterhalten hatte. Und dass auch sie diese Nähe so ganz selbstverständlich gehalten hatte. Selbst ihre Hände waren immer noch so miteinander verwoben, wie sie in der Nacht nach seinen Fingern getastet hatte.
Ein warmes Erstaunen vermischt mit der Faszination über seinen Anblick breitete sich in ihr aus, ließ sie das Lächeln halten. Vorsichtig hob sie ihre freie Hand und tastete nach einer seiner Haarsträhnen, die ungebändigt und aberwitzig in sein Blickfeld gerutscht war. Sie befühlte das Haar, bevor sie es sachte mit den Fingern hinter sein Ohr kämmte.
„Dann ist der Hüter des Wyverngeistes also kein Traumbild gewesen“, stellte sie leise fest. Schmunzelnd schüttelte Ryu sachte den Kopf. Sie ließ ihre Finger wieder sinken.
„Hast du überhaupt geschlafen?“, fragte sie ihn.
Er nickte und blinzelte langsam. Sie lächelte immer noch und hauchte: „Gut.“
Für diesen einen Augenblick verweilten sie noch einmal in Stille, nur die Blicke aneinander geheftet, bis Freiya sich langsam aufrichtete. Jetzt erst trennten sich ihre Hände voneinander und mit leisem Bedauern bewegte die Rothaarige ihre etwas eingerosteten Finger hin und her.
Nun fiel ihr Blick auf die Sonnenstrahlen, die die Höhle in ein goldenes, warmes Licht tauchten, wie es nur die Sonne im späten Sommer vermochte. Ein atemberaubender Anblick.
Die Nacht musste kühl gewesen sein, das Gras vor der Höhle war immer noch nass. Und obwohl sie keine Decke über oder unter sich gehabt hatte, hatte die Waldläuferin nicht gefroren. Ihr Blick wanderte abermals zu Ryu zurück.
„Ein guter Morgen, tatsächlich“, sagte sie. Sie schenkten sich erneut ein gegenseitiges Lächeln, dann erhob sich der Hauptmann und hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen.
Als sie stand, gähnte sie einmal herzhaft, streckte sich und sah ihm nach, wie er ein paar Schritte hinaus ging.
„Was hast du vor?“, fragte die Rothaarige und trat an ihn heran, während er aufmerksam die Umgebung musterte.
„Ein paar Übungen“, erwiderte er und streifte seine Jacke ab. Ihr Blick wanderte zu seinen verheilenden Narben auf den Armen, die schon etwas besser aussahen als am Vortag.
„Sicher?“, fragte sie leise. Er nickte, ein leichtes Lächeln auf den Lippen: „Ich pass schon auf.“
„Gut“, wisperte sie.
„Wie wär’s, Rote Snapperin?“, sprach er und Freiya wollte antworten, doch in dem Moment kam ein lautes Grollen aus ihrer Magengegend. Sie kicherte: „Ich kümmere mich lieber ums Frühstück.“
Dann ließ sie ihm Platz und bevor sich ihr Blick auf seinem Oberkörper verlieren konnte, holte sie ihren Wasserschlauch und wandte sich dem Fluss in ihrer Nähe zu. Nun drang auch wieder das Rauschen des Wasserfalls an ihre Ohren, das in der Höhle nicht zu vernehmen gewesen war.
Am Lauf angekommen nahm Freiya ihre Armschienen ab, krempelte die Ärmel hoch und zog ihre Stiefel aus, bevor sie die Hosenbeine etwas in die Höhe zog und festmachte. Sie wagte ein paar Schritte in das sehr kalte Nass hinein – jetzt war sie wirklich wach – und verpasste sich eine erfrischende Morgenwäsche. Sie wusch sich dabei auch eine verkrustete Speichelspur in ihrem Mundwinkel fort. Du liebes Bisschen, hatte sie Ryu etwa angesabbert beim Schlafen? Oje!
Kaltes Wasser vertrieb die Schamesröte auf ihren Wangen. Sie wusch ihren Trinkschlauch aus und ließ frisches Wasser hineinlaufen. Dann schnappte sie sich ihre Armschienen und Stiefel und lief barfüßig zurück zur Höhle.
Ryu war inzwischen von seinen anfänglichen Dehnübungen zu ein paar Schnelligkeitsübungen übergegangen. Freiya lenkte indessen ihre Schritte in die Höhle und stellte ihre Stiefel ab, die Armschienen legte sie dazu. Während sie ihr Haar neu ordnete, ließ die Waldläuferin ihren Blick durch die Höhle schweifen, auf der Suche nach etwas Brauchbarem. Dies war doch ein Jägerposten, überlegte sie, wenn es hier Holz gab, musste es auch … – ha! Da stand tatsächlich eine Kiste!
Ein Knarzen ertönte, als Freiya den Deckel anhob. Ihre Hoffnung, hier etwas Brauchbares zu finden, wurde nicht enttäuscht, als sie in die Kiste blickte, bot die kleine Truhe doch, was man so als Jäger gebrauchen konnte: Pfeile, Bogensehnen, Messer, Flick- und Verbandszeug, Feuersteine, Pyrit und vor allem aber einen kleinen Kessel mit Gestell und Geschirr. Frohlockend barg die Rothaarige die Dinge, die sie für ein Mahl gebrauchen konnte. Lebensmittel waren jedoch keine mehr in der Kiste.
Wie merkwürdig, warum war ihr die Kiste nicht schon am Vorabend aufgefallen? Sie war wohl abgelenkt gewesen …
Nachdem sie das Feuer aufgeschürt hatte, trat Freiya erneut vor die Höhle und lenkte ihren Blick an Ryu vorbei, der, ähnlich damals auf dem Übungsplatz, im Handstand stand. Nicht weit von ihnen wuchsen ein paar Höllenpilze, die sie schließlich aufsammelte. Außerdem fand sie ein paar Wildkräuter - milden Salbei und wilden Lauch, sogar glattblättrige Petersilie. Zwei, drei Blätter von den Brombeersträuchern machte sie sich ebenso ab. Zufrieden brachte sie ihre Funde zum Fluss und wusch diese dort, bevor sie sie in der Höhle mit dem Messer klein schnitt. Die Pilze schmorte sie im Kessel kurz an, bevor sie sie ein wenig mit Wasser bedeckt köcheln ließ und schließlich die Kräuter dazu gab.
Dann machte sie sich daran, endlich doch etwas von den Brombeeren zu pflückten. Auf dem Weg zum Fluss fand sie sogar noch ein paar Heidelbeersträucher. Die sauberen Beeren transportierte sie in einem großen Blatt zurück.
Als die Jägerin wieder da war, hatte sich das Wasser im Kessel verkocht und die Pilze ein feines Aroma angenommen, das durch die Höhle waberte. Sie nahm den Kessel vom Gestell, trat dann wieder in den Sonnenschein hinaus. Abermals fiel ihr Blick zum Hauptmann, der sich inzwischen seinem Schwert gewidmet hatte und einige fließende, aber kraftvolle Bewegungen ausführte. Er war fokussiert, wie es nicht anders zu erwarten war. Aber seine Bewegungen wirkten in sich ruhend, und Freiya war erleichtert zu sehen, wie er mit sich selbst im Reinen schien, während sich sein Körper immer noch im Heilungsprozess befand.
Freiya erlaubte es sich nun, ihn bei seinem Tanz mit der Klinge zu beobachten, hatte sie doch als Ausrede, dass sie nun eh warten musste, bis er fertig war. Fasziniert, wie kraftvoll und zugleich geschmeidig und präzise er das Schwert zu führen wusste, sah sie zu. Dabei fiel ihr wieder ein, was er erzählt hatte über sich und seinen Wunsch, die Dinge bis zur Perfektion und darüber hinaus zu beherrschen. Ein leichtes Lächeln umwehte ihre Lippen. Wie viel Stunden Übung ihn wohl zu diesem Meister des Kampfes gemacht hatten?
Nicht lange und er hielt inne und gurtete sein Schwert schließlich wieder um. Dann schien er eine Witterung aufzunehmen und drehte sich um. Freiya brauchte ihm wohl nicht zu verraten, was seine Nase bereits wahrgenommen hatte.
„Ich bin kurz am Fluss“, sprach er und war im nächsten Augenblick schon verschwunden.
Da stand sie auf, befüllte in der Höhle zwei Schüsseln mit dem Pilzgericht und trug sie hinaus, das Blatt mit den Beeren ebenso. Die Sonne wanderte höher am Himmel und über ihnen zogen weiße Schäfchenwolken zum Gebirge hin. Als die Rote Snapperin sich vor der Höhle im Sonnenschein niederließ und mit den Schüsseln auf dem Schoß auf Ryu wartete, fielen ihr Ronjas Worte ein, darüber, dass man nicht mit jemanden zusammen sein musste. Sondern dass man es wollte, um eine schöne Zeit zu verbringen. So war das also … Ein wenig verlegen strich sie sich eine Strähne hinter die Ohren, als ein neuerdings vertrautes Grunzen sie aufhorchen ließ. Sandy, die sie an diesem Morgen noch nicht erblickt hatte, kam zu ihr getippelt. Sofort fiel ihr das Blatt mit den Brombeeren und den Heidelbeeren in den Blick.
„Friss uns ja nicht die ganzen Beeren weg“, ermahnte Freiya die Beutelratte. Sandy sah sie aus ihren großen Augen an. Freiya nickte nachdrücklich und immer noch blickte das Opossum auf zur Rothaarigen.
„Nagut“, gab diese schließlich nach, „du kannst dir eine Brombeere nehmen.“
Als hätte das Tierchen mit den dunklen Augen sie verstanden, schnappte es sich eine der großen, dunklen Beeren und ließ sich kauend neben Freiya nieder.
Da tauchte Ryu schließlich wieder auf. Sie reichte ihm eine der Schüsseln samt hölzernen Löffel.
„Ist nicht Mama Hooquas Eintopf, aber sollte satt machen“, sprach sie. Sandy hob den Kopf und wollte den Wyvernhüter anfauchen, überlegte es sich dann aber aus irgendeinem Grund anders und senkte den Kopf wieder grunzend. Ryu indessen ließ sich bei Freiya nieder, näher als sonst, bildete sie sich ein, und schweigend genossen sie ihr Frühmahl. Und doch, trotz der angenehmen Ruhe dieses Morgens und der warmen Mahlzeit, die ihren Bauch füllte, spürte Freiya Bedauern in sich aufsteigen, verrann dieser kostbare Augenblick doch viel zu schnell und ihr Aufbruch stand bevor.
Sie stellte ihre leere Schüssel ab und nahm eine Heidelbeere, ließ sie vorsichtig über ihre Finger rollen.
„Also“, unterbrach sie schließlich die Stille, wagte es aber nicht, zu ihm aufzusehen und konnte doch ein Seufzen nicht unterdrücken. „Wie ist dein Plan? Ich glaube, ich sollte langsam zum Baum zurück, sonst schickt Ricklen noch ein Suchkommando los ...“
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Lust-, antriebs- und regungslos lag der dickliche Mann auf einem Ast weit über den Köpfen der sich tummelnden Bevölkerung Schwarzwassers. Auf seinem sich regelmäßig hebenden und senkenden Wanst lag ein ziemlich mitgenommener, alter Holzschild, der einst einem aus dem Sumpfwasser emporgekraxelten Untoten gehört und diesem vergleichsweise schlechte Dienste erwiesen hatte. Zumindest im ersten Kampf nach dem rüden Geweckt-Werden durch übernatürliche Mächte, in welchem er nach dem neuerlichen Phasenwechsel vom Untoten hin zum final-Toten durch den auf dem Ast liegenden Mann um seinen Schild erleichtert wurde. Und bei tieferer Überlegung hatte der Schild dem ehemaligen Untoten mit aller Wahrscheinlichkeit nach auch im letzten Kampf vor seinem Ableben und damit in den letzten Augenblicken als weder final-Toter noch Untoter - also als Lebender-Nicht-Toter - keine sonderlich guten Dienste erwiesen. Zumindest würde Letzteres den tot-Teil des Untoten-Daseins eindrucksvoll erklären. Vielleicht war der Schildträger, oder besser ehemalige Schildträger, aber auch ursprünglich an Altersschwäche gestorben. In diesem Falle wäre selbstverständlich keine konkrete Aussage über einen Zusammenhang zwischen Schild-Tragerei und Ableben möglich gewesen und den Schild hätte keinerlei Schuld am jähen Ende des Trägers oder der Trägerin getroffen.
Jedenfalls lag besagter Mann mit besagtem Schild von ebendiesem Wesen in aktuell nicht näher bezeichneter Phase zwischen oder außerhalb von Leben und Tod auf irgendeinem Ast von irgendeinem Baum.
Er hatte dabei eine Hand auf den Schild und die andere unter seinen Kopf gelegt und folgte mit geschlossenen Augen dem mitunter recht verwirrenden Strom an Gedanken, Fetzen von etwas, das eventuell einmal Gedanken hätten werden könnte, hätte er sich etwas mehr auf das Denken des Gedanken konzentriert, Erinnerungen und nicht zuletzt dann und wann aber auch auf die wenigen Punkte in dem sonst wirren Strom, in denen er nach einigen Herzschlägen erschrocken feststellen musste, dass er an schlicht gar nicht gedacht hatte.
Es waren Tage vergangen, vielleicht Wochen, unter Umständen vielleicht gar ganze Monate, seit er wieder einen Fuß nach Schwarzwasser gesetzt und die Leute um Vergebung ersucht hatte, die er durch seine Flucht im Stich gelassen hatte. Er hatte alte Freunde und Bekannte getroffen, hatte mit einigen von ihnen gesprochen, mit einigen wenigen gescherzt und mit einer kleinen Handvoll hatte er erneut die Waffen erhoben. In all dieser Zeit war er auf die unterschiedlichsten Arten empfangen worden. Manche hatten ihn in die Arme geschlossen und empfangen, andere hatten nichts von ihm hören, sehen oder mitbekommen wollen und wieder andere waren gänzlich gleichgültig gegenüber seiner Rückkehr. Und für alle diese Reaktionen konnte er nichts als Verständnis aufbringen. Selbst für die Leute, die noch heute, einige Zeit nach dem Thing, mit Abscheu, offener Ablehnung oder leise vorgebrachten Feindseligkeiten ihm gegenüber reagierten, wenn sie ihn sahen.
Er hätte sie alle nur zu gern eines Besseren belehrt, ihnen bewiesen, dass er ein wertvoller Teil der Gesellschaft sein konnte und wollte. aber dafür mangelte es ihm schlicht an Möglichkeiten.
So sehr er sich einzureden versuchte, kein Krieger mehr zu sein, so sehr haftete ihm diese Vergangenheit noch an. In der zugegeben recht ruhigen Phase nach dem Thing, in der es keine Kämpfe zu kämpfen, keine Entführten zu retten und keine Verwundeten zu versorgen gab, hatte er sich immer wieder dabei erwischt, eine gewisse Langeweile zu empfinden. Er hatte sich dann stets mit irgendwelchen kleineren Aufträgen beschäftigen wollen, aber schnell feststellen müssen, dass er in den wenigsten Bereichen eine wirkliche Unterstützung hatte sein können. Wenn nicht gerade irgendwo irgendwas getragen werden musste, fehlten ihm ganz einfach die Kenntnisse, irgendwie auszuhelfen.
Und so hatte der Mann mit dem Schild auf der Plauze seinen Platz innerhalb der Gesellschaft gefunden: Paradoxerweise war der ein wenig abseits von der Gesellschaft. Ein Ort, der ihm nicht ganz missfiel. Die Bäume hatten sich zu oft mit neuen Blättern geschmückt, als dass er erwarten könnte, noch in irgendeiner Art essentieller Teil der Gesellschaft zu sein. Andere hatten über Jahrzehnte hinweg ihren Platz behalten - waren mit der Gesellschaft gewachsen und hatten die Gemeinschaft um sich herum wachsen sehen. Sie mochten sich in dieser Zeit ebenfalls verändert haben, aber sie waren noch immer Teil des Ganzen. Wie eine Rosine in einem Süßgebäck hatten sich Form und Position innerhalb der süßen Köstlichkeit verschoben, man war aber noch immer Teil des Ganzen. Er selbst aber hatte durch seinen damaligen Weggang ein Loch hinterlassen. Wie eine Ausstechform im Plätzchenteig. Und wie Teig, den man wieder und wieder neu ausrollte, hatte sich das ursprüngliche Loch durch Wachstum und Veränderung längst so sehr verformt und so sehr verändert, dass so gut wie nichts mehr an das ursprünglich Fehlende erinnerte. Längst hatten andere diesen Platz eingenommen.
»Mh.«, brummte der dicke Mann leise und öffnete vorsichtig ein Auge, um im Schein der letzten Sonnenstrahlen durch das Blätterdach gen Himmel zu blicken. Der Wind, der die Blätter über, unter und neben ihm zum Rascheln brachte, lenkte ihn für einen winzigen Herzschlag lang ab und erneut wurde ihm bewusst, dass er längst vergessen hatte, worüber er soeben noch so angestrengt nachgedacht hatte.
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Baumkrone
Die Beine übereinander gelegt lag die Jägerin auf ihrem neuen, auserkorenen Bett und nahm mit geschlossenen Augen ihre Umgebung war. Ganz leicht konnte man das Salz riechen, das die Meerluft brachte. Es war nie weit, auf dieser Insel, und wurde begleitet von einer Note von Alge und Tang und Fisch. Aus dem Sumpf wehten erdige, schwere Gerüche her und der Baum Tooshoo selbst trug holzige, fast schon harzige Noten. Sie nahm einen tiefen Atemzug und füllte begierig ihre Lungen.
Und mit jedem genommenen Atem hörte sie, wie sich ihre Lungen füllte, das Rauschen der Luft an ihren Nasenflügeln, das leise Knistern ihrer Kleidung, wenn sich ihr Brustkorb hob und senkte. Im starken Kontrast zu ihrem gleichmäßigen Atem zog der Wind unregelmäßig durch die Blätter des Baumes, brachte das Laub zum tanzen und Äste zum knarzen. Ein leises Pfeifen begleitete ihn auf seinem Weg durch die Baumkrone. Ab und zu erreichten auch andere Geräusche ihre Ohren. Der Schrei eines Vogels hoch oben in der Luft, ein Ruf aus dem Ort Schwarzwasser weit unten, das geschäftige Treiben mit Werkzeug und Händen.
Es war eine schöne Weise, die die Natur für sie spielte, doch die Nordmarerin hatte Probleme damit, sie auf einen Takt zu bringen. Den kleinsten Gemeinsamen Nenner zu suchen, den Startpunkt jenes komplexen Polyrhythmuses. Der Punkt wo alles begann und alles wieder zusammenfand. Wann immer sie dachte, etwas gefunden zu haben, durchbrach eine Möwe das Schema, oder eine plötzliche Windbö. Doch vielleicht war es auch überhaupt nicht der richtige Ansatz. Alles in das strenge Korsett des Taktes zu zwingen. Vielleicht musste sie, zumindest ein Stück weit, die Imperfektion hinnehmen. Vielleicht musste sie nur einen Aspekt der Naturmusik für sich einfangen, den Takt den sie nun stets hörte in Einklang bringen mit dem was sie tun wollte. Wenn Magie ein Tier beeinflussen sollte, musste sie vielleicht mit dessen Puls in Harmonie sein. Bei einem Baum das Rauschen der Blätter, oder vielleicht das Pumpen der Säfte durch den Stamm.
Aber das war alles noch Zukunftsmusik. Fürs erste sollte sie mit etwas anfangen, was sie gut kannte, und was sie schon probiert hatte: Mit sich selbst.
Sie hörte das Trommeln in der Ferne, jenen fernen Hall und versuchte es mit ihrem Puls übereinander zu bringen. Zuerst schien es arhythmisch, chaotisch, doch nach einer Zeit begann sie ein Muster zu erkennen. Es dauerte eine Weile, doch sie erkannte, dass es Wiederholungen gab, ein Schema, das sich abzeichnete. Fast schon ekstatisch erkannte Ylva die Repetation und fokusierte sich darauf, begann flüsternd jenen einfachen Spruch einzuwirken, den sie in der Sumpflilie erkannt hatte und bemerkte, dass sich alles aufzuschaukeln schien. Magie, Spruch, Takt, Puls, alles wurde stärker, bis die Jägerin nicht mehr wusste, ob sie ihren eigenen Herzschlag spürte, oder ob es die Kraft der Magie war.
Sie öffnete ruckartig die Augen, schwang sich elanvoll von ihrem Bett und stürmte aus der Wohnhöhle heraus, den Jadewolf zu suchen. Irgendwo musste er doch herumschweben.
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Baumkrone
Sie näherte sich mit großen Schritten. Er hörte ihren Atem, spürte ihr Herz pochen und ihre Magie in sanften Echos verhallen. Je näher sie kam, desto mehr spürte er auch ihre körperliche Präsenz. Tastete sie magisch ab, als wäre er der Wind. Er grinste leicht und begann zurück zu kehren ins Jetzt. Vorbei war die Reise des Geistes, zu Ende das Spiel von Körper, Seele, Geist und Magie. Sanft landete er auf dem Untergrund.
Er war immer noch hier oben in der Baumkrone. War aber wohl mit dem zunehmenden Mond mitgewandert.
“Bewahre!”, grüßte er sie und öffnete die Augen. Als hätte sich in Ornlu so einiges erneuert oder wieder in Position gesetzt, saß er da im Frieden mit sich und der Welt.
Ylva grüßte auf ihre Art zurück und zeigte fast schon enthusiastisch für ihre Verhältnisse, was sie für sich nun beherrschte.
Tatsächlich kam ihre Magie auf wie eine sanfte Welle am Strand und ging dann wieder zurück, um wiederzukommen.
“Gut. Das wird für dich in Zukunft so wichtig wie das Essen und Trinken sein. Dieses Heraufbeschwören muss dir jederzeit gelingen. Es entscheidet zwischen Zauber wirken und durchbohrt, umgehauen, zerfleischt, aufgespießt oder zermalmt sein. Du wirst selbst wissen, welche Priorität du dafür setzen musst. - Kommen wir nun zur wirkenden Magie. Ich habe mir gedacht, dass du es mit dem Lichtzauber gleich versuchen kannst. Gewöhnlich lasse ich meine Schüler erst einmal ihre reine Magie aufkommen und außerhalb ihres Körpers fließen und strömen. Doch deine Art von Magie ist anders. Du darfst es ruhig versuchen, nur die Magie aufkommen zu lassen und dich zu umhüllen. Aber du kannst deine Magie auch gleich deinen Willen unterwerfen.”, sagte der Druide und führte es Ylva vor. In seinen Händen entfachte seine Magie, glühte rötlich auf und floss zwischen seinen Händen wie ein zäher Strom der impulsartig, seinem Herzschlag gleich, angeschoben wurde.
“Aus reiner, unberührter Magie…”, sagte er und formte aus eben jener ein gleißend helles Licht zwischen seinen Händen.
“...wird ein Zauber wie die Lichtkugel. Mein Geist gestaltet. Mein Willen formt. - Bei dir wird es nicht anders sein. Nur dahin zu kommen…das ist der schwerste Schritt von allen. Schau genau noch einmal zu. Lausche meiner Magie…”, gebot er und vollführte den Lichtzauber mit dem Heraufbeschwören seiner reinen Magie erneut. Der Zauber selbst musste nicht mit hervortretender reiner Magie geschehen. Es sollte sie nur verstehen lassen, dass ein Zauber nicht von Nichts kam und alles auf seine Art verbunden war.
“...und finde einen Weg für deine Magie. Es wird eine Herausforderung für dich werden, aber das ist es immer. Beginne…und scheue dich nicht davor, es dir noch einmal zeigen zu lassen. Findest du mich nicht, such nach Kalad. Er hilft gerne und übernachtet auch meistens in der Gemeinschaftbaumhöhle. Ich werde in der Gegend bleiben, habe allerdings etwas zu tun, was nicht aufgeschoben werden kann. Bald ist Vollmond…”, erklärte Ornlu und ging in Richtung seiner Baumhöhle, um dort seine Sachen zu holen.
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Felsennest Niradh
„Hab sie!“ rief Runa, als sie unter die Felsplatte lugte, welche als steiler Aufstieg zu den Mauerartigen Felsen diente.
„Gut gemacht“, wurde sie gelobt und Maris trat neben seine Tochter, um zu sehen, was sie gebrauchen konnten.
Zarra war unterdessen von einem kreisenden Vogel abgelenkt, der hoch oben über Niradh flog. Es wirkte fast, als wäre er unglücklich damit, dass sein Nest von Menschen betreten worden war. Langsam sank er hinab und offenbarte sein schwarz-weißes Gefieder und den mächtigen dunklen Schnabel; ein Schildrabe, der kurioserweise eine Art Bündel bei sich trug.
„Habt ihr das gesehen?“, fragte die Weißhaarige neugierig, doch die anderen schienen zu sehr mit den Vorräten beschäftigt.
Immer tiefer kam der Rabe, passierte die felsigen Zinnen und steuerte direkt auf die junge Frau zu, welche erschrocken die Arme über den Kopf hob und sich duckte. Ein plötzlicher Druck auf ihrer Schulter hätte ihr beinahe einen erstickten Schrei entlockt, doch ein leises Krächzen beruhigte sie irgendwie. War das wirklich nur ein Krächzen?
Zarra war, als hätte sie den Laut mehr gespürt, als nur gehört und öffnete vorsichtig die Augen, um auf ihre linke Schulter zu blicken, wo der Vogel sich niedergelassen hatte. Unelegant ließ er das Bündel neben sie auf den Boden fallen und gurrte tief in seiner Kehle.
Dieses Mal spürte sie es deutlicher, ein Gefühl, als würde jemand an ihrem Innersten anklopfen, ganz sanft. Unwillkürlich suchte sie mit ihrer Magie nach dem vermeintlichen Bittsteller und im nächsten Augenblick erschien ein Bild in ihrem Kopf, welches den Jadewolf zeigte und jenes Bündel, welches der Rabe gebracht hatte.
„Für mich?“, fragte sie verwundert und bückte sich, wobei der Vogel gekonnt die Bewegung ausbalancierte.
Kurzum öffnete sie die Schnüre und erkannte, dass das Bündel ein Wams war, in dem eine einfache braune Hose und eine Schärpe eingeschlagen worden war. Wieder empfing sie einen Eindruck vom Raben, dieses Mal zeigte er ihr Ylva, die ein ähnliches Bündel erhielt. Waren es die Kleider eines Druidenlehrlings?
„Danke“, wisperte die Weißhaarige dem gefiederten Boten zu, der ihr als Antwort ein Hungergefühl sandte.
Mit fragendem Blick schaute sie dem Tier in die dunklen Augen.
„Du willst, dass ich dich füttere?“
„Krah!“, kam die fordernde Antwort und Zarra zuckte leicht zusammen ob der Lautstärke.
„Schon verstanden, warte kurz!“
Die junge Frau öffnete ihre Kräutertasche und ließ ihre zierliche Hand bis an den Boden hineingleiten. Einige Beeren hatte sie dort verstaut, die sie nun hervorholte. Waldbeeren, die sie auf dem Weg zum Steinkreis gesammelt hatte. Zu wenige, um sie mit allen zu teilen, weshalb sie bisher nicht davon gegessen hatte. Eine Handvoll hielt sie nun dem Schildraben hin, der vorsichtig, aber nicht weniger genüsslich einige der Früchte verschlang, ehe er ihr mit einem zufriedenen Gurren und einem neckischen Klacken in ihr Ohr zwickte und mit Schwung von ihrer Schulter abstieß, um sich wieder in die Lüfte zu schwingen.
Wie in Trance schaute sie dem Vogel hinterher und wunderte sich, wie er es geschafft hatte die Verbindung zu ihr aufzubauen, ohne dass sie den ersten Schritt getan hatte. Konnten Tiere von sich aus auf Menschen eingehen, von denen sie wussten oder ahnten, dass sie verstehen und antworten konnten?
„Maris?“, fragte sie, bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte und wiederholte ihre Gedanken noch einmal laut.
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Das Felsennest Niradh
„Hier.“ Maris reichte Runa das Flickzeug. „Mach mal das Loch in deiner Hose zu, wo du an den Dornen hängengeblieben bist. Man sieht deinen Po beim Laufen.“
„Paps!“
„Was denn? Ich sag’s ja nur, wie es ist. Aber lauf ruhig weiter so rum und lass tief blicken, wenn wir plötzlich auf einen hübschen Waldprinzen treffen.“
Runa riss empört die Augen auf. Maris grinste sich eins und zog die Hand samt Nadel und Faden wieder weg. „Oder hat dir etwa noch niemand gezeigt, wie man näht?“
„Ist gut jetzt!“, rief sie genervt und riss ihm das Zeug aus der Hand. „Klar hat Mama das Sinan und mir gezeigt.“
„Na, dass der das kann, weiß ich. Der näht dir ne Schnittwunde einhändig und mit geschlossenen Augen zu. Gut, dann mach mal“, entgegnete er und klopfte ihr auf die Schulter. Dann wandte er sich Zarra zu, deren kleiner Lieferdienst von Ornlu ihr eine spannende Frage beschert hatte.
Maris hob mahnend den Finger. „Dass es so einfach ging, heißt nicht, dass der Rabe diesen Zauber gewirkt hat. Der kommt allein von dir, meine Liebe. Aber unser gefiederter Gast ist es gewohnt, sich unter Menschen aufzuhalten, die so eine Verbindung aufbauen können. Und vermutlich ist er dank Ornlu auch recht erfahren darin, genau die Informationen zu teilen, die für einen menschlichen Verstand interessant sind. Nicht so ein wildes Durcheinander wie mit dem garstigen Frettchen.“
Er packte sich das im Lager verstaute Dreibein und postierte es stabil über der Feuerstelle.
„Raben sind verdammt schlaue Füchse, sag ich dir“, ächzte er, während er den Kessel hinüber hob und am Haken einhängte. „Und er war bereit und Willens, diese Verbindung einzugehen, um dir seine Botschaft mitzuteilen. Das ist der Unterschied zwischen einem Tier, das den Kontakt sucht, und einem, dem du das Gespräch aufzwingst. Bewahre dir dieses Gefühl des natürlichen Austauschs und versuche, genauso an andere Tiere heranzutreten.“
Damit sah er zu Vareesa hinüber.
„Da wir gerade von natürlichem Gefühl sprechen: hast du es gespürt? Der Fluss, er kam ganz von allein, oder? Ohne Kraft, ohne Krampf, ohne Angst. Das da draußen am Fels war wirklich gut, Vareesa! Das war ein richtiger Durchbruch – nicht nur mit dem Zauber, sondern auch mit deiner Art, die Magie zu erfahren. Sie ist ein natürlicher Teil von dir. Lass sie fließen und lenke den Fluss, statt ihn mit Gewalt eindämmen zu wollen.“
Als der Kessel stand und Runa ihre rissige Hose geflickt hatte, schickte Maris seine Tochter aus, um in der Nähe nach Feuerholz zu suchen. „Aber behalt die Umgebung im Auge, ja? Der Segen der Jagd macht dich nicht unangreifbar für die Tiere, wenn du ihnen in die Quere kommst!“
Gemeinsam mit seinen beiden Schülerinnen machte er sich dann daran, Lauch, Zwiebeln und Einiges an Wurzelgemüse kleinzuschneiden. Mittendrin hielt er inne, nahm das Messer in seine Linke und schnitt – dank seiner Vergangenheit mit zweihändigen Kampfübungen recht passabel, aber mangels Übung eher langsam – weiter.
„Etwas Neues wie einen unbekannten Zauber zu üben, mag sich anfangs überwältigend und unnatürlich anfühlen und wahnsinnig viel Aufmerksamkeit kosten“, sagte er und deutete mit einem Nicken hinab auf seine Hände. „Das seid ihr. Aber mit Zeit und Übung …“
Er warf das Messer in die Rechte, nahm sich eine neue Möhre und schnitt mit der geübten Hand eines Koches in Windeseile in gleichmäßig dicke Scheiben.
„… ist es fast wie atmen.“
Er sah zu den beiden auf. „Wir brauchen noch Wasser für den Eintopf. Wisst ihr, ob es hier eine Quelle gibt?“
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Wasserfall der Geister
Nachdem Freiya sich also um das leibliche Wohl beider Mägen kümmern wollte, hatte Ryu in aller Ruhe seiner täglichen Routine nachgehen können. Das war … freundlich von ihr. Andererseits hatte er sie schließlich die ganze Nacht über bewacht. Wobei, so penibel konnte man das ganze auch nicht trennen. Aber alles in allem war der Templer sehr zufrieden: Mit diesem Morgen. Mit Freiyas Bereitwilligkeit, nach dem Frühstück zu sehen. Mit dem Genesungsverlauf seines Körpers. Dem Wetter. Der Welt. Mit allem. Selbst mit Sandy, dem garstigen Wesen und selbsterklärter Erzfeindin Sarkanys.
In jeder seiner Bewegungen, jedem Schwung, Schritt und Atemzug war da etwas, das er schon lange verloren geglaubt hatte. Eine seltsame Schwerelosigkeit und Unbeschwertheit. Ein Sonnenstrahl inmitten dunkler Regenwolken. Eine kühle Briese an einem heißen Sommertag. Das Eintauchen in einen kühlen See nach Stunden der Arbeit an Amboss und Esse. Es erinnerte ihn an Silden. Vor so vielen Jahren. Die Zeit vor der großen Einsamkeit.
Und es fühlte sich gut an.
Und nun? Nun saßen sie gemeinsam da, aßen und schwiegen eine Weile. Genossen in stiller Zweisamkeit das Los der geteilten Einsamkeit in ihren eigenen Wegen die sie miteinander geteilt hatten. Ein Halt, so wertvoll, zerbrechlich und unersetzlich. Aber auch in seiner Präsenz so vergänglich, wie die Frage Freiyas schließlich nur zu deutlich machte. „Also, wie ist dein Plan?“, hatte sie gefragt. Eine simple Frage. Eine einfache Frage. Wenn man sich Gedanken gemacht hatte, wie es weiterging. In dem langen Gespräch der letzten Nacht hatte der Hayabusa, vermutlich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit einfach mal losgelassen. Von dem Erzklumpen, den damit verbundenen Plänen. Und irgendwo auch, wenn auch nur dieses eine Mal, von all den Pflichten die ihn banden. Aber war es jetzt nicht auch so? Dass Darius die Stellung hielt und der eigentliche Hauptmann hier in aller Ruhe saß und Pilze mit Kräutern und einem leckeren Beeren-Dessert futterte? Ein tiefer Atemzug erfüllte den Hayabusa als er die Augen schloss und sich das Aroma der paar Kräuter und des Pilzfleisches im Munde zergehen ließ. Es brauchte keine Gourmetküche beim Waldvolk um einen hungrigen Mann glücklich zu machen. Und so hielt es auch der Hüter. Und selbst wenn, so hatte Freiya doch Mühe und Liebe in das Essen gesteckt. Sich Gedanken darum gemacht, nicht nur zweckdienlich zu kochen, sondern aus dem was da war das Beste zu machen, das sie konnte. Eine Qualität, die der Templer einfach sehr an ihr und dem Waldvolk schätzte. Aus dem Geringsten des Meiste herausholen.
„Das ist gut“, meinte er schließlich zufrieden und legte den Löffel kurz in der Schüssel ab. Dabei schweifte der Blick der Wyvern-Augen über die Wiese vor ihnen, blieb immer wieder bei den kleinen Vögelchen hängen, die hier und da einen Wurm erbeuteten und davonflogen. Und dabei überlegte er schweigend. Dabei spürte Ryu den Blick der grünen Seelenspiegel des Rotschopfes auf sich und er kam nicht umher, sich ein ruhiges Lächeln entlocken zu lassen. „Dein Essen, meine ich. Ist schon etwas her, dass Mal jemand für mich gekocht hat. Also, in Ruhe, ohne Weltuntergangszenarien oder, dass es um's Überleben in der Wildnis ging. Und ... ich mag Pilze. Also, nicht frisch von der Hand in den Mund, sondern ... du weißt schon.“
Kurz dachte der Templer an seine eigene, damals noch oft gekochte, fast schon einem Eintopf gleichende Pilzsoße. Damals auf Khorinis hatte er sich das Zeug oft zubereitet. Vielleicht wäre es ja an der Zeit, das Rezept noch einmal aus den tiefsten Hinterstübchen seines Gedächtnisses hervorzukramen und sich bei der roten Snapperin zu revangieren.
Ohne sie anzublicken spürte der Hüter das langsame Blinzeln der Waldläuferin und schüttelte dann sachte den Kopf. „Ach, nicht so wichtig.“ Dann wanderten seine Augen wieder gen Himmel. Vom Grau des Vortages war keine Spur mehr geblieben und dennoch hing die Frische des Regens noch immer im Blau des Himmels. So sprach zumindest die frische Brise, die in diesem Moment über die Wiese hauchte. „Wir haben viel zu tun. Schwarzwasser verdient mehr, als nur das Denkmal für vergangene Schlachten zu sein. Der Aufbau muss koordiniert und Material beschafft werden. Viele der Wächter werden aushelfen, andere Überstunden schieben müssen. Tja und dann …“, der Hüter zog den Erzbrocken aus der mittlerweile wieder übergestreiften Jacke und warf ihn sachte in die Höhe, fing ihn und schaute dann zu Freiya. Irgendwie hatte er das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, nun schon wieder damit anzufangen. Aber statt etwas zu sagen, blickte er unmittelbar wieder auf das Erz und zog die Brauen zusammen. Nun war es der Hayabusa, den der Unmut befiel. Die Realisation, dass dieser lange, gemeinsame Moment, der am gestrigen Tag begonnen hatte, bald sein Ende fand. Trotz allem Pflichtbewusstsein schmeckte ihm das auf einmal so gar nicht mehr. Wenn man allein war, lagen diese Lasten nicht so schwer auf den eigenen Schultern. Aber nun, da sie so vieles über ihn wusste … Nun, da dieser Faden des vertrauten Verhältnisses einmal mehr erstarkt war und ihm Frieden schenkte … „Alles in Ordnung?“, harkte sie schließlich nach und mit einem Mal spürte er die kühlen Finger auf seinem Unterarm. Ryu nickte sachte, lächelte dann mit einem Hauch von Bedauern in den Augen zu ihr. „Mir fiel nur gerade wieder ein, worüber wir gestern gesprochen haben“, begann er und einmal mehr begegneten sich die Augenpaare der beiden. „Friedliche Momente sind so selten. Da fällt es schwer, sie loszulassen, wenn man sich ihrer erst einmal bewusstwird.“
Sachte drückte der Templer schließlich ihre Hand, atmete einmal tief durch und blickte dann wieder gen Himmel. „Oben, über der Höhle steht noch ein alter Wachturm oder sowas. Ich denke, den würde ich mir gerne mal ansehen. Ehrlich gesagt wollte ich schon lange wieder eine eigene Schmiede haben. Eine, bei der man nicht ständig das Werkzeug suchen muss und sich mit anderen auf den Füßen steht…“
Dann begann er zu schmunzeln. „Jetzt geht es ja schon wieder nur um mich. Was ist mit dir? Wirst du ... weitersuchen? Natürlich wirst du. Du musst. Nur ... Hm ... Du weißt schon.“
Geändert von Ryu Hayabusa (06.09.2024 um 18:46 Uhr)
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Die Sumpflilie
Licht. Es bedurfte nicht viel, ein Licht zu erschaffen. Ein Feuerstein und ein Stück Stahl zum Beispiel reichten, um Funken zu schlagen, die für einen kurzen Moment hell leuchteten. Manche vermochten es einen Stock so lange in den eigenen Händen über ein Brett zu drehen, bis die Hitze ausreichte ein Feuer zu entfachen. Doch all das war nicht das Licht, das sie suchte. Genauso wenig das Licht des Tages selbst, das Sonnenlicht, oder das der Nacht, der blasse Schein von Mond und Sternen. Es war ein magisches Licht, dass sie partout nicht fand, so sehr sie sich auch bemühte. Sie versuchte es damit, sich auf das Leuchten der Natur zu konzentrieren. Blitze und Wetterleuchten, die hoch oben am Himmel zuckten. Doch sie schaffte es nicht, sie mit ihrer Magie in Einklang zu bringen. Sie versuchte sich das Donnergrollen vorzustellen, das einen Blitz stets begleitete, doch ohne Erfolg. Das tiefe Grummeln überlagerte sich mit dem Rhythmus der Magie, ohne sich in ihn einzufügen. Er rollte darüber hinweg wie eine Welle über Sand.
Frustriert ließ Ylva ihre Konzentration fahren, fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und stand auf.
„Helvete!“ fluchte sie leise und trat aus der Wohnhöhle, in der sie versucht hatte in Ruhe das Kunststück zu meistern. Inzwischen legte sich die Abenddämmerung über den Sumpf und hüllte das Gebiet in ein schummriges Licht. Die Nordmarerin hatte gut Lust, der Sonne den blanken Arsch zu zeigen. Da stand sie am Himmel und tat nichts anderes als Licht zu produzieren, Tag für Tag. Und sie hier unten hatte Probleme damit, auch nur ein Fünkchen zu erzeugen.
Sie widerstand der Versuchung der obszönen Beleidigung von Himmelskörpern und begab sich nach unten, den Baum hinab und zur Sumpflilie, wo sie erst vor kurzem noch mit Ornlu, Kalad und den anderen saß und das erste Mal von Druiden hörte. Hatte der Jadewolf nicht den Weg mit Glühwürmchen erhellt? Kleine Insekten, die es schafften ihr eigenes Licht zu erzeugen. Ob sie es wohl auch mit Magie taten? Waren sie vielleicht der Weg dazu? Da sich ihre Magie aus der Natur speiste, musste sie vielleicht ihren Ansatz auch dort suchen. Die Glühwürmchen wären vielleicht ein guter Beginn. Doch wie sollte sie von dort aus fortfahren?
Ihr Magen knurrte, als sie die Sumpflilie betrat. Sie hatte noch nichts gegessen, und noch immer herrschte scheinbare Knappheit. Fleisch gab es höchstens noch von der Sumpfratte, doch ein weiteres Mal wollte sie damit nicht ihr Glück versuchen. Wenn sie nur annähernd so waren wie die Ratten des Festlandes, konnte man froh sein, wenn man sich nicht allein vom Anblick eine Krankheit einfing. So blieb ihr nichts anderes übrig, als eine Suppe mit allerlei Wurzelgemüse probierte. Sie schmeckte nicht schlecht, den Umständen entsprechend, aber ein paar mehr Beilagen hätten ihr auch gut getan. Hatte Ornlu nicht gesagt, dass sie sich hier verdient machen müsse, ihren Beitrag leisten? Vielleicht sollte sie im Sumpf oder in den nahen Bergen ein paar Fallen aufstellen, um der Knappheit an Nahrungsmittel ein Stück entgegnen zu können. Doch das war eine Idee für den kommenden Tag.
Sie brütete über ihrem Eintopf, aß ihn, ohne ihn wirklich wahrzunehmen und dachte über ihre weitere Vorgehensweise nach.
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Baumkrone
Im Dunkel der Nacht wurde jedes Feuer zu einer kleinen Sonne, die die Schatten vertreiben konnte. Jede Fackel wurde zu einem sicheren Hafen in der Dunkelheit, jede Laterne ein kleiner Hoffnungsschimmer. Im Schneidersitz saß die Jägerin vor der Wohnhöhle, blickte hinab auf den Ort Schwarzwasser und versuchte die Lichtpunkte zu zählen, mit denen die Menschen sich behalfen. Es waren dutzende, die stationär waren oder sich bewegten, mal stärker und mal schwächer waren, und allesamt ihre nähere Umgebung in ein diffuses Licht tauchten.
Menschengemachtes Licht. Doch was sie suchte war ein anderes, ein schwächeres Licht, das tanzte und schwirrte und von einem der unscheinbareren Geschöpfe dieser Welt entsandt wurde. Ein Käfer, kaum mehr als ein Daumennagel groß, flatterhaft und unstet. In der Nacht wurden die Glühwürmchen aktiv und ließen sich überall zeigen, vom Süden Nordmars bis nach Myrtana, Khorinis und auch Argaan. Dass sie auch hier lebten, wurde durch Ornlu eindrucksvoll bewiesen, als er ihre Hilfe herbeiruf, um ihnen den Weg zu weisen. Und vielleicht konnten sie auch Ylva helfen.
Mit aufmerksamen Augen wandte sie sich vom Treiben dort unten ab und blickte durch das Blätterdach in die Dunkelheit, bereit, jedes Flackern zu registrieren. Es dauerte auch nicht lange, bis die ersten Glühwürmchen auftauchten, schwirrende Lichtflecken, die mal hierhin, mal dorthin flogen, einen wilden Reigen aufführten, den nur sie selbst nachvollziehen konnten.
Im Gegensatz zu ihren vorherigen Versuchen schloss sie ihre Augen diesmal nicht, sondern beobachtete den Tanz der Käfer, das leichte Pulsieren ihrer Leuchtkraft, das leise, kaum hörbare Surren ihrer Flügel, den unnachvollziehbaren Pfad, den sie durch die Luft nahmen.
Ein Trommeln dröhnte in ihren Ohren, der mit jedem ruhigen Atemzug lauter wurde, der Herzschlag der Natur, der sowohl aus der Erde selbst kam, als auch in jedem Lebewesen widerhallte.
Bumm.
Bududumm.
Bumm.
Bummbumm.
Es war ein langsamer Rhythmus, den sie hörte, den sie sich auch auf den Kriegstrommeln der Clans vorstellen konnte, am Abend vor der Schlacht. Fast kam es ihr vor, als würde das Pulsieren, die Schwankungen der Intensität des Leuchtes sich dem Takt anpassen. Erst schien es noch unvorstellbar, dann wurde es immer klarer, dass es sich nicht um Einbildung handelte.
Ylva streckte eine Hand aus. Nicht, um darin ein Glühwürmchen zu fangen, sondern um ihr eigenes Licht zu fangen, ihr eigenes Glühwürmchen zu sein.
„lysa ljus som lysmasken lite, leda mig på vägen*!“
Mit kurzem flackern erschien für einen Bruchteil einer Sekunde ein Licht in ihrer Hand, das kurz ihr Gesicht erhellte. Ein erstes, kleines Licht. Das erste Mal, dass sich die Magie wirklich bemerkbar machte, und mehr war als ein Gefühl!
Sie grinste zufrieden mit sich selbst. Sobald sie herausfand, was Glühwürmchen gerne tranken, würde sie ihnen einen ausgeben.
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*nordmarisch: leuchte hell wie das Glühwürmchen klein, leite mich auf dem Weg!
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Wasserfall der Geister - ehemaliger Wachturm
Freiya blickte Ryu zunächst schweigend an.
Ihr war nicht ganz so klar, auf was er hinaus wollte, und so betrachtete sie forschend sein Gesicht. Merkwürdig, stellte sie dabei fest, so vieles hatte er von sich erzählt und nun saß sie – trotzdem oder deswegen? – da und hätte so gerne seine Gedanken gelesen. Hätte so gerne vollständig erfasst, was hinter seinen Worten lag, aber sie bekam es nicht zu fassen. Doch wollte sie seine Frage nicht unbeantwortet lassen. Sie senkte den Blick und sah auf seine Hand, die immer noch um ihre Finger lag. Wärmend wie immer. Die Rothaarige mochte das.
„Also … vielleicht ist es dir aufgefallen, … dass es mich nicht sonderlich stört, wenn du von dir erzählst“, sagte sie mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen. „Aber ja, ich werde aufbrechen, wenn ich fertig bin mit meinen Vorbereitungen.“ Sie seufzte. Es wurde mit jedem Atemzug schwerer, doch es war, wie er es gesagt hatte: Sie musste.
Sandy hob den Kopf, als würde sie spüren, dass die Waldläuferin von ihren Gefühlen bewegt wurde. Freiya nahm ihre freie Hand und kraulte das Opossum zwischen den Ohren. Nur einen Atemzug länger noch ..., bat die Waldläuferin stumm.
Sie kam nicht umhin festzustellen, wie sehr sie es mochte, wenn er sie spüren ließ, dass er diese Momente nicht minder genoss als sie.
Ihr Blick fiel wieder auf das Erz in Ryus Hand und plötzlich wurden ihre Augen groß.
„Ein Turm sagst du?“, fragte sie und der Hauptmann nickte. Das wusste sie gar nicht. Oder hatte sie es vergessen? Immerhin zählten die östlichen Ruinen und das Gebiet dahinter nicht zu den Jagdgebieten von Ricklens Kommando. Sie richtete sich auf: Das wollte sie sehen!
Sie löste ihre Hände und nahm die Schüsseln.
„Den will ich mir mit anschauen! Lass uns das Lager aufräumen und nachsehen!“, sagte sie enthusiastisch, stand schwungvoll auf und ging ein paar Schritte zur Höhle. Hinweggeblasen waren die Gedanken, dass Ricklen sie einen Kopf kürzer machen würde, wenn sie noch länger unabgemeldet verschwunden blieb. Da war eher plötzlich eine andere Sorge. Sie drechte sich wieder zu Ryu um, der immer noch im Gras saß und sie anblickte.
„Vorausgesetzt … du willst überhaupt, dass ich mitkomme?“, fragte sie unsicher. Ruhig stand er auf und trat an sie heran, legte ihr die Hand sachte an die Schulter. Der Wind wehte seinen Duft in ihre Nase. Ein leichtes Schmunzeln trat auf seine Lippen und reichte bis an seine Augen heran.
„Du das Geschirr, ich den Rest. Wenn ich richtig liege, sollten wir über einen Aufstieg, eine Leiter oder so etwas, hinaufkommen“, sprach er nur.
Freiya strahlte vor Freude.
Rasch hatte sie das Geschirr im Fluss gewaschen – nicht ohne ein Lächeln, weil sie sich gefreut hatte, dass ihm ihr Essen geschmeckt hatte –, während Ryu die Feuerstelle gesäubert hatte.
„Wie viel Holz haben wir verbraucht?“, fragte sie ihn, als sie wiederkam und Kessel samt Gestell und Geschirr wieder in der Kiste verstaute.
„Eine Stiege“, erwiderte er.
„Wie viele sind noch da?“
„Vier.“
„Wenn wir zurück sind in Tooshoo, werde ich Meldung machen, damit wieder aufgefüllt wird, sollte es nötig sein.“
Als alles erledigt war, zog sie schließlich ihre Stiefel wieder an und machte sich ihre Armschienen wieder um, bevor sie ihren Bogen schulterte. Dann verließen sie die Höhle und folgten der Felswand ein paar Schritte nach Norden, während Sandy Freiya folgte.
So nah am Gestein war der Turm über ihnen nicht auszumachen. Doch schnell fanden sie die Leiter, von der der Hauptmann gesprochen hatte. Breite hölzerne Stufen, die den Weg hoch in die Felsen ohne große Kletterei ermöglichten. Doch das Holz hatte schon bessere Tage gesehen, so war es glatt und an manchen Stellen bemoost. Ryu nahm die Leiter zuerst, gewohnt behände und schnell, als würde er auf ebenem Untergrund laufen. Freiya kletterte hinterher, eine protestierende Sandy über die Schulter gelegt, und griff für die letzten Stufen nach der Hand, die Ryu ihr anbot. Als sie schließlich neben ihm stand und die Beutelratte zu Boden setzte, kratzte der Hüter sich am stoppeligen Kinn, seine orangefarbenen Augen auf die Leiter gerichtet:
„Das Holz muss erneuert werden“, murmelte er.
Freiya nickte nur kurz, dann drehten beide sich um und ihre Blicke folgten einem Pfad, der tatsächlich zu einem Turm führte.
Staunend betrachtete Freiya das steinerne Bauwerk, das ganz klar schon bessere Tage gesehen hatte, aber noch intakt war. Der viereckige Turm hatte, wenn man es von draußen einschätzte, drei weitere Stockwerke über dem Erdgeschoss, erkennbar an den Fenstern und einem hölzernen, sich im Verfall befindenden Vorbau mit Schießscharten, die den Wachen, oder besser noch den Bogenschützen, gedient haben mussten, die Gegend zu überwachen. Was man von dort oben wohl für einen Ausblick haben musste?
Eine Treppe führte zu einer hölzernen Tür hinauf, an der Seite des Turms stand eine steinerne Bank, um deren Beine sich die wunderschönen blauen Blüten von wilden Akeleien wandten. Die hölzerne Tür hielt den Turm verschlossen. Hinter dem Turm erstreckte sich der Wald und der Wasserfall war zu hören.
Ryu blickte zu Freiya: „Was denkst du, Rote Snapperin, wollen wir uns das mal näher ansehen?“ Freiya nickte mit einem freudigen Lächeln.
Beide näherten sich der Tür, als diese mit einem Schwung aufgestoßen wurde und zwei Goblins hervor brachte! Ryu war sofort in Habachtstellung und hatte die Hand am Schwert, denn die beiden knurrenden und knarzenden Gestalten kamen geradewegs mit viel Geschrei auf sie zu. Doch … sie beachteten sie gar nicht?! Stattdessen wirkten die beiden so sehr mit sich und ihrem Gezeter beschäftigt, dass sie die beiden Menschen gar nicht zu bemerken schienen. Sie stürmten die Treppe herunter und an ihnen vorbei, dann wurde es ruhig und nur eine Kreatur von beiden schien zu sprechen. Plötzlich herrschte kurze Stille, dann ertönte ein Knarzen und mit einem Mal hob eine der Goblins einen dicken Ast vom Boden auf und begann damit auf den anderen einzuschlagen. Dieser ergriff schreiend die Flucht und so entfernte sich das zeternde Paar schließlich in den Wald.
Eine ganze Weile starrten Freiya und Ryu den Goblins hinterher, bis Ryu sich schließlich rührte und die Hand vom Schwert nahm.
„Was war denn das?“, sagte er verdutzt. Freiya blinzelte immer noch ganz verwundert.
„Gab wohl Ärger im Paradies“, sagte sie.
Er sah sie fragend mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Das waren ein Männchen und ein Weibchen, das war eindeutig ein Pärchen“, erklärte Freiya. Ryu blinzelte zunächst wortlos, dann öffnete er den Mund und formulierte langsam und skeptisch seine Frage: „Woher …“ Doch Freiya hob die Hand und winkte ab:
„Frag nicht. Ist eine wilde Geschichte, aber die erzähl ich dir lieber ein anderes Mal. Ich will mir den Turm ansehen, hoffentlich haben die beiden da drin nicht zu viel Schmutz gemacht!“
Ryu blinzelte erneut, dann aber nickte er:
„Gut, dann schauen wir mal rein.“
Sie betraten den Turm und brauchten ein paar Augenblicke, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Im Inneren des Gebäudes fanden sie vor allem hölzerne Kisten, deren Inhalt schon längst entweder Dieben oder der Zeit anheimgefallen war. Sie waren leer und zerschlagen. In der Mitte des Raumes, der innen größer wirkte als von außen, stand ein alter hölzerner Tisch. Darunter fanden sie das Lager des Goblinpärchens. Freiya rümpfte die Nase, hatte aber Hoffnung, dass die beiden Kreaturen sich vielleicht im Rest des Turmes gar nicht aufgehalten hatten. Und sie sollte Recht behalten. Ryu und sie gingen über eine schmale steinerne Treppe in das erste Stockwerk. Hier wirkte es direkt wohnlicher und abgesehen von einer dicken Schicht Staub auch sauberer.
„Das muss die Küche gewesen sein“, stellte Ryu fest. Sie erblickten einen kleinen Kamin und daneben sogar eine Kochstelle. Ein paar hölzerne Schränke standen da und Freiya machte einen Schritt auf den nächsten Schrank zu. Die Rothaarige öffnete die angelehnte Tür, als mit einem Mal eine dickes, fliegendes Etwas herausgeschossen kam, über ihren Kopf ein paar Runden drehte und durch eines der Fenster hinausflog.
Freiya hatte sich mit einem erschreckten Schrei hingehockt und die Hände schützend über den Kopf gehalten. Erst nach ein paar Augenblicken sah sie wieder nach oben. Ryu stand neben ihr, die Hand sachte auf ihren Schopf gelegt, die andere gewohnt am Schwertgriff.
„Alles in Ordnung?“, fragte er.
Freiya richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe auf.
„Ja, hab mich nur erschreckt“, sagte sie, verzog dann aber das Gesicht. „Mag Fledermäuse nicht mehr seit der Sache im Tempel bei der Wilden Jagd ...“
Ryu legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Rücken, da vernahmen sie ein Flügelrascheln. Ihre Blicke wanderte zu einem der Fenster und ein bernsteinfarbenes Augenpaar sah die beiden Menschen an. Freiyas Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln:
„Argo!“
Der Uhu raschelte kurz zur Begrüßung mit den Federn, blieb sonst aber entspannt im Fenster sitzen. Durch Ryus Hand im Rücken und dem Uhu im Sichtfeld beruhigte sich ihr klopfendes Herz schnell.
„Wollen wir uns die anderen beiden Etagen noch anschauen? Was denkst du bisher?“, wollte sie wissen. Da war er wieder, der Wunsch zu wissen, was er dachte.
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Richtung Weißaugengebirge, Ebene zwischen Sumpf und Bergen - Kiyan + Hjarti
Nebel lag über der Ebene, die zwischen dem Sumpfland von Tooshoo und den sich immer weiter auftürmenden Bergen des Weißaugengebirges lag. Der einäugige Jäger kannte die Gegend. Hier hatte er einen Warg gejagt. Die linke Hand fuhr über das Fell, dass ihm ein Lederwerker in Tooshoo zu einem Umhang gearbeitet hatte. Einen Moment blieb die Hand - rau und schwielig, gar nicht mehr die eines Kaufmannes – an der Brosche haften, die ihn schloss. Ein fein gearbeiteter Hammer. Wie so oft, wenn er das Schmuckstück berührte, dachte er an die Frau, der er es hatte schenken wollen. Der er es schenken wollte, so Adanos‘ Wirken dafür sorgen würde, dass sich ihre Wege erneut kreuzten.
„Verträumt, Gortharer?“
„Ja, Nordmarer.“
Hjarti grinste den kleineren Mann breit an. „Ich konnte dich schon lange genug beobachten, mein Freund“, begann er, „Ich habe gesehen, wie Turya sich an dich rangeschmissen hat. Immer mal wieder, wenn sie auf dich trifft. Deine schwächliche Gestalt, dafür aber vernarbt und einäugig … diese Mischung scheint wohl Frauen zu gefallen, die es schwer haben bei Männern …“
„Leck mich, Großer.“
„… aber dieses Ding“ – er deutete auf die Brosche – „… da kriegst du einen fast sehnsüchtigen Ausdruck im Gesicht. Einen, für den Frauen wie Turya morden würden, weil er so selten, so rein, so ehrlich ist.“
Das Einauge lachte kurz. „Sieh an, Hjarti, an dir ist ein verdammter Skalde verloren gegangen. Holst du gleich noch deine Klampfe hervor und trällerst ein paar Reime? Vielleicht lockt der Gesang ja den Bären an, weil er denkt, hier verendet ein heiserer Elch.“ Der Hüne lachte ebenfalls, wurde dann aber wieder ernst.
„Habe ich recht?“
„Ja, verdammt. Aber das ist egal. Los, wir pirschen jetzt schon seit einer Woche hinter diesem Bären her. Es kann doch nicht so schwer sein, so ein massiges Vieh hier oben zu finden. Ist ja nicht so, dass es hier Wälder gibt. Steine, Gräser, Schluchten. Weiß Adanos, dass wir jede beschissene Schlucht abgesucht haben.“
„Bären leben in Höhlen.“
„Ach, Bärenkundler und Skalde. Na, sieh mal an, Hjarti, hast du an der Universität vom Wolfsclan studiert?“
Nun lächelte der Nordmann fast schon ein wenig herablassend. „Nein“, antwortete er freundlich, „Ich habe in Nordmar schon Bären gejagt, als ich noch so klein war wie du. Das Biest wird hier irgendwo seine Höhle haben.“, schloss er und blickte sich um. „Wo ist dein schwarzer Unglücksbringer?“
„Kor’ha ist keine Unglücksbotin, Hjarti“, erwiderte Kiyan sofort, fast etwas wütend, „Lern mal deine Mythologie richtig kennen. Euren Ahnen dienten sie oft als Boten und Wissenshüter. Es gab da mal einen Ahnenkönig … einäugig, begleitet von zwei Raben … mir ist der Name entfallen …“
„Dann war er wohl nicht so wichtig.“, beendete Hjarti das Thema. „Wo ist das Federvieh?“
Als hätte die Rabin auf diese Frage gewartet, schoss sie heran und so nah an Hjartis Kopf vorbei, dass die schwarzen Federn ihn streiften. Er verjagte sich kurz fluchend, ehe er grummelnd zusah, wie die Rabin auf Kiyans Schulter landete.
„Na, meine Schöne?“, der Jäger fischte einen Streifen Fleisch aus einer Umhängetasche. Die Rabin verschlang ihn und klackerte zufrieden mit dem obsidianfarbenen Schnabel. Dann wandte sie den Kopf in Richtung eines Pfades, der weiter hinauf ins Gebirge führte. Mehrmals hob sie den Kopf, als würde sie dorthin deuten.
„Der Bär?“, fragte Kiyan.
Ein kurzes Krähen.
„Du redest mit einem Vogel.“, Hjarti räusperte sich.
„Mit dir rede ich ja auch, also ist das keine große Umstellung“, Kiyan grinste, „Wobei, Gespräche mit Kor’ha sind anspruchsvoller, das stimmt.“ Die Rabin krähte bestätigend, stieß sich ab und erhob sich flügelschlagend, flog in Richtung des Pfades und kreiste an dessen Beginn in der Luft.
„Na dann, vertrauen wir dem Vogel. Vielleicht ist ja an eurer Freundschaft mehr dran, als mir bewusst ist.“
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Das Felsennest Niradh
„Nördlich von hier verläuft ein Fluss“, meinte Zarra und hielt kurz beim Gemüseschneiden inne. Vareesa hingegen war wieder an völlig anderen Orten mit ihren Gedanken und Überlegungen. Dieses Gefühl, welches Maris so passend beschrieben hatte, von einem Fluss, wollte sie sich um jeden Preis einprägen. Wenn man in einer Lage wie ihrer saß, nicht wusste, was richtig und falsch von der Hand ging, war es unglaublich wertvoll, zu merken, wann das Gefühl richtig war. Wann sich der Fluss der Magie gleich anfühlte wie zuvor. Ähnlich wie beim Kochen. Die Bognerin war nun wirklich nicht das, was man eine Meisterköchin nennen konnte, doch wusste sie, wie sie ihr Fleisch gewürzt mochte. Wusste, wie es schmecken musste, um nicht zu scharf, aber auch nicht zu lasch zu sein. Und so war es mit der Magie. Erinnerungen halfen. Einen Durchbruch hatte der Mann der Wüste das also genannt. Und irgendwie war es das auch. Jener Tropfen, der dem Durstigen bewusst machte, dass es da draußen noch Wasser gab. Und wenn die Magie wirklich mehr ein Teil von ihr, statt der Fluch, den sie immer darin gesehen hatte, war …
Wurde sie beobachtet? Die Kapuzenträgerin blickte auf und blinzelte, bemerkte den Blick ihres Lehrmeisters und ihrer Mitschülerin auf sich. Das Messerspiel zwischen den Händen war beeindruckend gewesen. Es erinnerte sie ein wenig an die Zeit, als sie, an den seltenen freien Tagen in der Hauptstadt, versucht hatte, in den Tavernen zu kellnern. Allerlei Gesocks hatte sich dort herumgetrieben, Kunststückchen mit ihren Messern veranstaltet und nicht selten hatte der ein oder andere einen Finger beim Wetten verloren. Nicht etwa aufgrund von Wettschulden, sondern weil es beim ‚Zwischen den Fingern stechen‘ eben doch mal den ein oder anderen Finger erwischt hatte. Aber wie Maris so mit dem Kochutensil umgegangen war … Es untermalte nur seine Worte. Worte, die jedweden, inneren Widerspruch verstummen ließen. Schließlich wusste Vareesa selbst anhand des Lichtzaubers, dass solche Dinge einem ins Blut übergingen. Blut … die Bognerin seufzte stumm in sich hinein und schaute dann noch einmal zwischen ihm und Zarra hin und her. „Wir brauchen Wasser für den Eintopf.“, wiederholte der Löwe.
Langsam realisierend, dass diese Aufgabe wohl, dem Fokuswechsel zwischen sich und Zarra nach feststellend, dass diese Aufgabe wohl den beiden zufallen würde. Sie nickte langsam und blickte dann zu ihrer Mitschülerin. Sollte sie weiterhin versuchen, ihr gegenüber die liebe Schwester zu sein die sie nie hatte? Oder ihr die Wahl lassen zu entscheiden, wann sie bereit war, sich ihr mehr zu öffnen? Der Entscheid für letzteres kam mit einem leisen Schnauben, wie man es machte, bevor man aufstand und sich auf den Weg machte.
„Wir nehmen den Topf direkt mit. Sollte nicht schaden, das Ding ein wenig sauber zu machen. Flugrost im Eintopf schmeckt schlimmer als das Hafenwasser von Vengard. Willst du dich noch umziehen, Zarra? Irgendetwas mitnehmen?“
Vareesa nickte sachte zu dem Bündel, welches der gefiederte Bote gebracht hatte. Ihr war nicht entgangen, dass es die Lehrlingskleidung der Druiden war. Nur schwach erinnerte sie sich an das Gefühl, eine ähnliche Montur besessen zu haben. Aber das Reisen und die Beschwerlichkeiten der Wildnis hatten, bis auf den Rest der Schärpe der gut verstaut in der Bognerei lag, seinen Tribut erfordert. „Ich … warte vorne auf dich“, meinte sie, stand auf und packte den Topf. Dann ging sie herüber zum Abwärtsgang und legte noch einmal die Hand an den Felsen. „Nur nicht vergessen…“
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Fluss nördlich von Niradh
„Warte Vareesa!“, rief Zarra ihrer Mitschülerin nach, die bereits aus dem Nest getreten war und sich an den Abstieg gemacht hatte.
Eilig griff sie das Bündel, zu dem sie die Kleidung eines Lehrlings wieder gebunden hatte und eilte hinaus. Dass sie sich an den Flusslauf erinnerte, lag vor allem daran, dass sie den Geruch des Wassers und die Fährte des Dachses nicht vergessen hatte, der sie gedrängt vom animalischen Instinkt der Wolfsseele gefolgt war. Ihr kam wieder in den Sinn, wie sie das arme Wesen in seinem Bau getötet hatte und ein Stich des Bedauerns durchfuhr ihr Herz, als sie zu ihrer Schwester aufschloss.
„Wir müssen in die Richtung, es ist allerdings ein Stück“, warnte die Weißhaarige und wartete, dass Vareesa sich vom Felsen löste, auf den sie ihre Hand gelegt hatte.
Der Topf, den sie in der anderen hielt, war tatsächlich etwas rostig und wer wusste schon, wann er das letzte Mal richtig gesäubert worden war? Auch einige verbrannte Überreste klebten noch auf dem Boden des eisernen Behälters.
Für eine Weile schien es, als wollte keine von ihnen ein Gespräch beginnen. Zarra war sich sicher, dass es daran lag, wie sie reagiert hatte, als sie beim Iltis versagt hatte oder aber es lag daran, dass sie versagt hatte. Sie kannte das Gefühl, wenn Menschen sich von ihr abwandten, doch die grünsträhnige Frau wirkte nicht wie jene, der sie keine Tränen mehr hinterherweinte.
„Ehm“, startete sie eloquent einen Versuch das Schweigen zu durchbrechen, „Wir sollten einige Birkenblätter sammeln.“
Fragend schaute die Bognerin sie an.
„Für den Topf“, konkretisierte die junge Frau und nickte bekräftigend.
„Für das Essen?“, fragte Vareesa sichtlich verwirrt.
„Nein, nein. Entschuldige. Aus Birkenblättern machen die Waschfrauen in Schwarzwasser Seife. Zwar nicht nur, aber weiter nördlich gibt es jede Menge Moor-Birken.“
„Aber brauchen wir nicht auch Talg?“
„Normalerweise ja, wenn man ein Stück Seife haben will. Aber wir können die Blätter einfach feste gegen den Topf reiben bis es schäumt. Vielleicht kriegen wir so auch das Eingebrannte weg.“
Diesem Beschluss folgend, pflückten die beiden behutsam einige Blätter von den Birken, auf die sie weiter nördlich stießen.
„Benutzt du auch Birken für deine Bögen, Schwester?“, fragte Zarra, während sie sich fragte, was man noch alles aus diesen Bäumen machen konnte, „Außer Seife kann man die Blätter und den Saft nämlich auch nutzen, wenn jemand schmerzende Gelenke oder steife Finger hat.“
Pflanzen, ein Thema, welches ihr am Herzen lag und wo sie sich auskannte. Nicht so gut, wie ihre Großmutter, doch sie lernte auch noch und würde schon bald selbst Sude und Tinkturen mischen, wenn sie sich sicher genug fühlte. Was sie wohl noch alles erfahren würde? Vorfreude darauf neue Pflanzen auszuprobieren, die sie nicht hier im Gebiet um Tooshoo finden konnte, hoben ihre Stimmung. Sie schaute auf die Leinenbinden an ihren Unterarmen und grinste in sich hinein.
Oma wird sicher wieder schimpfen, wenn ich an mir selbst experimentiere.
Am Fluss angekommen, hockte Zarra sich hin und hielt ihre Hand zu Vareesa hoch, die ihr den Topf gab.
„Schau, ich fülle etwas Wasser in den Topf und reibe eine Handvoll Birkenblätter über den Boden. Gleich sollte es schäumen!“
Und tatsächlich bildeten sich bald Luftbläschen um die Blätter und ein öliger Schaum entstand, an dem der Rost und Schmutz haften blieb. Auf diese Weise löste sich sogar ein Großteil des Eingebrannten, wenn auch nicht alles. Auch der Ruß von der Unterseite hielt sich hartnäckig, aber das sollte kein Problem darstellen.
„Jetzt noch auswaschen“, murmelte die junge Frau und ließ etwas Flusswasser durch den Topf laufen.
Danach nahm sie neue Birkenblätter und wusch sich selbst die Hände mit ihnen.
„Könntest du kurz aufpassen?“, fragte Zarra ihre Schwester, „Ich würde gern kurz die Kleidung anziehen, die Ornlu mir geschickt hat. Ich wollte das nicht in Maris‘ Nähe machen.“
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Fluss nördlich von Niradh
Eher schweigsam hatte die Bognerin ihrer weißhaarigen Schwester zugehört und -geschaut. Kräuter und Pflanzen waren wohl wirklich ihr Ding. Kurz dachte Vareesa an Sechet und ihre Bitte, ihr die Pilze und Pflanzen zu bringen nach denen sie verlangt hatte. Durch den so vorschnellen Aufbruch hatte sie kaum Zeit gehabt, irgendetwas davon zu sammeln. Aber vielleicht während der Reise? Ob das Zeug das aushalten würde? Nun, bestimmt würde sich etwas für die Rückreise ergeben! Schließlich wollte die Fels-, nein, Sumpfnatter ihrer Gastgeberin ja das ein oder andere über die Zubereitung von Gegengiften und die Eindämmung jener schädlicher Substanzen beibringen. Was auch immer ihr half.
Doch kaum gedacht, schien die Kleine auch schon mit der Arbeit fertig zu sein und Vareesa staunte nicht schlecht, als der zuvor noch schäumende Topf, verhältnismäßig, in neuem Glanz erstrahlte. „Birke also“, murmelte sie nachdenklich und legte den Kopf schief, ehe sie Zarra dann zunickte. „Sicher. Ich passe auf.“
Ein Augenblick verging, indem sich die Bognerin auf einem umgestürzten Stamm niedergelassen und die Umgebung im Blick behalten hatte. „Birken sind sehr vielseitig, Zarra“, begann sie schließlich, stemmte sich rückwärts auf die ausgestreckten Hände und blickte gen Baumkronen. „Von der Rinde bis zum Holz – ein fantastischer Baum! Zäh, elastisch und trotzdem hart genug, um einen Pfeil abfeuern zu können ohne zu brechen. Hachja … Würden die blöde Astreinigung nicht so lange dauern, wäre es viel einfacher an geeignete Stücke zu kommen. Aber so bleibt immer noch die Rinde zum Umwickeln und auch den Köcherbau. Wusstest du, dass sie ihre Bögen im alten Varant mit Rinde umwickelt haben, um den Hornanteil vor dem Feind unkenntlich zu machen? Damit niemand rausfinden konnte, wie die Dinger ge…“, doch Vareesa hielt inne, als ihr Blick über die Schulter auf Zarra fiel. Dort saß doch tatsächlich eine riesige Libelle auf ihrem nackten Rücken. Nein, halt. Das war keine Libelle, oder? Die meerblauen Augen blinzelten drei Mal ungläubig und egal, ob sie den Kopf links oder rechts neigte: Die Libelle bewegte sich lediglich mit Zarras Bewegungen. Als wäre sie Teil des Körpers ihrer Mitschülerin. Dann war das also …?
„Ist was?“, gab die Weißhaarige zurück, die noch mit ihrer Kleidung beschäftigt war. Vareesa schürzte die Lippen und zog etwas die Brauen zusammen. „Gebaut sind“, beendete sie den letzten Satz und drehte sich dann auf dem Baumstamm ein wenig mehr in die Richtung der jungen Rimbe. War es angebracht zu fragen? Sie war gerade dabei, aufzutauen mit ihrer Zurschaustellung ihres Pflanzenwissens. Im Kampf mit der inneren Neugier wandte die Kapuzenträgerin schließlich wieder den Blick in die Umgebung. „Und, so von Expertin zu Expertin: beim Waldvolk laufen ja einige mit Tätowierungen herum. Verwendet man dafür in Schwarzwasser auch Pflanzensäfte? Weißt du da was? In den Städten verwenden sie ja in der Regel Tinte.“
Es schauderte die Bognerin bei dem Gedanken daran, dass manche Quacksalber auch einfach mit wer-weiß-was verdicktes Kohlewasser genutzt und damit die ein oder andere ehemalige ‚Kollegin‘ über kurze Zeit vergiftet hatten. Aber von diesen Horrorgeschichten wollte die Bognerin nun wirklich nicht erzählen. Abgesehen von der Ironie, dass sie nun selbst eine Form von Gift in den Adern trug. Stattdessen warf sie noch einmal einen verstohlenen Blick auf den Rücken Zarras. Wie kam so ein junges Ding nur zu so einer … Markierung? Und welcher Künstler verstand dieses Handwerk so gut, ein so lebendig wirkendes Wesen in die Haut, insbesondere den empfindlichen Rückenteil eines Menschen zu bannen? Sie wollte fragen. Aber das wäre vermutlich zu vermessen… oder?
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Ihre Kleidung abgestreift und nur in ihrer Unterbekleidung am Ufer des Flusses sitzend, machte sich Zarra keine Gedanken darüber, dass Vareesa ihre Narbe sehen konnte. Sie war bloß froh, dass sie aus dem unpraktischen Kleid herauskam und stattdessen etwas anziehen konnte, was sich für das Wandern durch den Sumpf besser eignete. Das Wams und die Hose waren grob, aber gut verarbeitet und boten etwas Schutz gegen die Feuchtigkeit. Die Schärpe war schmucklos, aber von feinerer Machart und da sie nicht so recht wusste, was sie damit anfangen sollte, schlang sie sich das längliche Stück Stoff zweimal um die Körpermitte und nutzte es als eine Art Gürtel, an dem sie ihre Kräutertasche und Sichel befestigen konnte.
Währenddessen lauschte sie, wie die Bognerin über ihre eigene Leidenschaft sprach. So wie die Weißhaarige zuvor, schien auch sie in ihrem Element zu sein und darin aufzugehen. Es war spannend Leuten zuzuhören, die über ihr Handwerk sprachen und man konnte sogar noch etwas dabei lernen, wenn man aufmerksam genug war.
„Wieso wollten die Varanter den Hornanteil ihrer Bögen verbergen?“, fragte sie, als sie sich keinen Reim auf diese Kuriosität machen konnte.
Spielte es eine Rolle, ob ein potentieller Feind wusste, wie die Waffen des Gegners gefertigt worden waren? Dinge, die für die Druidenanwärterin bisher nie auch nur ein Gedanke wert gewesen war, schienen plötzlich ihr Interesse zu wecken, selbst wenn sie keine Ahnung hatte, was dieses Wissen ihr einbringen würde.
Die seltsame Pause im Redefluss Vareesas ließ Zarra nach hinten schauen, wo ihre Begleiterin auf einem Baumstumpf saß und sie beobachtete.
„Ist was?“, fragte sie, doch bekam keine Antwort.
Viel mehr wechselte sie plötzlich das Thema und erkundigte sich, ob bei Tätowierungen auch Pflanzensäfte genutzt wurden, explizit in Schwarzwasser oder auch beim Waldvolk.
„Nicht, dass ich wüsste“, gab die Weißhaarige nachdenklich zurück, „Man könnte vielleicht die aus Blüten eine Farbe machen, die man zum Tätowieren nutzen kann, aber ob das wirklich funktionieren würde…keine Ahnung.“
Ein interessanter Gedanke. Auf diese Weise könnte man sich dauerhaft bunt bemalen, was sicher lustig wäre, wenn man sich nicht irgendwann daran satt sähe. Doch woher die plötzliche Frage?
„Fragst du mich, weil du meine Narbe gesehen hast? Maris und Runa haben auch schon danach gefragt“, erkundigte sie sich, nachdem das Kupferstück endlich gefallen war, „Es ist eine Familientradition. Sagt jedenfalls meine Oma. Sie war es auch, die sie mir eingeätzt hat. Mit Blutfliegengift. Aber anscheinend sieht es gar nicht aus wie eine Narbe und was die andern beiden sagten, passt nicht so wirklich zu den künstlerischen Fähigkeiten meiner Omi“, gab sie zu und wurde wieder nachdenklich.
Es würde wohl noch eine ganze Weile ein Mysterium für sie bleiben, weshalb die Libelle auf ihrem Rücken als so lebensecht wirken sollte. Und unweigerlich kam ihr der Tiergeist in den Sinn, den Maris aus diesem Mal beschworen hatte.
„Weißt du, ähnlich wie die Schlangen auf deinen Unterarmen, hat Maris einen Libellengeist aus meinem Rücken beschworen. Es tat nicht mal weh, obwohl die Narbe über ein Jahr lang immer wieder verdammt doll geschmerzt hat. Irgendwie scheint auch meine Magie instinktiv dahin zu wandern, wann immer ich nicht aufpasse.“
Endlich vollständig gekleidet und ihre alten Klamotten zusammengebunden, war sie bereit für den Rückweg.
„Wollen wir zurückgehen? Ich bekomme langsam wirklich Hunger und Maris meinte, er sei ein guter Koch. Da bin ich sehr gespannt drauf!“
Der Rückweg verlief deutlich weniger schweigsam, als der Hinweg und Zarra bekam das Gefühl, dass Vareesa sie nicht dafür verurteilte, was mit dem Iltis geschehen war. Sie konnte ihre Erleichterung darüber kaum in Worte fassen, doch die Freude darüber wollte sie dennoch mit ihrer Schwester teilen.
„Weißt du? Ich dachte, du würdest dich über mich ärgern. Wegen dem Iltis. Ich weiß nicht warum, aber ich wurde von so vielen Eindrücken überfallen, als ich meine Magie mit ihm verknüpft habe, dass ich…überwältigt war. Ich bin froh, dass ich mich geirrt habe…Schwester“, äußerte die Weißhaarige ihre Gedanken, während sie die natürlichen Stufen zum Inneren Niradhs erklommen.
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Richtung Weißaugengebirge, Ebene zwischen Sumpf und Bergen - Kiyan + Hjarti
Die beiden Männer legten eine Rast ein, die Kor’ha mit einer vogeleigenen Verstimmtheit aufnahm, die sich in einem völligen Ignorieren jeglicher Bestechungsversuche Kiyans zeigte. Jeder Ruf, jedes Hinhalten von Fleischstücken blieb unbeantwortet, ja, fast schien es, als würde die Rabin hochmütig ihr Haupt zur Seite drehen, als wäre all das Betteln unter ihrer Würde.
„Eingebildetes Federvieh“, knurrte Hjarti, während er wie ein Wolf an einem Streifen Trockenfleisch riss. Kiyan funkelte ihn mit dem verbliebenen, eisblauen Auge an, ehe er wieder zu Kor’ha blickte.
„Du willst, dass wir weiterziehen, meine Hübsche?“, fragte er laut, was den Nordmarer den Kopf schütteln ließ.
„In meiner Heimat werden Bekloppte, die mit Tieren reden und keine Druiden sind, im Stall an einen Pfosten gebunden und kriegen ein Stück Kohle, um damit wirre Zeichen aufs Holz zu kritzeln.“ Der Hüne ließ den Zeigefinger der rechten Hand an seiner Schläfe kreisen.
„Und in meiner Heimat werden Idioten wie du benutzt, um ebenjene Stallpfosten in den Boden zu hämmern“, gab Kiyan giftig zurück. Auch Kor’ha krähte empört. Dann sah die Rabin in Richtung eines Hohlweges, der sich immer weiter in eine Schlucht vertiefte. Hjarti sah ebenfalls dort hin, die Augen zusammengekniffen. Er stand auf, überwand einige Meter und begutachtete in der Hocke das Heidekraut und kurze Gras dieser Gegend hier.
„Na, dass mich doch …“, murmelte er gut hörbar.
Kiyan grinste über beide Ohren und sah zu seiner Gefährtin hin. Er streckte sich, ächzte dabei übertrieben und laut, gähnte dann ebenso aufgesetzt. „Ach ja, Großer, was gefunden? Zufällig, mh … eine Bärenspur?“
„Scheiße.“
„Wie bitte?“
„Bärenscheiße.“
„Ha!“, lachte der einäugige Jäger triumphierend, erhob sich nun ebenfalls und stemmte in einer Karikatur der üblichen Haltung des nordmarischen Waldläufers die Hände in die Hüfte. „Nie wird dein schwarzer Unglücksbote was finden, Kiyan. Wir sollten sie aufspießen und braten, Kiyan. Ich bin Hjarti, ich kann einen Schattenläufer im Schneesturm am Geruch seines Furzes verfolgen, Kiyan!“
„Schnauze!“, zischte der Hüne. Kiyan sah, dass er seinen Speer fest packte. Der Gortharer kam näher, räusperte sich.
„Herje, ich … das war ein Spaß …“, begann er, aber der andere Mann hob die Hand.
„Wir haben die Spur des Bären“, bestätigte er, „Aber leider auch eine andere Spur, … nun, es ist der Abdruck von Füßen.“
„Von Stiefeln, meinst du …“
„Nein, Füßen. Größer als die eines Menschen.“ Er wandte den Kopf, blickte Kiyan über seine Schulter an. „Orkisch.“
Nun wich jegliches dumme Grinsen aus den Zügen des Jägers. Er versteifte sich. Die Toten in dem kleinen Jägerversteck im Orkwald. Die Knochenhexe … Beliars Hauch. Seine Schandtat, seine Verbrechen. Orchestriert durch einen Ork. Kiyan war, als müsse er einen Felsbrocken schlucken, so schwer fiel es ihm. Das kurze Aufflackern der Panik verschwand. Kalter, reiner Hass trat an seine Stelle.
„Worauf warten wir?“, fragte er gepresst. Kor’ha spürte den Gemütswandel. Sie segelte von dem Stein, auf dem sie gehockt hatte, landete auf seiner Schulter. Linderte ein wenig – Adanos alleine wusste wie – den Zorn. Aber nicht ganz. Hjarti sah ihn einen Moment lang an, dann lächelte er wölfisch.
„So gefällst du mir, Gortharer. Folgen wir dem Ork. Erst töten wir ihn und dann jagen wir den Bären. Das wird eine Geschichte, sag ich dir.“
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