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Richtung Weißaugengebirge, Ebene zwischen Sumpf und Bergen - Kiyan + Hjarti
Ein einfaches Spiel Stein-Schere-Pergament hatte Kiyans Schicksal besiegelt. Jedweder Versuch einer Diskussion mit Hjarti war zum Scheitern verurteilt, nachdem er eine Rede voll Pathos über den Wert, den Nordmarer dieser Art der Entscheidungsfindung beimaßen. Es galt als ganz und gar ehrlos und feige, nach einem ehrlichen Spiel den Schwanz einzuziehen. In der langen Geschichte dieser kalten, blutigen Region hatte es genug Tote gegeben, die sich haben drücken wollen. Nun, heutzutage nicht mehr, da die Myrtaner etwas Ordnung in die raue Gegend gebracht hatten. Aber noch vor Jahren war Feiglingen und Verrätern eine Bestrafung namens Blutadler zuteilgeworden, über die sich Hjarti aber ansonsten ausschwieg.
Am Ende hatte Kiyan die Hände gehoben, den Hünen abgewiegelt und ihm geantwortet: „Bei Adanos, noch eine Minute einer nordmarischen Rede und ich gehe sogar unbewaffnet da rein, um garantiert den Tod zu finden!“
Das hatte Hjarti zwar etwas getroffen, aber zumindest war ein Nebeneffekt dieser Folge Schweigen gewesen. Also hatte Kiyan nur grinsend genickt, geschluckt, ein Stoßgebet an den Gott des Gleichgewichts gesandt und sich in die Höhle des Löwen aufgemacht. Oder wohl eher: Bären. Ork? Bärenreitenden Ork? Nun, irgendwas würde er dort drin schon finden.
Nur hoffentlich nicht den Tod, dachte er bei sich und verschwand im dunklen Schlund.
Ein geschickter oder talentierter Leisetreter war Kiyan nie gewesen. Das hatte er nie gelernt. Aber langsame, vorsichtige Schritte brachten ihn immer tiefer voran. Eine Hand trug das Langschwert. Der Speer lag draußen. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass der Gortharer im Fall der Fälle wie von der Blutfliege gestochen aus der Höhle rennen würde, hoffentlich schneller als der Bär oder Ork oder beide. Das war zwar ein absolut hirnrissiger Plan, aber besser als umzukehren und unverrichteter Dinge zurückzukehren.
Als Kiyan tiefer in die Höhle vordrang, sah er um eine Biegung den Schein einer Fackel. Er verzog das Gesicht, hielt an. Lauschte. Kein Bärenschnauben oder andere, nun, Bärengeräusche. Er bewegte sich näher an die Biegung. Ein Ächzen, Zischen zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ein dumpfer Schmerzenslaut. Nun, scheinbar hatte der Ork überlebt. Kiyan verstärkte seinen Griff ums Heft des Schwertes, atmete leise ein und aus, versuchte das wie wild rasende Herz zu beruhigen. Dann wagte er einen Blick um die Ecke.
Der Bär war tot. Die Steinaxt des Orks, für Kiyan nicht einmal im Traum zu heben, hatte ihm den Schädel zertrümmert und Blut, Hirn und Knochenstücke über den Höhlenboden verteilt. Die Bestie hatte dem Ork zuvor jedoch in bestem Wissen und Gewissen den Brustkorb zertrümmert und zerfetzt. Die übergroße Kreatur lehnte an der Felswand und starb. Der Blick aus bernsteinfarbenen Augen richtete sich auf den Menschen, der dort mit offenem Mund um die Ecke starrte.
„Ein morra … Der Schö- … Schöpfer muss mich wahrlich hassen.“
Im Näherkommen besah sich Kiyan den sterbenden Ork von Kopf bis Fuß. Er trug Kleidung, die weit zivilisierter als die der hiesigen Orks war. Gegerbtes Leder, Fell, sogar Metallplatten, die auf den Schultern lagen. Die Kreatur grinste, zeigte seine Hauer.
„Das … geht runter wie Öl, nicht wahr?“, fragte der Ork in der Sprache der Menschen, „Einen … einen meiner Rasse so sterben zu sehen.“
Kiyan verstaute das Langschwert, kam näher und lachte trocken. „Am Ende des Tages ist es zumindest mir egal, wie Angehörige deine Rasse krepieren, Ork.“ Er hob seine Schultern.
Der Ork schnaubte belustigt, blickt dann aber lange und nachdenklich. Er räusperte sich, wobei Blut über seine wulstigen Lippen tröpfelte. „Ich … meine oraks sind in eurer Ruinenstadt im … im Osten. Wenn … wenn du mich zu ihnen bringst“ Der orkische Jäger schluckte schwer. „Wir waren euch Menschen immer gute Zahlmeister. Sie würden dich entlohnen …“
„Mit einem Eisenband um den Hals? Einer Leine? Danke, nein, Ork. Ich verzichte.“ Kiyan schlenderte zu dem erlegten Bären. „Aber die Beute hier gebührt dir zur Ehre, Ork. Wir waren dem Bären auf der Spur. Hätte ein nettes Festmahl abgegeben, wären wir dir zuvorgekommen.“ Der Jäger lachte kurz. „Na ja, wird er immer noch. Du wirst ihn ja schlecht wegtragen können, nicht wahr? Nein, ich schätze du wirst ihm bald in die ewigen Jagdgründe nachfolgen.“
Der Ork spuckte aus, fluchte auf orkisch. „Ihr morras …“
„Spar dir dein Gerede, Ork. Deinen Atem. Ich war … einige Zeit ein … ja, nun, Sklave einer eurer Schamanen. Ein netter Zeitgenosse. Hat mir gezeigt, wo die Grenze meines Geistes ist, wo der Punkt ist, an der er zerbrechen kann.“
Kiyans Hand lag am Schwertknauf, dann lächelte er. „Das wäre zu leicht, nicht wahr? Nein, ich möchte … sehen wie viel einer von euch aushält.“ Seine Finger wanderten am Gürtel entlang zum Jagdmesser, welches er zum Ausweiden nutzte.
„Dein Pech, dass ich es war, der dich gefunden hat, Ork.“
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Richtung Weißaugengebirge, Ebene zwischen Sumpf und Bergen - Kiyan + Hjarti
Als es endlich erledigt war, wurde die warme Stille der Höhle nur von Kiyans Atem durchbrochen. Er wischte die besudelte Klinge an der nicht minder blutgetränkten Kleidung des Orks ab und besah sich ohne Stolz, aber auch ohne Scham sein Werk. Der Ork hatte lange durchgehalten, Kraft war ihm aber nach dem Kampf mit dem Bären nicht mehr wirklich geblieben.
Einen Sterbenden zu foltern, die leise Stimme der Reue machte sich bemerkbar, was würde Hjarti dazu sagen, könnte er dich nun sehen?
Der Gortharer schnaubte abfällig. „Ich pfeif auf sein nordmarisches Gerede von Ehre“, knurrte er in die Stille, „er und seinesgleichen sind mit den Orks nicht minder zimperlich umgesprungen.“
Er spuckte aus, um den Geschmack im Mund loszuwerden, schaffte es aber nicht.
„Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Bruder“, an der Wand neben dem Toten kauerte der Verbrannte. Geschmolzene, angesengte Kleidung, Schmuck, der nun teil der verkohlten, stellenweise aufgerissenen Haut war, unter der jedoch nicht mehr hellrotes Muskelfleisch lag, sondern die verfaulende Masse eines Kadavers, der schon Monate in diesem Zustand verbrachte. „Aber das ist ein kleiner Preis für ein bisschen Rache, nicht wahr?“ Die Augen waren noch intakt, was das grausige Bild noch schrecklicher machte. Es waren die Augen seines älteren Bruders, des Erben der Kaufmannsfamilie Calveit.
„Er und seinesgleichen haben dich nicht getötet, Bruder“, antwortete Kiyan. „Das weißt du. Es war Barenzia, der …“ Er schluckte schwer. „Dieser …“
Seine Hände zitterten, das Messer fiel scheppernd auf den Höhlenboden. Krampfhaft verschränkten sich seine Finger, griffen zu, als wäre da nur der Wunsch, die Knochen zu brechen. Er hörte das Zischen von glühendem Metall auf Haut. Roch … roch den süßlichen Duft. Spürte die reißenden, schneidenden Klingen. Und dabei Salvaro Barenzias Stimme, der mit einer Verve seine Arbeit erklärte und begründete.
„Ihm, Bruder“, keuchte Kiyan und sah mit fiebrig blauem Auge zu dem verbrannten Phantom. „Ihm gebührt der Tod. Irgendwann. Und wenn ich dafür ganz Gorthar niederbrennen muss, jeden töten muss, der sich mir entgegensetzt. Nach der Mine habe ich Frieden gesucht und gebraucht … aber du bist der Beweis, dass es ihn erst gibt, wenn Barenzia und seine Auftraggeber tot sind.“
Der Verbrannte lächelte stolz, nickte. Dabei riss verkohlte Haut wie Papier.
„Ja, Bruder“
Das eisblaue Auge blickte kalt auf den toten Ork. „Und wenn auf dem Weg zu diesem Ziel noch ein paar von diesen Bastarden hier sterben“, achtlos trat er gegen die Leiche, „Dann tue ich der Welt sogar noch einen Gefallen.“
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Richtung Weißaugengebirge, Ebene zwischen Sumpf und Bergen - Kiyan + Hjarti
Das Flattern von Flügeln, ein schwarzer Schemen, der ins Licht der Fackel hüpfte und dann mit einem kurzen Satz auf die Schulter des Jägers. Der Verbrannte, der eben noch dagestanden hatte, war hinfort geweht wie Staub im ewigen Herzen der Wüste Varant. Wahrlich, Kor’has Einfluss auf seinen Geist, seine Psyche war immens.
„Na, Hübsche“, Kiyans Stimme klang heiser, bitter und fast etwas reumütig, „Alles gut. Das hier ist erledigt.“
Ein leises Krahen, ein Gurren und Schnabelklackern. Der schwarzgefiederte Kopf berührte kurz den des Menschen, dann wandte er sich um, als Schritte zu hören waren, Stiefel auf dem staubig-steinigen Boden der Höhle.
„Bei den Ahnen“, entfuhr es Hjarti, der die Szenerie im Fackelschein betrachtete. „Ich hatte … die Schreie des Orks gehört. Du hast ihm ja einen guten Kampf geliefert, wie es scheint.“ Sein Blick blieb am Bären mit dem zertrümmerten Schädel hängen. Dann sah er wieder zu dem Gortharer. Der schüttelte den Kopf.
„So gut bin ich dann auch wieder nicht“, stellte er klar, „Das war unser Freund hier.“
Achtlos stieß er den Toten mit dem Stiefel an. „Am Ende war ich gezwungen, ihn mit dem Messer aufzuschlitzen.“ Das eisblaue Auge blitzte. „Hat sich ordentlich gewehrt. Aber am Ende hab ich’s ihm gezeigt. Das war’n Gemenge, sag ich dir.“
Der Jäger wusste nicht, ob Hjarti bemerkte, dass die Wahrheit wesentlich weiter von den Worten entfernt war wie Varant vom ewigen Eis. Letztlich interessierte es ihn aber nicht. Hjarti ging in die Hocke, besah sich die blutbesudelte Kleidung des Orks.
„Na, scheiße! Nenn mich Rosie und zieh mir’n Seidenkleid an, Kiyan. Weißt du, was das für ein Bastard ist?“
„Ein toter.“
„Abgesehen davon: Ein Nordlande-Ork. Keiner von diesen primitiven Kannibalen, die auf der Insel hier hausen“ Er schüttelte den Kopf. „Das sind die Arschlöcher, die das Festland erobert haben. Die fast mein Volk ausgerottet und die menschliche Rasse versklavt hätten.“
„Das myrtanische Volk“, Kiyans Lächeln war trocken, „Nicht uns gortharer Leute.“
Hjarti ging nicht darauf ein. „Offensichtlich war er auf der Jagd. Die Nordländer sind geborene Jäger, für sie ist es Versorgung und Sport gleichermaßen. Eigentlich … sind sie uns in manchen Wesenszügen ähnlich. Wahrscheinlich hat der Kerl hier die Spur des Bären gefunden und wollte den als Trophäe mitnehmen.“
Kiyan rieb sich das bärtige Kinn, dass die Stoppeln knisterten. „Er … bevor er starb … er sagte etwas von einer Ruinenstadt.“
Hjartis Augen weiteten sich. „Setarrif. Da … ist doch nichts mehr. Ruinen, Knochen, Echsenmenschen …“
Kiyan deutete auf den Toten. „Und seinesgleichen.“
„Verdammt!“, fluchte Hjarti, „Gerüchte aus meiner Heimat besagen … dass die Orks an der Grenze wieder dreister geworden sind. Raubzüge, ihre Galeeren kreuzen wieder die Nordmeere. Machen angeblich sogar Jagd auf Walfänger und andere Schiffe. Erbeuten Sklaven.“
Kiyan nickte. „Und unterhalten scheinbar einen Außenposten auf dieser Insel. Wer würde sie dort auch vermuten? Myrtana, Nordmar … da treibt man sie schnell zurück ins Meer. Aber hier? Aus rein strategischer Sicht … brilliant.“
Hjarti sprang fast auf. „Wir müssen zurück.“, entschied er, „Mertens muss davon erfahren.“
„Und was ist mit dem Bären?“
„Na, den zerlegen wir. Kein Grund, gutes Fleisch verkommen zu lassen.“
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Richtung Weißaugengebirge, Ebene zwischen Sumpf und Bergen - Kiyan + Hjarti
Das Zerlegen des Bären war eine blutige und allgemein unappetitliche Angelegenheit. Kurzum: Es war ausreichend Fleisch samt Pelz und Krallen, um ein ansehnliches Mitbringsel für die Gemeinschaft darzustellen. In der Sumpflilie würde die Mama irgendetwas Schmackhaftes aus dem Bärenfleisch zubereiten, auch wenn Kiyan beim besten Willen nicht wusste, was man denn so Essbares daraus kochen konnte. Er würde sich überraschen lassen oder für eine gewisse Zeit vegetarisch leben.
Zu Hjartis Missfallen fledderte Kiyan die Leiche des Orks.
„Meinst du, dass die Axt als Beweis nicht ausreicht?“, fragte der Nordmann und klopfte auf brutale Klinge, die anders als die Waffen der hiesigen Orks aus Metall war, geschwärztes und unheimlich geschärftes Eisen. Dennoch schwer genug, um – der Schädel des Bären sprach Bände – zu zertrümmern und zu zerschmettern.
„Da wo ich herkomme“, Kiyans eisblaues Auge richtete sich wieder auf den Toten, „nimmt man eine Sache aus, bis sie nichts mehr hergibt. Wir Gortharer haben das perfektioniert. Du glaubst, dass die Varanter die größten und skrupellosesten Händler sind? Weit gefehlt, mein nordmarischer Freund, selbst der untalentierteste gortharische Kaufmann steckt noch den besten Mora Suler Händler in die Tasche. Wir schröpfen eine Einnahmequelle bis zum letzten Tropfen. Leichenfledderei gehört sicherlich mit dazu, je nachdem.“
Viel war bei dem Ork natürlich nicht zu holen. Talismane, Fetische, eben die Beweise, das sie im Grunde trotzdem eine archaische Kriegerkultur besaßen. Eine Steinklinge, die wohl als Jagdmesser diente, schien alt. Vielleicht ein Erbstück? Vaters Klinge, die er dem kleinen Welpen in die Hand gedrückt hat, als es darum ging, einem Sklaven die Kehle durchzuschneiden.
Kiyans Hand zitterte, als ihn der Wunsch überkam, das Messer im Leib des toten Orks zu versenken. Achtlos warf er sie beiseite. Am Ende waren es nur Münzen mit dem Konterfei des zweiten oder ersten Rhobars, die Kiyan lachend an sich nahm und sie Hjarti zeigte.
„Schau mal, Souvenirs aus der Zeit als Sklavenmeister in Myrtana, wie’s scheint.“ Er hielt eine Münze hoch. „Geldener Prägung, siehst du? Die stilisierte Phiole eines Alchemisten. Hier, Ähre und Spitzhacke. Montera.“
„Aha.“
„Das ist die Geschichte deines Festlandes, Hjarti, sei mal aufgeschlossener.“
Der Hüne spuckte aus. „Bist du fertig mit deiner Spielerei, Kiyan?“, fragte er unwirsch.
„Oh, betrübt dich das Schicksal unseres Freundes hier?“ Der Jäger verpasste dem toten eine Backpfeife, die den massigen Kopf zur Seite kippen ließ.
„Spar dir dein Gerede. Dein Hass auf die Orks macht dich zu einem unausstehlichen Typen. Je schneller wir hier verschwinden, umso besser.“
Ein Krähen. Kor’ha sprang auf seine Schulter zurück, nachdem sie sich an den Überresten des Bären gütlich getan hatte. Der aufwallende Zorn auf Hjartis Verhalten verrauchte. Kiyan atmete langsam ein und aus, nickte dann mehrmals.
„Ja … du magst recht haben. Aber ich habe meine Gründe, verdammt, diese Hurensöhne zu hassen.“
Hjarti wandte sich ab, nachdem er einen Teil der Jagdbeute verstaut hatte. „Verständlich. Du darfst dich davon nur nicht verzehren lassen. Ich kannte viele gute Männer in meinem Volk, die an diesem Hass zerbrochen sind. Ich kann dich zu gut leiden, als dass ich mir so ein Schicksal für dich wünsche.“
Und damit verließ Hjarti die Höhle und ließ einen sprachlosen Kiyan zurück.
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Baumkrone
Die Beine übereinandergeschlagen lehnte die Jägerin an der Rinde des Weltenbaumes, die Hände hinter dem Kopf gefaltet. Sie betrachtete den langsam aufziehenden Nebel, der einen grauen Schleier über die Welt legte. Bald konnte sie nicht mehr erkennen, ob sie in dutzenden Metern Höhe in der Baumkrone Tooshoos war, oder am Boden des Waldes, zwischen Büschen und Gräsern. Sie spitzte die Lippen, begann langsam ein Lied zu pfeifen, eine alte Melodie aus Nordmar. Es war eine alte Weise, die eine noch ältere Geschichte erzählte. Es handelte von einem Mann, der Asgeirr genannt wurde, und ein zaubermächtiger Musiker war, der mit seiner Stimme die Menschen in seinen Bann ziehen konnte, ihnen Bilder eingeben und Wünsche ins Herz setzen konnte. Er war kein guter Mann, der stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht war und unbarmherzig Rache nahm, wenn er sich betrogen fühlte. So wie in einem Dorf, dass ihm (seiner Ansicht nach) nicht gebührend Respekt zollte. Einen zweitklassigen Bänkelsänger schimpften sie ihn dort, dass ihn sein Ruhm über den Kopf gestiegen war, und dass er nicht das wahr, was ihnen versprochen wurde. Und so kehrte er in das Dorf zurück, nachdem er hörte, wie man dort über ihn sprach, und sang seine Weise und spielte mit seiner Fidel. Und die Dorfbewohner konnten nicht anders, als sich auf dem Dorfplatz zu sammeln und zu seiner wilden Melodie zu tanzen, ungezügelt und verrückt. Und so sehr sie in anflehten aufzuhören und sie freizugeben, so sang er immer weiter, bis den Dorfbewohnern der Schweiß auf der Stirn stand, bis ihnen das Herz barst und noch der letzte von ihnen vor Erschöpfung tot zu Boden fiel. Erst dann war er zufrieden und hörte auf zu singen und zu spielen. Ihre Seelen, so hieß es, tanzten dort noch immer, und jeder der dorthin kam, hörte die Musik und wer unvorsichtig war, wurde in ihren Bann gezogen, um das Schicksal zu erleiden, das auch Jahrhunderte vorher das gesamte Dorf ereilte.
Durch den Nebel kam eine Gestalt näher. Eine Silhouette, die sie erkannte. Sie stellte ihr Pfeifen ein und flüsterte einen kurzen Spruch. In ihrer Handfläche strahlte ein kleines Lichtlein auf, hell genug um durch den Nebel zu dringen und das Gesicht des Jadewolfes preiszugeben.
„Grüß dich, Wölfchen.“ begrüßte sie den Druiden, nicht ohne ein bisschen angeben zu wollen. Als sie sich das letzte Mal sahen, hatte sie kaum mehr als einen kleinen Funken an ihrer Fingerspitze hervorbringen können.
„Lange nicht gesehen. Es wird dich freuen zu hören, dass ich nicht ganz untätig war. Unten in der Sumpflilie gibts heute Kaninchen im Eintopf. Aber geh nicht mit dreckigen Schuhen rein, die Mama platzt sonst noch.“
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Baumkrone
“Wölfchen?”, fragte Ornlu und zog eine Augenbraue hoch.
“Ich erinnere dich daran, dass du als mein Lehrling vor allem am Anfang Welpenschutz genießt. Ich verlange keine Unterwerfung, Ehrfurcht, dass du dir ins Hemd machst oder Gehorsamkeit bis zum Tode, aber du irrst dich, wenn du Ornlu den Hetzer als Wölfchen bezeichnest. Dein kümmerliches Licht wird dir dann bestimmt Hoffnung machen, wenn du beigebracht bekommst, mit deiner Magie auch im wirklichen da draußen zu überleben.”, sagte der Druide mit einem wölfischen Grinsen der aggressiven Art und bleckte kurz die Zähne.
“Schaut aber vernünftig aus - Für eine Anfängerin. Ich erwarte, dass du in naher Zukunft auch andere Farben erschaffen kannst und die Helligkeit anpassen. In der Wildnis ist ein helles Licht eine Einladung. Das weißt du auch.”, kommentierte er dann und blickte sie von unten nach oben an. Ja, sie war wohl unterwegs gewesen. Gut für sie.
“Ich bin gespannt, was die Hooqua aus dem Essen macht. Ohne Fleisch schmeckt es schlimmer, wie Corax Wurzelgemüse-Eintopf. Erklär mir, wie du es geschafft hast mit dem Licht und dann wie du das was du durch den Lichtzauber erfahren hast auf Tiere anwenden könntest? Nur deine Gedanken…”, forderte Ornlu von ihr und suchte sein Sumpfkraut.
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Baumkrone
Trotz der harschen Worte konnte sich Ylva ein Grinsen nicht verkneifen. Hatte das Wölfchen also doch Zähne! Doch sie sparte sich die Worte, ebenso den anderen Gedanken, der ihr in den Sinn kam: Getroffene Hunde bellen.
„Kümmerliches Licht?“ fragte sie gespielt getroffen und ließ das Leuchten in ihrer Hand verglimmen, bis der Nebel sie wieder umschlang. „Das trifft mich hart.“
Sie kicherte leise, konnte sie sich doch für einen Moment selbst nicht ernst nehmen. Doch fing sie sich wieder schnell.
„Aber im Ernst, natürlich ist es noch nicht das beste und funkelt wie ein Bergsee. Aber vor kurzem wusste ich noch nicht einmal, dass das ging...“
Sie spähte in die Luft, zwischen die verborgenen Blätter und Äste des Weltenbaums, auf der Suche nach einem tanzenden, winzigen Lichtlein.
„Glühwürmchen.“ antwortete sie auf seine Frage, auch wenn sie keines sehen konnte. „Du hast mich auf die Idee gebracht, wenn ich ehrlich bin. Nachdem wir am Steinkreis waren, und sie uns den Weg gewiesen hatten, auf dem Rückweg. Ich habe mich auf ihren Flug konzentriert, und auf das schwächer werden und stärker werden ihrer Lichter. Was nicht einfach war, sie sind unberechenbar, deswegen ist das Licht vermutlich auch so…. Kümmerlich.“
Sie streckte sich kurz, ächzte sich auf und trat neben den Jadewolf auf die Plattform. „Ich habe versucht das Verhalten von Tieren mit der Magie in Einklang zu bringen. Wenn du mich fragst, wie ich das was ich erfahren habe auf Tiere anwenden kann, ist das meine Antwort. Etwas bei ihnen finden, das mit der Magie resoniert. Ihren Atem. Schritt. Puls. Bewegungen. Geräusche. Irgendwas. Es gibt so viele Aspekte an Tieren, und sie sind so viel mehr als nur ein Haufen Muskeln und Fell. Jedes von ihnen ist unterschiedlich. Und bei jedem wird es etwas anderes sein, das mit meiner Magie im Einklang ist...“
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Felsennest Niradh
„Findest du?“, Vareesa hatte sich noch zu Beginn neben Zarra niedergelassen und saß nun, im Schneidersitz und mit dem Ellbogen auf ihrem Unterschenkel gestützt da, während ihr Haupt seitlich auf ihrer Hand ruhte. Eine etwas buckelige Haltung, die sie immer dann einnahm, wenn sie etwas beobachtete. Etwas von dem man lernen konnte. Und das, was Zarra da gerade geleistet hatte war unglaublich lehrreich – und beeindruckend! Wie viel weiter als ihre eigentlichen Arme Zarras Magie reichte … schon in so jungen Jahren! Die Bognerin wäre nicht dazu in der Lage gewesen, musste sie doch meist mit den betroffenen Kreaturen Auge in Auge stehen. Aber zu verfolgen und zu spüren mit welcher … ‚Erdung‘ Zarra sich durch das magische Gefüge tastete war unglaublich. Es zeigte, dass ihr Potential, trotz des Vorsprungs gelernter Sprüche gegenüber Vareesa selbst so viel größer schien. Irgendwie beneidete sie das weißhaarige Mädchen. Aber das Mitleid und die Verbundenheit durch die ein oder andere Parallele ihrer beider Kindheiten verhinderte, dass daraus eine ungesunde Eifersucht zu erwachsen drohte. Nein. Stattdessen machte sich unter den meerblauen Augen nur ein Lächeln breit.
„Ehrlich gesagt war das gerade ziemlich beeindruckend. Du hast dich soooo weit gestreckt!“, dabei streckte sie zu Verbildlichung beide Arme weit von sich und ließ diese sann salopp auf den felsigen Untergrund fallen. „So weit komme ich gar nicht! Aber du hast das so … einfach gemacht. Das ist großartig!“
Auf das ungläubige Blinzeln ihrer Schwester hin hob die Bognerin den dünnen Finger gestreckt vor ihre Nasenspitze und nickte sachte, wobei, mehr aus Versehen, der Fingernagel leicht an ihrem Nasenbein entlang rieb und eine brennende, unangenehme Stelle hinterließ. Vareesa jedoch ließ sich nicht anmerken, wie unangenehm dieser Patzer sich anfühlte und klatschte kurz in die Hände. „Also, Magie beobachten kannst du ja, also … schau mal. Dieses ganze Magiezeug zu zeigen ist viel einfacher als es mit Worten zu beschreiben…“
Eine Erkenntnis, durch die ihr Maris plötzlich irgendwie leidtat. Der arme Kerl wollte sich ihrer annehmen und musste sich wohl größte Mühen gegeben haben, jene Sinnbilder für sie zu beschreiben die die Kapuzenträgerin bis dato gebraucht hatte. Irgendetwas greifbares das für den einfachen, menschlichen Geist vergleichbar war. Langsam legte sie die Linke vor sich auf die steinerne Struktur und schloss dann die Augen. Atmen. Konzentrieren. Den Geist öffnen. Es war das übliche, fast schon Mantra hafte Prozedere mit dem Vareesa das ausgetrocknete Flussbett, das die magischen Bahnen ihres Körpers bildeten mit dem erfrischenden Gefühl jener Essenz durchströmen ließ die gleichzeitig den Feind im eigenen Inneren darstellte. Grünlich glommen dabei die Verläufe ihrer Adern auf, was hier und da durch den hochgekrempelten Ärmel sichtbar war. Die Magie floss und fand ihren Weg recht zielgerichtet bis hin in ihre Fingerspitzen. Dort an der Grenze zum Gestein. „Da. Kein Weiterkommen. Egal wie ich es versuche und mich anstrenge. Magie zu Licht formen – kein Problem. Lebewesen bei Augenkontakt ‚erzählen‘ lassen – geht auch mittlerweile. Aber das …“
Ein langes Seufzen verlor sich zwischen ihren Lippen, als sie die Augen schloss, und begann das Zeichen der Schlange mit den Nägeln entlang der kühlen Oberfläche zu zeichnen. Immer wieder und wieder. Wie schon zuvor. Vareesa kannte das Gefühl. Wie es war, den richtigen Zugang zu finden. Aber … sie fand ihn einfach nicht. Vielleicht weil sie etwas demonstrieren wollte? Oder weil sie noch nicht bereit war? Gerade im Begriff die Magie wieder abflachen zu lassen, lockerte sich auch der Kontakt ihrer Handfläche mit dem Gestein, als ihr plötzlich war, als ‚tropfe‘ dort ein kleiner, minimaler Funke von jener Handfläche auf den Rand des Felsennestes. Und für den Bruchteil einer Sekunde war es wieder da: der Anflug des Gefühls, sich fallen zu lassen. Ein kurzer Moment der Stille kehrte zwischen den beiden Schülerinnen ein. Die eine, so ungebunden und frei in ihrer Magie, aber ebenso unkonzentriert im Halten dieser. Die andere wiederum das völlige Kehrbild: zugeschnürt und in steter Angst davor, sich fallen zu lassen. Vareesa schmunzelte leicht. „Schon komisch.“, begann die Kapuzenträgerin, atmete einmal mehr tief durch und seufzte dann versonnen, ehe sie zu Zarra blickte. „Also? Wie machst du das? Und was genau hat dir da unten Angst eingejagt? Und … was waren das für Spiele und Lieder, die du dir früher ausgedacht hast?“
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Felsennest Niradh
Zarras Augen wurden groß, als sie hörte, wie begeistert Vareesa von dem war, was sie gerade mit ihrer Magie gemacht hatte. War es wirklich so beeindruckend gewesen oder wollte ihre Schwester ihr nur ein gutes Gefühl geben? Für die junge Frau hatte es sich so natürlich angefühlt. Sie hatte gar nicht überlegt, ob es möglich war ihre Magie so weit auszusenden, wie sie es scheinbar getan hatte. Ein Versuch, wie sie es bei Pflanzen machte, die giftig sein konnten, wenn sie sie neuentdeckte.
Nun jedoch war es an ihr zu staunen, als sie beobachtete – oder eher spürte – wie die grünsträhnige Frau ihre eigene Magie bündelte und ihre Arme hinabfließen ließ, wie grünes Blut, welches durch die Adern floss. Feine Linien zogen sich über ihre Unterarme. Doch dann stockte der Fluss der Energie, schien sich zu sammeln wie ein Fluss an einem Biberbau.
Weshalb ließ Vareesa ihre Magie dort anhalten? Was für einen Zweck hatte es? Doch als ihre Mitschülerin verriet, dass sie Probleme hatte sie freizulassen, wenn sie bestimmte Zauber wirken wollte, stutzte Zarra.
„Aber, wieso behandelst du jeden Zauber anders? Muss man das machen? Ich kann bisher nur mit Tieren kommunizieren und das mehr schlecht als recht. Aber dafür musste meine Magie auch meinen Körper verlassen, so wie gerade eben, egal, ob ich das Lebewesen berühre oder nicht. Ich habe mir bisher keine Gedanken über Grenzen gemacht, wohin ich sie schicken kann“, gab sie zu und legte ihre Stirn in Falten.
Sie würde ihrer großen Schwester gern helfen, einen Rat geben, doch wo sollte sie anfangen? Sie verstand selbst noch viel zu wenig von der ganzen Materie und ließ sich eher von ihrem Gefühl leiten, als von Vorgaben oder Vorstellungen anderer.
Als Vareesa ihre Hand hob, entging es der Weißhaarigen beinahe, wie ein Bruchteil der Magie aus ihren Fingern floss, fast so, als hätte man sich an einem Dorn gestochen und das Blut würde zu Boden tropfen.
„Ich weiß nicht, ob es dir hilft oder wie genau sich die Magie für dich anfühlt. Aber in meiner Vorstellung lebt ein Ameisenvolk in mir, welches ich bitten kann überall hinzugehen, wo ich möchte. Auch wie viele Ameisen es sind. Was, wenn du etwas ähnliches versuchst? Tropfen oder ein Rinnsal, welches aus deinen Fingern fließt, ganz sanft und beständig“, versuchte sie in Worte zu fassen, was ihr durch den Kopf ging, „Die Magie gehört zu dir, egal ob in deinem Körper oder außerhalb und wenn du sie hinauslässt, fällt es dir vielleicht leichter sie zu formen? Das ist vielleicht eine blöde Idee…“
Einen Moment schwieg Zarra, ehe sie sich dazu entschied auf die anderen Fragen ihrer Schwester einzugehen.
„Ich weiß nicht genau, was es war, zu dem ich Kontakt aufgebaut habe. Aber…es war hungrig, so schrecklich hungrig. Und es schreckt nicht vor dem Töten zurück“, berichtete sie und erinnerte sich an die in Schatten gehüllten Glühwürmchen in ihrer Vorstellung, „Ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen.“
„Wenn du willst, singe ich dir eines der Lieder vor“, wandte sie sich dann freudigeren Themen zu und Vareesa nickte eifrig.
Zarra räusperte sich und ihre Wangen färbten sich in einem leichten Rosa, als sie sich gewahr wurde, dass sie vor jemand anderem singen würde und das ohne von einer halben Traumrufblüte beeinflusst zu sein.
Die Libelle fliegt so schnell,
Über Teich und über Quell.
Mit ihren Flügeln, zart und fein,
Tanzt sie im Sonnenschein.
Ihre Farben, bunt und klar,
Leuchten wunderbar.
Sie schwebt und gleitet ohne Eil,
In ihrem luftigen Wasserspiel.
Kinder staunen, halten still,
Wenn die Libelle fliegen will.
Die Libelle, zierlich und fein,
Ein funkelnder Juwel im Sonnenschein.
Zarra endete ihr Lied und lief noch röter an, doch ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie in die Ferne blickte.
„Es ist etwas albern“, entschuldigte sie sich, „Dabei habe ich meist nach Libellen gesucht und mir vorgestellt, wie ich mit ihnen spiele. All die Farben wollte ich zählen und später meiner Oma berichten, wie viele ich gesehen habe.“
Sie schwelgte in Erinnerungen und für einen Moment war sie wieder ein Kind, allein, aber unbeschwert.
Geändert von Zarra (24.09.2024 um 22:49 Uhr)
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Baumkrone
“Aha!? Und wieso hast du nicht gleich losgelegt, wenn alles so schon irgendwie klappen wird? - Richtig. Weil alles, alles sein kann oder nichts - und wie bei uns Menschen ein falscher Ton ein Gespräch verändert oder beendet. Noch…wirst du nicht mehr erreichen wie im Vergleich zu uns Menschen einen Blick, Mimik und Gesten. Versuch mit einem Kleinkind zu sprechen und es kann dir etwas zeigen…oder auch Blödsinn oder rennt einfach lachend weg, weil es dich völlig missverstanden hat.”, erklärte er ihr und sein tiefstes Bewusstsein sprach aus großer Erfahrung. Hinzu kam, dass das Sumpfkraut einfach gerade sehr gut tat.
“Du wirst es versuchen. Wir spazieren ein wenig um Tooshoo und seine Umgebung. Versuch die grundlegenden Bedürfnisse eines Tieres anzusprechen. Da nach Aufmerksamkeit zu suchen. Experimentiere ein wenig. Ich bin zur Not da. Lerne, dass jede Art und ja sogar jedes Individuum auf dich anders reagieren kann. - Und wage es niemals diese Magie zu deinen Gunsten als Jägerin zu missbrauchen. Alles hat Konsequenzen und magische Taten erhallen wie Echos in der Ewigkeit. Und richtet dich nicht die Natur…so richte ich dich. So wie schon ein halbes Dutzend solcher Abtrünniger.”, erklärte der Druidenälteste und zeigte auf Wroc. Der Schildrabe sollte das erste Tier werden.
“Probier dich aus. Tausche Gefühle aus oder Gedanken. Er kennt die Magie.”
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Baumkrone
Mit schrägem Blick schaute Ylva auf den Raben, der Ornlu folgte als wäre er ein gestrandeter Pirat und Wroc ein schwarz-weißer Papagei. Er war etwas kleiner als die Kolkraben, die sie kannte. Boten des Krieges wurden sie genannt, und sie folgten den Heeren um sich an den Gefallenen zu laben. Aasfresser. Unglücksbringer. Galgenvögel. Sie hatten viele Namen und wenige davon waren schmeichelhaft. Sollte dieser Rabe, den eine weiße Brust zeichnete also etwas anderes sein?
„Hallo… Wroc, richtig?“ sprach sie den Raben an, der sie ebenso schräg anblickte. Ob er gerade etwas ähnliches dachte wie sie selbst? 'Axtschläger. Mordbrenner. Berserker. Menschen in Nordmar haben viele Namen und wenige davon waren schmeichelhaft'?
Ylva zog beim Gedanken eine Grimasse und schüttelte den Kopf, um sich davon zu lösen. Sie blickte das Tier an und versuchte sich auf seine Eigenheiten zu konzentrieren. Das Gefieder, das Kopf, Brust und Schwanz bedeckte, blau-schwarz glänzte und von im Kontrast fast schon strahlendem weiß unterbrochen wurde. Die kahlen Beine, fast schon geschuppt, die sich mit dünnen und doch kräftigen Zehen festhielt. Der Schnabel, ebenso schwarz wie das Gefieder, gewölbt und spitz. Und die kleinen Augen, die sie fest taxierten und ein Wissen ausstrahlten, das die Jägerin überraschte.
„Das könnte jetzt ein bisschen weh tun.“ warnte sie das Tier. „Oder auch nicht. Ich mach das zum ersten Mal.“ Wroc öffnete den Schnabel und krächzte sie an. Ob es Zuspruch bedeuten sollte, oder Sorge um sein Wohlbefinden konnte die Nordmarerin nicht sagen.
Langsam wallte die Magie auf, ein leises Echo in der Ferne, das nahte und stets lauter wurde, und mit sich auch weitere Geräusche brachte wie eine Welle Treibgut an den Sand spülte. Sie hörte das Rauschen seines Blutes, seinen Atem und andere weltliche Geräusche, die der Rabe machte. Doch es war sein eigenes magisches Echo, das er im Gefügte der Magie verursachte, das sie besonders laut hörte. Wie ein Stein der in eine Wasseroberfläche fiel, kleine Schwingungen verursachten die sich ausbreiteten.
Es war ein anderes Lied, das Wroc ausmachte, als das ihre. Ein anderer Rhythmus, der seine Lebenskraft bestimmte. Kakophonisch und ungleich stürmten sie gegeneinander, verursachten nur Rauschen, aus dem sie nichts hören konnte.
Doch es kristallisierte sich eine neue Weise daraus hervor. Ihre Magie wurde langsamer, doch auch dringlicher, während Wrocs Takt etwas anzog, einen unregelmäßigen Schlag tat und sie so fast in Einklang brachte.
„Sorgenlos sei du, Schwingenträger schwarzer“ versuchte sie den Raben zu beruhigen, ohne eine wirkliche Antwort oder Reaktion zu erwarten. Und doch öffnete er seinen Schnabel, krächzte einmal kurz auf, krächzte ein zweites Mal und breitete die Flügel aus, nur um sie wieder zusammenzufalten.
Die Jäger richtete sich auf und blickte Ornlu fragend an. „Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte.“
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Mittlerweile brannte sein gesamter Oberkörper.
Die Arme schmerzten durch die harte Arbeit, oft war das Holz zu dick, das Beil blieb stecken und er musste es mit aller Kraft herausziehen. Wie viele Wägen voll sie mittlerweile zurück zum Holzplatz gebracht haben, wusste er nicht. Er war damit beschäftigt, einen Dicken Baum kleinzuschlagen.
Obwohl sie einige Leute waren, würde es noch dauern, diese ganzen Schäden abzuholzen, um den Wald wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. Außerdem konnten sie das Holz gut nutzen, für den Wiederaufbau des Dorfes.
„Hier Bursche, nimm mal einen ordentlich Schluck Wasser, du bist sonst heute Abend ausgetrocknet, wie die verdammten Untoten“, sprach der Baumeister und Warf ihm einen Wasserschlauch zu, den er dankend annahm.
Der alte hatte einen langen Bart, der bis zur Brust ging, früher schien er wohl Schwarzhaarig gewesen zu sein, den einige Schwarze Haare hoben sich aus dem weißen Bart, sowie Haar hervor. Sein Blick war ernst und trotz seines Alters zeugten Muskeln von seiner Stärke, die der Alte wohl durch das Fällen der Bäume und dem bearbeiten, eben jener hatte.
„Du schlägst dich gut durch, junge“, fing der alte an und setzte sich auf einem Baumstumpf.
„Hab gehört, du hast auch an ein paar anderen Orten mit Holz gearbeitet. Vielleicht willst du morgen auch helfen, beim Bearbeiten des Holzes. Ein paar meiner Arbeiter, sind nämlich gerade dabei das gebrachte Holz zu bearbeiten. Morgen wird getauscht, damit meine Leute immer überall eingesetzt werden können“, sprach er munter weiter.
„Die jungen wollen immer da raus und große Abenteuer erleben, außerhalb des Sumpfes ... pah ... dabei haben wir hier genug zu tun“, er spukte kurz auf den Boden, als würde er die jungen dafür verachten. Dann erhob er sich und gab ihm einen kräftigen schlag auf die Schulter.
„Mach weiter so, Sohn. Wirst es hier sicher noch weit bringen“, sprach er und machte sich wieder auf den Weg zurück zum Holzplatz.
„Na los jungs, machen wir den Wagen schön voll“, sprach Valerion und schlug wieder kräftig auf den Baumstamm ein.
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Wasserfall der Geister - ehemaliger Wachturm
Freiyas Blick wurde warm und dann fing sie an zu kichern. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie:
„Wie, das war’s schon? Was ist mit dem anderen Bett? Das war doch nur die halbe Miete!“
Ryu blinzelte einen Augenblick, dann drehte er sich wortlos um und lief zur Treppe, nur um die Hand zu heben und ihr mit einem Funkeln in den orangefarbenen Augen den Weg zu weisen:
„Nach dir, Frau Innenexpertin!“
Mit einem Grinsen kam Freiya der Einladung nach und wenig später standen sie erneut dort, wo der zerstörte Vorbau den Blick auf die Umgebung freigab, diesmal das zweite Etagenbett vor ihnen. Freiya legte die Hände ans morsche Holz:
„Zusammen?“
„Zusammen!“
In einem kleinen, formvollendeten Bogen fand auch dieses Bett seinen Weg nach unten und zerschellte in viele Einzelteile. Das Krachen des zerberstenden Holzes wurde durch das entfernte Brüllen eines Sumpfhais erwidert.
„Oh, Vorsicht, wir locken sonst noch weitere liebestolle Geschöpfe an“, sagte Freiya kichernd. Dann blickte sie auf den Holzhaufen unten am Fuße des Turmes und schüttelte belustigt den Kopf:
„Du bist echt unglaublich“, meinte sie zu Ryu.
„Das hat schon lange keine Frau mehr zu mir gesagt“, entfuhr es dem Hauptmann, dann sahen sie sich einander verdutzt an. Ryus Blick wurde unstet: „Tschuldigung, ist mir rausgerutscht …“
„Hmhm, ich wette, das hast du auch schon lange nicht mehr zu einer Frau gesagt“, erwiderte sie grinsend, drehte sich dann jedoch abrupt um und lief mit roten Wangen zur Treppe.
„Rote Snapperin …“
„Glaubst du, dass über zehn Jahre mit euch allen spurlos an mir vorbeigehen? Ich habe bei Mama Hooqua damals angefangen!“, rief sie ihm zu und machte sich daran, ins untere Geschoss zu kommen. Sie grinste immer noch verlegen und war froh, ihn nicht ansehen zu müssen.
Als die Rothaarige in der Küche angekommen war, warf sie als Erstes einen vorsichtigen Blick in die Schränke. Öffnete zögernd die Türen und starrte auf deren Inhalt, während sie darüber brütete, was ihre Zunge dermaßen gelockert hatte. War es der vertraute Umgang zwischen den beiden gewesen? Die Freude, die Ryu empfunden hatte beim Entsorgen der Betten, die sich ansteckend auf sie ausgewirkt hatte?
„Schau an, das Geschirr sieht wirklich noch ganz brauchbar aus“, ertönte Ryus Stimme auf einmal neben ihr und sie zuckte zusammen. Verdammt, er hatte sich doch angeschlichen!
„Ja“, beeilte Freiya sich zu sagen und tat so, als wäre es ihr natürlich auch aufgefallen. „Ein Bad im Flusswasser dürfte den Staub abwaschen.“ Zum Glück hatte die Fledermaus entweder noch nicht lange in dem Schrank gehaust oder ihn nur zum Schlafen benutzt und nicht als Toilette. Freiya blickte sich um und entdeckte einen Eimer, den sie sofort inspizierte. Er schien noch intakt und ohne Löcher. Wunderbar, den würde sie brauchen! Ryu indessen hatte sich auf den Weg ins Erdgeschoss gemacht, um seinen Teil der Abmachung wahr zu machen.
Also näherte die Waldläuferin sich dem Kamin und blickte in den Abzug. Sie hatte das Gefühl, in einen schwarzen Schlund zu schauen und eine Gänsehaut überkam sie. Weitere Fledermäuse fielen ihr ein. Schwarze Augen, die sie aus der Dunkelheit heraus beobachteten. Sie schüttelte sich.
„Ach, du, Ryu? Ich schau mir erstmal den Garten mit an“, rief sie und beeilte sich, hinterher zu kommen.
Als sie am Ausgang des Turmes ankam und um die Ecke blickte, sah sie Sandy, die sich durch den Stapel zerstörten Holzes und alten Strohs wühlte, der gerade unter gehörigem Krach entstanden war. Das Stroh schien einer ganzen Vielfalt an Krabbelviechern ein Zuhause gewesen zu sein, die entweder jetzt hektisch das Weite suchten oder – in Sandys Maul landeten.
Ryu nahm eine große Holzlatte und zerkleinerte sie mit gezielten Tritten. Sandy fauchte ihn an.
„Ich klau dir dein Fressen schon nicht, du zotteliger, schlechtsitzender Schal!“, knurrte der Wyvernhüter. Sandy hielt kurz inne und wühlte dann weiter.
Mit einem Schmunzeln lehnte Freiya sich an die Mauer des Turms und verschränkte die Arme. Sie beobachtete, wie der Hauptmann mit Freude die Überreste weiterhin zu handlichem Feuerholz verkleinerte und Sandy es sich indessen geräuschvoll schmecken ließ und ab und zu ein Grunzen hören ließ.
Er war ein wundersamer Mensch, dieser Wyvernhüter. Gerade noch hatte sie gesagt, dass sie schon so viele Jahre bei diesem verschrobenen Völkchen lebte und doch überraschte sie keiner so wie er. Ja, sie alle waren irgendwo merkwürdig, oft verloren auf ihre eigene Weise und deswegen hier gelandet und geblieben. Einigen von ihnen wohnte eine noch größere Seltsamkeit inne als anderen. Sie dachte zum Beispiel an Ornlu, dessen Andersartigkeit ein offenes Geheimnis war, mit dem er nur allzu gern kokettierte. Sie dachte an die verschrobenen Leute wie den Bierbauchfranzl oder die selbstbewusste Mama Hooqua. Sie dachte an Ricklen und Jilvie, Waldläufer bis ins Mark, die auf ihre Art und Weise zu führen wussten.
Aber keiner von ihnen war auch nur ansatzweise wie Ryu, der nicht nur so viele dieser verschiedenen Merkmale in sich zu vereinen wusste, sondern dem Ganzen durch seine eigene Andersartigkeit noch eine Krone aufsetzte, die er sich nicht ausgesucht hatte, aber trug wie ein König.
Eine Gänsehaut überkam sie, als ihr einfiel, was er ihr eben auf dem Turmdach ins Ohr geflüstert hatte. Das Wissen darum, wie es war zu fliegen. Worte, die vor ihrem inneren Auge Bilder hervorgerufen hatten, die sie sprachlos gemacht hatten. Er weiß, wie es sich anfühlt, wiederholte sie in Gedanken, um zu verstehen. Alles, was er ihr erzählt hatte über sich und Sarkany, wurde in diesem Moment so greifbar, aber anders, als wenn sie ihn hatte kämpfen sehen, als wenn er die Grenzen seines Daseins überschritten hatte.
Sie hatte ihn erinnert.
Freiya senkte die Augenlider und starrte auf ihre Arme, konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Erinnerungen waren ureigenste Schätze, das wusste sie. Ihren wahren Wert erkannte man erst, wenn sie verloren gingen oder man das Glück hatte, sie wieder zu erlangen.
Sie schloss kurz die Augen und atmete ein. Sog alles, was passiert war, seit die Waldläuferin und der Hüter Tooshoo verlassen hatten, in sich auf. Was auch immer geschehen würde, sie hatte diese Erinnerungen. Sie gehörten zu ihr.
Das Geräusch des zersplitternden Holzes war verstummt. Die Rothaarige öffnete die Augen und sah, wie Ryu sie mit einem prüfenden Blick bemaß, das Holz in den Händen und mit einem sich schnell hebenden und senkenden Brustkorb.
Freiya lächelte nur, um ihm zu deuten, dass alles in Ordnung war, ging an ihm vorbei und verschwand um die Ecke des Turmes.
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Wasserfall der Geister - ehemaliger Wachturm
Ihr Blick streifte das, was Ryu als Bambushain bezeichnet hatte und fiel auf das, was hinter dem Turm lag. Sie hatte mit Garten gar nicht so unrecht gehabt: Da war tatsächlich eine Fläche umgeben von ein paar alten Holzpfählen mit inzwischen eher lose herunterhängenden hölzernen Latten, die eine Art Begrenzung darstellten. Obwohl die Flora sich längst nicht mehr an diese Begrenzung hielt und Blumen und Sträucher über den Zaun hinweg wuchsen – von beiden Seiten. Freiya erblickte verblühende Wildblumen, nicht wenige von ihnen hatten schon braune Köpfe, der Herbst hatte diese Pflanzen schon eingeholt und ihre Zeit war mit dem abziehenden Sommer vorbei. Doch etwas erhaschte nun den Blick der Jägerin: Hier wuchsen auch Möhren und Schwarzwurzeln und Pastinaken! Dies schien der alte Wirtschaftsgarten des Wachturmes zu sein! Auch wenn sich niemand mehr drum kümmerte, hatten die Pflanzen sich offensichtlich selbst ausgesät. Da war auch wieder wilder Lauch und glatte Petersilie. Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf, zusammen mit etwas Fleisch würde das eine feines Mahl ergeben!
Doch noch etwas zog Freiyas Blick auf sich. Sie hockte sich hin, schob das Blatt einer großen Feuernessel vorsichtig beiseite und sah etwas aus dem Boden rausschauen: ein menschlicher Schädel. Sie erschrak kurz, bevor sie den Knochen eingehender betrachtete. Er war bis zur Stirn im Boden eingelassen, einzig die leeren Augenhöhlen schauten etwas heraus und es war zu erkennen, dass die Zeit und Witterung den Schädel mit Erde und Steinen gefüllt hatten. Die Rothaarige konnte sich nicht daran erinnern, jemals einem Schädel so nah gewesen zu sein. Wer dieser Mensch wohl einst gewesen sein mochte? Einer vom Waldvolk hier? Sie würden es wohl niemals herausfinden …
Langsam stand sie wieder auf und blickte sich um. Nicht weit von ihr war das Ufers des Flusses, der schon bald hinter dem Turm zum Wasserfall wurde. Sie lief zum Wasser, um den Strom ein wenig zu beobachten und entdeckte im kühlen Nass Fische. Die Waldläuferin folgte dem Lauf einige Schritte flussaufwärts und kam an eine prachtvolle Kastanie, deren reife Früchte sich auf dem Boden verteilten. Staunend hob sie eine der im samtenen Braun schimmernden Kastanien auf und betrachtete sie. Dann zückte sie ihren Beutel, der an ihrem Gürtel baumelte, und öffnete die Lederkordeln. Dort heraus holte sie eine andere Kastanie – diese hatte sie fast ein Jahr zuvor eingesammelt, als sie mit Ryu auf dem Weg ins Gebirge gewesen war. Entsprechend trocken und auch etwas runzelig wirkte die Kastanie. Nun hatte Freiya ihrem Beutel eine weitere hinzuzufügen – wieder in Verbindung mit Ryu, hatte sie beide Kastanien doch nur wegen ihm gefunden.
Zufrieden steckte sie beiden Kugeln in ihren Beutel und schnürte ihn wieder zu. Erinnerungen waren kleine Schätze …
Dann lief sie mit einem glücklichen Gesichtsausdruck zum Turm zurück und ging zu Ryu, der mit dem Holz große Fortschritte machte.
„Gute Nachricht, die nächste Mahlzeit ist sicher, hinter dem Turm gibt es tatsächlich einen Garten mit essbarem Gemüse. Ich widme mich mal dem Geschirr und schau mal, ob ich etwas ernten kann“, sagte sie.
Ryu wischte sich indessen mit dem Handrücken die Stirn.
„Was ist mit dem Kamin? Schon einsatzbereit?“, erkundigte der Turmbesitzer in spe sich.
„Oh, ach, da war ja noch was“, entfuhr es Freiya verdrießlich. Eben hatte sie sich noch darüber gefreut, sich dem Geschirr und dem Gemüse im Garten widmen zu können, da fiel ihr dieser schwarze Schlund wieder ein. Sie seufzte und Ryu hielt inne in seiner Bewegung. Sie konnte seinen lauernden Blick genau auf sich spüren und wich ihm aus.
„Rote Snapperin, furchtlose Jägerin von Odo, dem korrumpierten Feuerwaran, Bezwingerin eines Tausendfüßers größer als Ricklens Ego und todbringende Naturgewalt über den Fledermausheini im Tempel … hast du Angst vor dem Kamin?!“
Freiya starrte sehr angestrengt und sich innerlich windend auf Sandy, als sie eine Hand am Kinn spürte, die ihren Blick unausweichlich zu den orangefarbenen Saphiren lenkte, die in die Tiefen ihrer Seele starrten. Freiya versuchte auszuweichen, es wollte ihr nicht gelingen.
Doch dann änderte sich der Ausdruck der Wyvernaugen einen Hauch. „Was springt für mich raus, wenn ich das mit dem Kamin mache?“
Freiyas Blick wurde ruhig und plötzlich offener, Ryu ließ seine Hand sinken.
„Ich kümmere mich um das Goblinnest!“, erwiderte sie.
Er hob die Augenbraue: „Wirklich? Diesen Siff willst du dir antun?“
„Ach, das ist nicht schlimmer als das, was ich damals im Lazarett gesehen habe“, erwiderte sie, dann kramte sie nach ihrem grünen Halstuch und zog es hervor. Sie band es sich über das Haar, um zu verhindern, dass ihr die Haarsträhnen, die die Haarspange nicht halten konnte, ins Gesicht rutschten. Etwas, das sich Zeit ihres Lebens bewährt hatte, wenn sie putzen musste. Sie hasste nichts mehr, als sich mit dreckigen Händen die Nase kratzen zu müssen, weil ihr Haar sie dort kitzelte! Dann blickte sie entschlossen zu Ryu: „Richte du mir nur eine Feuerstelle her hier draußen.“ Dann krempelte sie ihre Ärmel hoch und löste ihre Armschienen: „Ich ziehe in die Schlacht!“
Einige Zeit später, inzwischen war längst Nachmittag und die Sonne tauchte alles in ein warmes goldenes Licht, starrte Freiya zufrieden auf das Feuer, das den letzten Siff – wie Ryu es bezeichnet hatte – mit hungrigen Flammen auffraß. Sie stand vor dem kleinen Feuer, die Linke in die Hüfte gestemmt und die Rechte triumphierend auf dem Besen, mit dem sie das Liebesnest der Goblins hatte Stück für Stück aus dem Erdgeschoss des Turms zur Feuerstelle befördert. Einzig der Gestank, den das Verbrennen jenes Nestes machte, störte ihren Triumph ein wenig.
„Alle Achtung, Rote Snapperin“, ertönte Ryus Stimme hinter ihr. Freiya lächelte und zog mit äußerster Genugtuung einen kleinen metallenen Gegenstand aus ihrer Hosentasche.
„Schau mal, den hab ich gefunden. Damit sollten keine weiteren ungebetenen Gäste mehr in den Turm kommen“, sprach sie und wandte sich um, um dem Wyvernhüter den Schlüssel zu überreichen, den sie an der Innenseite der Eingangstür gefunden hatte. Doch sie hielt inne.
„Großer Gott, Ryu, bist du … in den Kamin hinein und hinauf geklettert?“, fragte sie. Seine Arme waren von einer schwarzen Dreckschicht bedeckt, sein Gesicht sah nicht minder finster aus, seine Kleidung hatte ebenfalls etwas abbekommen.
„Komplikationen tauchten auf, wurden geprüft und überwunden“, erwiderte er nicht ohne ein schelmisches Grinsen, welches gemeinsam mit dem Dreck seine Augen noch mehr leuchten ließ.
„Und deine Verletzungen?“, fragte sie ein wenig erschrocken und sah auf seine Arme.
„Es ist nur Schmutz. Du weißt doch, Leylas Zorn will ich nicht auf mich ziehen!“
Freiya sah ihn mit einer Mischung aus Belustigung und Sorge an.
„Es hat dir Spaß gemacht …“
Ryu legte den Kopf schief: „Sagen wir es so, ich hatte ein ähnliches Erfolgserlebnis wie du mit dem Gobbo-Siff!“
Freiya lachte leise: „Nagut! Das lass ich mal gelten. Und nun?“
„Kamin und Kochstelle sind bereits im Einsatz. Sieht ganz gut aus, das Feuerholz brennt ohne Probleme. Was denkst du, wollen wir der Küche hier einen Versuch geben?“
Zu ihrer Überraschung hielt Ryu den Eimer mit ein bisschen Geschirr, Besteck und alten Töpfen empor. Sogar ein altes Geschirrtuch hatte er aufgetrieben.
Freiya lächelte:
„Gut, dann ab in den Fluss damit. Und mit dir am besten auch!“
Da saßen sie also gemeinsam schweigend am Ufer des Flusses. Während Freiya sich den Geschirr widmete, wusch Ryu den Dreck aus dem Kamin von seinem Oberkörper. Seine Jacke lag zwischen ihnen auf dem Ufergras und Freiya überlegte kurz, ob sie dem Stoff ebenfalls eine gründliche Reinigung unterziehen sollte, wurde aber abgelenkt von Wassertropfen auf nackter Haut im Abendlicht einer goldenen Herbstsonne. Sie atmete durch und versuchte sich wieder auf ihre Hände zu konzentrieren. Der Eimer war inzwischen sauber und diente als Gefäß für das gewaschene Geschirr. Teller und Besteck wanderten hinein und Freiyas Blick immer wieder zu ihrer rechten Seite. Sie wollte ein Grinsen unterdrücken, es gelang ihr nicht. Dann trafen Wassertropfen ihre Seite.
„He!“, lachte sie und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
„Ich wollte dir nur behilflich sein!“
„Das schaff ich grad noch so alleine“, erwiderte die Rote Snapperin.
„Nicht mit dem Geschirr, du hast da auch Schmutz“, sprach Ryu grinsend.
„Was? Kann gar nicht sein“, murmelte Freiya. Hatte sie sich doch mit der dreckigen Hand durchs Gesicht gewischt? Ryu tauchte seine Hand ins kalte Nass und wischte ihr über die Wange, dann nickte er einmal.
„Hast du dich schonmal betrachtet?“, fragte sie ihn neckend. „Du hast noch eine Menge zu tun.“
Er blickte ins Wasser, dass durch ihrer beider Bewegungen zu unruhig war, um sein Gesicht zu spiegeln.
Freiya ließ das Leinentuch in ihrer Hand sinken, dann fasste sie in einem aberwitzigen Anflug von Mut nach seinem Kinn und drehte sein Gesicht zu ihr. Nun tauchte sie ihre Hand ins Wasser und fuhr über seine Stirn und Wangen. Das neckende Schmunzeln auf ihrem Gesicht wich einem sanften Blick und Stille überkam beide. Freiya versuchte das Klopfen ihres Herzens und das lautstarke Summen der Hummel in ihrem Bauch zu ignorieren. Sie schloss die Augen, als sie Hand langsam erneut ins Wasser tauchte und ihre Fingerspitzen über seine Haut tanzen ließ. Als sie sie wieder öffnete, wischte sie erneut über sein Gesicht, diesmal vorsichtig über seine Augenlider, um sie vom Schmutz zu befreien. Als sie fertig war, hielt er die Augen geschlossen. Und Freiya? Hielt den Kontakt mit seiner warmen Haut. Sie fühlte sich so leicht. So mutig. Es war nicht kompliziert. Hier im wärmenden Sonnenlicht am Ufer des Flusses nahe des Turms und doch so weit weg von allem. Hier bei ihm.
Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und er öffnete die Augen. Sie verweilten einen Augenblick, als das jähe Knacken von Holz sie aus diesem Moment riss. Ryus Instinkte schienen anzuspringen, sein Blick verfinsterte sich augenblicklich. Er suchte die Umgebung hinter Freiyas Rücken ab.
„Seit wann blühen Bäume im Herbst?“, sagte er schließlich und stand auf.
Freiya erhob sich ebenso, drehte sich um und ihr Blick fiel auf einen großen Baum, der nicht weit von ihnen am Ufer stand und sich tatsächlich in schönster Blüte befand. Weiße zarte Blütenblätter ließen auf einen Apfelbaum schließen.
„Seltsam, den habe ich vorhin gar nicht gesehen“, entfuhr es Freiya mit gerunzelter Stirn.
Ein weiteres Knacken ertönte und sofort waren Ryus Sinne geschärft. Seine Hand wanderte gewohnheitsmäßig an den Griff seines Schwertes. Freiya blickte alarmiert von ihm zur Quelle des Geräusches. Dann … bewegte sich etwas, das sich niemals hätte bewegen können …
Geändert von Aniron (20.07.2025 um 00:51 Uhr)
Grund: Link hinzugefügt
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Beim Waldläuferführer - Kiyan (+ Hjarti, Ricklen und Mertens)
Dies war das Waldvolk, kein Orden oder Königreich, bei dem der Anführer hinter dicken Mauern und dutzenden Wächtern kauerte und man nur nach Katzbuckelei und Treueschwüren für ein kurzes, einseitiges Gespräch vorgelassen wurde. Nein, in ihrer Gemeinschaft konnte jedermann, wenn er ihn sah, den Waldläuferführer ansprechen. Und bei dringenden Nachrichten folgte niemand einem bindenden Korsett aus überflüssiger Etikette, sondern stürmte in die Räume des Chefs nahe der Krone von Tooshoo. In diesem Fall waren es Ricklen, Hjarti und Kiyan, wobei letzterer eher das Schlusslicht bildete.
Mertens hörte sich den Bericht von Hjarti aufmerksam an und seine Miene verriet Besorgnis und wachsende Nachdenklichkeit. Sie ähnelte dem Ausdruck auf dem Gesicht des Nordmarers. Verständlich, da beide auf dem Festland die Schrecken der Ork-Herrschaft erlebt hatten, ein Land und eine Heimat an die Invasoren aus den Nordlanden verloren hatten. Ricklen wirkte zwar auch ernster als sonst, hob aber hervor, dass Argaan als Insel nicht den Wert für eine Invasion hätte, ganz einfach, weil es hier nichts gäbe.
„Schutz“, Kiyans heisere Stimme kam Mertens zuvor. Der nickte.
„Wie meinst du das?“, fragte sein Kommandoführer.
„Was auch immer die Orks vorhaben, sie haben einen weiten Weg. Die Nordlande sind unglaublich weit entfernt. Direkt über die Myrtanische See können sie nicht fahren, da ist die Flotte des Großreichs unterwegs … und der haben sie wenig entgegenzusetzen. Also umfahren sie diese, um vielleicht in die weitläufigeren, weniger dicht besiedelten Gebiete des Festlandes zu kommen. Setarrif bietet hier also auf dem Umweg einen sicheren Hafen. Schutz.“
Ricklen überlegte kurz. „Varant ist also ihr Ziel?“, fragte er. „Aber die Biester hassen die Hitze.“
„Aber sie hassen die Menschen, die ihnen die Niederlage und Schande brachten, noch mehr.“, bemerkte Hjarti. Der wusste als Nordmarer mit Kampferfahrung gegen Orks, wovon er sprach.
„Das ist eine Möglichkeit.“, schloss Mertens weitere Einwürfe aus und fuhr sich über das bärtige Kinn. „Alles nur Theorien. Fakt ist, sie sitzen in Setarrif in einer guten Position. Sie haben die Ruinen, die Schutz bieten. Und wie ich die Bastarde aus den Nordlanden kenne, denke ich, dass sie alsbald Befestigungen errichten werden. Am Ende werden sie aber in erster Linie ein Problem für den Orden darstellen. Oder für die Setarrifer, wenn die ihre Ruine zurückhaben möchten.“
„Aber was“, warf Kiyan ein, „wenn sie in unsere Richtung ziehen? Wir lassen sie doch nicht unbehelligt passieren, oder?“
„Natürlich nicht. Dann werden sie – je nach Auftreten – die Grünen Teufel kennenlernen. Dann wird dieser Sumpf für sie zu einer Todesfalle.“
Kiyan nickte. Er hatte von einigen Veteranen der Zeit auf dem Festland von den Grünen Teufeln gehört. Auch als Handelsreisender war ihm der Name immer wieder geläufig gewesen. Kampfverbände der Waldläufer, die fast schon legendär waren, die in ihrer Kriegsführung dafür sorgten, dass allen voran die einfachen Orksoldaten die Wälder fürchteten, weil übernatürliche Wesen mit Pfeil und Bogen darin Jagd auf sie machten. Am Ende war es ein Zusammenspiel der Waldläufer und einiger Magiebegabter, die den Eindruck schufen, der Wald selber habe sich gegen die Orks verschworen.
„Gute Arbeit, Jungs“, sagte Mertens in Richtung von Hjarti und Kiyan. An Ricklen gewandt, sprach er: „Geh zu Jilvie und sage ihr, sie soll vermehrt Kommandos und Späher in den Osten schicken. Keine Neulinge, alte Hasen und Waldläufer, die was draufhaben. Die Gegend ist so schon verteufelt gefährlich, aber mit gut ausgebildeten, schwer bewaffneten Orks … nun, du weißt schon.“
Ricklen winkte ab. „Keine Sorge, wir machen schon kein Aufnahmeritus daraus, dem Kriegsherrn der Stadt die Unterhose zu stibitzen. Wir kümmern uns darum, Chef.“
Mertens nickte dankbar und verabschiedete sie. Hjarti machte sich auf den Weg, um das Bärenfleisch zur Mama zu bringen und dafür auch sicher den Dank einzuheimsen. Kiyan blieb noch bei Ricklen stehen, der mit ihm in Richtung Baumkrone stieg. Auf dem Weg dorthin segelte Kor’ha hinab auf die Schulter des Jägers. Der Kommandoführer schnaubte belustigt.
„Deine Krähe scheint dir ans Herz gewachsen zu sein.“
Die Ruhe der Rabin ging auf den Gortharer über, der nickte. „Sie hat Mitleid mit armseligen Gestalten. Deshalb bleibt sie wohl.“
Der Waldläufer bat ihn, anzuhalten. Dann sah er der Rabin eindringlich in die Augen. Der Vogel erwiderte sofort den Blick und maß den blonden Menschen ebenso, wie dieser sie musterte. Ein kurzes, sanftes Lächeln strich über Ricklens harte Züge.
„Sie mag dich sehr, Kiyan.“
„Wie …“
„Manch Waldläufer hat … eine besondere Bindung zu den Tieren der Natur. Nein, nicht dass sie uns als Kampfgefährten dienen, also nicht nur … es geht um eine Art … mh, nun … Empathie für einander. Wie eine Art Verständigung. Nicht zu vergleichen mit dem, was die Druiden beherrschen.“, erklärte Ricklen, deutete dann auf Kor’ha. „Sie hier, Kiyan, sieht dich als Familie. Als Gefährten. Und … lustigerweise … als Junges, um das sie sich kümmern muss.“
„Was?!“, fuhr Kiyan gespielt verärgert auf, „Das Federvieh sieht mich als Junges, dem sie Würmer in den Hals speit?“
Ricklen lachte auf. „So in etwa. Euch verbindet etwas, das merke ich. Eure Instinkte sind aneinander angepasst, ihr … teilt ein Band. Vielleicht hast du es schon gemerkt.“
Kiyan – wieder ernst – nickte. Oh ja, das hatte er. Kor’has Nähe war sein Ruhepol.
„Ja. Jetzt seid ihr Familie, Kiyan, nun müsst ihr aber Kampfgefährten werden. Denk an Jilvie und ihren Luchs. Sie verlassen sich blind aufeinander, selbst wenn’s das dichteste Gefecht ist. Das müsst ihr auch erreichen.“ Erneut ein zufriedenes, fast anerkennendes Lächeln. „Und das schafft ihr, das weiß ich. Weißt du, Gortharer, ich denke es war eine gute Entscheidung, dich in meinem Kommando aufzunehmen. Du hast das Zeug, mal ein hervorragender Waldläufer zu werden. Und wenn Onyx endlich mal vom Übungsplatz runterkommt, könnt ihr euch endlich auf den Weg machen. Das ist dann dein erster Schritt auf dem Weg zur Spitze.“
„Bis dahin lasse ich mich bemuttern.“ Der Jäger streichelte dem Vogel über den pechschwarzen Kopf. „Na los, Rabenmutter, mir knurrt der Magen.“
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Im Sumpf unweit von Schwarzwasser
„Fy fan!“ hallte es über Argaan, als die Jägerin an ihrem Arm herabblickte. Ein dicker Blutegel hatte sich an ihrem Unterarm festgesaugt. Auch nach mehrmaligem Schütteln blieb das wirbellose Tier hartnäckig hängen, mit kleinen, scharfen Zähnchen hatte es sich festgebissen. Wie ein Vampir, nur sehr viel kleiner und unförmiger. Und mit Spiegelbild. Ein Stechen zog durch ihren Arm, als das Vieh begann Blut zu saugen, nur wenig, und doch spürbar.
„Ahnenverlassener Sumpf!“ zeterte Ylva. Sie waren hierher gegangen, damit sie mit ein paar anderen Tieren interagieren konnte. Damit sie mit ihnen ihre Magie üben konnte, nachdem sie mit Wroc keine wirkliche Verbindung aufbauen konnte. Sie vermutete, dass es an ihrem Misstrauen gegenüber Raben lag, die ihr schon in Nordmar in die Wiege gelegt wurde. Zu viele Geschichten hatte sie gehört, von der Arglist und Bosheit dieser Tiere, dass sie Wroc nicht ansehen konnte, ohne an sie zu denken. Auch wenn er nicht den Eindruck machte, ein Vogel aus der Unterwelt zu sein.
Sie begab sich auf ein trockenes Fleckchen Land und ließ den Egel für einen Moment baumeln. In regelmäßigen Zyklen zog er sich zusammen und entspannte sich wieder, saugte und ließ leicht ab. Ein Zyklus, auf den sich die Jägerin konzentrieren konnte, der ihr vertraut klang und in ihr widerhallte, laut und klar. Der Takt vermengte sich mit der Magie, überlagerte sich und schaukelte sich auf, während darunter,wie von einer Trommel, Betonungen eingeworfen wurden, die die Abscheu und Abneigung der Nordmarerin in sich trugen. Ein gewisser Ekel vor diesem Tier, und davor, was es tat. Die Betonungen wurden stärker, intensiver, wie ein Trommelgewitter, bis sie und die Musik der Magie stoppten.
Der Egel zitterte leicht, als würde er sich über sich selbst schämen, dann ließ er von ihr ab, ließ sich fallen und kroch zurück ins Sumpfwasser, wo er vermutlich fortan ein vegetarisches Leben führen würde.
Die Jägerin blickte Ornlu an.
„Sag jetzt bloß nichts.“ warnte sie und setzte den Weg fort.
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Felsennest Niradh
Mit geschlossenen Augen hatte Vareesa dem gesungenen Wort ihrer Schwester gelauscht und dabei über die zuvor gesprochenen Gedanken gemacht. Ein Teil von ihr. Wie oft und von wie vielen Personen hatte sie diesen Satz nun schon gehört? Wie konnte etwas der Teil von einem sein der gegen einen arbeitete? Fiel es den anderen leichter diesen Teil zu akzeptieren, weil er deren Fähigkeiten und Feinfühligkeit für die Welt erweiterte? Vielleicht sogar vereinfachte? Ein leichter Schmerz durchfuhr die Schulter der Bognerin bei dem Gedanken, mehr der Magie zuzulassen, statt sie zu bändigen. Kein gutes Zeichen, oder? Wenn der eigene Körper einen schon beim kleinsten Gedanken daran warnte?
Aber da, inmitten des geistigen Bildes einer Libelle, die so ihre Libellen-Dinge tat, lag noch eine andere Beobachtung Zarras schwer in den Überlegungen Vareesas: Magie zu formen, wenn sie außerhalb lag. Eigentlich gar nicht so dumm! Vor allem wenn man bedachte mit welcher Leichtigkeit die Kapuzenträgerin es mittlerweile beherrschte, Lichtkugeln zu formen, sobald die Partikel der Magie sich gesammelt hatten, damit die ewigen spektralen Begleiter genug Halt fanden, um sich in das gewünschte Objekt zu formen. War es am Ende mit dem Schleier ähnlich? Sozusagen die Magie wie die komischen Essstäbchen mit denen Ryu manchmal aß als Verlängerung der eigenen Fingernägel zu nutzen? Vielleicht …
Das Lied der jungen Rimbe endete und als ihre Mitschülerin die Augen aufschlug erkannte sie das leichte, liebliche Erröten auf ihren Wangen und musste unweigerlich damit beginnen zu lächeln. „Ist es nicht. Albern, meine ich.“ Mit einem entspannten Seufzen ob der leichten Sackgasse, in der sie stand, lehnte sie sich nach hinten, das Gewicht ihres Oberkörpers auf die ausgestreckten Arme gestemmt und mit dem Kopf im Nacken, den Augen auf dem schier unendlichen Geäst der Baumkronen über ihnen. „Ehrlich: abgesehen von Schmetterlingen und flauschigen Motten fand ich Insekten immer ein wenig gruselig. So viele Beine. So viele Augen. Aber so wie du darüber singst und dich für sie begeisterst, wirken die fast schon wieder niedlich. Außer Wespen und Blutfliegen. Das sind Stachelärsche und die einzige Rechtfertigung, warum die roten Kartoffelsackträger Innos‘ das Recht auf Feuermagie haben sollten!“
Wieder schaute sie aus dieser merkwürdigen Verrenkung zu Zarra und begann dann leicht zu kichern, ehe sie wieder ruhiger und etwas ernster wurde. „Also, singen, das machst du gerne, ja?“
Mit einem Ruck lehnte sich Vareesa wieder nach vorne und krabbelte dann auf allen Vieren etwas näher zu Zarra, wo sie sich im Schneidersitz niederließ und ihre Hände ergriff. „Das gerade eben. Das üben wir jetzt – an mir. Dabei möchte ich, dass du mir in die Augen schaust und Blickkontakt hältst. Denk an deine liebste Melodie – summe oder singe sie, ganz egal. Was auch immer dir beim Entspannen hilft. Und ich denke an etwas bestimmtes, das mir freudig oder vielleicht auch mit Trauer in Erinnerung bleibt. Und deine kleinen Ameisen sollen herausfinden, was es ist. Einverstanden?“
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Felsennest Niradh
„Stachelärsche“, wiederholte Zarra und kicherte belustigt.
Sie verstand, warum Vareesa Blutfliegen und Wespen nicht sonderlich mochte, so ging es vielen. Doch für die Weißhaarige waren sie ebenso spannend, wie alle anderen Insekten. Wobei sie zugeben musste, dass die Stiche dieser Wesen etwas waren, worauf sie verzichten konnte. Aber anhand ihrer Narbe, die wohl einem Tattoo ähnelte, konnte man sehen, dass das Gift der Blutfliegen auch nützlich sein konnte.
„Ja, ich singe sehr gern. Aber eigentlich nur, wenn ich allein bin oder nur Oma mich hören kann - oder du scheinbar. Denkst du, wenn ich eine Melodie summe, dass es mir dann einfacher fällt eine Verbindung aufzubauen?“
Fiel es ihr überhaupt schwer Kontakt zur Seele der Tiere aufzunehmen? Oder war sie einfach nur überfordert mit den Informationen, die sie erhielt? Sie wusste es nicht, hatte auch keine Idee, wie sie es herausfinden sollte. Maris sagte, dass es zu Beginn leichter wäre sich an Tiere zu halten, die einem nahe standen wie bei ihm die Löwen. War es für Zarra leichter mit den Insekten, weil sie sich seit Kindertagen mit ihnen beschäftigt hatte?
„Na gut, versuchen wir es“, stimmte sie dem Vorschlag ihrer Schwester zu und schlang ihre Finger um jene von Vareesa.
Doch welche Melodie sollte sie summen? Musste es eine Bestimmte sein oder irgendeine? Ihre Liebste hatte ihre Mitschülerin gesagt, doch welche war das?
Nach kurzem Überlegen und dem Versuch eine angenehmere Sitzposition zu finden, begann sie zaghaft die Noten des Liedes zu summen, welches sie mit Enya an Beltane gesungen hatte. Es hatte einen ruhigen Beginn und half ihr dabei den eigenen Herzschlag zu beruhigen. Ganz langsam begann sie damit ihre Magie rhythmisch, der Musik angepasst auszusenden. Es war fast so, als würde ihr kleines Ameisenvolk tanzen, während es sich in die gewünschte Richtung bewegte. Nach und nach verteilten sich die einzelnen Krabbler außerhalb ihres Körpers, fanden das, was Maris als Seele bezeichnet hatte, tief in Vareesa. Ein Gefühl…wie sollte sie es beschreiben?
Grün, dachte sie und trotz der Absurdität, dass eine Farbe kein Gefühl sein konnte, passte es perfekt auf das, was sie spürte.
Doch es war nicht die einzige Farbe, der sie sich gegenübersah. Das tiefe Blau der Augen ihrer Schwester hielten den Blick ihrer türkisenen im Bann. Es war, als würde sie in einen ruhigen Bergsee blicken und die Reflektionen der Tiefe sehen, nicht etwa ihr eigenes Spiegelbild.
Vorsichtig streckte sie ihre magischen Fühler weiter aus, ummantelte den Kern der Bognerin auf der Suche nach einem Gedanken, den sie mit ihr teilen wollte, aber nicht aussprach. Zaghaft schickte sie ein Gefühl der Neugier aus, sah, wie Vareesa zu lächeln begann.
Das gesummte Lied wurde schneller und damit auch die Geschwindigkeit ihres Abtastens. Sie würde nicht denselben Fehler wiederholen wie bei Maris und einem Hirschkäfer gleich in das Nest einiger Sumpfbienen stürmen. Mit viel mehr Bedacht ging sie ans Werk und hielt ihre Ungeduld und die Begeisterung, die sie über das Wirken ihrer Magie empfand, im Zaum.
Langsam begann auch Zarra zu lächeln, als sie glaubte gefunden zu haben, was Vareesa ihr zeigen wollte. Es war ein Gefühl, welches untrennbar mit einer Erinnerung verbunden war. Sie hatte diesen Gedanken offengelegt und die Weißhaarige konnte nun teil daran haben. Eine Freude, wie sie nur jemand empfinden konnte, der etwas mit den eigenen Händen geschaffen hatte.
„War das dein erster, eigens gefertigter Bogen?“, fragte Zarra und spürte erst jetzt wie kühl ihre eigenen Finger waren.
Kühl und feucht, denn sie schien so nervös gewesen zu sein, dass sie schweißnasse Hände bekommen hatte.
„Ehm, entschuldige.“
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Wasserfall der Geister - ehemaliger Wachturm
Freiya blickte nach oben und sah fassungslos dabei zu, wie ein Ast des Apfelbaumes eine schwungvolle Bewegung machte.
„Wie … kann das sein?“, entfuhr es ihr entgeistert.
Ryu, der die Umgebung im Blick hatte, zog sie plötzlich zur Seite, als ein anderer dicker Ast über ihren Köpfen hinweg wischte. Der Hauptmann rollte elegant über den Boden, doch Freiya blieb mit dem Fuß in einer Wurzel hängen und stürzte. Ryu drehte sich um zu ihr und wollte zu ihr eilen, doch dicke Zweige und Äste versperrten ihm im nächsten Augenblick den Weg. Überrascht blickte Freiya hinter den Hüter und sah einen weiteren großen Baum sich bewegen.
Was war das für eine Beliarei?
Dieser Baum, ein stattlicher Ahorn, schien nicht nur lebendig zu sein, nein, er schien seine vielen Äste wie Arme zu schwingen! Und er hatte ein … Gesicht? Da blickten doch Augen auf die beiden Menschen herab und das Astloch darunter war eine Nase! Freiya war dermaßen überrumpelt, dass sie sich nicht bewegen konnte. Doch der wandelnde Baum hob etwas, das anmutete wie ein großer Fuß, nur eben … aus Holz und Wurzelwerk, und lenkte ihn in Freiyas Richtung, bereit, sie zu zermalmen. Im nächsten Augenblick geschahen mehrere Dinge.
Mit einem mächtigen Knurren zog Ryu sein Schwert, während der Apfelbaum sich in Bewegung gesetzt hatte und in großen Schritten zu ihnen hinüber kam. Der Fuß des Ahorns indessen bewegte sich weiter auf Freiya zu, die voller Angst ihren Kopf einzog und sich an den Boden presste. Das Wummern des Apfelbaumes näherte sich ihr, als sie plötzlich ein tiefes Brummen vernahm:
„Daro!“
Mit diesem Wort verstummte alles um sie herum. Zögerlich hob Freiya ihren Kopf und sah den Fuß des Baumes knapp über sich und daneben den … Apfelbaum, der dem anderen offensichtlich Einhalt geboten hatte. Sie fragte sich, ob etwas in den Pilzen am Morgen nicht gut gewesen war und sie nun halluzinierte. Zögerlich bewegte sie sich zur Seite, aus dem Schatten des Fußes heraus und richtete sich auf.
„Bist du in Ordnung?“, rief Ryu aus seinem hölzernen Gefängnis zu ihr herüber.
„Ja, mir ist nichts passiert“, erwiderte sie und blickte auf den Apfelbaum. Auch dieser schien ein Gesicht zu haben, seltsam lebendige Augen im Holz und eine Nase, unter der ein schmaler Streifen zu sehen war, der wohl so etwas wie ein Mund sein musste, denn es war der Apfelbaum gewesen, der gesprochen hatte. Was waren das nur für Wesen? Trieb hier jemand einen üblen Scherz mit dem Hauptmann und der Waldläuferin? Versteckte sich irgendwo hinter einem weiteren Baum ein irrer Magier? Wie sonst konnte es sein, dass Bäume lebendig wurden?
Da wurden Freiyas Augen groß: „Baumgeister!“
Sie erinnerte sich, dass sie schon einmal von diesen geheimnisvollen Kreaturen gehört hatte, einmal am Lagerfeuer nachts auf Tooshoo. Es waren angeblich Wesen, die noch von der Mutter selbst erweckt worden waren, uralte Hüter der Wälder und Täler, schon längst vergessen in den Erzählungen der Menschen. Vor allem aber lebten sie angeblich versteckt vor den Menschen und hielten sich aus den Angelegenheiten der Zweibeiner und der Götter raus. Doch nun schienen eben jene Kreaturen aus den Legenden Wirklichkeit.
Der Ahornbaum, der Ryu außer Gefecht setzte, hob einen Zweig und deutete auf Ryus Schwert.
„Megil“, brummte der Baumgeist, doch der Apfelbaum neigte sich neugierig hinüber und blickte auf das Schwert, das … keins mehr war.
„Rácina?“, fragte der Apfelbaum fast neugierig und Freiya war sich sicher, dass diese Stimme irgendwie weiblicher klang.
Ryu drehte sein Handgelenk und blickte auf die Reste seiner Waffe, von der kaum mehr als der Griff übrig geblieben war.
„Die Klinge wurde im Kampf gegen Garragh zerstört“, sprach er.
„GARRAGH!“, ertönte es einstimmig von den beiden Baumgeistern und plötzlich spürte Freiya, wie sich dickes, fingerartiges Holz um sie schloss und in die Luft hob.
„Garragh barumm“, knurrte der Apfelbaum wütend und im nächsten Augenblick wurde der Griff um Freiyas Körper fester und sie sah Bilder vor ihrem inneren Auge. Bilder von verpesteten Flussläufen, die verunstaltete Bäume nährten. Korrumpierte Pflanzen, die ihre Umgebung vergifteten und sich gegen das Leben wandten. Zwischen ihnen wandelte eine schreckliche Gestalt, die sie nur zu gut kannte. Freiya fühlte den Schmerz, den diese Bilder mit sich brachten.
„Garragh ist tot“, presste sie hervor. Da lockerte sich der Griff um sie herum etwas und es war ihr, als sah der Apfelbaum sie mit fragendem Blick an.
„Garragh ist tot, vernichtet“, sagte sie dann erneut. „Er wurde besiegt, Ryu hat ihn bezwungen und der Krötenprinz hat seinen Platz eingenommen. Jetzt ist die Kröte der neue Herr des Sumpfes.“
Beide Baumgeister wandten ihre Blicke zum Wyvernhüter, der sein Schwert sinken ließ und seine Hand bewusst auf das Holz des Ahorns legte. Dann schloss er die Augen und atmete gedehnt ein und aus.
Einige stille Momente vergingen, dann rührte sich der Ahorn wieder.
„Lok!“, entfuhr es ihm, dann öffnete er seinen Äste und Zweige und ließ Ryu aus dem hölzernen Gefängnis steigen.
„Was macht ihr hier? Was hat euch hierher geführt?“, verlangte der Hauptmann von Tooshoo zu wissen.
„Hastalë … gurth …“, erwiderte der Apfelbaum.
Freiya runzelte die Stirn und fragte leise: „Was heißt das?“
Die hölzernen Finger, die sie immer noch im Griff hatten, wurden wieder etwas fester und erneut sah Freiya Bilder vor ihrem inneren Auge. Sie erblickte ein Tal, grün und wunderschön. Hänge mit saftigem Gras, in dem sich Kaninchen tummelten, wilde Kräuter und Blumen, an denen sich allerlei Insekten gütlich taten, Bäume, alt und jung, mit prachtvollen Kronen, in denen Vögel zuhause waren und an deren Wurzeln Mäuse hausten. Dazwischen wanderten die beiden Baumgeister und es wurde klar, dass sie eben jene Bäume, jenes Tal, hüteten. Sie hatten die Bäume dort groß gezogen, vom Sämling bis zur stattlichen Säule in den Himmel. Diese Geister, der Ahorn und die Apfelblüte, gehörten zusammen und waren Vater und Mutter dieses Tals gewesen. Doch dann veränderte sich die idyllische Landschaft und das Gras wurde braun, die Erde zu fauligem Schlamm und ein Grauen vertrieb das Leben in jenem Tal, bis ein tödlicher Nebel aus der Senke emporkroch. So dass am Ende auch die Baumgeister flohen. Mit jenen Bildern kamen Trauer und Bitternis. Nun war es klar: Verderbnis und Tod hatten die Baumgeister vertrieben.
Das Tal jedoch … Freiya hatte es erkannt. Sie warf Ryu einen Blick zu, denn der Ahorn schien ihn ebenso die Erinnerungen der Baumhüter gezeigt zu haben. Ryu fing Freiyas Blick auf und als sie wortlos einen Namen mit den Lippen formte, nickte er.
„Wir kennen Euren Schmerz“, sprach Freiya dann zu den beiden Baumgeistern.
Ryu nickte langsam: „Was ihr erlitten habt, mussten wir ebenso ertragen. Auch wir haben … Teile unseres Zuhauses verloren durch die Korruption. Wir haben …“, sein Blick wanderte für einen Augenblick in die Ferne, dann wieder zum Ahorn und seiner Gefährtin, „jene verloren, die uns nahe standen … geliebte Wesen, deren Spuren für immer verwischt sind.“
Ein Knacken ertönte, es war der Apfelbaum, der sich regte und mit dünnen Zweigen nach den beiden Menschen suchte. Wieder strömten Bilder in die Köpfe der beiden, diesmal war es Regen, der über das Land kam und es reinwusch, Moos und Gras, das sich über tiefe Gräben legte, junge Triebe, die sich aus dem ehemals verfaultem Boden erhoben. Die Natur, die die alten Narben verdeckte und dem Leben ein neues Gesicht gab. Hoffnung kam mit diesen Bildern. Freiya blickte wieder zu Ryu, der vorsichtig die Hand auf die dünnen Zweige legte, die seine Schulter berührten.
„Das wird auch mit eurem Land passieren, nun, da Odo fort ist“, sprach er. „Freiya, zeigen wir ihnen, wie Odo gestorben ist, damit sie nach Hause zurückkehren können.“
Die Rothaarige nickte, dann legte sie ihrerseits die Hände auf das Holz des Apfelbaumes, der sie immer noch hielt, und begann sich zu erinnern, wie es war im Gebirge. Vom ersten Augenblick an, als sie das Tal gesehen hatten und Odo begegnet waren, bis hin zu dem Moment, als Freiya Odos Leben beendet hatte, nachdem Ryu und Griffin ihn kampfunfähig gemacht hatten. Das letzte, an was sie sich erinnerte, war ihr Blick über das Tal und Ryus Worte, dass es sich erholen würde.
„Frieden liegt in der Ruhe nach dem Sturm und nach der finsteren Nacht bricht die Dämmerung an, die den Sonnenaufgang ankündigt“, sprach Ryu, dann blickte er Freiya an und sie musste lächeln.
„Ihr könnt nach Hause gehen, wir geben Acht, dass kein Baum hier durch Korruption zu mehr zu schaden kommt“, sprach die Waldläuferin.
Nun endlich entließ der Apfelbaum auch Freiya und setzte sie auf den Boden. Doch ihre Beine, lange in unnatürlicher Haltung durch das Holz, gaben nach und sie wäre zu Boden gesackt, wenn Ryu nicht da gewesen wäre und sie mit einem Arm um die Taille gestützt hätte.
Der Ahorn und der Apfelbaum streckten in einer liebevollen Geste ihre Äste einander entgegen und blickten sich an. Dann schauten sie ein letztes Mal auf die beiden Menschen hinunter:
„Cundonaed.“
Freiya kam etwas in den Sinn. Sie kannte die Sprache nicht, aber die Worte gaben ihr ein Gefühl, was es war, das sie sprachen. Sie erinnerte sich an die Worte, die sie nach dem Thing gehört hatte und sagte langsam:
„Elen sila lumenn …“
„… omentielvo!“, ergänzte der Apfelbaum und legte seine langen fingerartigen Zweige auf ihre Hände. Wie merkwürdig es sich anfühlte: so kühl und doch gleichzeitig voller Leben! Als sich das Holz wieder entfernte, blickte Freiya hinab und sah einen reifen Apfel in ihren Händen.
„Namárië!“, brummten die beiden Baumgeister, dann drehten sie sich um.
„Namárië“, flüsterte Freiya.
Mit einem gewaltigen Satz überquerten der Ahorn und der Apfelbaum den Fluss und verschwanden im Wald auf der anderen Seite, wahrscheinlich auf dem Weg nach Süden zurück in ihr Tal. Das Tal, das nun nicht mehr Odos Tal war, sondern wieder das Tal von Ahorn und Apfelblüte werden sollte.
Lange blickten Freiya und Ryu ihnen schweigend hinterher, über ihnen schon längst der Nachthimmel und funkelnde Sterne. Freiyas Griff um den Apfel festigte sich schließlich ein wenig.
„Ryu …“, sagte sie leise, „mit dir erlebt man die größten Wunder.“
Geändert von Aniron (19.06.2025 um 01:31 Uhr)
Grund: Link hinzugefügt
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Felsennest Niradh
„Der Erste. Ja. Ein furchtbares Teil, aber das Gefühl etwas geschaffen zu haben und dazu von der eigenen Lehrmeisterin gelobt zu werden … Das werde ich nie vergessen.“, gab Vareesa offen zu, zur Abwechslung mal ohne Scheu davor, Erinnerungen preiszugeben mit denen sie ein paar schöne Gefühle verband. Das damals war wirklich ein schöner Moment. Einer der ersten, in denen nicht an ihr kritisiert, gemault oder Dinge beanstandet wurden, für die sie nichts konnte. Einfach ein Gefühl von Erfolg und ‚genug sein‘. Zufrieden und in Freude für ihre Schwester drückte sie sachte ihre Hände. Es war ein wenig ungewohnt dieses magische Kribbeln zu spüren, welches sich wie die Spitzen sanfter Gräser auf ihrer Haut hinauf bis in den Nacken zu strecken schien und irgendwo kitzelte es, löste eine leichte Gänsehaut aus. Eines dieser Gefühle das man eigentlich, wenn man nicht wusste, woher es kam, ganz schnell vom Körper wischen, aber in vertrauter Umgebung doch genießen konnte.
„Ich … würde mich jetzt nicht wirklich als Tier bezeichnen. Gut, Ronja meinte mal, ich wäre ‚ne Sau, wenn es um Sahne und Käsekuchen geht, aber das zählt nicht Übrigens, magst du Käsekuchen? Ich liebe Käsekuchen! Du solltest mal zum Käsekuchenessen vorbeikommen wenn wir wieder zuhause sind! Ähm, naja unwichtig. Will sagen: wenn du, vielleicht gerade zu Anfang Umgebungen schaffst, mit denen du vertraut bist und dich sicher fühlst, wird es dir bestimmt auch leichter fallen, deinem Gegenüber mehr Vertrauen zu entlocken.“
Die Bognerin hielt eine Weile inne, bis Zarra ihre Magie wieder abklingen ließ, führte dann die Hände des Mädchens zusammen und umschloss diese mit ihren. „Kleine Schritte. Wie deine Ameisen!“ Ein wenig nachdenklich, als reifte da ein Gedanke in ihr heran, schob sie das Kinn nach vorne und blickte mit schief gelegtem Kopf nach oben. Darauf folgte ein dezentes Nicken. „Ja. Ja, vermutlich behandle ich deshalb jeden Zauber anders. Deine Ameisen sind toll! Die kommen überall hin, aber es hilft, die Situation, in die du sie schickst, menschlicher zu verstehen. Immerhin sind die am Ende auch nur hm, längere Fingernägel oder so. Tut mir leid, mir fällt da gerade kein vernünftigeres Beispiel ein.“
Entschuldigend hob sie die Schultern an und ließ dann von Zarras Händen ab und verschränkte die Arme unter der Brust. „Weißt du, wenn ich mit einem Tier ‚sprechen‘ möchte, versuche ich es wie einen Menschen zu behandeln. Seine Ängste zu respektieren und Grenzen einzuhalten. Nicht falsch verstehen: du bist eine ganz Liebe, Zarra. Aber stell dir vor, jemand packt dich gerade aus dem Nichts, während du ausgehungert die Vorratsschränke durchwühlst und alles, was du findest, sind Spinnennetze und ein paar Motten. Oder noch schlimmer: du sitzt auf dem Pott und deine beste Freundin erzählt dir lautstark davon, wie ihr Tag war, während du in Ruhe …“
Vareesa spürte die verbundene Peinlichkeit, die damit einherging, solche alltäglichen und doch privaten Dinge aus dem Nähkästchen zu plaudern, verkniff sich ein betroffenes Grinsen und wirbelte kurz herum. „WIE. AUCH. IMMER. Begegne deinem Gesprächspartner auf Augenhöhe sei freundlich und stör ihn nicht beim Kacken. Und wenn du möchtest und ein Tierchen zum Üben findest, gebe ich dir gerne ein paar Tipps, worauf du achten solltest, wenn du dich mit ihnen ‚unterhalten‘ möchtest. Weil, naja du weißt schon, Jägerin und so. Also, natürlich nur wenn du möchtest.“
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