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Das Quietschen und Grunzen nahm kein Ende. Obwohl das Molrat inzwischen erkannt hatte, dass seine Welt nun durch die Länge der Leine um seinen feisten Hals bestimmt wurde. Ganz abfinden konnte es sich damit offensichtlich nicht. Zu allem Überfluss hatte das fette Schwein als erstes eine Runde um den Baum gedreht, an dem die Leine befestigt war, und dadurch deren Länge noch um einiges verkürzt. Wie diese Tiere überhaupt in der Wildnis überlebten, war Vicious vollkommen schleierhaft.
Den Platz in der Baumkrone gäbe die Kopfgeldjägerin gewiss nicht auf, nur um den Vierbeiner zu entheddern. Dort oben saß sie nun halbwegs bequem auf einem dicken Ast und ihr präsentierte sich eine hervorragende Aussicht auf den anderen Baum, an dem das Molrat festgebunden war.
Der Sinn dahinter war einfach. Die Aufmerksamkeit sollte gänzlich auf das angeleinte Tier gezogen werden. Um nicht nur vor Augen, sondern auch vor Nasen sicher zu sein, hatte die Fremdländerin noch ein zweites Molrat gefangen. Im Gegensatz zum ersten, lebte dieses jedoch nicht mehr. Dessen Kadaver lag ein Stück weit vom Baum entfernt. Sein Blut hatte Vicious genommen und damit das angeleinte Schweinchen beschmiert. Es roch widerlich, was perfekt in den Plan passte. Was die Kopfgeldjägerin nicht plante, war sich die Hände zu waschen. An ihr konnte schließlich kein Blut kleben, sonst wäre das ganze Unterfangen sinnlos. Einen vollen Schlauch Wasser hatte es zum Waschen bedurft und trotzdem hatte sie immer noch das Gefühl, als würden ihre Finger nach dem Zeug stinken.
Stunden zogen ins Land, ohne dass etwas passierte. Zum Glück der Kopfgeldjägerin schien der Mond in dieser Nacht hell genug, so dass alles unter dem blättrigen Dach des Waldes in ein unheimliches Licht getaucht war.
So viel Aufwand für hundert Goldstücke und ein Rezept. Je länger Vicious darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihr die Idee. Sie hätte auf dem Festland bleiben sollen. Dort gab es wirklich lukrative Aufträge. Aufträge bei denen sie sich nicht die Hände buchstäblich mit Blut beschmieren musste. Hier wusste sie nicht mal, ob es das Ziel wirklich gab. Ein ominöser, großer Wolf, der Schafe wegschleppte. Was für eine lächerliche Idee.
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Lehrling
Caarelia hielt die Luft an, bis dieser gigantische Schrank von einem Mann mit stapfenden Schritten die Hütte verließ. Henderson lächelte die Diebin entschuldigend an und eilte ebenfalls hinaus.
Caarelia stützte sich erleichtert an der Küchentheke ab und atmete tief durch. Das war knapp! Dieser Hempel scheint wohl leider nicht so leichtgläubig zu sein.
Die Diebin kratzte sich am Kopf und bemerkte, dass etwas Entscheidendes fehlte.
„Nix da“, sagte Caarelia bestimmt und schnappte sich ihr Streifenhörnchen, das drauf und dran war, einen der geschnittenen Äpfel anzuknabbern. Lord Streifenwind schien resigniert zu schnauben und ließ sich in Caarelias blonden Dutt setzen. Die Diebin nahm das Band, das ihre langen Haare zusammenhielt, und knotete es so zusammen, dass es nicht nur ihre Haare, sondern auch den sich darin befindenden Lord Streifenwind an Ort und Stelle zusammenhielt.
Die Diebin schnibbelte die Äpfel weiter, als sei eben nichts passiert. Obwohl die Mühlen in ihren Kopf nun richtig zu mahlen anfingen. Fieberhaft überlegte sie, woher sie den Lehrling kannte, bis es ihr schlagartig wie Schuppen von den Augen fiel. Caarelia schluckte laut und blickte durch das kleine Küchenfenster nach draußen in den Wald, in der Hoffnung, dass dessen Anblick sie beruhigen würde.
Sie war diesem Berg von Mensch und dessen blonden Milchbub-Schnautzer bereits in Thorniara begegnet. Daran gab es keinen Zweifel. Dieser zarte blonde Oberlippenflaum war, neben der beachtlichen Statur des Lehrlings, unverkennbar!
Caarelia erinnerte sich daran, wie sie „versehentlich“ gegen ihn gestolpert war und ihm ganz nebenbei um seinen Geldbeutel erleichtert hatte. Leider hatte er es nur zu früh bemerkt und war ihr hinterher gerannt. Ein Glück, dass er nicht so schnell war, wie er groß war! Es war für Caarelia ein leichtes, ihn in verwinkelten Gassen abzuschütteln. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie ihm sogar noch unauffällig wieder auf den Marktplatz gefolgt war und dabei ein paar neue Schimpfwörter gelernt hatte, die er wütend vor sich hingeflucht hatte. Und zu allem Übel hatte noch jemand anderes seine Einkäufe gestohlen, die er fallen gelassen hatte, um der Diebin hinterher zu rennen.
Eine unangenehm hitzige Röte stieg in die Wangen der Diebin, als sie daran zurückdachte. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was wohl passieren würde, wenn Hempel sie nun doch erkennen würde.
Caarelia seufzte laut und griff zu einem weiteren Apfel.
Selbst, wenn er sie erkennen würde, könnte sie schließlich alles abstreiten. Henderson wäre ganz gewiss auf ihrer Seite. Schließlich war sie ja Lady Caarelia! Und dennoch, fragte sie sich, was Hempel wohl mit der Leiter vorhatte und wo sich dieses ominöse Sparschwein befand. Sie hatte schon die Befürchtung gehabt, dass Hempel ein ganz Schlauer war. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als er vor der Diebin das „Versteck“ ihres Sparschweins preisgegeben hatte.
Ein sanftes Schnarchen drang aus Caarelias Dutt, woraufhin sie vorsichtig einen Finger hob und den Kopf ihres schlummernden kleinen Begleiters kraulte. Wie oft hatte sie schon versucht, Lord Streifenwind beizubringen, etwas zu stehlen? Alles vergebliche Liebesmüh‘. Das Hörnchen hatte das Diebesgut in seinen Bauch verfrachtet und hatte an Ort und Stelle ein kleines Nickerchen gemacht. Nicht die beste Vorgehensweise für ein diebisches Hörnchen.
Kurzerhand schnappte die Diebin sich einen halbwegs sauber aussehenden Krug und verließ die kleine Hütte. Sie war ihrer Neugierde nun vollends unterlegen. Sie begab sich zu dem Bach, der an Hendersons Hütte entlang verlief und füllte den Krug mit Wasser. Dabei sah sie sich um. Henderson und Hempel waren nirgendwo zu sehen.
Die gute Nachricht war, dass sie die Leiter, die Hempel zu verstecken versuchte, gefunden hatte. Die schlechte Nachricht war, dass sich diese auf dem Dach des Hauses befand, schräg gegen den eifrig rauchenden Schornstein gelehnt. Caarelia fiel die Kinnlade herunter. Da würde sie nie im Leben drankommen!
Ein plötzliches Räuspern ließ die Diebin aufschrecken, die sich zu Hempel umdrehte, der sie mit fragendem Blick von oben bis unten musterte.
„Wasser. Für die Blumen“, erklärte Caarelia sich und hielt den mit Wasser gefüllten Krug lächelnd hoch. Hempel kniff seine Augen zusammen und verschwand murmelnd im Haus.
Caarelia tapste dem Lehrling vorsichtig hinterher und verschwand schnell in der Küche. Sie stellte den Krug auf die Fensterbank ab und verfrachtete vorsichtig den Blumenstrauß darin, bis ein lautes Magenknurren die Stille in der Kücher unterbrach. Sie konnte den Eintopf kaum erwarten, obwohl sie wegen den Äpfeln in diesem noch recht skeptisch war.
In diesem Moment kam Henderson rein, der ein paar Zwiebeln im Schlepptau hatte. Er begann diese fröhlich pfeifend zu schälen, während Caarelia mit einem Mal ein fürchterlicher Gedanke kam.
Sie hatte kein Geld. Sie hatte nichts an Wert. Was wäre, wenn Henderson doch etwas verlangen würde, dafür, dass er ihr nun einen Unterschlupf für ein paar Tage gewähren würde? Er und sein Lehrling waren wohl im Umgang mit Leichen bewandert. Sie befanden sich in einer Hütte im Wald… Caarelia zählte panisch eins und eins zusammen! Verbarg sich hinter dem gut gelaunten Abdecker in Wahrheit ein Mann mit unstillbarer Mordlust?
Als ob Lord Streifenwind ihre Gedanken gehört hätte, klopfte er zwei Mal fest mit seinen kleinen Händen auf ihren Kopf.
„Aua“, schimpfte Caarelia leise und Henderson hörte jäh auf zu pfeifen und sah zu der Diebin auf. „Ähm. Kann ich sonst noch irgendwie behilflich sein? Ich kann sehr nützlich sein! Mit dem Messer oder einem Dolch schnibbel‘ ich dir den Vogel in kürzester Zeit klein! Ich kenne mich ein bisschen mit Pilzarten aus und könnte im Wald nach welchen suchen gehen. Was meinst du?“
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Lehrling
Hendersons Hütte - Eintopf
Eine kleine Träne kullerte über Hendersons Wange. Selbst wenn er versuchte, sie zurückzuhalten, die Kraft der Zwiebel war stärker. Da half ihm nur ein fröhliches Lied zu pfeifen und der gelegentliche Griff zum Taschentuch. Die Arbeit musste erledigt werden und das Resultat würde sich lohnen. Außerdem wollte er weder Lady Caarelia noch Lord Streifenwind weinen sehen. Konnten Streifenhörnchen überhaupt weinen? Henderson schob dem kleinen Nager ein Stückchen Zwiebel hin, doch das landete nach einer kurzen Schnupperpartie auf direktem Weg auf dem Küchenboden. Auf die Fünf-Sekunden-Regel wollte Henderson ausnahmsweise mal verzichten, vor Gästen musste man nun wirklich nicht vom Boden essen!
„Wir können morgen gern in den Wald gehen und Pilze sammeln, das ist eine fabelhafte Idee.“ Er lächelte und schnaubte in sein Taschentuch.
„Ich kenne ein paar Stellen, an denen zu dieser Jahreszeit Dunkelpilze und Krötenwurz wachsen. Gebraten sind die köstlich. Man kann sie aber auch bei den Alchimisten in der Stadt verkaufen und ein bisschen Geld verdienen.“
Endlich war er mit der Zwiebel fertig. Beim Fleisch ließ er sich gern von Caarelia zur Hand gehen und während die beiden drinnen alles vorbereiteten, befüllte Hempel draußen die Feuerschale und entfachte darin ohne große Mühen ein Feuer. Über einem eisernen Gestell hängten sie den Topf und kochten erst das Fleisch eine Weile, bis schließlich Zwiebeln, Äpfel und ein paar Karotten hinzugegeben wurden. Während alles köchelte, bekam Knorpel ein paar Fleischreste ab und schleppte sie in ein wohlbekanntes Versteck hinterm Haus. Der Kater war clever, er nahm sich immer etwas Fleisch, schaffte es weg und kehrte zurück, in der Hoffnung, jemand dachte, er habe noch nichts abbekommen. Meistens funktionierte die Taktik.
Henderson richtete noch die Schlafplätze ein, denn mit vollem Magen wollte er das später nicht machen. Es konnte durchaus passieren, dass er nach einem guten Abendessen wie diesem einfach nach hinten umkippte und einschlief. Als gescheiter Mensch musste er dafür vorsorgen.
„Jetzt hast du eine Vorstellung davon, wie wir hier leben“, sagte Henderson und schenkte Caarelia eine Schüssel voll Eintopf ein. „Willst du uns auch etwas von dir erzählen? Lebst du allein?“
„Gugge sie dir doch ma ahne. Natürlich lebt sie allene!“ Hempel nahm sich gierig eine große Portion. Ganz richtig, denn er war ja auch der Größte von ihnen und wenn Henderson seinen Worten Glauben schenkte – und das tat er – war Hempel sogar noch im Wachstum.
„Aber nein, sie hat doch Lord Streifenwind!“, klärte Henderson seinen Lehrling auf und wandte sich wieder an Caarelia. „Wie hast du dich überhaupt mit ihm anfreunden können?“
„Kömmer jetze erstma?“, unterbrach Hempel ihn erneut.
„Oh, natürlich.“ Henderson hob seine Schüssel fast schon feierlich vor sich und nickte ihr und seinen Kameraden zu. „Den Göttern zum Dank für Speis und Trank. Sowie für alte und neue Freunde. Guten Appetit!“
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Mit einem Schrecken fuhr Vicious aus dem Schlaf hoch. Sie hatte nur kurz die Augen zumachen wollen und nun war wie viel Zeit vergangen? Gleichgültig. Zumindest war die Kopfgeldjägerin nicht vom Baum gefallen. Sich alle Knochen zu brechen, würde diesem Abenteuer noch die Krone aufsetzen.
Nach ein wenig Recken und Strecken blickte Vicious zum Mond hinauf. Lange konnte sie wirklich nicht geschlafen haben. Und hätte sich der große, böse Wolf gezeigt, hätte sie es schon noch mitbekommen. Oder etwa nicht? Es war still. So still, dass nur noch das Rascheln der Blätter zu hören war. Die Fremdländerin kniff die Augen zusammen, um nach dem angebundenen Molrat zu sehen. Kein Grunzen oder Quieken kam mehr von dort, was sehr verdächtig war. Vielleicht war das Vieh einfach heiser geworden, dachte sich Vicious. Ganz glauben wollte sie es aber nicht. Da bewegte sich was. Eindeutig das Molrat. Die Umrisse waren im fahlen Mondlicht klar zu erkennen.
Dennoch misstraute die Kopfgeldjägerin der Situation. Irgendetwas stimmte nicht. Ihre mandelförmigen Augen suchten die nähere Umgebung des Baumes ab, an dem sie das Molrat angeleint hatte. Doch außerhalb des Mondscheins existierte nur grau in grau.
Vicious bewegte ihren Hals. Das Liegen auf dem Ast hatte ihr nicht gut getan. Sie wusste jetzt schon, dass der Schmerz garantiert für den Rest des Tages anhielt. Es war ein Fehler gewesen, nicht mit Saraliel loszuziehen. Das wäre leicht verdientes Geld gewesen.
Dann hörte sie es. Ein Schnauben irgendwo in den Schatten. Ganz gleichmäßig und langsam. Offensichtlich lag nicht nur die Kopfgeldjägerin auf Lauer. Noch einmal kniff Vicious die Augen zusammen und blickte angestrengt in das eintönige Grau. Nichts. Oder? Etwas das nach einem Ast aussah bewegte sich dort unten. Bloß konnte es kein Ast sein. Es war viel zu massiv dafür, als dass der Wind ihn so wippen lassen konnte. Die Fremdländerin konzentrierte sich auf die nähere Umgebung des vermeintlichen Astes, um vielleicht Anfang oder Ende zu erspähen. Dann hielt sie inne. Zwei glitzernde Punkte in den Tiefen der Schatten verrieten den anderen Jäger.
Auf ihrer Astgabel wagte sich Vicious kein bisschen zu bewegen. Ihre Atmung ging kontrolliert, ihr Herzschlag leicht erhöht. Um der Anspannung Herr zu werden, biss die Kopfgeldjägerin die Zähne so fest zusammen wie sie konnte.
Plötzlich gab es ein lautes Getöse am Boden. Ein Körper schälte sich aus dem Grau des Dickichts und brach dabei mühelos das Geäst. Vom Mondschein erleuchtet, konnte Vicious nun endlich erkennen, womit sie es zu tun hatte. Es bestand kein Zweifel daran, dass es ein Tier war. Im ersten Moment hätte sie einen Wolf vermutet. Nur passten die Proportionen nicht so recht. Die Vorderläufe waren viel zu lang und der Körper war viel zu kantig. Auch bewegte es sich nicht wie andere Wölfe, sondern mehr wie ein Gorilla. Als das Tier an eine Stelle kam, wo das Blätterdach darüber ein großes Loch besaß, sah Vicious es in seiner ganzen Pracht im silbrigen Mondlicht. Eindeutig ein Wolf, dachte sie sich, aber wie sie noch keinen gesehen hatte. Wenn das tatsächlich dasselbe Tier war, das Erika gesehen hatte, konnte Vicious die Angst der Frau gut nachvollziehen. Auch das Molrat hatte inzwischen den riesigen Wolf wahrgenommen und riss verzweifelt an der Leine. Es hatte keinen Zweck. Die Kopfgeldjägerin wusste, wie man einen Gefangenen festsetzte. Egal ob er zwei oder vier Beine besaß.
Dann dröhnte ein ohrenbetäubendes Brüllen durch die Nacht. Die Falle hatte zugeschnappt. Von ihrer erhöhten Position beobachtete Vicious wie der Wolf von einem Bein auf das andere sprang, nur um im nächsten Moment abermals laut zu Brüllen. Die Schmerzen mussten unerträglich sein.
In Vorbereitung hatte Vicious im Tageslicht die Umgebung des Baums mit Krähenfüßen übersät. Normalerweise nutzte die Kopfgeldjägerin sie, um Verfolger abzuschütteln. Hier formten sie einen schützenden Ring um das angeleinte Molrat. Und sie hatten ihren Zweck erfüllt! Die Bestie floh ins Dickicht aus dem es gekommen war. Behände und ohne einen Mucks von sich zu geben, ließ sich Vicious auf den Boden herab und spurtete dann dem Tier hinterher. Weiße Stofffetzen an Stöckchen gebunden verrieten ihr genau, wo sie besser keinen Fuß hinsetzen sollte.
Nach einer kurzen Weile öffnete sich der Wald vor der Fremdländerin. In der Entfernung sah sie den großen Wolf laufen. Wie er dazu überhaupt noch in der Lage sein konnte, war Vicious völlig schleierhaft. Früher oder später müssten die Wunden aber selbst die größte Bestie in die Knie zwingen.
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Waldstück nahe Thorniara
Thelyron lief vorsichtig weiter durch den Wald, die Augen fest auf den Boden gerichtet, aber der Schreck saß ihm immer noch in den Knochen. Er konnte nicht anders, als immer wieder an die Grube zu denken, in die er beinahe gefallen wäre. Seine Finger tasteten unbewusst nach dem Amulett, das er um den Hals trug. Es war aus einfachem Metall, tiefschwarz mit einem rötlichen Stein in einer eckigen Fassung, und für Thelyron hatte es eine besondere Bedeutung. Er erinnerte sich an den Tag, als er es gefunden hatte – damals, in Montera, als er ebenfalls Pilze suchte. Wölfe hatten ihn überrascht, und er war panisch durch den Wald geflohen, bis er in ein tiefes Loch gestürzt war. In diesem Loch hatte er das Amulett entdeckt, als wäre es für ihn bestimmt gewesen. Seitdem trug er es immer bei sich, als Glücksbringer.
"War es ein Zeichen?" fragte sich Thelyron leise. Er hatte wieder nach Pilzen gesucht, und wieder war er fast in die Tiefe gestürzt. Zufall oder Schicksal? Er schüttelte den Kopf, versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Es gab jetzt Wichtigeres – sie mussten die Dunkelpilze finden. Plötzlich ertönte ein Ruf durch den Wald. "Hey! Ich glaube, ich habe welche gefunden!" Es war Emir, der aufgeregt durch die Bäume schallte.
Sofort lief die Gruppe zu ihm, der Ordenskrieger Calis, Lucan und Thelyron folgten rasch den Rufen. Und tatsächlich, als sie bei Emir ankamen, sahen sie die dunkelgrauen Pilze, die sich in einem schattigen Bereich unter einem alten, umgefallenen Baumstamm drängten. "Dunkelpilze!" rief Lucan erfreut. "Endlich!"
Emir kniete sich hin, um die Pilze genauer zu betrachten. Sie wuchsen in kleinen Büscheln, und ihre Hüte hatten die charakteristische dunkle Färbung, die sie so gut erkennbar machte. "Es sind zwar nicht viele..." sagte Emir, während er einen der Pilze behutsam aus dem Boden zog, "...aber es ist ein Anfang." Thelyron bückte sich ebenfalls und untersuchte die Pilze genauer. "Ja, sie sind in gutem Zustand!" sagte er erleichtert. "Frisch und kräftig. Das wird Meister Ventros gefallen."
Die Stimmung in der Gruppe besserte sich sofort. Auch wenn sie noch nicht genug Pilze gesammelt hatten, um ihre Aufgabe zu erfüllen, war dies ein erster Erfolg. Thelyron spürte, wie sich die Spannung in seinem Körper löste, während er Emir einen dankbaren Blick zuwarf. Die Gefahr, die beinahe vorangegangen war, rückte in den Hintergrund, und die Freude über den Fund wog schwerer.
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Lehrling
Caarelia führte den ersten Löffel Eintopf zu ihrem Mund. Skeptisch roch sie daran, bevor sie einen Happen nahm und innerlich strahlte.
Eine Symphonie der Aromen tanzte über ihre Zunge und sie konnte es kaum erwarten, die ganze Schüssel zu verschlingen.
Die anfängliche Skepsis über den Apfel in diesem deftigen Gericht, war nun komplett verschwunden. Sie musste sich eingestehen, dass Henderson ein wahrer Connaisseur war! Auch, wenn sie es anfangs niemals für möglich gehalten hätte.
Apropos Henderson: sie hatte seine Fragen nicht vergessen, brauchte allerdings noch ein bisschen, um sich eine passende Ausrede auszudenken. Schließlich konnte sie ihm nicht verraten, dass die eine Diebin war! Hempel würde sich sicherlich an sie erinnern und sie hochkant rausschmeißen! Wenn nicht sogar die Stadtwache informieren und dann konnte sie gucken, wo sie blieb!
Hempels Katze Knorpel gesellte sich zu der Diebin und stupste diese sanft mit ihrer Nase an. Lächelnd hob Caarelia ihren Ellenbogen, sodass sich die Katze an sie kuscheln konnte. Lord Streifenwind schnaubte laut.
„Nun, ich wohne bei meinem Vater“, erzählte Caarelia und aß noch einen weiteren Löffel von ihrem Eintopf, den sie innerlich mit einem Freudentanz zelebrierte. Jahrelang hatte sie nichts weiter als Grießbrei zu essen bekommen und da war jede andere Nahrung eine Wohltat und Bereicherung für ihre verkümmerten Geschmacksknospen.
Theoretisch stimmte es auch, dass sie bei ihrem Vater lebte. Das Detail, dass sie allerdings von Zuhause weggelaufen war, musste sie ja nicht unbedingt erwähnen.
„Mein Vater ist… Händler! Genau, er verkauft…“, fing Caarelia an und blickte in den Abendhimmel hinauf, bis ihr eine zündende Idee kam. „Tabak! Ja, mein Vater handelt mit Tabak. Wir besitzen ein kleines Häuschen in Thorniara, das ich hüte, wenn er auf Reisen ist.“
Hempel hob interessiert seinen Kopf und blickte die Diebin eindringlich an.
„Und meine Mutter… tja, die ist leider verstorben“, log Caarelia, woraufhin Henderson einen mitfühlenden Blick aufsetzte und seinen Löffel senkte. Hempels steinerne Mine verzog sich um keinen Millimeter. Dabei war das auch wieder nicht ganz gelogen. Emotional gesehen, war Caarelias Mutter für sie allerdings gestorben.
„Tabak sachste, ja?“, fragte Hempel, nachdem er den letzten Rest Eintopf aus seiner Schüssel geschlürft hatte. „Wie heißtn dein Vaddern? Der macht mir bestimmtn guten Preis, jetzte wo wir seene Kleene fürn paar Tag hüten.“
„Oh, ähm…“, fing Caarelia nervös an und überlegte fieberhaft, was sie darauf antworten sollte. Komm schon, das kannst du doch besser, dachte die Diebin, während sie plötzlich bemerkte, wie ein gewisser Jemand aus ihrem Dutt sprang. Lord Streifenwind hatte sich auf Knorpel gestürzt, welcher sich die ganze Zeit schnurrend an Caarelia gekuschelt hatte. Eilig stellte die Diebin ihre Schüssel voll Eintopf zur Seite und schnappte sich flink das Hörnchen vom Rücken der fauchenden Katze.
Knorpel murrte noch etwas vor sich hin und verzog sich schnell hinter das Haus.
„Du kleines Biest“, schimpfte Caarelia wütend mit ihrem Hörnchen, das sie nun schuldbewusst mit großen Augen ansah. „Du wirst dich später gefälligst bei Knorpel entschuldigen! Wir haben das doch besprochen: wirst immer mein Lieblingstier bleiben.“
Lord Streifenwind wedelte mit seinem buschigen Schwanz, während Caarelia ihren kleinen Begleiter wieder in ihren Dutt setzte.
„Ach ja, und ihn hier habe ich vor einem Jahr beim Pilze suchen im Wald gefunden“, erklärte die Diebin, was ausnahmsweise der vollen Wahrheit entsprach. „Ich habe ihn vor einem großen Baum gefunden, mit verletztem Füßchen. Da konnte ich ihn nicht einfach so liegen lassen! Also habe ich ihn mit nach Hause genommen und ihn wieder aufgepäppelt. Und seitdem ist er bei mir geblieben.“
Caarelia streichelte Lord Streifenwinds Kopf vorsichtig mit der Spitze ihres Zeigefingers.
„Und nun zu euch beiden“, versuchte die Diebin die Aufmerksamkeit von sich zu lenken. Henderson sah sie fragend mit dicken Wangen voller Eintopf an, während Hempel sie tatsächlich immer noch mit unverändertem Gesichtsausdruck anstarrte. Hatte er zwischenzeitlich überhaupt mal geblinzelt?
„Wie habt ihr beiden denn überhaupt zueinander gefunden? Und wie um alles in der Welt kommt man dazu, einen Beruf erlernen zu wollen, in dem man mit Leichen hantiert?“
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Lehrling
Hendersons Hütte - Märchen, Mahr und Marbollo
Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Hendersons Lippen aus. Er war pappsatt und glücklich. Es war so schön, mal wieder einen Gast zu haben, der auch ehrliches Interesse an seinem Leben zu haben schien. Hempel war immerzu mürrisch, wenn er keinen Alkohol oder Tabak bekam und Knorpel zeigte ihm aus unerklärlichen Gründen oft die kalte Schulter. Caarelia war ihm eine sehr willkommene Abwechslung, sie war neugierig und sie schien ihr Herz am rechten Fleck zu haben.
„Also ich wurde in den Beruf hineingeboren“, beantwortete er ihre Frage und dachte mit einem Anflug von Melancholie an seine Vergangenheit.
„Wir Abdecker bleiben meistens unter unseresgleichen, weißt du? Die Arbeit ist zwar wichtig, aber die Menschen halten lieber respektvollen Abstand von uns. Weil wir doch so viel mit Kadavern und Krankheiten zu tun haben, aber ich halte mich immer sauber.“
Demonstrativ leckte er sich die Finger ab. Spucke war super, um sich zu säubern, das hatte er von Kater Knorpel gelernt.
„Meine Eltern leben auf dem Festland, aber mein Stiefvater hat mich nach dem großen Krieg nach Argaan geschickt, um hier nach dem Rechten zu sehen. Gesegnet sei er, ich habe vor einigen Jahren, als die Pest ausgebrochen war, bei der Eindämmung mithelfen können. Die Götter haben mich vor einer Ansteckung verschont, ich bin gewissermaßen gesegnet. Mir geht es besser als je zuvor.“
Sein Blick wanderte zu Hempel, der nur unschlüssig seine Nackenmuskulatur knacken ließ. Knorpel hatte es sich auf seinen breiten Schultern bequem gemacht und verteilte eine Respektschelle. Wahrscheinlich hatte ihn das knirschende Geräusch erschreckt.
„S’geht, ne? Könnt schon besser sein, ar mor beschwerd sich ne, ‘s jehörd sich nich. Ich wollt immer Jäjer wer’n, ar die ham mich ne jenomm, weil ich nich so leise sein kann, weßte? Gugge mich nur ma ahne.“
Er flexte ein bisschen seine Muskeln.
„E Kerl wie’n Baum. Irjendwann wern’se mich nehm. So lange bin ich hier beim Henny un mach’s Beste draus, verstehste? Ehrliche Arbeit, Mädel. Kannste dir ma e Beispiel nehm, ne?“
„Ach nun sei doch nicht so“, sagte Henderson. „Sie hat doch schon viel geholfen.“
„Ja ja, is jut. Bist in Ordnung, ich sach ja nischt. Aber wehe du schnarchst, ne? Un Pfoten weg vom Sparschwein, ich sach’s noch ma! Ich zähle das nach, wenn’s sein muss. Ich kanns fast bis hundert zähl‘n.“
„Hempel kümmert sich immer ums Finanzielle“, fügte Henderson hinzu.
Schon wenig später hatten sie abgeräumt und sich in ihre jeweiligen Nachtlager zurückgezogen. Lady Caarelia bekam das Schlafzimmer, während Henderson es sich auf ein paar Fellen in der Nähe des Kamins gemütlich machte. Hempel schlief in Ermangelung an Platz unter dem Küchentisch. Es war ein aufregender Tag gewesen und es dauerte nicht lange, bis Henderson sich im Reich der Träume befand.
Er hatte oft seltsame Träume und nicht selten tauchten darin die Verstorbenen auf, um sich bei ihm für die Bestattung zu bedanken. Doch diesmal war es nicht Henning, der ihn besuchte, es war ein Tier, genauer gesagt ein Streifenhörnchen. Moment, das konnte doch nur Lord Streifenwind sein. Er hatte den ganzen Mund voller Nüsse und flitzte über einen Baum. Und da war auch Caarelia, sie kletterte hinterher, ein Schatten verfolgte sie. Henderson wollte sie warnen, dass der Ast, auf dem sie saßen, zu dünn war, doch seine Warnung kam zu spät. Mit einem lauten Knall brachen sie ab und –
„Aua!“
Henderson schreckte hoch. Was war geschehen? Wer hatte da gerufen? Er erspähte Hempel in der Dunkelheit, er rieb sich den Kopf. Er war wohl aufgeschreckt und direkt gegen die Tischplatte geknallt.
„A-alles okay bei dir, Hempel?“
„Marbollo!“, murmelte er.
„Wie bitte?“
„Der Tabakhändler, der alte Morris Marbollo, der Marbollo-Mann! Das is der Einzige, der’n Kind hat. Ich kenn‘ die alle. Ar ich bin mir ziemlich sicher, dass der nur’n Sohn hat, weßte?“
„I-ich glaube, ich kann dir nicht ganz folgen, Hempel …“
„Macht nichts. Schlaf du ma, ich kümmer mich drum.“
„… okay …“
Henderson ließ sich zurückfallen und schlief schnell wieder ein. Diesmal ganz ohne Träume.
Am nächsten Morgen war Hempel verschwunden. Das erstaunte Henderson, denn eigentlich war er immer derjenige, der zuerst wach war, meistens bereits vor dem Sonnenaufgang. Er ging schnell seiner Morgentoilette nach und fachte die Feuerschale wieder an. Darin kochte er Wasser für einen Tee. Vorsichtig horchte er im Anschluss an der Schlafzimmertür und konnte leise Atemgeräusche vernehmen. Caarelia schien es gut zu gehen, aber wo war Hempel hin? Henderson wartete noch eine halbe Stunde, bis sich die Sonne so halbwegs zeigte, dann klopfte er vorsichtig an der Schlafzimmertür.
„Caarelia, ich habe Tee gemacht. Magst du aufstehen?“
Leises Murren schlug ihm entgegen.
„Lady Caarelia Marbollo?“, rief er etwas lauter und fragte sich selbst, wie er gerade darauf kam. Vielleicht konnte sie sich ja einen Reim darauf machen.
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Lehrling
„Mhm“, murrte Caarelia, als sie langsam die Augen öffnete. Warme Sonnenstrahlen umschmeichelten das Gesicht der Diebin, die sich daraufhin kurzerhand das Kissen schnappte und es über ihren Kopf zog. Mit einem Mal bekam sie einen Schreck und legte das Kissen wieder zur Seite.
Sie hatte geschlafen. Sie war doch tatsächlich eingeschlafen! Normalerweise war Caarelia mit einem halben Auge wach, wenn sie in einer fremden Umgebung war oder nachts auf der Straße oder unter Brücken schlafen musste. Sie nahm lieber eine schlaflose Nacht in Kauf, als dass sie sich im Schlaf ausrauben ließ. Schließlich wusste sie selbst, wie einfach das war.
Mürrisch richtete Caarelia sich auf und blickte zu Lord Streifenwind, der seelenruhig rechts von ihr schlummerte. Sein kleiner flauschiger Brustkorb hob und senkte sich sanft, während die Diebin nur den Kopf schütteln konnte.
„Typisch. Ich hätte dich nicht die erste Schicht unserer Nachtwache übernehmen lassen sollen“, murmelte Caarelia träge und streckte sich ausgiebig. Hendersons Schlafgemach war für den ein oder anderen vielleicht nichts Besonderes, doch für Caarelia war es der Himmel auf Erden, wenn sie in einem Raum für sich in einem richtigen Bett schlafen konnte.
Schließlich hatte sie früher bei ihren Eltern in einer kleinen engen Besenkammer schlafen müssen. Zusammen mit ihrer Schwester. Und selbst dort konnte sie keinen Schlaf und keine Ruhe finden, wenn sich ihre Brüder nachts heimlich zu ihnen schlichen um sie heimzusuchen. Caarelia verzog das Gesicht, als sie sich daran erinnerte, wie einer ihrer Brüder…
Mit einem Mal klopfte es an der Tür. Caarelia wurde aus ihren Erinnerungen gerissen und schreckte dermaßen hoch, dass sie Lord Streifenwind damit aufweckte. Panisch sah er sich um und rannte hektisch zu dem Ort, an dem er sich am sichersten fühlte. Also huschte er zu Caarelias Nacken und versteckte sich in ihren langen goldenen Haaren.
„Lady Caarelia Marbollo?“, hörte die Diebin nun jemanden sagen. Sie war sich sehr sicher, dass es Henderson war. Doch warum nannte er sie „Marbollo“? War das ein umgangssprachlicher Begriff?
„Ja?“, fragte die Diebin einfach und versuchte Lord Streifenwind mit ein paar Streicheleinheiten zu beruhigen. Stille. Vielleicht hat sie nicht laut genug gesprochen?
Flink sprang sie aus Hendersons Bett und öffnete die Tür. Der Abdecker wünschte ihr einen guten Morgen und bat ihr einen Tee an. Caarelia nahm das Angebot gerne an und folgte Henderson nach draußen.
„Wo ist denn Hempel?“, fragte die Diebin nachdem sie sich noch einmal ausgiebig streckte. Das morgendliche Vogelzwitschern war eine wahre Wohltat für ihre Ohren. Das bekam sie in diesem Ausmaß nicht wirklich oft zu hören. Henderson erklärte, dass er nicht wisse, wo sein Lehrling war, was sie wieder zu einem Gedanken führte.
Wie sollte sie sich auch gegen ihre diebischen Gewohnheiten wehren, wenn der Lehrling immerzu von diesem Sparschwein sprach?
Caarelia nahm einen kleinen Schluck vom Kräutertee und bemerkte, wie ein gewisser Jemand über ihren Arm krabbelte.
„Nein“, sagte Caarelia behutsam aber auch bestimmt. Lord Streifenwind, machte auf ihrem Ellenbogen kehrt und verkroch sich wieder in ihren Haaren. Caarelia wollte keinesfalls, dass ihr Hörnchen wieder fast in ihre brühend heiße Tasse fiel! Das wäre beinahe schon zu oft passiert…
Die Diebin warf einen Blick auf das Dach. Die Leiter, die Hempel versucht hatte zu „verstecken“ lag immer noch dort oben. Und noch bevor sie einen weiteren Gedanken in Richtung Sparschwein verlieren konnte, setzte Henderson sich zufrieden lächelnd zu ihr. Sie sprachen kurz über den gestrigen Abend und Henderson äußerte seine Bitte, dass die beiden in den Wald zum Pilze sammeln gehen. Dann müsse er nicht so weit bis in die Stadt laufen, um diese „kleinen Köstlichkeiten“ zu kaufen.
Caarelia seufzte innerlich und ärgerte sich ein bisschen, dass sie das erzählt hatte. Jetzt rückte das Sparschwein vor ihrem innerlichen Auge weiter in die Ferne. Zumal war sie noch recht träge, da sie es nicht gewohnt war, durchzuschlafen. Vermutlich hätte sie noch eine Runde Schlaf gut vertragen können.
Lord Streifenwind klopfte der Diebin auf die Stirn, die nun aus ihren Gedanken gerissen wurde.
„Aua“, schimpfte Caarelia, was sich für Henderson wohl wie „Au ja“ angehört haben muss. Freudestrahlend dankte er ihr, eilte in seine kleine Hütte und kam ein paar Sekunden später mit zwei geflochtenen Körben raus.
„Den können wir noch mitnehmen“, murmelte Caarelia und beugte sich zu einem besonders großen Pilz runter. Lord Streifenwind wollte ihr helfen und schaufelte mit seinen kleinen Händen die Erde um den Pilz herum beiseite.
Henderson sammelte ein paar Bäume weiter fröhlich pfeifend Pilze ein, von denen Caarelia ihm gesagt hatte, dass man sie bedenkenlos essen kann. Vorsichtshalber würde sie seine Ausbeute aber auf jeden Fall noch mal kontrollieren!
So schlecht fand die Diebin es im Wald gar nicht.
Es war noch mal ein ganzes Stück ruhiger und idyllischer, als die gedacht hätte. Sie fühlte sich so, als könnte sie endlich Abstand von ihren rasenden Gedanken und des immerwährenden Fluchtinstinkts nehmen.
Gerade wollte Caarelia den gigantischen Pilz in ihr geflochtenes Körbchen legen, als sie ein lautes Knacken hinter sich hörte. Es fühlte sich so an, als würde jemand hinter ihr stehen.
Caarelia wagte es, ihren Kopf ein wenig nach rechts zu drehen. Henderson sammelte weiterhin fröhlich pfeifend seine Pilze ein. Er war es also nicht.
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Waldstück nahe Thorniara
Die Novizen setzten ihre Suche fort, die dichten Baumstämme des Waldes umgaben sie wie ein lebendiger Ozean aus Grün. Die Luft war kühl und frisch, durchzogen von dem erdigen Duft des feuchten Bodens und dem süßen Aroma der Pilze, die überall zwischen den Wurzeln und Moosen wuchsen. Thelyron fühlte sich in diesem Moment wie ein Teil der Natur, während er mit Lucan und Emir durch die schattigen Bereiche streifte.
Mit jedem Schritt entdeckten sie neue Pilze: große, fette Steinpilze, die in der Sonne leuchteten, und filigrane, glitschige Morcheln, die in den schattigen Winkeln der Baumstämme verborgen lagen. Lucan hatte sich mit seinem Korb weit auf die Suche begeben und rief gelegentlich, wenn er etwas Entdeckenswertes fand, was die Stimmung aufhellte.
Der Ordenskrieger Calis blieb stets in der Nähe, seine wachsamen Augen auf die Umgebung gerichtet, während er einen respektvollen Abstand hielt. Thelyron war dankbar für seine Präsenz, denn es schuf ein Gefühl der Sicherheit in dieser dichten Wildnis.
Als Thelyron um eine kleine Biegung im Wald lief, fiel sein Blick auf eine Gestalt, die sich zwischen den Bäumen bewegte. Eine Frau mit schimmerndem, blonden Haar, das im sanften Licht des Morgens glänzte. Sie kniete am Boden und schien ebenfalls Pilze zu sammeln. Neugierig näherte sich Thelyron ihr und begrüßte sie mit den Worten: "Innos zum Gruße." Er fragte sie, ob sie auch auf der Suche nach Pilzen sei.
Die Frau drehte sich zu ihm um und ihre Augen funkelten im Licht. Sie schien einen Moment innezuhalten, als würde sie die Worte in sich aufnehmen, doch ehe sie reagieren konnte, näherte sich Calis: "Zurück!" rief er. Von der Frau ging gewiss keine Bedrohung aus, doch Thelyron konnte die Sorge des Ordenskriegers verstehen. Er war für die Sicherheit der Novizen verantwortlich und würde zur Rechenschaft gezogen werden, sollte er dieser Aufgabe nicht gerecht werden. "Alles in Ordnung!" rief Thelyron zurück. "Nur jemand, der auch Pilze sammelt!"
"Hat er Dunkelpilze?" hallte es aus einiger Entfernung. Der Novize Lucan näherte sich nun ebenfalls und überholte den schwerfälligen Ordenskrieger in seiner Rüstung. "Verzeihung! Hat sie Dunkelpilze?" korrigierte sich Lucan.
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Lehrling
Waldstück nahe Thorniara - Pilzfreunde
„Oh, versucht es noch einmal mit: Habt Ihr Dunkelpilze. Wir sind nämlich zu dritt.“
Henderson trat hinter einem Baum hervor, den er sich eine ganze Weile lang angeschaut hatte. Er kannte dieses Waldstück wie seine Westentasche und konnte schnell wahrnehmen, wenn etwas Auffälliges vor sich ging. Die Spuren von Menschen hatte er erkennen können, das war nicht ganz so schwierig, denn inzwischen lag schon einiges an Laub am Boden und das verriet einem schnell, ob sich größere Lebewesen in der Nähe befanden. Als er bemerkte, dass es sich um Angehörige des Ordens handelte, fühlte er sich beruhigt und gesegnet. Die Novizen waren sehr gelehrsame Menschen und der Ordenskrieger, den sie dabeihatten, sorgte für Sicherheit. Aber wie würde es Caarelia in seiner Anwesenheit gehen? Ob er etwas von dem Missverständnis aufgeschnappt hatte, weswegen sie aus der Stadt hatte fliehen müssen?
„Innos zum Gruß, Freunde! Mein Name ist Henderson und das hier sind Lady Caarelia und ihr treuer Begleiter Lord Streifenwind.“
Er deutete auf das Streifenhörnchen, das sich wieder in Caarelias Dutt versteckt hatte und die Fremden neugierig beäugte. Der Blick seiner Begleiterin wanderte unsicher von einem Ordensmitglied zum nächsten. Henderson konnte sehen, dass sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Bereitete sie sich etwa darauf vor, wegzulaufen? Oder musste sie vielleicht einfach nur auf Toilette?
„Was für ein netter Zufall, dass wir uns hier beim Pilzesammeln begegnen. Um die Zeit von Samhain herrscht bei den Pilzen Hochsaison, wir haben jeder schon einen halben Korb voll gesammelt.“
Er lenkte die Aufmerksamkeit der Fremden auf ihren Fund und gezielt etwas weg von Caarelia. Gar nicht so einfach, immerhin war sie eine wirklich ansehnliche junge Frau. Aber die Jungs vom Orden waren auch allesamt anständige Kerle, dessen war er sich sicher.
„Ja, tatsächlich. Drei Dunkelpilze sind dabei. Ich wollte ein paar davon an die Alchemisten in der Stadt verkaufen. Hier, bitte schön.“
Henderson reichte jedem der drei Novizen einen Pilz. Leider hatte er keinen vierten für den Ordenskrieger; dem gab er einfach einen Apfel aus seinem Vorrat, immerhin mussten die Kämpfer bei Kräften bleiben.
„Eine kleine Spende. Grüßt mir gern die Alchimisten in der Stadt.“
„Habt Dank“, sagte einer der drei etwas verunsichert, aber neugierig. „Wo habt Ihr die gefunden? Gibt es noch mehr davon?“
„Oh ja, ganz bestimmt.“ Henderson kratzte sich am Hinterkopf und überlegte. „In dieser Richtung gibt es sicher noch einige, da würde ich jetzt aber nicht langgehen. Seht Ihr?“
Er deutete auf ein Zeichen, das die Jäger in den Baum geritzt hatten. Sie hatten ihr Revier markiert, darin sollte man sie zu dieser Zeit nicht stören, sonst wurde man noch unbeabsichtigt für einen Hirsch gehalten und angeschossen.
„Und dann gibt es noch den Moleratkessel, etwa eine Viertelstunde Fußmarsch von hier.“ Jetzt deutete er in die andere Richtung. „Die Molerats lieben Pilze, da gibt es bestimmt auch einige Dunkelpilze. Ich kann Euch hinbringen. Vielleicht können wir auch eines der Molerats erlegen. Aus dem Fleisch kann man viel Fett gewinnen, aber allein lege ich mich nicht mit den Tieren an. Wir haben auch nur ein paar Messer dabei, damit kommt man kaum tief genug in die Haut der Molerats.“
Ein klarer Wink an den Ordenskrieger. Er hätte wirklich große Lust darauf, mal wieder einen Topf Moleratschmalz auszulassen. Schon bei dem Gedanken tropfte ihm der Zahn.
„Oh, Caarelia, möchtest du mitkommen oder möchtest du unsere Ausbeute schon mal in die Hütte zurückbringen?“
Geändert von Henderson (15.11.2024 um 16:24 Uhr)
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Syrias hielt den Anderthalbhänder mit einer Hand, während er Johannas Angriff blockte. Dabei fuhr ein scharfes Stechen durch sein Handgelenk und hinterlies ein unangenehmes Ziehen in der Hand. Die Waffe fiel aus seiner Hand, er konnte das schwere Schwert nicht mehr halten. Keuchend sog er den Atem ein und trat hektisch ein paar Schritte zurück, bevor er die Hand hob. Johanna hielt mit ihrem Angriff inne und schaute den Söldner besorgt an, als sie seine schmerzverzogene Miene sah.
"Alles in Ordnung?" fragte sie unsicher.
Syrias winkte ab und massierte sich die Hand, während er die Zähne zusammen biss.
"Hab mir wohl was gezerrt oder so." knurrte er grimmig, bevor er sich bückte und versuchte sein Schwert wieder aufzuheben. Doch kaum wollte er sich wieder angriffsbereit machen, zog erneut ein fieses Stechen durch das Handgelenk, woraufhin er die Klinge erneut fallen lies. "Götterscheiße!" fluchte der Söldner und knurrte ungehalten. Wie sollte er mit Johanna üben, wenn er seine verfluchte rechte Hand nicht benutzen konnte? Diese blöde Kräuterfrau und ihr bescheuerter Kräuterumschlag! Einen Scheiß half der!
Wütend verstaute Syrias die Klinge in der Scheide und warf die Waffe auf den Handkarren.
Besorgt war Johanna näher heran getreten. Sie hatte den Söldner sicherlich schon einige Male kurz angebunden erlebt, schließlich war Syrias nicht immer ein Ausbund an Fröhlichkeit. Aber so wütend, dass er fast schon achtlos mit seiner Waffe umging? Das musste ein Novum sein.
Der Waffenschmied setzte sich auf Boden und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er einen Schluck aus dem Wasserschlauch nahm. Wohlweißlich nutzte er überwiegend die linke Hand, da seine Rechte weiterhin pochte und sich unangenehm warm anfühlte. Götter, er wurde langsam wirklich alt, so schien es.
"So kann das nix werden..." murrte er zu seiner dunkelhaarigen Begleitung. "Ich kann nicht mit dir üben, wenn ich nicht mal ein Schwert halten kann." Johanna, die ihren Degen bereits wieder verstaut hatte und nun das gleiche mit ihrem Dolch vorhatte, zögerte, bevor sie mit dem Dolch in Richtung des Söldners wies.
"Und was ist, wenn du deine andere Hand benutzt? Ich mach das ja auch mit dem Dolch."
Syrias betrachtete seine Linke. Warum eigentlich nicht? Die Griffe und Techniken kannte er ja. Das konnte doch sicherlich nicht so schwer sein.
Er stand auf, klopfte sich den Hosenboden ab und ging zum Karren. Doch statt des Anderthalbhänders griff er sich lieber das Kurzschwert, welches er vorsichtshalber mitgenommen hatte. Und als er es gezogen hatte und in der Linken hielt spürte er, dass es definitiv die bessere Entscheidung gewesen war.
Das Schwert fühlte sich fremd an, ungewohnt und falsch. Sein Griff wirkte schwach, fast schon linkisch.
Probehalber führte der Söldner ein paar Übungsschwünge aus, musste mehrfach nachgreifen, weil ihm die Klinge fast aus der Hand rutschte. Aber es nützte nichts, irgendwie mussten sie weiter üben. Und er musste in der Lage sein zu kämpfen, schließlich konnten sie nie wissen, was noch käme.
"Sei nett zur mir..." brummte Syrias zu Johanna, während er seinen Griff um das Schwert festigte. "Das wird ne ziemlich interessante Sache."
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Lehrling
Caarelia schluckte laut, als sie die vier fremden Männer vor sich betrachtete. Vor allem der eine, der bestimmt um die zwei Köpfe größer war als sie, schüchterte sie besonders ein. So offiziell, wie sie gekleidet waren, konnte das nur Ärger bedeuten. Und zwar für sie. Nicht zuletzt, weil einer der Herren augenscheinlich bewaffnet war. Hatten sie von ihrem missglückten Diebstahl in Thorniara Wind bekommen? Würden sie sie festnehmen? Caarelias Magen zog sich zusammen.
Hilfesuchend sah die Diebin sich im Wald um und versuchte einen geeigneten Fluchtweg auszumachen. Nervös verlagerte sie ihr Gewicht von dem einem auf den anderen Fuß und schüttelte letztendlich den Kopf.
Am Ende denken die noch, ich muss aufs Klo!, dachte die Diebin und versuchte ruhig zu bleiben. Sie versuchte sich in ihre Rolle reinzudenken, in der sie diejenige war, die zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt wurde. Die sollten ihr erst einmal nachweisen, dass sie versucht hatte, die Dame zu beklauen!
Zum Glück, musste es nicht soweit kommen, dass sie sich in irgendeiner Art rechtfertigen musste.
Als Henderson anbot, dass sie wieder zur Hütte zurücklaufen könnte, war das ihre Rettung! Sie wollte es nicht zugeben, doch langsam glaubte sie, dass Henderson ihr von den Göttern gesandt wurde. Dann hätten sie ihr endlich zum ersten Mal etwas Gutes getan!
Wurde auch langsam mal Zeit, dachte Caarelia und rieb sich innerlich die Hände. Sie konnte schon förmlich hören, wie das Sparschwein in Hendersons Hütte nach ihr rief.
„Lady Caarelia, hilf mir! Ich bin bis zum Rand mit Münzen gefüllt und platze gleich! Erlöse mich von meinen Qualen!“, quiekte das Sparschwein in ihren Ohren. Das wollte sich die Diebin sich nicht zweimal sagen lassen.
Sie setzte das freundlichste Lächeln auf, das ihr Gesicht hergab und sah zu Henderson hinauf. Gerade wollte sie zum Reden ansetzen, als sich ihr kleiner flauschiger Begleiter bemerkbar machte. Mit aller Kraft zog er an Caarelias goldenen Haaren, sodass die Diebin schmerzerfüllte Geräusche von sich gab und ein paar Schritte nach vorne torkelte. Genau in die Richtung, in der sich der Moleratkessel befand.
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Waldstück nahe Thorniara
Der Ordenskrieger stand mit verschränkten Armen und musterte die beiden Fremden aufmerksam. Ein kurzes, prüfendes Schweigen lag in der Luft, während er abwägte, ob es klug wäre, dem Vorschlag zu folgen. In ihm rangen Vorsicht und der Drang, die Novizen nicht unnötig zu gefährden. Die Wälder um Thorniara waren zwar nicht als ausgesprochen gefährlich bekannt, doch ein Molerat konnte für unvorbereitete Reisende durchaus zur Bedrohung werden. Nach kurzem Zögern wandte er den Blick zu den Novizen, die seine Einschätzung abwartend beobachteten.
Es waren die Novizen, die schließlich den Entschluss fassten, Hendersons Angebot anzunehmen. Sie hatten seit Stunden nach Dunkelpilzen gesucht, und die Aussicht, ihre Suche endlich erfolgreich zu beenden, brachte ihre Müdigkeit in den Hintergrund. In einem kurzen, stillen Austausch schien die Gruppe einig, dass sie die Gelegenheit nutzen wollte. Die Novizen hofften, im Moleratkessel endlich die Pilze zu finden, die für den Orden so wertvoll waren. "Na gut." brummte Calis. "Aber wir werden versuchen, das Molerat zu meiden!" mahnte er schließlich.
Mit vorsichtigen, doch zielgerichteten Schritten folgte die Gruppe Henderson auf einem schmalen Pfad durch die dicht bewachsenen Bäume. Die Stimmung war angespannt, jeder schien darauf bedacht, sich möglichst geräuschlos fortzubewegen, um nicht versehentlich ein Tier aufzuschrecken oder eine Spur zu verlieren. Auch die junge Frau, Caarelia, hielt sich still im Hintergrund und vermied es, die Ordensleute direkt anzusehen. Der Novize Emir beobachtete kurz, wie sie nervös von einem Fuß auf den anderen trat, als würde sie stets bereit sein, davonzulaufen.
Nach einigen Minuten erreichten sie den Moleratkessel. Die Lichtung war von niedrigen Höhleneingängen umgeben, die teilweise von dichtem Moos und herabhängendem Efeu verdeckt waren. In der Mitte des Kessels wuchsen Dunkelpilze, deren tiefblaue Köpfe fast aus dem dichten Laub hervorstachen. Die Novizen tauschten zufriedene Blicke aus, während Emir, der sich am besten mit Kräutern und Pilzen auskannte, vorsichtig niederkniete, um die Pilze zu sammeln.
Der Ordenskrieger hielt den Rand der Lichtung im Auge und richtete seine Aufmerksamkeit immer wieder auf die dunklen Höhleneingänge. Seine Hand ruhte griffbereit am Schwert, während er das leise Rascheln in der Nähe beobachtete. Er wusste, dass Molerats sich gerne in diesen Höhlen aufhielten und nicht zögern würden, sich gegen Störenfriede zu verteidigen.
Henderson, der das Waldstück offenbar gut kannte, beobachtete die Novizen bei ihrer Arbeit und wirkte zufrieden. Caarelia hingegen schien gedanklich abwesend, als würde sie sich auf etwas anderes konzentrieren. Hin und wieder schob sie unauffällig einige Haarsträhnen zurecht, während sich das kleine Streifenhörnchen in ihrem Dutt zu verstecken suchte. Sie hielt den Blick stets auf den Boden gerichtet, als wolle sie möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Die Novizen arbeiteten rasch und sammelten so viele Dunkelpilze, wie sie in ihren Beuteln verstauen konnten. Als sie endlich fertig waren, blickten sie zum Ordenskrieger, der mit einem knappen Nicken andeutete, dass es an der Zeit war, sich zurückzuziehen. Die Gruppe hatte, was sie brauchte, und niemand wollte länger als nötig in der Nähe der Höhlen verweilen, in denen sich möglicherweise bereits ein paar wachsame Molerats regten.
Während die Gruppe sich leise zurückzog, stolperte Emir plötzlich über eine herausragende Wurzel. Mit einem überraschten Ausruf fiel er hart auf den Boden, und das Krachen der trockenen Äste unter ihm hallte durch den Kessel. Für einen Augenblick herrschte Stille, als alle den Atem anhielten, doch das Geräusch schien etwas in der Nähe geweckt zu haben. Ein tiefes, grollendes Knurren hallte aus einer der Höhlenöffnungen am Rand der Lichtung.
Thelyron kniete sofort neben Emir und half ihm auf die Beine. "Alles in Ordnung, Emir?" fragte er leise, bemüht, nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Emir nickte, klopfte sich den Schmutz von den Händen und versuchte, wieder festen Halt zu finden.
In diesem Moment kam das Knurren wieder, diesmal lauter und näher. Thelyron warf einen kurzen Blick auf die Höhlenöffnung, aus der die Geräusche drangen, und flüsterte: "Das klingt gar nicht gut. Bleib dicht bei mir." Sein Blick wanderte schnell zu seinen Begleitern, die ebenfalls nervös umherblickten, und schließlich zum Ordenskrieger.
Der Ordenskrieger zog ruhig sein Schwert, sein Gesichtsausdruck blieb ernst und konzentriert. Mit einem knappen Kopfnicken machte er den anderen klar, dass sie bereit sein mussten. Seine Augen fixierten die Höhle, während er sich kampfbereit aufstellte, bereit, die Novizen zu verteidigen, falls etwas aus dem Dunkel hervorbrechen sollte.
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Lehrling
Im Moleratkessel - Schmalz frei
Was für ein Fund!
Hendersons Korb war randvoll mit Pilzen und nicht wenige davon waren die begehrten Dunkelpilze, nach denen die Brüder des Ordens so lange gesucht hatten. Er fühlte sich gesegnet und dankte den Göttern im Stillen, dass ihre Ausbeute so groß war. Aber er wollte nicht gierig sein. Mehr als das, was er auch verbrauchen konnte, wollte er nicht sammeln. Man musste der Natur immer einen Teil ihrer Ressourcen überlassen, andernfalls verschwand sie für immer. Einmal hatte sich Henderson bei einem verlorenen Würfelspiel so sehr die Haare gerauft, dass er ein paar Haarwurzeln am Hinterkopf mit ausgerissen hatte. Diese kahle Stelle erinnerte ihn immer daran, die Natur achtsam zu behandeln, denn wenn man sie zu arg zerstörte, kehrte sie nicht wieder zurück.
Plötzlich drohten sich die Ereignisse zu überschlagen, als einer der Novizen stürzte und damit die Aufmerksamkeit eines Wesens weckte, das bis jetzt noch totenstill in der Höhle geruht hatte. Henderson eilte zu dem Verletzten und brachte ihn ein paar Schritte in Sicherheit, ehe er zu Calis zurückkehrte, der bereits sein Schwert gezogen hatte. Auch Caarelia und die anderen blieben dicht in seiner Nähe. Sie alle hielten ihre kleinen Messer bereit, die nicht viel länger als ein Pilzstiel waren.
„Wenn es mehr als ein einzelnes Molerat ist, sollten wir uns zurückziehen“, wusste Henderson. „Diese Tiere sind langsam und verlassen ihre Grotte nur, wenn sie es müssen.“
Doch das Knurren hörte sich nicht an wie das eines Molerats. Es war weniger ein Röhren als vielmehr ein Fletschen. Das da drinnen war ein Fleischfresser. Doch nicht etwa ein Bär, oder?
„Macht euch groß“, rief Henderson und blickte dabei vor allem auf Thelyron, der, wenn er die Brust herausdrückte und voller Selbstbewusstsein auftrat, sicher sogar einen kleinen Bären irritieren konnte.
Das Blut rauschte in Hendersons Ohren, als schließlich tapsende Schritte zu vernehmen waren. Ein Schatten bewegte sich vorsichtig aus der Höhle, viel kleiner als ein Bär, aber größer als ein Molerat. Es war ein Wolf! An seiner Lefze konnte man eingetrocknetes Blut erkennen. Er hatte sich bereits über seine Beute hergemacht und die Pilzsammler hatten ihn vermutlich gerade bei seinem Verdauungsschläfchen gestört.
„Verflucht“, gab Calis knurrend von sich und hielt das Schwert weit ausgestreckt. Nicht die geeignetste Waffe, um es mit einem Vierbeiner aufzunehmen. Bogen oder Speer wären sicher praktischer oder gab es noch eine andere Waffe, mit der die Feuernovizen aufwarten konnten?
„Das ist es!“, rief Henderson aufgeregt. „Wir brauchen Feuer! Macht schnell eine Fackel an.“
Gesagt, getan, doch kaum wollte der Abdecker das Wildtier verscheuchen, hatte es bereits das Interesse an den Menschen verloren und sich aus dem Staub gemacht.
„Zum Glück nur ein Einzelgänger“, meinte einer der Novizen und Henderson konnte nicht eifriger zustimmen. Mit einem Rudel wäre nicht gut Pilze essen, so viel stand fest.
Sie wollten sich schon zum Gehen abwenden, als plötzlich ein weiteres Quieken aus der Höhle erschallte. Calis seufzte bereits genervt, aber Henderson entschied, doch noch einen weiteren Blick zu riskieren. Dieses Geräusch klang schon eher wie ein Molerat, aber die Tonlage war viel höher, quietschender. Er betrat die Höhle mit seiner Fackel und fand genau das vor, was er erwartet hatte. Ein Jungtier, kaum einige Wochen alt, quietschte nach der Aufmerksamkeit seiner Eltern. Von denen würde es aber keine Antwort mehr bekommen, denn von den adulten Tieren hatte der Wolf lediglich zwei zerfleischte Kadaver übriggelassen. Ein Molerat hätte ihm sicher genüg, aber Wölfe neigten durchaus dazu, im Rausch mehrere Opfer totzubeißen. Das Jungtier hatte Glück im Unglück, dass er es anscheinend übersehen hatte. Jetzt überwog jedoch das Unglück.
„So kommen wir doch noch an unseren Schmalz“, freute sich Henderson und bat Caarelia, die Fackel zu halten. Dann bückte sich zu dem Jungtier herab, dessen Augen noch in speckigen Falten verborgen waren, und brach ihm mit einer routinierten Bewegung das Genick. Als Abdecker kannte er sich recht gut mit der Anatomie der Tiere aus und wusste, wie man Kadaver effektiv zerlegte. Das Jungtier packte er ein, die Eltern ließ er für die Aasfresser zurück.
Er wollte gerade die Höhle verlassen, da bemerkte er, dass Caarelia noch drinnen war. Hatte er sie etwa verschreckt? Viele Menschen zeigten Mitgefühl mit Jungtieren, aber dieses hier hätte niemals allein überleben können. Es wäre einfach nur der nächste Snack des Wolfes geworden.
„Lady Caarelia?“, fragte er vorsichtig. „Ist alles in Ordnung?“
Geändert von Henderson (15.11.2024 um 16:23 Uhr)
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Lehrling
„Lady Caarelia? Ist alles in Ordnung?“, hallten Hendersons Worte in dem Kopf der Diebin nach. Sie konnte ihn nur ganz dumpf in der hintersten Ecke ihres Kopfes hören, ohne seine Worte zu verstehen. Wie gebannt starrte sie in die Höhle hinein.
Normalerweise wäre sie fuchsteufelswild auf Henderson losgegangen, dafür, dass er diesem kleinen Molerat so mir nichts dir nichts das Genick gebrochen hatte!
Doch sie konnte nicht.
Dort in dieser Höhle war etwas. Etwas, was sie auf unerklärliche Weise anzuziehen schien.
Wie fremdgesteuert setzte Caarelia, die Fackel immer noch fest in den Händen haltend, einen Fuß vor den anderen.
Lord Streifenwind zog panisch an ein paar goldenen Strähnen seiner Begleiterin, doch dieses Mal ließ sie sich nicht beirren.
Sie betrat die dunkle kalte feuchte Höhle und lief zielstrebig weiter, ohne zu wissen, wohin es ging.
Caarelia konnte Gemurmel hinter sich ausmachen und anhand der Höhlenwände vor sich sehen, dass die anderen weitere Fackeln entzündeten.
Irgendwo in ihrem Hinterkopf freute sie sich, dass Henderson, Thelyron und seine Begleiter ihr folgten.
Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus, mit jedem Schritt, den sie ging. Lord Streifenwind hatte es nun aufgegeben, die Diebin auf irgendeine Art und Weise zum Anhalten zu bewegen und kuschelte sich stattdessen resigniert in ihren Dutt.
Mit einem Mal spürte Caarelia etwas auf ihrer rechten Schulter. Eine Hand. Hendersons Hand.
Er schien ihr irgendetwas zu sagen, doch die Worte drangen nicht zu ihr durch. Er übte mit seiner Hand leichten Druck aus, vermutlich, um sie zum Anhalten zu bringen.
Doch Caarelia streifte lediglich seine Hand von ihrer Schulter ab und lief unbeirrt weiter. Die anderen schienen ihr weiterhin zu folgen. Zumindest konnte sie den Schein der Fackeln sehen, der an die kahlen Wände der Steinhöhle geworfen wurde.
Es dauerte nicht mehr lange und Caarelia blieb vor einem recht großen Stein stehen. Er sah nicht wirklich anders aus, als die anderen Steine in der Höhle, doch hier stand sie nun. Hier hatten ihre Füße sie hingetragen.
Wortlos bückte die Diebin sich zu dem Stein hinunter und hob ihn an.
Lord Streifenwind konnte wohl sehen, dass sich dort etwas befand und flitzte blitzschnell am Arm seiner Begleiterin hinunter.
Er schnappte sich den Umschlag, der unter dem Stein lag, legte ihn vor Caarelias Füße und rannte wieder in ihren Dutt.
Mit einem Mal konnte Caarelia wieder klarer hören und nahm allgemeines Getuschel hinter sich wahr.
Sie nahm den Umschlag, erhob sich und öffnete ihn.
„Was ist das?“, fragte Calis misstrauisch, während die Diebin den Umschlag öffnete.
Dort drin befand sich ein Pergament, auf dem etwas geschrieben stand, das sie nicht lesen konnte.
Verschiedene krakelige Linien waren eingezeichnet, die zu einem Symbol führten, das allgemein bekannt war: eine Frauenfigur, die in der Mitte gespalten war und mit ihren Händen Trinkkelche umklammerte. Caarelia schoss durch den Kopf, dass es sich um die Taverne der gespaltenen Jungfrau handeln musste. Geographisch sollte das auch mit dem eingezeichneten Weg der Karte übereinstimmen.
Was hatte das zu bedeuten? Und was hatte dieser Text zu bedeuten?
„Thelyron“, sprach Caarelia den Novizen mit fester Stimme selbstbewusst an. „Du kannst doch bestimmt lesen! Was steht hier geschrieben?“
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Lagerplatz nahe Bluttal
Entspannt an einem Baum gelehnt, saß der Kommandant auf dem Boden und beobachtete, ohne wirklich hinzuschauen, das Geschehen um sich herum. Dies war wohl das letzte Lager, das sie aufgeschlagen hatten, denn mit dem nächsten Tagesmarsch würden sie Thorniara erreichen, die letzte Etappe einer ereignisreichen Erkundungsmission. Eine Reise, die wahrlich nicht mit unliebsamen Überraschungen geizte, die allesamt nicht vorhersehbar waren, die gemeistert werden mussten um zu überleben. Ein ums andere mal bewiesen die Männer ihre Kampfkraft und ihre Fähigkeit als Team zu agieren, nur so war es möglich, aus manch brenzliger Situation heil herauszukommen, und das waren sie, Nicht immer ohne Blessuren, aber die waren meist schnell verheilt und vergessen, zu ernsthaftem Schaden kam Niemand, besser konnte die Bilanz, nach zahlreichen Kämpfen, kaum ausfallen. Auf seine Männer konnte er sich verlassen, das hatten sie wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt und machten dem Ruf der Roten Adler alle Ehre, sie waren zurecht Teil dieser Truppe, resümierte Ulrich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen.
Dem Kommandanten stellte sich die Frage, wie könnte es mit Jacques und Sunder weitergehen?, die Beiden hatten es irgendwie geschafft, sich in die Mannschaft einzufügen. Der Paladin erinnerte sich daran, das er Anfangs große Zweifel hatte, ob Jacques und Sunder überhaupt das Zeug dazu hätten, gute Soldaten zu werden, offensichtlich hatten sie es. Wer hätte gedacht, das ein naiver Jüngling und ein knorriger, alter Seemann, ohne Kampferfahrung, all den Widrigkeiten und Herausforderungen, die sich ihnen in den Weg stellten, trotzen konnten? Die Beiden hatten bewiesen, das sie Mut und Willenskraft besaßen, anders wäre das nicht möglich gewesen, dafür genossen sie zurecht den Respekt der anderen Männer. Aber war das bisher geleistete von Jacques und Sunder ausreichend, um sie als festes Mitglied in die Truppe aufzunehmen?, fragte sich der Kommandant, die Antwort war nein. Die Beiden hatten noch viel zu lernen, ihre Kampffähigkeiten waren doch noch recht dürftig, deshalb könnte man sich im Zweifelsfall nicht auf sie verlassen, nein, es war einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt, resümierte der Kommandant.
Apropos Kampffähigkeiten, kam es Ulrich in den Sinn, Jacques war gewillt und auf gutem Wege, seine Fähigkeiten zu verbessern. Mit dem Speer konnte der Jüngling inzwischen recht gut umgehen,
mit dem Schwert noch nicht im gleichen Maße, daran müsste er noch arbeiten. „Leih mir mal dein Schwert“ sagte der Kommandant kurzentschlossenen zu seinem treuen Weggefährten Jon. Mit der Waffe des Kameraden ging Ulrich zielstrebig auf Jacques zu, der gerade gemütlich am Lagerfeuer saß. Der Jüngling folgte der Anweisung sich zu erheben und nahm etwas verdutzt drein schauend Jons Schwert entgegen. „Die Grundlagen des Schwertkampfes hast du ja schon einigermaßen verinnerlicht“ begann der Paladin ohne Umschweife.
„Aber an ein paar Dingen hapert es noch, du begreifst das Schwert zu sehr als Einhandwaffe und vernachlässigst dabei deine linkes Seite, zum Beispiel beim Blocken. Das Blocken der Waffe eines Gegners birgt immer die Gefahr, dabei seine Waffe zu verlieren, im schlimmsten Falle zerbricht sie sogar. Deshalb ist Blocken nicht immer die beste Wahl, vor allem dann nicht, wenn die Waffe des Gegner wesentlich schwerer und wuchtiger ist als die eigene. Dann ist man besser beraten, wenn man den Schwung der gegnerischen Waffe nur ablenkt, falls ausweichen keine Option ist. Fürs Blocken und Ablenken gilt, das beide Varianten kräftezehrende Verteidigungen sind, darum ist es ratsam solche Aktionen, wenn möglich, beidhändig auszuführen Und genau das üben wir jetzt“ brummte der Kommandant, der anschließend eine einfache Schlagfolge mit Hieben von oben als Grundlage für diese Übung vorgab. Auf ein Zeichen griff Jacques den Paladin an, der alle Hiebe mit beidhändig geführtem Schwert zur Seite ablenkte, dabei geriet der Jüngling hier und da etwas ins straucheln. „Nun du..., achte darauf nicht zu viel Kraft in die Abwehr reinzulegen, sonst kommst du ganz schnell aus dem Gleichgewicht“...
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Syrias blockte mit Müh und Not den Schlag von Johanna, bevor er schnell einen Schritt zurück wich und sich kurz wieder zu sammeln versuchte. Doch die kleine Frau lies dem Söldner nicht den Hauch einer Chance. Sie sprang ihm hinterher und versuchte es erneut mit einem geraden Stich ihres Degens. Langsam, viel zu langsam gelang es ihm gerade noch so ihre Klinge mit der flachen Seite seines Kurzschwerts beiseite zu schlagen.
Götter, es konnte doch nicht so schwierig sein!
Syrias kannte all die Bewegungen, all die Kniffe und Tricks, doch das Schwert in seiner Linken fühlte sich an als würde er mit einem verfluchten Stangenbrot kämpfen. Das aus Pudding war. Und gleichzeitig eingeölt.
Er hatte es mittlerweile zwar geschafft, dass er das Kurzschwert fest genug halten konnte, doch fühlte er sich immer noch so, als wäre er ein Kleinkind, das anfing wie ein betrunkener Bär herumzutapsen! Es war ihm schon peinlich gewesen, wie oft Johanna ihm das Kurzschwert anfangs aus der Hand geschlagen hatte. Ihm! Er war Waffenschmied, gottverdammt. Ihm durfte weder Waffe, noch Hammer, noch sonst irgendwas aus der Hand rutschen. Doch die kleine Dunkelhaarige, die ihm kaum bis zur Brust reichte, hatte Syrias das Kurzschwert aus der Hand gerissen.
Natürlich war für Johanna die Umstellung schwierig gewesen, plötzlich griff er von Links anstatt von Rechts an. Doch so unbeholfen, wie Syrias sich dabei benahm, war es für die Junge Frau kaum ein Hindernis. Doch das würde sich sicherlich ändern, falls, nein, WENN Syrias mit der Linken genau so gut kämpfen würde wie mit seiner rechten Hand.
Syrias hob die flache Hand zum Zeichen, dass er eine Pause machen wollte. Oder vielleicht auch musste? Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, während ihm der kühle Herbstwind durch die Haare wehte. Fröstelnd ging er zum Karren und nahm einen der Wasserschläuche, aus welchem er auch trank.
Morgen, spätestens übermorgen würden sie an der Lagerstelle ankommen, die er und Na-Cron damals genutzt hatten. Dort würden sie entsprechend Schutz haben, zumindest weitestgehend. Sicherlich nicht so angenehm wie ein Haus, aber für die hiesigen Temperaturen und dergleichen ausreichend.
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Waldstück nahe Thorniara
Thelyron hatte den Wolf zuerst gehört, noch bevor er den Schatten des Raubtiers in der Dunkelheit ausmachen konnte. Ein leises, bedrohliches Knurren hatte den Gang erfüllt, als der Hunger des Wolfs kurz auf die Gruppe übersprang. Sofort hatte er bemerkt, dass die anderen die Gefahr unterschätzten. Die Gruppe war unbewaffnet, mit Ausnahme eines kleinen Schwertes und einigen Dolchen, die kaum ausgereicht hätten, sich zu verteidigen. Einzig Calis, der Ordenskrieger, verstand den Ernst der Lage und war ausreichend genug bewaffnet, um sich dem Wolf stellen zu können.
Thelyron beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, als der Krieger mit hochgezogener Klinge und zusammengebissenen Zähnen einen Vorschlag machte, der vornehm zurückhaltend klang, aber kaum missverstanden werden konnte: "Wir sollten uns zurückziehen..."
Doch das war in diesem Moment kein Thema mehr. Der Wolf, dessen Lefze getrocknetes Blut zeigte, ließ ein letztes warnendes Knurren erklingen, bevor er sich zurückzog und verschwand. Thelyron fühlte, wie die Anspannung der Gruppe nachließ, und im selben Augenblick bemerkte er, wie sich Henderson in Bewegung setzte, diesmal zielgerichtet auf eine Höhlenöffnung zu. Er war der Erste, der die kleinen, quietschenden Geräusche des Molerat-Jungtiers vernahm. Mit geübten Händen brach er ihm in einem Moment das Genick. Es war eine schnelle Entscheidung, die Thelyron als pragmatisch empfand, obwohl das Knacken in der Stille hallte und ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Ein Blick auf Caarelia zeigte, dass auch sie anders auf den Vorfall reagierte. Doch statt Wut oder Empörung breitete sich in ihren Augen ein leerer, fast entrückter Ausdruck aus. Und ohne dass er es verstehen konnte, schien sie von einem unsichtbaren Zwang geleitet, der sie weiter in die Höhle zog. Calis protestierte laut, warnte eindringlich, dass es zu gefährlich sei und ihre Suche hier enden sollte. Doch sie hörte nicht auf ihn, und als sie immer weiter voranschritt, gab Calis schließlich seufzend nach und folgte mit gezogenem Schwert. Auch Thelyron hob die Fackel höher und setzte, wenn auch ungern, einen Fuß vor den anderen.
Die Höhle führte sie schließlich zu einem Felsen, nicht anders als die anderen, die sie passiert hatten, doch hier hielt Caarelia inne. Sie griff nach dem Stein, hob ihn und entdeckte ein unscheinbares Bündel Papier. Ihr kleiner Begleiter schien sofort die Bedeutung des Fundes zu erkennen und platzierte den Umschlag vor Caarelias Füße, bevor er sich wieder auf ihre Schulter zurückzog.
Caarelia schaute sich das Pergament interessiert an, bevor sie es Thelyron in der Hoffnung reichte, er würde im Stande sein, die geschriebenen Zeilen zu entziffern und zu lesen. Der Novize entrollte das Papier und spürte, wie die Blicke seiner Gefährten auf ihn gerichtet waren. Er musste sich konzentrieren, um die Worte zu entziffern:
Hast dich jahrelang im Schlaf vor lauter Fragen gewunden,
Und nun hast du diesen Brief gefunden,
möchtest du die Wahrheit erfahren,
dann lasse sie dir von mir offenbaren.
Schnell, lass keine Zeit verstreichen,
ich gebe dir ein weiteres Zeichen,
Ich warte auf dich an der Bar,
Mädchen mit grünen Augen und dem güldenen Haar.
Zeige dieses Pergament der Wirtin Mudra,
und dein Traum nach Erkenntnis wird wahr!
Thelyron las die Zeilen mit ruhiger Stimme, wobei er aufblickte und das durchdringende Interesse in Caarelias Augen bemerkte. Es war eine Einladung, verschlüsselt und doch verlockend. Er spürte das Rätsel, das in der Luft lag, und sah, wie die anderen darauf reagierten – Skepsis bei Calis, ein forschender Blick von Henderson und bei Caarelia ein Glimmen, als hätte sie endlich etwas gefunden, wonach sie lange gesucht hatte.
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Nahe dem Eberstein
Mit einigen wenigen Schlägen seines Feuersteins sorgte Syrias für die passenden Funken, damit der trockende Zunder anfing zu glimmen. Während leichter Qualm daraus empor stieg, pustete der Söldner vorsichtig hinein, um für mehr Glut zu sorgen. Erst, als er zufrieden mit dem Ergebnis war, legte er den glimmenden Zunder unter das trockene Holz. Erst nur ein wenig, dann, als das anfing Feuer zu fangen, etwas mehr. Und bald schon hatten er und Johanna ein gemütliches Lagerfeuer, welches prasselnd knisterte und Wärme und Licht verbreitete.
Syrias hielt die Hände gegen die Flammen und sog die Wärme förmlich auf. Langsam wurde es doch recht kalt, sobald die Sonne untergegangen war. Da war er für das Feuer und seine wohlige Hitze mehr als dankbar.
Mit den beiden Handkarren hatten und mehreren Fellen, die Syrias vorsichtshalber mitgenommen hatte, hatten er und Johanna ein kleines, zwar provisorisches, dafür aber recht gemütliches Lager einrichten können. Johanna hatte sich dabei als sehr große Hilfe erwiesen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auf dem Weg hierher hatten dem Söldner gezeigt, dass dies bei weitem nicht ihr erstes Mal in der Wildnis war. Als Syrias nachgefragt hatte, war sie ungewohnt schmallippig gewesen und hatte nur etwas davon erwähnt, dass sie mit Mungo viel unterwegs gewesen war. Syrias hatte nicht weiter nachgehakt, schließlich war die kleine Frau, was ihren hünenhaften Freund anging, immer recht vage in den Aussagen. Was natürlich verständlich war, sollte Mungo tatsächlich ein Ork sein, wie Syrias es vermutete.
Nachdem das Feuer nun brannte machte Syrias sich dazu bereit ihnen beiden eine Mahlzeit zuzubereiten. Er holte das Kochgeschirr hervor und setzte in dem kleinen Kessel etwas Wasser auf, während er anfing ihren Vorräten Zutaten heraus zu suchen und klein zu schneiden.
Die Götter wussten, er war sicherlich kein großartiger Koch. Meist reichte es ihm unterwegs schon aus, wenn das Essen warm und durch war. Und dafür bot sich nun mal ein Eintopf am besten an.
Gut, wenn man es genau betrachtete war eh alles ein Eintopf, wenn man es in einem Topf zubereitete. Wobei sich da natürlich die Frage stellte, warum es keine Einpfanne gab. Oder Einkessel. Aber da klangen ja schon die Begriffe an sich komisch.
Syrias schüttelte den Kopf über diesen abstrusen Gedanken. Und einige Zeit später schüttelte sich Johanna, als sie den Eintopf des Söldners probierte. Wie gesagt, Syrias war kein großer Koch, aber es war warm und machte satt, das reichte ihm.
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Lagerplatz nahe dem Bluttal
In einem gleichmäßigen Rhythmus trafen die Klingen aufeinander, das Klirren von Stahl auf Stahl hallte durch den abendlichen Wald. Ulrich vollführte eine fließende Schlagfolge, sein Schwert bewegte sich auf und ab, ohne dass er auch nur ein einziges Mal innehielt. Die Schläge kamen abwechselnd von rechts und links oben, und Jacques versuchte, sie mit möglichst wenig kraftaufwand zur Seite abzulenken, statt sie einfach direkt zu blocken.
Während der ersten Minuten der Übung hatte er sich dabei ziemlich tollpatschig angestellt – in einem ernsthaften Kampf hätte es ihn sicherlich mehr als einmal den Kopf gekostet. Aber er nahm sich die Korrekturen und Anweisungen, die Ulrich grimmig, aber geduldig gab, zu Herzen und bemühte sich, sie umzuseten, so dass erschließlich in einen guten Fluss kam. Sein Körper begann, die Bewegungen automatisch auszuführen, ohne dass er noch groß nachdenken musste. Der Wechsel zwischen normaler Kampf- und Abwehrhaltung gelang ihm inzwischen, ohne dass er dabei seinen sicheren Stand vernachlässigte oder die Distanz zum Gegner ungünstig verkürzte. Auch das zuhilfenehmen der linken Hand, um die Waffe beim Parieren zu stabilisieren, ging ihm bald besser, nun, von der Hand.
Bis Ulrich plötzlich den Rhythmus durchbrach.
Statt, wie Jacques erwartet hatte, seinen Angriff durchzuführen, vollführte der Kommandant einen kleinen Luftschlenker mit der Waffe, bevor er seine Kombination wie gewohnt fortführte. Der kurze Augenblick der Verzögerung genügte jedoch, um Jacques aus dem Konzept zu bringen. Er führte, wie gewohnt, seine Parade aus, nur war dort kein Schwert, dass er parieren konnte! Überrascht stolperte er einen Schritt nach vorn und spürte gleich darauf den kalten Stahl von Ulrichs Schwert an seinem Hals. Jacques biss die Zähne zusammen und schalt sich selbst innerlich. Was für ein blöder Anfängerfehler!
Ulrich sagte nichts, sah ihn nur kurz durchdringend an. Jacques nickte, zum Zeichen, dass er genau wusste, was er falsch gemacht hatte: Er hatte sich an den Rhythmus der Übung gewöhnt, statt tatsächlich auf die Waffe seines Gegenübers zu achten und entsprechend zu reagieren. Eine Falle, in die man nur zu gern tappte, wenn man Kampftechniken mit einem Partner trainierte – und eine, auf die Jacques, der als Kämpfer ja nun nicht mehr vollkommen Grün hinter den Ohren war, eigentlich hätte vorbereitet sein müssen. Aber er hatte sich von Ulrichs fast schon uhrwerkmäßigem Bewegungsablauf einlullen lassen. Ob Ulrich ihn mit Absicht auf diese Art hatte ins Messer laufen lassen? Möglich wäre es, aber so oder so, Jacques nahm sich fest vor, die daraus gelernte Lektion mitzunehmen.
Mit dem gleichmäßigen Rhythmus war nun ohnehin Schluss. Ulrich verschärfte die Übung, indem er seine Angriffe nicht mehr in vorhersehbaren Schlagfolgen verpackte, sondern wie in einem realen Kampf Jacques umkreiste, mal hier und mal dort eine Finte schlug und dazwischen seine Angriffe platzierte. Anfangs nahm er sich noch zurück, was die Kraft und Geschwindigkeit seiner Attacken betraf, aber als Jacques schließlich die meisten Angriffe abwehren konnte, steigerte der Kommandant langsam das Tempo. Die Übung begann mehr und mehr einem echten Kampf zu gleichen …
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