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Klippenschänke
Johannas Schläfe pochte so gewaltig, als wollte sich etwas aus ihrem Schädel herauskämpfen, das dort seit langem eingeschlossen war. Ihr stieg die Röte ins Gesicht – erst aus Scham, weil Piero sie so schamlos an der Hand berührte und mit einem indirekten Kompliment über ihr Aussahen besah, dann aus Zorn über seine Frivolität und diese unsägliche Dreistigkeit, die der Mann mit seinem unerschütterlichen Lächeln an den Tag legte. Und zu allem Überfluss musste sie unumwunden feststellen, dass dieser schillernd bunte Pfau in Menschengestalt mit seinen unverschämten Äußerungen auch noch Recht hatte! Ja, Isidor war ein romantischer Trottel. Das hatte der Schmied mit dem, was er sagte und tat, immer wieder bewiesen. Und zu ihrer Schande musste Johanna sich auch eingestehen, dass sie gern selbst an Friedas Stelle gestanden hätte. Aber dass auch Isidor sie ebenfalls mit einem Blick bedacht hatte, der solche Zuneigung ausdrückte, war ausgeschlossen! Und noch viel ausgeschlossener war, dass sie auf irgendeine seiner absurden Forderungen einging!
„Hast du eigentlich ne Macke, Mann?“, rief sie empört. „Ich werde mit dir ganz bestimmt nicht über Unterwäsche sprechen, und erst recht werde ich meinen Freund nicht in so eine unangenehme Lage bringen, nur damit du dich gut unterhalten fühlst! Wenn du ein anständiger Kerl bist, hilfst du Isidor einfach aus, oder du kannst zu Beliar fahren. Dann kümmere ich mich lieber selbst darum, dass-“
„Oooh che Bella“, fiel ihr Piero ins Wort. Doch sein Blick war nicht auf Johanna gerichtet, sondern auf eine Frau, die soeben durch den Schankraum schritt und erstaunlicherweise kaum größer schien als Johanna selbst. Eine Frau, die sich als die Person herausstellte, für die Isidor sie vor der Taverne stehen gelassen hatte.
„Entschuldige, Teuerste, aber ich fürchte, unsere Positionen verschieben sich gerade ein wenig und ich werde da drüben gebraucht“, gurrte er, griff nach ihrer Hand und küsste sie unvermittelt zum Abschied. Johanna zog die Finger reflexartig zurück und schnappte nach Luft, während sie Piero hinterher sah. Dann aber sah sie, dass Isidor immer noch bei der Frau war, und beeilte sich, zu den Dreien aufzuschließen – nur um zu sehen, wie diese Person sich bei Isidor demonstrativ einhakte.
Mit geweiteten Nasenflügeln starrte Johanna ihren Freund an, der sich jedoch offensichtlich ganz allein der Tatsache bewusst wurde, wie unangebracht dieser Kontakt war, und sich von der Frau befreite. Isidor war die Situation sichtlich unangenehm, was Johanna zumindest ein Stückweit beruhigte. Dass er neben dem Gockel im bunten Gewand aber gleich noch eine Person von absolut unangenehmer Aufdringlichkeit kannte, stimmte sie äußerst nachdenklich. Für jemanden, der gerade erst auf der Insel angelangt war, hatte Isidor bereits eine ganze Reihe kurioser Gestalten am Wegesrand aufgelesen.
Aus dem Augenwinkel nahm Johanna wahr, dass eine der beiden Frauen in strahlendem Blau sich zum Hinterausgang der Schankstube begeben hatte, die Isidors Bekannter schon auf dem Torplatz gefolgt waren? Hatte diese etwas mit den Wassermagiern am Hut? Sie hatte das Gefühl, dass sich hier weitaus mehr abspielte, als sie zu erfassen imstande war – und das gefiel ihr gar nicht. Isidors Vorschlag, auseinanderzugehen, als sei nichts gewesen, erschien ihr in diesem Moment doch sehr reizvoll.
„Piero hier hatte sich gerade bereiterklärt, sich mit dir morgen Mittag auf dem Marktplatz zu treffen, weil er sich für die Peinlichkeit mit dem unangebrachten Geschenk entschuldigen wollte“, merkte sie mit scharfem Ton an, während ihre Augen die der jungen Frau taxierten. Es schien fast, als hätte sie Angst vor Piero, wie sie sich da hinter Isidor versteckte!
„Und die Mahlzeit darfst du mir gern ein andermal spendieren“, fügte sie an Piero gewandt an.
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Klippenschänke
Ihm gefiel nicht, wohin sich die Dinge gerade entwickelten. Denn Piero mochte es nicht, die Initiative zu verlieren. Doch genau das war in diesem Moment geschehen, als er zwischen der Entschlossenheit dieser zwei abgebrochenen Riesen zerrieben wurde. Hätte man die beiden Frauen aufeinander gestapelt, hätten sie gemeinsam eine gar furchterregende Gestalt aus purer Willenskraft und durchschnittlicher Körpergröße ergeben. Oder ließen diese beeindruckenden Fähigkeiten etwa wieder nach, wenn man nicht mehr den ungünstigen Betrachtungswinkel auf die Welt kompensieren musste?
Was ihn jedoch noch viel mehr wurmte als die Initiative an die beiden Damen zu verlieren, war die Anwesenheit der beiden Novizinnen des Wassers, die sich unauffällig an den Eingängen der Taverne postiert hatten. Wie es schien, war zumindest Felia mit ihrer wenig subtilen Art des Eindringens in die Stadt nicht so unbemerkt geblieben, wie sie es gerne gehabt hätte. Aber was hatte sie auch erwartet, wenn sie sich unerschütterlich stur mit einem Bauern wie Curt einließ und direkt zur Begrüßung die Stadtwachen angriff? Dabei hatte Piero ihr so offen die Hand gereicht – sie hätte den schmierigen Novizen nur fallenlassen müssen …
Ausschlaggebend für seine Entscheidung war jedoch vor allem ein letzter Punkt: anders als bei ihrem Tête-à-Tête am Stadttor hatte Piero mittlerweile etwas zu verlieren, wenn er in Reibereien geriet. Falls das hier eskalierte – und Felia war für ihn ein unkalkulierbares Pulverfass mit sieben Siegeln – und er mit der Stadtwache aneinandergeriet, konnte er sich den Handel mit Hertan hinsichtlich der Weiternutzung der Wachstube schenken. Ja, diese Feuerblume war schön und einzigartig anzusehen. Doch an ihr verbrannte man sich nur die Finger.
„Allora, Johanna spricht ein wahres Wort“, bekannte er schweren Herzens. „Hier drinnen wird es allmählich ein wenig zu eng – besonders, wenn man wie sie mit einer ausladenden Klinge bewehrt ist. Kein Wunder, wenn sich allabendlich die ganze Stadt in diese kleine Stube drückt, nicht wahr? Glücklicherweise habe ich gehört, dass am Torplatz schon bald eine neue Taverne eröffnen soll, mit besserer Aussicht, besseren Getränken und bekömmlicherem Essen. Dort will ich dir gern deine Mahlzeit gewähren, unerschrockene Fechterin des Wortes.“
Piero wandte sich an Felia, die unweigerlich einen Halbschritt zurück tat, um den Abstand zu ihm zu wahren. „Wir hatten einen holprigen Start, Werteste, aber ich bin nicht umhin gekommen, festzustellen, dass Ihr eine durchaus beachtenswerte Quelle guter Stoffe zu kennen scheint. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, mir gemeinsam mit Euren nur ganz geringfügig auffälligen azurblauen Schatten auf dem Torplatz Gesellschaft zu leisten bei einer von mir spendierten Mahlzeit, um über gute Kleidung zu debattieren? Ich bin nämlich händeringend auf der Suche nach angemessener Kleidung, nachdem Euer mausgrauer Novizenfreund Radicchio nach dem feurigen Schauspiel am Stadttor in meinen Wechselsachen davongeeilt ist.“
Geändert von Piero (16.08.2024 um 01:35 Uhr)
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Gefängnis
Es gab hier nichts zu sehen.
Curts Blick war ununterbrochen auf das weite Meer gerichtet, das er aus seiner Zelle heraus beobachten konnte. Das Fenster war groß genug, um durchzukriechen, doch die Eisenstäbe erschwerten einen etwaigen Ausbruchsversuch ungemein. Dazu kam die tiefe Klippe jenseits der Zelle. Nein, hier war kein Herauskommen, selbst wenn er das Eisen mit seiner Magie verformte. Wenn überhaupt, müsste er die Wache überwältigen und einen anderen Weg nehmen. Das wiederum war wohl im Rahmen des Möglichen, doch wie weit würde er kommen? Diese ganze Stadt ist ein Rattenloch und irgendwo da draußen streunte noch der Rattenkönig Piero herum, denn aus irgendeinem ihm völlig unerklärlichen Grund, wurde dieser Geck für sein pures falsches Spiel und unverdauliches Verhalten nicht festgesetzt. Das alles grenzte an einen schlechten Scherz.
Der größte Witz saß allerdings hier mit ihm in der Zelle. In der entgegengesetzten Ecke kauernd und ununterbrochen Gebete gen Innos sendend. Der Empfang schien hier nicht sonderlich gut zu sein. Gabriel und Curt hatten bislang kein Wort gewechselt und das schien allen Beteiligten, sowie der Wache ganz recht zu sein. Sie überbrückten ihre Zeit in Gedanken und Gebet. Curts Gedanken kreisten dabei einzig und allein um Felia. Sie war da draußen solchen Monstern wie Kisha und Ratten wie Piero ausgesetzt und er konnte nichts tun, um sie zu unterstützen. Er musste sich immer wieder Vertrauen zusprechen. Er mochte intelligent sein, aber sie war clever. Dieser Unterschied spiegelte sich in ihrer derzeitigen Situation wider. Sie würde ihren Weg gehen, da war er sich sicher.
Draußen vorm Fenster landete eine Möwe und starrte zu ihm herein. Curt empfing sie mit einem müden Lächeln. Es gab hier nichts zu sehen.
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Haus der Magier - Novizenkammer
Jetzt hatte er also einen neuen Zimmergenossen. Ganz große Klasse, wirklich.
Vielleicht wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn es sich bei dem neuen um einen Novizen aus den eigenen Reihen gehandelt hätte. Ein angehender Diener Adanos, mit dem sich Na-Cron über alles hätte austauschen können, was die beiden in ihrer Lehr- und Dienstzeit als zukünftige Magier des Wassers erlebten. Na-Cron wünschte sich nichts sehnlicher als sich mehr mit der Magie auseinander zu setzen und neues zu erlernen. Doch nein, der neue Mitbewohner war von einem anderen Schlag. Er war ein Feuernovize.
"Da ist dein Bett." Er wies Rüdiger mit einer ruppigen Geste das freie Bett in der Novizenkammer auf der anderen Seite des kleinen Raumes. "Deine Sachen kannst du in die Truhe vor dem Bett legen, die sollte noch leer sein."
Der Feuernovize betrat zögerlich den Raum und setzte sich auf das Bett, während er sich neugierig umschaute. Vermutlich verglich er gerade die Unterkunft mit seiner eigenen in Thorniara. Ob die Novizen der Feuermagier genau so einfach untergebracht wurden wie die Wassernovizen? Na-Cron wusste es nicht. Aber wenn man die Arroganz und den brennenden Fanatismus der beiden anderen Männer dieser Gruppe mit einbezog... Nun, vermutlich waren Selbstgeißelung und regelmäßige Gruppenauspeitschungen da eher an der Tagesordnung. Vorstellbar war es für den Novizen zumindest.
Was für ein Unterschied das doch war. Während Aniron zumeist Güte und Liebe austrahlte als Wassermagierin, so wirkten die Novizen und der Feuermagier eher so als wären sie über alles und jeden erhaben. Sie strahlten keine Wärme aus. Oder zumindest nicht die Wärme eines heimeligen Herdfeuers, welches schon brannte wenn man nach einem langen Tag voller Arbeit nach Hause kam und von den Liebsten entzündet worden war.
Nein, die Wärme der Feuermagier wirkte eher wie die Hitze eines Flächenbrandes, heiß und unbarmherzig, stets bereit noch mehr in sich hinein zu fressen um so die eigene Flamme zu nähren und noch höher brennen zu lassen. Das war doch irgendwo einfach nur Abstrus.
Na-Cron wandte sich noch einmal an Rüdiger. "Wenn du Hunger hast, die Küche findest du den Gang links hinunter und dann rechts. Da kannst du dir was zubereiten, wenn du magst. Wenn du was bestimmtes haben möchtest, musst du es dir selbst zubereiten, ansonsten kannst du dich bei den Hauptmahlzeiten mit anschließen." Bei Adanos, er hatte schon verdammt lange nicht mehr Kindermädchen für irgendwen spielen müssen. "Und wie dir von Aniron gesagt wurde, möchtest du in die Stadt, benötigst du eine Begleitung. Wenn ich hier bin, dann werde wohl ich das Vergnügen haben." seufzte der Novize. Wieder weniger Zeit für das eigene Studium.
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Die Augen der schönsten Novizin Stewarks verengten sich zu Schlitzen und sie funkelte Piero halb hinter Isidor verborgen fragend an. Dieser schmierige, lüsterne Schleimbolzen wollte sie auf die niederträchtigste Art und Weise in ein Fachgespräch verwickeln, nur um sie in Sicherheit zu wiegen. Vermutlich hatte er erneut finstere Absichten - nach allem, was sie von diesem Schwerenöter und Frauenheld mitbekommen hatte, plante er gerade, wie er Felia und die ebenfalls nicht unattraktive Johanna gleichzeitig verführen konnte. Ja! Die Lüsternheit glänzte förmlich in den Augen dieses knilchigen Lustmolchs.
Und gleichzeitig - entgegen jeder noch so großen Abneigung und auch gegen den vehementen Widerstand ihrer Weiblichkeit - musste Felia gestehen, selbstverständlich nur gedanklich und keinesfalls lautstark, dass Piero in dieser von Innos verlassenen Stadt der einzige gutangezogene Mann war. Und auch wenn er ein widerlicher Schürzenjäger war, der keine Möglichkeit verstreichen ließ, irgendwem den Hof zu machen, so hatte er doch Geschmack. Ganz zu schweigen von dem anscheinend mächtig wichtigen Brief, den er am Tor so freudig vor der Nase der Torwachen herumgewedelt hatte. Entweder er war ein Mann mit nennenswertem Einfluss, oder aber er war einer, der schlau genug war so zu tun als habe er mächtig Einfluss. Und beides war als Geschäftspartner nicht schlecht.
»Geschäftliches bespricht sich in kleinem Kreis bedeutend besser.«, verkündete sie und musste sich überwinden, näher an Piero heranzutreten. »Wie ihr festgestellt habt, bin ich gerade eher - sagen wir mal selten allein.« Augenrollend deutete sie auf ihre beiden Begleiterinnen, die sich am Ein- und Ausgang der Schenke aufgestellt hatten, um jeden Fluchtweg zu blockieren. Sollten sie ruhig. »Das verkompliziert das Ganze etwas. Insbesondere da mein... Geschäftspartner Curt« Piero verzog das Gesicht bei der Nennung des Namens »derzeit aus verschiedenen Gründen unpässlich ist.«
Verschwörerisch blickte sie sich um und wollte gerade mit einem langen Monolog darüber ansetzen, dass Piero seine Stoffe bekommen würde, wenn er Curt aus dem Gefängnis holen könnte. Und dass Felia hier in der Stadt einen Stellvertreter und Vertrauten gebrauchen könnte. Für diese Rolle hätte sie dann trotz ihrer nur kurzen Bekanntschaft eigentlich Isidor vorschlagen wollen und ihn mit irgendetwas, das er sich wünschte- aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kuss, ein Lied oder ein Satz neuer Kleidung - dazu bringen wollen, ihr zu helfen. Statt aber zu ihrem Monolog übergehen zu können, blieb ihr Blick auf ein drittes in unpassende blaue Gewandung gewickeltes Persönchen fixiert, das sich mit schnellen Schritten auf die Schenke zubewegte, kurz mit der am Eingang befindlichen Dame sprach und dann durch die Menschenmenge auf Felia zueilte, ihr etwas ins Ohr flüsterte und sich dann sogleich durch die Menschen zurück kämpfte.
Die kleine Novizin machte einen kleinen Knicks.
»Mir scheint, dass das Schicksal mich heute an einen anderen Ort treibt - ihr verzeiht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte sie dem namenlosen Persönchen hinterher. Aniron ließ nach ihr schicken und wenn sie das richtig verstanden hatte, dann war auch Curt schon auf dem Weg in die Kammer der Wassermagierin.
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Klippenschänke
Isidor atmete tief durch, als Felia sich abrupt verabschiedete und die Taverne verließ. Einen Moment folgte er ihr mit seinen Augen, ehe sie zwischen höhergewachsenen Menschen außer Sicht geriet. Die Spannung im Raum ließ ein wenig nach, doch die Situation war noch lange nicht entschärft. Piero, der sich nun wieder auf Johanna konzentrierte – den Schmied hatte er bisher gekonnt ignoriert – schien seine Fassung schnell zurückzugewinnen, wenn er denn überhaupt in der Lage war sie zu verlieren. Dafür wirkte der Kerl beinahe zu abgebrüht, als dass er nicht immer wüsste, wie er mit einer Situation umgehen sollte. Ein charmantes Lächeln legte sich auf die Lippen des Schmeichlers, dass der Hüne mittlerweile zu kennen und fast auch zu fürchten gelernt hatte. Das Lächeln eines Mannes, der immer einen Plan hatte.
„Bevor du weitersprichst und uns alle noch weiter in unausgesprochene Verhältnisse zueinander stellst, sollst du wissen, dass ich deine Hilfe wirklich gebrauchen könnte. Und dieses Mal sogar für die richtige Dame“, ergriff Isidor die freigewordene Initiative.
Hatte er das wirklich gerade gesagt? Die richtige Dame? So war es mit Frieda doch überhaupt nicht, oder? Jedenfalls noch nicht und wenn es dazu kommen sollte, könnte er jede Hilfe gebrauchen, die er bekommen konnte. Selbst wenn sie von Piero kam, der, wenn auch nichts anderes, zumindest guten Geschmack besaß, selbst wenn ihm selbst die Stickereien auf dem edlen Stoff etwas zu auffällig waren.
Piero hob die Augenbrauen und sein Lächeln vertiefte sich, als er Isidors Worte zu verarbeiten schien. Der Schmied konnte förmlich sehen, wie die Gehirnwindungen in seinem Kopf zu arbeiten begannen. Der Mann schien Herausforderungen zu lieben und Isidors Bitte schien genau das Richtige zu sein, um sein Interesse zu wecken.
Der Hüne spürte Johannas Blick auf sich und konnte nicht festmachen, was sie dachte. Wenn sie sich jedoch so für ihn ins Zeug legte, wollte er sie nicht enttäuschen und knüpfte lieber an der Möglichkeit an, die sie ihm geschaffen hatte.
„Also, wenn du Empfehlungen für mich hast, was Kleidung, Essen und Trinken angeht, wäre ich dir dankbar. Ein Geschenk besorge ich dieses Mal jedoch selbst, danke“, bat Isidor, wobei er sich zusammenreißen musste einen freundlichen Ton anzuschlagen.
Für den Moment war Piero ein rotes Tuch für ihn, doch er war sich sicher, dass es nur schaden würde, wenn er es sich mit ihm langfristig verscherzte. Und Stewark war nicht groß genug, um sich andauernd aus dem Weg zu gehen. Eine geschlossene Tür würde also auf lange Sicht nicht förderlich sein. Wer wusste schon, ob der menschliche Pfau nicht irgendwann an Informationen gelänge, die Isidor nützlich sein konnte? Oder der findige Fuchs brachte andere Vorteile mit sich, wenn man sich mit ihm gutstellte. Sicher war jedoch, dass der Schmied Acht darauf geben musste, sich nicht zu sehr von ihm in Dinge einspannen zu lassen, die nach einem fatalen Ende rochen.
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Klippenschänke
Mit einem sehnsüchtigen Seufzer sah Piero der kleinen Frau nach, die vermutlich als Einzige sein Dilemma der Knappheit an vernünftiger Bekleidung nachvollziehen konnte. Fürwahr, ein schlechter Zeitpunkt, um Geschäfte zu machen, wenn die halber Wassernovizenschaft um sie schwirrte wie eine Rotte hartnäckiger Fliegen. Und dabei hätte er ihr zu gern die Wachstube gezeigt, die er am Nachmittag erst erworben hatte, um das Geschäftliche mit ihr auszudiskutieren! Aber das Schicksal wollte sie - noch! - nicht zusammenführen, wie es schien.
"Immerhin, das war kein Nein", stellte er mehr zu sich selbst gewandt fest.
Als er sich dann der anderen zu kurz Geratenen und dem treudoofen Schmied an ihrer Seite zuwandte, um auf die von Johanna angestoßene Unterstützung dieses in Fragen von Romantik und gutem Geschmack wahrlich unbeschlagenen Recken einzugehen, preschte der sogleich voraus und hielt einen Monolog über eben Jenes ab, das die kleine Dame bereits mit Piero besprochen hatte.
"Nun, werter Freund, selbstredend werde ich mit Freude dabei behilflich sein, aus deinem Stelldichein mit ... einer", sein Blick streifte Johanna, bevor er zurück zu Isidor schnappte, "Herzensdame ein unvergessliches Erlebnis zu machen. Aus Herzensgüte verzichte ich sogar auf die Forderungen im Gegenzug, die ich an Johanna stellte. Dafür kannst du mir aber gleichwohl einen Dienst erweisen, Isidor."
Piero hob die Hand vor Isidors Augen und zeigte auf seine Brust.
"Dass du dich vor deiner Verabredung waschen müssen wirst, ist dir sicher klar, nicht wahr? Für die Kleidung werden wir morgen wohl einen Ausflug in die Handwerkshalle machen müssen. Für deine Bedürfnisse empfehle ich ein Wams in einer eher dezenten Farbe, die jene in der Sommerhitze unvermeidbaren Schweißflecken nicht allzu sehr betont. Das Getränk der Wahl sollte ein vollmundiger Wein sein, kein Bier oder dieses Gebräu, das sie aus den zahllosen Äpfeln hier ansetzen. Ich habe heute zufällig von einem Weingut im Stewarker Land erfahren, das ich morgen Vormittag aufzusuchen gedenke, und könnte eine Flasche besorgen. Beim Essen aber musst du aktiv werden, mein Freund, und tust mir damit noch einen Gefallen."
Mit einer kleinen Bewegung aus dem Handgelenk erschienen plötzlich drei kleine Zettelchen vor der Nase des Schmiedes, als hätte er sie die ganze Zeit über zwischen den Fingern gehalten. Piero fächerte die Zettel auf und zeigte nacheinander auf die drei darauf mit Kohlestift gezeichneten Bilder.
"Drei kleine Hauswirtschaften, die mir sowohl für Speis', als auch Trank empfohlen wurden. Das fallende Beil soll einem Ehepaar im Nordwesten der Stadt gehören. Reichhaltige Schlachtplatten von Schweinen und Hühnern, die sie im Hof ihres Hauses halten. Das Bier soll ein mildes und bekömmliches Dunkles sein. Der grüne Eber ist die Stube einer Witwe im Süden. Angeblich setzt sie einen köstlichen Eintopf auf, den schon ihre Urgroßmutter gekocht hat. Und schließlich der rote Hahn, das Haus einer Kommune von fünf resoluten jungen Damen irgendwo im mittleren Ring, die ihren eigenen Likör brauen und jeden Abend zu wilden Feiern laden. Die haben angeblich immer eine Reihe torgaanischer Früchte auf Lager, die sie für ihre Liköre - die sogenannten Hahnenschwänze - brauchen. Besuche alle drei Lokalitäten und besorge, was du besorgen kannst. Wir entscheiden dann gemeinsam, was angemessen für deine andere Liebste ist."
Piero überreichte die drei Zettelchen und trat mit einer galanten Verbeugung zurück.
"Du findest mich nach der Mittagsstunde sehr wahrscheinlich in der alten Wachstube im nördlichen Teil des Torhauses. Nur keine Scheu, tritt einfach ein! Und das gilt auch jederzeit für deine bezaubernde Begleiterin."
Seine Augen glänzten, als er Johanna fixierte. "Sehe ich da schwarze Unterwäsche hervorblitzen, Teuerste?"
Und noch bevor die Entrüstung Gelegenheit hatte, über ihn hereinzubrechen, verschwand er in der Menge. Er war zufrieden damit, wie die Dinge sich entwickelt hatten. Wie vorzüglich, einen Probeesser mit dem unkultivierten Geschmacksapparat eines Schmiedes zu haben. Nicht nur musste er das Bier dann nicht selbst verkosten, sondern erhielt auch gleich noch einen Einblick darin, was dem gemeinen Volk so schmeckte.
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Klippenschänke
Wie ein Fisch an Land schnappte Johanna nach Luft, während sie diesem Ausbund an Dreistigkeit beim Verschwinden in der Menge zusah. Zugegeben, seine beeindruckende Fingerfertigkeit grenzte schon beinahe an Magie, aber dieser unverfrorene Schlusspunkt setzte dem Ganzen doch absolut die Krone auf!
„Na“, blökte sie dann unbeholfen, „das war ja mal ein Erlebnis.“
Immer noch entgeistert von dem kuriosen Gespräch mit dieser Frau und Piero, schüttelte Johanna den Kopf, bevor sie zu Isidor aufsah.
„Ich brauch jetzt dringend was zu Essen. Kommst du mit?“
Ohne auf eine Antwort Isidors zu warten, kämpfte sie sich durch den Schankraum zur Theke. Ingor war gerade noch mit einigen durstigen Männern beschäftigt, die einen ganzen Schwung Bier geordert hatten, aber zumindest wäre sie bald an der Reihe, um das Tagesgericht zu bestellen. Während sie warteten, wandte sie sich zu ihrem Freund um.
„Immerhin hat Piero ein paar ganze gute Ideen gehabt. Mir wäre nur eingefallen, auf den Markt zu gehen und dann etwas selbst zu kochen“, sagte sie. „Wirst du machen, was er vorgeschlagen hat?“
Sie sah ihm voller Ernst in die Augen.
„Und was war das mit deiner Bekannten da? Woher kennst du die denn? Mit der ist doch irgendwas nicht in Ordnung, so unangenehm, wie die sich an dich rangewanzt hat. Und warum wurde sie denn von den Magierinnen bewacht?“
Dass Isidor eine zwielichtige Gestalt wie Piero kannte, hatte sie ja bereits verwundert. Aber langsam wurde die Zahl merkwürdiger Bekanntschaften, die er innerhalb kürzester Zeit auf dieser Insel bereits gemacht haben musste, wirklich besorgniserregend.
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Klippenschänke
Allmählich wuchs Isidors Nervosität im Angesicht der sich stets verlängernden Liste an Dingen, die er für seine Verabredung mit Fräulein Frieda erledigen musste. Die drei Anlaufstellen, welche Piero ihm genannt hatte, würde er auch noch irgendwie in seinen bereits straffen Zeitplan eingliedern müssen und so wie die Dinge standen, wäre es wohl fast besser noch heute Abend zumindest eine der Lokalitäten anzusteuern. Alles in allem würde er sehr auf Alberichs Verständnis hoffen müssen, damit er rechtzeitig an der Bäckerei ankäme, um bei Ladenschluss auf die süße Bäckerin zu warten. Der damit einhergehende Stress ließ ihn sogar die Bemerkung der anderen Liebsten ignorieren, obwohl diese Sticheleien bisher immer ihr Ziel gefunden hatten. Von dem Abschlusskommentar Pieros ganz zu schweigen, der zwar Johanna gegolten, den Hünen aber ebenso verärgert hatte.
„Ich bin einfach nur erschöpft“, murmelte er und schaute auf seine Freundin herab, die entrüstet in die Menge starrte, von der der Pfau verschluckt worden war.
Nach der Frage nach Abendessen und dem abrupten Aufbruch Johannas in Richtung Theke, brauchte der Schmied einige Augenblicke, ehe er realisierte, dass er sie wohl begleiten sollte. Tatsächlich knurrte sein Magen bedenklich bei dem Gedanken an eine Mahlzeit, obwohl sein Kopf ihm davon abriet, etwas zu sich zu nehmen. Als er zu ihr aufschloss, war sie bereits eingereiht, wobei Ingos alle Hände voll zu tun hatte. Soweit Isidor mitbekommen hatte, führte er die Schänke allein und wenn er das so sah, hätten ihm ein weiteres Paar Hände gutgetan.
„Ja, seine Ideen waren gut“, gab er zu, als er auf Johannas Worte einging, „Aber der Beschreibung nach muss ich dafür durch die ganze Stadt. Das wird zeitlich alles sehr eng, je nachdem wie viel früher mich Meister Alberich gehen lässt – wenn überhaupt.“
Er machte sich wirklich Sorgen, wie sein neuer Arbeitgeber reagieren würde. Insgeheim hoffte er ja, dass Elara zumindest Verständnis zeigen würde und er dadurch bessere Chancen hätte. Doch das würde sich erst alles morgen zeigen und entscheiden.
„Ich werde es zumindest versuchen. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun soll, denn selbst kochen wäre definitiv die schlechtere Variante, das versichere ich dir“, bestätigte er ihre Frage und bedeutete ihr, dass es um seine Kochkunst eher kläglich bestellt war.
Endlich waren sie an der Reihe zu bestellen und Johanna ließ keine Sekunde verstreichen, ehe sie das Tagesgericht bestellte, welches sich als Schweinefleisch mit den Scheiben großer Sommeräpfel und Zwiebelringen in ausgelassener Butter herausstellte. Dazu gab es einen Kanten Brot, um den Sud aus Apfelsaft und Brühe aufzusaugen.
„Für mich dasselbe und ich zahle“, entschied Isidor und bedeutete der protestierenden Johanna schonmal einen Platz für sie zu suchen.
Die Chancen, dass er dank seiner Größe die beiden hölzernen Teller unbeschadet durch die Menge an trinkenden und essenden Gästen bekam, standen besser, als bei ihr.
Ingor ließ nicht lange auf sich warten und reichte ihm das dampfende Mahl über die Theke, mit dem Isidor sich auf die Suche nach seiner hungrigen Freundin machte. In der Nähe zum Vordereingang fand er sie eingepfercht zwischen einigen anderen Gästen an einem Tisch sitzen, wobei es nicht schien, als wäre dort genug Platz für ihn. Doch in einer Taverne gehörte es zum guten Ton sich den Platz zu nehmen, den man brauchte.
„Darf ich mal?“, fragte er, ohne auf eine Antwort zu warten, schwang ein Bein zwischen zwei Kerle in seinem Alter, die bereits einige Becher Apfelwein hinter sich zu haben schienen.
„He! Pass doch auf, du Lump!“, rief der eine und wandte sich mit glasigem Blick an den Schmied, der mit ruhiger Miene zurückstarrte.
Ein Moment verstrich, indem sich Ärger anzubahnen schien, bis der beschwipste Kerl die Narben im Gesicht und am Hals des kräftigen Hünen entdeckte und es tatsächlich schaffe, doch ein Stück von ihm weg zu rutschen.
„Also“, versuchte Isidor seine ungewöhnlich schlechte Laune zu überspielen, „Ich kam noch nicht dazu dir wegen Felia zu antworten. So heißt die…unangenehme Bekannte wie du sie nennst. Ich bin ihr in Thorniara begegnet und habe sie nach dem Weg gefragt, weil ich gerade erst angekommen war“, erzählte er ihr, woher sie sich kannten.
Er fragte sich, wie viel er berichten sollte, ob es sich lohnte etwas zurückzuhalten.
„Meine Orientierung ist nämlich grässlich und ich hatte mich mit dem Bekannten eines Freundes aus Vengard in der Marktschänke verabredet, der mir ein wenig Starthilfe für mein neues Leben hier ermöglicht hat. Ich hatte vorher überhaupt keine Ahnung, worauf ich mich einließ, weil ich blind meiner Wut hier her gefolgt bin und da war ich froh, dass mir jemand die ersten Schritte gezeigt hat. Aber du wolltest ja eigentlich mehr über Felia wissen“, besann er sich, „Sie ist Novizin des Feuers und wohl Teil der Gruppe, die für den Aufruhr am Tor verursacht hat, auch wenn ich nicht glaube, dass sie daran Anteil hatte. Dafür ist sie zu…subtil. Aber das wird auch der Grund dafür sein, dass sie Aufpasserinnen hatte.“
Isidor glaubte eine Frage in Johannas Augen zu erkennen, die gerade damit beschäftigt war sich ein großes Stück Fleisch in den Mund zu schieben. Sein eigenes Essen stand bisher unberührt vor ihm, während er sprach.
„Hat mich dazu gebracht Informationen aus einem anderen Novizen herauszubekommen, die er ihr selbst nicht geben wollte. Du wirst dir sicher denken können, worum es dabei ging, wenn ich bedenke, dass du selbst mal eine von ihnen warst.“
Er hielt kurz inne und stach mit seinem Besteck lustlos in eine Apfelscheibe. Er seufzte schwer.
„Ich wüsste gern, wie alles so schnell wo kompliziert werden konnte“, sinnierte er mehr zu sich selbst, als zu seiner Freundin, der er nun einen weiteren Blick zuwarf, als würde er Halt oder Antworten auf seine Probleme suchen.
Doch stattdessen fand er nur mit Essen gefüllte Wangen vor, die leicht gerötet vom heißen Essen waren, vom Fett glänzende Lippen mit einer sanften Kurve und dunkle, tiefgründige Augen, die er nun fokussierte. Das erste freudige Lächeln seit er auf Piero getroffen war, zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und endlich begann auch er zu essen.
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Lucky 7
Straßen von Stewark
Die Straßen von Stewark lagen still und dunkel, als Venom, Hailey und Colbart sich auf den Rückweg zu ihrem Versteck machten. Die Kühle der Nacht war eine willkommene Erleichterung nach der Hitze des Feuers, und doch schien die Spannung zwischen ihnen nicht zu weichen. Sie hatten Draven nicht ausschalten können – ein Fehler, der sie alle verfolgte.
Venom führte die Gruppe an, die Schritte gedämpft auf den gepflasterten Wegen, während die Geräusche der Stadt um sie herum leiser wurden. Sie näherten sich der Taverne „Klippenschänke“, deren beleuchtete Fenster warmes, gelbes Licht auf die Straße warfen. Das laute Lachen und die Gespräche aus dem Inneren bildeten einen scharfen Kontrast zu der bedrückenden Stille, die zwischen den dreien herrschte.
Colbart, dessen Gesicht immer noch schweißnass war, blieb kurz stehen und schnupperte in die Luft. „Das riecht aber gut!“, sagte er mit einem sehnsüchtigen Lächeln. „Fast genug, um mich für einen Moment alles vergessen zu lassen.“
Venom konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, aber sein Blick wanderte bald wieder zu Hailey. Sie war ungewöhnlich still, ihre Gedanken schienen tief in einer Erinnerung vergraben, die sie nicht mit den anderen teilen wollte. Es war eine Seite von ihr, die Venom selten sah – verschlossen, fast verletzlich.
„Wir sollten weiter“, sagte Hailey abrupt und setzte ihren Weg fort, den Blick stur nach vorne gerichtet.
Venom spürte, dass dies der Moment war, um das Schweigen zu brechen. Er hatte lange gewartet, sie nach ihrer Vergangenheit mit Draven zu fragen, aber bisher hatte sie immer einen Weg gefunden, das Thema zu umgehen. Doch nach der Begegnung heute Abend schien es unvermeidlich, dass sie sich endlich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen musste.
„Hailey“, begann er ruhig, während er zu ihr aufschloss, „es ist Zeit, dass du uns erzählst, was zwischen dir und Draven wirklich passiert ist.“
Hailey stieß einen tiefen Seufzer aus und schien einen Moment lang mit sich selbst zu ringen. „Es ist kompliziert“, murmelte sie, ohne ihn anzusehen.
„Wir haben Zeit“, sagte Venom und hielt ihren Arm fest, um sie zu verlangsamen. „Er hat uns heute beinahe umgebracht. Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben.“
Hailey zögerte, ihre Augen suchten nach einem Fluchtweg, aber es gab keinen. „Ich habe damals für den gleichen Auftraggeber wie Draven gearbeitet“, begann sie schließlich, ihre Stimme leise und angespannt. „Es war ein einfacher Söldnertrupp, nichts Besonderes. Aber Draven ... er hat schnell die Kontrolle übernommen.“
„Er hat sich also zum Anführer aufgespielt?“, fragte Venom, obwohl er die Antwort bereits erahnte.
Hailey nickte. „Ja, er war der Beste von uns allen, der schnellste und skrupelloseste Kämpfer. Er wusste, wie er Angst verbreiten konnte, und die anderen... sie haben sich ihm gebeugt, auch wenn sie ihn verabscheuten. Er hat uns nicht nur befehligt, er hat uns schikaniert. Wer nicht gehorchte, dem hat er das Leben zur Hölle gemacht.“
Colbart, der neben ihnen herging, lauschte aufmerksam, seine Augenbrauen hochgezogen. „Warum hast du das nie erzählt, Prinzessin?“, fragte er, seine Stimme ungewöhnlich sanft.
Hailey wandte ihren Blick ab. „Weil es keine Geschichte ist, die ich gerne erzähle. Ich habe Draven damals nicht wirklich bekämpft, ich bin einfach geflohen. Die erste Möglichkeit, die sich mir bot, habe ich genutzt – und das war nun mal als ich euch begegnet bin.“
Venom spürte ein unangenehmes Stechen in seiner Brust. „Warum hast du nicht früher etwas gesagt?“, fragte er. „Wir hätten uns besser vorbereiten können.“
„Weil es damals nicht wichtig war“, antwortete Hailey, ihre Stimme jetzt schärfer. „Ich habe versucht, diesen Teil meines Lebens hinter mir zu lassen. Aber heute ... heute habe ich gemerkt, dass ich das nicht einfach kann. Draven wird nicht ruhen, bis er mich zerstört hat.“
Ein Moment des Schweigens breitete sich aus, nur unterbrochen vom fernen Geräusch der Taverne. Venom wusste, dass Hailey mehr durchgemacht hatte, als sie zugeben wollte, und dass Draven mehr war als nur ein alter Feind. Es war eine offene Wunde, die nicht heilen wollte.
„Dann sollten wir uns auf das nächste Mal vorbereiten“, sagte Venom schließlich, seine Stimme fest. „Wir werden diesen Kampf zu Ende bringen, aber wir werden es zu unseren Bedingungen tun. Kein Feuer, kein unvorhergesehenes Chaos. Nur wir und er.“
Hailey nickte langsam, ihre Augen wieder fest entschlossen. „Das nächste Mal wird er nicht entkommen“, sagte sie leise, fast als würde sie das Versprechen an sich selbst richten.
Colbart trat näher zu den beiden und klopfte Hailey leicht auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen, Prinzessin“, sagte er mit einem schiefen Grinsen. „Mit uns an deiner Seite wird dieser Mistkerl keine Chance haben.“
Venom sah, wie Hailey leicht lächelte, das erste echte Lächeln seit der Begegnung mit Draven. Es war schwach, aber es war da. Sie waren alle durch ihre Vergangenheit gezeichnet, doch sie hatten auch einander, und das gab ihnen die Stärke, weiterzumachen.
Als sie schließlich an der Taverne „Klippenschänke“ vorbeigingen und die vertrauten Straßen von Stewark in Richtung ihres Verstecks zurücklegten, fühlte sich Venom etwas leichter. Die Vergangenheit war nicht mehr so drückend, die Last war geteilt. Aber der Schatten von Draven blieb, und er wusste, dass die nächste Begegnung ihr Schicksal bestimmen würde.
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Klippenschänke
„Na klar …“, brachte sie mit vollgestopften Wangen hervor und sah ihn dabei mit kaum verhohlener Skepsis an. Das ganze Stelldichein mit der Frau sah nämlich nach deutlich mehr aus als nach einem „Die hab ich mal nach dem Weg gefragt“. Und auch die Geschichte mit dem anderen Novizen, den auszuhorchen sie Isidor ausgenutzt hatte, klang nicht wirklich danach. Aber sie wollte ihm den Abend nicht noch schwerer machen, als er ohnehin schon für ihn zu sein schien. Seit sie sich getroffen hatten, war es mit seiner Stimmung stetig bergab gegangen – und dabei war er wegen seiner Erfolge in der Schmiede noch so gut gelaunt gewesen! Waren es wirklich die Begegnungen mit Felia und Piero gewesen, die seine Laune so erschüttert hatten? Warum hatte er denn dann die Gegenwart dieser Frau gesucht, und warum hatte er sich bereiterklärt, sich mit Piero zusammenzutun? Oder war es die Verabredung mit Frieda, die ihn so sehr belastete?
Bevor sie ihren Gedanken weiterverfolgen konnte, traf sie jedoch Isidors Äußerung über die Frau wie ein Blitz. Sie riss die Augen auf und glotzte ihren Freund an.
„Was, also gab es wirklich Feuermagier – ja, gut, Novizen! – die die Torwachen angegriffen haben? Und sie gehört dazu?“ Sie ließ ihre Gabel auf den Teller krachen. „Und das lässt du so nebenbei fallen wie eine Lappalie? Warum darf die denn frei herumlaufen?“
Johanna schüttelte den Kopf. „In Thorniara wäre jeder, der die Wachen angreift, im hohen Bogen im Gefängnis gelandet. Da bin ich mir ziemlich sicher. Frag mich, was die Wassermagier mit denen zu schaffen haben, dass sie hier so herumstolzieren darf.“
Johanna war zutiefst erschüttert darüber, mit welcher Beiläufigkeit Isidor das Ganze abgetan hatte. Gut, vielleicht hatte er noch nicht so einen Bezug zu den schrulligen Kerlen von der Stadtwache, wie sie – aber dass es ihm so vollkommen gleich war? Sie hoffte nur, dass sein Kopf gerade mit so vielen Dingen vollgestopft war, dass er nur deshalb so seltsame Prioritäten setzte.
„Und subtil ist nicht das Wort, das mir bei ihr einfällt. Die spielt eher in einer Liga mit dem Gockel. Schrill und im Mittelpunkt.“
Aber da war noch etwas anderes, an dem sie sich störte. Was hatte er doch gleich über Johanna gesagt? „Wie hast du das gemeint, ich kann mir schon denken, worum es ging bei dem Ausgehorche, weil ich selbst mal eine Novizin war? Also ich hab nie irgendjemanden zu hintergehen versucht. Ich hab in der Heilkammer gearbeitet, gelernt und mich mit meiner Stubengenossin sehr gut verstanden.“
Johanna seufzte schwer, griff wieder ihre Gabel und steckte sich einen weiteren Bissen in den Mund. Naja, was sollte er auch über die Novizen des Feuers denken, wenn er direkt an eine geraten war, die ihn ausnutzte, einen Bruder betrog, um was auch immer zu erfahren, und eine ganze Stadt in Aufruhr brachte, indem sie Soldaten eines fremden Königreichs angriff? Es war doch kein Wunder, dass es ihm schwerfiel, bei alledem gute Laune zu behalten. Als sie heruntergeschluckt hatte, legte sie ihre freie Hand auf Isidors Pranke, die gabelbewehrt am Rande seines Tellers auf dem Tisch ruhte. Seine Haut war rau und warm. Sie erinnerte Johanna an Rudras Pranken.
„Hör mal, wenn dir das alles zu viel wird, finden wir bestimmt einen anderen Weg. Frieda ist verständnisvoll. Wenn du Angst hast, deine Stellung bei Alberich zu verlieren, dann wird sie das sicher verstehen.“
Sie strich ihm mit dem Daumen über den Handrücken und lächelte ihm aufmunternd zu. Ihn zu erdrücken, war das letzte, was sie ihm Sinn gehabt hatte, als sie die beiden zu der Verabredung überredet hatte.
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Klippenschänke
Isidor schüttelte nach einem kurzen Augenblick des Zögerns den Kopf.
„Nein, es ist nicht die Verabredung mit Frieda, die mir Sorgen bereitet, sondern ähnlich wie dir die nicht beneidenswerte Anzahl seltsamer Bekanntschaften, die ich in sehr kurzer Zeit auf dieser Insel geschlossen habe“, versuchte er sie zu beruhigen, „Anwesende Damen und ihre Freunde ausgeschlossen“, fügte er mit einem etwas erzwungenen, aber nicht weniger gut gemeintem Zwinkern hinzu.
Ihre Hand fühlte sich so sanft an auf der seinen und für einen Moment vergaß er seine Sorgen, als er sich auf das Gefühl ihres Daumens konzentrierte, welcher über sein raue Haut strich. Wenn er nicht aufpasste, würde er Piero am Ende doch noch Recht geben und zu seiner Schande musste er zugeben, dass es mehr als alles andere der Trotz war, den er in diesem Moment vorschob, um sich vor etwaigen Gefühlen zu schützen, die tief in ihm aufzuwallen drohten.
„Verzeih mir“, unterbrach er schließlich die Momente des Schweigens, welche er in Gedanken verbracht hatte, und zog seine Hand vorsichtig zurück, „Ich wollte es nicht klingen lassen, als wäre es mir gleichgültig, dass die Novizen die Wachen angegriffen haben. Ich mache mir Sorgen, um die möglichen Auswirkungen für Stewark. Wer weiß schon, wie das myrtanische Reich reagieren wird, wenn sie mitbekommen, dass ihre Novizen hier unter Beobachtung und sogar ins Gefängnis gesteckt wurden? Felia erzählte, dass zwei der Novizen hinter Gittern sind und sie selbst und der vierte im Bunde unter Beobachtung durch die Wassermagier gestellt wurden. Es gibt also nichts mehr zu befürchten, denke ich. Und ja, dass unter König Rhobar andere Sitten herrschen, wissen wir wohl beide.“
Zögerlich nahm er einen weiteren Bissen seines Essens, obwohl ihm nicht mehr der Sinn danach stand. Es war beinahe kalt, doch er hatte gezahlt und würde es nicht verkommen lassen.
„Und ich dachte du wüsstest, worauf ich anspiele, eben weil du eine Novizin warst. Sie sind hier wegen einer Prüfung des Feuers, doch wie es aussieht, sind sie gescheitert, wenn man sie bereits alle aufgegriffen hat. Piero hat in Thorniara, wo ich auf ihn und zwei der Novizen im Badehaus gestoßen bin, seine Hilfe angeboten oder eher aufgezwungen. So fügt er sich jedenfalls ins Gesamtbild ein.“
Je mehr er erzählte, desto mehr zweifelte er daran, ob es richtig gewesen war, wie er sich verhalten hatte. Hätte er direkt berichten sollen, was er wusste, selbst wenn vieles anfangs nur Vermutungen gewesen waren? Oder hätte er besser jetzt die Klappe gehalten, um nicht zu offenbaren, wie viel er tatsächlich wusste? So oder so war es nun zu spät, denn beides hatte er bereits entschieden und hinter sich gebracht.
„Ich habe vorher nichts gesagt, weil wir uns erst sehr kurz kennen und wenn jemand wie ich, der mit nichts nach Argaan gekommen ist, gleich mit derartigen Dingen um sich wirft, wird das sicher eher dafür sorgen, dass man mich mit Argwohn bedenkt, meinst du nicht?“, versuchte er seine Entscheidungen zu erklären und hoffte, dass Johanna ihn verstand.
Ja, sie kannten sich erst wenige Tage, doch sie war ihm bereits eine gute Freundin geworden, weshalb er es ihr wohl auch jetzt erzählte. Doch direkt nach ihrem ersten Treffen wäre es nicht angebracht gewesen. Dazu kam noch seine bestehende Verbindung zum Großreich und die Sorge, dass jegliche Taten gegen Myrtana sich auf das Versprechen auswirken würde, was er bekommen hatte. Noch immer hallte Armonds Warnung in seinen Gedanken nach.
Nichts für ungut, mein Freund, aber du wirst sicher Verständnis dafür haben, dass wir ob der besonderen Natur unserer weiteren Zusammenarbeit bestimmte, nennen wir es mal Vorsichtsmaßnahmen, ergreifen.
Die Warnung war unmissverständlich.
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Haus der Magier - Novizenkammer
„Angst haben ist ucha uffa mumba“ bestätigte die Setarriferin. Manche Dinge brauchten keine genaue Übersetzung, damit man verstand was gemeint war. Manche Sachen waren auch über eine Sprachbarriere hinweg universal und bei jedem Menschen verständlich. Es war kein gutes Gefühl die Kontrolle zu verlieren, dieses Gefühl im Nacken, als ob er jederzeit einknicken könnte, der Impuls wegrennen zu wollen. Das war bei Kizalongwe wohl auch nicht anders als bei Argaanern oder Khorinern.
Dennoch überraschte es sie ein wenig, von Kisha zu hören, dass sie auch Angst hatte. Sie war ihr, in der kurzen Zeit die sie sich kannten, immer so mutig vorgekommen. Furchtlos, dass es schon an Dreistigkeit grenzte. Und doch war es nicht so. Und es war, auf eine seltsame Art und Weise ermutigend, dass auch sie Angst spürte. Das selbst die mutigste unter ihnen manchmal genauso fühlte wie sie selbst, die wohl die am wenigsten mutige unter ihnen.
Einem Impuls folgend stand die Novizin auf, als sich Kisha Tränen aus den Augen wischte und umarmte sie kurz mit ihrem gesunden Arm. Es war nur ein kurzer Moment des Trostes, ehe sie selbst sich wieder auf das Bett fallen ließ.
„Du bist weggelaufen?“ fragte Mera schließlich, nachdem sie ein paar Momente hatte verstreichen lassen. Sie konnte es nachvollziehen. Zwar verstand sie nicht alles, was Kisha sagte, aber es klang, als wäre sie vor Verantwortung weggelaufen. Einer der sie sich nicht gewachsen fühlte, oder die sie vielleicht überhaupt nicht wollte.
„Vermisst du sie denn nicht? Deine… Leute? Deine Familie?“
Aber gleichzeitig, so klang es, war sie auch auf etwas zugelaufen. Eine Person, jemand den sie suchte. Vielleicht gerade eben jemand aus ihrer Familie?
„Wenn du dich einsam fühlst, bin ich auch für dich da.“ sagte sie leise, als ob sie sich kaum traute es auszusprechen.
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Klippenschänke
Johanna nickte. „Ja, ich versteh dich schon“, sagte sie. „Wir konnten uns gegenseitig noch nicht so recht einschätzen, und dann kamen da noch Syrias und Meve und Mungu dazu. Nur wie du es gesagt hast – da klang es nur so …“
Sie konnte es nicht in Worte fassen. Es war nur so ein unangenehmes Gefühl, so ein Klang in seiner Stimme, in dem eine merkwürdige Gleichgültigkeit und fast schon Bewunderung für diese Frau mitschwang. Aber sie wollte jetzt nicht streiten und erst recht nicht wegen eines seltsamen Gefühls. Dazu waren Isidor und sie wohl beide viel zu müde.
„Irgendwie wundert es mich nicht, dass Piero sich da reingehängt hat“, gab sie zu. „Früher, vor der Pest, als ich noch mit Mutter im Bordell gelebt hab, da war immer so ein Kerl am Marktplatz. Willie das Wiesel. Er war ein Scharlatan und jeder wusste es. Und trotzdem hat er unermüdlich den Leuten mit unterschiedlichsten Weisen den Leuten das Gold aus der Tasche gezogen, egal ob mit Hütchenspielen, Quacksalber-Diensten oder Weissagungen. Piero kommt mir genauso vor – als würde er jede Gelegenheit nutzen, um einen guten Handel für sich herauszuschlagen. Egal, ob er wirklich helfen kann, oder nicht.“
Sie hob die Hand vor den Mund und kicherte. Sie stellte sich Willie das Wiesel in dem feinen Fummel vor, den Piero getragen hatte. Das Bild vor ihren Augen war zu komisch. Doch der Gedanke verflog wie ein Blatt im Wind, und ihre Miene trug schon bald wieder den alten Ernst.
„Die Prüfung des Feuers …“, murmelte sie nachdenklich. „Ich habe nie eine miterlebt, ehrlich gesagt. Es ist ein weiter Weg vom Novizen bis zur Teilnahme an einer Prüfung des Feuers. Manche fegen jahrelang die Novizenstuben und werden von den Feuermagiern kleingehalten.“
Sie verzog das Gesicht, als sie sich ihrer Formulierung bewusst wurde. „Nicht auf die Art klein wie ich, versteht sich. Du weißt, was ich meine.“
Johanna nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher mit klarem Wasser, den sie sich zu ihrer Mahlzeit mitgenommen hatte. Sie dachte nicht gern an ihre Zeit als Adlata und Novizin zurück. Nicht wegen ihres Lebens im Orden mit seinen täglichen Verpflichtungen, nein. Sondern wegen Vicktar, der unvermeidlich mit dieser Zeit verbunden war. Sie hatte ihm nicht verziehen, was er getan hatte, und würde es auch nie tun. Johanna hoffte nur, dass sie diesem selbstgerechten, verblendeten Monster niemals wieder begegnen musste. Dass Menschen wie er innerhalb des Ordens zu Posten und Macht gelangen konnten, war das eigentliche Versagen der Kirche Innos‘.
„Ich glaube nicht, dass jemand wegen den Novizen einen Krieg vom Zaun brechen würde“, gab sie dann zu. „Uns wurde immer wieder mehr als deutlich gemacht, wie viel weniger wert als die Feuermagier wir waren. Manche von denen fühlten sich uns so überlegen und haben so tief auf uns herabgesehen. Und wenn sie dann noch in einer Prüfung des Feuers stecken …“
Johanna senkte betroffen die Stimme. „Ich kenne nur Geschichten, aber ich habe gehört, dabei sind auch schon Novizen gestorben. Manche haben sich sogar erzählt, einige Feuermagier hätten ihre Prüfung nur bestanden, indem sie ihre Mitbewerber selbst getötet haben. Vielleicht war das nur das Gerede von gelangweilten Adlaten, aber wenn da wirklich etwas dran ist … Das Schlimme ist, es würde mich bei manchen noch nicht einmal wundern.“
Sie streifte den Gedanken mit einem entschiedenen Kopfschütteln ab.
„Ich hab genug trübe Gedanken für heute gehabt. Lass uns einfach den Abend genießen, ja? Morgen wird sicher ein aufregender Tag.“
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Klippenschänke
Isidor lehnte sich zurück und betrachtete Johanna nachdenklich. Es war schwer sie sich als Adlata oder Novizin des Feuers vorzustellen. Sie wirkte ganz anders als Felia oder Curt. Rüdiger war ihm ein Rätsel und Gabriel schien eher die eigenen Interessen zu verfolgen, als Innos dienen zu wollen. Aber vermutlich war das ein weiterer Grund, weshalb sie fortgegangen war, neben den unangenehmen Erlebnissen, von denen sie bereits berichtet hatte. Wie es wohl mit Felia weitergehen würde? Ob man sie nach Thorniara zurückkehren ließe, die Schande der Niederlage tragend? Wieso sollte es ihn kümmern?
Weil es noch immer meine Landsleute sind, um die es hier geht, fand er selbst die Antwort.
Doch er brachte es auch nicht über sich die Menschen in Stewark als Feinde zu betrachten. Viel zu freundlich waren sie zu ihm gewesen. Johanna allen voran, doch auch Alberich, dem seine Herkunft einerlei war und Elara, die ihn gleich zu Beginn behandelt hatte, als wäre er ein guter Freund.
„Du hast recht“, sagte er schließlich und zwang sich zu einem Lächeln, „Lass und den Abend genießen und die Sorgen für einen Moment beiseite schieben.“
Er nahm einen weiteren Bissen seines erkalteten Essens und versuchte, den Geschmack zu genießen. Die Wärme und stickige Luft des Raumes und die teilweise lauten Gespräche der anderen Gäste prasselten auf ihn ein, störten ihn heute, wo er sich sonst fast heimisch in einem solchen Trubel fühlte. Seine Gedanken wollten keine Ordnung annehmen und trotz seiner Worte ließen sich die Sorgen des kommenden Tages nicht abschütteln.
„Weißt du“, begann er nach einer Weile, „Ich habe nie wirklich verstanden, warum ich mir so viele Gedanken über andere mache, wenn ich selber genug Probleme habe. Vielleicht ist es einfach meine Natur, oder vielleicht ist es das, was geschieht, wenn man mit drei Geschwistern aufwächst, deren Leben man teilte. Hier in Stewark ist alles viel näher beisammen und unweigerlich stolpert man in Situationen, vor denen man nur schwerlich die Augen verschließen kann. Dabei dachte ich, dass fernab der Hauptstadt ein wenig Ruhe herrschen würde.“
Er bemerkte, dass er erneut die Stimmung nach unten zog und räusperte sich im nächsten Augenblick verlegen. Seine nächsten Worte wären nur noch melancholischer gewesen, waren seine Gedanken doch bei seiner Familie und dem Abstand, den er zum Ort ihres Todes gebraucht hatte.
„Erm, ‘tschuldige“, hüstelte er und griff nach seinem Krug mit Apfelwein, „Auf unsere neue Freundschaft“, toastete er ihr zu und hielt ihr den Humpen entgegen.
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Haus der Magier - Novizenkammer
Warm und wohlig durchdrang sie das Gefühl der Zuneigung für die hübsche, so zerbrechlich wirkende Frau. Und das, obwohl sie die Welt mit so unterschiedlichen Augen sahen! Wie kalt und abweisend ihr Mera doch zu Beginn vorgekommen war, als hatte sie Angst davor, irgendjemanden an sich heranzulassen. Und doch war sie so verständnisvoll und fürsorglich! Zuvor war sich Kisha nicht sicher gewesen, ob sie an diesem Ort überhaupt richtig aufgehoben war, nur weil sie hier das Flüstern hörte und lernte, es für sich zu nutzen. Schließlich hatte sie die herzlichen Leute am Mnara-Baum sehr gemocht und ungern dort zurückgelassen. Doch nun – erst jetzt, da sich selbst die vermeintlich Abweisendste ihrer Schwestern aus dem Kreis der Novizen als ein guter Mensch und eine Freundin offenbarte – erst jetzt wusste sie, dass sie richtig gewählt hatte. Dass die Vizuka sie an den richtigen Ort geführt hatten.
„Ich vermisse sie alle“, gab Kisha frei zu. „Jede Einzelne von ihnen. Und ich weiß, dass ich Schande über mich und über sie gebracht hab, weil ich weggelaufen bin. Und jetzt haben sie vielleicht niemanden mehr, der die Vizuka versteht. Sie werden verdammt wütend sein.“
Erneut liefen ihr die Tränen über die Wangen, und sie hielt keine einzige davon zurück. Doch bei all der Trauer war da auch Freude darüber, dass sie ihre Geschichte mit jemandem teilen konnte.
„Aber ich musste weg. Ich wollte nie machen, was sie von mir wollten. Und es war leicht. Weil meine Philile immer noch da draußen ist, und die anderen haben mir nicht geholfen, sie zu finden. Sie ist meine Tochter. Und ich finde sie und hol sie zurück!“
Kisha fiel Mera wieder in den Arm und drückte sie an sich. Diesmal nicht schwungvoll und mit Kraft, wie sie es so oft tat. Nein, diesmal hielt sie die junge Frau einfach nur im Arm, genoss die Berührung und die Wärme ihrer Haut.
„Danke, dass du da bist“, sagte sie warm und ruhig. Sie löste sich von Mera, sah ihr in die dunklen, nachdenklichen Augen, während ihre Hände immer noch die ihren hielten. Sie sah zwischen beiden hin und her und blickte dann wieder Mera in die Augen.
„Du bist immer noch ganz, eh? Sie ist immer noch schön und ein Teil von dir, auch wenn sie nicht mehr geht wie vorher. Und das hier? Dein Herz …“
Sie ließ los und klopfte sich erst selbst auf die Brust, dann zeigte sie auf Mera.
„Moyo wako ni mkubwa.“
Kisha sah zu ihr herab und brach plötzlich in schallendes Gelächter aus.
„Aber dein Torgaanisch ist uchafu, Dada!“
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Tarons Waffenschmiede
Der Morgen begann bewölkt und erstaunlich kühl, wenn man die Hitze der letzten Tage bedachte. Eine willkommene Frische, die hervorragend zu Johannas Stimmung passte. Anders als am Tag zuvor war es kein Erwachen mit Kater und Erinnerungslücken, sondern voller Vorfreude und Tatendrang. Heute war der Tag, an dem ihre Freunde eine Verabredung miteinander haben würden, und es gab noch Einiges dafür zu tun! Davor aber würde sie zuerst Syrias beehren. Der weißhaarige Grummelbär scharrte sicher schon mit den alten Hufen, mit Meve und ihr zu diesem Eberstein aufzubrechen. Ein feiner Zug von ihm, dass er Johannas Bitte nachgab, doch morgen würden wohl auch sie ihren kleinen Arbeitsausflug beginnen. Und dabei war sie selbst vermutlich gar nicht von so großem Nutzen für ihn. Mit Meve sah es da schon anders aus. Die Elster flog weit, doch das Packpferd stemmte schwer. Was er für sie wohl im Sinn hatte bei diesem Abenteuer?
Nach einem kurzen Frühstück samt aufmunterndem Freundinnenplausch bei Frieda machte sich Johanna auf zu Tarons Schmiede und trat mit einem fröhlichen Gruß auf den Lippen ein, während sich draußen die Sonne anschickte, die kühlende Wolkendecke zu vertreiben. Mittlerweile fühlte sie sich in der immer heißen Werkstatt fast schon wie zu Hause.
„Na, was macht die Kunst?“, fragte sie Syrias lächelnd, als sie ihn im hinteren Teil der Schmiede fand.
„Gibt’s noch was vorzubereiten für den Eberstein? Immerhin werden wir ja ein paar Tage unterwegs sein, oder?“ Sie sah sich um. „Und wo ist eigentlich Meve? Du lässt sie doch nicht immer noch Holz schleppen, oder?“
Mit einem Grinsen zog Johanna ihren Dolch und hielt ihn theatralisch vor ihr Gesicht.
„Dann müsste ich nämlich Satisfaktion für meine Freundin einfordern, indem ich dich heute mit dem Dolch erwische!“
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Syrias blätterte gerade durch seine neuesten Entwürfe, als Johanna die Schmiede betrat. Hastig schob er sie zusammen und verstaute sie unter dem Tisch. Erst dann drehte er sich zu Johanna um. Die kleine Frau war mal wieder ein Ausbund an quirligem Leben, dass vermutlich seinesgleichen suchte. Was ihr wohl so gute Laune verpasst hatte?
"Mit Satisfaktion kommst du etwas zu spät für Meve." Syrias machte eine ernste Miene. "Die wird sie nicht mehr brauchen, denke ich."
Johanna riss erschrocken die Augen auf und blickte Syrias entsetzt an. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch fand keine Worte. Syrias wunderte sich, bis er das eben gesagte noch einmal im Kopf durch ging.
"Ah, verdammt." Er schlug sich mit der flaschen Hand gegen die Stirn. "Entschuldige, so war das nicht gemeint." gab er zerknirscht zurück. "Manchmal pass ich nicht auf, wie ich was sag. Was ich eigentlich meinte, Meve fällt aus. Der ist ein Sack Kohlen auf den Fuß gefallen." Syrias dachte mit einem Schaudern an Meves Fuß. Nachdem der Sack mit voller Wucht drauf geknallt war, hatten sie schnell einen Heilkundigen geholt und dieser hatte eine üble Quetschung diagnostiziert. Und so, wie der Fuß ausgesehen hatte... da konnte einem schon der Appetit vergehen.
"Ihr gehts so weit gut, würd ich sagen. Aber so kann sie natürlich nicht mitkommen." Der Söldner nahm sich eines der einfachen Schwerter, die in einem Fass steckten, machte ein paar Probeschwünge und nickte dann zufrieden. Für einen Übungskampf würde es reichen.
"Hab da aber mal ne andere Frage, wo ich dich grad hier hab." Syrias und Johanna gingen in Richtung Innenhof, damit sie in Ruhe üben konnten. Johanna ging folgsam hinterher. " Du hast mir ja erzählt, dass du jemanden kennst, der sich mit Erzverarbeitung auskennt. Dein großer Kumpel, dieser., dieser.." Syrias schnippste mehrfach mit den Fingern. "Götter, wie war noch mal sein Name? Radu? Udra? Rumdu?" Der Söldner machte ein ratloses Gesicht. "Hilf mir mal auf die Sprünge. Es liegt mir auf der Zunge, irgendwas mit R war das doch. Oder M?" Syrias blickte erwartungsvoll zu Johanna zurück.
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Alberichs Schmiede
Etwas missmutig betrachtete Isidor die sich auftürmenden Wolken am Himmel, als er den kurzen Weg von der Schänke zur Schmiede hinter sich brachte. Keine guten Aussichten für einen lauen Abend zwischen Apfelbäumen. Im schlimmsten Fall würde es regnen, und dann wäre eine Alternative vielleicht angebracht. Hoffentlich kam ihm im Laufe des Tages noch ein spontaner Einfall, was sie bei schlechtem Wetter machen könnten.
Zweimal klopfte er kräftig gegen die Tür der Schmiede, ehe er eintrat. Alberich war gerade dabei, die Werkzeuge hervorzuholen, und Elara lehnte lässig gegen den Türrahmen ihrer Werkstatt im Nebenraum, ein leichtes Grinsen auf den Lippen.
„Ah, da ist er ja! Wenn man von Beliar spricht“, grüßte sie ihn und zwinkerte ihm zu.
„Guten Morgen, Meister Alberich und Elara“, grüßte Isidor freundlich und zog die Tür hinter sich zu.
„Morgen“, brummte der alte Schmied und schaute sich nur kurz um, ehe er sich wieder seiner Arbeit widmete.
Einen Moment lang stand Isidor unschlüssig still und versuchte sich klar zu werden, ob er gleich jetzt fragen sollte oder besser wartete.
„Oh, da scheint jemand etwas auf dem Herzen zu haben“, erkannte die Lederin sofort. Sie war sehr aufmerksam und sah dem Gesellen an, dass er anders auftrat als am Vortag.
„Na, was ist es? Willst du hinschmeißen?“, fragte sie, und ihr Lächeln verschwand mit einem Mal. Bei ihren Worten wandte sich Alberich um, die Arbeit für einen Augenblick vergessen.
„Nein!“, stieß der Hüne aus, so schnell, dass die Dunkelhaarige ihr Schmunzeln wiederfand.
„Dann raus damit! Damit wäre das Schlimmste bereits vom Tisch, was Alberich?“, bezog sie den Meisterschmied mit ein.
„Raus damit, Junge. Ich werde nicht jünger“, grummelte er und verschränkte die breiten Arme vor der Brust.
Isidor wand sich unter den Blicken der beiden, bis er schließlich einknickte und mit der Sprache herausrückte.
„Es ist mir unangenehm“, gab er zu. „Es ist erst mein zweiter Tag, aber ich muss euch bitten mir den späten Nachmittag freizugeben.“
Da, er hatte es ausgesprochen. Wenn sie ihn nun für diese Unverfrorenheit vor die Tür setzten, dann wäre es das gewesen. So gern er endlich als Rüstungsbauer gearbeitet hätte, umso weniger hätte er es sich verzeihen können, jemanden wie Frieda oder Johanna zu enttäuschen.
„Warum?“, verlangte Alberich zu wissen, verzog jedoch keine Miene – brummig blieb brummig.
„Ich… habe eine Verabredung mit der Tochter des Beckers am Abend und ich kann nicht mit leeren Händen aufkreuzen. Ich würde gern auf dem Markt ein Geschenk besorgen“, erklärte er sich.
„Ha!“, lachte Elara auf. „Wie lange bist du jetzt in der Stadt? Und schon hast du dir eine Freundin angelacht? Siehst gar nicht so aus, als würdest du nichts anbrennen lassen“, stichelte sie gutherzig.
„Das Mädchen vom alten Hirbo?“, folgte die nächste Frage mit leicht erstauntem Unterton.
„Ja genau. Fräulein Frieda“, bestätigte Isidor.
„Verstehe.“
Der Schmied wandte sich erneut ab und wählte einen Hammer aus, den er neben den Amboss trug, ehe er zur Esse trat. Isidor warf Elara einen fragenden Blick zu, die mit einem Schulterzucken und einem Meinetwegen-kannst-du-gehen-Blick reagierte.
„Du kannst gehen, sobald die zweite Beinschiene fertig ist“, füllte Alberichs Stimme den Raum. „Also trödle besser nicht herum.“
Das zuvor angespannte Gesicht des Gesellen hellte auf, als er die Worte hörte.
„Ja, Meister! Ich danke Euch!“
Eilig warf er sich die Lederschürze über und schritt auf die Esse zu, um seinem Meister zu helfen. Er sah noch, wie Elara ihm einen Daumen nach oben zeigte und schließlich in ihrer Werkstatt verschwand.
Geändert von Isidor (23.08.2024 um 00:01 Uhr)
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Torplatz
Sie hatten sich nicht noch einmal gesehen, doch das war in Ordnung. Rudra wusste, dass Johanna hierhin gehörte – in diese Stadt, unter Menschen. Das halbe Jahr, in dem sie gemeinsam durch das Bluttal und das Stewarker Land gezogen waren, hatte ihm viel gegeben. Wärme. Zuversicht. Den Glauben daran, dass es sein Leben bereichern konnte, es mit anderen zu teilen. Doch er hatte immer gewusst, dass ihr Miteinander nur geliehene Zeit war. Rudra konnte schlichtweg nicht offen unter den Menschen leben und an Johannas Seite stehen, solange sie hier in Stewark war. Und es war in Ordnung. Er würde die Hütte für sie beide herrichten, ihr kleines, gemeinsames Projekt, und würde dort die Ruhe genießen, seiner Kunst nachzugehen. Und falls seine Freundin die Zeit fand, ihn zu besuchen, so würde er glücklich sein. Aber er würde nicht einem verlorenen Traumbild nachtrauern, das nie realistisch gewesen war.
Es war schade, dass Menschen und Orks nicht friedlich miteinander leben konnten und noch nie wirklich gekonnt hatten. Auch die Zeit in Faring war mehr Nebeneinander als Miteinander gewesen, eine Besatzung kein gemeinsames Wirken, und die einzigen Menschen, die den Mut gehabt hatten, von Angesicht zu Angesicht mit Orks umzugehen, waren dafür bezahlt worden. Die beiden Kulturen waren so unterschiedlich, die Geschichte von zu viel Hass und Tod geprägt. Dabei hätten beide Völker so viel voneinander profitieren können.
„Komm, Esel“, sagte er in der Menschensprache und übergab die Zügel an den neuen Besitzer. Das Tier rief ein lautes I-Ah und fügte sich. Der Mann streckte die Hand aus und ließ ein paar Kupfermünzen in die behandschuhte Pranke fallen, die im Licht der Morgensonne glänzten, das durch die soeben aufbrechende Wolkendecke fiel.
Wem der abgerissene Esel nun tatsächlich gehörte, war unklar geblieben. Rudra hatte überlegt, ihn vor seinen schweren, voll beladenen Karren zu spannen und so etwas unauffälliger die Rückreise zu ihrer Hütte anzutreten. Doch das Tier war in keinem besonders guten Zustand, als hätte man es tagelang über Stock und Stein getrieben und nicht gepflegt. Wäre es nicht eine Qual gewesen, das Tier in diesem Zustand zur Zugarbeit zu zwingen? Viel bekommen hatte er für das Tier hier auf dem Markt natürlich nicht, doch zumindest hatte ihm der Mann versichert, der Esel könnte sich auf einem der Höfe hier im Stewarker Land unter Seinesgleichen erholen, bis er wieder stark genug für harte Arbeit war. So endete die Kameradschaft zwischen Ork und Tier nach zwei Nächten bereits wieder. Doch das ruhige, verständnisvolle und vorurteilsfreie Miteinander mit dem Esel hatte in ihm die Frage geweckt, ob er mit einem tierischen Gefährten nicht tatsächlich am besten fuhr.
Rudra klopfte dem Esel auf den Hals, dann wandte er sich ab und schritt zu seinem Handkarren. Ohne zurückzusehen, verließ er das Stadttor gen Osten. Die kühle Morgenluft roch nach Spätsommer. Die Vögel zwitscherten. Der Esel i-ahte.
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