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Tempel des Wassers
Dieses Lächeln war so falsch!
Kisha hasste diese Frau vom ersten Atemzug an, vom ersten zuckersüßen Wort, vom ersten Aufblitzen der makellosen Zähne. Wie sich dieser falsche Wurm mit Komplimenten und über Späßen mit Fianna beliebt zu machen suchte! Am liebsten hätte sie diesem Miststück die Visage eingeschlagen! Doch sie wusste, dass Mama Aniron das gar nicht gemocht hätte.
Sie mochte es nicht, wieder im Tempel zu sein. Noch war sie nicht bereit dafür, an diesen Ort zurückzugehen, der ihre Sinne so flutete wie ein anderer Platz auf den südlichen Inseln. Das beständige Flüstern der Vizuka war so laut, so durcheinander, so kribbelnd und erregend und erschöpfend! Kisha wollte sich diesem Ort ja wieder nähern, aber das konnte sie nicht, wenn sie mit den Anderen gemeinsam unterwegs war. Und erst recht nicht, wenn sie diese merkwürdigen Feuermagier suchten, von denen Fianna geredet hatte. Kisha waren diese anderen Magier herzlich egal, denn sie hatte ja kaum ihre eigene Gruppe von Magiern kennengelernt. Aber wie schon der Name vermuten ließ, mochten sich die beiden Gruppen offenbar genauso sehr wie - nun ja, Feuer und Wasser eben. Wobei Wasser eindeutig das mächtigere Element war, da gab es keine Frage.
Letztlich aber hatte Aniron das Sagen, und sie hatte entschieden, dass sie sich diesen Mann und diese Frau einmal anschauen sollten. Schwer zu finden waren sie jedenfalls nicht gewesen. Den Mann hatte sich Kisha allerdings noch gar nicht näher in Augenschein genommen, denn diese Frau war vom ersten Eindruck an durchweg abstoßend und fing so ihre ganze Aufmerksamkeit ein.
Unter den Kizalongwe gab es keine Verschlagenheit, keine Gespräche mit falschen Hintergedanken und keine vorgetäuschten Emotionen. Man lachte und weinte und brüllte ehrlich und offen, kehrte die eigenen Gefühle nach außen. Alles andere war verachtenswert und entehrte nicht nur die Lügner, sondern auch die Angelogenen vor den Augen der Vizuka. Doch in den Augen dieser Frau lag kein Lächeln wie auf ihren Lippen. Ihr gespieltes Seufzen war aufgesetzt. Und sowieso wirkte alles an dieser Frau so, als ob sie zu keiner echten Emotion fähig war. Es interessierte Kisha nicht, wie ernst es um den Fuß dieser Punda stand. Sollte sie sich doch auf eine der Steinbänke pflanzen, wenn es ihr so schlimm ging! Nein, die wollte irgendetwas anderes. Und die Art, wie sie sich heranzuwanzen versuchte, passte Kisha ganz und gar nicht. Und die Anspannung, die das lärmende Flüstern der Vizuka in ihr auslöste, gab ihr endgültig den Rest.
"Ey! Du kleine nyoka mchafu ambaye ana mifupa mibaya ya shavu!", polterte sie los und stapfte vor, an der totenbleichen Mera vorbei und an den über den Ausbruch schockiert dreinblickenden Anderen.
"Das Tor ist am anderen Ende der Stadt, Punda! Warum tust du so dumm, wie du tust, eh?"
Sie verzog die aufeinander gepressten Lippen, blähte die Nasenflügel und riss die Augen auf in einer Miene puren Abscheus.
"Wenn dein Fuß wehtut, setz dich hin! Hier sind doch genug Bänke! Und lass das Kind in Ruhe, sonst kriegst du Ärger mit mir!"
Ihre lauten Worte waren nicht unbemerkt geblieben. Hinter dem Mann und der Frau sah Kisha, dass sich am Herz des Tempels jemand regte. Sie erkannte Silas strenge Züge. Die Hüterin des Felses hatte sie alle im Blick.
Kishas Feuer kühlte ab, als sie die Hofmagierin ansah. Etwas an dieser Frau erdete sie, noch mehr, als es Aniron vermochte, die mitsamt ihrer Tochter eher noch ihren Beschützerinstinkt auslöste.
Nun weniger aggressiv, aber immer noch kalt und fordernd, sprach sie weiter. Wollte man etwas wissen, musste man fragen. Also fragte sie.
"Wir suchen ein paar Feuermagier. Seid ihr Feuermagier?"
Die Frau, die in ihrem Kopf bereits den Namen Nyoka bekommen hatte, ließ sie bei aller Zurückhaltung dennoch nicht aus den Augen.
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Vor dem Stadttor
"Ja, lasst uns nach Syrias sehen", stimmte Johanna Isidors Vorschlag zu. "Ich bin gespannt, ob er schon jemandem die Nase gebrochen hat, um seinen Standpunkt klarzustellen."
Der Eselzug dünnte zusehends aus, bis nur noch einige wenige Eselzüchter ihre Tiere über die Brücke trieben, die ihre Tiere vorausschauend von der großen Masse ferngehalten hatten, um ihnen den Stress zu ersparen. Und schließlich blieb nur noch ein einziger, scheinbar herrenloser Esel zurück, der zunächst noch mit der Masse mitgelaufen war, dann aber mitten auf der Brücke unschlüssig stehen geblieben war und nun den Kopf auf dem Geländer ablegte. Seine grauen Augen waren auf die brandende See und die Spitzen Felsen unterhalb von Stewark gerichtet. Und wenn sie nicht besser gewusst hätte, dass Tiere ihre Emotionen anders verarbeiteten als Menschen, hätte sie schwören können, darin eine gewisse Sehnsucht zu erkennen.
"Was ... machen wir mit dem?", fragte Johanna. Hier schien niemand mehr zu sein, der sich mit Eseln beschäftigte. Nur dieser Eine war zurückgeblieben. Er war deutlich ungepflegter und kleiner als der Rest der Eselschaft. Ob der überhaupt dinem der Züchter gehörte?
"Ich könnte ihn vor meinen Karren spannen, dann müsste ich ihn nicht selbst ziehen", sagte Rudra. "Und könnte natürlich auch schwerere Materialien wegschleppen."
Johanna musste sich zurückhalten, um nicht zu lachen. Ja, klar, der Esel würde ganz sicher viel mehr wegziehen können als Rudra selbst!
"Naja, wenn hier sonst keiner Anspruch erhebt ... Sagen wir, du passt auf ihn auf und sorgst dafür, dass es ihm gut geht, falls sein Herrchen oder Frauchen auftaucht. Was meint ihr?" Johanna sah nacheinander Meve und dann Isidor an. Vielleicht wollten sie den Esel ja ebenfalls für sich?
"Und wegen der Entscheidung, wer herein darf: du hast Recht, Isidor. Da haben wir eine harte Nuss zu knacken."
Sie hob die Schultern. "Also wenn wir das nicht selbst bestimmen wollen, haben wir wohl drei Möglichkeiten: entweder, wir machen einfach alles dicht und warten, bis jemand wiederkommt; wir lassen einfach alle rein, die in die Stadt kommen; oder ein paar von uns halten die Schlange noch etwas auf, während die Anderen zur Stadtwache eilen und die Lage schildern. Irgendwo gibt es bestimmt noch einen Stadtwächter, der nicht nach diesen ominösen Feuermagiern sucht."
Johanna betrachtete Isidor und konnte nicht anders, als zu kichern. Das mit den Magiern musste doch ein schlechter Scherz gewesen sein, oder? Alles schien sich nach und nach etwas zu beruhigen, und sie gab zu, dass sie langsam nicht mehr daran glaubte, dass tatsächlich Feuermagier die Stadt angriffen. Irgendjemand hatte wohl das Chaos und die Unruhe durch die Esel genutzt, um sich diese Magier-Geschichte auszudenken. Verfluchte Spaßvögel - die wussten ja gar nicht, wie schwer diese scheinbar harmlose Geschichte manchen auf der Seele lastete.
Sie ließ den Blick schweifen und kam schließlich zu einer messerscharf deduzierten Feststellung.
"Hier liegt alles voller Eselkacke"
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Syrias war wie ein Fels in der Brandung, die Miene entschlossen, den Anderthalbhänder vor sich aufgestellt und die Hände fest um den Griff gelegt. So einige Männer und Frauen hatten vergebens versucht an ihm vorbei zu kommen. Doch seine breite Statur und die offene Androhung von Gewalt hatte die meisten bereits abgeschreckt. Nur ein- oder zweimal musste der frühere Söldner etwas deutlicher werden. Doch er hatte niemanden etwas brechen oder erschlagen müssen. Ein paar blaue Flecke waren das einzige, was sie davon behalten würden. Und einer würde vermutlich die nächsten Tage nicht gut sitzen können. Aber der Stiefel des Waffenschmieds hatte einen ordentlichen Abdruck hinterlassen.
"Götter, haben wir es bald?" murrte er leise. Langsam hatte sich die Menge gelichtet und etwas Ordnung war wieder aufgekommen. Was ihn jedoch am meisten störte war, dass er hier die Arbeit der Stadtwache erledigte. Wo waren die Wächter vom Tor? Es konnten doch nicht alle wie aufgescheuchte Hühner durch die Stadt rennen? Das hinterlies kein besonders gutes Bild der Wache, so viel stand fest. Und was ihn noch mehr überraschte, nicht ein einziger Krieger der Akademie war aufgetaucht. Dabei rühmten sich diese mächtigen und besonderen Männer und Frauen doch ihrer Kampfkraft. Sie behaupteten doch immer, dass sie die besten der besten wären? Und dann mussten ein Waffenschmied, ein Rüstungsschmied und zwei Frauen für Ordnung sorgen? Von denen drei den Kinderschuhen vielleicht gerade einmal entwachsen waren? "Was für ein Sauhaufen..." spuckte Syrias aus.
Nachdem sich die Menge wieder gelichtet hatte, konnte Syrias Johanna und ihre Entourage langsam näher kommen sehen. Es war schon ein ziemlich drolliges Bild, wie Johanna als kleinste von ihnen voran marschierte, begleitet von den drei großen Gestalten... Moment, drei? Da waren Isidor, Meve und... ja, eindeutig eine weitere Person. Und was für eine!
"Was haben die dem den ins Essen getan?" Syrias musterte den Neuzugang kritisch. Der Fremde hatte seine Gestalt in grobe Tücher gehüllt, fast wie ein Varanter, der sich vor der Sonne zu schützen hoffte. Doch ein Blick in den Himmel zeigte jedem, dass die Sonne bei weitem nicht so heiß hier brannte, dass so ein Schutz notwendig gewesen wäre. Außerdem sorgte verhüllende Kleidung dafür, dass die Gestalt des Fremden unförmig wirkte und nicht gut zu erkennen.
"Da brat mir doch einer nen Scavenger, hat deine Mutter was mit nem Ork gehabt?" dachte der frühere Söldner verwundert. Aber so, wie Johanna mit ihm sprach, schien sie ihn zu kennen. Sie wirkten vertraut miteinander. Syrias, der den Anderthalbhänder nun locker in der einen und die Scheide in der anderen Hand trug, ging der Gruppe entgegen. "Oy, Johanna!" rief er. "Ich sehe, du hast Hilfe gefunden... Beliars Spucke, und was für eine."
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Am Stadttor
„Die beste Hilfe, die man sich wünschen kann!“, gab sie mit einem fetten Grinsen im Gesicht zurück. Sie war glücklich, Rudra wieder in ihrer Nähe zu wissen. Auch, wenn es nur ein kurzes Zwischenspiel war und ihre Wege wieder auseinandergehen würden, bis die Hütte fertig war und sie ihre Ausbildung bei Syrias beendet hatte. Aber das war für den Moment nicht wichtig. Er hatte ihr gefehlt, und nun war er wieder bei ihr.
„Weißt du noch, als ich von dem schlauen Freund erzählt habe, der weiß, wie man Erz aufreinigt?“
Ihr Grinsen wurde noch breiter und sie zeigte mit beiden Händen auf ihren Freund, der die Präsentation mit einem widerwilligen Grunzen quittierte.
„Ich bin Mungu von Torgaan“, grollte Rudra mit seiner tiefen Polterstimme, in der dieser spezielle, kehlige Klang lag, den sie noch nie bei einem Menschen gehört hatte. Ob alle Orks so klangen?
„Er ist Bildhauer. Baut draußen eine Hütte neu auf, die wir erworben haben. Falls du mal eine Geliebte hast, die nicht nur aus geschliffenem Stahl besteht, lass dir von ihm eine Büste anfertigen. Sie wird Augen machen!“
Rudra trat vor und legte beiläufig seine Pranke auf Johannas Seite, ganz sanft nur, um sich auf der immer noch beengenden Brücke durch leichten Druck ein wenig Platz zu verschaffen.
„Wenn ihr Hilfe braucht, unterstütze ich euch gerne. Durch die Warterei schaffe ich es heute sowieso nicht mehr rechtzeitig zurück.“
„Ein Tag Pause tut dir auch mal ganz gut, Großer. Die Hütte läuft ja nicht weg.“
Rudra grunzte. „Das nicht. Aber diese furchtbare Nachbarin vom Weingut wird mich löchern, und ich werde sie den ganzen Tag am Hals haben.“
Johanna hob die Brauen. „Agathe? Ist die so schlimm?“
„Eine Plage“, brummte Rudra.
Voller Mitleid sah sie zu ihm auf. „Du Ärmster …“
Er brummte nur noch mehr vor sich hin.
„Also“, griff Johanna den Faden wieder auf. Immerhin hatten sie eine Aufgabe zu erledigen. „Wie wollen wir es machen? Alle rein? Dicht machen? Oder Hilfe holen?“
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Torhaus, Torplatz
Die fünf von der Brücke sahen sich etwas unentschlossen an. Soweit Isidor es beurteilen konnte, besaß keiner der Anwesenden die Autorität des Königs oder Stadtverwalters die Leute am Zutritt zu hindern. Allerdings wäre es auch fahrlässig einfach jeden hereinzulassen. Was also tun?
„Was, wenn zwei oder drei von uns das Tor sichern und die anderen suchen den Soldaten, damit sie ihre Posten wieder besetzen?“, schlug Isidor vor und rieb sich etwas unsicher den Hinterkopf, „Es sollte doch nicht zu schwer sein, einige von ihnen zu finden, oder?“
War es der richtige Weg? Oder würde es ihm mehr zum Vorteil gereichen, alle Bittsteller einfach in die Stadt zu lassen? Nein, das wäre nicht sonderlich förderlich.
Dieser Tag verlief so ganz anders, als er erwartet hatte. Eigentlich hatte er doch bloß die Schmiede der Stadt aufsuchen wollen, um Arbeit zu finden. Doch nun stand er hier mit vier anderen Individuen, die sich beherzt um die Sicherheit der Stadt bemühten. Mittlerweile teilte er Johannas Ansicht, dass die Meldung von Feuermagiern, die angriffen, falscher Alarm war. Suchten die Stadtwachen also nach irgendwelchen Phantomen? Dass sie ihre Posten verließen, war ein Zeichen fehlender Disziplin, auch wenn die am Tor stationierten wohl am ehesten wussten, was sich zugetragen hatte. Wenn er Armond davon berichten könnte, dass die Stadtwache sehr unorganisiert war, würde ihm das sicher einige Punkte einbringen. Eine mentale Notiz für sein nächstes Aufeinandertreffen mit dem nebulösen Mann angelegt, ergriff er noch einmal das Wort.
„Also, machen wir es so?“
Allgemeine Zustimmung folgte, weshalb kurzerhand entschieden wurde, dass die drei abschreckendsten Beispiele die Stellung halten würden. Mungu, der durch seine schiere Größe und Masse aufwartete, Syrias mit seinem Bidenhänder und der kürzlich etablierten Grenze, die er für die Bittsteller dargestellt hatte und Meve, die noch immer aussah, als würde sie gern den Kerl finden, der sie Ogerweib genannt hatte. Ihr Blick allein konnte wohl den Wagenzug zum abwarten bringen.
Johanna und Isidor würden in der Zwischenzeit nach den eigentlichen Torwächtern Ausschau halten, wobei es dem Schmied gleich war, welchen Stadtwächter er zuerst antraf. Der Torplatz war mit Eseldung bedeckt und der Geruch war nicht zu unterschätzen. Wer auch immer das aufkehren musste, tat dem vernarbten Hünen schon jetzt leid.
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Tempel
„Diese hier zieht Nebenluft und sollte vielleicht lieber raus gehen und sich abkühlen“, war Curts – nein Kurdts – Meinung, als er sich schlichtend zwischen Felia und diese Wilde stellte, ehe sie die Eskalationsspirale noch weiter in den Abgrund zog. Wobei, viel tiefer konnten sie gar nicht sinken, denn sie waren nicht nur unter der Erde gelandet, sondern ganz offensichtlich auch unter dem Meeresspiegel. Der Anblick einer gewaltigen, durchsichtigen Wand ließ Curt kurz vor Ehrfurcht staunen. Sie schien von purer Magie gehalten zu werden und er hatte in seinem ganzen Leben keine größere Verschwendung magischer Energien als diese gesehen. Sie waren ihrem Ziel zum Greifen nahe.
„Meine Partnerin ist verletzt und braucht Ruhe. Ich dachte, das hier sei ein Ort der Stille und Andacht, also haltet Euch doch bitte daran und sprecht deutlich, wenn Ihr schon den Mund aufmachen müsst.“
Partnerin. Ein wenig verletzte es ihn ja schon, dass Felia so gar nicht auf seine Worte eingegangen war, kurz bevor sie den Tempel betreten hatten. Aber das war vielleicht auch besser so. Ihr Fokus lag anderswo und noch dazu litt sie unermessliche Qualen. Wenn es hier irgendwo einen Heiler gab, dann doch wohl in den heiligen Hallen, andernfalls hätten sie diesen Titel nicht verdient. Es schmeckte ihm gar nicht, dass sie sogleich die Aufmerksamkeit einer ganzen Rasselbande auf sich gezogen hatten.
„Nein, wir sind kei-ne Feu-er-ma-gi-er“, sagte er so laut und deutlich, dass selbst diese an Dysarthrophonie leidende Gestalt es hoffentlich verstand. War ja nicht mal gelogen. Er schüttelte dabei sogar ganz deutlich den Kopf und hoffte inständig, dass sie zumindest diese Geste verstand. Er hatte schon damit gerechnet, dass es in dieser Stadt an Lehrern und Gelehrten mangelte, aber das hier war ja ein regelrechter Trauerfall.
„Nun sagt uns bitte, befindet sich unter euch …“ Dabei blickte er ganz gekonnt an der Wilden vorbei zu den restlichen Leuten, von denen er in der Eile und unter den Lichtverhältnissen niemanden eindeutig wiedererkennen konnte „… ein Heiler oder vielleicht ein Barbier, der sich den Fuß meiner Liebsten einmal anschauen würde? Dann werden wir auch wieder gehen und euch nicht weiter auf eurer Suche nach diesen Feuermagiern stören. Ein heißer Tipp: Ihr solltet es mal in Thorniara versuchen. Gern geschehen.“
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Südviertel
"Oh Mann, die Stiefel sind doch noch ganz neu ..."
Johanna verzog das Gesicht, als sie den ersten Schritt auf den von Eselkacke überzogenen Torplatz setzte. Aber sie verschwendete keine Zeit damit, einen möglichst exkrementarmen Pfad zu suchen. Dafür war nun wirklich keine Zeit.
"Im Torhaus sind zwar normalerweise immer Wachen, aber ich denke, da brauchen wir nicht nachzuschauen", sagte sie. "Die werden wohl alle ausgeflogen sein."
Sie winkte Isidor, ihm zu folgen. "Komm, wir gehen zur Stadtwache! Ich kenne den Weg!"
So führte sie ihren Begleiter linkerhand an der Klippenschänke vorbei gen Süden. Das weiche, schmierige Gefühl unter ihren Stiefelabsätzen ekelte sie an, aber da musste sie nun durch. Immerhin ließ die Dungverteilungsdichte deutlich nach, als sie den eigentlichen Platz einmal hinter sich gelassen hatten und am Kopfende der Treppen angelangten, die hinab zum südlichen Außenring führten.
"Ich war schon ein, zweimal bei der Wache. Im Gefängnis und außerhalb." Sie zwinkerte ihm zu.
Eilig tippelte sie die ersten Stufen der Treppen hinunter, blieb aber auf einer Zwischenebene stehen und wandte sich zu Isidor um. Da war noch etwas, das ihr auf dem Herzen lag, und sie wollte ihn dabei ansehen und nicht wie ein Trottel die Treppen herunterstürzen, nur weil sie sich den Moment nicht nahm.
"Weißt du, Isidor - danke. Danke für deine Unterstützung, obwohl du gerade erst hier angekommen bist. Das bedeutet mir viel. Dieser Ort bedeutet mir viel, vor allem wegen den vielen tollen Leuten, die ich hier kennengelernt hab. Weißt du, diese ganzen grummeligen Riesen da oben am Tor, die haben alle ein gutes Herz. Keiner von meinen Leuten, denen wir heute begegnet sind, kommt von hier - naja, außer Frieda, natürlich - aber sie haben alle hier ein Zuhause gefunden. Und ich hab das Gefühl, du passt hier ganz wunderbar rein."
Sie schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln.
"Will sagen: du bist schwer in Ordnung. Und jetzt lass uns mal schauen, ob da unten nicht wenigstens noch jemand herumspringt."
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Stadtwache, Südviertel
"Lieber Scheiße unter'm Schuh, als bis zum Hals", gab Isidor weise preis, als er Johanna über den Torplatz folgte, „Die werden schon wieder sauber“, munterte er sie auf, als sie über ihre versauten Stiefel meckerte.
Zugegeben, es war kein schönes Gefühl und Leder konnte garstig werden, wenn es zu lange mit Exkrementen in Kontakt war, aber wenn sich das kleine Energiebündel bald darum kümmerte, wären sie wie neu.
Johanna führte sie eine der vielen Treppen hinab, diese direkt neben der Klippenschenke, welche auf einen Platz herunterführte, wo eine erkaltete, große Feuerstelle und einige Bänke und Tische standen. Gehörte das noch zur Taverne oder diente der Hof einem anderen Zweck?
Der Schmied horchte auf, als die junge Frau erwähnte, bereits einmal im Gefängnis gewesen zu sein.
„Du? Im Gefängnis?“, fragte er verdutzt, hielt aber seine Neugier im Zaum.
Für weitere Fragen wäre später sicherlich mehr Zeit.
Auf der Zwischenebene, wo sich die Treppe in eine andere Richtung reckte, blieb die Dunkelhaarige stehen, schaute zu ihm auf, während er eine Stufe über ihr stehen blieb. Ihre Worte rührten ihn, doch ein weiteres Gefühl schlich sich zwischen die Freude. Waren das Gewissensbisse? Seit er mittags in Stewark angekommen war, hatte er sich unglaublich wohl gefühlt. Die Menschen hatten ihn freundlich aufgenommen und in so kurzer Zeit war er bereits vielen von ihnen begegnet. Keiner hatte ihn schräg angesehen oder ihm das Gefühl gegeben ein Fremdkörper zu sein.
Und doch überschattete sein eigentlicher Grund, weshalb er hier war, die fröhliche Stimmung, in der er sich befunden hatte. Wenn die Zeit kam und er weitere Anweisungen bekam oder berichten sollte, was er in Erfahrung bringen konnte, würde er sie dann alle verraten? Oder wären sie nicht Teil der Hinterlist, der er sich schuldig machen würde? Doch, das wären sie. Immerhin spielte er ihnen nur den sympathischen, jungen Schmied vom Festland vor, oder nicht?
Johanna schien auf eine Antwort zu warten, die er ihr aufgrund seiner Gedankengänge länger schuldig blieb, als er gewollt hatte.
„Ich…weiß nicht was ich sagen soll, Johanna. Danke, dass ihr mich mit offenen Armen aufgenommen habt. Ich hatte große Sorge, als ich heute Mittag am Tor angekommen bin, doch die haben sich dank Frieda, den anderen und insbesondere dir verflüchtigt“, gab er ihr die volle Wahrheit, wobei sein Lächeln etwas gequält war.
Würde sie es bemerken? Er hoffte nicht.
„Stewark ist so verwinkelt“, merkte Isidor an, als sie ihn ganz am Rand der Stadt entlangführte. Der Blick war wie auch neben dem Goldenen Nudelholz atemberaubend.
„Dabei hast du bisher kaum etwas gesehen“, gab Johanna grinsend zurück und deutete auf ein Gebäude am anderen Ende eines Platzes, der wohl der Ausbildung der Stadtwache diente, „Vielleicht ist Hauptmann Hertan noch da drin“, erklärte sie mit ein wenig Hoffnung und klopfte an die hölzerne Tür der Bastion, ehe sie eintrat.
Tatsächlich befanden sich noch einige wenige Soldaten zugegen und auch ein Mann, der anhand seiner Abzeichen wohl kein einfacher Stadtwächter war. Seine Miene war ernst, während er mit einem seiner Leute sprach und sich wohl Informationen ob der Situation einholte. Er strahlte Autorität aus, doch wirkte er dadurch nicht unnahbar. Auf den ersten Blick hätte Isidor vermutet, dass er ein fähiger Hauptmann war. Etwas, was eventuell wichtig für seinen eigenen Bericht werden würde. Auch wenn es ihm nach nur wenigen Stunden bereits davor graute noch einmal auf Armond zu treffen.
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"Mungu, eh?" Syrias musterte den Hünen noch einmal genauer, nachdem Johanna und Isidor ihn mit Meve und dem Neuzugang am Stadttor gelassen hatten. "Von Torgaan? Muss nett sein da, wenn es so große Kerle wie dich hervor bringt." Der frühere Söldner trank einen Schluck Wasser aus dem Wasserschlauch, welchen er kurzerhand einem der Bauern abgenommen hatte. Den entstandenen Protest hatte Syrias mit einem grimmigen Blick einfach unterbunden und sich dann demonstrativ am Tor aufgebaut. Meve und Mungu hatten ihm kurz darauf Gesellschaft geleistet.
"Ich war noch nicht auf Torgaan. Meinst du, ich sollte mir das mal anschauen?" Syrias versuchte den Riesen zum reden zu animieren, um noch einmal diese kehlige Stimme zu hören. Denn als sich der große Mann allen vorstellte, hatten sich die Nackenhaare des früheren Söldners sofort aufgestellt und ein alter Reflex war fast wieder heraus gebrochen. Als er noch Söldner in Faring gewesen war hatte er solch ein kehliges Knurren oft, ja fast schon täglich gehört. Meist begleitet von irgendwelchen Schimpftiraden, Gewaltandrohungen oder Arbeitsanweisungen, fast immer gefolgt von einem Wort: "Morra." Und auch wenn der Waffenschmied niemals wirklich die Sprache seiner "Herren" gelernt hatte, ihre Stimmen waren ihm immer im Kopf geblieben. So war es damals nun einmal als Söldner der Orks. Und etwas an Mungu gab dem früheren Söldner ein ziemlich starkes Gefühl, hier wieder einen Ork vor sich zu haben.
Wie Johanna wohl an einen solchen Gefährten gekommen war? Und wieso hatte ein Ork, wenn Mungu denn einer war, eine menschliche Frau als Freundin? Die Orks hier auf Argaan waren doch ein ganz anderer Schlag als seine früheren Brötchengeber. Eher wilde Bestien als organisierte Krieger. Während die Festland-Orks noch viel auf Ehre und dergleichen gegeben hatten, hieß es von den Argaanischen Orks, dass sie wild und blutrünstig über ihren Teil der Insel herrschten, wo Menschen sich lieber fern halten sollten. Und Johannas Gestik hatte deutlich gezeigt, dass Mungu ein geschätzter Freund war. Und wenn schon, dachte sich Syrias. Wenn die kleine Frau mit einem Ork befreundet sein wollte, wer war er, ihr das zu verbieten? Syrias hatte schlimmeres im Dienst der Orks getan.
Falls Mungu wirklich einer der Orks wäre, dann war es für Syrias ziemlich mutig, dass er hier so einfach auftauchte.
Vielleicht konnte er einen Blick unter die Tücher erhaschen? Mit einem Grinsen bot er Mungu den Wasserschlauch an. "Muss warm sein unter den Lappen, willst vielleicht auch nen Schluck?"
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Lehrling
Ein kaum wahrnehmbares Schmunzeln ruhte siegessicher auf den sonst harten Zügen der Einbeinigen, die mit nicht unerheblicher Genugtuung zum wiederholten Male ihre Linke in die Tasche ihres Ledermantels schob. Genüsslich fuhr sie mit ihrem Finger über das abgewetzte, alte Leder des kleinen Beutelchens, zog vorsichtig an der abgenutzten Hanfkordel und klimperte dann zufrieden mit den Goldmünzen im Inneren des Beutels.
Sie nickte in stummer Zustimmung. Ihr Herz jubilierte auch jetzt noch in ihrem Brustkorb und das aufgeregte Knistern der letzten Reste von Adrenalin war bis in ihre Fingerspitzen spürbar. Heute war ein guter Tag, befand sie still und sah sich aufmerksam um, ehe sie eine alte Holzplanke beiseite schob und darunter hinwegtauchte.
Das gewohnte Halbdunkel eines Ortes, der nicht gefunden werden wollte, umfing sie und ihre Augen brauchten einige Herzschläge, sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Sie wartete nicht und schritt quasi blind zwischen den traurigen Überresten von einstigen Mobiliar und alten Lagerkisten hindurch. Es war kein eindrucksvoller Ort, den sie sich hier im Herzen Stewarks geschaffen hatten, aber es war ihrer. Niemand hier störte sie, denn kaum jemand wusste von ihrem Versteck.
Ein letztes Mal liebkosten ihre Finger das kleine Ledersäckchen, von dem sie sich nur schwer trennen konnte. Dann warf sie es Jasque zu, der es unbeholfen auffing, für ein paar Sekunden ungläubig anblickte und dann mit zusammengezogenen Brauen den Blick auf sie richtete.
»Du hast doch wohl ni-«
»Doch.«, unterbrach sie ihn und stemmte die Hände in die Hüften. Sie wusste, was er vom Stehlen hielt. Und sie wusste, dass er anders als sie keinerlei Freude dabei empfand. Für den Setarrifer war es ein Mittel zum Zweck, auf das er im äußersten Notfall zurückzugreifen bereit war. Aber darüber hinaus fehlte dem Braunhaarigen gänzlich die Begeisterung für den Reiz des Verbotenen.
Sein Pech!
»Doch - habe ich.«, verkündete sie nicht ganz ohne Stolz und deutete mit der Nasenspitze auf das Säckchen. »Du glaubst nicht, was draußen los ist. Das reinste Chaos.« Sie ließ sich mit dem Seufzen und Stöhnen einer deutlich älteren Person nieder und löste den engen Ledergurt, der um ihren Unterschenkel gespannt war. Gedankenabwesend massierte sie sich den Unterschenkel, ehe sie fortfuhr. »Und Chaos hilft mir bei meiner Arbeit.«, sie wedelte mit ihrem hölzernen Fuß in der Hand und deutete mit dem kruden Holz und einem leichten Lächeln gen Jasque, hielt dann aber doch inne und schluckte die Worte wieder herunter.
So sehr sie es auch versuchte, sie würde Jasque das Gefühl einfach nicht begreiflich machen können, das sie empfand, wenn sie mit ihren Fingerspitzen in den Geldbeuteln anderer Menschen nach Dingen fischte, die ihr bald schon gehören würden. Auch nach Jahren und unzähligen Versuchen vermochte sie das noch nicht. Also vermied sie das Gespräch darum.
»Sind Ansel und Kzara auch schon wieder da?«
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Stadtwache
Das Schicksal fand schon seltsame Wege, sie immer wieder hierhin zurück zu führen. Doch hier war sie wieder, in den Baracken der Stadtwache, in denen sich entgegen der tiefsitzenden Befürchtungen Johannas noch einige Wächter aufhielten. Sie glaubte immer noch nicht wirklich daran, dass Feuermagier die Stadt angegriffen hatten – wollte nicht daran glauben! – aber was, wenn doch? Wären all diese gutherzigen Esel der Wache dann jetzt vielleicht nicht mehr am Leben?
Johanna schüttelte den Gedanken ab. Nein, es war alles in Ordnung. Und auf einen traf die Beschreibung eines Esels nun wahrlich nicht zu. Sie lächelte, als sie Hertan gemeinsam mit einem anderen Stadtwächter an einem Tisch über einigen Berichten brüten sah. Er war genau der Mann, den sie gesucht hatte.
„Lord Hertan!“, rief sie ihm entgegen. Er sah auf und verzog mürrisch das Gesicht.
„Du schon wieder, Mädchen! Das hier ist keine Hafentaverne, in die man rein und raus laufen kann, wie man will. Und lass den Titel bleiben, den braucht hier keiner.“ Er wandte sich einem der anderen Männer zu. „Hat Chuck schon Meldung gemacht?“
„Nein, Chef“, antwortete der. „Die Männer durchkämmen noch die Stadt.“
Ernst und sachlich wie immer. Genau das, was sie brauchten.
„Wir kommen, um zu melden, dass das Stadttor unbewacht ist“, trug sie unbeirrt ihr Anliegen vor.
Hertan wandte sich ruckartig zu ihr um. „Wie bitte?“, rief er scharf.
„Offenbar haben alle wegen diesem Feuermagier-Angriff die Suche aufgenommen und haben keinen am Tor zurückgelassen. Wir haben versucht, das Chaos in Grenzen zu halten und ein paar Bekannte helfen gerade noch aus, damit nicht jeder einfach reinkommt, aber die Karren stehen Schlange vor dem Tor.“
Hertans kantiger Kiefer mahlte. In sein wettergegerbtes Gesicht stieg die Zornesröte, als er sich zu dem Mann an seiner Seite umwandte.
„Ich dachte, Dak ist am Tor zurückgeblieben!“, knurrte er. Sein Gegenüber hob entschuldigend die Hände.
„Nein Chef, der ist doch zum Steckbriefzeichner. Musste wohl ein bisschen suchen, weil der gerade Mittagspause gemacht hat, aber sie sind bald fertig. Hab die ersten Bilder schon gesehen – sind gut geworden, vor allem das von diesem Esel.“
„ESEL!“ Hertan schlug mit der Faust auf den Tisch. „Verdammt noch eins, ihr könnt doch nicht das Tor unbewacht lassen! Schnapp dir Winstan und dann ab nach oben mit euch!“
Der Wächter verzog das Gesicht. „Also, was Winstan angeht …“
„Was?“ Es war mehr ein Bellen als eine Frage.
„Der ist noch nicht von seiner Patrouille zurück. Ist bestimmt aufgehalten worden, denk ich. Oder hat sich vielleicht gleich mit auf die Suche gemacht, weil Gefahr im Verzug war. Schätze ich.“
Hertan sah aus, als ob er irgendjemandem mal ordentlich den Gehörgang freischreien wollte. Doch er presste die Kiefer aufeinander, atmete zweimal tief durch die Nase ein und aus und entspannte sich sichtlich.
„Gut. Dann geh zum Gefängnis und sag Aldrich, er soll mal aushelfen, bis Dak oder Winstan sich endlich mal bequemen. Den Gefangenen soll er rauslassen, der hat nur zu viel gesoffen gestern.“
Johanna staunte nicht schlecht. Das Gefängnis zu räumen und Aldrich, den Gefängniswärter, zum Dienst am Tor abzustellen, war, nett gesagt, eine gewagte Improvisation. Aber der Chef der Stadtwache wusste offenbar, sich in ungewöhnlichen Situationen kreative Lösungen zu überlegen. Das gefiel ihr. Und sie war sich sicher, dass Winstan und Dak sich ordentlich etwas anhören durften, wenn Hertan sie in die Finger bekam. Die beiden taten ihr jetzt schon leid.
„Jawohl, Chef. Mach ich“, antwortete der Wächter und wollte sich sogleich aufmachen, doch dann fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, dass er Helm und Schwert mitnehmen sollte.
„Ich danke euch und euren Freunden für euren Einsatz für die Gemeinschaft“, sagte Hertan, nun wieder an Isidor und Johanna gewandt. „Die Männer haben offenbar vergessen, wie man sich in Ausnahmesituationen diszipliniert verhält, aber das werd ich ihnen schon austreiben. Ihr habt jedenfalls gut gehandelt.“
Klappernd zog im Hintergrund der Wächter seinen Helm hervor, legte ihn auf dem Tisch ab und band sich den Schwertgurt.
„Einen großen Kerl wie den könnten wir in der Truppe gut gebrauchen“, rief er leichthin und zeigte auf Isidor. „Was denkst du, Junge? Wär das nicht was für dich?“
Hertan warf dem Mann einen scharfen Blick zu. Der hob entschuldigend die Hände. „Ich mein ja nur.“
„Auf den Posten, und zwar flott!“
„Ist gut, Chef. Bin schon weg.“ Sprach‘s und klapperte mit dem Helm unter dem Arm hinaus. Hertans Blick fiel auf Johanna, einen kurzen Moment nur, dann sah er Isidor an.
„Was mein wenig feinfühliges Truppenmitglied sagen wollte, ist, dass wir gern neue Rekruten in unseren Reihen willkommen heißen, wenn sie bereit sind, sich der Sicherheit der Stadt zu verpflichten und zeigen, dass sie kämpfen können. Falls du Interesse hast, Junge, wird dir deine Freundin sicher Näheres dazu sagen können.“
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Stadtwache
Gespannt hatte Isidor das Gespräch zwischen diesem Hertan, der offensichtlich Hauptmann der Stadtwache war, dem Soldaten, der wohl zur falschen Zeit am falschen Ort war, und Johanna beobachtet, die sich vom brüsken Ton des Lords nicht beirren ließ. Ein Adliger, wie er aufgrund der Anrede vermutete, doch war er ganz anders als jene, die damals in die Schmiede seines Vaters in Vengard gekommen waren. Er schien weitaus näher am Geschehen zu sein und wirkte kompetent in dem, was er tat, auch wenn manche seiner Männer und Frauen wohl etwas mangelnde Disziplin besaßen. So gut es der Blonde vermochte, merkte er sich die genannten Namen, denn man wusste ja nie, ob es einem später nützen konnte. Zusätzlich war es seiner Meinung nach höflich, wobei er unsicher war, ob Höflichkeit derzeit in seiner Prioritätenliste überhaupt aufgeführt sein sollte.
Unabhängig davon schienen sie unterbesetzt zu sein, wenn sie jemanden wie ihn fragten, ob er nicht Interesse hätte, sich ihnen anzuschließen. Aber wäre es vielleicht eine Möglichkeit an militärische Informationen zu kommen, wenn er selbst Mitglied der Stadtwache wäre? Was würde dann aus seinem Vorhaben, als Geselle bei einem Schmied unterzukommen, wo er endlich seinem Wunschhandwerk nachgehen konnte?
„Ich fühle mich geehrt, dass ihr mich in Erwägung zieht, aber ich habe keinerlei Erfahrung als Soldat, geschweige denn Waffentraining. Ich habe am Tor nur geholfen, weil die gute Johanna hier“, hob er lobend die Taten der kleinen Frau hervor, indem er mit beiden Händen, Handflächen nach oben geöffnet, deutete, „uns schnell und effektiv auf verschiedene Aufgaben angesetzt hat, die das ganze Chaos schnell unter Kontrolle gebracht hat. Syrias und Meve waren ebenfalls von unschätzbarer Hilfe gewesen und dann war da noch der große Torgaaner Mungu.“
Bewusst lenkte er das Thema von sich weg, wollte Zeit gewinnen, um das Für und Wider zum Beitritt bei den Stadtwächtern abzuwägen. Als erstes würde er sich definitiv um eine Arbeitsstelle als Schmied bemühen, danach konnte man sehen, wie sein Meister dazu stand, wenn der Geselle zweierlei Aufgaben erfüllte. Eventuell wäre auch Lord Hertan abgeneigt, wenn er bereits anderweitig beschäftigt war.
„Zudem bin ich derzeit auf der Suche nach Arbeit bei einem Rüstungsschmied. Ich weiß nicht, ob da genug Zeit übrigbleibt, um mich der Stadtwache zu verschreiben“, gab er zu bedenken, nachdem ihm der Gedanke gekommen war.
„Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, Junge“, erwiderte der Hauptmann tonlos, „Ohne Waffentraining wärst du vorerst nur als Bote und auf Patrouille mit einem erfahreneren Soldaten zu gebrauchen, bis du gelernt hast, dich und unsere Stadt zu verteidigen. Wenn du Erfahrung als Rüstungsschmied hast, könntest du auch als Zeugwart bei uns arbeiten. Lass es dir durch den Kopf gehen und komm zu mir, wenn du dich entschieden hast. Doch ein weiterer Rüstungsschmied in der Stadt kann auch nicht schaden.“
Das Angebot war fair und ehrlich, was Isidor zu schätzen wusste. Er lächelte leicht, auch wenn er nur einen stoischen Blick als Antwort bekam.
„Also, sollen wir zum Tor zurückkehren und den anderen Bescheid geben, dass ihre Ablösung bald eintrifft?“, wollte der Schmied das Gespräch auf den ursprünglichen Grund ihres Besuchs in der Stadtwache zurückführen.
„Das ist euch überlassen. Sie werden schon merken, wenn Aldrich bei ihnen auftaucht, auch wenn ich lieber zwei Leute dort postiert wüsste“, erwiderte Hertan und wandte sich bereits wieder einem der Berichte zu, die ihn jüngst erreicht hatten, „Das wäre dann wohl alles?“
Die beiden nickten und verließen das Gebäude, als sie bemerkten, dass der Hauptmann bereits wieder seiner Arbeit nachging.
„Lord Hertan? Er scheint ein sehr gewissenhafter Mann zu sein“, gab Isidor seine Einschätzung an Johanna gewandt ab, „Sagen wir den anderen Bescheid?“
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Am Stadttor
Warum quatschte der Kerl denn so viel? Rudra war sich eigentlich ziemlich sicher, dass der Mann mit den langen, weißen Haaren nicht der Typ Mensch war, der viel belanglose Worte verlor. War ihm einfach nur langweilig? Oder verfolgte er eine Absicht dahinter?
„Mhm“, grunzte Rudra, als der Mann ihm das Wasser anbot. Er wandte sich zu ihm um und blickte ihm direkt in die Augen. Der Weißhaarige ließ sich davon keineswegs abschrecken, sondern hielt den Blick. Eine ganze Weile musterten sie sich gegenseitig. Der Mann mit dem – für einen Menschen, jedenfalls - großen Schwert strahlte die Gelassenheit eines Kriegers aus, der schon so manche Schlacht geschlagen hatte. In seinen Augen lagen weder Furcht, noch Anspannung. Vielmehr drückten sie eine selbstbewusste Neugier aus, ganz so, als würde er etwas ergründen wollen. Hatte er etwa etwas an Rudra gesehen, das sein Interesse geweckt hatte? Die bloße Körpergröße konnte es kaum sein – immerhin waren sowohl er, als auch Johannas blonde Freundin für menschliche Verhältnisse außerordentlich groß und kräftig gebaut. Ob er wohl einst auf dem Festland gedient hatte? Naheliegend, wenn man nur lange genug an der Waffe diente. Die Frage war nur, wem er dort gedient haben mochte.
„Ja, ist schön“, brummte er schließlich, „aber auch gefährlich für Außenstehende.“
Er brach den Blickkontakt ab und wandte sich wieder der Brücke zu.
„Und wo kommst du her? Meve kenne ich schon, aber Johanna hat dich und den anderen Mann nicht vorgestellt.“
Wenn er etwas mehr über diesen Kerl in Erfahrung brachte, konnte er vielleicht herausfinden, welcher Art sein Interesse war. Immerhin schien Johanna ihm zu vertrauen, doch das hieß noch nicht, dass Rudra in seiner Anwesenheit sicher war. Immerhin hatte sie eine so grundgute Einstellung gegenüber jedem Menschen – und Ork! – dass sie sich abzeichnende Gefahren und Schattenseiten schlichtweg übersah.
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Südviertel
„Ja, er scheint ein guter Mann zu sein. Hart, aber gerecht. Nur … er tut mir ein wenig leid“, gab Johanna zu, als die Tür sich hinter ihnen schloss und sie wieder auf der Straße standen. „Ich mag die Jungs von der Wache, aber sie sind alle etwas kauzig und wollen vor allem ihre Ruhe haben. Hertan dagegen kommt mir so vor, als wäre er an der Spitze einer Armee besser aufgehoben als hier.“
Sie hob die Schultern. „Dass sie so sind, ist wohl nicht ihre Schuld, schätze ich. Liegt wohl daran, dass das hier mal eine gemütliche Kleinstadt war, bevor Ethorn beim Baron eingezogen ist und Stewark plötzlich der wichtigste Fleck auf der ganzen Insel wurde.“
Sie fragte sich ja wirklich, wie das Hofleben in der kleinen Zitadelle sich gestalten mochte. Baron Renwick und der König mit seinen Töchtern mussten doch regelrecht aufeinander hocken! Nach allem, was sie von Ethorn gehört und gesehen hatte, wirkte er nicht gerade wie ein angenehmer Mensch, in dessen Nähe man sich dauerhaft aufhalten wollte. Ob Hertan wohl auch in der Zitadelle wohnte? Vielleicht stürzte er sich ja deshalb immer so bierernst in seine Arbeit?
„Ja, lass uns zurückgehen“, stimmte sie zu.
Sie schlenderte gemütlich los. Nichts trieb sie jetzt zur Eile. Immerhin würden die Stadtwächter nun wieder übernehmen.
„Und?“, fühlte sie ein wenig vor, „was denkst du über das Angebot, das sie dir gemacht haben? Bei der Stadtwache mitzumachen, mein ich.“
Der Kommentar des Wächters hatte sie zugegeben etwas verstimmt, auch wenn er sicherlich nichts dafür konnte. Isidor war nur deshalb gefragt worden, weil er groß und stark war. Aber Hertan hatte die Offerte noch einmal gerade gerückt und klargestellt, dass er genauso wie Johanna beweisen müsste, dass er kämpfen kann, bevor er einer der Wächter werden konnte. Sie war dem Hauptmann der Wache dankbar dafür, dass er so viel Feingefühl bewies.
„Ich weiß, du willst vor allem als Schmied arbeiten. Aber trotzdem, ich kann mir dich gut in einer glänzenden Rüstung vorstellen.“
Sie kicherte. „Isidor, Beschützer von Stewark. Hat doch was, oder?“
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Südviertel
Etwas gequält schaute Isidor zu Johanna herunter.
„Findest du, dass das nach mir klingt?“, fragte er sie skeptisch, „Ich würde lieber Rüstungen machen, statt sie zu tragen.“
Trotz seiner Worte, kam er nicht umhin sich selbst in einer der Rüstungen der Stadtwächter vorzustellen. Sie wirkten nicht wie das Beste vom Besten, doch zweckmäßig waren sie allemal. Insbesondere, wenn – wie Johanna sagte – Stewark zuvor ein eher ruhiges Fleckchen Erde, oder Fels, war, was sich eher weniger Konflikten erwehren musste. Die Bedrohung durch das myrtanische Großreich war jedoch sehr real und wenn der Schmied ehrlich war, wollte er nicht auf der falschen Seite der Fronten sein. Tatsächlich wollte er auf keiner Seite stehen, wenn tatsächlich eine Schlacht ausbrach. Seine Kindheit war geprägt vom Orkkrieg gewesen und er kannte nur allzu viele gleichaltrige in Vengard, denen Väter und Mütter genommen wurden. Seine Familie hatte Glück gehabt, dank des wichtigen Handwerks. Sein Bruder hätte eingezogen werden müssen, doch ihr Vater hatte darauf bestanden, dass er ohne die Hilfe seines Ältesten nicht ausreichend Rüstungen für das Heer fertigen könnte. So ließ man ihn bleiben. Doch schlussendlich hatte auch das ihn nicht vor einem frühen Tod behütet, keinen von ihnen.
„Was denkst du geschieht, wenn Thorniara wirklich eine Armee schickt oder Feuermagier? Der falsche Alarm war wohl Glück im Unglück. Ich frage mich, ob es so klug war, hier her zu kommen, wenn schon am ersten Tag ein solches Chaos ausbricht“, fragte er, entschärfte die Ernsthaftigkeit seiner Worte jedoch mit einem Lächeln, da er das Thema als unangenehm empfand.
„Ach, am besten denke ich über sowas gar nicht erst nach. Erstmal muss ich zusehen, dass ich Arbeit finde und dann schaue ich, ob ich nicht doch auf Lord Hertans Angebot eingehe. Es kann sicher nicht schaden eine Waffe führen zu können.“
Gemächlich erklommen sie die Treppenstufen zum Torplatz hinauf.
„Sag mal, was meinte der Hauptmann, dass du mir Näheres dazu sagen kannst, wenn ich Teil der Stadtwache werden will? Ich meine, du hast ja bereits ein Schwert. Stehst du in Lord Hertans Diensten? Mir fällt erst jetzt auf, dass ich noch gar nicht gefragt habe, was du für Aufgaben innerhalb der Stadt hast. Entschuldige!“
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Südviertel
"Hmm", machte sie, "um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob das nach dir klingt. Dafür kennen wir uns noch nicht gut genug. Aber du hast nicht gezögert, den Leuten zu helfen, als da oben alles durcheinander geraten ist. Das finde ich wichtiger, als ein großer Krieger zu sein - falls es das ist, was du dir nicht so recht vorstellen kannst."
Letztlich war genau das auch der Grund, warum sie selbst Hertan gefragt hatte, ob sie der Stadtwache beitreten kann. Johanna wusste genau, dass sie nicht groß und stark war und sicher auch nie eine furchteinflößende Kämpferin sein würde. Aber sie wollte helfen, sie wollte die Menschen unterstützen und beschützen - vor allem diejenigen, um die sich die meisten Leute einen Dreck scherten. Sie hatte selbst oft genug zu den Übersehenen gezählt und kannte das Gefühl nur zu gut, ohne jede Unterstützung den Launen des Schicksals und der Mächtigen ausgeliefert zu sein.
Isidor malte schließlich den Dämon an die Wand und sprach davon, was wäre, wenn Stewark angegriffen würde. Johanna wollte sich gar nicht vorstellen, was geschehen mochte, wenn der Krieg in diese wunderschöne, kleine Stadt kam. Doch sie war fest davon überzeugt, dass dann nicht alles verloren war.
"In so einem Fall würden die Krieger der Akademie und die Männer und Frauen des Königs sicher eingreifen. Und nicht zuletzt gibt es auch noch die Wassermagier. Ich glaube, sie sind ziemlich mächtig, auch wenn sie nach außen wie harmlose Bücherwürmer wirken."
Johanna würde in ihrem Leben sicher nie mehr den Fehler machen, Magier zu unterschätzen. Und auch wenn die Wassermagier sich nicht so herablassend und dominant verhielten, wie es so manche Feuermagier pflegten, hielt sie sich lieber von ihnen fern.
"Und red nicht so einen Unsinn, Mensch! Dass gerade heute so ein Durcheinander entsteht, hat doch nichts mit dir zu tun. Wer weiß, was da alles zusammen gekommen ist, damit alles so aus den Fugen gerät? Glaub mir, an jedem anderen Tag hier findest du hier eine friedliche Kleinstadt-Idylle und Plätze ohne Eselkacke."
Vom Außenring hinauf in Richtung des Torplatzes zogen sich die Treppen ein wenig, doch nun endlich gelangten sie am oberen Treppenabsatz an. Sie passierten den kleinen Festplatz, auf dem - daran erinnerte sie sich noch sehr gut - ordentlich etwas los gewesen war bei der Tempeleinweihungsfeier.
"Eine richtige Aufgabe habe ich im Moment noch nicht", gab sie auf Isidors Frage zu. "Du weißt ja, ich helfe bei Syrias und Taron aus. Syrias zeigt mir dafür, wie ich mit meinem Schwert kämpfen kann. Aber worauf Hertan hinauswollte, ist ... Ich will der Stadtwache beitreten. Deshalb lerne ich bei Syrias. Beim ersten Mal hat Hertan mich abgewiesen, aber ich glaube, er begreift langsam, dass es mir sehr ernst damit ist."
Sie blieb stehen, sah zu Isidor auf. Was er wohl davon halten mochte? Vermutlich hielt er sie für verrückt.
Sie grinste. Ja, das war sie vielleicht auch ein wenig.
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Torplatz
Natürlich hatte sie recht damit, dass sie sich kaum kannten. Einige Stunden vielleicht, wenn er den Stand der Sonne richtig deutete. Doch in der relativ kurzen Zeit war schon so einiges geschehen. Ein Umstand, den er gar nicht mehr gewohnt war, nachdem er fast drei Jahre lang nur planlos in den Tag gelebt hatte. Es fühlte sich tatsächlich gut an etwas anderes zu tun, als nur im Bierhaus zu sitzen und die Tage mit Alkohol fortzuspülen. Nicht einmal die Gelegenheit seine Pfeife zu stopfen hatte er gehabt, doch wie er feststellen musste, war bisher der übliche Drang danach ausgeblieben. Erst jetzt, wo seine Gedanken sich dem Tabak näherten, meldete sich das wohlbekannte Gefühl der Lust den Rauch in seiner Lunge zu spüren. Doch für den Moment widerstand er dem Bedürfnis.
„Das stimmt. Obwohl ich das Gefühl habe, dass wir uns für die kurze Zeit schon gut kennengelernt haben“, lachte er und schaute auf Johanna herab, die am Kopf der Treppe stehengeblieben war. Die Klippenschenke zu ihrer Linken war nur spärlich besucht, der Lärm vom Tor jedoch sprach vom Unmut der Wartenden. Ob Syrias, Meve und Mungu die Situation noch unter Kontrolle hatten?
„Ich glaube, dass ich mich selbst nicht als großen Krieger vorstellen kann“, kehrte er zum Gespräch zurück, wobei er nachdenklich wirkte, „Auch wenn ich nicht abstreiten kann, dass ich als Junge mehr als einmal darüber nachgedacht habe, wie es wäre, in die Schlacht gegen die Orks zu ziehen. Meine Heimat gegen die Invasoren verteidigen, weißt du? Doch heute? Nein, das myrtanische Reich ist nicht mehr meine Heimat, aber vielleicht schafft es Stewark ja diesen Platz einzunehmen und dann mag auch der Wunsch zurückkehren, es bis zum Tod zu verteidigen.“
Etwas pathetisch fand er sich in diesem Moment schon, doch so stellte er es sich vor, ein großer Krieger zu sein. Bereit bis in den Tod zu gehen, um zu schützen, was einem teuer und lieb ist. Je länger er Johanna ansah, desto schwieriger wurde es für ihn, sich Bewusst zu machen, dass er eigentlich als Feind hergekommen war.
„Diese Krieger der Akademie“, griff er ihren Satz auf, „wo sind die eigentlich, wenn ein solcher Aufruhr herrscht? Ich glaube Syrias erwähnte es auch bereits, doch sollten sie nicht ausrücken, selbst wenn nur der Hauch einer Möglichkeit besteht, dass ein tatsächlicher Angriff bevorsteht? Das kommt mir sehr schlampig vor“, regte er sich milde auf, wobei er sich daran erinnerte, dass auch Johanna nicht gut auf die Männer und Frauen der Akademie zu sprechen war.
Zwar wunderte er sich, da ihr Ruf außerhalb der Grenzen dieses Königreichs bekannt war, doch jetzt, wo er hier war, machten sie sich rar. Wäre es den Aufwand wert, sich das Innere dieser hoch gepriesenen Einrichtung anzusehen?
Sie näherten sich dem Torhaus, doch bevor sie zu den anderen stießen, wollte Isidor noch eine Sache loswerden, weshalb er Johanna sachte an die Schulter fasste, um ihr zu bedeuten, dass sie einen Moment warten sollte.
„Wenn du meine ehrliche Meinung willst, was die ganze Stadtwachen Sache angeht und dass du ein Teil davon werden willst, dann hör jetzt gut zu. Ja, wir kennen uns kaum, aber das, was ich bisher von dir gesehen habe, spricht absolut für dich. Lord Hertan würde in meinen Augen viel meines Respekts einbüßen, wenn er jemanden wie dich ablehnt. Du hast innerhalb weniger Augenblicke einen Schlachtplan aufgestellt, um das Chaos am Tor unter Kontrolle zu bringen. Dabei hast du uns die Aufgaben zugeteilt und dank dir hat sich alles zum Guten gewendet. Die Esel sind aus der Stadt und es ist niemand unbehelligt in die Stadt gekommen – bis auf einige wenige, bevor wir angekommen sind. Wenn der Hauptmann dieses Talent nicht erkennt, dann sollte er über einen frühen Ruhestand nachdenken und es den anderen Adligen gleichtun und seinen Tag in einer Banketthalle verbringen oder was auch immer diese hohen Herren so die ganze Zeit treiben. Kurzum, wenn er dich nicht bei der Stadtwache akzeptiert, werde ich keinen weiteren Gedanken daran verschwenden mich in seine Dienste zu stellen.“
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Torplatz
Johanna errötete und schlug die Augen nieder.
"Danke, das ist lieb von dir", sagte sie.
Es war ihr peinlich, so deutlichen Zuspruch von Isidor zu erhalten, auch wenn sie sein Lob ob ihrer Vorschläge - mehr waren es doch gar nicht gewesen! - am Stadttor sehr freute.
"Aber Hertan hat schon Recht mit dem, was er fordert - auch wenn ich ihn trotzdem als Arschloch verflucht hab, als er mich abgewiesen hat. Wenn die Leute mich sehen, haben sie nicht von ganz allein so einen Respekt wie bei Mungu, bei Meve und Syrias und dir. Ich muss besser sein, um gleich behandelt zu werden. Als kleiner Mensch - und als Frau."
Es hatte seinen Grund, dass die Stadtwache nur aus Männern bestand. Und wollte man diese Normen aufbrechen, musste man kämpfen. Es frustrierte Johanna jedes Mal aufs Neue, wenn sie in solche Situationen geriet. Doch so war die Welt, und sie hatte mit diesem Umstand zu leben gelernt, auch wenn sie ihn nie akzeptieren würde.
Sie waren wieder in der Nähe des Torhauses angelangt, doch noch wollte sie nicht wieder zu den Anderen zurückkehren. Sie fragte sich, ob Aldrich und der andere Wächter noch gar nicht da waren, oder ob sie so schnell gewesen waren, dass sie schon hinauf geeilt waren, bevor Johanna und Isidor über die Treppe hinaufgegangen waren.
"Wer weiß schon, was mit diesen Akademie-Leuten los ist?", sagte sie schließlich. "Vielleicht sind die hier ja auch überall unterwegs und wir wissen gar nichts davon? Ich hab keine Ahnung. Die sind mir aber auch herzlich egal. Die Leute, die tagein, tagaus alles am Laufen halten, sind mir weit lieber als irgendwelche heroischen Retter, auch wenn sie vielleicht ein wenig trotteliger oder fauler sind und nicht so gut kämpfen können. Und du lässt dich bitte auch nicht für irgendeine Stadt heldenhaft umbringen, hörst du?"
Sie lächelte ihn an. "Wäre ein Jammer."
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Torplatz
Etwas verlegen rieb sich Isidor den Hinterkopf, als er Johannas Reaktion auf seine Ansprache sah. Vielleicht war er etwas übers Ziel hinausgeschossen, doch er hatte jedes Wort so gemeint, wie er es gesagt hatte. Anders als der Großteil der Stadtwachen hatte die kleine Frau einen kühlen Kopf bewahrt und effektiv eingesetzt, was ihr zur Verfügung stand.
„Jeder, der dich wegen deiner Größe unterschätzt, ist wohl auf den Kopf gefallen“, grummelte er, „Und dass Frauen nicht ebenso wehrhaft sein können wie Männer wage ich stark zu bezweifeln. Einige dieser Bauern hätten mal meine Schwestern kennenlernen sollen. Dann hätten sie die Brücke freiwillig geräumt und wären erst am nächsten Tag wieder hergekommen“, erzählte er grinsend und fand sich erneut in Erinnerungen an seine Familie wieder.
Er vermisste sie schrecklich, doch keiner der Götter würde sie ihm zurückbringen können.
Scheppernde Schritte waren zu hören und als sich die beiden umwandten, sahen sie zwei Soldaten auf das Torhaus zueilen. Den einen erkannte Isidor als jenen Wachmann, der von Lord Hertan losgeschickt worden war. Demnach musste der andere Aldrich der Kerkerwächter sein. Durch die Helme waren ihre Gesichtsausdrücke nicht zu lesen, doch als sie an ihnen vorbeieilten hörte der Schmied deutlich wie letzterer sich beschwerte.
„Den ganzen Tag musste ich mir das Genöhle dieses Unruhestifters anhören und jetzt lassen wir ihn einfach frei…“
„Da scheint jemand nicht glücklich mit der kurzfristigen Versetzung zu sein“, schlussfolgerte Isidor an Johanna gewandt.
Es schien so, als würden sie bald alle wieder ihren eigenen Aufgaben nachgehen können, sobald sich die beiden Wächter am Tor postiert hatten.
„Mich würde ja schon interessieren, wie es in der Akademie zugeht“, gab er zu, während sie sich langsam dem letzten Rest des Weges zum Torhaus widmeten, „Immerhin haben sie einen Ruf weit über die Grenzen hinaus und da wird man schon neugierig. Aber alles zu seiner Zeit, nicht wahr?
Er hob die Schultern leicht an und ließ sie rotieren, als würde er eine hartnäckige Verspannung lösen wollen. Tatsächlich juckte es ihm nur in den Fingern endlich wieder einen Schmiedehammer in der Hand zu halten.
„Und keine Sorge“, meinte er an das Energiebündel gerichtet, begleitet mit einem kleinen Stups, „Ich habe nicht vor allzu schnell den Löffel abzugeben. Wäre ja ein Jammer, wenn ich nie wieder eine dieser Zimtschnecken von Fräulein Frieda essen könnte.“
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Torplatz
Johanna kicherte, als sie Aldrich zeternd an ihnen vorbeitrotten sah.
„Ach, der ist einfach nur grummelig, weil er mal aus seinem Kämmerchen raus muss“, sagte sie. „Ich glaub ja, er fühlt sich ganz wohl in und um sein Gefängnis herum. Da unten kommt halt niemand hin, da hat er seine Ruhe. Das Tor ist das genaue Gegenteil.“
Sie befand, dass das Aldrich ganz gut tun würde, wenn er mal etwas anderes tat, als immer nur die Gefangenen im Auge zu behalten. Als Gefängniswärter kannte er vermutlich jeden Trunkenbold der Stadt, wenn die zu viel getankt hatten und zu ihrem und dem Schutz aller anderen weggesperrt wurden, bis sie wieder nüchtern waren. Wirkliche Schwerverbrecher fanden sich hier ja eigentlich nicht im Gefängnis ein, immerhin war das kein Verlies. Johanna fragte sich, ob die Königstruppen irgendwo anders in der Stadt noch einen Ort unterhielten, an dem die wirklich schlimmen Menschen und politischen Gefangenen untergebracht wurden. Die Stadtwache würde damit aber jedenfalls nichts zu tun haben. Jedenfalls traf Aldrich nun eher auf ungehaltene Bauern. Das würde bestimmt seinen Horizont erweitern (und ihn vermutlich dazu treiben, nie wieder aus dem Gefängnis herauszutreten).
Als Isidor wieder auf die Akademie zu sprechen kam, verzog sie das Gesicht.
„Ich weiß nicht. Viel weiß ich nicht über die, aber ich glaube, ihr Ruf stammt vor allem noch aus der Zeit, als Setarrif noch stand. Ich weiß, dass es sie noch gibt – ja, ich hab ihnen heute erst ein paar Schwerter von Taron geliefert – aber sehr beeindruckend wirkten die nicht auf mich. Eher wie eine selbstverliebte Schlägerbande. Und selbst wenn sie gut kämpfen können: es kommt auf mehr an als das.“
Sie hob die Schultern.
„Ob einfach nicht mehr übrig geblieben ist von damals, oder ob mehr unter der Fassade steckt, weiß ich aber nicht. Vielleicht solltest du mal mit Meve darüber sprechen. Die hat einen Narren an denen gefressen. Naja, hatte jedenfalls. Weiß nicht, ob das immer noch so ist, nachdem das Arschloch von Akademieleiter sie verprügelt hat.“
Mit zusammengepressten Lippen und geballter Faust blickte sie zum Tor hinüber. Sie hatte sich vorher nicht für die Akademie interessiert, weil sie dem Antrieb, das Kämpfen zu lernen, um einfach nur die Beste zu werden, nicht viel abgewinnen konnte. Aber seit sie davon gehört hatte, was mit Meve passiert war, hatte sie erst recht nichts mehr für diese Bande übrig. Und bevor sich das änderte, würde sie erst einmal jemand vom Gegenteil überzeugen müssen.
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