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Die Sumpflilie
Unter die vielen Stimmen der belebten Gespräche mischte sich plötzlich eine weitere, die Chalas Erinnerungen wachrüttelte.
„Du..!“
Sie schaut sich um und entdeckte tatsächlich das erste bekannte Gesicht seit ihrer Ankunft. Auch, wenn eben jenes Gesicht stark gealtert zu sein schien.
„Shakes?“, fragte Vered überrascht und erhob sich von ihrem Stuhl, da die Körpersprache ihres ehemaligen Sumpfkrautunterhändlers Ärger signalisierte.
Der von Alkohol verklärte Blick in seinen Augen und die bebenden, feuchten Lippen verrieten seinen Unmut darüber sie zu sehen. Seine Hand schnellte vor, um sie zu packen, doch in seinem dem Delirium nahen Zustand war er fahrig und vorhersehbar. Die Aranisaani schlug seinen Arm beiseite und packte ihn ihrerseits am Kragen der dunkelgrünen Kleidung.
„Sag mal geht’s noch?“, fuhr sie ihn mit gefährlich funkelnden Augen an und rang mit dem größeren Mann, wobei sie ihn vor sich herschob.
Der Betrunkene stolperte unbeholfen, während er versuchte ihren Griff zu lockern. Sie stießen dabei gegen einige Stühle, die entweder unbenutzt waren oder fluchtartig verlassen wurden, als sich eine Schlägerei anzubahnen drohte. Einige Rufe wurden laut, dass sie auseinandergehen sollten Andere, dass sie sich ein Zimmer suchen sollten. Und jene, die nach mehr Gewalt schrien, um ein Spektakel mitzuerleben.
Shakes Rücken traf hart auf die Wand der Sumpflilie, wo Chala ihn festzunageln versuchte. Sie stellte einen Fuß auf den seinen, drückte ihren Unterarm gegen seine Kehle und kam näher an sein Gesicht, damit er auch keines ihrer Worte verpassen würde.
„Was soll diese Theater? Wir waren uns damals einig, dass nicht der Bund für das rote Dreckszeug verantwortlich war!“, spie sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Jäger wehrte sich noch immer und war durchaus stärker als die Dunkelhäutige. Nur die vorteilhafte Position ließ sie die Oberhand behalten.
„Einig? Verarsch‘ hassu uns! Wir ham niemals die Quelle – hicks - dieses Deubelseugs gefun“, lallte er ihr wütend entgegen.
„Und das ist meine Schuld?“, erwiderte sie nicht minder wütend, „Lukar wollte sich darum kümmern!“
„Lukar is‘ verschwun!“, spuckte der Betrunkene ihr die Worte und Speichel entgegen.
Kurz überkam Vered die Versuchung nach einem ihrer Messer zu greifen, ihn daran zu erinnern wie ihre letzte Begegnung abgelaufen war.
Doch sie hielt sich zurück, denn wenn das hier eskalierte, stände sie auf verlorenem Posten in mitten von Shakes Freunden und Verbündeten.
„Als wüsste ich das nicht besser, als jeder andere hier!“, fauchte sie ihn an und drückte den Arm fester gegen seine Kehle.
Sie spürte die Blicke der anderen auf sich, wusste, dass sie dabei war eine Grenze zu übertreten, hinter der sie allein auf sich gestellt war. Mit sich selbst hadernd ließ sie von dem Betrunkenen ab, der zu Boden sackte.
„Komm mal klar, ulavale! Du stinkst aus’m Maul wie ‘ne Moleratfarm!“
Der Sumpfkrauthändler rappelte sich so schnell wieder auf wie es nur ein Gewohnheitstrinker vermochte und schlug Chala ins Gesicht. Dieses Mal konnte sie nicht reagieren, spürte nur, wie ihre Lippe aufplatzte und ihr Kopf nach hinten flog, was sie mit einem Schritt ausgleichen musste.
„Oe atali o le fafine talitane!“, schrie sie ihn an, packte ihn an der Kleidung und schmiss ihn in den Raum mit der Kraft des Zorns.
Sie spürte den metallischen Geschmack des Blutes in ihrem Mund und griff nach einem Krug, der auf einem nahen Tisch stand. Sie leerte ihn in einem Zug und spülte damit das Blut ihren Rachen herunter.
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»Diese Frau«, hallten Worte in seinem Inneren nach, die er gestern Abend vernommen hatte. »Diese Frau weiß Dinge, die sie eigentlich nicht wissen sollte. Und auch, wenn sie das alles noch nicht versteht - bald schon wird sie das.« Das darauffolgende Lachen war dem ehemaligen Hüter durch Mark und Bein gegangen. Es war das unheilschwangere Lachen von einem Wesen gewesen, welches sich auf das zu freuen schien, was bisher nur es selbst absehen konnte. Und so gern er mehr erfahren hätte, so hatte ihn in einerseits sein Entschluss zurückgehalten, die Stimme vorerst noch zu ignorieren und andererseits die Sorge um Freiyas außergewöhnlichen Zustand.
Egal wie nahe die junge Frau am Feuer gesessen hatte, sie hatte unablässig gezittert. Ihr Körper war weder besonders heiß noch besonders kalt gewesen. Sie hatte einige Verletzungen davongetragen, aber keine der Verletzungen war nach so kurzer Zeit bereits so infiziert gewesen, dass es ernsthafte körperliche Konsequenzen hätte haben sollen.
Ryu und er hatten sich in der Nacht abgewechselt, auf das Feuer und auf die schlafende Freiya zu achten. Sie beide hatten immer wieder Holz nachgeholt, hatten die junge Frau mit Decken und Fellen zu wärmen versucht und wachsam auf jede Veränderung geachtet. Aber nichts von alledem hatte geholfen. Irgendwann - Ryu hatte es heute Morgen zu berichten gewusst - hatte das Zittern gestoppt. Die Rothaarige hatte im Schlaf ein paar unverständliche Satzfetzen von sich gegeben und dann hatte es genauso schnell geendet wie es begonnen hatte.
Die beiden Männer hatten aus Rücksichtnahme versucht, Freiya zu einem langsameren Tempo zu bewegen, aber die Lehre bei Ryu hatte sie offensichtlich nicht nur beweglicher, sondern auch sturköpfiger gemacht, denn sie hatte darauf bestanden, ohne Umwege nach Tooshoo zurückzukehren. Die Gründe dafür waren einfach wie nachvollziehbar. Sie wollte nach Hause. Wollte sich ausruhen. Und nach den Strapazen der letzten Tage und insbesondere der letzten Nacht hatte sie sich das in Griffins Augen mehr als verdient.
Der große Baum war nun schon seit einigen Stunden seinen Schatten auf die drei und so langsam waren die Gebäude, oder die kargen Gerippe von dem, was einst Gebäude gewesen waren, zwischen den Bäumen zu sehen. Der Boden war längst wieder sumpfiger geworden und der so einzigartige Odeur der Heimat des Waldvolkes lag in der Luft.
»Irgendwelche Pläne, jetzt da wir wieder zuhause sind?« Er blickte seine beiden Begleiter fragend an. Er selbst... nun, er war wie immer vollkommen planlos. Das merkwürdige an einem Leben, bei dem er nicht täglich dafür Sorge tragen musste, seinen nächsten Rausch zu finanzieren oder als Folge ebendieses Rauschs völlig aus dem Leben getreten den halben Tag zu verschlafen, war die Tatsache, dass er plötzlich eben sehr viel Zeit hatte, um Pläne zu machen. Und auch, wenn das nie sein Stil gewesen war, alleine die Möglichkeit dazu, war irgendwie merkwürdig befreiend.
Doch noch bevor jemand antworten konnte, stürmten Bud und Terrence, die beiden vermutlich wichtigsten Personen im ganzen Dorf - zumindest wenn man sie selbst fragte - in einiger Entfernung durch das Dorf und eilten mit großen Schritten gen Taverne, aus der ein zugegeben eindrucksvoller Lärm drang. »Ist der Hauptmann mal nicht da, kommt hier richtig Stimmung in die Bude!«, scherzte Griffin und grinste seinen augenrollenden Waffenbruder verschmitzt an. Die zwei Raufbolde hatten einen nahezu unfehlbaren Sinn dafür, wenn es Ärger gab, bei dem sie mitmischen konnten.
Das versprach also durchaus ein durchaus lustiger Tag zu werden. Auch ganz ohne Pläne!
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Vareesa atmete durch und zählte in Gedanken bis zehn. So viele Menschen auf so engem Raum... Sie kannte das. Sie hatte es schon oft genug erlebt. Und sie hasste es. Ronja hingegen schien gerade richtig aufzublühen. Erzählte munter und aß ebenso fleißig. Dass dann auch noch 'der Wolf' auftauchte, machte die Sache irgendwie nicht besser. Für den ersten Augenkontakt waren ihre dabei tausende Dinge durch den Kopf geschossen. Aber allen voran: Erinnerungen und Ängste. Erinnerungen an seine harten Worte während der Lehrstunden. Ängste darüber, ob er über das kaum vorhandene Wachstum ihrer Fähigkeiten urteilen würde. Und da waren sie wieder... Diese Sorgen und die Ungewissheit, wie und wann die große Schlange sie als nächstes quälen würde. Zwar war sein Grüßen, entgegen ihrer Befürchtungen, doch recht herzlich gewesen, aber bei Kerlen unter Kerlen konnte das vieles heißen. Kurz schloss sie die Augen, nickte ihm dezent und respektvoll zu und als sie aufblickte, saß er auch schon bei dem Mann mit dem Wickel um den Kopf. Turmwahn oder so hatten die Leute aus Varant diese Kopfbedeckung genannt. Woher der Name wohl kam? Waren Leute in Türmen wahnsinnig geworden, weil sie sich irrtümlich in Stoffbahnen verheddert hatten? Eine dieser Fragen die ihr beim Konzentrieren gerade überhaupt nicht weiter half. -Atme, Vareesa... Atme, verdammt!-, sagte sie sich immer wieder und tat genau das, wozu sie sich gedanklich aufforderte. Dieses ungute Gefühl der Gelähmtheit und inneren Unsicherheit bei all den Leuten, Stimmen und der klammen Luft fühlte sich wie Gift in ihren Venen an. Nicht die Art, wie sie es von ihrer 'Gabe' kannte. Sondern etwas, das pochend von ihrem Kopf ausging und hinab wanderte. Sich im gesamten Körper ausbreitete und das Atmen erschwerte. Aber dann fiel da etwas von Seiten ihrer Freundin. Eine kleine, unscheinbare Bemerkung die die Bognerin aufhorchen und zu dem Turmwah-Mann blicken ließ.
"Wölfe und... Löwen?"
Die tiefblauen Augen drangen nun nur aus Schlitzen hervor, als sie Maris musterten. Entweder die aufkommende Panik hatte ihr nun einen Knicks in den Hirnbahnen verursacht oder der Sumpfkrautrauch in der Luft spielte ihren Sinnen Streiche. Aber wenn die ambitionierte Kapuzenträgerin sich den Mann mit dem milchig weißen Auge so betrachtete... Die sandfarbene Kleidung... Der Turmwahn, wie eine hoch gestellte Mähne... Dazu die Vertrautheit mit dem Wolf... Gerade setzte sie nach einem weiteren, tiefen Luftzug an etwas zu sagen, hob dabei sachte den Finger mit Blick in Richtung der beiden Männer, als Ronjas Ellbogen sie schmerzhaft zwischen die Rippen traf. "Arf, verdammt, Ronja, was soll der Scheiß!? Das war genau dort wo's weh tut!". Doch ihre Freundin und Handwerksgenossin hob nur entschuldigend eine Hand, kaute ihren nächsten Bissen zu Ende und legte ihr dann beschwichtigend die Hand an den Oberarm. "Mh... Njom... 'Tschuldige, aber ich hab' dich was gefragt wegen Bud und Terrence! Also, bringen wie ihnen wa...", doch wurde auch dieses Gespräch je unterbunden, als irgendein stinkiger Arm an Ronjas Seite vorbei schnellte und Chala packte. Und so nahm das Unheil seinen Lauf...
Es wurden wüste Worte gewechselt die mit einer blutigen Lippe von Chala endeten und einem Shakes der urplötzlich mitten im Raum lag. Im nächsten Zug hörte man von der Seite lautstarke Beschwerden über verkippte Bierkrüge und einen Pfannkuchen, der durch den vergeblichen Versuch sich auf dem Tisch abzustützen vom darauf stehenden Teller an die Decke katapultiert wurde. Ronja beobachtete mit großen Augen, Vareesa hingegen schlug sich nur vors Gesicht und schob langsam ihre Haut von oben nach unten, als wolle sie sich das Gesicht abreißen. Und die anderen? Manche begannen zu jöhlen, andere begannen schon damit ihre Geldsäckel für mögliche Wetten auf den Tisch zu packen. Dann gab es wiederum die gesitteten, die sich um ihren eigenen Mist kümmerten. Und irgendwie fühlte sich die Bognerin völlig in die Mitte von alledem geworfen. Und die stapfenden Schritte, welche von jenseits des Eingangs der Taverne zu hören waren, gepaart mit der lautstarken Stimme von Bud würde wohl gleich entweder für noch mehr Chaos oder doch Ruhe sorgen. Vareesa seufzte leicht zittrig auf und presste erneut die Augen zusammen um gegen das Pochen hinter ihren Schläfen anzukämpfen. War es vielleicht doch zu früh gewesen, wieder zurückzukehren?
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Yariks Körperhaltung spannte sich instinktiv an, als Shakes plötzlich die dunkelhäutige Fremde anpöbelte und diese sich das keineswegs so einfach gefallen ließ. Zunächst gelang es ihr, den betrunkenen Sumpfkrautfarmer gut unter Kontrolle zu halten und Yarik hoffte schon, dass sich die Situation von selbst lösen würde – die kleine Abreibung würde Shakes hoffentlich auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, und dann würde Yarik zusehen, dass er die Schnapsdrossel zurück auf die Sumpfkrautfarm verfrachtete.
Aber nein, so einfach wurde es dann doch nicht…
Gerade als Yarik glaubte, die Sache wäre erledigt, beschloss Shakes irgendwo in seinen vom Alkohol und Sumpfkraut völlig zugenebelten Gehirnwindungen, dass es an der Zeit wäre, noch einen draufzusetzen, und schlug der Frau mitten ins Gesicht. Diese, offenbar kein zartes Pflänzchen, reagierte, indem sie Shakes mit einem harten Stoß quer durch die halbe Taverne beförderte.
Yarik wusste, was passieren würde, noch bevor es passierte. Er hatte in seiner Zeit als Tagelöhner und Landstreicher oft genug seinen mickrigen Arbeitslohn in irgendwelchen heruntergekommenen Spelunken versoffen, und auch wenn die Sumpflilie im Vergleich als ein fast schon gehobenes Lokal bezeichnet werden konnte, so waren die Jäger und Wächter des Waldvolkes doch auch eine raue und durchaus rauflustige Bande.
Als Shakes also rückwärts stolpernd in dem vergeblichen Versuch, das Gleichgewicht zu bewahren, mit den Armen ruderte, dabei einem untersetzten Kerl mit Rauschebart den Bierkrug so aus der Hand schlug, dass dessen Nachbarn das Getränk ins Gesicht spritzte, anschließend, als er sich an einer Tischkante festhalten wollte und dabei einen Teller erwischte, einen Krapfen durch den Saal katapultierte, der zielgenau im Krug eines Waldläufers landete, um zu Guter Letzt irgendwen anzurempeln und beinahe vom Stuhl zu reißen, bevor er selbst zu Boden ging, war die Kettenreaktion unvermeidbar.
„Ey, mein Essen!“
„Mein Bier! Pass doch auf, du Depp!“
„Pass doch selber auf, Mann!“
„Ach ja? Komm mal her, Bürschchen!“
„Komm du mal her!“
„Ach ja?“
„Ich glaub, ich hau dir jetzt mal volles Pfund aufs Maul!“
Es dauerte keine fünf Sekunden, bis die ersten Fäuste und Krüge flogen. In dem sich rasch entfaltenden Chaos rappelte sich Shakes wieder auf, das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen, und wollte sich schon wieder auf die dunkelhäutige Frau stürzen, als Yarik ihn an der Schulter packte und herumriss.
„Shakes, was soll die Scheiße?“, herrschte er den Sumpfkrautbauern an.
„Wassweißuschon?!“, spuckte Shakes ihm entgegen und versuchte, sich zu befreien. Yarik verdrehte genervt die Augen und wollte gerade versuchen, den zeternden Shakes zur Tür hinauszubugsieren, als irgendein schwergewichtiger Kerl sie von der Seite her umrempelte. Die drei gingen zu Boden, und gerade als Yarik sich aufrappeln wollte, bekam er unsanft einen Fuß in die Rippen, was ihn wieder zur Seite kippen ließ. Als er endlich auf die Beine kam, war Shakes längst im Getümmel verschwunden.
Yarik fluchte und stieß einen Jäger bei Seite, der ihm, benommen von einem Fausthieb, in die Arme taumelte. Das konnte ja noch heiter werden…
Geändert von Yarik (02.03.2024 um 17:21 Uhr)
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Rückkehr
„Das ist also deine Heimat?“
In der Stimme des Vaters, akzentuiert, gemessen, vornehm und klar, schwang das Maß an Verachtung mit, das dem Mann einen Stich versetzte. So hatte sein alter Herr stets in seinen Jugendjahren geklungen. Als es darum ging, dem nächsten Blaublüter die Angetraute auszuspannen, als er mit seinen ‚Freunden‘ um die Häuser gezogen und das väterliche Einkommen verprasst hatte. Bei jeder Rückkehr am frühen Morgen, bei jeder Bezahlung einer Kaution bei der Stadtwache, hatte dieser Ton in der Stimme angeklungen. Erst als ein – in den Augen des alten Calveits guter – Kerl Kiyans Bein gebrochen und ihm somit Vernunft eingebläut hatte, war der Ton nicht mehr zu hören gewesen. Bis jetzt.
Langsam fuhr sich der Handelsherr über den kurz geschnittenen Bart, schüttelte den grauen Kopf, an dem das Haar ebenso kurz rasiert war. Calveit Senior war nie ein Mann von Prunk und Gloria gewesen. Sinnlosen Tand hatte er verachtet. Armut aber ebenso sehr. Für ihn war Armut keine Frage des Schicksals gewesen, sondern des Willens.
„Traurig,“, sprach der Alte, „Dein Blut ist so gut wie ausgelöscht, das Haus, in dem du geboren und aufgezogen wurdest, nur noch eine Ruine … die Ratten, die den Calveits dies antaten, sind immer noch da draußen und am Leben …“
Der Blick wandte sich zu Kiyan. „Und du kehrst zurück in einen stinkenden Sumpf. Ich hatte ehrlich die Hoffnung, dass der Beinbruch dein Wesen geändert hat ... für immer. Aber kaum konntest du wieder richtig laufen, hast du alles in den Wind geschossen, was du hättest erreichen können.“
Der in Schweiß getränkte Kiyan lachte trocken auf. „Vater“, antwortete er, streckte die Hand aus und berührte den Alten an der Schulter, „zu der Zeit warst du längst tot. Dein geschätzter Erstgeborener, mein Bruder, hat mich verbannt. Was er danach trieb und mit wem, wissen alleine die Götter …“ Er klopfte seinem Vater auf den Rücken. „Nun seid ihr alle im Jenseits vereint und ich renne hier herum und halluziniere.“
Seine Mutter schob mit tadelndem Gesichtsausdruck die klopfende Hand samt Arm weg und musterte ihn von oben bis unten. „Du siehst aus wie etwas, das dein Kater Goldlocke früher aus dem Rinnstein gezogen hat“, stellte sie fest und schüttelte den Kopf. „Puh, und ebenso riechen tust du auch.“
„Mutter“, Kiyans Stimme veränderte sich etwas, der Ton wirkte nun belegter. „Was verschafft mir die Ehre?“
„Nun, was soll das wohl sein?“, sie stemmte die Hände in die Hüften, schnalzte mit der Zunge, „Du hast einer Dame in Not nicht deine Hilfe zukommen lassen, das ist wohl los! Habe ich dich so erzogen? Sogar dein Vater – gierig wie er war – hätte erst nach der Rettung geschaut, was für ihn an Profit dabei herausspringt … aber du? Der Junge, den ich erziehen durfte, bei dem ich entschied und erst in zweiter Reihe dein Vater? Du hast mich auf ganzer Linie enttäuscht.“
Abfällig deutete die Frau mit den sanften Gesichtszügen auf den Baum, dem sie näherkamen.
„Dafür hast du eine Dame sterben lassen? Für diesen stinkenden Sumpf, für das dreckige Volk, welches hier haust? Für dieses undankbare Geziefer, welches von hier kommt und den du gerettet hast?“ Sie lachte. Aber es war nicht der warme Klang von früher, sondern ein kalter, harter Ton. „Wenn du mit dieser Tat leben kannst, mein Sohn, dann sei es so … mich, ebenso wie deinen Vater hast du bitterlich enttäuscht.“
Der Wächter, der seinen Gang unterbrach, um sich auf seinen Beinen abzustützen und zu Atem zu kommen, lachte abermals trocken, wenngleich hier ein bitterer Beiton mitklang.
„Tja, liebe Mutter, du bist ebenso tot wie Vater. Ihr seid nicht hier. Du bist ebenso wenig real, wie er es vor einigen Augenblicken war.“ Er zuckte die Schultern. „Das Weib war eine Hexe. Besessen. Ich hätte ihr das Messer in die Kehle rammen, als mir mein eigenes Auge damit nehmen sollen. Aber nun, später ist man immer schlauer, nicht wahr?“
Der halb verbrannte Leichnam, der deutliche Spuren von Gewalteinwirkung vor dem Verbrennen zeigte, lachte. Es hörte sich an, als würde jemand Kohle aneinander reiben.
„Du hast mich sterben lassen, Bruder“, krähte der ältere Calveit-Sohn, „Sterben und verbrennen lassen. Und als du das Werkzeug zur Rache hattest, nachdem du selber gelitten hast, hast du von der Rache abgelassen. Du spuckst auf mein Grab.“
Kiyan schluckte, schüttelte nun energisch den Kopf. „Nicht echt, du bist nicht echt.“
Der Tote streckte eine Hand aus, berührte seinen jüngeren Bruder im Gesicht. Verbrannte Haut riss, platzte auf. Flüssigkeit drang hervor, durchsetzt mit Blut. Der Wächter roch den widerlichen Geruch des Verbrannten, spürte die verkohlte Oberfläche der Hand.
„Ich bin echt, Bruder. Die Strafe für deine Feigheit.“
Der Gortharer schluckte abermals, nahm die Hand des verbrannten Bruders vom Gesicht und begann aus vollem Halse zu lachen. Er lachte, lachte und lachte. Er lachte, bis ihm die Tränen kamen und das Lachen zum Heulen, zum Wehklagen, zum Schreien und wieder zum Lachen wurde.
Seite an Seite mit einem Leichnam marschierte Kiyan zurück nach Tooshoo, in seine enttäuschende, dreckige Heimat.
„Götter!“, rief er aus, „nun bin ich wahrlich wahnsinnig genug, um hier alt zu werden!“
Das Gekicher ging ein einen schluchzenden, heulenden Laut unter, ehe er anfing, ein Kinderlied zu trällern.
„Mein Verstand der ist verschwunden, ich hab‘ keinen Verstaaand mehr“, er klatschte in die Hände, lachte, „Ei da ist der Verstand wieder, tralalalalalala!“
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Betretenes Schweigen herrschte für mehrere Augenblicke zwischen Großmutter und Enkelin. Sie rutschten beide unruhig auf dem Bett herum, auf dem sie beide saßen. Schließlich ergriff Zarra das Wort.
„Ich wollte dir kein Sorgen bereiten, Oma. Ich war dabei die Herzbeer-Tinktur fertigzustellen, als mir auffiel, dass wir kein Wasser mehr hatten“, sie hielt kurz inne und schaute Nerea aus dem Augenwinkel an, die geduldig darauf wartete, dass die junge Frau ihre Seite der Geschichte erzählte, „Ich habe mir dann unsere Eimer gegriffen und bin runter zur Sumpflilie gegangen. Allerdings konnte ich nicht gut sehen, da der Stapel mir die Sicht versperrte.“
Erneut stockte sie und ließ sich etwas Zeit, bevor sie den nächsten Teil erzählte, da sie bereits wieder spürte, wie Unbehagen nach ihrem Herz griff.
„Die beiden Jäger…“
„Roan und Koran“, half die Kräuterfrau nach.
„Genau…sie sprachen mich an, als ich auf dem Weg nach unten war, was mich so erschreckt hat, dass ich eine der Stufen verpasste. Einer der beiden fing mich auf, sodass mir nichts passiert ist.“
Dies war wohl der Kern des Problems, das zwischen ihnen entstanden war. Für den Moment wollte Zarra es dabei belassen, denn sie spürte, wie sich ihre Oma verspannte, bereit etwas zum Gespräch beizutragen. Die Alte seufzte schwer, ehe sie ihre Hände im Schoß faltete.
„Zarra“, begann sie mit einer Stimme, die noch immer zwischen verschiedenen Gefühlen hin- und hergerissen schien, „Ich weiß, dass du es gut gemeint hast. Aber es war leichtsinnig, was du getan hast. Und auch, dass du so Probleme damit hast mit den anderen Mitgliedern unseres Volkes zu sprechen, besorgt mich. Wärst du gefallen, wenn Roan und Koran nicht dort gewesen wären und dich angesprochen hätten? Vielleicht nicht, aber wenn doch wäre niemand da gewesen, der dich aufgefangen hätte. Das Leben in dieser Gemeinschaft ist wie ein Bienenstock. Jeder hat seine Aufgaben und trägt dazu bei, dass wir als Volk voranschreiten können. Wir helfen einander und sind füreinander da, wenn man mal nicht weiterweiß. Es ist wichtig, dass du dich integrierst, deinen Platz unter uns findest, verstehst du?“
Wieder kehrte das Schweigen zurück, was den Raum zu füllen schien. Vom Fenster drangen Geräusche herein, die an ein leises Summen dutzender Stimmen erinnerte. Die Worte ihrer Großmutter brachten die Weißhaarige zum Nachdenken.
„Ich habe kurz mit Bud und Terrence gesprochen, ganz ohne Stottern und Rotwerden!“, warf sie schließlich mit einem leichten Grinsen ein, als sie an das Hochgefühl dachte, was die Interaktion ihr eingebracht hatte.
Nerea lächelte daraufhin und ein Teil der Anspannung, die ihr faltiges Gesicht noch älter hatte wirken lassen, fiel dabei von ihr ab.
„Das ist eine gute Sache, Liebes“, bestärkte sie ihre Enkelin, „doch nur der erste Schritt von vielen.“
Die Worte dämpften Zarras Freude ein wenig, doch wusste sie um die Wahrheit, die hinter ihnen steckte.
„Ich weiß, dass du Recht hast, Oma, aber es fällt mir so schwer in Gegenwart anderer ich selbst zu sein. Was, wenn sie mich nicht mögen? Es wäre so wie damals in Silden, wo die anderen Kinder mich mit diesen befremdlichen Blicken angestarrt haben…“, ihre Stimme verlor mit jeder Silbe an Farbe, bis sie nur aus einer monotonen Note zu bestehen schien.
Das Wiederaufleben ihrer Kindheit trübte ihre Stimmung mehr noch als der Streit mit ihrer Vorfahrin, was sich in ihrem Gesicht deutlich widerspiegelt
„Jeder Mensch ist verschieden, Kleines. Wenn du einen triffst, der dich um deiner selbst willen nicht leiden kann, dann ignoriere ihn, sofern du kannst. Lass dir nicht von anderen diktieren, wie du zu sein hast.“
Der gut gemeinte Rat fand keinen Anklang bei der Jugendlichen. Wie sollte sie mit Missachtung anderer umgehen? Sie konnte sie nicht einfach ignorieren, wollte niemandem eine Bürde sein, so wie sie es heute für Roan, Koran und ihre eigene Oma gewesen war. Doch sie konnte nicht aus ihrer eigenen Haut schlüpfen wie die Raupen eines Schmetterlings es taten.
Die Geräusche von draußen wurden lauter und langsam störte sich Zarra daran, sagte jedoch nichts dazu.
„Es scheint wohl einen geselligen Abend in der Lilie zu geben“, bemerkte Nerea mit einem erinnerungsschweren Lächeln.
Fragend blickte die Enkelin ihre Großmutter an.
„Wie kommt du darauf?“
„Nun, die Geräusche klingen doch schon sehr nach einer Nacht voll Ausgelassenheit. Etwas, was wir seit langer Zeit durchaus mal wieder vertragen können“, einer kurzen Pause folgten Worte, die der Weißhaarigen einen Schauer über den Rücken jagten, „Ich hätte da eine Idee. Geh doch bitte runter und schau, was in der Sumpflilie vor sich geht. Ich habe da so eine Vermutung, dass wir morgen einige Tinkturen gegen Kopf- und Gliederschmerzen brauchen werden.“
„Muss das sein? Ich kann diese doofen Treppen heute nicht mehr sehen!“, stöhnte Zarra und verdrehte die Augen.
„Tu es für mich Liebes, aber sei vorsichtig. Und wenn du schon dort bist, versuch doch mit dem ein oder anderen ins Gespräch zu kommen“, schlug die Alte lächelnd vor und übermittelte wieder einmal, dass Widerworte keinen Zweck hatten.
So lustlos sie sich geben konnte, wechselte die junge Frau ihr besudeltes Kleid gegen ein frisches aus, warf sich den Umhang über die Schultern und machte sich schließlich mit schweren Schritten auf den Weg.
„Bis gleich, Oma“, verabschiedete sie sich mit einem Unterton, der ihren Missmut übermittelte, bekam jedoch nur ein Glucksen als Antwort.
Geändert von Zarra (03.03.2024 um 01:35 Uhr)
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Bud und Terrence hatten schon vieles in ihrem Leben gesehen.
Hatten viel erlebt – manches zum Lachen, manches zum Weinen, manches, das man lieber vergaß und einiges auch, das einen in den Träumen verfolgte und den Schweiß auf die Stirn trieb.
Jedoch gab es eine Tatsache, die Terrence immer wieder verwunderte (Tatsächlich wunderte auch Bud sich drüber, aber natürlich sprachen sie niemals darüber, weil das hieße, sie müssten über ihr Innenleben reden und das tat man als waschechter Bud und als waschechter Terrence nicht!):
Ihr astreines Gespür, wenn es irgendwo eine Keilerei gab. Terrence konnte nicht sagen, was genau es war – Die Geräusche von knackenden Knochen und zersplitterndem Holz? Die mögliche Gefahr, dass jemand bedroht wurde? Der Nervenkitzel, den eine ordentliche Klatscherei mit sich brachte? – aber immer, wenn so etwas im Gange war, stellten sich seine (und auch Buds!) Nackenhaare auf eine ganz besondere Art und Weise auf. Dann genügte ein Blick, ein schelmisches Grinsen von Terrence und ein Knurren von Bud, und sie zogen los zum Unruheherd.
So auch dieses Mal. Obwohl sie, nachdem sie Vareesa und Ronja an der Hütte geholfen hatten, noch nicht lange auf ihrem Wachposten am Tor gestanden hatten, setzten sie sich sofort in Bewegung, als sie den Ruf vernahmen.
Dabei war Terrence gerade noch für einen Augenblick sicher gewesen, den Hauptmann, die Rote Snapperin und den Dicken mit dem Bart, der vielleicht Bud ein bisschen Konkurrenz hätte machen können – in Bärtigkeit und in Leibesfülle –, zwischen den Bäumen auf dem Steg gesehen zu haben. Aber dafür war nun keine Zeit. Es galt anscheinend Backpfeifen und Schellen in der Sumpflilie zu verteilen, doch zunächst mussten sie sich einen Überblick verschaffen.
Sie traten in Hooquas Etablissement und der Duft von Sumpfkraut und gebratenem Moleratfleisch schlug ihnen entgegen, als Terrence einfiel, dass Vareesa und Ronja versprochen hatten, ihnen etwas zu essen mitzubringen. Doch er hatte keine weitere Zeit, darüber nachzudenken, als sie sofort Hooquas wütenden Schrei irgendwo aus der Menschenmenge vernahmen:
„Bud, Terrence! Shakes macht Stunk, gleich nehmen mir alle die Lilie auseinander!“
Bud brummte und schon kam ihnen der gnadenlos betrunkene Shakes entgegen getaumelt.
Terrence legte seinen Arm um ihn und lächelte ihn spitzbübisch an.
„Na, mein Bester!“, sagte er über den Lärm hinweg.
Shakes grinste grenzdebil zurück und Terrence schüttelte den Kopf:
„Aber, aber, du weißt doch, dass die Mama ihr Wohnzimmer ordentlich will. Und dass der Papa sauer wird, wenn du ohne ihn anfängst!“
„Ichhabnischangefangennisch, s’war die Schla-Schlam-Schala … die da drüben!“, sagte Shakes plötzlich unwirsch und fing an, um sich zu schlagen. Terrence nahm sofort Abstand. Wäre es nicht dermaßen laut gewesen, hätte man Buds Knurren gehört. Er trat an Shakes heran und zimmerte ihm ohne Vorwarnung mit der Faust von oben eine auf den Kopf. Shakes Augen wanderten nach innen und er sank zu Boden. Bud und Terrence schritten weiter und versuchten erneut sich ein Bild zu machen. Denn auch, wenn Shakes jetzt aus dem Rennen war, ging es hier immer noch hoch her.
„Ich setze auf Bud und Terrence!“, krähte es aus einer Ecke. Bud zog ein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen, während Terrence plötzlich einem Angriff ausweichen musste. So viele neue Gesichter, die die beiden offensichtlich noch nicht kannten! Es blitzte in Terrence‘ Augen. Da entdeckte er in einer Ecke an einer Wand Ronja und Vareesa. Strahlend winkte er ihnen zu und entging nur mit einem Ducken einem plötzlichen Seitenschwinger. Dann ließ er seine eigene Faust nach vorne schnellen, um den Angreifer die Lichter auszupusten. Da kam schon wieder einer, diesmal auf Bud zugerannt, und wollte ihm links, rechts eine verpassen. Doch mit der Grazie eines Molerats fing der Bärtige die Schläge ab und drückte die Fäuste nach unten. Der Angreifer sah seinen Händen hinterher, blickte wieder erstaunt zu Bud und fing sich dann zwei saubere Faustschläge direkt auf die Nase ein, die ihn zurücktaumeln ließen.
Terrence hatte sich inzwischen zur Mama Hooqua vorgearbeitet und wollte sich bei einem Schluck Bier nach der Lage erkunden, als er von hinten angerempelt wurde. Das Bier war verschüttet und griesgrämig drehte Terrence sich um, als eine Faust auf sein Gesicht zu schnellte. Er wich aus und warf dem Angreifer seinen Krug in die Hände. Der Mann warf ihn zurück zu Terrence, der den Krug nun hoch nach oben warf. Als der Kerl dem Gefäß hinterherschaute, landete Terrence’ Faust in seiner Kauleiste.
Auf einmal rannte ein Dicker auf Bud zu und versuchte ihn hochzuheben oder zu quetschen oder was auch immer, es sah am Ende aus wie eine schlecht gemeinte Umarmung. Gnadenlos sauste Buds Faust auf den Kopf seines Gegners und zog ihm einen Scheitel.
Ein Stuhl flog an Terrence‘ Gesicht vorbei, als er nach Bud suchte:
„He, mein Großer, wer ist hier eigentlich gegen wen?“, rief er.
Doch er erhielt keine Antwort mehr, denn mit einem Mal tat sich etwas Ungewöhnliches in der Lilie.
Freiya
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Die Sumpflilie
Es versprach eigentlich ein wirklich schöner Abend in geselligem Beisammensein zu werden. Eigentlich. Als Ornlu sie alle an eine große Tafel zusammengezogen und die Rechnung für alles übernommen hatte, das heute anfiel, hatte Maris sich gern dazu gesellt und es sogar hingenommen, dass Runa sich wilde Geschichten vom Wolfsrudel erzählen ließ. Immerhin konnte er nun sogar noch die ausstehende Rechnung für Ylvas Futter an Ornlu abdrücken - besser konnte es doch kaum laufen!
Doch natürlich musste es immer Einen geben, der die Stimmung versaute und alles im Chaos enden ließ. Als Shakes und die dunkelhäutige Begleiterin von Ronja aneinander gerieten und der zugedröhnte Vollspack es sich nehmen ließ, der resoluten Frau eine mitten auf die Zwölf zu verpassen, brach Beliars Reich über das Etablissement von Mama Hooqua herein. Kopfschüttelnd beobachtete Maris das sich einstellende Unterhaltungsprogramm. Als er Runa im Gedränge erblickte, sprang er auf und wand sich elegant wie eine Katze durch die Menge, um seine Tochter zu sich heranzuholen.
"Beobachte und lerne", sagte er lächelnd zu seiner Ältesten. "Irgendeiner macht immer Ärger, und dann springen alle drauf an. Vorsicht."
Er legte eine Hand auf Runas Kopf und drückte ihn gerade rechtzeitig herunter, um sie aus der Flugbahn eines durch den Schankraum geworfenen Krugs zu befördern.
"Tja, und meistens braucht es nur einen kleinen Funken, um einen Großbrand auszulösen. Die Leute kloppen sich eben einfach gern, das unterhält und baut Stress ab. Aber schau dir an, wer sitzen bleibt."
Maris deutete auf die Frauen neben sich. Ronja und die Grünhaarige, die als Vareesa vorgestellt worden war, hielten sich fein aus dem ganzen Ärger heraus. Und auch Ornlus Gefährten, obschon sie wild und rauflustig wirkten, ließen sich nicht gehen. Auch sie griffen nicht in die Keilerei ein.
"Es gibt die, die den Tanz mitmachen - manche suchen Ärger, manche wollen etwas beweisen und manche haben einfach Spaß dran. Und es gibt die, die Besseres zu tun haben."
In diesem Moment flog die Tür auf und zwei Wächter traten ein - ein ganz massiver Bärtiger und ein verschmitzt dreinblickender schlanker Kerl - denen Maris auch ohne sie zu kennen ansah, dass sie hier gleich mächtig aufräumen würden.
"Oh, und es gibt die, die für Ordnung sorgen müssen. Jetzt wird's interessant."
Einen Moment lang starrte Runa einfach nur mit offenem Mund in die Menge, während der Dicke und der Lange sich in die Menge warfen und sich beide auf ihre Weise durchschlugen. Der Dicke verteilte Schellen mit Händen so groß wie Bratpfannen, dass das Klatschen den ganzen Baum erzittern ließ, und der Lange ließ seine Gegner mit der Gewandtheit eines Luchses verzweifeln. Mama Hooqua stand mit hochrotem Kopf und erhobenem Nudelholz am Rande der Meute und pfiff die Wächter an, doch der Lärm in der Sumpflilie war so groß, dass Maris ihre schneidende Reibeisenstimme nicht einmal hörte. Die rüstige Kneiperin war eine Naturgewalt, aber wenn die ganze Taverne tobte, war auch sie auf verlorenem Posten. An allen Ecken und Enden flogen ausgeschlagene Zähne und geworfene Krüge, knackte Holz und klirrte brechender Ton.
"Paps, die machen doch den ganzen Laden kaputt! Wir müssen doch irgendwas machen!"
"Ja, ja...", murmelte Maris, der sich in der Zwischenzeit ein Messer genommen hatte und vollauf damit beschäftigt war, einen hölzernen Untersetzer mit einer kleinen Schnitzerei zu versehen.
"Papa!", rief Runa empört. "Was machst du denn?"
Maris sah nicht auf, sondern schnitzte emsig weiter. "Ich mache etwas. Hätte die dort ja einfach machen lassen. Aber wenn dir das lieber ist, sorg ich dafür, dass die Hooqua und ihre Helfer hier für Ruhe sorgen können."
Er legte das Messer weg und ließ eine Hand auf der Schnitzerei ruhen. Ein bläulicher Schimmer trat unter seiner Hand aus den geschnitzten Linien. "Ich weiß, du meckerst immer, dass ich dir nie etwas zeige. Jetzt zeig ich dir mal was."
Aus dem leuchtenden Mal stieg ein Hauch hervor, der binnen eines Wimpernschlags eine feste Form annahm. Scheinbar aus dem Nichts erschien inmitten des Schankraums ein stämmiger Geisterlöwe, der drei sich keilende Männer einfach beiseite schob und sich Platz machte, ohne jemanden anzugreifen. Der Löwe reckte den Kopf empor und brüllte so ohrenbetäubend laut, dass ein jeder in der Sumpflilie erstarrte und gebannt auf den Geisterlöwen starrte. Der schüttelte seine Mähne, schritt mit der majestätischen Aura eines dominanten Alphatieres auf Runa zu und verharrte für einen Moment vor ihr. Dann verschwand er genauso schnell, wie er gekommen war.
"Heilige Scheiße...", flüsterte Runa, die immer noch mit offenem Mund auf die Stelle starrte, an der gerade noch der Löwe gestanden hatte.
Maris griff nach dem Untersetzer mit der Schnitzerei und steckte ihn in seine Tasche, gleich zu dem in ein Tuch gepackten Stück verfärbtem Fleisch, das er heimlich von dem Kadaver des Snappers in den Sümpfen abgeschnitten und für spätere Versuche mitgenommen hatte.
"Genau. Und jetzt: Auftritt Hooqua", murmelte er.
Für einen kurzen Moment herrschte völlige Stille in der Sumpflilie - dann brach der Sturm in Form von Mama Hooqua herein.
"IST JETZT ENDLICH MAL RUHE HIER, ODER WAS!?"
Ihr Nudelholz knallte effektvoll auf den Tresen.
"Habt ihr alle den Verstand verloren, mir die Einrichtung zu zerlegen? Und wer hat dieses Geistervieh hier reingelassen?"
Maris grinste vor sich hin. Er hatte Mama Hooqua schon oft genug erlebt, um zu wissen, dass sie noch gar nicht richtig angefangen hatte.
Geändert von Maris (03.03.2024 um 05:07 Uhr)
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Östliche Bucht, Strand von Tooshoo
Der volle Mond stand kalt und hell hoch über Argaan.
Die Nacht war beinahe sternenklar. Der nächtliche Landwind hatte noch kaum eingesetzt.
Rechter Hand schob sich eine felsige flache Spitze wie ein Wellenbrecher in die See und teilte die Bucht. Nicht weit westlich davon konnte sie das Schiffswrack sehen, dass vor der gemächlich heraufziehenden Wolkenfront aus dem Strand gen Himmel aufragte.
Larah steuerte ihr Proa durch die Ausläufer der Wellen. Yared kniete am Bug stets das flacher werdende Wasser unter dem Kiel im Blick. Regelmäßig meldete er ihr, wenn sich größere Felsen, die sich mit ihrem schwarzen und dunkelgrauen Gestein in den Untiefen abzeichneten, Korallen oder Sandbänke zu nah an der Wasseroberfläche befanden und eine Kurskorrektur verlangten.
Es dauerte nicht lange bis sie, ohne Zwischenfälle, das Ufer erreichten. Larah ließ die Proa auf den fast weißen Sand laufen.
Zugleich sprangen sie vom Boot, der Kapitän bereits trockenen Fußes, die Fischjägerin in die letzten Ausläufer der im Mondlicht schillernden und glitzernden Gischt. Gemeinsam, den Schwung des Fahrtwindes noch mitnehmend, zogen sie die Proa unweit der Mündung des Kanals nach Schwarzwasser auf den Strand.
Larah konnte spüren, wie der Drang, der sie gen Tooshoo zog, etwas nachließ und Erleichterung in ihrer Brust Raum gab.
Sie und Yared ließen die Augen über den Küstenabschnitt der östlichen Bucht schweifen, musterten die seichten Dünen, die Böschung, die sich anschließenden Salzwiesen bis hin zu den Mangroven.
Dann trafen sich ihre Blicke für einen Moment. Es war für sie beide lange her, dass sie zuletzt hier einen Fuß an Land gesetzt hatten. Dieser Strand war über die lange Abwesenheit hinweg seltsam vertraut geblieben und doch zugleich auch fremd geworden. Yared schien seltsam ruhig, während ihr Herz kräftig klopfte.
Angekommen waren sie, doch Larah fragte sich, was sie wohl erwarten würde, wenn die Sonne aufging?
Geändert von Larah (03.03.2024 um 04:50 Uhr)
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"Bist du sicher, dass es dir gut geht?"
Ryu hatte nun sicher schon drei mal gefragt und die aufkommende Ungeduld in Freiyas Blick ließ ihn schließlich kapitulieren. "Ich sagte dir doch, es geht mir wieder besser. Außerdem knurrt mir der Magen und ich werde sicher nicht so...", sie deutete mit beiden Händen an der schmutzigen Kleidung die sie trug herab. "... Bei den Heilern aufschlagen.". Ratlos blickte der Templer zu Griffin. Dieser jedoch rieb sich kurz den Bauch und hob recht wenig tangiert die Schultern. "Also, ich könnte auch 'nen Happen vertragen... Bin ja nur noch Haut und Knochen... Und wenn da oben mal Stimmung herrscht, sollte man die doch mitnehmen, mein brummiger Freund. Oder bist du schon wieder voll und ganz Hauptmann und hast vergessen wie man Spaß hat?"
Der Hayabusa runzelte die Stirn. "Spaß? Hrmpf... Wir hatten genug Spaß im Gebirge.". Eine Aussage die von jedem eher hätte ironisch gemeint sein können, aber tatsächlich hatte der Hüter sich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt wie in den letzten Tagen. Und fast schon ein wenig wehmütig blickte er wieder gen Richtung aus der sie gekommen waren. Dann seufzte er und blickte zu Sechet und Djester die sich mit großen Augen umblickten, aber hauptsächlich den noch viel größeren Baum musterten. "Tja, wilkommen in Tooshoo, ihr Felsnattern.", ergriff der Dicke erneut das Wort, während er rückwärts vor der Gruppe ging und die Arme ausbreitete. "Wo die Bäume große sind, der Charme der Männer groß ist, die Bögen groß sind und, äh... Einfach alles großartig ist!"
Nun schaute Freiya zu den beiden. "Ihr solltet auch etwas zu euch nehmen. Die letzten Wochen müssen sehr karg gewesen sein für euch beide.", dabei blieb ihr Blick insbesondere an Sechet hängen die nur verlegen nickte und, wie schon während der ganzen Reise über, immer ihre Hände um den Bauch gelegt hatte. Erneut seufzte der Hüter und nickte dann. "Also gut. Dann gehen wir was essen. Geht heute alles auf mich. Aber danach gehts direkt zu den Heilern - Keine Widerrede!"
Nachdem das nun also geklärt war, näherten sich die Drei dem großen Baum und Ryu ließ nun auch die Blicke schweifen. Da waren sie wieder... Am Ort der vielen Erinnerungen. Aber etwas wirkte anders. Verkehrt und so... Falsch. Die Ruinen waren mittlerweile überwucherter denn je und nahe dem Baum war eine der Hütten offensichtlich unter Restoration gestellt worden? Zumindest wirkten das frisch gedeckte Dach und die erneuerten Bohlen wie ein klares Zeichen dafür. Aber war das nicht... Das konnte nicht sein! "Wasn' das? Zum überspannten Bogen? Pah, die Damen waren echt fleißig!", verlautete der Waffenbruder des Templers überrascht und gleichzeitig stolz. "Drei Damen?", entgegnete der Hauptmann daraufhin kurz und Griffin begann zu erklären, dass hier wohl die alte neue Bognerei entstehen würde. Unter Führung von keiner anderen als Vareesa und Ronja.
Vareesa... Sie was also auch endlich wieder zurückgekehrt? Ihm fiel mit einem mal wieder der Abend ein an dem sie sich verabschiedet hatte. Die junge Bognerin war ihm in der Zeit seit sie zum Waldvolk gestoßen war eine gute Freundin geworden. Einer dieser Menschen, mit denen man viele Abende gemeinsame Gespräche über das Leben und die Herausforderungen die es mit sich brachte führen konnte. Sie hatte oft Rat bei dem Templer gesucht und von ihrem 'Fluch' gesprochen. Gefragt, wie er damit umgegangen wäre. Und Ryu wiederum hatte der Dame mit den grünlichen Strähnen seine ehrliche und offene Meinung gesagt. Ihr angeraten zu lernen und selbst stark genug zu werden, ihre Bürden zu schultern. Das eine tausende male zu üben, statt tausende Dinge einmal zu üben. Die Dinge mit denen sie die Grundlage hatte, diese Gabe zu kontrollieren zu meistern und auf diesem Wege ihren Horizont für neues zu erweitern. Zu nutzen was ihr nutzte und zu verwerfen was ihr nicht nutzte. Und nun war sie wieder hier. Ob sie wohl geschafft hatte wozu sie ausgezogen war? Oder lag es an dem großen, stummen Wächter der das Waldvolk wieder zu sich rief? Ein seltsames Gefühl machte sich in der Brust des Hüters breit. Weder gut noch schlecht. Aber ein Gefühl von Aufbruch und Veränderung.
Dass in so kurzer Zeit offenbar so viel passiert war... Merkwürdig. "Wir sollten sie beizeiten besuchen.", stellte zu aller Überraschung Djester schließlich fest und lächelte schüchtern bevor Sechet zustimmte, ihrerseits aber wesentlich sanfter drein blickte und ihm die Hand auf die Schulter legte. "Sie ist die Zofe der großen Schlange. Wenn sie nicht weiß, was nun aus unserer Sippe wird, dann weiß ich auch nicht."
Der Hüter nickte, setzte dann jedoch an weiter zu gehen und die anderen folgten. Schon beriets beim Nähern an den großen Aufgang war von weiter oben lautes Getöse zu hören. Jubeln, Lachen, aber auch Geschrei und Gezeter. Knackendes Holz, eine wütende Hooqua und die so charakteristischen 'Patsch'-Geräusche der zwei außer Rand und Band geratenen Wächter. Dann sorgten Bud und Terrence also gerade für Ordnung. Interessant! Der Hayabusa hatte kaum noch eine Erinnerung daran, wann es das letzte mal so gekracht hatte. Also musste dort oben wirklich etwas los sein. Und, als die Gruppe den großen Baum betrat und sich dem Rundweg hinauf zur Taverne begab, kam ihnen auch schon der erste Zecher entgegen. Seinen Kopf vor Schmerzen haltend, konnte der Templer direkt erkennen, dass es eine der 'Wohlfühlzonen' von Mama Hooquas Nudelholz geschuldet war, dass es dem armen Teufel so mies erging.
Und dann schließlich, standen sie im Eingang zur Sumpflilie und Ryu konnte seinen Augen nicht trauen, als er den ersten Blick in den Schankraum warf. Es war nicht das zerstörte Mobiliar. Nicht die verschütteten Getränke oder das Essen, welches im Raum verteilt lag und hing. Es waren all die Gesichter, die ihn urplötzlich anblickten. Ob wütend oder heiter. Erstaunt oder erleichtert. "Kneif mich.", gab der Hüter mit leicht offenem Munde an Freiya weiter, ohne auch nur einen Moment lang die Wyvern beseelten Augen abzuwenden. "Was?", entgegnete Freiya und der Templer wiederholte die Frage. Dieses mal jedoch folgte sie ihm und ein stechender Schmerz folgte kurz darauf an seinem Oberarm und... Er erwachte nicht. Der Hüter war wach und im Vollbesitz seiner Sinne. Er lag nicht fiebrig in den Ruinen unterhalb des Weißaugengebirges. War nicht gestorben im Kampf gegen die schwarzblütige Bestie Odo. Er war hier. Auf Tooshoo. Umringt von all den Menschen, die...
Da waren Ornlu, sein alter Freund und Schüler. Vareesa, die gute Freundin und Bognerin. Griffin stand an seiner Seite und selbst Chala, eine Frau mit der er den ein oder anderen gemeinsamen, intimen Moment geteilt hatte, wenn auch etwas ramponiert, konnte der Hüter in der Menge erkennen. Dann waren da Bud, Terrence, Shakes, die Mama und noch viele andere. Neue wie alte Gesichter. Ronja, die ihn aus den Gebüschen heraus nachgestellt war. Und sogar... Ja war es denn möglich? War das Maris? Was war das hier? Eine Intervention? Ein schlechter Traum konnte es wohl kaum sein. Etwas zog sich maßgeblich im Magen des Schwertmeisters zusammen und sein Atem stockte für den Augenblick. Warum waren sie alle wieder hier? Ein Gefühl der Überwältigung drohte, ihn zu ergreifen, als Griffins Hand auf seiner Schulter ihn jedoch wieder ins Hier und Jetzt zurück brachte. "Wie wärs, Hauptmann? Ein paar Worte um Ordnung zu schaffen?"
Ryu nickte bedächtig. Er würde das ganze später für sich sortieren, doch nun galt es erst einmal, einen Überblick zu bekommen, was eigentlich los war. Dort standen drei der Kumpanen Ornlus die einigermaßen, gemeinsam mit Bud und Terrence für Ordnung sorgten und einige Unruhestifter am Kragen hielten, darunter auch den kleineren, Kalad. Sie hielten die Prügelknaben teils am Kragen, teils im Schwitzkasten. Dann war da der wölfische Blick Ornlus, der auf dem am anderen Ende des Raumes stehenden Shakes lag. Dieser wiederum blickte nur betreten zu Boden, wirkte jedoch mit dem hochroten Kopf auch noch eher vom Zorn gepackt statt einsichtig. Und dann war da noch die Hausherrin selbst, die den Kopf leicht neigte und die Lippen spitzte, als verkneife sie sich gerade den Urzorn ihrer eigenen Naturgewalt. Den Hauptmann auffordernd, etwas zu sagen.
Dann trat er in die Mitte des Raumes und schaute sich erneut um. "Meine Abwesenheit scheint wohl ein echter Grund zum Feiern zu sein, hm? So sehr, dass ihr den Baum auf den Kopf stellen wollt?"
Betretenes Schweigen kehrte in den Raum ein, als der Hayabusa jeden einzelnen mit einem entsprechenden Blick bedachte. "Taucht alle einfach auf, als hättet ihr nur darauf gewartet, bis ich den Sumpf verlasse. Habt ja echt Nerven, mir so in den Rücken zu fallen... Aber ich sag euch eins: Wer feiert kann auch aufräumen. Und genau DAS passiert hier jetzt. Am besten schon gestern, verstanden!? Wenn auch nur einer mit dem Gedanken spielt, sich zu verpissen, setzt es was. Und damit mein' ich nicht nur Latrinendienst! Also auf! Auf! Packt den kaputten Kram beiseite. Was nicht zu retten ist wird zu Feuerholz. Wenn ihr euch unsicher seid, packt die Sachen beiseite. Aber so, dass sie nicht im Weg rumstehen. Die Schuldigen treten morgen bei mir in der Kommandantur vor, damit ich euch in den Arsch treten und für den Schadensersatz verantwortlich machen kann. Und wer sich drücken will: Ich finde euch. Und noch schlimmer: Die Hooqua wird euch finden. Also denkt nicht einmal daran, euch zu drücken.", dabei ging sein Blick einmal durch die Runde all jener deren Beteiligung er vermutete, bis er schließlich zu Shakes herüber ging und ihn an der Schulter packte. Allein an Ornlus Blick hatte der Templer schon erahnen können, dass der abgestürzte Mann, der soviel verloren hatte vermutlich ein Auslöser der ganzen Situation war. "Hör mal, ich weiß, dass es dir beschissen geht, aber das kann so nicht weitergehen."
Nun wandte er den Blick über die Schulter zu allen Anwesenden. Die ersten hatten sich bereits daran gemacht, die Dinge aufzuheben. Mama Hooqua indessen gab Besen und Handfeger heraus. "Schiebt ein paar Tische zusammen wenn wieder Ordnung herrscht.", dann schaute er wieder zu Shakes. "Wäre schön, wenn du uns gleich Gesellschaft leistest.", dann wandte er sich nun wieder völlig zu den Anwesenden und verschränkte die Arme. Eine Idee keimte in dem Templer auf und er begann sachte zu lächeln. "Wenn ihr so sehr feiern wollt, dann dann gebe ich euch einen Grund! Wir sind das Waldvolk. Wir wandern seit jeher durch die Welt und heute, nach all den Jahren in denen ich dachte, wir würden so nicht mehr beisammen sitzen, sollten wir genau das tun: Feiern wir nicht die Abwesenheit derer, die heute nicht hier sind. Zeigen wir, vor allem denen, die noch nicht so lange hier sind, wer wir sind. Feiern wir heute, nach all den Jahren in denen wir zerstreut waren unsere kleine Familienzusammenkunft."
Und dann begann es: Vareesa und Ronja standen auf und gingen rüber zur Tavernenbesitzerin. Bereit, ihr in der Küche zu helfen. Griffin, an Ryus Seite lachte auf und hielt sich dabei den runden Bauch. "Gut gebrüllt, Hauptmann!". Und, vielleicht irrte er sich, aber auch Freiya warf ihm einen sanften Blick zu, während Ornlu hingegen grimmig und dann doch mit einem leichten Grinsen in Richtung seines Freundes nickte. Und auch der sonst so brütende Ausdruck im Gesicht des Hayabusa erweichte im nächsten Moment. Wenn das hier ein Traum war... Dann würde er ihn inmitten seiner Lieben genießen bis man ihn weckte...
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Am Eingang des Baums
Einer der Wächter am Eingang des Baumes reagierte auf Zeichen, die von einem Kameraden weiter entfernt auf den Stegen der Reste Schwarzwassers gegeben wurde. Sie beobachteten eine Gestalt, die lachend und weinend den Weg entlang ging. Zielgerichtet, wohlwissend, wohin er zu gehen hatte. Deswegen hatten sie ihn nicht sofort aufgehalten. Dazu war er unbewaffnet. Im besten Falle ein betrunkener Chaot wie der Schöne Val vor einigen Monden, im schlechtesten Falle jemand, der keine Waffen brauchte, um zur Gefahr zu werden.
Kiyan ging weiter, stolperte vielmehr und kämpfte gegen den tobenden Wirbelsturm in seinem Geist an. Stimmen längst Verstorbener, von Menschen, denen er auf seinen Reisen nur kurz begegnet war oder die er schon ewig gekannt hatte. Barenzia, der die Messer zur Folter wetzte, der ältere Calveit-Bruder, der mal verkohlt neben ihm einherschritt, dann wieder in all seiner ernsten Pracht, dem Vater ähnlicher als Kiyan es je gewesen ist.
Im Hintergrund war das tiefe Lachen des Schmarotzers (oder des Orkgeistes?) zu hören, der an seiner Essenz saugte wie ein Egel, direkt aus Beliars Reich. Ein lautes Räuspern, ein Ausruf … sein Name?
„He, du bist doch Kiyan, oder?“, rief jemand vor ihm. Der Gortharer schüttelte den Kopf, schlug sich mit beiden Händen dagegen, um Stimmen und Bilder zum Verstummen zu bringen. „Götter, wie siehst du aus … He, Pedro! Komm her, verdammt nochmal! Das ist Kiyan, der damals mit Val auftauchte! Herics Aufpasser!“
Schnell eilten weitere Wächter heran. Ein Teil Kiyans fragte sich, warum am Eingang des Baumes mehr Wächter unterwegs waren als noch vor einigen Monden. War etwas im Gange? Der Sumpf im Aufruhr?
„Scheiße!“, jemand packte Kiyan, der einen Moment ernsthaft überlegte, Krallen und Zähne in den anderen Wächter zu schlagen und seine Kehle zu zerreißen wie dünnes Pergament. „Der glüht wie die Libido von Meister Ornlu!“
„Pedro verdammt, der Kerl ist in der Lilie. Da oben scheint ein verdammtes Volksfest zu sein! Also halt die Klappe, bevor der herunterkommt und dich mit seinem Stab windelweich prügelt!“ Irgendjemand kicherte kindisch darüber, ehe eine herrische Stimme für Ordnung sorgte.
„Ich kümmere mich um ihn“, knurrte jemand. Jemand, den Kiyan kannte. Er bleckte die Zähne wie ein Bluthund.
„Noch ein Toter“, säuselte er, „Kral der Orkjäger. Ein weiterer Geist, der mich heimsucht? Götter, elender orak, du fährst aber alles auf, was du hast, nicht wahr?“
„Hat Kiyan Fieber?“, fragte der Wächter, der ihn immer noch hielt. „Er sieht verflucht krank aus.“
„Ich bin gesund“, antwortete er grinsend, „Ihr seid die Kranken. Das sieht doch sogar ein Einäugiger!“
„Bei Adanos“ – der Wächter lüftete das Stoffband – „sein Auge!“
„Ich sagte, ich kümmere mich um ihn.“ Ein kräftiger Kerl mit rabenschwarzen Haaren und gleichfarbenem Vollbart schob den Kameraden zur Seite. Es war wahrhaftig Kral. Der Hund, der ihn im Gebirge zurückgelassen hatte. Kein Geist, kein verdammter Geist. Er lebte. Er …
Mehrmals blinzelte der Gortharer, wurde sich seines Gestanks bewusst, der Tatsache, dass er vor den Wächtern stand, als würde er sie gleich anfallen wollen. Kral befand sich direkt vor ihm.
„Verzeih, Kiyan“, sprach er langsam und ehrlich betroffen, „Lass mich dir helfen.“
Der Wächter sah ihn lange an. Der Anblick des Speerausbilders ließ den Wirbelsturm zur Ruhe kommen. Das Lachen verklang in der Ferne, vorerst. Die Augen Kiyans verloren etwas von ihrem fiebrigen Glanz.
„Nicht wahnsinnig“, murmelte er, „noch nicht ganz.“
Kral packte ihn nicht unsanft am Arm. „Los, ich bringe dich zur Unterkunft. Wir … ich … Dort werden wir in Ruhe reden.“
Geändert von Kiyan (03.03.2024 um 12:32 Uhr)
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Unterkunft der Wächter
Schweigend hatte Kral den Gortharer zur Unterkunft der Wächter geführt. Schnell waren ein paar saubere Kleidungsstücke der Truppe zusammengesammelt und über einen Stuhl geworfen worden. Dann hatte der Speerkämpfer sich bemüht, einen Zuber mit Wasser zu füllen, damit sich jüngere Mann waschen konnte.
„Ich besorge dir was zu beißen, Kiyan“, hatte er dann gesagt und war zuerst einmal verschwunden.
Einige Minuten stand der Wächter nur da und blickte stumpf auf das Wasser in dem Behälter, sah zur Kleidung und schüttelte langsam den Kopf. War das alles echt? Oder schlängelte sich dieser Schmarotzer durch seine Gehirnwindungen und erdachte sich abartig reale Scheinbilder? Er seufzte. Was auch immer es war, er brauchte ein Bad. Wenn es echt war, gut. Wenn nicht, war es auch egal. Also entledigte er sich seiner Kleidung und besah sich den geschundenen Leib. Peitschennarben, hier und da feine Striche, die von Barenzias Folter kündeten. Der Wächter nahm die Binde ab, die das rechte Auge verhüllte, befühlte die wulstige Narbe und war insgeheim froh, dass sich dort nichts entzündet hatte.
Dann trat er vor den Zuber, ging auf die Knie und tauchte in einer raschen Bewegung den Kopf hinein. Es war kalt, so wie zu dieser Jahreszeit zu erwarten. Aber erfrischend, belebend. Klarheit kehrte zurück, mehr und mehr mit jedem Herzschlag, den sein Kopf Wasser war.
Irgendwann riss er ihn hinaus, keuchte mehrmals, holte tief Luft.
Noch nicht ganz wahnsinnig, nicht ganz …
- Wenn du …Nicht! Wahnsinnig!
Kiyan stieg in den Bottich, säuberte sich mit einer harten Bürste und genoss das Gefühl, Schweiß und Dreck abzuwaschen. Ihm war, als würde er alles, was die letzten Monde passiert war, hinfort spülen. Bis auf den schlängelnden Schmarotzer. Der würde eine größere Bürste erfordern. Vielleicht einen der Druiden? Hatten die Wächter nicht von Ornlu gesprochen, der unter seinesgleichen und im Waldvolk als Legende galt?
„Entweder wird er dieses Ding vertreiben können … oder mir sagen, dass ich mich möglichst heroisch von einem Schattenläufer verspeisen lassen soll, weil’s keine Heilung gibt.“ Kiyan lachte kurz auf. „Dann müsste sich das Biest damit rumschlagen.“
Der Wächter schrubbte sich noch, bis das Wasser im Bottich schmutzigbraun war. Dann erhob er sich, trocknete sich ab, kleidete sich in die gewohnte lederne Kleidung der Wächter von Tooshoo und machte sich auf zu der Ecke der Unterkunft, in der seine Habe lagen. Der orkische Speer lehnte noch da, wo er ihn gelassen hatte. In einer Kiste fand er den Umhang aus Wargfell.
Ohne deine Hilfe, Kral, dachte er bitter. Jemand räusperte sich in seinem Rücken. Kiyan reagierte nicht, legte den Umhang an und genoss das Gefühl der sauberen Kleidung auf seiner vom Schrubben wunden Haut, die Wärme des Umhangs. Erst als er den Speer packte, wandte er sich um.
„Sei froh, dass ich dich nicht auf der Stelle töte, Kral.“, grollte er, „Verdient hättest du es tausendfach. Und ich gebe zu: Anfangs hätte ich dich auch gar nicht gewarnt, sondern dich einfach erschlagen oder erstochen und dann in eine verdammte Grube geschmissen, um dich dort verrotten zu lassen.“
„Ich …“
„Mich interessiert nicht, was du sagen willst!“, herrschte Kiyan ihn an. Nun brannte kein Fieberglanz im Auge, sondern hellblaues, wütendes Feuer. „Ich dachte du seist tot. Ich dachte, du wärst ein Verräter. Nein, verdammt, für mich bist du ein Verräter. Wir sind Kameraden gewesen, Kral, und ich dachte so etwas wie Freunde …“
Enttäuscht schüttelte Kiyan den Kopf. „Verschwinde. Ich danke dir für deine Hilfe, dafür, dass du dein Wissen mit mir geteilt hast … aber gehe mir aus den Augen!“
Der andere Wächter stand da, das Gesicht verhärtet. „Was hast du vor?“
„Irgendjemand scheint dich wieder unter die Wächter gelassen zu haben. Irgendjemand scheint deine Abwesenheit trotz meines Berichtes über dein Verschwinden … akzeptiert zu haben. Ich kann das nicht. Welche Gründe du auch immer hattest, Kral, geht mich nichts an. Aber an deiner Seite wachen und kämpfen, kann ich nicht mehr.“ Er hob den Speer an. „Zum Glück, weiß ich hiermit umzugehen und zu jagen! Vielleicht ist dieser Weg der richtige …“
„Jäger werden? Kiyan, als ob du die Welt da draußen-“
Der Speer flog zur Seite, als Kiyan sich auf Kral stürzte, ihn zu Boden warf und ihm den Unterarm auf die Kehle presste. „Du sprichst besser nie wieder davon, dass ich die Welt da draußen nicht kenne. Dass ich nur der beschissene Städter bin, der über Umwege Teil des Waldvolkes geworden ist. Betrachte mich nicht als gelangweilten, weichen Bürger, der hier nur ein paar Abenteuer erleben möchte!“ Kiyan verstärkte den Druck, wünschte sich einen Augenblick den Mut herbei, Kral zu töten. Im gleichen Moment schreckte er vor dem Gedanken zurück, erhob sich und trat von dem liegenden Mann weg, der sich den Hals rieb.
„Ich habe dort draußen mehr Abgründe gesehen als du, Kral. Dinge getan, gegen die dein kleiner Verrat … wie ein Sandkorn im Vergleich zur Wüste ist. Ich werde den Jagmeister aufsuchen und um Aufnahme bitten. Der Gedanke, mit jemandem wie dir als Wächter dienen zu müssen … widert mich an.“
Und damit rauschte Kiyan an dem schweigend dastehenden Kral vorbei, den Speer fest in der Hand. Die Mutter des Gortharers schüttelte den Kopf, während sie neben ihm herlief.
„Der Mann hat dir geholfen, hat dich unter seine Fittiche genommen … und so dankst du es ihm? Du wolltest ihn umbringen, Kiyan! Wahrlich, du bist verloren, völlig verloren.“
„Ach Mutter“, gluckste er und blinzelte sie mit einem kalten Grinsen an, „du hast wie immer recht.“
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Sumpflilie
“Gut gebrüllt Löwe.”,wisperte Ornlu Maris zu und klopfte diesem auf die Schulter. Sein Blick jedoch ging auf Shakes. Den Urheber dieses Chaos. Es war nicht die Streitigkeit mit der Dunkelhäutigen. Sowas gab es hier immer und mit verschiedener Intensität. Es war sein Wortbruch gegenüber dem Druiden und im Grunde der Gemeinschaft gepaart mit seiner Verantwortung. Sumpfkraut war wichtig und die Ernte einem unbeherrschten Trinker zu überlassen konnte weitreichende Konsequenzen für alle tragen. Diese Schwäche schwächte die Gemeinschaft.
Die aufkeimende Scham, Wut und tiefer sitzende Schuldgefühle in Shakes waren ihm anzusehen und widerten Ornlu an.
Es war ein Moment wo sich ihre Blicke trafen, damit Shakes in seinem Bann war. Ein weiterer Moment um ein mörderisches Knurren in seinem Geist erklingen zu lassen. Einen Schatten vor seinem inneren Auge erscheinen zu lassen der den Tod bedeutete.
Jetzt diese Scham, Angst und Schuld zu nähren und zu verstärken wäre ein Leichtes. Und leicht wäre er wohl vom Baum gesprungen um es zu beenden.
Doch da war nur diese Wolfsbestie die sich zurück zog, nachdem sie sanft mit den Klauen über Shakes Geist strich, statt zuzupacken und ihn zu zerreißen.
Es brauchte keine Worte um zu drohen.
Es reichte der Blick allein.
“Beim nächsten Thing wird er abgesetzt.”, knurrte Iun.
“Oder verbannt…”, fufügte Okam hinzu, als sich die Lage beruhigt hatte.
Dank eines Mannes mit dem Ornlu so viel verband, dass es unmöglich wäre seinen Kindern nicht von Ryu und ihren vielen Abenteuern zu erzählen.
Der Druide blieb gelassen, als sich alles begann zu regeln und räumte einfach mit auf. Als dann die Tische zusammen kamen und ein gewisser Kern des gesamten Geschehens und weniger die dazu gekommen waren langsam Platz nahmen hatte es irgendwie etwas Gutes für sich.
Mama Hooqua hob hier und da ein paar essbare Dinge auf. Putzte Dreck mit einem Lappen fein weg oder strich ein paar Hähnchenkeulen an der Schürze sauber. Dazu servierte sie den Helfern das was schnell in der Küche zu greifen war und fertig war ein spätes Abendessen in der Sumpflilie. Sie brachte Getränke und setzte sich dazu. Noch angespannt konnte man es ihr nicht verübeln keine Lust darauf zu haben noch zu kochen.
Frejya die von ihr eine Hähnchenkeule vom Boden auf den Teller gelegt bekam, bekam nur ein “Dreck reinigt den Magen und stärkt den Körper”-Blick.
Sie sah ziemlich fertig aus. Wie auch Ryu und - Ornlu hatte fast Pipi in den Augen - Griffin.
Etwas runder und gealtert, aber immer noch ein Gefährte vieler Kämpfe, lustiger Geschichten und Saufgelagen.
Ihn hier zu sehen. Nach so vielen Jahren der Ungewissheit tat genauso gut wie endlich den Hayabusa wieder vor Augen zu haben. Sie wussten ja noch nichts von ihrem Glück.
Ornlu erhob sich und sorgte durch seine Präsenz allein für einkehrende Stille. Viele kannte er gut, manche weniger und andere gar nicht.
“Bewahret! Das sagen wir nicht einfach so. Bewahre sagen wir, um uns daran zu erinnern, wer wir sind. Bewahre deine Familie, bewahre deine Gemeinschaft, bewahre die Natur, bewahre Tooshoo, bewahre unsere kostbare Freiheit, bewahre deinen Gegenüber im Jagdkommando und bewahre die Freundschaften die du geschlossen hast. - Sich dieses einen Wortes zu besinnen trotz unserer Unterschiede, haben das Waldvolk seit Beria der Löwin zusammen halten lassen und das ist über ein Jahrtausend her. Königreiche kamen und gingen. Doch uns gab es immer.
Doch genug der förmlichen Worte! Wir sind alle etwas angespannt und haben Hunger. Es freut mich sehr so manchen Arsch hier wieder zu sehen und wir werden noch Gelegenheit finden viel zu reden. Und ich danke Mama Hooqua die uns hier noch bewirtet. - Ein Sturm steht uns bevor und unsere Heimat ist bedrohter, wie wir uns in dieser Runde es ansatzweise vorstellen können. Ich wollte euch ein wenig darauf einschwören. Jeden der das Mal trägt und zur Wilden Jagd gehört. Heute Abend trinken und speisen wir noch einmal und lassen einen Platz für alle frei die heute nicht da sind oder den der Sturm schon geholt hat...” - der Wolf erhob sich und hielt den Becher hoch - “...auf Onyx Ogerschreck den der korrumpierte Oger geholt hat, als er sein Jagdkommando damit rettete. Auf Kili der vor einer Tempelruine von etwas gepackt wurde. Auf Ganther den wir nur noch in Stücken finden konnten. Auf alle die wir rächen werden! Bewahret!”
“Bewahret!” erklang es und das Essen begann endlich.
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„Ey, habt ihr Jilvie ges- wasn bei euch los?“
Ricklen baute sich vor Bud und Terrence auf, insofern das überhaupt möglich war. Natürlich war er ein stattlicher Kerl, aber die beiden Wächter waren nochmal ne andere Nummer. Ihm lag aber Autorität inne, zumindest war er davon überzeugt, und so betrachtete er die beiden mampfenden Wächter, die ihm gerade von oben entgegen kamen. Terrence grinste vergnügt und biss in ein großes Stück Fleisch, Bud hatte ein noch größeres Stück Fleisch bei sich, sah aber gleichzeitig weniger zufrieden aus.
Ricklen selbst hatte seine Tour mit Fridtjof durch die Sümpfe beendet und war nun auf der Suche nach seiner Frau, um den Abend in der Lilie ausklingen zu lassen. Jilvie war immer noch sehr mitgenommen von der Sache mit Onyx und er hatte ihr versprochen, die Augen besonders offen zu halten, aber er hatte nichts Neues in Erfahrung bringen können.
„Gab ne Keilerei in der Lilie“, erzählte Terrence.
„Was? Ohne MICH?“, entfuhr es dem blonden Jäger.
„Ist schon wieder vorbei“, sagte Terrence und Bud brummte:
„Ich hatte mich gerade aufgewärmt, als einer nen scheiß Löwen losgelassen hatte –“
„Löwengeist!“, warf Terrence ein.
„Mir egal, und wenns der König von den Rotröcken gewesen wäre … Danach war die Hooqua gerade dabei, Ordnung zu machen, da tauchte der Hauptmann plötzlich aus dem Nichts aus.“
„Ach, der ist wieder zurück?“, erwiderte Ricklen. Das war eine gute Neuigkeit. Bei dem ganzen Geschiss, das gerade im Sumpf vor sich ging, brauchten sie jeden guten Mann.
„Ja, hat die Sause auch mit seiner unnachahmlichen spaßigen Art beendet“, knurrte Bud.
Ricklen lachte, das war also das, was Bud die Laune verdorben hatte, obwohl er ein nicht zu verachtetendes Stück Fleisch bei sich hatte.
„Und das ist eure …“
„Bezahlung für unsere Hilfe“, sagte Terrence und grinste sich eins.
„Dann trollt euch, ich schau mal oben vorbei“, verabschiedete Ricklen sich.
Ricklen wandte sich um und ging weiter, als ihm einer in den Weg kam, der aus der Wächterunterkunft kam. Den hatte er noch nie gesehen, oder? Aber verdammt, trug er da ein Wargfell um die Schultern? Na, der traute sich was. Oder hatte er etwa …
„Ey, du da!“, rief Ricklen. Er war halt wortgewandt.
Der Mann wandte sich zu ihm um und Ricklen erschrak kurz, als er in das fahle Gesicht mit nur einem Auge blickte. Das gesunde Auge des Mannes fixierte ihn erst finster, dann hellte seine Miene sich auf.
„Bewahre! Schickes Fell, dass du da trägst!“, bemerkte Ricklen schließlich. „Du bist nicht zufällig der Kerl, von dem der Hauptmann berichtet hat, dass er nen scheiß Warg erledigt hat?“
Freiya
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Zarra hatte es bis zur Sumpflilie geschafft, hatte auf dem Weg dorthin sogar Bud und Terrence getroffen, die riesig Moleratkeulen mit sich führten, als wären es die größten Geschenke des Lebens.
„Hey Kleines“, hatte Terrence sie gegrüßt und ihr zugezwinkert, während sein riesenhafter Partner nur tief gebrummt hatte.
„Hallo“, hatte sie im Vorbeigehen gehaucht, „Was ist in der Lilie los?“
„Jetzt nichts mehr“, war die griesgrämige Antwort Buds gewesen, was der Weißhaarigen ein Stirnrunzeln entlockt hatte.
Den Rest des Wegen hatte sie schnell hinter sich gebracht und stand nun in der Eingangstür der Schenke, wobei sie sich leicht hinter dem Türrahmen versteckte.
“Bewahret! Das sagen wir nicht einfach so. Bewahre sagen wir, um uns daran zu erinnern, wer wir sind. Bewahre deine Familie, bewahre deine Gemeinschaft, bewahre die Natur, bewahre Tooshoo, bewahre unsere kostbare Freiheit, bewahre deinen Gegenüber im Jagdkommando und bewahre die Freundschaften die du geschlossen hast. - Sich dieses einen Wortes zu besinnen trotz unserer Unterschiede, haben das Waldvolk seit Beria der Löwin zusammen halten lassen und das ist über ein Jahrtausend her. Königreiche kamen und gingen. Doch uns gab es immer.“
Gerade noch hörte sie die Worte eines Mannes, den sie bereits mehrere Male in ihrem Leben gesehen hatte.
Der Große Wolf, schoss es durch ihre Gedanken und ein Schauer jagte ihr über den Rücken.
Die Intensität dieses Mannes schüchterte sie bis auf Mark und Knochen ein, ohne dass sie genau beschreiben konnte, was es war, dass sie sich am liebsten kauernd verstecken würde, wenn sie ihm begegnete.
Seine Worte hingegen berührten etwas in ihr, was auch schon ihre Großmutter angedeutet hatte. Die Gemeinschaft, die Familie. Jeder gab Acht auf jeden und jene die aus dem Kreislauf des Lebens gefallen waren, wurden in Ehren gehalten. Erinnerungen, die keine waren, keimten in Zarra auf, an ihre Mutter, ihren Vater. Ein Gefühl der Zerbrechlichkeit griff nach ihrem Sein und ein Schluchzer entfuhr ihr.
„Bewahret“, flüsterte sie nur, ehe sie sich dem Grund ihres Besuchs bei der Lilie entsann.
Alles sträubte sich in ihr, als sie versuchte sich davon zu überzeugen zu der großen Runde zu stoßen, die sich an den Tischen versammelt hatte. Sie entdeckte Gesichter, die sie flüchtig kannte und auch solche, die ihr gänzlich unbekannt waren. Ein Hüne, dessen Körperumfang an den von Bud heranreichte, eine Frau, deren Haar so feuerrot war wie die Blüten der Feuernessel im Hochsommer und der Hauptmann, dem die junge Frau bei Leibe nicht allein über den Weg laufen wollte. Auch ein Mann, dessen eines Auge erblindet zu sein schien und dessen Haar von einem aufwendig gewickelten Stofftuch umschlungen war. Konnten die Heiler ihm nicht sein Augenlicht zurückgeben?
Unabhängig davon sahen einige der Versammelten mitgenommen aus. Blaue Augen und Schwellungen im Gesicht. Aufgeplatzte Lippen einer dunkelhäutigen Frau und das ein oder andere Humpeln war zu sehen. Auch der Einfluss von Alkohol und Sumpfkraut war deutlich zu erkennen. Sie würden ausreichend Tinkturen gegen die Nachwirkungen und Prellungen brauchen, wenn der neue Tag anbrach.
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Wie aus einer Trance erwachte Kiyan, als ihn jemand ansprach. So eindrucksvoll sein Abgang bei den Wächtern gewesen war, hatte er sich nach einigen Minuten des Gehens durch das Innere von Tooshoo – also grundsätzlich baumauf – eingestehen müssen, dass er zum einen gar nicht wusste, wer die Jäger wirklich anführte, noch wo der Meister ebenjener überhaupt zu finden war. Da war es wohl Schicksal, dass ihn scheinbar einer der ihrigen ansprach. Ein blonder Kerl, die Seiten rasiert. Ein gewinnendes Grinsen aufgesetzt, dass aufmuntern wie herausfordern konnte. Kurz schien er zurückzuschrecken, als er Kiyans Gesichtsfarbe und das fehlende Auge bemerkte, dann deutete er auf den Umhang und sprach die Jagd an.
Der Wächter, der keiner mehr sein wollte, strich fast schon sanft über das Fell des Orkhundes, der ihm auch einige nicht mehr so offensichtliche Kerben ins Gesicht geschlagen hatte. Sein erster richtiger Kampf. Sein einziger fairer Kampf.
„Ja“, sprach er langsam, „Ich habe einen scheiß Warg erlegt. Es hätte nicht viel gefehlt, und der scheiß Warg hätte mich erlegt und würde mein Fell als Umhang tragen.“
Der Gortharer sah auf grinste einen Moment trocken. „War ein Orkhund. Eins der miesen Viecher, die von diesen Bestien“ – ihm war, als stäche ihn irgendetwas in den Nacken, sodass er zusammenzuckte – „diesen … wie auch immer, es war ein zähes Biest und hat alles von mir gefordert, was ich mit dem Ding hier draufhabe.“
Der Einäugige hob den Speer an, präsentierte die brutale, feuersteinerne Spitze der Waffe. Ork-Waffenkunst. Nicht schön, das musste er zugeben, aber effizient. Tödlich.
„Wenn du den Hauptmann kennst“, begann Kiyan nach einigem Schweigen, „Dann bist du entweder ein weiterer Wächter … oder jemand, der nicht unter ihm dient. Wie groß ist mein Glück, dass ich zufällig den Jägermeister getroffen habe?“
Er rieb sich das bärtige Kinn. „Andrahir …? Zumindest hatte Heric mal irgendwann einen Andrahir erwähnt, glaube ich … Also … ja. Braucht ihr noch Jäger?“
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Sumpflilie
„Ihr seid wieder daaaaaaaaa!“, jubelte Ronja und war auch schon im nächsten Augenblick bei Freiya, um die Rothaarige in eine schraubstockartige Umarmung zu nehmen. Wie viel Kraft die kleine Jägerin hatte! Es drückte Freiya die Luft weg. Ronja hatte Vareesa am Arm hinter sich hergezogen und war nun vor den drei Ankömmlingen aus dem Gebirge aufgetaucht.
„Habt ihr den Löwen gesehen? Whoa, das war ein Vieh, hab mir fast eingemacht. Frag mich, wo der herkam, war aber nur ein Geist, oder?“, wandte sie sich an Vareesa, die erst nickte und dann etwas erwidern wollte, aber Ronja ließ ihr keine Möglichkeit. Freiya fiel das Brüllen ein, das sie gehört hatten, weswegen Ryu die letzten Schritte zur Sumpflilie im Nullkommanichts überwunden und die Tür geöffnet hatte und sich schließlich das ganze Ausmaß dessen, was gerade los gewesen war, gezeigt hatte.
„Wie lange seid ihr schon da? Seid ihr durch Schwarzwasser durch, habt ihr Vareesas Hütte gesehen? Wir sind gerade bei, sie wieder bewohnbar zu machen“, unterbrach Ronjas Plapperei Freiyas Gedankengänge. „Da steht jetzt auch ein Ofen drin, den haben wir der Hooqua abgeluchst, dann hat uns Kisha ne Trockenkammer dran geschmiedet fürs Holz, zum Trocknen! Sie hat so mit dem Hammer drauf gehauen, bam, bam, das war grandios! Griffin hat auch geholfen, hat er euch das erzählt? Und nun steht er in Vareesas Hütte, die schon ganz gut aussieht, nicht?“
Sie blickte zu Vareesa, die Ronja mit einem leichten Lächeln bedachte und Freiya war sich sicher, dass die blauäugige Frau dasselbe über die kleine Jägerin dachte, wie Freiya selbst.
„Bitte, bitte, sagt, dass ihr euch das mal anschauen kommt!“, sagte Ronja. Griffin war es, der seine Pranke auf die zierliche Schulter des Lockenkopfs legte.
„Das machen wir, oder? Aber lass uns erstmal ankommen!“, sagte er grinsend und Freiya und Ryu nickten.
„Ja, ey, wie seht ihr überhaupt aus?“, sagte Ronja und musterte die drei. „Was’n passiert?“
Doch in dem Moment waren die Tische zusammen gerückt und sie alle nahmen Platz. Freiya blickte sich um und staunte, als sie Jadewolf und Maris erblickte – und bei ihm das junge Mädchen, das sie in ihrer Vision bei Lyrca gesehen hatte! Als sie die beiden Kerle sah, wäre sie gerne in einem Loch versunken, aber leider tat sich gerade keins auf.
Da waren aber auch viele Gesichter, die ihr gar nicht bekannt vorkamen und sie wunderte sich sehr, wie viele Leute in ihrer Abwesenheit hier angekommen waren. Ihr fielen die Männer auf, die Jadewolf umgaben, außerdem sah sie den einen Kerl rumlungern, den sie schonmal vor vielen Nächten hier in der Lilie mit einer wunderschönen jungen Frau zusammen gesehen hatte. Doch von ihr war nichts zu sehen. Stattdessen war da eine dunkelhäutige Fremde mit blutverschmiertem Gesicht, deren Gesichtsausdruck schwer zu deuten war.
Etwas missmutig blickte sie auf die Keule, die Mama Hooqua vom Boden auf ihren Teller platziert hatte. Dann sah sie zu Griffin, dem die Hooqua mit einem ähnlichen Stück Fleisch bedacht hatte. Er zuckte dann mit den Schultern und grinste:
„Besser als Odo, wenn du mich fragst!“
Freiya entwich ein Lächeln, naja, irgendwie hatte er Recht. Sie beobachtete Griffin, der seinen Blick schweifen ließ. Ein Wechselspiel zeigte sich auf seinem Gesicht, da war Unsicherheit gepaart mit vorsichtiger Freude. Kurz schien seine Hand nach etwas greifen zu wollen, einem Krug vielleicht, doch er griff ins Leere. Unsicher strich er sich durchs Haar. Freiya nahm einen Krug Wasser und goss ihm in den Becher ein.
„Du hast gehört, was Ryu gesagt hat, feiern wir eine kleine Familienzusammenkunft. Du gehörst dazu.“
Griffin nahm den Becher und klopfte ihr dankbar auf die Schulter, konnte aber nichts sagen.
Da erhob Jadewolf sich und hielt eine kleine Ansprache. Es waren gar nicht so viele Worte, aber was er sagte, ging unter die Haut. Erst beschwor er die Gemeinschaft herauf, bevor er von einem aufziehenden Sturm sprach. Instinktiv stupste sie Ryu an, der ihr kurz einen bestätigenden Blick zuwarf. Doch dann sprach Jadewolf von denen, die nicht mehr in ihre Mitte finden würden und eigentlich war Freiya bereit gewesen, auf die fast wohlerhaltene Rückkehr der drei anzustoßen, als es sie mitten ins Herz traf, als Jadewolf einen Namen erwähnte: Onyx.
Und nicht nur sie hielt betroffen inne, auch vielen anderen an dieser Tafel schien es so zu gehen. Ronjas und Freiyas Blicke trafen sich, beide sahen sich traurig an.
Onyx war, ebenso wie sie, ein fester Bestandteil von Ricklens Jagdkommando gewesen. Und auch wenn Freiya den schrulligen Kerl schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte, traf es sie sehr. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er nicht mehr da war. Auf dem Rückweg vom Gebirge zum Baum hatte sie noch darüber nachgedacht, ihn zu fragen, ob er ein paar neue Kniffe am Bogen zeigen könnte, denn sie hatte gesehen, zu was Griffin mit dieser Waffe imstande gewesen war.
Schweigsam machte sie sich über ihre Keule her, hatte gleich etwas weniger Appetit als noch zuvor. Nur langsam kamen die Gespräche wieder in Gang. Freiya beugte sich zu Jadewolf rüber:
„Was hat es mit dem Mal auf sich?“, fragte sie, denn das hatte sie aufhorchen lassen.
„Es bedeutet, dass man an der Wilden Jagd teilnehmen muss“, erklärte er. „Egal wer und woher. Alle treibt es nach Tooshoo, weil der große Baum sie zu Jägern bestimmt hat. Selbst die Kleine da …“ – er zeigte kurz auf das Mädchen, das Maris‘ Tochter sein musste – „ ... muss teilnehmen. Die erste Wilde Jagd hier hat uns das gelehrt. Geht es los und du bist nicht da oder haust ab … ist es dein Ende.“
Freiya hörte ihm gebannt zu und hob die Augenbrauen.
Jadewolf nickte: „Ja, damals wurden sie wahnsinnig und fanden ihr Ende. Was dieses Mal passieren wird, weiß ich nicht. Aber so sind die Regeln, denen sich alle beugen müssen. Junge Frau, wie Greis, wie Wolf, wie Drache und … wie die Rote Snapperin.", sagte er und sah sie wissend an. Freiya hatte das Gefühl, dass es ihr augenblicklich wieder am Rücken krabbelte.
„Aber alles zu seiner Zeit, ihr werdet bald noch mehr erfahren“, sagte er schließlich. Nachdenklich lehnte sie sich wieder zurück und schwieg eine Weile. War sie dafür bereit?
Still ließ Freiya ihren Blick wandern und versuchte die nachdenklichen Gedanken beiseitezuschieben. Sie beobachtete die Leute, da waren Sechet und Djeser, die sich bei Vareesa niedergelassen hatten und leise mit ihr sprachen, dabei sahen sich etwas unsicher um. Freiya sah kurz das Gesicht einer jungen Frau mit hellen Haaren im Türrahmen zur Taverne, das verschwand, als sie Blickkontakt aufgenommen hatten, und wurde dann eines Schattens neben sich gewahr. Die Mama schenkte Ryu etwas ein, das ganz eindeutig kein Bier war.
„Was ist das?“, entfuhr es der Roten Snapperin.
„Kirschsaft, Hayabusa lässt es heute krachen“, bemerkte die Mama. Freiya hielt ihren Becher hin:
„Das nehm ich auch.“ Eigentlich war ihr tatsächlich nach einem Bier zumute, aber Griffin saß bei ihnen und aus Solidarität trank sie nicht mit. Auch der Bärtige hielt seinen Becher hin und ließ sich von der Wirtin einschenken.
„Ach, habt ihr euch jetzt sogar beim Trinken oder eher Nichttrinken schon verbrüdert?“, bemerkte die Frau mit dem Nudelholz. Dann wandte sie sich an Freiya: „Na, wie war es im Gebirge mit dem Hauptmann? Hast du doch dein Abenteuer gehabt, was?“
Freiya lief rot an, wusste nicht, was sie antworten sollte, als Griffin das Wort ergriff:
„Klar, war ganz schön heftig. Haben zu dritt ordentlich die Berge zum Wackeln gebracht, so mancher Höhlenteil ist sogar eingestürzt. Hab ich mein Leben noch nicht erlebt, aber war gut. Unser templerischer Freund hier hat es immer noch verdammt drauf und die Rothaarige hier … meine Herren!“
HALT STOPP wollte Freiya rufen. Doch stattdessen wurde ihr Gesicht nur noch röter, sie riss die Augen auf und zog den Stoff ihres Tuches nach oben, um schambehaftet ihr Gesicht zu bedecken. Dabei sank sie immer tiefer. Hooqua dagegen lachte kehlig.
„Ich wusste schon immer, dass tief in dir ein ganz schlimmer Finger steckt“, sagte sie zu Freiya, die sterben wollte. Zu allem Überfluss schaltete sich nun auch noch Jadewolf ein:
„Ganz genau, haben wir ja damals -“
„NEIN!“, bellte Freiya und sah ihn scharf an. „Du hast gesagt … was bei Samhain passiert, bleibt bei Samhain!“, zischte sie. Jadewolf fing ganz langsam an wölfisch zu grinsen, dann nahm er seinen Becher und prostete ihr zu. Ein Stechen erinnerte sie daran, dass sie immer noch Verletzungen an ihrem Körper hatte, die verheilen mussten und plötzliche Bewegungen nicht gut hießen. Sie atmete kurz scharf ein und spürte sofort Ryus strengen Blick auf sich. Sie wagte es gar nicht erst ihn anzuschauen. Aber Jadewolf rettete sie aus der Situation:
„Trotzdem, ihr habt diesen Blick, den man nur hat, wenn man gemeinsam was durchgemacht hat“, sagte er und sein Blick fiel kurz auf die Männer an seiner Seite, die Freiya nicht kannte. „Also, erzählt, meine Freunde, was habt ihr erlebt?“
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Die Sumpflilie
Melford hatte unzählige Hütten und Stege in seiner Zeit beim Waldvolk gebaut und repariert. Es war ein stetiger Kampf mit der Natur und ab und an auch mit den Bewohnern Tooshoos, die es auf teils wahnwitzige Weise immer wieder schafften die Qualität seiner Arbeit auf die Probe zu stellen. In den ersten Jahren war dies durchaus ärgerlich für den Handwerker gewesen, wenn jemand eine frisch eingesetzte Tür eingetreten hatte, oder glaubte einen zweiten Ausgang zu haben. Mittlerweile nahm er es weitaus gelassener. Zum einen gab es so immer ausreichend Arbeit für ihn und zum anderen konnte er dadurch seine Fähigkeiten und Bauweisen immer weiter verfeinern. Mit der Zeit war er sehr gut darin geworden aus den vorhandenen Baustoffen eine doch recht standhafte Behausung zu bauen. Die perfekte waldvolksichere Hütte musste aber trotzdem noch erfunden werden!
In den letzten Wochen, ja fast schon Monaten, hatte sich der Baumeister jedoch mit einem völlig anderen Projekt beschäftigt. Die Abwechslung von seinen gewohnten Aufträgen tat ihm sehr gut und ließ ihn in Erinnerungen an alte Zeiten schwelgen in denen er für die Orks an gewaltigen Projekten wie dem Hafen bei Kap Dun, oder dem Tempel in Faring gearbeitet hatte. Dieses Mal sollte sich sein Bauwerk allerdings mehr in die Tiefe, als in die Höhe erstrecken, ging es ihm schließlich um das errichten einer Fallgrube. Vor etlichen Jahren hatte er eine Version einer Lebendfalle in Beria ausgiebig testen und stetig verbessern können. Das dadurch gesammelte Wissen nutzte er dieses Mal um etwas weitaus größeres am Waldrand von Tooshoo zu schaffen.
Seitdem das Mal des Jägers sich auch bei ihm gezeigt hatte, wusste der Myrtaner, dass er sich der bald beginnenden Jagd auf die ein oder andere Weise stellen musste. Eine riesige Falle war das Beste was ihm dabei in den Sinn gekommen war. Durch einen breiten Eingang würde man sogar größere Bestien in die metertiefe Grube hinunter locken können. Die steilen und teils abgestützten Wände und die an den Seiten aufgereihten Baumstämme würden es der Beute schwer machen zu entfliehen. Das eigentliche Ziel wäre es jedoch durch einen schmalen Tunnel am anderen Ende zu flüchten, die Kreatur damit in die tiefste Stelle zu locken und dann mit einem Mechanismus die großen Stämme zum umfallen zu bringen. Die Last dieser sollte zumindest ausreichen, um es lange genug in Position zu halten bis jemand den tödlichen Stoß setzen konnte. Soweit der Plan des Baumeisters.
Die Arbeiten hatte Melford zu großen Teilen selbst durchgeführt, wollte er während der Zeit des Baus doch so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sein Projekt lenken. Im immer gefährlicher werdenden Sumpf und angrenzenden Wald war es ratsamer unentdeckt zu bleiben und das ging am besten allein.
Erschöpft durch stundenlanges Arbeiten in Matsch und Dreck machte sich Melford auf den Weg zur Sumpflilie um dort noch etwas für den knurrenden Magen zu bekommen. Bereits auf dem Weg dorthin wurde ihm schnell klar, dass irgend etwas nicht so war wie sonst. Zum einen waren da Bud und Terrence gewesen, die er mit ein paar fetten Fleischkeulen auf ihren üblichen Wächterposten hatte zurückkehren sehen. Normalerweise ließen sich die Wächter immer mehr als ausreichend Zeit für ihre Pause, weshalb es äußerst ungewöhnlich war die beiden mit Essen in den Händen wache halten zu sehen. Zudem hallte ein ganz schöner Lärm vom Baum ausgehend über das Gebiet.
Umso näher Melford der Sumpflilie kam, desto eindeutiger wurde es, dass sich in der Kneipe eine ungewöhnlich große Menschenmasse zusammengefunden hatte. Als der Myrtaner die Tür öffnete kam ihm eine dicke Wand entgegen, die stark nach Alkohol, Sumpfkraut, Essen und vor allem Mensch roch. Der Schankraum war so voll wie lange nicht mehr, weshalb er erst einmal am Eingang verweilen musste, um sich einen schnellen Überblick zu verschaffen. Schnell machte er die üblichen Gesichter aus, die man häufig in und um Tooshoo traf. Allerdings waren auch viele dabei, die er nicht gleich zuordnen konnte, oder noch nie gesehen hatte.
„BRETT ZU! ES ZIEHT!“, rief es aus einer Ecke, was die dicke Luft schnell erklärte. "Hier riechts ja schlimmer als in 'ner Goblinhöhle!", gab Melford kurzerhand zurück und öffnete etwas provokant die Tür noch weiter, um hier mal richtig Stoßzulüften. Ein Stück Holz verkeilte er zwischen Tür und Boden, um diese offen zu halten und trat dann mit einem schelmischen Grinsen in den Raum ein. Der Erste dem es zu kalt wurde und sich aufmachte die Tür eigenhändig zu schließen würde wohl oder übel seinen Platz im sichtlich vollen Gelage abgeben müssen. Einen Sitzplatz, den sich der Baumeister dann schnappen würde.
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Ricklen kratzte sich am Kinn.
„Andrahir? Den hab ich ewig nicht mehr gesehen. Den hat’s wahrscheinlich schon vor ner Weile erwischt. Zumindest gilt er als verschollen.“
Dann entfuhr dem blonden Mann ein Seufzen. „Aber ja, grundsätzlich ist er unser Meister der Jäger und wäre die erste Anlaufstelle, wenn du zum Jäger werden willst. Aber da er eben nicht da ist, übernehmen im Moment ich und meine Frau Jilvie vieles davon.“
Er hielt kurz inne und dachte darüber nach, wie viele Nächte er und Jilvie zuletzt genau darüber diskutiert hatten. Und zu welchem Ergebnis sie gekommen waren. Dann aber fixierte sein Blick wieder seinen Gegenüber.
„Ich bin Ricklen, hab mein eigenes Jagdkommando. Mit dem Speer kämpfst du also, hm? Zeig mal!“
Der Fremde reichte Ricklen wortlos seine Waffe.
„Ist ein solides Ding. Gute Waffe, möchte man meinen, wenn du dich damit gegen den Orkhund behaupten konntest.“
Er trug das Wargfell also wirklich zurecht.
„Ich nehme auch am liebsten den Speer. Hab das Gewese um die Fuchtelei mit dem Schwert nie verstanden, aber jedem seine Ticks“, sagte Ricklen und reichte dem Wächter seinen Speer.
Dann musterte er ihn. Der Mann sah mitgenommen aus, eher weniger wie ein Mensch, der stabil mit beiden Beinen im Leben stand. Aber da war einerseits seine Art, wie er sprach, die Ricklen gefiel, und anderseits die Tatsache mit dem Warg. Der Jäger überlegte. Onyx war wahrscheinlich tot, Freiya war im Moment mit Hayabusa unterwegs, würde früher oder später eh den Baum und damit auch sein Kommando verlassen und Ronja machte sich zurzeit auch rar, weil sie beim Aufbau einer Hütte in Schwarzwasser half – total bekloppte Idee, wie Ricklen befand, hatte mit seiner Meinung aber bei Jilvie auf Granit gebissen. Blödes Weibsvolk. Wurden ihm alle abtrünnig. Die eine, weil der Hauptmann bisschen die Muskeln spielen ließ und die andere, weil … weil … ach, bei Ronja brauchte es doch keine Begründung.
Er brauchte also Verstärkung. Männliche Verstärkung, die nicht gleich wegrannte, wenn mal ein vermeintlich gutaussehender Hauptmann oder eine vermeintlich begabte Handwerkerin mit den Finger schnippten.
„Ich hätte noch Platz in meinem Kommando“, sagte er daher schließlich. „Du müsstest als Jäger für mich arbeiten und jeden Tag Sachen erledigen, die ich dir aufgebe. Natürlich würden ich und meine Leute dich ausbilden. Zur Jagd gehört mehr als ein bisschen mit dem Speer wedeln. Das, was wir erlegen, kommt der ganzen Gemeinschaft zugute. Sei es als Nahrung oder als Material. Dafür genießen wir einen besonderen Status. Aber mein Kommando ist eine eingeschworene Truppe, wir verlassen uns blind aufeinander. Du musst also absolute Verlässlichkeit auf vielen verschiedenen Ebenen mitbringen, dann wirst du ein Teil von uns. Kannst du das? Wie heißt du überhaupt?“
Freiya
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Die Sumpflilie
So schnell ihr kleines Handgemenge mit Shakes in eine kapitale Rauferei ausgeartet war, so schnell war sie auch schon wieder vorbei. Nachdem Chala den Trunkenbold quer durch den Schankraum befördert hatte, ein Kunststück, was nicht zuletzt am Zustand des Jägers gelegen hatte, war der nackte Mann aus dem Sack und neben Provokationen wurden auch Fäuste ausgetauscht. Die Aranisaani hatte mit einer Mischung aus Gefühlen das entstandene Chaos beobachtet. Grauen darüber, was sie angerichtet hatte und ihr eventuell später in den hübschen Arsch beißen würde, wenn man sie als Urheber der Schlägerei ernannte. Diebische Freude an eben jenem Chaos und dem Wissen, dass es mitunter definitiv ihr Verdienst war. Rachsucht Shakes gegenüber, der es gewagt hatte ihr die Lippe blutig zu schlagen. Doch all dies brachte sie nicht dazu, weiter in das Geschehen einzugreifen. Viel mehr wich sie geschickt herumgewirbelten Körpern und fliegenden Moleratkeulen aus, hielt sich dabei nahe der Wand, um den Großteil des Raumes im Blick zu haben. Neben geschwungenen Fäusten und geworfenem Mobiliar entdeckte sie auch Dinge, die ihr den Atem raubten. Eine riesige Bestie, die so aussah wie eine muskelbepackte Katze mit schlechter Frisurberatung ließ ein lautstarkes Brüllen los. Die semi-transluzente Form des Tieres löste sich kurz darauf wieder auf, doch hatte der Schankfrau den Moment der Ruhe gebracht, den sie brauchte, um sich Gehör zu verschaffen. Doch ihr Zetern traf erst auf fruchtbaren Boden, als zwei Kerle in die Lilie traten, die Chala am Eingang zu Tooshoo gesehen zu haben glaubte.
Wie ein eingespieltes Duo, das seit Jahren Seite an Seite verbrachte, entledigten sie sich schnell den schlimmsten Raufbolden. Insbesondere Shakes traf die Faust des Hünen mit Wucht, sodass er benommen zu Boden ging. Häme stieg in Vered auf, die sich das Grinsen nicht verkneifen konnte. Auch die Gruppe um den Jadewolf sah sich berufen jene festzunageln, die für beruhigende Worte unempfänglich waren.
Den Schlussstrich unter dieses Kapitel zog jedoch niemand anderes als Ryu.
Ryu!, rief die Dunkelhäutige stumm, als sie den Mann entdeckte, wegen dessen Erinnerung sie überhaupt hergekommen war.
Klare Worte waren es, die er wählte um den Aufruhr zu ersticken und insbesondere Shakes bekam sein Fett weg, wenn auch mit einer gesunden Dosis Verständnis. Chala fühlte ihr Herz einen Schlag aussetzen, als der Blick des Hauptmanns kurz den ihren streifte. Diese Augen!
Die Aufforderung an die Verantwortlichen, sich am nächsten Morgen bei ihm in der Kommandatur zu melden, betraf sie wohl ebenfalls, auch wenn sie streng genommen kein Teil dieser Gemeinschaft und damit außerhalb seiner Befehlsgewalt lag.
Aber wenn er mir das ein oder andere Befehlen würde, wäre ich nicht abgeneigt…, meldete sich eine Stimme tief in ihr, die sie sofort zum Schweigen brachte. Fokus Chala!
Vielleicht würde es ihr wenigstens eine Chance geben allein mit ihm zu reden, denn so wie es in diesem Moment aussah, waren es seine Brüder und Schwestern mit denen er eine Wiederzusammenkunft feiern wollte.
"Wenn ihr so sehr feiern wollt, dann gebe ich euch einen Grund! Wir sind das Waldvolk. Wir wandern seit jeher durch die Welt und heute, nach all den Jahren in denen ich dachte, wir würden so nicht mehr beisammensitzen, sollten wir genau das tun: Feiern wir nicht die Abwesenheit derer, die heute nicht hier sind. Zeigen wir, vor allem denen, die noch nicht so lange hier sind, wer wir sind. Feiern wir heute, nach all den Jahren in denen wir zerstreut waren unsere kleine Familienzusammenkunft."
Nach seinen harten Worten folgten solche, die den Geist dieser Gemeinschaft zum Leben erweckte. Der Schankraum wurde mithilfe vieler Hände rasch provisorisch aufgeräumt. Zerstörtes Mobiliar wurde herausgeschafft und verstreutes Essen aufgeklaubt und ohne Murren verzehrt. Eine große Tafel entstand, an der sich erneut alle einfinden konnten, die den Wunsch verspürten. Eine große Wiedersehensfeier des Waldvolks. Und Chala? Sie stand noch immer etwas am Rand des Geschehens, beobachtete die Neuankömmlinge seit Beginn der Rauferei. Flammend rotes Haar zierte den Kopf einer Frau, deren Gesicht just in diesem Moment ebenso rot anzulaufen schien, als der Jadewolf sich an sie wandte. Neben ihr saß Ryu und auf der anderen Seite ein wahrer Riese, der einen dichten Bart trug und gutmütig aus der Tiefe seines beeindruckenden Bauches lachte. Die Ansammlung der verschiedensten Menschen und doch war es Wärme nicht Zwist, der hier regierte. Die Aranisaani fand keine Worte für das, was sie plötzlich fühlte. Diese Art von Gemeinschaft, zwanglos und freundschaftlich mit lockerer Hierarchie, viel Gelächter und gutem Essen. Was war das?
„Hey Chala! Setz dich endlich zu uns und steh nicht so blöd rum!“, rief plötzlich eine kecke Stimme, die sie nach kurzem Suchen Ronja zuordnen konnte, die ihr herausfordernd entgegengrinste. Neben ihr saß der kleinwüchsige Kalad, der sein Gesicht in einem breiten Krug vergraben hatte und ein deutlich größerer Mann, dessen ungepflegtes Haar graue Strähnen aufwies. Er war muskulös und auffällig ruhig.
Ronjas Einladung hatte schließlich den Stupor durchbrochen, den die Eindrücke in der Dunkelhäutigen ausgelöst hatte. Sie nahm sich einen freien Stuhl und setzte sich neben den schweigsamen Kerl, da sie selbst nicht wirklich in Stimmung war an den Gesprächen teilzunehmen. Viel mehr fühlte sie sich in diesem Moment wie ein Parasit, der sich mitten ins fette Fleisch gesetzt hatte, um sich daran zu laben.
„Shakes hat dir aber ordentlich eine verpasst, was?“, stichelte die Dunkelblonde, welche nebenbei eine auffällig schmutzfreie Fleischkeule durch die Gegend schwang, „Aber deine Reaktion war echt super!“
„Danke…glaube ich“, erwiderte Vered nur und prüfte ihre Lippen mit einem Finger, „Das wird sicher dick über Nacht.“
„Vielleicht, aber irgendwann ist’s auch wieder normal!“
Chala griff nach einem herrenlosen Krug und trank das würzige Kräuterbier.
„Viel besser als das herbe Zeug aus Setariff…“, murmelte sie und warf Ryu unterdessen verstohlene Blicke zu.
Geändert von Chala Vered (04.03.2024 um 00:12 Uhr)
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