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Im südlichen Sumpf, später Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik, Maris
Wie in einer der Geschichten, die Chala so gern las, erhob sich der Sumpf um sie herum zum Unleben. Es war völlig surreal wie die widerwärtige Vettel die Schläge Gloks entgegennahm, als wären sie nichts. Vered konnte sich noch gut darin erinnern, wie sich die Pranken des Ogers um ihren Körper angefühlt hatten und das war, als er zärtlich sein wollte.
Sie sah sich nach ihren Verbündeten um, entdeckte aus ihrer Position aber nur Glaen, der mit aufgerissenen Augen die Toten beobachtete, welche sich aus dem Boden erhoben, während die Alte „Fleisch!“, schrie und ihre Zähne in den Oberarm Gloks trieb, der aufbrüllte.
Unter ihren Füßen begann sich der Morast zu winden und eine knochige Hand, an der vereinzelte Hautfetzen hingen, brach heraus. Erschrocken sprang die Dunkelhäutige zur Seite und stieß mit einem der Wurfmesser des Waldvolks, welches sie bereitgehalten hatte, durch das Handgelenk des hässlichen Enkels der noch hässlicheren Schwiegermutter. Unbeeindruckt stemmte sich der Untote trotz der Klinge mit der Hand ab und hievte den gesamten Körper aus dem Boden, stieß die dünne Schicht Erde auf, unter der er geruht hatte.
Wildkatze sprang aus ihrer Scheide und kratzte nach dem Hals des Zombies, welcher sich wie Butter durchtrennen ließ. Mitten in der Aufwärtsbewegung sackte das Monster in sich zusammen und kehrte zurück in den traumlosen Schlaf der Toten.
„Ma nofo Oti!“, fauchte Chala wild und sah sich rasch um. Die Untoten waren ihnen zahlenmäßig weit überlegen und jeder von Ihnen geriet in diesen Augenblicken in Bedrängnis. Beinahe alle waren aus ihren Verstecken hervorgekommen, um der neuen Gefahr Herr zu werden. Viele der Leblosen waren bereits niedergestreckt worden, noch ehe sie in den Kampf eingreifen konnten, doch es war, als hätte man gerade erst die erste Reihe eines riesigen Sumpfkrautfeldes geerntet. Am Schlimmsten jedoch war die Hütte, welche sich ebenfalls erhoben hatte, etwas, womit niemand hatte rechnen können.
Darum muss sich jemand anderes kümmern, entschied Vered, die im nächsten Moment zu Glaen eilte, der mit seiner doppelseitigen Holzfälleraxt gleich drei nahezu skelettierte Leichname von sich fernhielt. Wie schon gegen den Lurker griff die Kriegerin ihr Schwert mit beiden Händen und nutze den Schwung ihres Laufs ohne viel Technik die Klinge in den Hals eines der Wesen zu schlagen wie eine Axt in den Stamm eines Baumes. Die Nackenwirbel zersprangen von der Wucht des Aufpralls, ein weiterer gefällter Gegner.
„Es sind zu viele“, knurrte Chala dem Hünen zu.
„Ich weiß“, bellte er zurück und schwang seine massive Waffe wie das Werkzeug, das es war und grub das Axtblatt tief in die Seite eines Oberkörpers.
Der betroffene Zombie ruckte zur Seite, ließ jedoch nicht davon ab mit einem tiefen Brummen die Arme nach seinem Ziel auszustrecken. Diese Untoten waren deutlich langsamer, als jene Tiere, welche sie zuvor bekämpft hatten. Und für die Aranisaani war die menschliche Form der Feinde ein Segen. Den menschlichen Körper kannte sie gut und sie wusste, wo sie zuschlagen musste. Mit einem rücksichtslosen Stich trieb sie Wildkatze von hinten in den Oberschenkel des bisher unbeschadeten Toten.
Das sollte ihn zumindest verlangsamen, dachte sie noch, ehe der Untote unbeeindruckt weiter auf Glaen zuhielt, oder auch nicht.
Es waren eben doch keine Menschen, denen sie sich gegenüber sahen und tödliche Verletzungen ließen die Zombies unbeeindruckt. Vered zog ihr Schwert zurück und setzte zu einem neuerlichen Angriff an, der den Kopf anvisierte. Doch ehe sie dazu kam, wurde sie mit Wucht zwischen den Schulterblättern getroffen. Die Kraft hinter dem ungesehenen Angriff ließ sie nach vorn in den Körper ihres gewählten Ziels stolpern, was die wandelnde Leiche ebenfalls ins Straucheln brachte. Zusammen fielen sie zu Boden, Chala auf dem Rücken des Monsters, welches mit lautem Stöhnen versuchte sich wieder aufzurichten.
Sie blickte sich nach dem Angreifer um. Blasse Fratzen von vier weiteren Feinden blickten ihr mit toten Augen entgegen.
„Weg da!“, hörte sie Glaen in diesem Moment rufen und reagierte ohne zu wissen, was sie erwartete.
Eilig rollte sie sich von dem Leib herunter, in den wenige Momente später die Axt des Hünen einschlug und den Kopf spaltete. Das Stöhnen verstummte und auch die Versuche sich aufzurichten stoppten.
„Weg hier!“, trieb der Holzfäller sie an und packte sie kurzerhand am Oberarm, um sie auf die Füße zu heben.
Gemeinsam flohen sie von den neuen Zombies, versuchten eine Stelle zu finden, wo sie sich mit ihrem Kameraden sammeln konnten. Doch das sumpfige Feld war bestimmt von heillosem Durcheinander. Überall waren kleine Scharmützel ausgebrochen, die zum größten Teil so aussahen, als würden die Untoten die Oberhand gewinnen. Die wandelnde Hütte rammte unterdessen einen der alten Mangrovenbäume, der sie von der Schwiegermutter trennte, die sich weiterhin in den starken Händen Gloks wandte, ihm mit Klauen und Zähnen zusetzte.
„Wohin?“, fragte Glaen unsicher und sah über die Schulter nach ihren Verfolgern, die ihnen langsam nachschlurften.
„Die Alte muss sterben“, war sich die Dunkelhäutige sicher.
„Nicht mal Gloks Schläge konnten ihr etwas anhaben!“, protestierte der Riese und trieb Chala an, sich weiter von den anrückenden Feinden zurückzuziehen.
„Irgendwas müssen wir machen! Was ist mit dem Kerl mit der Kopfwickel?“
„Maris? Möglich…“
„Dann los!“, rief Vered den Axtkämpfer auf sich in Bewegung zu setzen.
Sich dicht hinter dem massigen Körper ihres Verbündeten haltend, rannten sie zwischen den Bäumen hindurch, wichen den Zombies weitestgehend aus. Zugunsten von Wildkatze hatte die Dunkelhäutige einige Messer hervorgeholt, die sie auf jene Untoten warf, welche ihnen zu nah kamen. Zwar würde es die Monster nicht aufhalten, aber zumindest hielten sie auf ihrem Vormarsch kurz inne.
Ein lautes Krachen übertönte für einen Moment jegliche Kampfgeräusche und das Stöhnen der zahllosen Untoten. Die animierte Hütte hatte sich erneut gegen den massiven Baum geworfen. Verfaulte Bretter splitterten in alle Richtungen und die Wurzeln der Mangrove gaben schlussendlich nach. Der massive Stamm fiel um, begrub mehrere Familienmitglieder der Schwiegermutter unter sich, doch machte schlussendlich die Bahn für das Elternhaus frei. Auf seinem einzelnen Bein hüpfend wollte es der Vettel zur Hilfe eilen, doch plötzlich brachen die morschen Wände wie ein reifer Pickel auf und die Visage eines weiteren Ogers kam zum Vorschein. Wutverzerrt und ein mächtiges Nudelholz in der Pranke.
„PLOK FINDEN GLOK!“, donnerte die Stimme des Ogers wie ein Kreideschrei durch den Sumpf.
Geändert von Chala Vered (29.03.2024 um 17:31 Uhr)
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Westl. Sümpfe, Niradh, später Nachmittag - Kiyan, Ornlu + Füchse
Schweigend hatte Kiyan dagestanden, als Ornlu und die Füchse über das Zeichen – einen Kochlöffel – eines Mannes und wahrscheinlich Waldläufers namens Onyx debattiert hatten. Angeblich sei er tot, verstorben beim Sturz in eine Ruine, dann wieder wurde dagegengehalten, dass ja das recht frische Zeichen des Löffels ein klarer Beweis dafür war, dass der Mann noch am Leben sei.
Okam hatte sich jedenfalls die Zeit genommen und dem Gortharer erklärt, was es mit diesen Zeichen auf sich hatte. Ein Hinweis für andere Waldläufer, dass einer der ihren in der Nähe war oder diesen oder jenen Ort besucht hatte. Zusammen mit den Zeichen, die ihm der Mann, der der Adlersippe entstammte, ihm früher am Tage gezeigt hatte, ergab sich für Kiyan ein klares Bild davon, wie sich die Waldläufer im – sozusagen – ‚Einsatz‘ miteinander verständigten. Gerade im Hinblick auf den Umstand, dass Myrtana jahrelang von Orks besetzt gewesen war, musste sich diese Methode bewährt haben. Der Jäger konnte sich bildlich vorstellen, wie eine Truppe Orkspäher und -krieger ein vermutetes Waldläuferlager stürmten, nur um dann zu merken, dass es völlig verlassen war. Zuvor gewarnt durch andere ihrer Zunft, die mithilfe der Zeichen frühzeitig mitgeteilt hatten, dass Gefahr in der Nähe lauerte, dass die Orks Patrouillen ausschickten.
Nun saßen sie mit den Füchsen zusammen da, teilten sich Dörrfleisch und hartes, aber schmackhaftes Brot. Irgendjemand förderte sogar einen Flachmann in Lederummantelung zutage, in dem ein starker Schnaps schlummerte, der – behauptete derjenige großmäulig – noch vom Festland stammte, aus den Tagen, da die Grünen Teufel mal die Rebellen herausgefordert hatten und man bei den Kampfhandlungen an hochwertigen Vengarder Schnaps geraten war.
Kiyan keuchte, als er einen Schluck nahm, biss ins Brot und grinste dann den ergrauten Fuchs namens Valgus an. „Ich bin Kiyan“, stellte er sich vor und verneigte sich im Sitzen linkisch, „Ich bin … eigentlich Jäger in Ricklens Kommando. Noch nicht lange, ein, zwei Tage vielleicht, bevor der ganze Trubel hier los ging.“
Er wechselte vom Brot zum Fleisch, riss daran wie ein Wilder, eher er kauend weitersprach. „Jetzt bin ich wohl Praktikant oder Aushilfe beim Jadewolf und seiner Menagerie.“
Okam schnaubte belustigt. „Du meinst wohl die Wilden Kerle und ihr Wölfchen!“
Kiyan lachte kurz. „So in etwa. Jedenfalls … das Vieh habe ich in den südlichen Ausläufern des Weißauges erlegt. Ich war … ein Bekannter brachte mir die Grundlagen des Speerkampfes und der Jagd bei. Unsere Wege trennten sich, auf dem Rückweg wurde ich dann von diesem Biest aufgehalten. Größer als ein Wolf, ein richtiger Muskelprotz. Glühend rote Augen, völlig unnatürlich. Man hat sofort gemerkt, dass das Biester sind, die die Orks als ihre Hunde züchten.“
Er klopfte auf den Orkspeer, der an seiner Seite lehnte. „War nur passend, ihn damit zu erlegen. Habe das Vieh zurück geschleppt bis nach Tooshoo und dem Hauptmann vor die Füße geworfen, war ihm noch eine Trophäe schuldig. Ein Lederhandwerker machte mir daraus einen Umhang.“
„Und die Brosche?“, fragte einer der jüngeren Füchse. „Ein Schmiedehammer? Bist du Schmied?“
Der eher blasse Kiyan wurde rot, räusperte und rieb sich die dunkle Augenklappe. „Ja nun, also … die … ist eigentlich als Geschenk für jemanden gedacht gewesen. Diese Person … sie …“ Der Jäger schluckte, räusperte sich erneut. „Sie ist nicht mehr in der Gegend, daher … hat sich’s nicht ergeben, ihr die Brosche zu schenken.“
Valgus lachte. „Oho, Frauen, nicht wahr?“
Kiyan lachte kurz. „Ja, Frauen.“ Er suchte eine Möglichkeit vom Thema abzulenken, blickte zu Ornlu und fragte: „Und, gibt’s eine Jadewölfin und Jadewelpen?“
Die einkehrende Stille nach den Worten sorgte dafür, dass Kiyan sich erneut räuspern musste. Götter, seine Kehle war auch trocken. „Ich, äh … Entschuldigung.“
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Nördlicher Bruchwald - früher Abend
Freiya war erstarrt und jedes einzelne Haar stand ihr zu Berge. Zum Glück war von der roten Pracht auf ihrem Kopf nicht viel zu sehen, zu sehr war sie von Schlamm, Dreck und Tausendfüßerglibber bedeckt. Hätte aber wahrscheinlich sonst auch schräg ausgesehen.
Ihre Augen wanderten hin und her zwischen Ryu und den Snappern, die sich in die Büsche zurück trollten. Wenn ihr Gesicht nicht ebenfalls zu sehr mit Schlamm verschmiert gewesen wäre, hätte vielleicht auch ihr Mund offen gestanden.
Wie Ryu diese Snapper vertrieben hatte! Einfach wieder mit dieser Präsenz. Mit einem einzigen wilden Herzschlag. Einem heißem Atemzug. Als Sarkany.
„Ey, Herr Leitechse! Jetzt pack mal mit an!“, grummelte Griffin und löste den Augenblick auf. Nicht nur Freiya sondern auch Ryu sah zu dem bärtigen Mann.
Aha, der Wyvern steht also über dem gemeinen Snapper, ging es Freiya noch durch den Kopf auf Ryus Kommentar zur Hackordnung hin, während sie ihr Schwert aus dem Nacken des Tausendfüßers zog. Angewidert blickte sie auf die zähflüssige Masse an ihrer Waffe. Ryu packte ebenfalls sein Schwert und dann begann er mit mehreren Hieben den Kopf ganz abzutrennen.
„Neue Innendeko für deine Hütte? Will ja nix sagen, aber du solltest mal über deinen Innenausstattungsgeschmack nachdenken, ist nicht gerade sehr schnuckelig“, sagte Griffin grinsend zu seinem Freund. Freiya dachte noch über das Wort nach – Innen-ausstattungs-geschmack –, als ein Geräusch hinter ihnen erklang. Für einen Augenblick fragte sie sich, ob die Snapper doch wieder zurück gekommen waren, dann aber blickte sie erleichtert auf eine nicht minder verdreckte Zarra.
Griffin erhob sich sofort und Zarra sah sie mit zitternden Lippen an. Neben Griffin wirkte die junge Frau noch zerbrechlicher. Er legte ihr sachte die Hände auf die Schultern.
„Geht es dir gut?“, fragte er sanft und Freiya war gerührt ob seiner aufrichtigen Sorge. Doch Zarra konnte nicht antworten, stattdessen starrte sie auf das, was sich hinter dem Bärtigen und der Rothaarigen abspielte. Und mit jedem Mal, das Ryus Klinge auf den Kopf des toten Untiers traf, zuckte sie zusammen. Freiya schob sich augenblicklich in ihr Sichtfeld.
„Zarra“, sagte sie vorsichtig, „ich habe mir den Fuß eingeklemmt. Hast du vielleicht etwas in deiner Tasche, was mir gegen die Schmerzen helfen könnte?“
Zarras Augen wurden einen Moment groß, dann aber ließ die junge Frau den Blick wieder sinken und sagte schüchtern:
„Ich … habe nicht viel einstecken … ich wollte Nachschub holen bevor …“ sie brach ab und knetete ihre Hände.
„Ist schon in Ordnung, keine Sorge“, sagte Freiya. „Immerhin hattest du das Bergmehl einstecken. Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber es hat uns den entscheidenden Vorteil gebracht!“ Die Rothaarige lächelte die junge Frau ermutigend an. Zarra sah weiterhin etwas verlegen zu Boden, dann aber hob sie plötzlich den Kopf:
„Wartet kurz!“
Dann drehte sie sich um und lief mit einem suchenden Blick weg von dem Kampfplatz. Sie verschwand hinter einem Busch. Griffin straffte sich augenblicklich und machte ein paar Schritte hinterher, bis er sie wieder im Blickfeld hatte.
Erschöpft setzte Freiya sich auf den umgestoßenen Baumstamm und wischte die Klinge ihres Schwerts am Gras ab, bevor sie einen alten Lappen aus der Tasche zog und die Klinge letztendlich damit noch einmal reinigte. Mit einem leisen Geräusch steckte sie die Waffe schließlich wieder in die dafür vorgesehene Scheide zurück, während sie vor ihrem inneren Auge noch einmal das Kampfgeschehen Revue passieren ließ. Dieser Kampf, er war so anders gewesen als gegen Odo, aber nicht weniger intensiv und sie spürte, wie ihre Muskeln schmerzten und die alten Wunden sich ob der groben Behandlung beschwerten. Wieder war es ein Kampf um Leben oder Tod gewesen. Wieder waren sie als Sieger hervorgegangen. Wie oft würde das noch gelingen? Aber sie war wieder erstaunt über die Effektivität, die sie zu dritt an den Tag legten. Das hatte diesmal sogar noch besser funktioniert als im Gebirge. Trotzdem ärgerte sie sich, dass sie in die Fänge des Tausendfüßers geraten war, auch wenn das letztendlich zu einem Vorteil für sie alle geworden war.
Zarra trat an sie heran und holte sie aus ihren Gedanken heraus. Sie kniete sich neben Freiya und hatte kräftige, grüne Blätter einer Pflanze in der Hand.
„Oh, was hast du denn da?“, fragte Freiya neugierig.
„Eine Heilpflanze“, erwiderte Zarra leise. Sie deutete Freiya an, ihren Stiefel auszuziehen. Während die Jägerin tat was ihr gehießen, steckte Zarra zu Freiyas Überraschung die Blätter in den Mund und begann intensiv darauf rum zu kauen. Nach einer Weile dann spuckte sie einen grünen Brei in ihre Hände und näherte sich damit Freiyas Fuß. Die Rothaarige zog ihre Hose hoch und sah die Stelle, die der Tausendfüßer eingeklemmt hatte, schon in den buntesten Farben schillern. Indessen hatte Griffin sich neben das Duo gesetzt.
Zarra trug den kühlen Brei auf Freiyas Fuß auf. Mit hochrotem Kopf blickte sie verlegen zur Seite und nuschelte ein Wort, das nach Verband klang. Freiya zog ihren Beutel, den sie am Gürtel trug, auf und zog ein Stück sauberes Leinen heraus, das nach Lavendel roch. Gemeinsam mit Zarras Hilfe legte sie den Verband an.
„Es fühlt sich schon viel besser an, hab vielen Dank, Zarra!“, sagte sie und lächelte der jungen Frau mit den schönen Augen zu, während sie ihren Stiefel wieder anzog. Zarra brachte keine Wort heraus.
„Oy, muss ich hier eigentlich alles alleine machen?“, beschwerte Ryu sich plötzlich.
„Was willst du denn noch? Das Ding ist tot und wir haben sein hübsches Antlitz als ewiges Andenken. Jetzt ist Feierabend, komm zu uns rüber“, erwiderte Griffin und setzte ein belustigtes „Herr Hauptmann!“ hinterher. Doch Freiya sah, wie Zarra für einen Augenblick die Augen weitete und die Beine näher an den Körper zog. Die Rothaarige blinzelte, dann verstand sie.
„Griffin, ich glaube, Zarra könnte mal einen Schluck Wasser gebrauchen“, sagte Freiya. Sofort begann der Bärtige nach seinem Wasserschlauch zu nesteln und bot dem Mädchen mit den hellen Haaren etwas zu trinken an.
Freiya indessen war aber aufgestanden und mit ein paar Schritten zu Ryu gegangen. Das Auftreten ging schon viel besser. Ryu indessen kniete vor den Überresten des hässlichen übergroßen Krabbelviehs und versuchte sein Seil zu lösen.
„Du machst ihr Angst“, sagte sie leise und kniete sich neben ihm, um ihm mit dem Seil zu helfen. Er sah sie fragend an und sie deutete mit dem Kopf nach hinten zu Zarra. Nachdenklich bedachte er das Mädchen mit einem Blick, während er das eine, nun gelöste, Ende des Seils um seinen Arm wickelte. Dann nahm er sein Tuch und den Helm ab. Das war besser!
Mit einem Lächeln deutete Freiya schließlich auf den umgekippten Baumstamm, um den das andere Ende des Seils gebunden war. Ryu kratzte sich kurz nachdenklich am stoppeligen Kinn, dann blickte er sich um. Freiya ahnte, wonach der Hauptmann suchte und als er mit einem dicken Ast ankam, sah sie ihre Vermutung bestätigt. Sie sah sich ebenso um und erblickte einen flachen Stein. Mit einem dicken Schmatzen löste sie diesen aus dem Matsch. Ryu stemmte den Ast nah am Seil in den Morast und sie legte den Stein dahinter. Dann, mit einer gewaltigen Kraftanstrengung setzte Ryu den Hebel in Bewegung und brachte den Baumstamm dazu, sich genau so weit vom Boden zu lösen, dass Freiya, wenn auch etwas mit Mühe, das Seil unten durchziehen konnte. Gerade noch rechtzeitig, bis der Ast abrutschte und entzwei brach. Der Hauptmann und die Jägerin blickten einander kurz prüfend an, dann reichte Freiya ihm das Seil.
Ob es das Seil war, das er im auf dem Weg zum und auch im Gebirge benutzt hatte? War das überhaupt wieder mit zurück gekommen? Sie konnte sich nicht wirklich erinnern. Doch bevor sie ihn fragen konnte, war Griffin hinter ihnen erschienen. Der große Kerl legte seine Arme auf die Schultern der beiden.
„Eine rote Sonne geht unter, heute wurde Blut vergossen“, brummte er. „Naja, oder eher krabbelnde Beine, Glibber, Schleim und Matsch“, setzte er nach und Freiya kicherte. Dann schnüffelte er erst an Ryu und dann an Freiya:
„Ihr müffelt“, stellte er fachmännisch fest, ließ sich aber nicht davon abbringen, sie beide weiterhin in der freundschaftlichen Umarmung zu halten.
„Wir saßen ja schließlich auch nicht auf einem Ast mit einer jungen Dame zum Zwiegespräch“, bemerkte Freiya spitzbübisch, während Ryu seinen Waffenbruder auf seine typische und inzwischen vertraute Art ansah.
„Jaaaaa, aber das hat uns schließlich die Lösung gebracht!“, erwiderte Griffin mit einem Strahlen. Bevor Ryu und Freiya etwas erwidern konnten, drückte der Hüne beide an sich heran. Freiya blieb für diesen Augenblick die Luft weg. Griffin entließ die beiden schnell wieder seinem Klammergriff.
„Ab ins Lager zurück! Könnt ne Kleinigkeit zwischen die Zähne vertragen. Was nehmen wir von dem Vieh mit?“, fragte er schließlich.
„Den Kopf. Und auch die Platten?“, sprach Freiya.
„Die lassen wir hier“, erwiderte nun Ryu. „Selbst wenn die Snapper wiederkommen, die Platten bekommen auch sie nicht klein. Wir holen sie ein anderes Mal. Sie könnten uns nützlich werden.“
„Für was denn?“, wollte Freiya wissen.
„Och, das Zeug würde ‘ne nette Rüstung ergeben. Da kommt kein Pfeil durch. Und Klingen nur, wenn man Bergmehl dabei hat“, erwiderte Griffin grinsend, dann blickte er zu Zarra. Freiya stellte sich unterdessen vor, wie Griffin wohl in einer solchen Rüstung aussehen könnte.
Ryu indessen machte sich daran, sein Seil an die abstehenden, für Freiya nicht näher definierbaren, Teile des Kopfes des Monstrums zu binden. Währenddessen fiel ihr Blick auf Zarra, die bei dem restlichen Körper des Tausendfüßers stand. Sie hatte ihr Haupt gesenkt und schien einige Augenblicke innezuhalten. Die Blicke des Jägertrios blieben an ihr haften und sie warteten. Was auch immer sie zu bewegen schien, ob Trauer über den Fall dieses Tieres oder seinen Tod oder der Schreck über das ganze Geschehen überhaupt, sie konnten es nicht erkennen. Aber Zarra sollte ihren Augenblick bekommen. Für eine Weile herrschte Stille und Freiya fiel auf, wie ruhig es im ganzen Sumpf war. Als würde alles den Atem anhalten.
Nach einer Weile dann, als die Abenddämmerung schon fortgeschritten war, regte Zarra sich und drehte sich um. Ein roter Hauch legte sich um ihre Wangen, als sie bemerkte, dass die drei anderen auf sie gewartet hatten. Nun gab der Hauptmann das Zeichen zum Aufbruch. Griffin trat neben Ryu und nahm ein Ende des Seils, an dem der Kopf befestigt wurde. Freiya war sich sicher, dass er seinem Freund helfen würde, den schweren Kopf zu tragen, aber stattdessen legte er das Ende um ihre Schulter und drückte es ihr schließlich in die Hand.
„He, und was trägst du?“, monierte die Rothaarige ungläubig. Griffin drehte sich kurz zu ihnen um, streckte die Zunge raus, während er den Kopf schief legte und ein Auge schloss: „Die Verantwortung!“ Dann nahm er Zarra bei der Schulter: „Hier entlang, Liebes!“
Kopfschüttelnd aber mit einem Schmunzeln zog die Rote Snapperin sich das Seil über die Schultern. Unfassbar! Ausgebootet von einer jüngeren Frau! Na, der konnte was erleben, wenn sie erst einmal die Gelegenheit dazu bekäme!
Schweigend und mit etwas Abstand liefen die beiden Haupt-Träger hinter Griffin und Zarra hinterher. Sie sahen, dass Griffin wild gestikulierte und Freiya lächelte, als sie sich fragte, was für eine Räubergeschichte er ihr wohl erzählte. Nach einer Weile blickte sie von Griffin zu Ryu:
„Sie erinnert ihn, nicht wahr? An das Mädchen … wie hieß sie noch – Eleonore?“
Der Hauptmann nickte bedächtig, sein Blick verweilte ebenso auf seinem stämmigen Freund. Was genau er bejahte, ging in seinem Schweigen aber unter.
„Sie erinnert mich so am mich selbst“, sagte Freiya dann leise und nickte bekräftigend, als sie Ryus Blick auf sich spürte. „All die Scheu und das Wegsehen. Dass es ihr schwerfällt, uns überhaupt anzusehen, geschweige denn zu sprechen.“ Freiya lächelte in sich herein. Dann sah sie zu Ryu: „Ich kenne es. Ich kann es nachfühlen. In ihrem Alter hätte ich bei jemanden wie dir auch kein Wort herausbekommen. Aber ich bin mir sicher, dass, wenn man ihr die Möglichkeit lässt, sie über sich hinauswachsen kann. So wie heute. Und dann“, Freiya flüsterte die Worte nur noch „ … dann wird sie fliegen wie ein wunderschöner Schmetterling.“
Auch Freiya hatte das gelernt. Hatte sich von dem, was sie erlebt hatte, befreit und trug nun die stummen Zeugen einer schlimmen Zeit nur noch auf dem Rücken und nicht mehr sichtbar auf dem Herzen.
In den ersten Jahren ihrer Freundschaft hatte Ronja sie immer wieder dazu befragt, wenn sie die Narben zu Gesicht bekommen hatte. Doch mit dem Lauf der Zeit und Freiyas Verweilen beim Waldvolk war das in Vergessenheit geraten. Erst das Wecken der Erinnerungen ihrer unmittelbaren Zeit danach oder solche Zusammenstöße wie mit Zarra führten dazu, dass all das wieder öfter Teil ihrer Gedanken war …
Endlich kam das Lager in ihr Sichtfeld. Und bevor sie durch den Eingang getreten waren, hatten Griffin und Zarra angehalten und sich zu ihnen umgedreht. Sie schienen etwas sagen zu wollen – oder, vielleicht nur Zarra? Freiya jedenfalls war dankbar dafür, das einschneidende Seil endlich etwas von den Schultern lockern zu können. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Trinkschlauch und war gespannt, was Zarra auf dem Herzen hatte.
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Im südlichen Sumpf, später Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik, Maris
"Ach du heilige Scheiße!"
Ihr Plan hatte funktioniert. Ziemlich gut funktioniert sogar, auch wenn es dafür einen fröhlich tanzenden Lichtzauber von Yarik gebraucht hatte. Doch was geschah, als Glok sein Baumkostüm von den zarten Hüften warf und sich die faulige Schnepfe packte, ließ ihm doch glatt die Spucke wegbleiben. Schnell wie ein Snapper war die Untertreibung des Jahrhunderts für das, was diese durchgeknallte Alte da tat. Sie steckte die Fausthiebe des Ogers weg wie die unbeholfenen Ohrfeigen eines Kleinkindes, drehte und wandte sich wie ein beschissener Aal in seinem Griff und verbiss sich wie ein tollwütiger Köter in Gloks Armen. Und dann packte sie ihre unheilige Todesmagie von Neuem aus.
"Ach du heilige Scheiße!"
Mit einem Schlag tobte der Sumpf unter den unzähligen halb- bis vollverwesten Schreckensgestalten, deren Zusammenstellung eine Auszeichnung für ausdauernde Sammelleidenschaft verdient hätte. Doch was Maris wahrlich umhaute, war die faulige Hexenhütte, die sich mir nichts, dir nichts einen verdammten Hühnerfuß wachsen ließ und drauf los hopste, um ihrer Herrin zur Hilfe zu kommen. Maris, der sich eben noch an der Außenwand der Hütte festgehalten hatte, um die Deckung beim Sondieren der sich neu einstellenden Situation zu nutzen, wurde in die Höhe gerissen und konnte sich nur mit einem beherzten Sprung ins Brackwasser davor retten, mit dem Ding mitten in die Scheiße hinein zu hüpfen. Begossen wie ein in den Tümpel gefallener Pudel tauchte er aus dem Wasser wieder auf, den Griff sofort am Säbel, und rettete sich mit einem instinktiven Block vor dem plötzlichen Angriff eines stinkenden Lurkers, aus dessen halb zerfressenem Leib bei jedem Hieb seiner Klauen eine Rotte aasfressender Insekten aufstieg.
Maris machte kurzen Prozess mit dem Biest und konzentrierte sich wieder auf den eigentlichen Feind. Es hatte keinen Sinn, die Untoten zu stoppen, solange die Schwiegermutter da war und ihnen Kraft gab. Doch warum hatte sie so gewaltige Nehmerqualitäten?
Er sah etwas zwischen ihr und der Hütte, etwas Dunkles. In welche Richtung wirkte dieses unheilige Band, das so kraftvoll und abstoßend pulsierte?
"Ach du heilige Scheiße!"
Er kam nicht dazu, den Gedanken weiter zu spinnen, denn von einem Moment auf den anderen zerbarst die Hütte mit dem Hühnerfuß wie ein geplatzter Kürbis, und daraus hervor sprang...
"Noch ein verfickter Oger!?"
Kein Zweifel, denn Glok hatte immer noch den fauligen Stachelrücken am Ärmel und versuchte verzweifelt ein gutes Stück von Maris entfernt auf sie einzudreschen. Die zentnerschweren Waffen am Vorbau des zweiten Ogers ließen keinen Zweifel: diese hier war eine Dame, und Mama war gar nicht erfreut darüber, was mit ihrem Glok geschah. Plok - hatte sie ernsthaft den Namen Plok gegrunzt? - riss sich die Einzelteile der zerlegten Hütte vom Leib und packte sich den im Wasser treibenden, überdimensionierten Hühnerfuß, als wäre er eine verdammte Keule. Dann stürmte sie wie eine Naturgewalt durch das stinkende Wasser und zog dabei einen Strom in ihrem Kielwasser hinter sich her, der Maris beinahe von den Beinen gerissen hätte. Der Nomade sah sich um, erblickte ein paar der Wiedergänger-Viecher ganz in seiner Nähe und setzte sich in Bewegung, um etwas Abstand zu ihnen zu gewinnen. Da stockte er - die dunkle Verbindung wurde immer noch aufrecht erhalten, obwohl die Hütte zerlegt war. Nein, es waren mehrere Verbindungen, mehrere Stränge finsterer Magie, und einer endete ganz in seiner Nähe!
Maris watete durch das Wasser, bis er zur Quelle des magischen Bandes vorstieß. Da trieb ein Schädel in der Trübnis, umringt von anderem Treibgut aus der zersprengten Hütte. Konnte der etwa..?
Maris packte den Schädel und schlug mit dem Knauf seines Säbels darauf ein. Beim dritten Hieb brach die Schädeldecke auf und entließ einen schreckenerregenden Hauch in die Freiheit. Die Bestie an Gloks Arm kreischte auf und riss sich los, doch in diesem Moment erreichte Plok die Vettel und knüppelte sie mit dem Hühnerbein ungespitzt in den Morast. Die Schwiegermutter sprang augenblicklich wieder auf, doch Plok packte sie mit beiden Händen an den Schultern, drehte sie zur Seite und warf ihre ganze Leibespracht auf den Leib der untoten Hexe. Maris wandte sich erneut den magischen Strömen zu. Das Band, das von dem zersplitterten Schädel in seinen Händen ausgegangen war, hatte sich verflüchtigt, doch er konnte noch zwei weitere Stränge sehen. Einer war ganz in seiner Nähe...
"Nnnnnnggggghhhh..."
Im letzten Moment wich Maris dem Griff eines untoten Mannes mit einem beherzten Sprung ins kühle Nass aus, doch der Zombie war direkt wieder über ihn. Maris versuchte sich aufzurappeln, doch er konnte den Säbel nicht schnell genug zwischen den Untoten und sich bringen. Ein dumpfer Aufprall ließ den Kopf des Zombies platzen, der leblos in sich zusammen sackte. Maris sah sich um und erblickte Frank, der mit erhobenem Bogen in seine Richtung zielte. Sofort suchte er wieder nach dem zweiten Schädel, doch diesmal fand er in den umhertreibenden Trümmern eine Holzschatulle. Er fingerte an dem Verschluss herum, bis sich der Deckel öffnete, und sah auf einen deutlich kleineren Schädel hinab.
"Scheiße, das Ding kann doch höchstens einem Kind gehört haben!"
Maris schluckte die aufwallende Übelkeit herunter und schlug auf den Schädel ein, bis er brach und wie der erste seinen unheimlichen magischen Hauch in die Welt entließ. Die Schwiegermutter bäumte sich unter unmenschlichem Kreischen auf und stieß Plok von sich. Diesmal hielt sie niemand auf - und sie stürmte in ihrer unwirklichen Geschwindigkeit genau auf Maris zu!
"Dreck..."
Maris ließ den Säbel sinken und sammelte seine Kräfte. Er schickte ein Stoßgebet zur Mutter, dass dieser Zauber bei einem Gegner wie diesem funktionieren würde. Immer näher stürmte die Kreatur auf ihn zu, die riesigen Krallen zum Angriff erhoben. Nun wollte sie sicher kein Fleisch mehr - sie wollte nur noch den töten, der ihre Schädel knackte. Ein Pfeil schlug in ihrer Brust ein, doch die Vettel nahm nicht einmal Notiz davon. Sie war nicht einmal mehr drei Mannslängen von Maris entfernt, als ihr Blick auf seine Augen traf - und sie schlagartig in der Bewegung erstarrte.
"Yarik!", brüllte Maris, ohne die Augen von der Schwiegermutter zu nehmen. Er spürte, wie sie sich zur Wehr setzte; er wusste, dass der Zauber brechen würde, sobald er den Blick abwandte. "Finde den dritten Schädel und zerstöre ihn! Folge der magischen Verbindung!"
Etwas näherte sich in Maris' Rücken, doch er konnte sich jetzt nicht darum kümmern. Er musste darauf hoffen, dass die anderen ihn schützten, während er alle Kraft aufbrachte, um dieses Monster in Schach zu halten.
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Rand des Basislagers am alten Jägerturm, früher Abend - Freiya, Griffin, Ryu und Zarra
Es ist vorbei, endlich vorbei, wiederholte Zarra den Satz zum bestimmten hundertsten Mal in ihren Gedanken.
Doch noch immer wollte sich nicht die Erkenntnis nicht einstellen, dass sie überlebt hatte. Viel zu unwirklich fühlte es sich an, wie eine der großen Hände Griffins auf ihrer Schulter ruhte. Seine Körperwärme drang selbst durch ihren, von Schlamm überzogenen, Mantel und das nicht weniger verschmutzte Kleid darunter. Dennoch war ihr kalt – oder? Sie wusste es nicht, konnte nicht einschätzen, ob sie durch den kalten Schlamm unterkühlt war oder die Anstrengungen der letzten Stunden Schweiß auf ihrem ganzen Körper verteilt hatten. Noch immer sah sie den Hauptmann neben dem massiven Kopf des Tausendfüßlers stehen, mit seinem mächtigen Schwert zwischen die Segmente schlagend, wieder und wieder…und wieder. Die Geräusche von brechendem Chitin, dem Zerreißen von Muskelfasern und dem Zerteilen von Fleisch hallten in ihren Ohren nach, übertönten fast die Geschichten, die der Hüne ihr erzählte. Sie wusste, dass er versuchte sie abzulenken. Ihr andere Gedanken zu bescheren als den brutalen Kampf, ihren beinahe Tod und das Ableben des Rieseninsektes.
Lange hatte sie an dem Leichnam des kopflosen Myriapoden gestanden, hatte ihre Hand über den harten Panzer gestrichen, der von der charakteristischen öligen Substanz überzogen gewesen war. Ihr Bergmehl hatte diesen Schutz negiert, doch sie fühlte sich nicht so, als hätte sie zum Sieg der drei Jäger beigetragen. Allerdings verspürte sie auch keine Gewissensbisse, dass sie dabei geholfen hatte ein Insekt zu töten. Es war, als würden ihre Gefühle in einem leeren Zwischenraum warten, bis sich ihr Geist entschieden hatte, was in diesem Moment richtig wäre. Sie fühlte sich taub und doch so lebendig, wie noch nie in ihrem Leben zuvor.
„…und dann sind wir in das Tal des Todes heruntergestiegen. Ich sag dir, das war vielleicht gruselig! Ich hatte natürlich keine Angst, aber Freiya da drüben“, der Hüne schaute keck über die Schulter und deutete mit einem Daumen auf die sonst rothaarige Frau, welche ebenso sehr von Schlamm und Schleim bedeckt war, wie sie alle, „hat sich kaum getraut, wollte sogar draußen warten!“
„Erzähl keinen Unsinn, Griffin!“, erklang die Stimme der Frau von hinter ihnen, was Zarra ein leichtes Lächeln entlockte.
Ihre drei Retter waren eine seltsame Gruppe. So unterschiedlich und doch ergänzten sie sich auf die bestmögliche Weise. Den ganzen Kampf über hatten sie kaum Worte miteinander gewechselt. Meist nur, um sich ein Wortgeplänkel zu liefern, welchem das Mädchen nicht hatte folgen können. Wie konnten sie so gelassen bleiben, wenn ihre Leben auf dem Spiel standen? War es das, was es bedeutete Teil der Gemeinschaft zu sein? Teil des Waldvolks? Wollte ihre Großmutter etwa, dass sie auch so wurde wie Griffin, Freiya oder Ryu?
Nein! Das kann ich nicht, bäumte sich ihr Innerstes gegen diese Vorstellung auf.
Sie war viel zu schreckhaft, zu schüchtern, zu…
…anders, beschied sie und verlor sogleich das Lächeln.
„Alles in Ordnung, Zarra?“, fragte Griffin sie, der seine Hand etwas ihre Schulter hinabgleiten ließ und sich vorbeugte, sodass er ihren Gesichtsausdruck besser zu deuten vermochte.
Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite, offenbarte ihm nur ihr Profil.
„Ich…ja“, antwortete sie zaghaft.
Der haarige Hüne schien nicht überzeugt, wusste es jedoch besser, als weiter nachzubohren. Die Jugendliche war ihm sehr dankbar. Ihnen allen, um genau zu sein. Wären sie nicht im rechten Moment aufgetaucht - hätten sie nicht reagiert, als sie beinahe zwischen den Mandibeln des Riesentausendfüßers zermalmt worden wäre, könnte sie sich nun nicht das Hirn zermartern, wie sie jemals die ihr auferlegten Erwartung erfüllen sollte.
Dann war da noch die blaue Libelle gewesen. Nach wie vor war sich Zarra nicht sicher, ob die Jungfer sie in den nördlichen Bruchwald gelockt hatte oder aber ob sie aus eigenem Antrieb den Ursprung der fliehenden Insekten hatte finden wollen. Beinahe kam es ihr so vor, als wäre es Wochen her, dass sie in das Brackwasser gehüpft war, als Dutzende Falter, Fliegen und andere Fluginsekten auf ihr gelandet waren, so als hätten sie sich Schutz von ihr erhofft. Doch sie konnte ihnen keinen Schutz bieten. Niemanden würde sie schützen können, solange sie es war, die den Schutz brauchte. Und so wie es aussah, würde dieser Umstand sich niemals ändern. Viel zu unentschlossen war sie, zu ängstlich sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Konnte sie nicht einfach für immer Nereas Schülerin bleiben? Kräuter sammeln und lernen wie man sie zu Pasten, Tinkturen und Umschlägen verarbeitete? Wäre es so schlimm dem Waldvolk auf diese Weise zu dienen?
Doch ehe sie weiter in diese Richtung ihrer Gedankenwelt eintauchen konnte, stieg erneut das Bild der blauen Libelle vor ihrem geistigen Auge auf. Wie sie auf ihrem Rücken gesessen hatte, genau dort wo auch ihre Narbe verborgen unter Stoff lag. Und diese Stimme, die in ihrem ganzen Körper resoniert hatte. So, als hätte sie jemand wie ein großes gerolltes Blatt zur Verstärkung der eigenen Stimme genutzt.
Sie schauderte und rieb sich geistesabwesend eine Stelle an ihrem linken Oberarm, wo sie das Gefühl hatte von einer Horde Ameisen belästigt zu werden. Noch immer ruhte Griffins Hand auf ihrem Rücken, ebenfalls dort wo ihre Narbe war, die durch seine Berührung warm wurde. Niemand nahm es wahr, doch die Ränder der alten Wunde leuchteten schwach unter ihrem Kleid, während sie die Erinnerungen des Geschehenen Revue passieren ließ.
Die Stimme der Libelle – denn von wem sonst hätte sie kommen sollen – war so machtvoll gewesen, so drängend. Dennoch hatte auch eine wärme in den entfernt weiblichen Tönen gelegen. Was war bloß in diesem Moment geschehen, als sich ihr Sichtfeld zum zweiten Mal verändert hatte? Beinahe alles um sich herum hatte sie sehen können, doch ihre menschlichen Sinne waren überfordert von den tausenden Eindrücken gewesen, die gleichzeitig auf sie hereingestürmt waren.
„Zarra? Kannst du mich hören?“, drang erneut Griffins Stimme zu ihr durch.
„Ehm…was?“, gab sie eloquent zurück, als sie aus ihren Gedanken gerissen wurde.
„Ich sagte, dass wir gleich da sind und wollte wissen, ob du dich freust deine Oma wiederzusehen?
„Oh nein! Ich habe gar keine Kräuter besorgt!“, japste das Mädchen plötzlich und wurde unumwunden rot im Gesicht, als sie die Torheit ihrer eigenen Worte erkannte.
Der Hüne lachte schallend und rieb ihr über den Rücken, ehe er die Hand von ihr löste.
„Können wir kurz anhalten?“, fragte sie den noch immer glucksenden Riesen, der sie wissend anfunkelte.
Er hielt an und so blieb auch Zarra stehen, drehte sich zu den beiden anderen um, die den schweren Schädel des Tausendfüßers hinter sich herzogen. Eine dunkle Spur war trotz des schwindenden Tageslichts hinter ihnen zu erkennen. Als sie den Hauptmann erblickte, dessen orangene Augen im Dämmerlicht glühten, suchte ihr Blick sofort den Boden.
Er ist so einschüchternd, schoss es ihr durch den Kopf, als sie erneut die Aura spürte, die den Krieger umgab.
Gern hätte sie Freiya angesehen, doch ihr fehlte der Mut.
„Was ist los, Zarra?“, fragte die Rothaarige mit einem leisen Lächeln in der Stimme, aus dem die Weißhaarige Kraft schöpfte.
„Ich…“, begann sie, ohne den Kopf zu heben.
Sie knetete ihre schlanken Finger und beobachtete unverwandt ihre Füße, die unter dem Kleid hervorlugten. Sie sahen komisch aus, klein und unpraktisch. Was, wenn sie Gliederfüße hätte wie ein Insekt, könnte sie dann vielleicht…
„Stop!“, rief sie auf einmal wie aus heiterem Himmel, um sich selbst aufzuhalten.
Im nächsten Augenblick jedoch bemerkte sie, dass sie es laut ausgesprochen hatte und die Schamesröte nahm einen noch tieferen Ton an.
„Ich meine…Ich“, kamen ihr die richtigen Worte einfach nicht über die Lippen.
Sie schob sich einige Schritte von Griffins Seite fort, sodass sie alle drei gleichzeitig vor sich hatte. Da sie mit Worten nicht Imstande war auszudrücken, was sie fühlte, ließ sie es ihren Körper für sich tun. Sie verbeugte sich.
„Was soll das werden?“, fragte Griffin amüsiert.
„Jetzt lass sie!“, kam sofort die Rüge von Freiya.
Der Hauptmann schwieg, war wohl überzeugt davon, dass es besser war zu schweigen, wenn die Jugendliche ihn offensichtlich fürchtete.
„Ich danke euch Dreien, dass ihr mich gerettet habt“, kamen schließlich doch die gesuchten Worte aus Zarras Mund.
Sie richtete sich aus der Verbeugung auf, entgegnete mit ernstem Blick abwechselnd den Augen ihrer Retter. Selbst dem leuchtenden Orange hielt sie einen kurzen Moment stand.
„Danke, dass ihr mich bewahrt habt vor dem, was mit mir geschehen wäre, hätte mich der Tausendfuß erwischt.“
Sie schaute zum abgeschlagenen Schädel des Rieseninsektes, welches trotz einer verbliebenen Mandibel noch immer zum Fürchten aussah.
„Es gibt keinen Grund für dich, sich vor uns zu verbeugen“, ließ sich Ryu nun doch zu einigen Worten hinreißen.
„Genau, wir würden dich niemals einem solchen Schicksal überlassen“, bestätigte Griffin mit einem breiten Grinsen und einem Zwinkern.
„Bleib beim nächsten Mal nur auf den Stegen“, fügte der Hauptmann noch hinzu.
Freiya fügte nichts hinzu, lief stattdessen auf das Mädchen zu und nahm sie in den Arm. Es bedurfte keiner Worte, um zu erkennen, was die Frau übermitteln wollte.
„Dann lasst uns jetzt endlich ins Lager, ich könnte ‘nen ganzen Minecrawler verputzen!“, verkündete der Hüne und drehte sich bereits wieder um.
„Insektenfleisch, nach all dem?“, fragte die Rothaarige ungläubig, was der Riese nur mit einem Achselzucken und gebleckten Zähnen kommentierte.
„Na dann los!“
Man hatte sie bereits bemerkt, noch ehe sie richtig im Basislager ankamen.
„Ho! Die Ersten kehren siegreich zurück!“, rief ein Wächter.
„Einen Pfahl, bringt einen Pfahl!“
„Hier, pack mal mit an!“
Ungläubig schaute Zarra zu, wie fünf Paar Hände den massiven Schädel des Rieseninsekts auf einen Pfahl spießten, der wohl für den Palisadenbau gedacht gewesen war. Gemeinsam hievten sie das Ungetüm auf und versenkten es schließlich neben dem Eingang im morastigen Grund. Dunkle Flüssigkeit tropfte auf makaberste Weise den spitzen Holzstamm herunter. Die Jugendliche musste sich abwenden, konnte den Anblick nicht ertragen. Eine Mischung aus Abscheu und Trauer trieben sie dazu. Sie suchte im Fackelerhellten Lager nach ihrer Großmutter, doch konnte sie sie nicht ausmachen. Ob sie wohl selbst Kräuter holen gegangen war, nachdem ihre Enkelin so lange gebraucht hatte?
Geändert von Zarra (30.03.2024 um 01:41 Uhr)
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Basislager am alten Jägerturm, früher Abend - Die Botin
Aus den Schatten kam sie hervor und trat zur Seite der älteren Frau. Diese schreckte kurz auf, griff sich ans Herz und atmete dann durch, als sie ihr die Hand mit einem verschmitzten Lächeln auf ihre Hand auflegte.
“Du hast die alte Nerea erschreckt, Mädchen. Was willst du, mein Kind?”, fragte die Kräuterfrau und sah immer noch etwas verschreckt die junge Frau mit rabenschwarzen Haar an.
Die Botin deutete auf sie und machte eine Geste, die nach ihrer Enkelin fragte.
“Ich hoffe, es geht ihr gut…”, sprach sie sorgenvoll und blickte zu Boden.
Die Botin nickte dann, zeigte auf ihre Augen und wiederholte die Geste, die sie für Zarra verwendete. Die alte Frau griff die Hände der Botin und fragte nochmal nach.
Sie bekam es erneut bestätigt und bekam feuchte Augen. Dann machte die Botin Andeutungen über die Gesellschaft von Zarra.
Zuerst deutete sie auf ein rotes Pulver und griff an ihr Haar, um dann eine Tee trinkende Geste zu machen. Dann machte sie eine Art Affengeste und klopfte sich lachend auf den Bauch, bevor sie dann sehr stoisch und fokussiert aufblickte, um dann sowas wie ein Schwert zu ziehen und vor sich zu halten.
Die alte Frau hatte sichtlich Mühen es genau zu deuten, aber sie kam dann nach und nach auf die Namen und die Botin musste nur bestätigen.
“Woher weißt du vom Tee? Und alles andere?, fragte das Mütterchen.
Die Botin schmunzelte, beugte sich etwas vor, zeigte auf ihre Augen, Ohren und ihr Köpfchen.
“Ich verstehe. Du hast ein Auge auf uns alle und ein Ohr hört immer mit. Solange du gute Botschaft bringst, soll es mir recht sein. Komm wieder, wenn du mehr über meine Zarra erfährst.”, bat die alte Frau und kramte etwas hervor. Doch die Botin winkte nur ab und holte mit der anderen Hand ein Säckchen hervor und dankte mit einer Geste.
“Du bist eine Elster, Liebes. Nimm es ruhig. Ich weiß gar nicht, wann du das aus meiner Tasche gezogen hast. - Ah, Berufsgeheimnis… Verstehe…”
Die Botin verbeugte sich mit einem schelmischen Knicks und verschwand wieder in den Schatten.
Draußen wollte sie zu Jilvie und berichten, da erblickte sie schon Zarra und ihre drei Retter und wie sie frenetisch von den Anwesenden gefeiert wurden. Der Kopf von diesem Mistvieh sah aus der Nähe noch ekelhafter aus und die Botin schüttelte sich regelrecht.
Die Botin suchte Jilvie in der Menge und fand sie auch, da zuckte die Diebin instinktiv zusammen. Ein Schatten warf vom sich dem Abend nähernden Himmel sein Bild auf den Boden ab. Und dann noch einer und noch einer.
Andere bemerkten es auch und dann begann das Gekreische. Flatternde, große Schwingen an Frauenkörpern mit schönen und doch böswilligen Gesichtern und gräulichem Gefieder. Klauen und Krallen, die herab stürzten, um Leute und Dinge zu packen.
Für einen Moment erstarrte sie bei diesem Anblick. Im nächsten Moment lief sie zu Nerea die so freudig zu Zarra laufen wollte, griff ihre Hand und brachte sie in Deckung. Erste Pfeile flogen durch die Luft und die kreischenden, fliegenden Damen wichen zurück.
Eine Frau schrie auf und wurde gerade von zwei der Harpyien in die Luft gerissen.
Die Botin schuf eine Lichtkugel, die wie ein Feuer loderte und eine Harpyie aufschreckte, die auf sie zuflog. Dann jagte sie den beiden Harpyien hinterher, die tatsächlich Vareesa geschnappt hatten.
Die Finger zeichneten schnell einen Kreis mit dem Zeichen der Adler auf den Boden, bevor ihre rechte Hand drauf schlug und Magie in das Symbol jagte. Einen Augenblick später stieg ein Geisteradler auf und attackierte eine Harpyie. Er grub sich in ihre rechte Schwinge und verschwand dann.
Das war nicht genug! Die Botin musste dann jedoch selbst aufpassen, nicht gepackt zu werden und landete katzenhaft nach einem Sprung zur Seite. Jemand mit Speer kam ihr zur Hilfe. Sie blickte sich um und wurde sich bewusst, dass eine ganze Schar aus acht oder neun Harpyien das Lager gerade attackierte.
Eine klaute Stoffe und Essen. Die andere in der Sonne glänzende Waffen und der Rest attackierte. Dazu das ganze fürchterliche Gekreische! Was sollte das?
Die Harpyie die sie packen wollte, entflog dem Speer und jagte dann ihr nächstes Ziel. Gekonnt packte sie dann die kleine, junge Frau mit weißen Haar und riss sie in die Höhe.
Hätte sie schreien können, hätte die Botin das getan. Stattdessen machte das Nerea. Die Harpyie flog weg vom Lager und die Botin konnte das alte Mütterchen nur zurückhalten, um dem Federvieh hinterher zu jagen. Die Botin blickte auf, ließ ihre magischen Echos erklingen und zeigte in eine Richtung. Ihre Elster folgte der Harpyie und sie brachte Nerea in Sicherheit.
Ornlu
Geändert von Das Waldvolk (30.03.2024 um 06:36 Uhr)
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Im südlichen Sumpf, später Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik, Maris
Yarik wirbelte seinen Kampfstab herum und ließ ihn gegen die Schläfe eines Untoten krachen, dessen Schädel sich daraufhin unter der schwarzen, ledrigen Haut seltsam verschob. Mit einem letzten Stöhnen brach die Kreatur zusammen und war endlich so tot, wie sie schon seit Jahren hätte sein sollen. Einen Goblin-Zombie, der auf ihn zugewankt kam, beförderte Yarik mit einem Fußtriff gegen das Kinn zurück in den Matsch und beachtete ihn nicht weiter. Er hatte ein Ziel.
Der Schädel – nachdem Maris ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, sah er die Verbindung ebenfalls. Einer war noch übrig. Ein Schädel, dann wäre der ganze verdammte Spuk vorbei!
Aber das war leichter gesagt als getan…
Im Sumpf wimmelte es inzwischen nur so von Untoten. Tiere und Menschen – wessen auch immer die Vettel hatte habhaft werden können. Sie gruben sich aus dem Schlamm, kamen zwischen den Bäumen und Sträuchern hervor, tauchten aus den brackigen Tümpeln auf. Einige noch beinahe frisch, als wären sie erst vor wenigen Tagen der dämonischen Herrin dieses Teils der Sümpfe zum Opfer gefallen, andere aufgebläht und wächsern, nachdem sie wochenlang im Wasser gelegen hatten, wieder andere bereits fast vollständig skelettiert. Die wenigsten stellten für sich genommen eine große Gefahr dar, aber es waren so verdammt viele! Und vor allem waren sie überall – der Schädel, den Yarik suchte, lag nicht mehr weit von ihm, aber es fühlte sich an, als müsste er für jeden einzelnen Schritt erst einen der Untergebenen der Vettel aus dem Weg räumen.
Und genau das tat er. Mit grimmiger Entschlossenheit hielt Yarik sich nicht damit auf, bei jedem einzelnen Zombie sicherzustellen, dass er ihn endgültig erledigt hatte, sondern wurde die Untoten einfach nur möglichst los, indem er sie zu Fall brachte oder zurückstieß. Die meisten von ihnen verfügten nicht mehr über die Motorik, um sich schnell wieder aufzurappeln. Sein Ziel war der Schädel, sonst nichts. Dem restlichen Schlachtfeld schenkte er keine Beachtung mehr – die beiden Oger und Maris würden die Vettel hoffentlich lange genug ablenken.
Und wenn die Vettel sie ausweidet?
Dann wird sie dafür hoffentlich lange genug brauchen, dass ich den Schädel erreiche. Und wenn nicht, dann gibt es ja noch andere, die ich ihr…
Für einen Moment erschrak Yarik selbst angesichts der emotionslosen Kälte seiner Gedanken. Er schüttelte kurz den Kopf. War das wirklich er? Hatte er gerade ernsthaft in Betracht gezogen, seine Mitstreiter der Vettel zum Fraß vorzuwerfen, wenn er damit nur sein Ziel erreichte, sie zu vernichten?
„Scheißvieh!“, fluchte er und ließ den Kampfstab auf den Kopf eines halb skelettierten Lurkers niederfahren. Diese verfluchte Vettel machte ihn noch irre. Er wollte sie endlich tot sehen!
Er stieg über den Lurker hinweg, der nach dem Treffer zusammengebrochen war. Nur noch wenige Schritte bis zu dem Tümpel, in dem der letzte Schädel liegen musste. Yarik streckte die Hand aus und fühlte mit seiner Magie nach dem Klumpen wiederlicher Schwärze, der dort im Brackwasser lag. Seine Nackenhaare stellten sich auf vor Ekel, als er den Gegenstand – den Schädel – mit telekinetischer Kraft packte. Obwohl er ihn nicht anfasste, hatte er das Gefühl, dass die Verbindung durch die Magie ihn sogar auf einer tieferen Ebene mit der unheiligen Zauberei des Schädels in Berührung brachte. Am liebsten hätte er den Schädel wieder fallen lassen wie ein glühendes Stück Kohle. Er fühlte sich beschmutzt, verdorben… Aber da musste er jetzt durch. Yarik biss die Zähne zusammen und zog den Schädel aus dem Schlamm. Der Totenkopf tauchte aus dem Brackwasser auf und grinste ihn an, bedeckt mit Schlick und Algen. Yarik schloss die offene Hand zur Faust und der Schädel kam auf ihn zugeschwebt. Er hob den Kampfstab zum Schlag…
Plötzlich schoss eine mit verrottender Haut bespannte Pranke aus dem Schlamm und griff nach dem Schädel, packte ihn, zog ihn zu sich. Yarik schrie erbost auf und verstärkte seien telekinetischen Griff, aber der Zombie war stärker. Er hielt den Schädel fest, während er sich langsam selbst hochstemmte.
Die Gestalt, die nur wenige Fingerbreit unter einer Moosschicht geruht hatte, war massiv. Schultern so breit wie die zweier kräftiger Männer, trotz der halb verwesten Muskeln. Die weggefaulten Lippen gaben den Blick auf große, hauerartige Zähne frei, während in den leeren Augenhöhlen unter den wulstigen Brauenpartien kaltes magisches Feuer loderte.
Yarik schluckte, als der Zombie sich zu seiner ganzen Größe aufrichtete. Ein Ork. Ein vedammt großer Ork. Und dem Feuer in den Augen nach zu urteilen, einer von der nicht ganz dämlichen Sorte Zombies.
Der Ork hielt den letzten Schädel der Vettel fest in seiner Pranke und drückte ihn schützend an seine Brust, während er mit der freien Hand eine gewaltige Axt aus dem feuchten Erdreich zog.
„Scheiße!“, stellte Yarik sachlich fest und wich ein paar Schritte zurück. Gegen diesen Koloss hatte er keine Chance, zumindest nicht allein. Er sah sich rasch um und entdeckte zumindest ein paar seiner Mitstreiter, die nicht allzu weit weg waren.
„Shakes!“, brüllte er, „Chala! Valerion!“ Der Ork stürmte nach vorn und ließ seine Axt niedersausen. Yarik sprang zur Seite und verpasste dem Zombie dabei einen Hieb mit dem Stab, den dieser aber nicht einmal zu bemerken schien. „Ich könnte hier ein bisschen Hilfe gebrauchen!“
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Basislager am alten Jägerturm, früher Abend - Griffin, Ryu, Freiya
»Jedenfalls hat sie ganz schön gute Arbeit geleistet, weißt du?« Mit einem prahlenden Grinsen auf den Lippen und den Armen gemütlich hinter dem Kopf verschränkt saß Griffin Ricklen gegenüber. Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt und kippelte tiefenentspannt auf einem Holzstuhl.
In den vergangenen Minuten hatte er mit einem siegessicheren Grinsen und einem süffisanten Unterton dem Blondschopf so ausführlich wie möglich berichtet, dass Freiya und ihr Jagdtrupp - so hatte er die vier in Abwesenheit der jungen Frau ausnahmsweise mal beschrieben, auch wenn er sich postwendenden dazu entschieden hatte, zukünftig diese und vergleichbare Formulierungen, insbesondere in Anwesenheit eines gewissen Rotschopfes, tunlichst zu vermeiden - nicht nur die erste, sondern mit Sicherheit auch eindrucksvollste Trophäe mit ins Lager gebracht hatten. Und nicht nur das: Sie hatten ganz nebenbei auch noch ein Mitglied des Waldvolkes gerettet, während - so zumindest hatte der Braunhaarige das gegenüber Ricklen zusammengefasst - dieser mit dem Daumen im Hintern im Wald rumgesessen und den richtigen Kriegern bei der Arbeit zu geschaut hatte.
Mit einem gespielten Gähnen streckte er die Arme von sich, ehe er diese wieder hinter dem Kopf verschränkte. »Und ich kann dir sagen, das ist vielleicht anstrengend. Ich bin richtig ausgelaugt, weißt du? Ich will gar nicht wissen, wie erschöpft Freiya sein muss. Die hat immerhin die ganze Arbeit gemacht. Ganz. Alleine. Du hättest sehen müssen, was Ryus und mein guter Einfluss bewirkt hab-«
»Griffin!«, platzte die soeben Erwähnte mit einer Gesichtsfarbe, die sich kaum noch von ihrem wallenden, wenn auch sehr verdreckten Haar unterschied. Keuchend und nach Atem ringend hielt sich sie am Türrahmen fest. War sie etwa vom Jägerturm bis hierher gesprintet? Griffin sprang von seinem Stuhl auf und näherte sich besorgt der jungen Frau.
»Ganz ruhig meine Liebe.« Er reichte ihr die Hand, die sie ergriff und ihn langsam in Richtung Tür zog. »Zarra!«, brachte sie zwischen zwei Atemzügen hervor. »Sie... haben Zarra.« Ein eiskalter Schauer lief dem ehemaligen Hüter über den Rücken. Beim Schläfer. Mit diesem Mädchen wurde es wirklich niemals langweilig. Mit zusammengekniffenen Augen fuhr er herum und deutete drohend auf Ricklen. »Ich will kein einziges Wort hören!«, fauchte er den Waldläufer an und sein Finger bebte vor Anspannung, während sich sein Mund zu einem Schlitz verengte. Und noch bevor Ricklen irgendeine Grimasse ziehen oder etwas sagen konnte, entschwand Griffin und folgte Freiya mit großen Schritten.
Mit jedem Schritt näher an den Jägerturm bot sich den beiden mit zunehmend chaotisches Bild. Einige Verletzte wurden gepflegt und es flogen in unregelmäßigen Abständen Pfeile surrend durch den Abendhimmel. Die wenigsten davon tragen ihre Ziele, denn die Harpyien flogen wild und unvorhersehbar durch die Lüfte. Es waren mittlerweile weniger als in Freiyas Schilderungen. Ein Großteil von ihnen war bereits abgezogen - hatte Beute und Menschen gleichermaßen irgendwohin verschleppt. Die eiskalten Finger der Schuld hielten Griffins Herz im unerbittlichen Klammergriff. Hätte er etwas tun können, wenn er hier gewesen wäre? Hätte er Zarra schützen können? Er blieb stehen. Die Geschichte wiederholte sich. Wieder einmal hatte seine Abwesenheit dazu geführt, dass ein junges Mädchen...
Wortlos nahm er einem Waldläufer seinen Bogen aus der Hand und legte einen Pfeil an. Nein. Er würde Zarra finden. zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt spürte er eine wachsige Sehne an seiner Wange. Der Pfeil flog mit einem kaum hörbaren Geräusch durch die Luft und verschwand im Dunkel der Bäume. Frustriet legte er einen weiteren Pfeil an. Die türkisfarbenen Augen des jungen Mädchens schoben sich vor sein geistiges Auge. Ob sie wohl um Hilfe, um seine Hilfe geschrien hatte? Die Harpyie kreischte, als der Pfeil an ihr vorbeisauste. War er schon immer so schlecht mit dem Bogen gewesen? Er war einst siegreich aus dem großen Turnier hervorgegangen. Der unbestritten beste Bogenschütze. Damals. Eleonora hatte ihn begleitet, als ein weiteres Turnier geplant war. In Setariff. Er legte einen dritten Pfeil an. Wieder kreischte die Harpyie, aber noch bevor ihr Körper auf dem Boden aufschlagen konnte, war das kreischende Geschrei einem leisen Gurgeln gewichen.
Er schwang sich den Bogen mitsamt Köcher um.
»Retten wir ein Mädchen!«, verkündete er. Freiya nickte verständnisvoll und legte ihm beschwichtigend aber bremsend die Hand auf den Arm. Das Funkeln in ihren Augen verriet, dass sie ebenso fühlte wie er. Die Wärme ihrer Hände
vertrieb für einen winzigen Augenblick die düsteren Gedanken. »Lass uns erstmal zu Ryu gehen und die Lage besprechen.« Ihre Stimme war so sanft und so warm wie immer, aber selten hatte der Braunhaare die Ruhe und Sanftheit des Rotschopfes mehr gebraucht als jetzt.
Geändert von Griffin (30.03.2024 um 23:20 Uhr)
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NWestl. Sümpfe, Niradh, früher Abend - Kiyan, Ornlu + Füchse
Eine sehr delikate Frage, die von Kiyan da gekommen war. Verübeln konnte man es nicht, denn so lange war er noch nicht dabei, um zu wissen, dass man da etwas fragte was der Druide geheim hielt. Was Ornlu schon eine ganze Weile irgendwo quälte und nie in Ruhe ließ.
Vor allem seine Leute blickten sich an und dann natürlich auch Ornlu, weil sie sich nie getraut hatten, es zu erfragen. Es gab in wissenden Kreisen diese Gerüchte und nur sehr Wenige wussten womöglich mehr.
Selbst Valgus und seine Leute, die manches Geheimnis des Druiden kannten und für sich behielten, wussten, dass diese Frage nur mit einer Pinzette berührt werden sollte, die eine noch kleinere Pinzette hielt, die dann das Thema umgriff.
Stille herrschte, bis Ornlu zu Kiyan neben sich blickte und dann in die Runde.
“Bevor ich irgendetwas mit euch teile - was ist im Topf? Was habt ihr gehört? Sprecht frei. Ich bringe niemanden um.”,versprach er. Dies aber in einem Ton, der trotzdem Vorsicht gebot.
“Nun dann trau ich mich als Erster. Immerhin kennen wir uns seit wir vom alten Aethel ausgebildet wurden.”, sprach Iun und führte nach kurzer Pause fort ”...du hast Suzuran betrogen und sie jagte dich davon, als du gerade völlig zugedröhnt mit zwei nackten Frauen auf den Fellen lagst.”
Ornlu nickte lediglich, ohne irgendwas zu bestätigen. Okam erhob das Wort.
“Du hast in Silden zwei Kinder zurück gelassen, die heute schon siebzehn Sommer alt sind. Man sagt, dass sie nicht wissen, dass du ihr Vater bist. Suzuran hat es aber irgendwann von dir erfahren und hat dich dann wütend verlassen.”
“Suzuran hat einen Grund nicht hier zu sein. Sie kümmert sich um eure drei Kinder. Das Älteste ist schon 10 und wurde verheimlicht, damit er bei in Ruhe und bei einem tausendjährigen Druidenmeister aufwachsen kann. Die anderen beiden sind bei Suzuran und wachsen unter Porgan den Heiler und Arakos den Bären in Beria auf. “, sagte Vigo.
Valgus war dran.
“Der Wolf hat seinen Erstgeborenen dem Hetzer überlassen. Suzuran will dich deswegen tot sehen.”
Düstere Blicke gingen umher, doch Ornlu blieb gelassen. Valimar war dran.
“Die kleine Rimbe. Alle fragen sich wer die Eltern sind. Du bist der Vater. Die Mutter starb wie üblich bei der Geburt und Nerea hat sie aufgezogen. Suzuran hat sie verflucht. Deswegen dieses Haar und diese Scheu. Du hast Suzuran dafür verflucht. Wroc dein Schildrabe ist Suzuran und darf nur bei Vollmond für eine Nacht wieder als Mensch auf Erden schreiten.”
“Es ist gar nichts Wildes passiert. Sie haben sich auseinander gelebt und sie geht ihren Pflichten auf dem Festland nach. Sie hat Schluss gemacht, weil Jadewolf meinte, dass ein Wolf sich nicht anketten lässt. Irgendwann war es dann nicht mehr das Feuer von einst, weil beide in verschiedene Richtungen gingen.”, sagte Vilnona von den Füchsen.
“Du und Suzuran habt heimlich geheiratet ohne Erlaubnis eurer Eltern und obwohl sie schon versprochen war. Als es raus kam gab es ein Riesentheater und ihr Verlobter hat dich zum Duell gefordert. Knapp hat dein Degen sein Herz getroffen und sein Degen hat dich nur verwundet. Eine junge Heilerin namens Esmeralda de la Hola hat dich gepflegt, damit du wieder gesund wirst. Zur richtigen, offiziellen Hochzeit mit Suzuran hast du ihr vor versammelter Hochzeitsgesellschaft gestanden, dass du und Esmeralda Gefühle füreinander hegt. Suzuran brach zusammen, als sie Esmeralda erblickte, denn Esmeralda war Hulia! Suzurans Halbschwester die ihr ihre Hochzeit so verderben wollte, wie es Suzuran bei Hulia gemacht hat, als sie Ramon-Orthego versehentlich schubste und er eine Klippe runter gestürzt ist. Beide Schwestern haben dich dann verbittert verlassen und der Wolf zog einsam durchs Land - bis er wieder hier aufschlug.”, erzählte Krea in einem Ton, der nicht so ernst war. Und doch waren die Blicke maximal verwirrt bei den Männern, während Vilnona einfach vehement zustimmte und die Geschichte für wie aus dem Leben hielt.
Zuletzt war Fenek Goldlocke dran.
“Du hast festgestellt, dass du der Verantwortung für Frau und Kind nicht gewachsen bist und hast sie verlassen. Traurig, aber bist nicht der Erste. Nur - sie war nicht die Erste und du, wie auch Hayabusa und Griffin sind schuld daran, dass auf dem Festland ein gutes Dutzend Kinder ohne ihre heldenhaften Väter aufwächst. Der Stoff für die Vorgeschichte von Helden, die sich irgendwann einmal dafür rächen werden.”
Stille herrschte und die Spannung um Antwort des Druiden zerriss die Luft am Lagerfeuer. Ornlu schmunzelte ganz leicht und blickte Kiyan an.
“Eine Geschichte…” - er blickte in die Runde, wo Okam vor Spannung schon an den dreckigen Nägeln kaute - “....Ist….” Ornlu hustete auf und räusperte sich. Selbst der alte Valgus wackelte nervös mit den Knien. - “...wahr!” - “Welche!?” fragte der sonst so ruhige Vigo.
“Lass mich doch mal ausreden, Vigo Tencontar. - Eine Geschichte ist wahr. Aber nur in Teilen. Vielleicht Bruchteilen oder ganzen Teilen? Moment! Vielleicht sind es doch zwei oder drei… HmmHmm… “
Die Gruppe stöhnte auf. Winkte mit den Händen ab, schimpfte Ornlu eine Mistkerl und diskutierte, ob doch eine Geschichte wahr war und Ornlu flunkerte. Dabei meinte man, dass er bei Valgus Gedanken schneller geatmet hatte und Okam behauptete, dass er Ornlu am besten kenne, weil sie gemeinsam durch eine Minecrawlerbau gekrochen sind und deswegen nur seine Geschichte wahr ist.
“Manchmal gilt: Frage nie einen Druiden nach Rat oder EINER Antwort. Denn er wird sowohl ja, als auch nein sagen.”, sagte der Druide zu Kiyan und hatte seinen Spaß.
“Aber…Ich werde dich eines Tages auf das Festland schicken und du findest jemanden für mich.”, meinte er kaum hörbar zum Einäugigen und schien in Gedanken dort gerade zu sein.
Langsam legte sich die Stimmung und es wurde ruhiger. Valgus kam auf Kiyan zurück und meinte, dass das eine gute Jagdgeschichte abgibt, wenn er es noch ausschmückt und fragte, ob er sich den Orkspeer mal ansehen dürfte.
Das Ding in den Händen haltend, driftete auch er in etwas Vergangenes ab und dankte dann Kiyan.
“Erzähl uns von Gorthar. Ich glaube, keiner von uns war dort jemals. Ist es vergleichbar mit Myrtana? Was jagt man dort?”, warf Ornlu ein der im Grunde nur den Namen der Stadt und grobe Gerüchte kannte. Nichts aber aus erster Hand.
Geändert von Ornlu (31.03.2024 um 07:33 Uhr)
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In der Luft über dem Sumpf, früher Abend - Zarra
Schreiend wehrte sich Zarra gegen die scharfen Klauen, welche sich durch Umhang, Kleid und Haut fraßen, als sie von einer Harpiye gepackt worden war. Ein schmerzhaft kräftiger Ruck war durch ihren ganzen Körper gegangen, als die geflügelte Frau sie an den Schultern gepackt und in die Lüfte gezerrt hatte. Pfeile flogen dicht an ihr vorbei und jemand rief, dass sie aufpassen sollten nicht die Frauen zu treffen. Das Mädchen registrierte in ihrem eigenen Kampf gegen ihre Entführerin nicht, dass es wohl noch weitere Oper gegeben hatte.
„Oma! Griffin!“, schrie sie laut um Hilfe, übertönt vom schrecklichen Kreischen der Harpiye, die sie mit mächtigen Schwingen emportrug.
Der Boden unter ihren Füßen entfernte sich immer weiter und der Schein der Fackeln im Dämmerlich wurde immer kleiner.
Warum, warum, warum, hasteten ihre Gedanken wild umher.
Sie versuchte verbisse sich aus dem Klauengriff zu befreien, rotierte die Schultern, wedelte mit den Armen und bäumte ihren Oberkörper auf. Doch all das trieb die Krallen des Monsters nur tiefer in ihr Fleisch, jagte ihr Tränen des Schmerzes in die Augen.
„Freiya! Ryu!“, flehte sie, als sie sich hoch über den Stegen befand und die Baumkronen der niedrigsten Bäume in ihrem Sichtfeld lagen.
Sie versuchte sich umzuschauen, jemanden zu erspähen, der ihr zur Hilfe kam. Doch sie konnte nur weitere Harpiyen erkennen, die noch immer über dem Lager kreisten und kreischten. Ihre Schultern wurden allmählich taub und auch das Strampeln mit den Beinen verlor immer mehr an Kraft. Sie war so erschöpft, so müde von den Strapazen des Tages. Der Fluss ihrer Tränen verstärkte sich, als sie erkannte, dass niemand sie noch zu retten vermochte. Selbst wenn ein Pfeil das Leben der Kreatur, in dessen Klauen sie hing, beendete, würde sie den Sturz aus dieser Höhe nicht überleben. Ihr Körper erschlaffte, als sich ihr Geist der Situation vollends bewusst wurde. Es war aussichtslos.
Die Harpiye, welche erkannte, dass ihr Opfer sich seinem Schicksal ergab, krächzte zufrieden und brachte sich mit zwei kräftigen Schlägeln der Flügel über die Kronen der Mangrovenbäume. Von außerhalb ihres Blickfelds ertönten weitere vogelartige Rufe, die den Erfolg des Überfalls bejahten.
Nach Osten trugen die geflügelten Frauen ihre Beute, die abendliche Sonne im Rücken, die den Sumpf in ein feuriges Rot tauchte. Als würde Zarras Welt in Flammen stehen, schaute sie mit leerem Blick hinab.
„Das ist nicht in Ordnung“, schniefte sie kaum hörbar, als eine neuerliche Welle der Verzweiflung durch sie fuhr.
Sie hatte doch nur Kräuter holen wollen und stattdessen hatte sie sich von ihrer Leidenschaft locken lassen. Neugierde hatte von ihr Besitz ergriffen und sie ihren Weg verlieren lassen. Das blaue Schimmern der Riesenlibelle war Verlockung gewesen und hatte sie zum Ursprung des Übels im Sumpf geführt. Wieso nur war sie so dumm gewesen? Zu einfältig und naiv die Gefahr zu erkennen, in die ihre Torheit sie brachte?
Jeder Flügelschlag sendete brennenden Schmerz durch ihre Schultern. Sie war zu entkräftet um sich der Bewegung anzupassen, dem Leid zu trotzen. Wo würden diese Monster sie hinbringen? War sie Futter für den Nachwuchs vorgesehen? Was fraßen Harpiyen?
All die Gedanken, welche ihrer Situation keine Besserung versprachen, waberten träge durch ihren Geist, während ihr Sichtfeld immer dunkler zu werden schien. In der Ferne glaubte sie zwischen den Bäumen ein altes Mauerwerk zu erkennen.
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NWestl. Sümpfe, Niradh, früher Abend - Kiyan, Ornlu + Füchse
Ich werde dich eines Tages auf das Festland schicken und du findest jemanden für mich.
Kiyan hatte bei den leisen Worten des Wolfsdruiden lediglich den Blick des Mannes erwidert, völlig ernst und mit bewegungsloser Miene, während sich die Wölfe und Füchse gegenseitig übertönten mit ihrer Enttäuschung darüber, dass Ornlu keinerlei Anstalten machte, eine klare Aussage über diese Frau namens Suzuran zu treffen. Und von dem, was Kiyan aus den Zwischenrufen gehört hatte, schien sie kein einfaches Fräulein zu sein. Das hätte den Gortharer auch gewundert. Im schlimmsten Fall war sie eine Druidin wie Ornlu, bewandert in der Magie der Natur.
Adanos, ich würde lieber das Horn des Alten Schattenläufers erjagen, als Ornlus Verflossene aufzuspüren und … ja, was? Ihr einen Strauß Blumen und eine Entschuldigungskarte zu überreichen?
Ja, entweder würde er Teil einer epischen Romanze werden, der Mann, der zwei gebrochene Herzen wieder vereint … oder sein Schicksal würde als Mahnmal dafür herhalten dürfen, dass Beziehungsprobleme in erster Linie von denen zu klären sind, die die Beziehung führen.
Deshalb war Kiyan heilfroh, als der Druide das Thema auf die Heimat des Einäugigen lenkte, das Herzogtum Gorthar. Ein wenig Wehmut, ein wenig Trauer, aber auch die schönen Erinnerungen begleiteten Kiyans Worte, als er der Zuhörerschaft antwortete.
„Gorthar ist …“, er suchte einen Moment nach Worten, „… majestätisch. Alleine die Stadt, die den Mittelpunkt des Herzogtums darstellt, ist unglaublich. Ich weiß nicht, wer von euch schon mal in Vengard, Khorinis, Mora Sul oder Montera war, große Städte allesamt … aber Gorthar übertrifft sie mindestens um das Doppelte!“ Er lächelte fast schon versonnen. „Stellt euch einen großen Bienenstock oder einen Ameisenhügel im Wald vor … zu jeder Stund herrscht Bewegung, spürt man das Leben.“
Manch ein jüngerer Fuchs schaute fast schon verträumt, Vigo als gebürtiger Städter lächelte verstehend, die anderen schauten aber bei dem Vergleich fast etwas beklommen drein.
„Natürlich hat das auch seine Schattenseiten. Kriminalität, Gewalt … die Kehrseiten der Zivilisation. Wenn man die Stadt aber verlässt und den Kontinent bereist, ja, dann sind einem keine Grenzen mehr gesetzt. Es gibt Entdecker, die ganz in den Norden und ganz in den Süden der Landmasse gereist sind und sie hatten nie sicher sagen können, dass es das Ende war. Manch einer munkelt, das am Ostende Gorthars nur noch ein kleines Meer die Entfernung zum Östlichen Archipel überbrückt.“
Kiyan hob etwas Dreck, Staub und Erde auf, pustete sie davon, ganz der Geschichtenerzähler. „Im Süden gibt es eine Wüste – Al Sherim – die legendäre Gnadenlose! Alte Hochkulturen wie jene aus Varant haben dort überdauert und frönen dort noch ihren düsteren Sitten von früher!“ Er hob die Hände, deutete auf die Baumkronen, schloss sie mit einer Handbewegung ein. „Im Norden gibt’s Wälder, die tausende Meilen in alle Richtungen reichen. Und darin sollen allerlei Kreaturen leben. Eber, doppelt so hoch wie ein Mann. Wölfe, die Okam im Widerrist übertreffen, Bären, die eine Burgmauer einreißen können. Es … Gorthar …“
Kiyan ließ die Arme hängen, grinste kurz in die Runde und verneigte sich. „… man muss dort gewesen sein. Man sagt, dass höhere Mächte dafür gesorgt haben, dass es dort immer Abenteuer gibt, dass man dort seinem Schicksal gegenübertreten, Dinge tun kann, die in anderen Gefilden, dem Festland und Argaan, nicht möglich sind.“
„Und vermisst du es?“, fragte die Füchsin namens Vilnona. „Dein Land der unbegrenzten Möglichkeiten?“
Kiyan schaute lange in die Ferne, eher er den Kopf schüttelte und ehrlich antwortete: „Kein bisschen“, sprach er langsam, „Ich … vor einigen Monden noch habe ich gedacht, dass ich mich hier, in Tooshoo, nie heimisch fühlen könnte. Aber … das hat sich geändert. Hier ist meine Heimat, hier möchte ich bleiben.“ Er sah nun lächelnd auf. „Da, wo das Waldvolk ist, bin ich zuhause.“
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Westl. Sümpfe, Niradh, Abend - Kiyan, Ornlu + Füchse
“Hört, hört!”, rief man nach Kiyans Worten und hatte interessiert gelauscht, was er über dieses Gorthar zu erzählen hatte. Ornlu war da noch nie und malte sich die Dinge dort nun besser im Kopf aus. Trotzdem würde er nicht drumherum kommen, einmal auch dorthin zu reisen und sich alles mit eigenen Augen anzusehen. Allein die Wälder versprachen viele neue Abenteuer und auch Jagdgeschichten. Nicht zu vergessen, dass es auch dort Waldvolk geben musste. Womöglich bewahrten sie noch altes Wissen, das in der ihm bekannten Welt nicht mehr vorhanden war oder tief in den Tempelruinen und alten Grabhügeln verborgen lag.
Man unterhielt sich noch, bis die Sonne untergegangen war und auch die letzten Sonnenstrahlen im Westen verschwanden. Das Feuer knisterte und man besprach sich dann über die Wacheinteilung. Kiyan sollte zusammen mit Okam oben Ausschau halten, während Vilnona den schmalen Aufstieg bewachen sollte.
Der Rest legte sich nach und nach schlafen und auch Ornlu wollte bis zu seiner Wache möglichst viel schlafen. Der Tag war seit Mitternacht sehr lang gewesen und nun am neuen Abend, spürte man was man eigentlich so alles heute erlebt hatte.
Kurz schreckte der Druide auf, als sein Schildrabe Wroc erschien.
”Wo hast du dich herumgetrieben?”, murmelte er und schloss dann die Augen. Wroc krächzte kurz auf und hielt dann Wache.
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Im südlichen Sumpf, später Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik, Maris
Natürlich war eine Pause nicht drin und Valerion seufzte, als sie plötzlich vor einer Hütte mitten im Sumpf herumstanden. Doch die Situation war so schnell außer Konttrolle geraten, das er keinen Plan gehabt hatte, wie schnell!
Aus dem Häuschen war das hässlichste Weib ausgetreten, das bei voller Betrunkenheit nichtmal hübsch aussehen konnte. Außerdem stank sie auch noch dermaßen, das Valerion kurz davor war, sich zu übergeben, konnte die aber noch zurückhalten, da plötzlich aus dem Sumpf überall verschiedene Untote erschienen waren.
Die ersten paar Goblin Untote, Hasen, und Ratten konnte er irgendwie wegtreten, andere größere Tiere und Menschen, würde er wohl nicht so einfach wegtreten können aber solange er seinen Stock, sowie den Dolch und seine Klinge hatte, würde das sicher noch etwas einfacher gehen. Die Untoten hatten es aber geschafft, die Gruppe etwas auseinanderzubringen. Valerion hörte hinter sich viel krach und geschrei, hatte aber keine Zeit dessen auf den Grind zu gehen, den langsam wurde er eingekesselt von Menschlichen untoten.
Mit seinem Stock konnte er sich zwar ein paar Untote vom Hals halten, doch es waren so unglaublich viele, dass sein Stock irgendwann nachgab. Nun half nur noch sein Schwert, das er so gut zu führen versuchte, wie es seine Ausbildung zuließ. So war er von einigen Untoten Menschen umzingelt, die er zwar von sich abhalten konnte, aber sie immer wieder sich von vorne erhoben und auf ihn zukamen. Er wusste leider keinen trick, wie man diese Kreaturen am besten bezwang. Er war immerhin kein Magier und auch nicht das, was Yarik war.
„verdammte scheiße“; murmelte er, wurde von einem Untoten gepackt und nahe an diesen rangezogen. Der Untote schien ihn küssen zu wollen, den seine Lippen kamen immer näher auf ihn zu.
„Junge du stinkst vielleicht nach verdorbenem Fisch, das glaubst du gar nicht“, rief er und konnte gerade noch den Dolch unterhalb des Kiefers hinauf ziehen, der Zombie schreckte überrascht zurück und ließ Valerion los. Den Dolch hatte er zwar nun verloren, aber fand eine Lücke in der Menge an Untoten, um sich zu befreien.
Als er den Ruf von Yarik vernahm, wollte er zu diesem rennen, stolperte jedoch über eine Wurzel und krachte mit voller Wucht gegen den Ork Zombie, der zu Straucheln anfing und mit Valerion in den Matsch flog.
„Langsam reichts mir, andauernd irgendwo dagegen zu fliegen“, rief Valerion genervt und schaute zu Yarik.
„Brauchste Hilfe, den Kumpel hier zu beseitigen?“, fragte der Bärtige und grinste schäbig.
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Basislager am alten Jägerturm, früher Abend
Melford hatte das Lager am Jägerturm noch nicht ganz erreicht, als plötzlich wildes Gekreische und Chaos ausgebrochen war. Durch das wilde Durcheinander konnte er nicht gleich erkennen, was hier überhaupt los war und erst als er mit schnellen Schritten die letzten Meter zum Lager gesprintet war wurde er der Gefahr aus der Luft gewahr. Bisher hatte er selbst nur Geschichten von diesen Wesen gehört und sie jetzt mit eigenen Augen zu sehen, war äußerst sonderbar. Nicht, dass der Kämpfer nicht bereits einiges an Seltsamkeiten gesehen hatte, doch dieses kreischende, gefiederte Weibsvolk war dann doch etwas anderes als Geistertiere...oder sprechende Ratten.
Sein Schwert ziehend, machte sich Melford sogleich auf in das Getümmel, um die zu beschützen, die Hilfe bedurften. Leider musste er schnell feststellen, dass er hier absolut nicht in seinem Element war. Die gefiederten Bestien waren nicht nur schnell, sondern wussten auch sich aus der Reichweite von einfachen Schwertern fernzuhalten. Hier und da sah er andere Waldläufer, die etwas mehr Erfolg mit Speeren und langen Stäben hatte. Aber auch sie taten sich schwer die Angreifer erfolgreich zu vertreiben. So dauerte es nicht lange bis die Harpyien Beute machten. Ja sogar Menschen vermochten sie in die Luft zu tragen!
„Was zum...“, entfuhr es dem Baumeister, der seinen Augen kaum trauen konnte. Niemals hätte er diesen dämonischen Vögeln zugetraut solch eine Kraft zu besitzen und so schwere Last davon zu tragen. Melford wurde es bei diesem Anblick gleich ganz anders, als ihm seine Höhenangst überkam. Normalerweise konnte er gut damit umgehen und Leben, doch jetzt wo jeder in Gefahr schwebte einfach fort getragen zu werden, überkam ihn Panik selbst ein solches Schicksal zu erleiden! Ja es war fast so als ob hier gerade einer seiner schlimmsten Albträume war wurde!
Sein Instinkt ließ ihn näher zum Turm hinüber rennen, wo auch er Schutz suchen wollte. Auf seinem Weg fiel ihm allerdings ein Seil auf das ihn auf eine Idee brachte. Kurzentschlossen hob der Baumeister es auf, band sich das eine Ende an den Gürtel und schaute sich dann um. Sich Mut fassend, machte er sich auf zurück ins Chaos und aber blieb dann an einem großen Baumstamm stehen, der normalerweise als Sitzbank diente. Hier wickelte und befestigte er das andere Ende des Seiles am Stamm. Bei der Größe war es unwahrscheinlich, ja sicherlich unmöglich, dass diese Federviecher ihn mitsamt dem Baumstamm davon tragen konnten!
Gleich viel selbstsicherer, schaute sich Melford um, wo er denn von Hilfe sein konnte. Allerdings waren inzwischen einige der Harpyien bereits wieder davon geflogen und die Lage schien sich so langsam zu beruhigen. In diesem Moment fiel sein Blick auf eine Gestalt, die so gar nicht in die Gruppe an Menschen passte, die hier für gewöhnlich zu finden waren. Wenn er sich nicht täuschte...
„Yared...?!“
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SIm südlichen Sumpf, später Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik, Maris, Onyx das Phantom
Davor….
Goblinbeeren waren höllisch gut.
Geschickt wie ein Panther im Menschenkörper bewegte er sich für seine Verhältnisse fort. Das ging so gut, dass er sogar in Kauf nahm auch mal in den Dreck zu fallen, nur um mit dieser Wendigkeit und Reaktionsschnelligkeit klarzukommen. Er war darin nicht trainiert und brauchte Zeit. Doch war es das alles wert gewesen. Es war kein Vergleich zum eher soliden Gang des Torgaaners von hohem Wuchs.
Die Krönung war jedoch sein filigraner Umgang mit dem Bogen. Onyx als einer der nicht vielen Meisterschützen des Waldvolkes war schon verdammt gut. Aber mit der Goblinbeere intus war selbst der solide Bogen, den er gefunden hatte, aufgewertet. Sein Feingefühl und Motorik überstiegen seine Bestform darin und er gierte nach einem Einsatz.
Im Jetzt…
Goblinbeeren waren höllisch gut und hatten ihren Preis. Onyx hatte begonnen wirre Gedanken zu haben und machte immer wieder Geräusche wie ein Goblin. Er brabbelte drauf los und musste sich bei allen Vorteilen regelrecht wieder auf sich selbst besinnen. Den Fokus finden, wie zum Beispiel den Bogen hoch konzentriert spannen.
Und gerade jetzt brauchte man den Waldläufer. Er hatte sie beobachtet. Gesichter erkannt, aber keine Namen dazu im Kopf gefunden.
Sie steckten allesamt in diesem Chaos in der Not und Onyx hatte Momente gebraucht, um den Fokus für sich zu finden. Nicht auf die beiden Oger zu schießen. Das richtige Ziel zu finden und zu verstehen, was wie wirkte und eben nicht funktionierte.
Nicht funktionierte ein einfacher Bogen gegen diese Sumpfhexe. Onyx hatte dadurch seinen Plan erweitert und rannte los.
Bei all dem Lärm kam er verdreckt und schlammig wie so mancher der Untoten aus seinem Versteck. Bewegte sich aber gewandt und zielsicher wie ein jagendes Wiesel auf sein Ziel zu. Der Langbogenschütze erschrak beim Anblick des Waldläufers. Schrie etwas, dass ihn ein Untoter mit glimmenden, grünen Augen holt und bekam lediglich den Bogen aus der Hand gerissen.
Onyx rannte weiter und verschwand phantomartig im Dickicht.
Er umkreiste das Geschehen, pfiff dabei kurz laut auf und teilte einen Gedanken. Dann ging er in Stellung. Nicht die Beste, aber er agierte aus dem Schatten heraus. Lediglich seine grünlich, glimmenden Augen - Zeugnis des nicht mehr ganz menschlichen Metabolismus und der Vergiftung durch die Goblinbeere - waren schwach zu sehen.
Vom Himmel stürzte Adler herab und packte den Schädel - mit gehörigem Überraschungsmoment - aus der Pranke des untoten Orks, der sich gerade kämpfend zur wehr setzte. Adler setzte am Boden auf und die Vettel kreischte auf. Sie eilte sehr schnell hinterher, aber Adler schaffte es rasch mit dem Schädel zu entkommen und in die Höhe zu steigen.
Onyx indes hatte drei Pfeile vorbereitet und legte den ersten Pfeil an.
Er visierte mit all seiner Kraft und dem neuen Geschick an und entließ die voll gespannte Sehne. Der Pfeil flog fast einen geraden Bogen und jagte in den Wanst der Sumpfhexe hinein. Kaum dass sie es feststellte, vollführte Onyx einen sehr schnellen zweiten Schuss, der einen Lidschlag später in die Lunge einschlug. Sie torkelte und kreischte auf, als sie Onyx erblickte. Währenddessen ließ Adler aus großer Höhe den Schädel fallen und verschwand.
So wie auch Onyx. Nicht aber, ohne einen letzten Gruß zu hinterlassen. All sein Können, all seine Ausbildung kamen vereint mit der Goblinbeere zum Einsatz. Kraft und Geschick vollführten die perfekte Bewegung am sich spannenden Langbogen. Entließen aus völliger Ruhe den Pfeil und jagten der Vettel den Pfeil aus mittlerer Distanz durch das linke Auge. Ihr Kopf wurde wuchtig umgerissen und als sie Schmerzen heraus schreiend mit dem anderen Auge nach Onyx suchte, war das Phantom weg.
Geändert von Onyx (01.04.2024 um 21:03 Uhr)
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Im südlichen Sumpf, Abend - Chala, Valerion, Yarik, Maris
Chala hörte jemanden ihren Namen rufen.
War das Yarik?, fragte sie sich beiläufig, als sie einer schwingenden halben Faust auswich, die vor ihr auftauchte.
Doch sie hatte keine Gelegenheit sich nach der Quelle des Rufes umzusehen. Sie musste sich darauf konzentrieren in Glaens Rücken zu bleiben, der ihr als lebender Wellenbrecher gegen ein Meer aus Untoten nutzte. Tatsächlich wichen sie den meisten der Wiedergänger aus und waren nur selten darauf angewiesen die Zombies mit gekonnten Stößen und Hieben aus dem Weg zu schaffen. Es hatte keinen Sinn die Diener der Vettel zu erledigen, solange sie in der Lage war neue zu erschaffen.
„Maris wird eingekreist!“, rief der Holzfäller ihr über die Schulter zu und verfiel kurz darauf in einen Sprint, der auf dem unebenen, schlammigen Boden mehr als leichtsinnig war.
Der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich, was der Dunkelhäutigen freies Sichtfeld auf den Turbanträger gewährte. Tatsächlich näherten sich ihm mehrere Untote, während er dem Stachelrücken in die Augen starrte.
„Was ist hier los?“, stieß Chala aus, ehe sie einen Bogen um den erstarrten Körper der Vettel schlug und sich gegen den ranzigen Körper des ersten Auferstandenen warf, der im Begriff war Maris mit seinen skelettierten Fingern zu erschlagen.
Es war keine Zeit gewesen Wildkatze zu ziehen, weshalb sie sich für die direktere Methode entschied. Glücklicherweise war sie nicht sonderlich klein und der Untote wog kaum mehr als ein halber Mann. Schließlich war nicht viel mehr übrig von ihm als eben das.
Mit einem lauten Stöhnen und einem darauffolgenden Platschen stürzte der Zombie nach hinten und landete Rücklings im wadentiefen Wasser. Die Klinge der Aranisaani blitzte aus ihrer Scheide auf und durchtrennte die Sehnen und Knochen, welche Kopf und Körper verband, ehe sie sich auf das nächste Ziel stürzte. Glaen hatte bereits zwei der Gefahren beseitigt und schwang soeben seine doppelseitige Axt in die Schulter einer dritten Wasserleiche, als urplötzlich ein überraschter Schrei ertönte, der sehr an ein Mädchen erinnerte.
Die Kleine von Maris‘ Kommando?, schoss es durch Chalas Kopf, ehe sie sich ihrem zweiten Zombie entledigte, der nur Augen für den Mann gehabt zu haben schien, der sich einen „Wer-zuerst-blinzelt-verliert“ Wettstreit mit der Schwiegermutter lieferte.
Suchend blickte sich die Dunkelhäutige nach dem Ursprung des Schreis um, doch noch ehe sie etwas entdecken konnte, echote ein schriller Schmerzensschrei durch den Sumpf. Ein Pfeil hatte sich in den Magen der Vettel gebohrt und tatsächlich schien es dieses Mal einen Effekt zu haben. Was war anders, als zuvor?
Ein weiteres ohrenzerreißendes Kreischen ging mit einem weiteren Pfeil einher, der sich scheinbar aus dem Nichts in den Brustkorb, knapp unter eine der widerlichen Brüste, fraß. Chala suchte nach dem Ursprung des Schützens und entdeckte Frank, der…unbewaffnet war?
Der Ruf eines Vogels folgte dem Gekreische der Alten. Ein Vogel, von denen zuvor kein einziger zu hören gewesen war.
„O le a le Mea o Tupu Iinei?“, presste die Aranisaani frustriert zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, bis sie endlich etwas entdeckte, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
Zwei leuchtend grüne Irrlichter tanzten mehrere hundert Schritte entfernt unheilvoll im Gebüsch.
„Faatasi ai ma Aitu“, fluchte Chala einen Augenschlag bevor sie im Dämmerlicht etwas entdecken zu glaubte, dass aus derselben Richtung wie die Lichter kam.
Es folgte ein weiteres schmerzverzerrtes Kreischen, was die Aufmerksamkeit der Kriegerin wieder auf die Vettel lenkte, der nun eine Befiederung das linke Auge ersetzte. Im selben Moment brach der Zauber oder was auch immer Maris getan hatte, um das Monster so lange still zu halten. Man konnte an den verfaulten Muskeln, die sich unter der gräulich ledrigen Haut anspannten, erkennen, dass sie kurz davor stand dem Rachedurst nachzugehen, den sie für den verborgenen Schützen empfinden musste. Doch dazu kam die Alte nicht mehr.
Wie eine Naturgewalt kam die mächtige Faust von Glok auf sie nieder, schlug sie mit solcher Wucht in den Boden, dass das Knacken von Knochen zu hören war. Der Oger war jedoch noch nicht fertig mit dem Mütterchen. Denn er klaubte ihren gebrochenen Körper auf, als ein gellendes Raunen von allen Untoten im Umkreis ausging, dass die Sinne zu betäuben drohte.
„Glok zerreißen Stachelrücken“, knurrte der riesige Barde.
Das Grollen seiner Stimme glich dem des Donners und die Wut darüber, dass er sie anfangs nicht hatte zerquetschen können, war an seinem Ton deutlich zu hören. Um seiner Worte Taten folgen zu lassen, packte er einen ihrer rötlichen Stacheln mit der einen Pranke und ihre Beine mit der anderen. Dann zog er.
Lähmendes Gebrüll drang aus der verdorbenen Kehle der Vettel, woraufhin sich alle Wiedergänger zu ihr umwandten und mit angestachelter Wut auf Glok losstürmten. Die Geschwindigkeit mancher dieser Bestien war erschreckend und Chala sah ihren eigenen Untergang heranrücken. Skelette, Zombies, faulige Tierwesen. Sie alle preschten vor, um ihrer Mutter zur Hilfe zu eilen.
Stille.
„Raaawwwwggghhh!“, durchbrach ein animalischer Schrei des Ogerbarden Glok die plötzliche, unwirkliche Ruhe.
Er hielt die Vettel in die Höhe. Den Oberkörper in der Linken, die Beine in der Rechten.
„Ist es vorbei?“, keuchte die Dunkelhäutige erschöpft, als sie dabei zusah, wie einer nach dem anderen die Untoten langsamer wurden und wieder zu Boden fielen. Einige verließ gar im vollen Lauf die Kraft.
„Sieht so aus“, erklang Maris‘ Stimme hinter ihr, dem sie sich zuwandte.
„Wie hast du sie so lange aufhalten können?“, verlangte sie zu wissen.
Immerhin hatte sie ihn mit ihrem Leben beschützt. Eine Antwort war er ihr ihrer Meinung nach schuldig!
„Ist die Alte tot?“, brach ein schwer atmender Yarik in das Gespräch herein.
Er schob mit seinem Kampfstab die Überreste eines schwarzen Schädels vor sich durch den Schlamm.
„Ich habe den Schädel vernichtet. Ein Adler kam herabgeschossen und hat ihn dem Ork entrissen“, erklärte er, was auf seiner Seite des Schlachtfeldes geschehen war.
Valerion hielt sich knapp hinter ihm. Der Grünzweigvirtuose wirkte alles andere als glücklich, doch wer konnte es ihm verübeln? Diese ganze Sache konnte man als riesig große Scheiße zusammenfassen. Der Gedanke des Sieges musste erst bei ihnen allen sacken.
„Alle Untoten sind wieder richtig tot“, meldete sich Liam zu Wort, der Eileen im Schlepptau hatte.
„Glok nie wieder ohne Plok gehen!“, donnerte plötzlich die Stimme des weiblichen Ogers über sie hinweg, als sich der zweite Oger dem ersten näherte, der noch immer die zweigeteilte Vettel in den Pranken hielt.
„Glok freuen sich Plok zu sehen!“, gab der Barde mit dem Versuch eines Lächelns eine vermeintliche Entschuldigung zum Besten, die seine Partnerin aber wohl nicht hören wollte.
Sie schepperte ihm ihr übergroßes Nudelholz – nicht mehr als ein Baumstamm – auf die Schulter, sodass er die Überreste der Schwiegermutter fallen ließ.
„Bringen wir den Kopf ins Lager“, schlug Glaen vor, der dabei war seine Axt von fauligem Fleisch zu befreien.
„Ein guter Vorschlag“, bestätigte Maris und Liam nickte.
Die gerade gesäuberte Axt wurde sogleich wieder besudelt, als sie zum Mittel der Enthauptung wurde. Der Holzfäller murrte kurz, ehe er jedoch der Aufforderung seines Anführers folgte.
Den Kopf in ein Tuch geschlagen machten sie sich endlich auf den Rückweg zum Lager. Sie alle schwiegen und nur ab und an war ein leises Wimmern von Frank zu hören.
„Mein guter Bogen“, murmelte er immer wieder wehleidig.
„Was ist mit deinem Bogen“, biss endlich jemand an, der sich das Gejammer nicht mehr anhören konnte.
„Ein grünäugiges Monster ist wie aus dem Nichts aufgetaucht! Ich dachte schon, das wäre es mit mir gewesen, doch es hat sich nur meinen Bogen gegriffen und ist wieder verschwunden. Es ging so verdammt schnell!“
„Und das sagst du uns erst jetzt?“, fuhr Liam ihn unverfroren an, „Was, wenn es noch eines dieser Monster von Ricklens Liste war?“
„Ich habe das grüne Leuchten auch gesehen. Zwischen den Bäumen, weit vom Kampfgeschehen entfernt. Ich glaube von dort kamen die Pfeile“, mischte Chala sich ein und nickte auf den eingeschlagenen Kopf der Schwiegermutter, in der noch immer ein Pfeil steckte, „Wie ein Phantom“, fügte sie etwas leiser hinzu.“
„Ein Phantom? Wie der Geist eines Verstorbenen?“, fragte Glaen ungläubig.
„Ja“, bestätigte die Aranisaani nur, ehe sie wieder in Schweigen verfiel.
Auf dem Rückweg trafen sie auf den Rest des Jagdkommandos unter Maris, darunter das Mädchen, welche sofort dem Einäugigen entgegenlief. Die Vertrautheit zwischen ihnen ließ Chala vermuten, dass sie einander nahestanden.
Ehe sie das Lager erreichten, zogen sich die beiden Oger zurück. Sie wollten nach ihren Goblins suchen, die sich von den Menschen getrennt hatten, um die Umgebung zu sichern und sich um ihre Verletzten zu kümmern. In den Augen der Dunkelhäutigen war dies eine gute Idee, denn wer wusste schon, wie die Wächter am Lager auf zwei Oger reagieren würden?
Kurz darauf verriet das Licht von Fackeln, dass sie nur noch wenige Schritte vor sich hatten, ehe sie sich eine verdiente Pause erlauben konnten.
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Basislager am alten Jägerturm, früher Abend - Vareesa & Ronja
Alles war so schnell gegangen! Gerade noch waren die beiden Freundinnen im provisorischen Zelt für das Jagdzubehör gesessen um allerlei Werkzeug für eben jene Tätigkeit auszubessern, als schrille Schreie und ein seltsames Gegacker über dem Lager ertönte. Das bedeutete nichts Gutes. Vareesa spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Wo Ronja sie am Mittag zuvor noch einigermaßen auf ihre eigene, unbeholfene Art hatte trösten können war ihre Freundin zumindest mit dem Reparieren der Bögen und dem Fertigen neuer Pfeile einigermaßen abgelenkt und in der Lage gewesen, für einen Augenblick in ihre eigene kleine Welt zu tauchen. Sich der stillen Betäubung ihrer Wahrnehmung entziehend und für zumindest ein paar Stunden Ruhe zu finden. Aber wie eingangs erwähnt... Das Gefühl von Ruhe war ihr einfach nicht vergönnt. Nicht, als Ronja auf die Rufe einiger Jäger hin ihren eigenen Bogen packte und aus dem Zelt rannte. Warum... Warum tat sie das!? Natürlich war die Erklärung eine einfache, aber... Warum!? Kurz darauf erklangen weitere Rufe und Schreie, während die Frau mit den grünen Strähnen nur da stand. Den gerade neu bespannten Bogen fest an sich gedrückt und die meerblauen Augen vor Schreck geweitet. -Ich muss was tun... Ich... Ich muss was tun...-, raunte es immer wieder in ihren Gedanken, doch regte sich nichts. Kein Zucken. Keine Bewegung. Mit jedem krächzenden Schrei und jedem weiteren Ausruf der Schmerzen jener die zuerst von den überraschenden Angreifern erwischt wurden schien es, als versteinerte ihr Körper weiter. Bis sie Ronja hörte. "Ey! Nicht! Den! Bogen! Verpiss dich!"
Die steinerne Hülle brach mit einem mal und Vareesa stürzte zugleich nach vorne! Jedoch im wahrsten Sinne des Wortes: Wie von einer überspannten Leine losgerissen, wurde der erste Schritt viel zu weit, als dass sie mit dem anderen Bein hinterher gekommen wäre. Im Fall unbeholfen Halt suchend, blieb sie nur am Lederriemen eines der Köcher hängen der zugleich zu Boden fiel und seinen Inhalt rund um die Handwerkerin verteilte. "Scheiße! Scheiße! Scheiße!", wimmerte diese wiederum nur als sie verzweifelt versuchte die Munition zusammen zu klauben und nervös zurück in den Köcher zu friemeln. Die Jäger würden jeden einzelnen davon brauchen! Und Ronja! Hastig und noch immer am ganzen Körper zitternd eilte die Bognerin schließlich nach draußen - den Köcher um die Schulter und den zuvor noch umklammerten Bogen fest in Händen. Und was sie dort sah gefiel ihr gar nicht. Dabei lag die Frage definitiv auf dem >was< : hysterische Vogelweiber attackierten mit ihren deformierten Krallenfüßen alles was sie erreichen konnten und packten, was nicht niet- und nagelfest war. Waren es Vorräte oder Werkzeuge. Und da war auch Ronja: Sie zerrte am Holz ihres Bogens um welches sich ebenso die Krallen einer dieser Kreaturen geschlossen hatte. Hin und her, wobei die Jägerin offensichtlich im Begriff war den Kürzeren zu ziehen. Wie auch nicht bei solchen kräftigen Viechern? Wo ihre Körper schmal und fast schon gräulich wirkten, waren jene Beine an deren Ende die greifenartigen Krallen hingen wesentlich kräftiger ausgeprägt. Man musste kein geübter Jäger sein um zu erkennen, wie das Jagdvorgehen dieser Dinger war.
Doch bevor Vareesa einen Pfeil anlegen und richtig zielen konnte, spürte sie den Wind kräftiger Flügelschläge über sich und ein gehässiges Lachen in ihren Ohren welches der Boshaftigkeit einiger Frauen im Bordell von Vengard in nichts nach stand. Und dann, der Schmerz, verursacht durch die Krallen der Bestien die sich durch Kleidung und Fleisch bohrten, während sie an ihr zerrten. Unter einem lauten Aufschrei aus Schock und Pein wandte die Schützin ihr Haupt hin und her was jedoch nur in noch mehr Demütigung endete, als die Furien damit begannen mit ihrem zweiten Krallenpaar welches die Hände ersetzte nach ihrem Kopf zu greifen und an ihren Haaren zu zerren. Ob es der Farbe geschuldet war, die sie trugen oder ob es ihnen einfach nur eine perverse Freude bereitete... Ehrlich gesagt kümmerte es Vareesa nicht im geringsten! Alles was sie wollte war, aus diesem Griff heraus zu kommen! Dieses Gefühl von Hilflosigkeit abzuschütteln! Sie kannte es... Festgesetzt zu sein... Unfähig, sich zu wehren... Das innerlich auffressende Gefühl, ausgeliefert zu sein... Von den Füßen gerissen zu werden. Zu schreien und nie gehört zu werden... Sie wollte das nicht! Verdammt, sie wollte das nicht mehr!
Ein weiterer Schrei, dieses mal jedoch...Reiner... Und irgendwie vertrauter erklang plötzlich als die Wanderin zwischen Tränen und unter dem hellen Lichtschein über ihr eine Kreatur vom Boden aufsteigen sah. Nur knapp an Vareesa vorbei stürmte jener Adler der ihren eigenen, spektralen 'Begleitern' gar nicht so fremd erschien, riss dabei ein Stück der Schwinge einer ihrer Peinigerinnen heraus und zerplatzte dann in tausende kleine Partikel. Diese Frau dort unten hatte das getan! Sie hatte etwas getan... Etwas... Ein Zeichen... Aber wie!? Warum konnte die Bognerin nicht auch so etwas? Warum war sie nur in der Lage, dieses ach so tolle 'Geschenk' für kleine Taschenspielertricks zu nutzen die irgendwann einmal nicht mehr ausreichen würden, um sie überhaupt am Leben zu halten! Warum nicht!? Warum war sie so hilflos!? Warum half das alles nichts!? Warum half IHR gerade niemand!? Wo waren denn all die herausgeputzten Hauptmänner und Jäger!? Wo waren Maris und Ronja!? Wo war der große Jadewolf!? Wo...
"Nein! Lasst mich! LASST MI...!", der Aufschrei der Wanderin fand ein jähes Ende, als sie urplötzlich zu dem reißenden Schmerz an ihrem Hinterkopf eine weitere Blessur erfuhr. Eine der Harpyien hatte das Aufstreben ihrer Beute mit einem kurz angebundenen Hieb ihrer Krallen unterbunden. Sie wollte sie unterwürfig machen... Sie quälen? Vielleicht brechen? War es das was hier gespielt wurde? Der Versuch sie, all diese Menschen... Das Waldvolk zu brechen? Sich Untertanen zu schaffen!? Sklaven!? Diese drei Spuren auf ihrer Wange... Sie brannten so sehr! Die anderen Krallen, verbohrt in ihrer vernarbten Schulter wurden mit jedem Flügelschlag schlimmer. Packten kräftiger, als ob ihre Entführer alle Mühe hatten, sie in der Luft zu halten. Und Vareesa? Sie presste die Augen zusammen... Heiße Tränen flossen über ihre Wangen, vermischten sich auf der einen Seite mit den drei Schnitten zu noch mehr Schmerzen... Warum war sie so hilflos? Sie wollte das nicht! Sie wollte keine Sklavin mehr sein! Weder von irgendwelchen notgeilen Hurenböcken, noch von einer arroganten Giftspritze die sie zu ihrer braven Bediensteten machen wollte, noch von irgendeinem halbnackten Scheißkerl, der sich in den Sümpfen einen auf das Leid und die Grausamkeit dieser geflügelten Missgeburten einen abschüttelte!
Es reichte. Es reichte nun endgültig. Wenn sie hier und heute draufgehen würde, dann unter ihren Bedingungen. Unter ihrem >freien< Willen. Kaum in der Lage einen beständigen Atem zu fassen war es, als vermischten sich die Kampfgeräusche und das Häme in der Stimme der Harpyien sowie ihrem eigenen Wimmern zu einer einzigen, schummrigen Masse. Dort irgendwo in den tiefsten Abgründen zerbrach etwas. Der letzte Zweig eines Dammes der sie noch beisammen hielt. Ein so sorgfältig errichteter Damm der immer wieder attackiert worden war. Der so vieles zurückgehalten und, nun, in sich gehalten hatte. Aber nun war da nichts mehr. Und es gab nichts mehr zu halten. Seit jener Nacht der Flammen war es das erste mal, dass sie solche physischen Schmerzen empfunden hatte. Nie wieder!
Vareesa riss die Augen mit einem mal auf und ein lauter, wütender Schrei entsprang ihrer Kehle der selbst jenes Gekrächze ihrer zwei Entführerinnen übertraf. "ES REICHT! ECHUIO!". Es war kaum zu werten, was überwältigender war: Das Brechen ihres eigenen Geistes... Die Schmerzen die ihren Körper dank der Harpyien durchzogen... Oder die unkontrollierte, zischende Welle instinktiver, von Hass und Überlebenswillen getränkter Magie die ihr durch die Adern schoss. Jede einzelne Lebenslinie glühte mit einem Mal in einem geschwärzten Grün auf und kumulierte dort wo sonst die Sänfte des Meeres die Welt betrachtete. Stattdessen befand sich dort nichts mehr weiter außer ein ätzendes Becken. Ein giftiger Abyss der voll Hass in die erschrockenen Fratzen jener geflügelter Wesen stierte die sie dazu gebracht hatten, all die antrainierte Beherrschung fallen zu lassen. Sie begann wild zu strampeln. Bohrte dabei die Krallen einer der beiden Harpyien nur noch tiefer in die Wunde, doch sie kümmerte es nicht. Sie wollte frei sein! Wollte leben! Wollte all ihrer Wut freien Lauf lassen! Und da war es: Das Zeichen! Unbeholfen und der Lage entsprechend hakelig begannen ihre Finger wie von automatisch zu zeichnen, ehe sie in einer Mischung aus Schmerzens- und Wutschrei nach oben um jene Kralle griff die sich in ihre Schulter gebohrt hatte. Noch bevor ein weiterer Angriff auf das Gesicht Vareesas treffen konnte hielt das geflügelte Ding inne, als sich entlang der Lebenslinie etwas aus den Lebenslinien ihrer Beute abzusondern schien:
Bedrohlich pulsierende, wabernde Partikel die mehr tropfenartig als alles andere waren formten sich innerhalb eines kurzen Augenblickes zu einem großen, schuppigen und doch spektralen Körper der damit begann sich um jene Harpyie zu schlingen, sodass sie kaum mehr in der Lage war mit den Schwingen zu schlagen. Stattdessen begann sie zu kreischen, wild nach dem Fremdkörper zu schlagen, doch half es nichts. Auch ihre verletzte, panische Gefährtin tat was sie konnte, doch es ging nicht. Und loslassen? Keine Möglichkeit! Das Beutewesen hatte sie nun beide um die Beine gegriffen und ließ trotz Kratzer und Verletzungen nicht mehr mit sich verhandeln. Doch was geschah als nächstes?
Die große Schlange züngelte einmal entlang der nun ihrerseits erkorenen Beute und schien den Blick auf jenem Vareesas zu halten. Diese formte nur ein einziges, stummes Wort welches in der Heiserkeit des vorhergehenden Schreies untergegangen war. Ein einzelnes, unter wütenden Mundwinkeln geformtes: "Töte!". Und die zufrieden zischende Schlange tötete. Der gesamte, massige Körper zog sich um das Opfer zusammen. Presste. Erstickte aufbegehrende Schreie und ließ Knochen in Armen, Rumpf und Schwingen bersten. Der Boden näherte sich, doch jenes Opfer der Schlange konnte nicht sehen. Nur ihre Gefährtin, im schraubstockartigen Griff der Beute gab panische Laute von sich, als sie ins Schwanken geriet. Unfähig dazu, mit dem einen, unverletzten Flügel alles zu halten. Sie geriet ins Straucheln, spürte plötzlich inmitten der verglimmenden Silhouette der Mörderbestie einen stechenden Schmerz im Oberschenkel und schrie erneut auf. Diese Augen! Dieses terrorisierende, grüne Unheil welches in einem transparenten Schleier langsam aus den Höhlen der Beute zu gleiten schien und wieder Platz machte für die oberflächliche Menschlichkeit dieses Wesens! Die Harpyie schrie erneut. Dieses mal nicht im Triumph. Nicht aus Boshaftigkeit. Sondern aus Terror. Der Terror, einem solchen Ende ihrer Schwester beizuwohnen. Dem Terror, nicht mehr fliehen zu können. Dem Terror, mit einem zerfetzten Flügel und einem dieser unsäglichen Menschenwerkzeuge im Oberschenkel in die Tiefe zu stürzen.
Ein eiskalter Schauer aus Frösteln und Schmerzen ließ Vareesa zusammenzucken und aufschrecken! Mit einem mal, nach Luft ringend und direkt in einem schmerzhaften Japsen übergehend, riss sie das von Schlamm bedeckte Gesicht in die Höhe und rollte sich zur Seite. Alles, wirklich ALLES fühlte sich gerade von diesen verdammten Schmerzen erfüllt. Die Wanderin würgte, versuchte nach Luft zu ringen und sich ihrer bewusst zu werden. Hatte sie... Hatte sie überlebt? Das deformierte Harpyien-Matschhäufchen zu ihrer Linken bestätigte zumindest, dass sie wieder auf dem Boden gelandet waren. Aber wie... Mit einem mal begann ein heißer Schub durch ihre Adern zu fließen und übrig blieb lediglich das Gefühl als hätte man ihr Jodsalz durch ebenjene Blutbahnen geblasen. Alles brannte und fühlte sich nahe dem Austrocknen an. Selbst ihre Augen gaben ihr das Gefühl, als hätte sie stundenlang darin gerieben und für einen Moment lang presste sie ebenjene zusammen. "Argh... Blöde... Scheiße...". Doch dann hörte sie ein jähes Ächzen zu ihrer anderen Seite. Die zweite Peinigerin lag dort, immer wieder am Versuch scheiternd, sich aufzurichten. Ruckartig rollte sich Vareesa noch einmal auf den Bauch und stolperte ihrerseits beim Versuch auf die Beine zu kommen. Sie kannte diesen Dolch der dort aus Oberschenkel dieses gefiederten Dreckstücks heraus ragte und für eine ordentliche Blutung sorgte. Schemenhaft kamen ihr schließlich die letzten Momente in Gedanken, doch zum Sortieren war nun keine Zeit. Die Bognerin, so gerädert sie sich auch fühlte - Das Adrenalin und der Wille zu überleben waren gerade stärker als jeder Schmerz. Langsam richtete sie sich auf und zog den zweiten Dolch. Jenen, den Ryu ihr vor sehr langer Zeit geschenkt hatte. Ihr erstes Geschenk, damals, als sie nach Silden gekommen war. Noch bevor sie ihre 'Gabe' erhalten hatte. Er war also da... Vareesas Blick ging umher, zu all den Kämpfenden. Sie alle waren da... Und sie wollten überleben. Egal wie dreckig es werden würde.
Ruhigen Schrittes stapfte die Jägerin auf jenes Wesen zu, welches zuvor noch so siegessicher in Gelächter und Gekrächze verfallen war. Unfähig dazu, sich groß aufzurichten, lag die Harpyie auf der Seite, die Augen auf Vareesa gerichtet. Die Bognerin wusste nicht, ob Angst, Terror oder Häme darin lag. Es interessierte sie schlichtweg nicht. Stattdessen zog sie kurz das Bein zurück, als das hinterhältige Federvieh noch einmal nach ihr kratzen wollte. Dann kniete sich die völlig besudelte Jägerin zu ihrer Beute hinab und starrte ihr direkt in die Augen. Was nun folgte hatte sie schon oft genug in den Gassen und im Hafenviertel von Vengard beobachten dürfen. "Du mieses, kleines Dreckstück...", sogleich folgte der erste Dolchstoß unterhalb der Achsel der Harpyie. "... Du und deine kleinen, hysterischen Freundinnen glaubt also, ihr könntet uns ans Bein pissen...", wieder ein Stoß. Wie sich der Spieß doch sprichwörtlich umdrehte. "Aaw, durstig? Tja... Selbst das Wasser unter'm Scheißhaus von Tooshoo ist zu gut für dich. Aber ich verrat dir was...", der letzte finale Stoß erfolgte. "... Das wird euch nicht gelingen. Weil ich, verdammte Scheiße noch einmal keinen Bock mehr darauf habe, mich von jedem dahergelaufenen Wichsgriffel betatschen und unterdrücken zu lassen!"
Damit stand sie auf. Sie hatte überlebt. Zwar unter unfassbarer physischer und psychischer Pein... Aber sie hatte überlebt. Für einen stummen Moment lächelte Vareesa und schloss die Augen. Ihr Bewusstsein drohte erneut in die durch die Erschöpfung bedingte Ohnmacht zu fallen, doch ein jeher Ruf nach ihr ließ sie noch einmal, leicht flackernden Blickes aufschauen. "Ich hab' mir solche Sorgen gemacht! Bitte sag, dass du nicht ver... Bitte sag, dass du nicht ZU verletzt bist!". Ronja... Die Wanderin zwang sich ein verzerrtes Lächeln ab, wischte sich mit dem Ärmel Blut und Schlamm vom Gesicht und nickte dann ungelenk. "Nur ein paar Kratzer... Jetzt komm... Die machen unsere Bögen kaputt...". Die Bognerin machte einige stolpernde Schritte in Richtung des Getümmels, hielt dann inne und streckte ächzend ihren Rücken durch ehe sie über die Schulter zu ihrer Freundin blickte. "Die Schlampen wollen nach Hafenregeln spielen.", Vareesa spuckte aus und verengte dann die Augen. "Also zeigen wir ihnen, wie der Dreck aus dem Hafenbecken schmeckt!"
Wobei es fraglich war, wie lange dieses Spiel heute noch für sie anhalten würde...
Geändert von Vareesa (02.04.2024 um 17:20 Uhr)
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NWestl. Sümpfe, Niradh, Abend - Kiyan, Ornlu + Füchse
Die erste Wache. Kiyan streckte sich, während der Rest der beiden Gruppen sich – mit Ausnahme von Okam bei den Wölfen und Vilnona bei den Füchsen – ihren Schlafplatz einnahm, um die paar wenigen Stunden Ruhe auskosten zu können. Schweigend ging Kiyan am Felsennest entlang, nachdem er sich mit den beiden anderen Wachen abgesprochen hatte, wer welchen Bereich im Blick behalten würde.
„Wenn was ist“, erklärte Okam und grinste kurz, „dann mach den Ruf der marinblauschwänzigen Zaunhupfdohle.“
Der Jäger schüttelte den Kopf. „Du kriegst vielleicht den Klang der Arschgeige, wenn mir danach ist.“
Okam lachte. „Seltsamerweise klingt die Zaunhupfdohle genauso!“
So hatte es sich der Veteran unter den Waldläufern in seinem Wachbereich bequem gemacht und die Augen und Ohren offengehalten. Kiyans Schritte waren leise, er schob dann und wann Äste und trockenes Laub beiseite, das den Weg hier hinaufgefunden hatte. Zum einen, um bei der nächsten Runde nicht darauf zu treten, zum anderen, um die Wache nach seiner von den möglichen Geräuschquellen zu befreien.
Kiyan wandte sich um. Etwas flatterte zum Wolfsdruiden, ein schwarzer Schemen. Er hörte die gedämpfte Stimme des Mannes, ehe dieser sich zur Ruhe begab. Klar, der wird natürlich unter den Tieren der Insel seine Freunde haben. Morgen reitet er auf einem Elch und während er singend das Haus von sieben Kleinwüchsigen mithilfe von Spatzen, Rehen und Karnickeln säubert …
Ein verhaltenes Krähen riss ihn aus den Gedanken. Er schaute auf einen Felsen, der sich in der Nähe erhob. Dort saß ein weiterer schwarzer Schemen. Ein Rabe. Groß, wirklich größer als der Durchschnitt. Nicht fett, einfach groß. Den schwarzen, geschmeidigen Kopf legte er schief und sah Kiyan aus einem pechschwarzen Auge an, als dieser nah herantrat. Näher als es die meisten Raben erlaubt hätten.
Der Vogel klackerte mehrmals mit dem Schnabel, ein Klicken und leises Krähen, ehe er den Kopf herumriss, sich vom Felsen abstieß und im Halbdunkeln verschwand.
„Seltsam“, murmelte Kiyan nur, ehe er weitermarschierte. Scheinbar war der Rabe – was anderes konnte es nicht sein, was zu dem Druiden geflogen war – nicht alleine zum Felsennest geflogen.
Der Jäger hob die Schulter. Raben waren letztlich seltsame Vögel, wesentlich schlauer als andere ihrer fliegenden Artgenossen. Der hier hatte sich wahrscheinlich einfach mal diese seltsamen Zweibeiner anschauen wollen.
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Lehrling
Basislager, Nacht
„Und jetzt kannst du den Verband drumherum wickeln“, erklärte Freiya. Mit leicht zitternden Fingern wickelte Ronja ein Stück Leinen um Vareesas versehrte Schulter. Die – verdreckte – Rothaarige neben ihr nickte zufrieden.
„Geht es?“, fragte Ronja besorgt ihre Freundin mit den grünen Haarspitzen. Die drei Frauen saßen im Zelt für die Verletzten in einer Ecke. Eine Lichtkugel, die hin und wieder etwas flackerte, erhellte die Szenerie, Vareesa hatte sie erzeugt. Es war nun einiges los in diesem Zelt, da Vareesa nicht die einzige war, die vom Angriff der Harpyien Verletzungen davon getragen hatte. Die Harpyien waren inzwischen tot oder vertrieben. Jemand hatte acht Stück von diesen monströsen Dingern gezählt. Zwei hatten die junge Zarra davon getragen, zwei weitere hatten ebenso entkommen können. Drei hatten ihr Leben gelassen – daran hatte Vareesa einen besonders großen Anteil gehabt – und eine hatte sich noch durchbohrt mit Pfeilen davon geschleppt. Wahrscheinlich würden sie sie im Morgengrauen nicht weit vom Lager in den Büschen finden. Nun galt es für alle Wunden lecken, Krone richten und weitergehen.
Vareesa indessen nickte tapfer und Ronja lächelte ihr entgegen. Das war eine sehr ungewohnte Situation für den Lockenschopf, sie hatte sich bisher nie um irgendwelche Verwundeten gekümmert. Sie war immer eine von denen gewesen, die sich um die Waffen, also in ihrem Fall eben die Bögen der anderen, gekümmert hatte. Aber Vareesas Verletzungen, da konnte sie nicht einfach so zuschauen. Gut, dass Freiya angeboten hatte, ihnen behilflich zu sein. Diese schmunzelte nun leicht.
„Ihr macht das beide gut“, lobte sie die Aushilfsbarbierin und ihre Patientin. „Ich hol Vareesa mal einen Schluck Wasser.“
Die Rothaarige stand auf und ließ die beiden Bognerinnen allein. Ronja wickelte weiterhin zaghaft und so gut es ging Verbände um Vareesas Schultern.
„Du … musst das nicht tun …“, sagte Vareesa. Ronja sah überrascht auf.
„Hä? Du bist verletzt! Das ist doch Ehrensache!“, erwiderte sie. Sie war froh, dass sie etwas hatte, das sie beschäftigte.
„Danke“, sprach Vareesa erschöpft.
„Ach, wofür denn …“, sagte Ronja. Sie wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Normalerweise boxte sie in solchen Situationen den Leuten unbeholfen gegen den Arm, weil sie nicht wusste, wie sie ihre Zuneigung anders ausdrücken sollte. Aber das ging gerade nicht. Sie rümpfte die Nase, als müsste sie niesen.
„Weißt du, ich hatte so einen Schiss, als diese Kackviecher dich gepackt hatten“, gab sie schließlich zu. „Aber was du da gemacht hast, mensch, das war der Wahnsinn!“, entfuhr es ihr schließlich und ein breites, schwärmerisches Grinsen legte sich endlich über ihr Gesicht. „Hast du die Gesichter der Harpyien gesehen? Als sie dich gesehen haben, wussten sie, dass sie es verschissen hatten!“
Nun hatte sie den letzten Verband um Vareesas Wunden gewickelt, da tauchte Freiya wieder bei ihnen auf und reichte Vareesa etwas zu trinken.
„Du stinkst. Was hastn du da überhaupt an dir?“, maulte Ronja.
„Tausendfüßerglibber“, antwortete Freiya. „Ich weiß, ich werd mich auch gleich waschen gehen und andere Kleidung suchen.“
Ronja verzog das Gesicht. „Von all den Viechern fand ich den Tausendfüßer am ekligsten.“
Freiya nickte, das Gesicht ebenso verzogen.
„Wie habt ihr den Tausendfüßer gefunden?“, fragte Vareesa.
„Wir haben Zarra gesucht, Nereas Enkelin. Er war hinter ihr her. Wir hatten sie zum Glück noch im rechten Augenblick gefunden“, antwortete die Rothaarige.
„Wie, ihr wart gerade erst wieder mit ihr angekommen und schon haben diese Kackbratzen sie wieder davon geschleppt?“, sprach Ronja etwas zu laut, dass sich alle im Zelt nach ihr umblickten. Freiya nickte. Sie deutete Ronja an, dass sie Vareesa nun in die Sachen zurückhelfen konnte.
„Arme Zarra!“, entfuhr es der Braunhaarigen. Als Vareesa die Arme hob, ächzte sie leise.
„Was geschieht jetzt wegen Zarra?“,fragte sie dann mit zusammengebissenen Zähnen. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, als sie zu Freiya hinauf blickte.
„Wir werden sie suchen. Im Moment versucht Ryu Griffin davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn macht, jetzt blindlings in den Wald zu rennen. Wir müssen warten, bis es wieder heller ist und dann versuchen, ihre Spur aufzunehmen.“
„Macht Sinn“, murmelte Ronja. Dann reichte sie Vareesa die Hände und strahlte sie an.
„Ganz langsam“, ermahnte Freiya ihre Freundin.
„Jaja. Man, ey, jetzt werd mal nicht so hauptmännisch hier“, maulte Ronja und zog Vareesa langsam auf die Beine. Als sie stand, stützte sie die Grünsträhnige, deren Augen lange schon wieder das normale, tiefe Blau, das ihnen zu eigen war, angenommen hatten.
„Also, ich würde jetzt was zwischen die Zähne vertragen, und ihr?“, sagte Ronja sichtlich zufrieden ob der Lage ihrer Patientin. Sie hatte den gefärhlichen Eingriff überlebt. Vielleicht sollte Ronja mal über eine Karriere als Heilerin nachdenken, sie schien Potential zu haben.
Freiya indessen legte Vareesa eine Decke um die Schultern: „Ich brauch auch dringend was zu essen. So lange werdet ihr mit meinem Geruch noch leben müssen.“
Ronja zuckte die Schultern: „Besser als –“ Sie hielt inne. Onyx‘ Fürze hatte sie sagen wollen. Vareesa warf ihr einen fragenden Blick zu. Ronja blickte kurz zu Boden.
„Ach, vergesst es“, sagte sie, dann hakte sie sich bei Vareesa ein, so gut es zumindest mit der Decke ging.
Einige Zeit später standen sie vor dem Lager und betrachteten das, was dort aufgespießt war: Der Kopf des Tausendfüßers, den Ryu und Freiya hergeschleppt hatten, und das unfassbar hässliche Antlitz der sogenannten Schwiegermutter, die die Gruppe um Maris, diesen Fatzkentypen und die ganzen anderen Leute mitgebracht hatten. Viele von denen, die im Lager gewesen waren, standen nun davor. Auf einmal traten Jarvo und Mertens vor, jeder von ihnen eine tote Harpyie bei sich.
„Die kommen mit dazu“, erklärte Mertens. „Als Warnung!“
Als sie auch die Leiber jener verendeten Wesen drapiert hatten, drehte Jarvo sich um.
„Zwei Bestien haben wir! Waidmannsheil!“, rief er laut.
„Waidmannsdank!“, erwiderten jene, die die toten Wesen erlegt hatten, laut, dass es durch die Nacht schallte.
„Mit Kampfkraft, Geschick, Köpfchen und Zusammenhalt habt ihr die ersten Siege für uns eingefahren! Genießen wir den Augenblick, trinkt, esst, ruht euch aus. Aber übertreibt es nicht! Morgen geht es für uns alle weiter! Wir müssen fokussiert bleiben! Wir müssen weiterhin zusammenhalten! Bewahret!“
„Bewahret!“, erwiderten sie alle. Einige der Leute trollten sich wieder ins Lager, andere blieben stehen, um die Fratzen der Bestien zu betrachten. Vareesa blieb vor den Harpyien stehen, Ronja stellte sich an ihre Seite und wippte auf den Füßen auf und ab, dabei summte sie eine Melodie.
Sie ließ ihrer Freundin die Zeit, sich noch einmal mit den Harpyien auseinander zu setzen. Da trat plötzlich der Hauptmann zu ihnen. Ronja betrachtete ihn. Er war tatsächlich auch voll mit diesem … Tausendfüßerglibber. Bärgs.
Vareesa blickte auf zu ihm, doch bevor er seine Frage und sie ihre Antwort formulieren konnte, sprang Ronja ungalant aber mit einem breiten Grinsen dazwischen:
„Ja, sie hat sie erledigt! Erst hat sie so nen fetten Wurm aus ihrem Händen kommen lassen und dann hat sie der einen einfach direkt volles Pfund aufs Maul gegeben! Was sagst du dazu, Hayabusa, hm?“
Sie überkreuzte die Arme und blickte zufrieden zwischen der toten Harpyie und ihrer Freundin hin und her.
Und keiner von ihnen stank nach Tausendfüßerglibberkrams!
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Basislager, Nacht
„Bewahret“, grüßte Enya mit einem bedachten Lächeln, als sie einen vorsichtigen Blick in das Kommandozelt am alten Jägerturm warf.
Ihre Laute, die sie mit einem Gurt auf dem Rücken trug, gab einen dumpfen Ton von sich, als sie sich etwas vorbeugte.
„Enya?“, fragte Jilvie, die neben Ricklen und Jarvo über einen Tisch gebeugt die Karte des Sumpfes betrachteten, auf der verschiedenste Markierungen platziert worden waren.
„Hallo Schwester! Fynn ist auch hier!“
Sie waren nicht wirklich Schwestern, doch so lange waren sie bereits befreundet, dass es sich so anfühlte, als hätte die Bardin eine jüngere Schwester in Jilvie.
„Seit wann seid ihr zurück?“, fragte die Blonde überrascht.
„Gerade angekommen“, antwortete Fynn, der nun ebenfalls in den Schein einer Fackel trat.
„Es ist gut euch zu sehen! Auch wenn die Zeiten besser sein könnten“, meinte die Meisterjägerin mit bedrückter Miene.
„Ja, wir haben kurz mit einigen Leuten in Tooshoo gesprochen, bevor wir zum Lager gekommen sind. Wir dachten, dass ihr etwas Unterstützung brauchen könntet, die Motivation aufrecht zu erhalten“, erklärte Enya und griff an den Hals ihrer Laute.
„Das wäre hilfreich. Die Stimmung ist etwas bedrückt“, mischte sich Jarvo ein, „Aber haltet es bitte ruhig. Wir können uns noch keine ausgiebige Feierlaune leisten.“
„Natürlich“, erwiderte die Bardin und verbeugte sich galant, ehe sie aus dem Kommandozelt trat.
„Lass uns am Feuer Platz nehmen, Fynn“, schlug sie vor und führte den Weg.
Sie grüßten die am Feuer sitzenden Jäger und Helfer, welche aufblickten, als sich das Paar zu ihnen gesellte.
„Bewahret, Freunde!“, grüßte Fynn sie, ganz der Erzähler, während er seine Trommel vor sich platzierte, „Dunkle Zeiten, in der wir die Siege feiern sollen, derer wir habhaft werden konnten, nicht wahr?“, er deutete auf die aufgespießten Trophäen der Jagd am Eingang des Lagers.
Grimmiges Nicken pflichtete ihm bei, doch das Interesse ob der Neuankömmlinge war geweckt.
„Es ist wichtig zu wissen, für was man kämpft“, fuhr der Barde fort und schaute liebevoll zu Enya, die ihre Laute zur Hand genommen hatte, „Denn das ist des Jäger’s Pfad.“
Damit stimmte sie mit einem leisen Schlag der Saiten eine Melodie an, ruhige Töne, bedachte Töne. Fynn passte sich an und begann zu singen.
Oh weiser Jäger, zieh durchs Land,
dein Bogen straff, die Augen klar.
Für die Natur, mit sicherer Hand,
dein Pfad, er führt dich wahr und rar.
Für Wildnis, für das Gleichgewicht,
für Schutz, der in den Wäldern spricht,
für all das Leben, das hier blüht,
wirst du, oh Jäger, stets behüt'.
Die Wölfe mögen heulen laut,
die Nacht sich senken schwer und kalt.
Doch wird dein Sinn, der scharf und traut,
dir weisen Weg durch Waldes Halt.
Für Wildnis, für das Gleichgewicht,
für Schutz, der in den Wäldern spricht,
für all das Leben, das hier blüht,
wirst du, oh Jäger, stets behüt'.
Und wenn die Jagd am härtesten,
dein Pfeil verloren, Bogen bricht,
denk an das Leben, halt es fest,
für das wird dieser Pfeil gesicht.
Für Wildnis, für das Gleichgewicht,
für Schutz, der in den Wäldern spricht,
für all das Leben, das hier blüht,
wirst du, oh Jäger, stets behüt'.
Im Morgengrauen, still und weit,
der Jäger lauscht der Erde Lied.
Im Einklang mit der Jahreszeit,
sein Herz dem wilden Rhythmus zieht.
Für Wildnis, für das Gleichgewicht,
für Schutz, der in den Wäldern spricht,
für all das Leben, das hier blüht,
wirst du, oh Jäger, stets behüt'.
Das Lied endete mit einigen letzten sanften Schlägen auf die Trommel. Funken des Lagerfeuers tanzten durch die Nacht, als hätten sie jede Note vernommen.
Zarra
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