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Im Randgebiet des Sumpfes, etwas südlich der Sumpfkrautplantage, früher Nachmittag
Korruption…
Immer wieder formte Yarik das Wort mit den Lippen, ohne es laut auszusprechen. Als könne der harte Klang allein die Mächte der Untwelt auf sie aufmerksam machen, die den Sumpf in einem viel stärkeren Ausmaß heimgesucht haben mussten, als er bislang gedacht hatte. Er spürte es jetzt sogar dann, wenn er sich nicht darauf konzentrierte – wie ein Pesthauch, ein erdrückendes Miasma, das sich einer unsichtbaren Nebeldecke gleich über den Sumpf gelegt hatte. Es fühlte sich alles so falsch an, so verdorben…
Es würde nicht einfach werden, diese Korruption an der Wurzel zu packen und auszureißen. Aber es gab keine Alternative. Für ihn noch weniger als für die anderen Mitglieder seines Jagdtrupps. Er dachte daran zurück, wie er sich in einer Höhle tief unter dem Sumpf einer von Beliar verdorbenen Kreatur gestellt hatte, wie er zum… zum Werkzeug eines Naturgeistes geworden war. Ja, anders ließ es sich nicht ausdrücken. Manch einer, der nur die potenzielle Macht sah, die damit einherging, mochte es als ‚Erwählung‘ bezeichnen. Aber das war eigentlich ein Euphemismus. ‚Zwangsverpflichtung‘ traf es wohl eher. Rekrutierung als Soldat für einen Krieg, der ihn bis dahin nichts angegangen hatte. Oder gar… ‚Benutzung‘? Vielleicht aber auch – ‚Wiedergeburt‘. Geburt und Erwählung – beide Ereignisse hatten viel gemeinsam. Er war genauso wenig gefragt worden, ob er Druide hatte werden wollen, wie man ihn gefragt hatte, ob er hätte geboren werden wollen. Beide Male hatte er sich durch Blut und Schleim und Schmerzen in eine völlig neue, ihm fremde und gefährliche Welt kämpfen müssen. Beide Male war er anschließend hilflos gewesen, hatte erst mühsam zu kriechen, zu krabbeln, zu laufen lernen müssen…
Kann ich überhaupt schon laufen?, fragte er sich müßig, Oder krabble ich noch?
Yarik machte sich keine Illusionen darüber, dass seine Druidenfähigkeiten bislang höchstens rudimentär waren, verglichen mit den Kräften, über die jemand wie Jadewolf gebieten konnte. Aber darauf nahmen weder die Kreaturen Beliars Rücksicht, noch die Geister der Natur. Es würde einfach reichen müssen…
„Au! Mistvieh!“ Shakes schlug sich mit der flachen Hand auf den Nacken und wischte dann mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck die Reste irgendeiens zermatschten Insekts von seiner Handfläche. Seit sie nach einem kurzen Zwischenstopp auf der Sumpfkrautplantage, um auf Shakes‘ Anraten noch einige Sicheln mitzunehmen, die Sümpfe betreten hatten, summte und brummte es um sie herum. Die Luft war voll mit Insekten aller Größen und Farben – Fliegen, Käfer, Schmetterlinge… Viele von ihnen harmlos. Aber einige wohl auch bissig.
„Ich habe den Eindruck, sie wollen zum Baum“, stellte Liam fest und deutete auf einen besonders prächtigen Schmetterling, der in der Tat genau in Richtung Tooshoos flatterte. Sein Flug wirkte zielstrebig, nicht, wie sonst für Schmetterlinge üblich, erratisch und wie vom Zufall bestimmt.
Yarik nickte. Jetzt, wo Liam darauf aufmerksam gemacht hatte, konnte er dasselbe Muster auch bei zahlreichen anderen Insekten erkennen: Sie flogen, flatterten, krochen und hüpften alle grob in dieselbe Richtung: Nach Tooshoo.
„Also verlassen selbst die Käfer schon das sinkende Schiff“, stellte Shakes missmutig fest, „Scheiße… das kann ja heiter werden.“
„Kannst dir ja Grashalme als Fühler in die Haare stecken und so tun, als würdest du dazugehören“, knurrte Glaen.
Liam warf den beiden einen strengen Blick zu. „Ruhe jetzt! Wir sind nicht zum Spaß hier! Achtet auf die Umgebung – je weiter wir in die Sümpfe vordringen, um so gefährlicher wird es, das ist euch hoffentlich klar! Also spart euch euer Geplänkel für die Siegesfeier, jetzt haben wir erst einmal einen Job zu erledigen!“
Langsam, aber zielstrebig bewegte sich der Jagdtrupp tiefer in den Sumpf hinein. Je weiter sie den Schutz des großen Baumes hinter sich ließen, um so offensichtlicher wurden die Spuren der ersten großen Auseinandersetzung, die stattgefunden hatte, nachdem dieses seltsame… Wesen – der Schamane, wie sie ihn nannten – den Beginn der Jagd als einen Wettstreit zwischen den Menschen und den rohen Kräften der Natur verkündet hatte. Frisch entwurzelte Bäume, Schneisen aus abgebrochenen Ästen und zertretenem Unterholz, aufgewühlte Erde, die übel zugerichteten Kadaver von Tieren des Sumpfes, all das kündete von einer Schlacht, die hier stattgefunden hatte. Hatte? War die Schlacht schon vorbei? Auch wenn der erste Ansturm abgeebbt war, hörten sie doch nach wie vor immer wieder das Krachen und Bersten von Holz oder die Rufe wilder Tiere von den tiefen Sümpfen her.
„Da vorn!“, zischte plötzlich Eileen und deutete auf eine Stelle vor ihnen, wo eine Gruppe junger Bäume auf einer kleinen Erhebung um Sonnenlicht wetteiferte. Yarik kniff die Augen zusammen, konnte aber zunächst nichts erkennen. Erst, als Eileen bereits einen Pfeil auflegte, sah er, was das Mädchen längst entdeckt hatte: Die aufgeblähten Leiber von Blutfliegen, die träge torkelnd im Schatten der Bäume ihre Kreise zogen.
„Die sehen irgendwie nicht… richtig aus!“, murmelte Eileen, und sie hatte recht. Die Art, wie sie sich bewegten, die Masse ihrer Körper, das ölige Schillern, das von ihnen ausging – es war schwer, den Finger direkt daraufzulegen, was mit den Blutfliegen nicht stimmte, aber normal waren sie nicht!
„Welche von, äh… unseren?“, fragte Liam und Yarik brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass der Waldläufer die Frage an ihn gerichtet hatte. Yarik schloss die Augen, atmete tief ein und aus und schärfte sein Gespür für das Geflecht der Magie um ihn herum. Es brauchte nicht lange, bis er die Blutfliegen ‚sehen‘ konnte – wie schwarze, Verderbnis blutende Wunden im Gefüge des magischen Netzes der Natur, die alles um sich herum beschmutzten... Er schüttelte den Kopf. „Nein. Schon lange nicht mehr!“
„Dann ist die Jagdsaison hiermit offiziell eröffnet“, verkündete Liam grimmig, rammte seinen Speer neben sich in den weichen Boden und nahm seinen Bogen zu Hand.
Der erste Kill ging an Eileen. Während Liam und Shakes, der ebenfalls seinen Bogen gezogen hatte, noch nach guten Zielen zwischen den Bäumen ausschau hielten, ließ sie bereits einen Pfeil von der Sehne. Das Geschoss verschwand irgendwo zwischen den Stämmen, niemand außer ihr konnte überhaupt sehen, worauf sie geschossen hatte – aber ein hohes Summen gefolgt von einem schmatzenden Plopp! bestätigte, dass sie etwas getroffen haben musste. Shakes hob die Augenbrauen und warf Eileen einen Seitenblick zu. „Scheiße, Mädchen, wie machst du das?“
Eileen zuckte nur mit den Schultern und legte bereits den nächsten Pfeil auf. Sie war ganz und gar konzentriert, ihre Körperhaltung kerzengerade, wie auf dem Schießstand. Mit einer einzigen, flüssigen Bewegung hob sie ihren Bogen, zog die Sehne zurück, verharrte nur einen winzigen Augenblick und schoss. Summ! Plopp!
„Da kommen sie!“, verkündete Glaen, als nach Eileens zweitem Treffer Bewegung in den Schwarm kam. Dicke, aufgedunsene Blutfliegen kamen zwischen den Bäumen hervor, ihre Panzer schillerten in einem öligen Schwarz und waren stellenweise mit eitrig gelben Pusteln bedeckt. Ihre Flügel wirkten zerfetzt und durchlöchert, teilweise so sehr, dass sie gar nicht mehr in der Lage sein sollten, die aufgeblähten Leiber durch die Luft zu tragen, und doch taten sie es. Stachel lang und spitz wie Dolche ragten aus ihren Abdomen. Yarik wollte gar nicht wissen, um wie vieles tödlicher ihr Gift war als das einer normalen Blutfliege…
Jetzt hatten auch Liam und Shakes Ziele, die sie anvisieren konnten. Fast gleichzeitig ließen sie ihre Pfeile los, doch während Liam sein Ziel traf, ging Shakes‘ Schuss weit daneben. Der Sumpfkrautfarmer fluchte verhalten.
Die Blutfliege, die Liam erwischt hatte, taumelte in der Luft zurück, ihr Summen wurde höher und lauter. Sie konnte ihre Flughöhe nicht mehr halten und sackte langsam zu Boden… als sie plötzlich mit einem gut hörbaren Plopp! einfach zerplatzte und gelbes, schleimiges Sekret in alle Richtungen verspritzte.
„Ach du Scheiße!“, entfuhr es Shakes, „Was soll das denn?“
Liam presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Keine Ahnung… aber es gefällt mir nicht! Versucht, sie auf Abstand zu halten und euch nicht… einschleimen zu lassen!“
Eine Blutfliege näherte sich Glaen, der mit einem Satz nach vorn sprang, dabei seine Holzfälleraxt schwang und mit der breiten Seite des Blattes statt mit der Klinge nach der Fliege schlug. Als hätte er einen Ball mit einem Schläger getroffen, wurde die Blutfliege zurückgeschleudert und zerplatzte mit einem schmatzenden Geräusch, als ihr Körper gegen einen Felsen klatschte. Glaen nickte zufrieden.
Doch für jede korrumpierte Blutfliege, die sie erlegten, schienen zwei neue zwischen den Bäumen aufzutauchen…
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Basislager an der Jagdkommandantur, östliche Bruchwälder
Der Kapitän und die Fischjägerin schlängelten sich durch das zum Turm hin enger und geschäftiger werdende Gedränge, als westlich von ihnen ein helles und klares Hornsignal ertönte. Es wurde zu Jagd geblasen.
„Sind wir schon zu spät?“ Larah blickte Yared fragend an.
„Sicher nicht.“, der Kapitän legte seine Hand über die Augen und blickte zur Sonne hinauf, „Die Sonne steht zwar schon im Zenit, aber so wie ich Jarvo kenne, werden sie erstmal Vorauskommandos aussenden und nicht alle zugleich und unkoordiniert in die Sümpfe schicken.“
Noch etwas unsicher – vor allem ob ihrer eigenen Rolle in diesem ganzen Geschehen – sah sie zurück zum Rand der Lichtung, auf der einst die Jagdkommandantur und nun dieses Basislager errichtet worden war. Yared schien Recht zu haben. Das Lager leerte sich nicht schlagartig. Als sie wieder ihren Kopf nach vorne umdrehte, stellte sie mit Verwunderung fest dass der Kapitän, dem sie instinktiv weiter gefolgt war, plötzlich nicht mehr auf das Kommandozelt zuhielt, obwohl der Zelteingang schon beinahe zum Greifen nah war.
Stattdessen steuerte er auf einen Gruppe von drei Waldläufern zu, die unweit des Zeltes im Gras saßen.
Larahs Blick traf sich zuerst mit den wachen, lebendig grünblitzenden Augen der Frau in der Mitte. Ihr Haar war wie ein flammender Wasserfall und sie sah die beiden Neuankömmlinge leicht überrascht an – ganz so, als wäre etwas eingetroffen, das sie gewusst, aber nicht oder zumindest nicht so erwartet hatte.
Zu ihrer Rechten saß ein bärtiger Südländer, der sichtlich gut beieinander war und seine Zähne behände in einen frischen knackigen Apfel trieb. Auf Larah machte er den Eindruck eines Mannes, der geschickt verbarg, dass er ein gewiefter Überlebenskünstler war.
Yared hingegen sprach den riesig scheinenden athletischen Krieger an. Trotz geschlossener Augen hatte er die Präsenz eines lauernden Drachen. Der Paladin schien davon recht unbeeindruckt – nicht, als würde er den Mann nicht respektieren – ganz im Gegenteil – sondern vielmehr so, als würde er ihn sehr gut kennen.
„Bewahre, Hauptmann. Es freut mich, dich wohlauf zu sehen, Ryu.“
War das Ryu Hayabusa, der Hauptmann der Wächter? Larah hatte von ihm gehört, als sie vor vielen Wintern noch in Tooshoo gelebt hatte, war dem Mann aber nie persönlich über den Weg gelaufen. Als der Hauptmann, wie ihn Yared tituliert hatte, seine Augen öffnete, musste Larah sich zusammenreißen, um nicht erstaunt und leicht erschreckt auszuatmen. Es waren die Augen eines Drachen.
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Tooshoo, unterste Plattform - Palisadenbau
Mit beachtlich schnellen Handbewegungen skizzierte Melford ein paar grobe Positionen und Ausmaße für potenzielle Verteidigungsanlagen in seine Karte von Tooshoo. Diese hatte er auf einem sehr wackeligen und ramponierten Tisch vor sich ausgebreitet. Sowohl die Karte, als auch der Tisch waren sichtlich in die Jahre gekommen. Ein Grund warum der Schwarzhaarige sich kurzentschlossen dazu entschieden hatte, darauf direkt herum zu kritzeln, anstelle sie wie üblich nur als Vorlage zu nehmen. Es war nicht mehr schade darum und so wie es aussah, würde er nach der Jagd sowieso eine neue Karte anfertigen müssen. Außerdem rannte ihm die Zeit davon.
Um den Baumeister herum waren einige seiner Zimmermanns- und Tischlerkollegen am Werk, so wie einige Freiwillige, die sich nützlich machen wollten. Bretter wurden aus dem Lager herbei geschleppt, Hämmer trieben Nägel in das Holz und auch einige Sägen fraßen sich unentwegt mit ihren Zähnen durch Balken.
„Melford?“, rief eine raue Stimme zu ihm hinüber. Bald darauf machte sich der Schatten eines Mannes auf der Karte breit, auf welcher der Baumeister bis eben noch gezeichnet hatte.
„Was gibt’s Walle?“
„Was machst du da?“
„Ich zeichne noch ein paar Erweiterungen für die Palisade falls wir...“
„Nein, ich meine, was du noch hier machst?“, fragte Waldemar mit in die Hüften gestemmten Armen und hob eine Augenbraue, um seiner Frage deutlichen Nachdruck zu verleihen. Erst jetzt nahm Melford den Blick von seiner Karte und schenkte dem Zimmermann seine volle Aufmerksamkeit.
„Ich kenne dich schon lange genug...“, begann dieser und schaute den Baumeister dabei eindringlich an. „...und wenn du vor hättest hier zu bleiben und den Bau zu beaufsichtigen, würdest du jedem über die Schulter gucken und Anweisungen herum plärren. So komplex ist ist der Zaun hier auch nicht, dass wir dafür einen Plan bräuchten!“
„Wer weiß, was da auf uns zukommt. Kann sein mich erwischt es bei der Verteidigung und dann habe ich euch lieber einen guten Plan hinterlassen als...“
„Rede doch keinen Stuss! Wenn es dich hier erwischen sollte, dann brauchen wir auch keinen Plan mehr! Dann wird hier auch keiner mehr Zeit haben eine Säge in die Hand zu nehmen!“, nach diesen Worten trat eine kurze Pause ein, dann tippte er auf ein Papier das unter der großen Karte Tooshoos heraus lugte. „Ich habe schon vor ein paar Tagen gesehen, dass du einen Plan für eine Falle gezeichnet hast. Und selbst da war schon Dreck am Papier. Erzähl mir nicht du hättest das Teil nicht zumindest angefangen zu bauen! Ja weiß Beliar was du da noch in den Wald gesetzt hast! Hast du zumindest jemandem davon erzählt? Jarvo?, Ricklen?, Ryu? Mertens?“
Waldemar hatte völlig Recht und das war Melford leider schmerzlichst bewusst. Was der Baumeister hier tat machte absolut keinen Sinn. Weder hatte er alles sorgfältig vorbereitet, um wirklich hier bleiben zu können, noch konnte er sich von seiner Arbeit an den Palisaden trennen. Letzteres war jedoch mehr ein emotionales Problem. In den letzten Jahren hatte er viel Zeit damit verbracht das alles nach dem Angriff des Drachen wieder in Stand zu setzen und bisweilen auch in Schuss zu halten. Natürlich nicht allein, aber er fühlte sich innerlich verpflichtet auf diese Weise seinen Teil beizutragen. Besonders jetzt bei der drohenden Gefahr kam irgendwie wieder der Belagerungsmeister der orkischen Invasionsarmee durch. Die Vorbereitungen auf die herannahende Gefahr, die rings um ihn im Gange waren, versetzten ihn in eine völlig andere Zeit zurück. In eine Zeit, in der er sich entschieden hatte den Kampf gegen Rhobar II aktiv zu unterstützen.
Melford wandte seinen Blick wieder auf seinen provisorischen Zeichentisch und atmete tief durch. Die ganze Zeit über hatte er diese Entscheidung vor sich hergeschoben, doch so langsam musste er sich entscheiden. Freilich konnte er überall seine Fähigkeiten gut einsetzen, doch wusste er, dass er im Kampf in diesem Moment wohl am besten seine Kräfte einsetzen konnte. Die Frage war nur: war er auch stark genug um weitere Freunde aus seinem Leben treten zu sehen? Im Angesicht? In einem Moment der Unvorsicht, in der er sie hätte Beschützt haben müssen?
„Du hast Recht! Im Moment dürfte wohl Angriff die beste Verteidigung sein!“, mit diesen Worten schaute er auf und ließ seinen Blick zum Wald hinüber schweifen. Erst als Waldemar ihm die Hand auf die Schulter legte, schaute er zu ihm rüber.
„Das hört sich schon besser an! Wenn du nur noch Halb der Arenakämpfer bist, von dem du uns Abends immer erzählt hast, dann sollte hier sowieso kein Biest lebendig ankommen, was auch nur einen Kratzer in die Palisade machen könnte!“, fügte der Zimmermann noch mit einem breiten Grinsen hinzu und gab dem Baumeister dann einen Schubs. „Und bring 'ne ordentliche Trophäe mit! Snapperschädel, oder sowas!“
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Im Randgebiet des Sumpfes, südlich der Plantage, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
Seit das nahezu zufällig zusammengeworfene Jagdkommando das Basislager verlassen und einen Zwischenstopp an der Sumpfkrautplantage eingelegt hatte, um Sicheln zu besorgen, waren sie unentwegt durch schwer durchquerbares Gelände gestiefelt.
Liam, ihr Anführer und seine Tochter Eileen zeigten keinerlei Anstrengungen dabei, sich geschickt um tückische Löcher im morastigen Boden und knorrige Wurzeln zu schlängeln. Glaen zeigte ebenfalls Geschick darin, war jedoch bei weitem nicht so grazil wie die beiden anderen Jäger. Dennoch stellte er sich deutlich besser an, als Yarik, Valerion oder Chala, die zusammen dafür sorgten, dass sie weit langsamer vorankamen, als gedacht. Shakes, der zwar weit entfernt von der Form war, die er einst besaß, sah sich häufiger zu den Dreien um und hielt so den Trupp zusammen.
Der ganze Sumpf war in Chalas Augen nur ein einziger großer Haufen Scheiße, durch den sie nun waten mussten. Wie konnte man ernsthaft in Erwägung ziehen sich hier ein Leben aufzubauen? Es stank nach Verwesung, die Kleidung war durchgehend feucht und die Insekten hielten einen für ein gefundenes Fressen. Selbst Shakes, der aussah, als hätte er ein Leben lang und mehr hier verbracht, fluchte über das Aufkommen blutgieriger Gliederfüßler, die wie ein hungriges Rudel Wölfe über sie herfielen.
Vered Lederkleidung haftete bereits an ihrer Haut. Auch das Leinenhemd, welches sie darunter trug, war völlig durchnässt noch bevor sie auch nur einen Feind entdeckt hatten. Lose Strähnen ihres dicken, schwarzen Haars klebten ihr auf der Stirn und an den Schläfen.
Es ist so viel einfacher sich auf festem Boden zu bewegen. Lasst mich Menschen jagen, darin habe ich wenigstens Erfahrung, dachte sie frustriert und stöhnte, als sie wieder einmal ihren Stiefel aus einer Suhle befreien musste.
„Da vorn!“, ließ Eileen verlauten, was den Gedankenfluss der Aranisaani sofort versiegen ließ.
Wachsam schaute sie in die Richtung, in welche die junge Frau deutete, ehe sie den Bogen ansetzte. Dank Yariks Einschätzung hatten sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite und die deformierten Blutfliegen wurden von Pfeilen dezimiert, ehe sie in Reichweite für ihre gefährlichen Stachel kamen. Die Kriegerin war bereit, zog Wildkatze und hielt sich flach über dem weichen Boden, der ihre Reaktionen definitiv verlangsamen würde. Blutfliegen waren gewöhnlich flink, auch wenn diese im Vergleich träge, wenn auch bedeutend angriffslustiger, wirkten.
Plopp!
Eine der getroffenen Abscheulichkeiten war förmlich explodiert und ein beißender Gestank überlagerte ihre Sinne. Beinahe hätte sie gewürgt, doch Chala schluckte die aufsteigende Galle entschieden herunter.
„Versucht sie auf Abstand zu halten und euch nicht…einschleimen zu lassen!“, rief Liam nachdem sie alle beobachteten, was geschehen war.
„Danke Kapitän Offensichtlich“, nuschelte Vered, ehe sie Wildkatze mit einem schmatzenden Geräusch in den sumpfigen Untergrund stieß.
Sie griff nach einem der Messer, die sie sich im Basislager aushändigen hatte lassen und prüfte zum unzähligen Mal die Balance.
Etwas schwerer zur Spitze hin, bestimmte sie und holte zu einem Wurf aus.
Geduldig wartete sie, bis Eileen und Liam ihre nächsten Pfeile in zwei weiteren Blutfliegen versenkten, die hoffentlich endgültig das Zeitliche segneten. Shakes Schuss hingegen verfehlte sein Ziel, verlor sich irgendwo in der Ferne zwischen den Bäumen.
„Scheiße!“, fluchte er und wollte hastig zu einem weiteren Pfeil greifen, doch jenes verdorbene Insekt, welches er zu treffen versucht hatte, war bereits zu nah herangekommen. Glaen, der zuvor vorgemacht hatte, wie man aus der Nähe mit den Biestern fertig wurde, war jedoch damit beschäftigt Eileen zu schützen, die in einer ähnlichen Situation steckte.
Natürlich ist es wieder er, dachte die Aranisaani und warf ihr neues Spielzeug auf die Blutfliege, welche kaum mehr zehn Schritt von dem Sumpfkrautbauern entfernt war.
Sie traf das Monster in der Seite des wulstigen Körpers, direkt unter den durchscheinbaren Flügeln. Die Wucht des Messers störte die Flugbahn der Kreatur, aus dessen Wunde dieselbe eitrige Flüssigkeit trat, wie zuvor bei den Explosionen. Wieder ertönte der unnatürlich hohe Ton, als die Blutfliege mit einem weiteren Plopp zerplatzte. Shakes, der nicht weit genug weg stand, riss seinen braunen Umhang hoch, um sich vor dem stinkenden Sekret zu schützen. Ein zischender Ton war zu hören, als sich das Gewebe auflöste.
„Was zum…“, rief der Farmer und riss sich den Umhang vom Leib.
Er schaute sich um, wollte sehen, wer Schuld an seinem zerstörten Mantel war und wer ihm wohl den Arsch gerettet hatte. Doch Vered achtete nicht mehr auf ihn, hatte stattdessen nach ihrem Schwert gegriffen, welches sie mit einem nassen Schlupp aus dem feuchten Erdboden befreite und es dem Hünen gleichtat.
Mit der flachen Seite schlug sie nach einer der Blutfliegen, die sich Liam genähert hatte, trieb sie damit fort. Doch die Wucht ihres Angriffs kam nicht an den des Axtträgers heran. Die Kreatur war zwar benommen, aber noch nicht am Ende seiner Kräfte.
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Valerion seufzte genervt.
Sie waren endlich losgelaufen, kurz zu Shakes Hütte, um dort ein paar Werkzeuge zu holen. In der ferne hörte er weiterhin das Krachen von Bäumen. Die Kämpfe im Sumpf schienen weiter zu gehen, der Weg durch den Sumpf war gefährlich und zugleich nervig. Er stolperte nicht nur das eine oder andere mal über Wurzeln, blieb zwischen ranken und Dornen hängen. Seine Kleidung sah entweder Nass, zerrissen oder schmutzig aus. Doch dann wurde es interessant. Er konnte Insekten, wie Spinnen, Käfer oder Schmetterlinge erkennen, die alle scheinbar den gleichen Weg hatten. Sie zogen in Richtung Baum. Gehörte das zu diesem ... er nannte es jetzt einfach mal Mythos, anders konnte er es nämlich nicht beschreiben. Doch je tiefer sie in diesen Sumpf vordrangen, desto merkwürdiger wurde es.
Valerion wurde von kleinen Ameisen und Spinnen angegangen, die sich überall in seinen Kleidern einnisteten. Sogar aus seinem Bart und seinen Haaren kamen sie herausgewandert. Er begann seine Kleidung abzutasten, um die nervigen Insekten los zuwerden aber er schaffte es nicht wirklich, alle loszuwerden. Sollte dieses etwas vorbei sein, würde er auf jedenfalls ein langes Bad nehmen, um jedes Insekt loszuwerden. Doch plötzlich wurde die Gruppe von Blutfliegen angegriffen, Viecher die der Kerl schon im Minental oder in Khorinis hasste. Er selber hatte zwar sein Schwert und einen Dolch, hatte aber immer noch keine Zeit gehabt sein Training, weiterzuführen. Er musste also wieder kreativ werden, wie bei der Pflanze. Doch ehe er sich etwas ausdenken konnte, hatten die Bogenschützen schon angefangen, die meisten Viecher zu töten. Auch Chala und der Axt Typ hatten schon angefangen, auf eine Blutfliege loszugehen.
Er hatte den Gestank dieser elendigen Viecher schon vergessen, in den meisten fällen war er so betrunken, dass er wieder nüchtern wurde, als er den toten Viechern begegnet war. Doch nüchtern diese Viecher zu riechen war noch viel schlimmer und nerviger. Es war jedoch nicht nur Gesumme der Viecher, nein irgendwas im Hintergrund vernahm er, was ihn aufhorchen ließ. Er schaute wieder zu der Gruppe und sah die benommene Blutfliege, die in seine Richtung zugeflogen kam. Sie flog so kurios und ungleichmäßig, das Valerion eine Idee hatte. Er schnappte sich einen großen dicken Ast, holte aus und schlug mit voller Wucht gegen die Blutfliege, dass diese mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum klatschte und explodierte. Sie hatten es geschafft, die erste Begegnung mit dem Sumpf zu bezwingen, aber irgendwas ließ ihn einen dicken schauer über den Rücken bringen.
Er blickte die anderen kurz mit einem grimmigen Blick an.
„Ich hasse diese Drecksviecher ...“, rief er genervt, die Gruppe zog schließlich weiter, tiefer in den Sumpf und Valerion, versank mittlerweile mit den Stiefeln in dem Morast. Er seufzte genervt, sicher würde er wieder viel zeit mit Putzen seiner Kleidung verbringen dürfen.
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Basislager an der Jagdkommandantur, östliche Bruchwälder
Stille. Unendliche Stille in einem Sturm aus Emotionen die um ihn herum tobten. Und hier stand er nun. In deren Mitte. Im Auge jenes Sturmes. Wie ein stummer Beobachter der gleich einer Rückblende seine Erinnerungen betrachtete. Ohne Wertung. Ohne ein Gefühl. Da war nur diese Leere. Und sie fühlte sich gut an. Über die Jahre hatte Ryu es zu verstehen gelernt, solche Spitzen wie zuvor innerhalb kürzester Zeit zu unterbinden. Die Technik der Schattenklinge, welche Gor Na Jan ihn vor langer Zeit gelehrt hatte... Alles um sich herum auszublenden und nur auf eine Sache zu fokussieren... Sie funktionierte auch in dieser abgewandelten Art. Ein Abstreifen aller weltlicher Gefühle. Ein Reinwaschen des eigenen Geistes. Eine Zuflucht im eigenen Selbst zu schaffen und die Zeit einfach als stiller Beobachter verstreichen zu lassen. Nur selten griff der Hayabusa darauf zurück, zog es vor in solchen Augenblicken zu trainieren und seine Wut in einen Beitrag zur eigenen Vervollständigung zu formen. Aber heute? Heute ging das nicht. Die Wunden die Odo gerissen hatte waren noch immer nicht vollständig verheilt. Und diese eine, klaffende Wunde in seinem inneren? Unnötig sie zu erwähnen. Manche Wunden wurden nun einmal irgendwann zu Narben wenn sie keinen vernünftigen Heilungsprozess erfuhren. Und manche Narben fühlten sich von diesem Punkt an immer anders an wenn sie berührt wurden. Von unangenehm bis schmerzhaft. Und so war es nicht anders mit jenen die man im Herzen trug.
Wie ein Fels saß der Templer da. Ruhig. Besonnen. Als hätte er dort schon seit Stunden geruht. Zwar war er sich seiner Umgebung durchaus bewusst, dank der geschärften Sinne die der Wyvern mit sich brachte. Doch genau so wie ein ruhender König des Berges ließ er sich nicht stören. Nicht vom Zerschmettern des Fruchtfleisches zwischen Griffins Zähnen, noch von dem kurzen Wortwechsel den er mit... Das leise Rascheln in den Halmen an seiner Seite ließ ihn tief einatmen. Da war es wieder... Der Geruch gepflegten Leders, vermählt mit dieser leicht blumigen Note bunter Felder von Bergblumen und... Einem kleinen Hauch Lavendel, den der Wind an die Nase des Hüters heran trug. Einen Augenblick lang ließ er es auf sich wirken. Zu fühlen, dass trotz des Sturmes manche Dinge so nah waren... Gab seiner Seele den letzten Hauch von Ruhe den es gebraucht hatte. Also blickte er auf. Erst mit einem Auge. Dann, als nun auch ihre Stimme auf diese seltsame Art und Weise an seine Ohren drang, die Gefahr einer weiteren Konfrontation in keiner Aussicht stand... Öffnete er nun auch das zweite. Freiya... Ihre Worte waren nicht unbegründet. Soviel stand fest. Leicht senkten sich die Wyvern-Augen und es folgte ein schwächliches Nicken seinerseits.
Zu gerne hätte Ryu ihr gesagt, was ihn dazu bewegt hatte direkt zu Ricklen zu gehen. Zu erklären, dass... Aber dazu kam es nicht. Es war lediglich dieser kurze, eingehende Moment wie schon einige male zuvor in denen das unendliche, Licht beschienene Grün der Waldlichtung mit die stets lauernden Augen des Wyvern zu einem kurzen aber wertvollen Moment der Rast und des Aufatmens einlud. Sachte hob der Hüter die Mundwinkel. Die Nachricht war angekommen und alles was er empfand war Dankbarkeit. Dafür, dass sie ihnen nicht den Rücken zugewandt hatte. Dass sie die beiden in all ihren Wesenszügen noch immer akzeptierte und als das sah was sie waren. Wo Ricklen nichts verstand sprachen Freiyas Augen Bände.
Griffin biss noch einmal herzhaft von seinem Apfel ab und ließ dabei ein zufriedenes Glucksen erklingen. Der stille Genießer hatte richtig gehandelt, sie herzubringen und genoss diesen kleinen Triumph nun ausgiebig. Es sollte ihm gegönnt sein. Wenn das alles endlich einmal vorüber war würde er die beiden mitnehmen. Auf keine Abenteuerreise. Keine Jagd oder andere gefährliche Missionen. Nein. Zu lange war es schon her, dass... Aber auch dieser Gedanke wurde je unterbrochen. Jarvos unverkennbarer Ruf, genau genommen der seines Jagdhornes schallte durch die Wipfel des Sumpfes und die aufgescheuchten Vögel die aus der Umgebung flüchteten waren das perfekte Sinnbild dafür, dass es wohl nun an der Zeit war aufzubrechen. Gemeinsam. Und doch waren noch so viele Worte ungesprochen die warten mussten. Innerlich seufzte der Templer.
"Bewahre, Hauptmann. Es freut mich, dich wohlauf zu sehen, Ryu."
Abermals blickte Ryu auf. Und was er sah holte ihn nun aus allen Wolken. Von all den alten Haudegen, Rückkehrern und verloren geglaubten stand ausgerechnet der alte Seebär vor ihm. Yared, dem die Seeluft am Körper klebte als hätte er das Meer direkt in den Sumpf getragen. Yared, der völlig adrett gekleidet da stand. In edlem Gambeson, handelte es sich da um das Leder eines Feuerwarens? Kurz blitzte die Fratze Odos vor den Augen des Hüters auf und er verzog das Gesicht. Und dann war da noch das Kettenhemd. Darüber der so charakteristische, schwarze Mantel eines offiziellen Seefahrers. Was für ein Kontrast zu früher. Zwar hatte der Veteran mit dem er schon so einige Schlachten geschlagen, und sich auch in den Haaren gehabt hatte, schon immer einen gewissen Sinn für Stil gehabt, aber Donnerwetter! Für einen ehemaligen Quartiermeister im Sumpf stand da nun wirklich ein 'Mann von Welt' vor ihm, wie die Städter wohl sagen würden. Selbst wenn die Jahre auf See und in der Marine ihn doch etwas mehr hatten altern lassen als der Hüter sich erinnerte. Wo einst graue Strähnen noch gering waren, dominierten diese nun den Skalp des einstigen Quartiermeisters und für einen Augenblick wunderte sich der Hayabusa, wie er wohl irgendwann altern würde. Und wie sein Leben dann wohl aussah?
Aber was trieb ihn eigentlich hier her? Und wer war die junge Frau an seiner Seite? Sie war von recht durchschnittlicher Höhe, doch erkannte der Templer wann ein Mensch, egal ob Mann oder Frau, ein Leben der Strapazen und Anstrengungen führte. Nicht etwa wie Arbeiter in Bergwerken, sondern viel mehr jene, die sich regelmäßig zu stählen wussten. Ihre Körperhaltung, die Art wie sich die strammen, doch nicht weniger weiblichen Schultern hoben und senkten. Ihre Atmung nach dem Marsch durch die Sümpfe und der aufmerksame Blick mit dem die im Licht schimmernden Saphire ihre Umgebung wahrnahmen... Ja, diese kleinen Details ließen keinen Zweifel zu. Und... Kannte er sie nicht irgendwoher? Für einen kurzen Moment ging der Hüter penibel genau und innerlich peinlich berührt das Karteisystem Verflossener durch, doch konnte er dieses Gesicht nirgends einordnen. Aber irgendwoher... Er schüttelte den Kopf und ging einen Schritt auf Yared zu. Aufrichtig grinsend und mit ausgebreiteten Armen.
"Dir ist schon klar, dass du dir die beschissenste Zeit ausgesucht hast, um hier zu stranden, Kapitän? Wie auch immer: Erwache und wilkommen zu unserer kleinen Jagdgesellschaft!".
Die beiden Männer packten sich gegenseitig zum Gruß am Unterarm, ehe sie sich wie alte Freunde in den Arm nahmen. Tatsächlich war der Hayabusa ehrlich froh nach der langen Zeit einmal wieder jemanden 'von außen' anzutreffen der ihm dennoch nicht fremd war. Zwar hatte er nach wie vor seine Meinung von den Königstreuen, aber Yared hatte schon oft genug bewiesen, dass er nicht vergessen hatte wo er her kam. Als die beiden sich wieder voneinander lösten, deutete der Templer mit dem Arm zu Freiya und Griffin, im Begriff sie vorzustellen. Doch letzterer biss erneut in den Apfel, grinste breit und hob zum Gruß die Hand. "Bewahre, Seebär! Hoffe du hast mehr als nur den schicken Mantel und das stramme Mädel mitgebracht. Ein paar Souvenirs oder sowas vielleicht?". Und kaum gesagt, warf der beleibte Hüter den Apfelgrutzen über die Schulter und ging ebenfalls auf Yared zu. Er reichte ihm die Hand, welche der Kapitän nach einem kurzen, skeptischen Blick dann ergriff und im Beisein eines typischen Nickens einmal kräftig schüttelte. "Und das, mein Gutster...", Griffin huschte hinter die rote Snapperin und legte ihr beide Hände auf die Schulter. "... Ist die neue Naturgewalt von Tooshoo!". Wenn sein Waffenbruder eines wusste, dann wie man Leute vorstellte. Grinsend, die Stirn in Falten gelegt schüttelte Ryu nur den Kopf, als Freiya mit den Augen rollte, ausatmete und einen Schritt aus dem Griff des Griffins heraus wagte um ihm die Hand zu reichen. Ihre Stimme klang resigniert und dennoch heiter. Ja. Sie gehörte definitiv hier her. "Freiya. Bewahret und schön Euch kennenzulernen."
In der Zeit war Ryu nun auch an die Frau mit dem goldblonden Haar heran getreten und verneigte sich in einer respektvollen, ruhigen Geste vor ihr. "Erwache, äh..."
"Larah."
"Erwache, Larah! Yared, wen hast du uns hier mit gebracht? Ich kenne das Gesicht, finde aber gerade keine Geschichte dazu..."
Natürlich musste sich sein bärtiger Waffenbruder direkt einschalten, als er heran trat und kumpelhaft seinen Arm auf der Schulter des Templers anlehnte. "Nimm's ihm nicht übel. Unser Hauptmann ist auch nicht mehr der Jüngste."
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Westliche tiefe Sümpfe, Nachmittag - Ornlu + Kiyan + Wilde Kerle
Stille. Zu große Stille herrschte, als sie unweit der westlichen Tempelruine waren. Hier wo es fast schon wie in myrtanischen Wäldern war und nur wenig sumpfiges Gebiet herrschte, hörte man in der Regel Vögel und andere Tiere. Vor allem am Tag. Doch nun hier war es dem Jagdkommando sehr früh aufgefallen, dass es zu still war. Okam schlich sehr tief gebeugt vor und spähte voraus, während der Rest sich mit Bögen und Speeren bereit machte.
Im nächsten Moment schoss Iun blitzschnell einen Pfeil ab, der dumpf gegen einen Baum prallte. Sofort legten alle an und warteten mehr wie einige Atemzüge, ehe erstes Vogelzwitschern erklang und die Anspannung sich legte.
Okam war dabei sich aufzurichten, da machte Vigo eine rasche Handbewegung und alle gingen zu Boden. Im Dickicht bewegte sich was und das laute Atmen war dann zu hören. Der Boden vibrierte beim ersten Schritt und dann setzte etwas auf, bevor wieder zwei Schritte folgten.
Das Jagdkommando hielt kurz inne, bevor Ornlu das Signal gab, sich vorsichtig und langsam nach hinten zu bewegen. Keinen STeinwurf entfernt kam ein Troll aus dem Dickicht. Ein Troll der nur noch einen gewaltigen Arm hatte und auf der anderen Seite einen lange verheilten Stumpf.
Maulend und brummend machte er nicht so schnelle Schritte voran und zerdrückte den Untergrund mit seinem Gewicht. Das war kein Feind - aber die Konkurrenz.
Das Jagdkommando war gerade im Halbkreis hinter den Troll geschlichen, da hielt er und donnerte mit der Faust auf den Boden. Er brüllte auf und drehte sich dann so, dass sie seine Flanke zu Gesicht bekamen. Ihre Blicke gingen allesamt in die Richtung der Trollwut.
Da schlich etwas umher im Dickicht - in den Schatten. Spielte aber nicht mit seiner Tarnung, sondern kam direkt hervor. Selbst Ornlu hatte nur ein ähnliches Exemplar mal gesichtet und das war auf dem Festland beim Druiden Runak. Grünes, dunkles Fell und ein gewaltiges Horn prägten das majestätische Wesen. Ein Schattenläufer. Alt und mächtig wie sie selten vorkamen. Er oder besser sie machte keine Geräusche. Sie kam mit all ihrer Präsenz vor und strahlte Macht aus, während der einarmige Troll seinem naturell entsprach und Radau machte.
Dann brüllte die grüne Bestie auf und selbst der Troll war still. Das Funkeln in seine Augen und der zornige Ausdruck in Körpersprache und im Gesicht sprachen Bände. Sie belauerten sich, sie drohten sich und taten dann doch nichts.
Stattdessen erschien für einen Moment die Maske und ihr Träger. Der Schamane stand zwischen ihnen und sprach Worte, die Ornlu zumindest verstand.
Es dauerte ein wenig, doch dann trennten sich die Wege der zwei Bestien wieder. Dann wandte sich der Schamane in Richtung des Jagdkommandos und grüßte mit seinem Druidenstab. Nicht provokant, aber auch alles andere als einladend. Ornlu erwiderte und der Schamane verschwand.
“Und?”, fragte Iun.
“Das war Ryu und Ricklen in anderer Form. der Troll ist noch jung, aber zäh wie sonst was. Der hat den verlorenen Arm überlebt und hatte eine Mordswut auf diese grüne Bestie.”, erklärte Ornlu im Flüsterton.
“Meinst du diese Bestie hat sich seinen Arm geholt?”, fragte Okam. Ornlu nickte.
“Und der Maskierte?”, fragte Vigo.
“Der war da und hat sie an ihre Jagd erinnert. Nicht mehr.”
“Was denkst du zu den?”, fragte Iun dann.
“Schwierig. Irgendwas ist anders. Früher hatten wir immer mal Gespräche im Sumpf geführt. Ein Austausch seit dem Weltenriss, wo wir gemeinsam kämpften. Mittlerweile weicht er mir und Corax aus. Ich weiß es nicht. - Wir markieren den Ort für unsere Leute. Der Troll wird in der Gegend bleiben. Der ist nicht so schnell. Die sollen aufpassen. Markierung dort in den großen Baum und hundert Schritt weiter die nächste Markierung. Dann schauen wir kurz bei der Tempelruine vorbei. Mich würde zu sehr interessieren, ob die grüne Bestie da rein spaziert.”, gab Jadewolf vor und sah dann zu wie Kiyan das Zeichen in den Stamm einschnitzte. Das Symbol für gefährliches Gebiet, hatten sie ihm gezeigt. Okam kam hinzu und machte ein weiteres Symbol darunter. Das Symbol für Troll. Eine Figur mit kurzen Beinen und langen Armen, mit Geste wie bei einem Troll der die Fäuste hoch hebt.
“Einfach ohne Schnickschnack. Erfahrene Leute wissen das richtig zu deuten. Der Rest wird sich wohl fragen, ob das Kunst ist oder weg kann.”, philosophierte Okam und nickte Ornlu dann zu.
“Hoffe bloß Turya lässt den Troll in Ruhe…”, dachte sich der Druide und gab die Richtung vor.
Geändert von Ornlu (21.03.2024 um 00:41 Uhr)
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Basislager an der Jagdkommandantur, östliche Bruchwälder
Ryus offene Begrüßung freute Yared sehr. Ein ganz klein wenig hatte er doch befürchtet, dass ihn seine Verbindung zum Großreich mittlerweile hier zur Persona non grata gemacht hatte. Doch der Templer nahm ihm diesbezüglich jede Sorge.
Bei der zweiten Person, die ihm die Hand schüttelte, dauerte es einen kurzen Moment, bevor Yared das bärtige Gesicht des Apfelconnaisseurs zuordnen konnte. Kein Zweifel, das war Griffin, ehemaliger Waldläuferführer Sildens und der Kerl, den Phobia eines Tages auf der Maera angeschleppt und der anschließend die komplette Kombüse verwüstet hatte.
„Bewahre Freiya, freut uns ebenso.“, erwiderte er schließlich die Begrüßung der imposanten Waldläuferin mit den zinnoberroten Haaren mit einer knappen militärisch anmutenden Verneigung. Die sanfte Andeutung eines Handkusses, wie sie bei Hofe von ihm erwartet worden wäre, unterließ er. Er war lange genug Teil des Waldvolkes gewesen, dass er nur zu gut wusste, welche Kommentare er damit – oder mit einem Salutieren – nicht nur über sich, sondern auch über die ihm gegenüberstehende Dame unter den Umstehenden provoziert hätte. Außerdem schien ihm Freiya als fähige Waldläuferin und als solche passte eine kriegerische Respektsbezeugung besser.
„Mein Dank für das herzliche Willkommen“, wandte sich der Kapitän dann wieder an Ryu, „Nun, irgendwo zu den bescheidensten Zeiten aufzutauchen scheint in letzter Zeit meine Stellenbeschreibung geworden zu sein. Aber eigentlich ist Larah der Grund für mein Hiersein.“
„Mich hat das Mal der Jagd in Silden erreicht und im wahrsten Sinne des Wortes von den Füßen geholt. Dankenswerterweise hat Yared mich nach Argaan gebracht“, berichtete die blonde Fischjägerin, „Warum es ausgerechnet mich erwischt hat, kann ich nicht sagen. Eigentlich entstamme ich einer Sippe unseres Volkes aus Südgorthar. Offenbar haben die wenigen Wintern, in denen ich hier in Tooshoo für die Rattensippe arbeitete, gereicht, um mich in die Liste mit den glücklichen Kandidaten aufzunehmen.“
Es war nur ganz wenig Ironie in Larahs Stimme. Yared konnte nur vermuten, aber so, wie er sie kannte, war es mehr der Umstand, dass sie das Mal in Silden bekommen hatte und die damit verbundenen Anreisekomplikationen – die noch viel drastischer ausgefallen wären, wäre er selbst nicht dort gewesen und hätte ihr die Mitfahrt ermöglichen können –, als die Tatsache, dass irgendeine höhere Macht sie hier mit dabei haben wollte, die sie störten.
„Vielleicht sind wir uns dort mal über den Weg gelaufen, Hauptmann? Oder später als wir uns vor den Echsen nach Stewark zurückziehen mussten? Ich war Teil des Spähtrupps, der unter Jagdmeister Andrahir damals das Bluttal erschlossen hat“, versuchte Larah Ryu die Einordnung ihrer Person zu erleichtern und ihn dem Spott seines Kameraden zu entziehen.
„Wie lange ist es her, dass wir uns zuletzt begegnet sind, Ryu? Doch schon gut eine Dekade, oder? Viel zu lange jedenfalls.“, beantwortete der Kapitän seine rhetorische Frage mit einem Grinsen.
Die Gedanken des Kapitäns schweiften einen Moment ab zu den glücklicheren Tagen, als er mit diesem Typen – Wie hieß er noch gleich? Vryce? – Ryu beim Umzug nach Tooshoo geholfen hatte. Ob sich der Hauptmann noch daran erinnerte, dass er Yared wegen der Sache mit dem kaputten Beil noch eine erstklassige Streitaxt schuldete? Nun die Schuld war so alt, dass Yared sie nicht mehr einfordern würde, außerdem hatte er die Vereinbarung sowieso halb im Scherz vorgeschlagen.
Doch der Paladin wurde gleich darauf wieder ernster: „Auf dem Weg vom Strand hierher sind wir von einer Gruppe untoter Goblins angegriffen worden. Auch spüre ich hier Beliars Mächte am Werk. Hat das etwas mit der Jagd zu tun?“
Geändert von Yared (21.03.2024 um 22:32 Uhr)
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Im Randgebiet des Sumpfes, südlich der Plantage, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
Aufmerksam schaute Chala sich um, spähte zwischen Baumstämmen und widerspenstigem Gestrüpp hindurch, den Blick auch in einige Schritt Höhe gerichtet, um etwaige Nachzügler der missratenen Blutfliegen zu entdecken, die ihnen bisher entgangen waren. Auch Liam und Eileen hielten ihre Augen in die Ferne gerichtet, die Ohren gespitzt, um ein verräterisches Surren zu erhaschen. Doch nichts.
„War’s das schon?“, fragte Glaen, ein wenig Enttäuschung in der Stimme.
„Wir scheinen Glück gehabt zu haben“, erwiderte Liam, der sich schließlich auf seine Truppe konzentrierte, „Verletzte?“
„Ein verdammt wertvoller Mantel!“, warf Shakes ein und deutete auf die löchrigen Überreste des Umhangs, den er abgeworfen hatte.
Abschätzig musterte der Anführer den gefallenen Kameraden, ehe er schnaufte.
„Das hättest du sein können, wenn Chala nicht das Vieh erledigt hätte, was du verfehlt hast“, wies er ihn darauf hin.
„Also hab‘ ich dir zu verdanken, dass mein Umhang hinüber ist?“, fragte der Farmer, die Stimme lauter als wenige Augenblicke zuvor.
„Und das du noch am Leben bist“, warf die Aranisaani zurück und funkelte ihn warnend an.
„Scheiß auf mein Leben!“, schrie er und tat einen Schritt auf sie zu, „Dieser Mantel gehörte meiner…meiner.“
Shakes stockte und sein Gesicht wurde von Wut und Trauer verzerrt. Liam, der sofort verstand, um was für einen Umhang es sich handelte, trat auf den Bauern zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Deiner Mama?“, konnte sich Vered den bissigen Kommentar nicht verkneifen, wich jedoch einen Schritt zurück, als der Betroffene auf sie zuzustürmen versuchte.
„Shakes, hör nicht auf sie!“, rief Liam panisch, der den unvermeidbaren Gefühlsausbruch vorausgeahnt hatte.
Er hielt den Sumpfkrauthändler fest und funkelte seinerseits wütend die Dunkelhäutige an.
„Wenn du nur hier bist um Unfrieden zu stiften, dann verschwinde“, fauchte er, „Glaen, jetzt steh da nicht wie angewurzelt 'rum. Hilfe mir!“
Gemeinsam schafften es die beiden Jäger Shakes zu beruhigen, doch mit seinen Blicken durchbohrte er Chala noch immer.
Hupps, dachte sie lediglich, überrascht ob der starken Reaktion.
Es für das Beste haltend die aufgeflammte Glut des Streits nicht weiter anzufachen, wandte sie sich zu Valerion um, der noch immer den schweren Ast in den Händen hielt. Widerwillig musste sie eingestehen, dass sein Einfall gut gewesen war. Hätte sie selbst nach einem Stock gegriffen, wäre Wildkatze jetzt nicht mit stinkender Erde besudelt. Entschuldigend schaute sie die verdreckte Klinge an und begann sie an ihrer eigenen Kleidung abzuwischen. Ryu durfte davon niemals erfahren. Da war sie sich absolut sicher.
„Gute Idee mit dem Ast, Valerion“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, um wenigstens guten Willen zu zeigen, wenn sie schon Shakes auf die Füße getreten war.
„Wir sollten weitergehen“, warf Yarik ein, der die Situation so schnell wie möglich hinter sich lassen wollte.
„Denk an dein Messer, Vered“, schaltete sich Eileen in das Gespräch ein und deutete in die Richtung der zerfetzten Überreste einer der Blutfliegen.
Die Klinge, mit welcher sie die Kreatur erledigt hatte, war von dem gelblichen Sekret überzogen.
„Jaaaaa, ich glaube das lasse ich hier“, gab die Aranisaani schulterzuckend zurück und war im Inbegriff zu gehen, als sich Glaen ihr in den Weg stellte.
„Was ist, Großer?“
Chala warf einen Seitenblick zu Shakes, der sich einigermaßen wieder unter Kontrolle zu haben schien, was erklärte, weshalb der Hüne die Zeit hatte sich vor ihr aufzubauen.
„Nimm das Messer mit. Wenn es hier im Sumpf bleibt werden sich Tiere daran verletzten.“
Ungläubig starrte die Kriegerin den Holzfäller an.
„Das ist ein Scherz, oder?“
„Nein. Das Metall ist gefährlich für die Tiere und es verschmutzt die Natur.“
Sie warf die Arme in die Luft und gab ein frustriertes Krächzen von sich. Waren in diesem Sumpf denn alle nicht mehr ganz bei Trost?
„Du willst mir erzählen, dass ein einziges Messer in einem so riesigen Sumpf irgendeine Auswirkung auf die Natur hat?“, verlangte sie zu wissen und hielt dem Blick des Axtkämpfers stand.
„Stell dir vor jeder würde so denken“, gab der Riese zu bedenken.
„Fick dich“, war alles, was Chala zu dem Thema noch zu sagen hatte und stapfte durch den schlammigen Boden hinter Valerion her, der das einzig richtige getan hatte und bereits weiter gen Süden gelaufen war.
„Überhaupt“, begann die Aranisaani erneut und drehte sich noch einmal um, den Blick auf Liam gerichtet, „Hätte eines der Vorauskommandos uns nicht vor diesen Missgeburten warnen sollen?“
Der erfahrene Jäger schaute sie ausdruckslos an, ehe er etwas erwiderte.
„Wir sind das Vorauskommando.“
Wortlos setzte Vered ihren Weg fort, schüttelte dabei lediglich den Kopf, während sie ihr Schwert zurück in seine Scheide gleiten ließ.
Geändert von Chala Vered (21.03.2024 um 01:10 Uhr)
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Im Randgebiet des Sumpfes, südlich der Plantage, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
Glaen sah Chala kopfschüttelnd hinterher, als sie sich einfach an ihm vorbeischob.
„Schon klar, Prinzesschen“, schnaubte er, „Der gute Onkel Glaen ist ja da, um dir deinen Scheiß hinterherzuräumen!“
Er rupfte ein großes Blatt von einem Busch und nutzte es, um damit das vom Sekret der korrumpierten Blutfliege besudelte Wurfmesser aufzuheben. So gut es ging wischte er die Klinge im feuchten Gras sauber und ließ sie dann in seiner Gürteltasche verschwinden, bevor er seine Axt schulterte und den anderen folgte.
Yarik hatte die gereizten Auseinandersetzungen zwischen seinen Gefährten – oder besser gesagt, zwischen Chala und dem Rest – mit wachsendem Unbehagen zur Kenntnis genommen. Der Sumpf mochte noch vergleichsweise ruhig erscheinen, aber die von schwarzer Magie berührten Blutfliegen hätten eigentlich ausreichen sollen, um jedem in der Gruppe klarzumachen, dass sie nicht für Müßiggang und Lustwandeln hier waren. Selbst wenn – wie er vermutete – er selbst durch seine magischen Sinne die Verderbnis um sie herum noch stärker wahrnahm als die anderen, waren die Zeichen offensichtlich, wenn man nur ein wenig die Augen offenhielt: Pflanzen, deren Blätter von schwarzer Fäulnis überzogen waren; Bäume, deren Stämme sich auf unnatürlich-kränkliche Art um sich selbst wanden, als wüssten sie nicht, ob sie zum Licht oder doch zur Dunkelheit der Erde hin wachsen sollten; Dornen und Widerhaken an normalerweise harmlosen Gewächsen; Insekten mit zu wenigen oder zu vielen verbogenen Gliedmaßen, aufgeblähten Körpern und übergroßen Stacheln und Mandibeln. Und Augen… Augen in den Wäldern.
Yarik war sich sicher, dass sie beobachtet wurden. Von wem oder was genau, wusste er nicht zu sagen, abgesehen von den Geistern, die ihn stets begleiteten – seiner Familie und diesem taudensmal verfluchte Brandon… Auch sie waren sicher in der Nähe, hielten Schritt mit ihnen, zeigten sich aber nicht. Noch nicht. Nur ihr Flüstern konnt er vernehmen, die ganze Zeit und lauter als sonst, aber nur selten verständlich.
Yarik beschleunigte seine Schritte und holte zu Chala auf, wobei er sich zugleich strategisch zwischen ihr und Shakes positionierte, der zwar gemeinsam mit Liam und Eileen an der Spitze ging, dessen verkrampfte Körperhaltung und geledendliche Tritte gegen Äste oder Steine, die sich wegkicken ließen, jedoch noch immer von kaum unterdrückter Wut kündeten. Yarik kannte Shakes nicht gut genug, um zu wissen, warum genau der ruinierte Mantel ihm so wichtig gewesen war (und was um alles in der Welt ihn dann dazu bewogen hatte, ausgerechnet diesen Mantel mit auf die Jagd zu nehmen), aber das spielte jetzt auch keine Rolle. Wichtig war, dass sie aufhörten, sich gegenseitig zu zerfleischen, während sie sehenden Auges in die Höhle des Schattenläufers marschierten. Ihr Auftrag mochte nur Aufklärung und Erkundung lauten, aber das hieß noch lange nicht, dass er ungefährlich war, und ihr Jagdtrupp würde nur so stark sein wie sein schwächstes Glied. Das war im Moment Shakes – dank Chala…
„Warum bist du hier?“, fragte Yarik sie unumwunden. Er machte sich keine Mühe, die Missbilligung in seiner Stimme zu verbergen. „Du bist nicht Mitglied der Gemeinschaft. Niemand hat dich gezwungen, mitzukommen. Das hier ist ernst, Chala. Du musst niemanden von uns mögen, aber wir müssen uns aufeinader verlassen können.“ Er kniff die Augen zusammen und sah sie unverwandt an. „Sonst gehen wir am Ende vielleicht alle drauf. Ist es das, was du willst?“
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Basislager des Waldvolkes am ehemaligen Jägerturm, kurz nach Mittag
„Hier, das sollte für's Erste ausreichen.“
Ein großes Bündel Pfeile wurde über den Tisch gereicht, hinter dem sich Roan mit seiner Frau Silla aufhielt. Sie waren für das Versorgungslager eingeteilt worden. Teils, weil der Jäger darum gebeten hatte und teils, weil Silla bereits weit in ihrer Schwangerschaft fortgeschritten war. Es war nicht daran zu denken gewesen, dass sie auf die Jagd ging, aber auch nicht, dass der werdende Vater sie allein zurückließ. Immer wieder musste sie Pausen einlegen und Roan warf ihr jedes Mal besorgte Blicke zu. Auch jetzt saß sie wieder auf einer leeren Kiste, die alles andere als bequem wirkte.
„Du kannst dich etwas ausruhen gehen, Liebling. Die Vorauskommandos sind bereits losgezogen und die restlichen Jagdgruppen kann ich alleine bedienen“, schlug der junge Mann vor, heimlich hoffend, dass sie ihm zustimmen würde.
„Vergiss es Roan!“, schalte sie ihn allerdings bissig, als ihr Nachwuchs wohl gerade besonders unangenehm zugetreten hatte. Silla hielt sich den gewölbten Bauch und atmete mit tiefen gleichmäßigen Stößen.
„Ich werde nicht tatenlos herumsitzen wie eine Glucke, wenn um uns herum das Chaos herrscht. Ich werde dabei helfen unserem Kind ein sicheres Zuhause zu schaffen, verstanden? Und jetzt reicht es mit diesem Thema!“
Die dunkelblonde Wächterin, die ihr Haar stets kurz und in einem Seitenscheitel trug, funkelte ihren Mann böse an, ihn warnend sie nicht herauszufordern. Dieser hob beschwichtigend die Hände.
„Hast du heute schon etwas gegessen? Ich kann dir etwas von Mama Hooquas Eintopf besorgen, wenn du kurz hier übernimmst“, versuchte er die Wogen zu glätten.
„Willst du mir etwa vorwerfen, dass ich hungressiv bin?“
„Nein Schatz, natürlich nicht. Also…Eintopf?“, fragte er erneut und machte sich schleunigst auf den Weg, als Silla nickte.
Eilig durchquerte Roan das Lager, grüßte hier und da ein bekanntes Gesicht. Selbst die alte Nerea entdeckte er hinter einem schiefen Holztisch, auf dem sie ihre Tonkrüge gestellt hatte, damit sich jeder bedienen konnte. Es waren jedoch weit weniger, als er erwartet hätte.
„Hallo Nerea!“, rief er zu ihr herüber, „wurdest du ausgeraubt?“
„Nein, Jadewolf hatte Bedarf an vielen verschiedenen Kräutern“, gluckste die Kräuterkundige zurück und schenkte dem Gestressten ein gutherziges Lächeln, „Der Mann weiß eben, was gut ist.“
„Da hast du sicher recht. Wo ist denn deine Enkelin?“
„Zarra ist los, um unsere Vorräte zu holen.“
„Verstehe!“
Mit einem Winken bedeutete er der Alten, dass er eilig weitermusste, ehe seine Frau noch wie eine Sumpfgasdrohne platzte. Kurz fragte er sich, ob das Mädchen wieder Hilfe brauchte, um eine schwere Kiste zu tragen, doch er verwarf den Gedanken wieder. Er konnte Silla nicht allein lassen, vor allem nicht, wenn sie launisch war.
Die Schlange zur Essensausgabe war lang, länger als sie aus der Ferne gewirkt hatte. Doch Roan blieb keine andere Wahl, als sich einzureihen. Jede Minute, die verstrich, machte ihn nervöser. Selbst seine Hände begannen zu schwitzen und er wollte schon darum bitten vorgelassen zu werden. Doch der Jäger wusste genau, dass jeder hier es ebenso eilig hatte, wie er.
„Hallo Mama“, grüßte er endlich die Hooqua, welche eine Kelle durch den riesigen Kessel zog, der vor ihr auf einem Feuer stand, „Kannst du mir zwei Schüsseln füllen? Für Silla und mich.“
„Hier, gib ihr auch etwas Brot dazu!“, empfahl die Wirtin und reichte dem Jäger die Rationen.
„Danke dir!“
Und er meinte es auch so, denn alles, was Silla momentan zufriedenstellen könnte, war den verlorenen Goldschatz im Sumpf wert.
Er trat zur Seite und probierte einen Löffel der dickflüssigen Masse, kaute einen Moment abschätzig.
„Fehlt da nicht Salz?“, dachte er laut.
„Sei bloß still! Irgendein Trottel hat mein ganzes Salz an eins der Vorauskommandos gegeben. Weiß der Sumpfhai, was die damit vorhaben!“
Heute schien einfach nicht Roans Tag zu sein. Um der einen aufgebrachten Frau zu entkommen, setzte er den Rückweg zum Versorgungszelt an, auch wenn ihn dort seine eigene Frau erwartete, die nicht weniger aufgebracht zu sein schien.
Zarra
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Im südlichen Sumpf, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
„Warum bist du hier?“
Eine gute Frage, die Yarik ihr da stellte, die sie jedoch gedachte unbeantwortet zu lassen. Ihre Angelegenheiten gingen den hochgewachsenen Stabkämpfer nichts an. Sie warf ihm einen Seitenblick zu, während sie in angemessenem Abstand zu Shakes durch den immer ausgeprägteren Sumpf lief. Die Art der Bäume änderte sich von gerade gewachsenen Eschen und Erlen zu knorrigen Mangroven, deren Luftwurzeln aus dem Schlamm emporstießen wie dicke Finger, die Halt suchten.
„Mitglied der Gemeinschaft“, wiederholte Chala das Gehörte und setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf, „Das stimmt, aber ich hatte mal etwas Ähnliches, eine Gemeinschaft, Nuu.“
Sie ließ etwas Zeit verstreichen, schwieg dabei, während sie einen unpassierbaren Tümpel umrundeten. Was brächte es ihr, jetzt darüber zu sprechen wie sie alles verloren hatte – wen sie alles verloren hatte? Sind fand keine zufriedenstellende Antwort und das Schweigen zog sich in die Länge. Yarik drängte sie nicht, doch wich er ihr auch nicht von der Seite.
„Dieses Ding“, sie zog das Lederband von ihrem Hals und steckte es in ihren Beutel, was die weiße Haut darunter offenlegte, „zwingt mich, treibt mich vorwärts.“
Sie wartete kurz auf eine Reaktion, doch der Bärtige hielt sich zurück, wartete auf mehr.
„Nimm es nicht persönlich, Yarik, aber ich mag so gut wie Niemanden. Und Shakes…er schafft es viel mehr als andere mich wütend zu machen. Statt sich zu bedanken, dass ich ihm den Arsch rette, verflucht er mich wegen eines Umhangs, den er besser Zuhause gelassen hätte. Klar, ich verstehe es, wenn man an einer Sache hängt, aber das?“
Sie schweifte erneut ab, rief sich die Reaktion des Sumpfkrautbauern noch einmal vor Augen. So zornig war er selbst nicht gewesen, als er sie in der Sumpflilie entdeckt hatte. Was bitte war so wichtig an dem Stofffetzen gewesen?
„Ich hätte ihn nicht weiter reizen sollen, das war unbedacht“, gab sie schließlich entgegen ihrer Natur zu.
Es wurmte sie, wie der Streit sich entfaltet hatte und ihre Unterlippe wurde bereits wieder unter ihren Zähnen zerdrückt, sodass der Schorf ihrer Wunde aufplatzte. Die Aranisaani ignorierte den Schmerz, leckte sich das Blut von den Lippen und Zähnen, ehe sie den Gesprächsfaden wieder aufnahm.
„Keine Sorge, wenn es hart auf hart kommt, könnt ihr euch darauf verlassen, dass ich meinen Teil beitrage. Vermutlich weitaus besser, als der riesige Holzkopf oder der untersetzte Alkoholiker. Lasst mich bloß außerhalb der Kämpfe zufrieden.“
Damit ließ sie sich einen Schritt hinter Yarik zurückfallen und hing ihren eigenen Gedanken nach, auch wenn sie vermutete, dass das Gespräch für ihn noch nicht beendet war.
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Im südlichen Sumpf, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
Yarik antwortete nicht sogleich. Erst, als Chala sich ein Stück zurückfallen ließ und damit signalisierte, dass sie nichts weiter hinzuzufügen hätte, nickte er bedächtig und wandte sich noch einmal kurz zu ihr um.
„Gut“, sagte er, und dann, nach einer kurzen Pause: „Ich verlass mich auf dich.“
Chala antwortete nicht, und Yarik hatte auch keine Antwort erwartet. Er beschleunigte seine Schritte ein wenig und überließ sie ihren Gedanken, wobei er zugleich ihrem Wunsch entsprach, sie außerhalb von Kämpfen in Ruhe zu lassen.
Sie trug also das Mal des Jägers. Yarik fing gar nicht erst damit an, sich zu fragen, warum. Die Mächte der Natur waren eigensinnig und ihre Beweggründe schienen wenig mit menschlicher Logik zu tun zu haben. Warum war er, Yarik, mit dem Mal belegt worden, und noch viel mehr, mit der Bürde des Druidentums? Er wusste es nicht. Jegliche Vernunft schien dagegen zu sprechen, ausgerechnet jemandem wie ihm solche Aufgaben zu übertragen, und doch – hier war er.
Und da war Chala. Es war inzwischen offensichtlich, dass sich unter der kratzbürstigen Schale, mit der sie sich umgab, ein deutlich verletzlicheres Wesen versteckte. Aber hier und jetzt war nicht die Zeit, danach zu bohren – zumal sie sich kaum kannten und Chala daher natürlich auch keinen Grund hatte, ihm ihre persönlichen Gefühle und Sorgen anzuvertrauen. Gerade war nur wichtig, dass sie sich unter Kontrolle hielt und die Gruppe auf sie zählen konnte, wenn es hart auf hart kam. Yarik hoffte inständig, dass sie das konnten…
Schweigend setzte der Spähtrupp seinen Weg fort. Der Wald war mittlerweile einem wirklichen Sumpf gewichen, Schlamm und Matsch erschwerten zusehends das Vorankommen. Tümpel und Moorlöcher zwangen sie immer wieder, umzukehren und einen anderen Weg zu suchen, was sie weiter verlangsamte. Valerion stieß immer wieder eine Reihe von Flüchen aus, wenn er mal wieder in ein besonders tiefes Schlammloch getreten war, und wurde nicht müde, zu betonen, wie sehr ihn der Sumpf nervte.
Unter anderen Umständen hätte er sich vermutlich bissige Kommentare von Seiten der erfahrenen Waldläufer eingehandelt, aber Liam, Eileen und Glaen waren mit anderen Dingen beschäftigt. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Umgebung, die langsam nicht nur sumpfiger wurde, sondern auch… feindseliger.
Die Vegetation wurde immer dichter, und Yarik war sich sicher, dass es sich dabei nicht um ein rein natürliches Phänomen handelte. Immer wieder versperrten dicke Ranken ihren Weg – nur gut, dass sie auf Shakes‘ Anraten hin Haumesser mitgenommen hatten, die ihnen jetzt gute Dienste leisteten.
Die Ranken wirkten auf den ersten Blick normal, aber immer wieder hatte Yarik den Eindruck, dass er aus den Augenwinkeln sehen konnte, wie sie sich bewegten. Wenn sie einen Durchgang geschlagen hatten und er sich nach einigen Schritten noch einmal umdrehte, dann schien ihm der Durchgang jedes Mal wieder enger geworden zu sein, als würden die Ranken ihn aktiv verschließen. Manchmal waren die Stränge der Schlingpflanzen mit blutroten Dornen bewehrt oder trugen unschöne, fleischige Blüten, die einen ganz und gar nicht betörenden Gestank verströmten, und ihr Saft war gelb und klebrig und verursachte unangenehmen Juckreiz, wenn er mit bloßer Haut in Berührung kam.
Es schien, als wären sie auf dem richtigen Weg.
Und Yarik war sich nicht ganz sicher, ob er darüber wirklich froh sein sollte…
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„warum bist du hier?“; hatte Yarik die Königin der Streitereien gefragt.
Valerion ging die Frage ebenfalls nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich schon öfters überlegt, warum er sich der Gemeinschaft der Waldläufer angeschlossen hatte. Es gab noch andere Gemeinschaften, mit ähnlichen Strukturen. Doch ob es ihm dort besser gefallen hätte? Sicherlich hätte es dort mehrere nervige Regeln gegeben, die er sicherlich öfters gebrochen hätte, als ihm Lieb waren. War er im Wald nun Glücklicher? Er hatte gemerkt, dass diese Gemeinschaft sich vollkommen Vertraute und Anfeindungen von außenstehenden nicht gerade Willkommen war. Hätte er die Aktion mit dem Jadewolf nicht gebracht, würde er wohl nicht den Beinamen Fatzke haben, aber gut das war nun eben so und er musste seine dumme Tat wieder reinwaschen. Gleichzeitig fragte er sich ständig, wohin er wollte. Würde er dann in ein tieferes Wissen eintauchen? Jahrelang hatte er sich durchgeschlagen, war mit kleinen Diebestaten durchs Leben gegangen. Was hatte es ihn zuletzt gebracht? Er war Jahrelang gefangen in der Barriere, war dann als Pirat unterwegs um noch fettere Beute zu machen, schließlich war er bei Nomaden untergekommen und zuletzt war er ein gefangener, bis er sich befreien konnte und seinen Frust mit Weibern und Alkohol ertränkte. Bis er schließlich auf das Waldvolk traf, um dort ein neues Leben zu beginnen.
Nun stand er hier im Sumpf, seine Stiefel tief im Matsch, der sich schon langsam seinen Weg in das Innere suchte. Dutzende Mücken summten um seinen Kopf, eine Spinne seilte sich von seinem Haar ab, sah es nur so aus oder drohte das Mistvieh mit seinen vielen Beinchen?
„Ich hasse diesen verdreckten stinkenden Sumpf!“ Rief er genervt, wieso musste es überhaupt ein Sumpf sein? Hätte man nicht wieder in einen Wald ziehen können, wie in Myrthana?
Der Bärtige wusste es nicht genau, wahrscheinlich würde er diesem Rätsel eh nie wirklich auf die Spur kommen, aber er wusste etwas genau. Irgendwas kam auf die Gruppe zu. Er hatte schon die ganze Zeit so ein Geräusch in der Ferne vernommen und war sich sicher, irgendwas würde sie verfolgen. Als die Gruppe in eine art Lichtung kam, wo eine kleine Insel mit richtig fester Erde war.
„Sollen wir hier rasten? Sieht mal besser aus, als der Blöde Matsch“, meinte Valerion und schaute sich um.
Während sich die anderen ein paar Minuten ausruhten, vernahm er weiterhin dieses Geräusch. Es kam immer näher und schließlich staunte er nicht schlecht, als dort eine Meute Goblins aus dem Gebüsch kam. Valerion staunte nicht schlecht, er erkannte die Bemalung der Goblins, die auf ihren Körpern verteilt waren.
„Oi! Das sind die Goblins, mit denen ich mal so eine komische Ritualnacht hatte“, sprach Valerion fröhlich und winkte ihnen zu.
Aus dem Gebüsch stürmte plötzlich eine Gans, die an einem seil angebunden war, das aussah wie eine art Leine. Der Oger, der ebenfalls bei der Ritualparty dabei war, blickte die Leute mit einem Blick an, als ob er entweder angestrengt überlegte, oder kurz davor betrunken umzufallen.
Die Gans wurde immer unruhiger, die Goblins hatten ihre Äste bedrohlich in die Luft gehoben und der Oger fixierte Chala an, sabberte und zeigte auf sie!
„KISHA! ICH DICH FINDEN! OGA DICH NUN HEIRATEN UND MACHEN VIELE BABYS“, schrie er fröhlich, ließ die Leine los und stürmte auf die Schwarze Schönheit zu.
Die Gans und die Goblins sahen das aber ein wenig aggressiver, während die Goblins auf Yarik und die Waldläufer zustürmte, hatte die Gans nur ein anderes Ziel, Valerion.
„WAS ICH MEHR HASSE ALS SÜMPFE SIND VERDAMMTE BISSIGE GÄNSE“, schrie Valerion voller Panik und holte mit seinem Ast aus, um der Gans einen ordentlichen Schlag zu verpassen. Doch die Gans hatte schnell mit dem Schnabel nach dem Ast geschnappt und hielt diesen fest.
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Hatte Ryu genickt?
Hatte er wirklich genickt? Ihr zugestimmt auf ihre Bitte hin?
Erst hatte sie Ricklen umstimmen können und nun hatte der Hauptmann ihr zugestimmt. Ha! Heute konnte ihr keiner mehr was!
Und sie? Hatte sie einfach wirklich seinem Blick standgehalten? Zugegebenermaßen fiel ihr das gar nicht so schwer, wie sie gedacht hatte. Irgendwie mochte sie sein Augen. Obwohl oder weil sie so andersartig waren? Hm, nein. Vielleicht … einfach so.
Doch zurück zu Yared, dem Seefahrer, und Larah!
Wie angenehm diese beiden Personen waren. Das fiel Freiya sofort auf. Kein Fluchen und sie sprachen ganze Sätze ohne Körperteile zu benennen. Das mochte sie. Allgemein hatten beide eine angenehme und unaufgeregte Art, die im Gegenteil zu so manchen anderen Leuten hier im Sumpf stand.
„Ihr seid vom Festland den weiten Weg hierher gesegelt?“, hakte die Rothaarige nach. Larah und Yared nickten. Freiya besah Larah ein wenig näher. Wie furchtbar musste es für sie gewesen sein, die volle Wirkung des Males zu spüren und so weit weg zu sein. Vielleicht auch nicht zu wissen, was genau los war. Da hatte die junge Frau wahrscheinlich wirklich einen guten Freund, wenn Yared sie übers Meer gebracht hatte. Das war gut. Das würden sie brauchen.
„Es ist gut, dass Ihr hier seid, Larah und Yared“, sagte Freiya schließlich. „Jeder wird gebraucht. Wir müssen alle zusammenhalten.“
„Ja, weil wir unsere Bude von diesem finsteren Zeug befreien müssen, sonst droht uns die Zwangsräumung“, sagte Griffin mit verschränkten Armen und seine Stirn legte sich tatsächlich in Falten.
Ryu indessen nickte und nahm den Faden wieder auf:
„Du liegst richtig mit deiner Vermutung“, sprach er dann zu Yared und ein Seufzen kam über seine Lippen. „Der Herr der Sümpfe hat erneut zur Wilden Jagd ausgerufen. Und Griffin hat ebenso Recht: Wir müssen aufräumen. Wir müssen den Sumpf von den korrumpierten Wesen befreien, die der Weltenriss vor einigen Jahren aus Beliars Reich mit sich brachte. Wahrscheinlich gehören die untoten Goblins noch mit dazu. Doch damit ist es noch nicht genug. Wir werden herausgefordert und müssen uns mit den anderen Wesen des Sumpfes messen. Nur wenn wir erfolgreicher sind mit unserer Jagd als diese Wesen, dürfen wir bleiben.“
Eine kurze Stille senkte sich über sie.
„Andernfalls werden wir des Sumpfes verwiesen und verlieren unsere Heimat. Unser Zuhause“, fügte Freiya leise und mit grimmigen Blick hinzu. Yareds und Larahs Gesichter nahmen einen alarmierten Ausdruck an.
„Beschissenste Zeit“, wiederholte Ryu und dann entfloh ihm ein leichtes, schiefes Grinsen. Er klopfte Yared auf die Schulter.
„Können wir auf euch zählen? Ach, und wenn das alles vorbei ist, zähle ich darauf, dass ihr mir bei einem kühlen Getränk alle Neuigkeiten aus Silden berichtet!“
„Ja, der alte Herr trinkt neuerdings Kirschsaft“, spottete Griffin. Freiya musste schmunzeln.
„Wenn ihr etwas zur Stärkung braucht, holt euch bei Mama Hooqua ein Essen“, sagte sie und deutete zur Wirtin. Sie mussten doch hungrig sein!
„Bei Jilvie könnt ihr euch in ein Kommando einteilen lassen oder ihr helft hier im Lager. Leider …“, Freiya verstummte kurz, dann sah sie zu Larah, „sind jene mit dem Mal an den Sumpf gebunden und müssen bleiben.“ Doch die Frau mit dem schönen blonden Haar und der athletischen Statur schien entschlossen in ihrem Handeln.
„Jeder muss sich beteiligen“, ergänzte Ryu. Er ließ kurz nachdenklich seinen Blick streifen. Die orangefarbenen Augen glitten lauernd über die Menschen und blieben dann im Grün des Waldes um sie herum hängen. Dann sah er zu Griffin und Freiya: „Wir sollten bald aufbrechen.“
Freiya nickte nachdenklich, Griffin schmatzte unterwältigt.
Was würde sie da draußen erwarten?, ging es der Rothaarigen durch den Kopf und ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihr breit. Es stand so vieles auf dem Spiel … Ihr fielen Lyrcas Worte erneut ein. Und was sie über Ryu und Griffin gesagt hatte. Was sie Freiya gezeigt hatte. Die Bestie in Menschengestalt … Freiya dachte an Ryus kurzen Ausbruch im Jägerzelt. Sie konnte fast fühlen, wie Lyrca nach Freiyas Kopf zu greifen versuchte: Hab ich es nicht gesagt, hä? Bist du dir immer noch so sicher, HÄ?
Kurz wanderte ihr Blick zu Ryu. Sie dachte daran, wie herzlich er eben Yared begrüßt hatte. Und wie er Griffin und sie behandelte, Ja, sie war sich immer noch absolut sicher.
Griffin neben ihr streckte sich und ließ die Schultern kreisen.
„Könnte von mir aus auch gleich losgehen, die Wartetei macht mir nur unnötige Luft in den Bauch“, sagte er und klopfte sich auf das Leibgewölbe. Freiya kicherte.
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Im südlichen Sumpf, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
Yarik hatte mit vielem gerechnet. Mit ekelhaft mutierten Tieren, sich bewegenden Killerpflanzen, mit Untoten, mit Dämonen gar – aber nicht damit!
Nicht mit einem Oger, der über alle vier Backen strahlend nach Chala grabschte und dabei kurzerhand erklärte, sie heiraten zu wollen (auch wenn er ihren Namen ziemlich falsch aussprach)! Über den Part mit dem ‚Babys machen‘ wollte Yarik angesichts des Größenunterschieds lieber gar nicht erst nachdenken. Und als ob das noch nicht genug wäre, schien Valerion diesen Oger und die ihn begleitenden Goblins auch noch zu kennen! Wenn – falls – sie das hier überlebten, würde er den Wächter wohl noch einmal zur Rede stellen müssen…
Chala versuchte ihr Schwert zu ziehen, aber der Oger war überraschend schnell – zu schnell. Seine riesige Pranke schloss sich um die Hüfte der jungen Frau und klemmte dabei ihren Arm ein, so dass sie sich nicht wehren konnte, als er sie hochhob. Chala schimpfte und zeterte wie ein Rohrspatz, wand sich und trat um sich, aber der Oger ließ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken. Er hatte die wulstigen Lippen zu einem breiten Grinsen zurückgezogen, das unregelmäßige Reihen großer, gelb-schwarzer Zähne entblößte.
Yarik wollte versuchen, Chala zu Hilfe zu kommen, doch Goblins stellten sich ihm in den Weg. Sie hatten eigenartige Kriegsbemalung aufgelegt und waren mit einfachen, geschnitzten Speeren und Holzkeulen bewaffnet. Yarik ließ seinen Kampfstab herumwirbeln und griff an, aber der Goblin, den er attackierte, konnte den Schlag parieren. Seltsamerweise versuchte er nicht, einen Gegenangriff zu starten, und auch seine Kameraden machten nur Gesten, die Yarik bedeuteten, dass er fernbleiben sollte, ohne ihn direkt zu attackieren. Als Yarik sich umsah, bemerkte er, dass es den anderen auch so ging – Liam, Eileen, Glaen und Shakes wurden von den Goblins zwar in Schach gehalten, aber nicht aktiv angegriffen. Der Einzige, der in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt war, war Valerion. Im Moment schien die Gans die Oberhand zu haben.
Was zur Hölle soll das?, fragte sich Yarik. Was war mit Chala? Der Oger hielt sie immer noch fest und führte fast so etwas wie einen kleinen Tanz auf (ein Freudentanz?), tat ihr aber auch nichts.
„KISHA!“, brummte der Oger schließlich in einer fast schon sanften Tonlage, „GLOK FROH DICH KÖNNEN RETTEN! SUMPF NICHT SICHER JETZT! GLOK TRAGEN ZEICHEN!“
Der Oger drehte sich um und hielt Chala hinter sich, bevor er völlig ungeniert seine Hose herunterließ, so dass sie alle das Mal des Jägers bestaunen konnten, das wie ein dunkelroter Furunkel auf dem mit drahtigen Haaren bedeckten Hinterteil des Ogers prangte.
„SEHEN?“, fragte er stolz, „GLOK NUN JÄGER UND BESCHÜTZER VON BAUM! SCHLIMME DINGE IN SUMPF! ABER KISHA NICHT HABEN ANGST! GLOK ZERMATSCHEN!“
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, rammte er seine freie Hand zur Faust geballt in den schlammigen Untergrund, so dass jeder um ihn herum eine ordentliche Dusche abbekam.
„Ihr seid also… Verbündete?“, fragte Yarik vorsichtig und trat ein Stück näher. Die Goblins hoben ihre Speere, hinderten ihn aber letztlich nicht daran.
„GLOK JÄGER!“, verkündete der Oger, „WIR ALLE JÄGER! JETZT JAGEN! DANN HEIRATEN!“
„Was… genau willst du denn jagen… Glok?“
Der Oger deutete grinsend auf einen Punkt irgendwo hinter Yarik: „DAS DA!“
Yarik drehte sich um.
„Oh… Scheiße!“
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Basislager an der Jagdkommandantur, östliche Bruchwälder
„Hey! Hey Kleine, bleib stehen!“, rief Wolfgang dem Mädchen nach, welches soeben vom Steg gesprungen war, auf die Horden von Käfern zu, die zwischen den Bäumen hervorkamen.
Der alte Wächter schauderte, als er sich vorstellte, wie die Viecher über seinen Körper krabbelten wie sie es bei der Weißhaarigen gerade taten.
„Sei nicht dumm! Komm wieder her!“, forderte er sie erneut auf.
Auch andere waren stehengeblieben, um zu sehen, wohin es die junge Frau trieb.
„Ist das nicht die Enkelin von Nerea?“, fragte eine ältere Frau bestürzt, die einen großen Korb mit Stoffballen mit sich trug. Sie waren wohl fürs Flicken zerschlissener Ausrüstung gedacht.
„Von der Kräuterhexe?“, wollte sich Wolfgang vergewissern, der nervös seinen Backenbart mit den Fingern kämmte, die Augen auf das Mädchen gerichtet, welches wie in Trance auf den Wasserlauf zusteuerte, der von abgeschlagenen Pflanzenteilen und Pilzhüten besudelt war.
„Sie ist keine Hexe!“, gab die Alte zurück und rümpfte die Nase.
„Was auch immer. Jemand muss sie zurückholen!“
„Bist du nicht ein Wächter?“, fragte eine weitere Stimme, die einem jungen Buben gehörte, der nicht mehr als zehn Sommer gesehen haben konnte.
„Bin ich, Junge, aber…“, der Mann mit dem prächtigen Bart stockte, „Ich ekel mich vor diesem Krabbelzeug.“
Ausdruckslose Mienen schauten ihm entgegen, als er seine schlimmsten Ängste vor den Leuten zugab.
„Schaut mich nicht so an! Ich werde Hilfe holen. Bitte achtet darauf, wohin sie will und versucht sie zur Vernunft zu bringen!“, rief er über die Schulter, hoffend, dass sie auf ihn hören würden.
Schwer atmend folgte er dem Steg in Richtung des Basislagers. Er war nicht mehr der Jüngste und das zeigte sich an seinem lichten Haar und der mangelnden Kondition. Doch sein Backenbart wog das seiner Meinung nach mehrfach wieder auf!
„Was ist los?“, rief ihm der erste Jäger, an dem er vorbeieilte, zu und begann eine Sehne in seinen Bogen zu spannen.
„Muss…zum…Hauptmann!“, presste der Wächter hechelnd hervor.
„Neben dem Kommandozelt!“
Ohne ein Zeichen des Dankes stolperte Wolfang weiter über den unebenen Boden. Leute wichen ihm aus, als sie seinen hochroten Kopf sahen. Er konnte bereits die Form des Hauptmanns erkennen. Bei ihm waren mehrere Menschen, ein Dicker, eine Rothaarige, eine Blonde und ein…Städter? Egal, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über den Umgang seines Hauptmanns Gedanken zu machen.
„Haupt-mann!“, presste Wolfgang zwischen seinem bebenden Backenbart hervor, „Die junge Rimbe…ist in…den Sumpf gelaufen. Mitten…zwischen hunderte Krabbel…viecher! Nahe Tooshoo.“
Er keuchte und hustete auf sehr unangenehme Weise, stemmte seine Hände auf die Schenkel, als er nach Luft rang.
Zarra
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Nördliches Sumpfgebiet, früher Nachmittag
Weit und breit fand sie keinen passablen Übergang auf die andere Seite des Wasserlaufs. Keine andere Möglichkeit sehend, nahm sie einen fauligen Stock auf, der zu ihren Füßen lag. Ein Großteil brach bei der ersten Berührung ab, doch den Rest, der noch gute drei Schritt maß – leider gemessen an ihren eigenen, kleinen Schritten – steckte sie in die dunkle Flüssigkeit vor ihr. Nicht sehr tief kam sie, ehe sie den schlammigen Untergrund fand und das verfaulte Holz erneut nachgab. Ihrer Einschätzung nach würde ihr das Wasser bis zum Wadenbein reichen, gerade unterhalb ihrer Stiefel. Sie wollte es nicht, doch etwas trieb sie an, ließ ihr keine Wahl. Die libellenförmige Narbe auf ihrem Rücken begann unterdessen ein brennendes Gefühl auszulösen, so als würde sie sie antreiben wollen, sie zwingen den nächsten Schritt zu wagen.
Vorsichtig tauchte sie ihren beschuhten Fuß in das Sumpfwasser, bis sie den zuvor ertasteten Untergrund fand. Es war etwas weniger tief, als sie befürchtet hatte und zog das zweite Bein hinterher. Als sie durch das Wasser watete, flohen jene Insekten, welche sich auf ihr niedergelassen hatten, alles daransetzend nicht wieder in die Richtung getragen zu werden, aus der sie gekommen waren.
„Da war es schon wieder“, murmelte Zarra, die erneut den blauen Schimmer entdeckt hatte.
Aus der Ferne hörte sie dumpfe Stimmen, Leute, die nach ihr riefen. Doch der Sinn der Worte drang nicht zu ihr durch, die Warnungen blieben ungehört.
Als sie auf der anderen Seite des unter Wasser stehenden Bereichs wieder trockeneren Boden unter den Füßen hatte, kam ihr kurz der Gedanke, ob sie einem Irrlicht zum Opfer gefallen war. Doch das würde nicht die unzähligen Käfer erklären, die ihr nun auch über die Stiefel krabbelten, ihre Beine hinauf, nur weg von dem, was dort draußen war. Wieder schaute sie sich um, bemerkte, wie weit sie bereits von ihrer ursprünglichen Route abgewichen war. Zuvor war sie aus dem Südosten gekommen, wo sich der Schrein der Mutter befand. Jetzt jedoch lag Tooshoo in ihrem Rücken, was anhand ihres Vorgehens bedeuten musste, dass sie sich nun auf der nördlichen Seite des Weltenbaumes befand. Das unheilvolle Gefühl, was an ihren Nerven zerrte, war viel präsenter, als zuvor und die Menge an Spinnentiere, Raupen, Libellen und anderen Kerbtieren war stark angestiegen. Es war die Vielfalt und Masse, welche am besorgniserregendsten für Zarra war und sie dazu antrieb tiefer in die Sümpfe vorzudringen. Kerfe, die sonst Fressfeinde waren, krabbelten oder flogen Seite an Seite gemeinsam davon. All ihre Gedanken und Gefühle drehten sich um den Ursprung dieser Massenflucht und unterdrückten ihre Instinkte, die sie anschrien, zeterten und bettelten, damit sie umkehrte, zurück in den Schutz Tooshoos.
Bedacht, wo sie ihre bereits durchnässten und schlammbesudelten Stiefel absetzte, folgte sie der Spur der Käfer. Das Rascheln, Flattern und Kriechen erzeugte eine Melodie der Angst, immer weiter ansteigend, bis sie zu einem fürchterlichen Crescendo wurde, der ihre Ohren zu betäuben drohte.
Trotz des Fortschritts, den sie machte, hatte sie nicht noch einmal den blauen Schimmer gesehen, der sie in diese Richtung gelockt hatte. War es am Ende doch ein Irrlicht oder gar eine Einbildung gewesen?
Prüfend griff sie zur Kräutersichel, die sie mithilfe eines Bandes an ihre Tasche befestigt hatte. Der kühle Stahl ließ sie für einen Moment erschrecken, ehe sie sich besann und den Griff mit ihrer Hand umschloss. Noch nie hatte sie etwas anderes damit geschnitten als Äste, Blumen oder Kräuter. Sie war nicht einmal sicher, ob sie dazu in der Lage wäre etwas anzugreifen, zu verletzten, selbst wenn sie in Lebensgefahr schwebte.
Sie biss die Zähne aufeinander, als ihre Narbe erneut Schmerz durch ihren Körper zucken ließ. Ein Gefühl, als hätte man ihr ein heißes Stück Eisen auf eine Wunde gelegt, die man kauterisieren wollte. Ihre Großmutter hatte einmal erzählt, dass das Ausbrennen keine sinnvolle Heilmethode war. Meist waren die Körperteile, die man auf diese Weise retten wollte, im Anschluss verloren. Das vernarbte Gewebe bildete eine unbewegliche Ansammlung von verhärtetem Fleisch, das den eigenen Befehlen nicht mehr gehorchte.
Sachte schüttelte sie den Kopf, vertrieb die Vorstellung wie es aussehen und riechen mochte, wie es sich tatsächlich anfühlen würde, wenn man sich einer Kauterisation unterziehen musste. Dennoch halfen die grausigen Gedanken dabei, den Schmerz ihrer Narbe zu unterdrücken. Viel wichtiger war es nun herauszufinden, wie sie weiter vorgehen sollte. Sie stand inmitten des Bruchwaldes, der den Norden und Osten des Gebietes um Tooshoo dominierte. Die Masse an Insekten, welche gen Süden zog, hatte nachgelassen, doch noch immer sah sie zahlreiche Sumpfameisen und Gottesanbeterinnen durch das feuchte Unterholz huschen. Ihr Blick wanderte über das Gebiet vor ihr. Wenn sie doch nur einen Blick auf das blaue Etwas erhaschen könnte.
Etwas ziellos streifte Zarra umher, die Richtung, aus der die Krabbeltiere flohen, war nicht mehr länger leicht festzustellen und so blieb ihr nichts anderes übrig, als dem Gefühl zu folgen. Diesem Druck, der immer stärker geworden war und ihr Schwierigkeiten beim Atmen verursachte. Sie sog die feuchte Luft durch ihre Nase ein, nahm den Geruch des Waldes in sich auf, harzig, etwas süßlicher Verfall und eine weitere Komponente, die ihr nicht richtig erschien. Was war das?
„Moschuss? Nein. Es hat etwas vom Geruch der Goblinbeeren, doch das wird vom feuchten Holz und den Pilzen kommen“, überlegte die Kräuterschülerin mit leiser Stimme.
Sie konnte nicht bestimmen, um was es sich handelte. Doch ihre Instinkte, die sich damit abgefunden hatten, dass sie ignoriert worden waren, meldeten sich wieder.
„Nichts Natürliches“, kam die junge Rimbe zu einem Schluss, mit dem sie sich für den Moment begnügen konnte.
Just in diesem Moment tauchte das blaue Schimmern in großer Entfernung wieder auf. Ihr stockte der Atem.
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Lehrling
Ronja hatte eine Angewohnheit, die ihr hin und wieder passierte und sie hatte noch keine Möglichkeit gefunden, daran etwas zu ändern. Sie sagte oft „Was?“, obwohl sie ganz genau verstanden hatte, was ihr Gegenüber gesagt hatte. Es war oft so, dass das Wort einfach aus ihrem Mund purzelte. Ihr Mund, der eben so oft schneller war als ihr Kopf. Oftmals ging es dann so weiter, dass, wenn ihre Frage gerade verklungen war und die andere Person ihrerseits den Mund öffnete, um zu wiederholen, was sie gesagt hatte, ihr Kopf genau dann das Gehörte zusammen gesetzt hatte. Doch dann war es oft schon zu spät, dem anderen Einhalt zu gebieten und dann hörte sie das Gesagte eben ein weiteres Mal. Und das machte sie echt wahnsinnig!
Doch hier, mit Vareesa, war die Lage anders. Gerade, als Ronjas Ohren die Silben ihrer Freundin geordnet hatten, wiederholte sie etwas komplett anderes und sah Ronja ein wenig schuldbewusst an. Die Jägerin mit den braunen Locken schürzte nachdenklich die Lippen.
Scheiße. Warum hatte ausgerechnet sie diese Worte hören müssen? Ronja war nicht gut in solchen Dingen. Feinfühlig auf andere eingehen war ganz eindeutig Freiyas Metier. Ronja hingegen war da eher so behände wie eine Axt im Walde. Oder … wie ein Oger in einer Bognerei! Ha, genau! Moment, hatte sie sich gerade mit einem Oger verglichen?
Sie schüttelte leicht den Kopf und grinste Vareesa unsicher an. Oha, das hatte sicherlich furchtbar ausgesehen. Peinlich berührt blickte sie in ihren Eintopf.
Sie atmete kurz durch. Eigentlich fielen ihr zwischenmenschliche Dinge sonst nicht so schwer. Ja, gut, wenn es um Männer ging. Vielleicht sollte sie die Sache bei Vareesa ähnlich angehen? Was wollte sie? Naja, jedenfalls wollte sie Vareesa nicht ins Bett kriegen. Aber sie wollte, dass sie sich besser fühlte. Denn sie mochte diese unfassbar begabte Frau mit der sensiblen Seele und dem komischen Zeug in den Adern von ganzem Herzen. Und sie wollte ihr Zuversicht vermitteln. Das war ein guter Anfang!
Also hob sie ihre Hand und tätschelte etwas unbeholfen Vareesas Rücken:
„Eh, das schaffen wir schon! Alle zusammen halt! Dafür steht doch das Waldvolk. Guck mal, wie schnell wir uns alle hier organisiert haben. Denkst du, die Blechdosen in den Städten hätten das so auf die Beine bekommen? Wir haben schon immer hier gelebt und wir lassen uns den Sumpf nicht wegnehmen!“
Sie grinste schief. Ja, das war ein ganz guter Anfang.
„Und guck dir mal die ganzen Kerle an. Die wissen vor Schreck gar nicht wohin mit ihrer Männlichkeit und Wichtigkeit“, sprach sie und verstellte die Stimme, damit sie tiefer klang. „Die sind total heiß drauf, dem Scheiß da draußen in den Arsch zu treten. Wie Jarvo vorhin ins Horn geblasen hat. Oder hast du mal deinen Kumpel Hayabusa gesehen, wie der sich rausgeputzt hat?“, sagte sie und deutete zu Ryu, der nicht allzu weit mit Griffin und Freiya und zwei weiteren, ihr fremden, Personen stand und redete. „Also, wenn wir es nicht schaffen, wer sonst?“
Sie zwinkerte Vareesa zu und nahm einen weiteren Löffel.
„Auscherdem“, sagte sie dann schmatzend und schluckte viel zu schnell runter – örgs, das Stück Fleisch war zu groß und sie fühlte, wie es den ganze Weg durch ihre Speiseröhre bis ganz nach unten wanderte. „Außerdem hast du mich. Ich werd dich vor allem verteidigen. Wilde Pflanzen, wilde Kerle, wilde Sechets. Da kannst du nur gewinnen.“ Sie grinste breit. Vareesa blickte sie mit einem amüsierten aber ungläubigen Blick an. Ronja streckte ihr keck die Zunge raus, dann streckte sie ihre Beine von sich.
„Also, was machen wir? Mir wäre es am liebsten, wenn wir erstmal im Lager bleiben und schauen, was wir hier reparieren können. Hattest du ja auch selber gesagt. Aber wenn du mal Bote oder so spielen willst, dann mach ich da auch mit. Richte mich nach dir. Aber rumsitzen kommt nicht in Frage!“
Sie hoffte sehr, dass Vareesa sich besser fühlte. Wenn sie ehrlich war, war sie auch etwas froh, nicht da raus zu müssen. Ricklens Beschreibung von dem Viehzeug und dann noch die anderen, gegen die sie antraten, waren echt zum Abgewöhnen gewesen. Aber verdammt nochmal, Ronja würde ihr Bestes geben, um die Jäger zu unterstützen!
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Im südlichen Sumpf, früher Nachmittag - Chala, Valerion, Yarik
„Lass mich sofort runter, du Troll!“, fauchte Chala, die sich mit aller Macht gegen den festen Griff des Ogers zur Wehr setzte – des sprechenden Ogers.
„GLOK OGER, NICHT TROLL! KISHA WISSEN!“, röhrte der tiefe Bariton, begleitet von ohnmachtsförderndem Atem ins Gesicht seiner Errungenschaft.
„Oger, Oger!“, rief die Gefangene, damit die beleibte Kreatur endlich das Maul schloss, still hoffend, dass er ihr nicht noch einmal sein ganz eigenes Mal der Jagd zeigen würde. Diesen Anblick würde sie sich aus den Augen kratzen müssen, sobald beide Arme wieder bewegen konnte.
Hilfesuchend schaute sich die Aranisaani um, doch keiner ihrer Kameraden schaute auch nur in ihre Richtung. Liam, Shakes und Glaen starrten mit verhärteten Kiefern auf die Goblins – mieden offensichtlich jeglichen Blickkontakt mit ihr. Eileen sah mit zusammengezogenen Augenbrauen über die Köpfe der kleinen Unholde hinweg. Yarik redete auf Glok ein und Valerion? Valerion lieferte sich einen erbittertes Stockziehen mit der Hausgans des kuriosen Goblinschwadrons und hatte keine Zeit ihr zu helfen.
„Lass mich endlich runter!“, verlangte sie erneut und schlug mit ihrer Hand auf die wulstigen Finger des Riesen ein, doch ehe sich eine Reaktion zeigen konnte, mischte Yarik sich erneut ein.
„Was…genau willst du denn jagen…Glok?“
„DAS DA!“
„Oh…Scheiße!“
Tatsächlich war es der beste Ausdruck für den Anblick, der sich ihnen bot, der auch Vered dazu eingefallen wäre. Für einen Augenblick vergaß sie sogar, dass ein heiratswütiger Oger sie aufgeklaubt hatte wie einen Kiesel vom Wegesrand. Jenseits des Wasserlaufs, der die kleine Insel harten Bodens, auf der sie sich befanden, beinahe vollständig einkreiste, sammelten sich ein gutes Dutzend Tiere, denen man das vergangene Leben ansah. Mehrere Hasen, deren Körper wulstig und geschwollen wirkten. Knochen stachen zwischen dem zerfetzten Fell hervor und mit dunklen Krallen und scharfen Schneidezähnen bewaffnet, wirkten sie bedrohlicher als Chala sich jemals hätte vorstellen können. Mehrere Gänse, nein eine Gans mit mehreren Köpfen schnatterte ihnen entgegen. Auch das Federvieh wies Spuren des Untodes auf, waren doch tiefe Löcher im Körper zu sehen, die fauliges Fleisch offenlegten. Eine Riesenraupe, die sicherlich fünf Fuß maß hatte die vorderen Segmente ihres Körpers erhoben und drohte mit widerhakenbesetzten Gliederfüßen. Doch überragt wurden sie alle von einem riesigen Faultier, dessen scharfe Krallen Furchen durch den morastigen Grund zog. In das verfilzte Fell mischten sich lange moosartige Stränge.
Der Wind drehte sich unerwartet und der Geruch, der von diesem Monstrum ausging war selbst auf der anderen Seite des Wassers nahezu unerträglich. Geifer troff ihm aus dem Maul, wobei der Unterkiefer an einer Seite schief an wenig mehr als verfaulter Haut zu hingen schien.
„Oh Scheiße!“, wiederholte Yarik noch einmal seine Einschätzung der Lage, was alle Anwesenden in Kampfbereitschaft versetzte.
Eileen war wieder die erste, die ihren Bogen bereithielt, Liam folgte ihr kurz danach.
„Kommt doch her!“, stieß Glaen eine Herausforderung aus und machte seine doppelköpfige Holzfälleraxt bereit.
„Jetzt lass endlich die Gans in Ruhe, Valerion!“, zischte Shakes, der seinerseits zum Bogen griff. Eine Wahl, die Chala für unklug hielt nach seiner letzten Leistung mit der Waffe.
„GLOK KISHA SCHÜTZT!“, verkündete der Oger laut und ließ die Dunkelhäutige endlich wieder auf den Boden, „KISHA WARTEN, GLOK ZERQUETSCHEN STINKI! ABER ERST SPIELEN LIED, GLOK LANG ÜBEN!"
Der ungeschickte Klotz holte eine Art halben Baumstamm hervor, an den Gedärme angebracht waren, die entfernt an Saiten einer Laute erinnerten. Andere schienen aus dickem Haar geflochten zu sein, die alle über den Beckenknochen eines riesigen Tieres gespannt worden waren.
Glok schwang die wulstigen Finger über das krude Instrument, was einen unsagbar grässlichen Ton erzeugte, der nur von seinem Gesang übertroffen wurde, der an Felsen erinnerte, die aneinander rieb.
"Kisha, Kisha, laufen vorbei,
Kisha, Kisha, mein mein mein,
Kisha, Kisha, lachen für Glok,
Kisha, Kisha, nicht sagen Plok!“*
Chala, die sich den zerdrückten Arm rieb hielt inne, als sie das Lied hörte.
„Was zum…“
Doch ihre weiteren Worte gingen in einem grässlich gackernden Lachen unter, welches Mark und Bein erschütterte. Sie alle schauten sich nach dem Ursprung um, bis Eileen sich meldete.
„Da vorn bei den Bäumen!“
Sie deutete hinter die untote Tierversammlung und tatsächlich konnte man dort eine nahezu menschliche Gestalt zwischen den Stämmen verschwinden sehen. Riesige, rote Stacheln stachen aus dem gekrümmten Rücken hervor und langes, schwarzes Haar, welches mit scheinbar menschlichen Knochen verziert war, verdeckte kaum zwei schreckliche, hängende, gräuliche Brüste.
„Bei der Mutter“, hörten sie alle Liam fluchen, nachdem das Lachen verklungen war und der erste Pfeil in die Reihen der Untoten flog.
*(Outlandish - Aicha)
Geändert von Chala Vered (22.03.2024 um 10:39 Uhr)
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