Van Zans Gesicht war kaum von dem einer Leiche zu unterscheiden. Seine Haut war weiß, die Augen geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Nur die Parameter an der Stasis-Kapsel zeigten, dass sein Körper funktionstüchtig war.
„
Über seinen Geisteszustand kann ich allerdings nicht sagen“, erklärte Dr. Renshasa. Der Mann war Arzt oder zumindest das, was hier auf Omega einem Arzt am nächsten kam. Er hatte sich mit vergleichender Anatomie und speziesübergreifender Physiologie beschäftigt und angeblich sogar promoviert, wobei Qatar keine Ahnung hatte, was das im System der Batarianer bedeutete. „
Vermutlich nur genug Sklaven mit einem Skalpell geöffnet zu haben“, dachte er grimmig. Dr. Renshasa wirkte aber nicht wie ein Schlächter. Er legte die Hand ans Kinn während seine vier Augen den in Stase gehaltenen Menschen musterten.
„
Es könnte sein, dass er nach dem Aufwachen noch immer liegen bleibt, dumm wie ein Stück Brot. Nach der Zeit in diesem Zustand… Ich kann Ihnen nur versichern, dass er aufwachen wird.“
„
Ich kann ihn wohl kaum die ganze Zeit in diesem Zustand lassen“, meinte Qatar.
„
Wieso nicht? Der Traum der Unsterblichkeit. Und in eintausend Jahren wird er dann von einer Spezies erweckt, in der es nur abgöttisch schöne Frauenwesen gibt.“ Er lachte, doch Qatar stimmte nicht mit ein. Er hatte für den Abflug nach Omega sein ganzes Geld ausgegeben, von ein paar Notgroschen abgesehen, die gerade noch reichten, um sich etwas zu Essen zu kaufen. Und Omega war nicht gerade für seine freie Heilfürsorge bekannt oder die Armenspeisung. Vor ein paar Jahren hatte mal eine Gruppe junger menschlicher Aktivisten versucht einen „Rettet die Armen“-Fonds zu gründen und an einem Spendenpunkt Nahrung, Wasser und Medikamente an die leidende Bevölkerung auszugeben. In den ersten zwei Monaten beschütze Eclipse sie noch – gegen einen Freundschaftspreis. Dieser wurde dann schnell zum Omega-typischen Wucher, in Form, dass die Aktivisten dreißig Prozent der Medikamente und fünfzig Prozent der Spendengelder abdrücken sollten. Sie erklärten, dass dies unmöglich sei… Am nächsten Tag waren die Wachen fort und am Tag darauf, als klar war, dass niemand die Philanthropen mehr beschützte, raubten das Bloodpack und ein halbes Dutzend kleinerer Banden und Zusammenschlüsse – darunter auch die Bürger, die am Vortag noch um Essen bei ihnen gebettelt hatten – den Spendenraum aus. Zwei der Aktivisten endeten tot in Omegas Gassen, der Rest floh überstürzt und Omega wurde seinem lebensfeindlichen Ruf ein weiteres Mal gerecht.
„
Gibt es eine Möglichkeit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sein Gehirn dabei keinen irreversiblen Schaden nimmt?“
„
Hmm. Möglich. Experimenteller Kram. Drogencocktail. Dann sind garantiert alle Lampen da oben an.“
„
Wenn… wenn es die Wahrscheinlichkeit erhöht…“
„
Ich kann veranlassen, dass dieser Cocktail gemixt wird“, sagte der Arzt. „Allerdings hat das natürlich seinen Preis. Wie all dieses hier übrigens. Omega ist kein Ort für Wohltäter.“
„
Ich weiß. Ich habe momentan nicht viel Geld, aber der Mann hier…“
„
Ist mir zu vage. Ich habe ein anderes Interesse. Eines, bei dem Ihre Fähigkeiten ausreichen, um zu zahlen. Sie sind noch nicht lange hier auf Omega, stimmts?“
„
Nein. Aber ich war schon einmal hier.“
„
Dann ist Ihnen die Vorcha-Plage wohl ein Begriff.“
„
Klar. Wobei ich dachte, dass die Vorcha hier ebenso zum Alltag gehören, wie der Schmutz unter den Schuhsohlen“, raunte der Turianer.
„
Ist auch so. Aber die Biester haben einen Komplex besetzt, der für mich und übrigens auch unser Vorhaben, wichtig ist.“
„
Und den hätten Sie gerne zurück?“
„
Also ‚zurück‘ ist so ein abstrakter Begriff, finden Sie nicht?“
„
Ah, ich verstehe…“
„
Schön, dass wir uns verstehen“, sagte der Doktor.
„
Ich habe ein paar Waffen, aber nur wenig Munition.“
„
Das ist kein Problem. Ich habe vor ein paar Monaten mal einen guten Fang gemacht. Nehmen Sie sich so viel sie brauchen.“
„
Haben Sie auch Plasmafusionsgranaten?“
„
Plasmafusionsgranaten? Verdammt nein! Wollen Sie einen Krieg anfangen?“
„
Vorcha sind zähe Biester“, erklärte Qatar.
„
Hmm, ich kenne jemanden, der Ihnen helfen könnte. Ihr Name ist Selena. Die Kleine hat ein kleines Nebengeschäft mit solchen Sachen, baut die Teile sogar selbst.“
„
Und wo finde ich sie?“
„
Bei ihrer Hauptbeschäftigung. Als Nutte.“
„
Wo?“
Der Batarianer tippte auf seinem Omnitool herum. „Ich schicke Ihnen gleich drei Koordinaten: Serenas Apartment, mein Geschäft und den Komplex, den Sie säubern sollen. Hier, ist verschlüsselt. Der Zugangscode ist BC-1723-V.“ Qatar empfing die Dateien und öffnete sie.
„
Gibt es irgendwelche Blaupausen zu dem Komplex? Die könnten sich als nützlich erweisen.“
„
Natürlich. Ich schicke Sie Ihnen später.“
Qatar nickte. „
Ich sollte das Gelände ausspähen, wenn Sie das nicht bereits getan haben.“
„
Hab ich nicht“, sagte der Doktor. „
Und Sie sollten sich nicht zu viel Zeit lassen. Sobald die Blue Suns oder Aria mitbekommen, dass die Vorcha dort ein Nest haben, heben sie es aus und behalten alles darin für sich selbst.“ „
Verstehe. Gut, schicken Sie mir alles zu dem Gebäude, während ich mich auf den Weg zu dieser Serena mache.“ „
Deal!“
Die beiden Männer schlugen ein.
*
Für eine Menschenfrau war
Serena ausgesprochen hübsch. Vielleicht war es auch ihrer Schminkkunst geschuldet, aber Qatar mochte sie gerne ansehen; schon von dem Moment, in dem sie ihm die Tür öffnete.
„
Oh man, ich sehe auf Omega viele Männer, aber keiner wirkt auf mich so einsam wie Sie“, sagte die Frau, deren feine Strapse viel mehr zeigte als es sie verbarg. Sie lehnte sich lasziv in den Türrahmen und hauchte: „
Für den richtigen Preis wird dein heutiger Abend ein sehr schöner, mein Hübscher. Aber nur damit du es weißt: Schlucken werde ich nicht. Das hat so schlimme Nebenwirkungen.“
Qatar wäre stark errötet, wenn es ihn der Natur seiner Spezies liegen würde. Jetzt schüttelte er nur leicht den Kopf. „
So sehr mich das Angebot auch reizt: Ich bin wegen etwas anderem hier. Dr. Renshasa schickt mich. Er hat gesagt, dass Sie vielleicht haben wonach ich suche.“
Serena biss sich auf die Unterlippe und sagte in noch immer erotischem Tonfall: „
Und das ist sicherlich nicht das hier?“
„
Ich fürchte nicht.“
„
Okay.“ Mit einem Mal sprach sie knapp und formell. „
Dann kommen Sie rein. Aber seien Sie leise, meine Tochter schläft.“
„
Toch-… Okay.“
Qatar folgte der Aufforderung und verschloss die Tür hinter sich. Serena ging in den hinteren Teil des verschachtelten Apartments, das mehr wie ein Hauptraum, von dem mehrere enge Schläuche abgingen, wirkte. Der Turianer sah, wie sie einen Blick in eines der Zimmer warf und dann dort leise die Tür schloss. Serena warf sich einen alten, abgetragenen Morgenmantel um und band ihn vorne zu. Der Anblick der nackten Haut verschwand, was Qatar – wie er sich selbst eingestehen musste – etwas bedauerte.
„
Wie kann ich Ihnen also helfen?“, fragte Serena mit der Stimme einer Geschäftsfrau.
„
Ich brauche Granaten“, antwortete Qatar geradeheraus. Die Menschenfrau hob eine schwarze Augenbraue.
„
Für?“
„
Wollen Sie die Antwort wirklich hören, Lady?“
„
Vermutlich nicht. Ja, ich könnte Ihnen etwas Sprengstoff besorgen. Allerdings wird das teuer.“
„
Das habe ich befürchtet“, sagte Qatar und seufzte.
„
Hey, das hier ist Omega. Umsonst ist nicht einmal der Tod.“
„
Wenn du dich da mal nicht irrst“, dachte Qatar verbittert. Sein Leben schien mit jeder Minute mehr Sinn zu verlieren, sodass selbst sein Ableben als „umsonst“ tituliert werden könnte.
„
Ist das der Grund, warum Sie dieses Leben führen?“
Serena zuckte die Achseln.
„
Auf Omega gibt es keine Pause für die Verruchten. Geld wächst nun einmal nicht auf den Bäumen und wie Sie vielleicht mitbekommen haben, habe ich ein kleines Maul zu stopfen“, sagte sie und nickte in Richtung des Zimmers, in dem mutmaßlich ihr Kind schlief. „
Ich würde auch lieber etwas anderes tun. Woanders leben. Meinem Kind eine Zukunft bieten.“
„
Hmm“, machte Qatar. „
Hartes Leben.“
„
Sie sagen es. Also: Wollen Sie die Granaten?“
„
Will ich. Ich hab allerdings kein Geld. Noch nicht. Aber ein Kerl, der…“
„
Ist mir zu unsicher“, fiel ihm Serena ins Wort. „
Aber… Es gibt da vielleicht etwas, was Sie für mich tun könnten?“ Der Turianer unterdrückte ein Seufzen.
„
Was denn?“
„
Naja, Sie wirken wie jemand, der Granaten nicht nur haben möchte, sondern auch weiß, wie man damit umgeht.“ „
Soll ich jemanden für Sie umbringen, oder was? Sehe ich wie ein Killer aus?“
„
Um ehrlich zu sein: Ja. Aber Sie sollen niemanden für mich umbringen. Sie sollen denen bloß ein bisschen Angst einjagen. Es geht um… meinen Ex.“
„
Der braucht ein paar aufs Maul?“, schlussfolgerte Qatar schnarrend?
„
Herrje, eigentlich schon. Aber wenn, dann nur von mir, der Mistkerl. Ach scheiße, der Typ ist ein Loser, aber ich will nicht, dass meine Kleine ohne Vater aufwächst. Er hat sich mit so einer kleinen Jugendbande eingelassen, die im kleinen Stil Geld verleihen. Mein Ex hat die Credits verzogt und jetzt stellen sie ihm nach. Wenn Sie mit den Typen reden würden… Oder ihnen klar machen, dass bei meinem Ex nichts zu holen ist…“
„
Verstehe. Alles klar, das mache ich.“
„
Danke!“, sagte Serena offenbar erleichtert. „
Und packen Sie diesen Loser ruhig nicht mit Samthandschuhen an, wenn er erst einmal in Sicherheit ist.“ Qatar gab ein knurrendes Lachen von sich, unschön wie das Geräusch eines Schlagbohrers. „
Welche Granaten brauchen Sie?“
*
Der Typ hieß John, was aus Qatars Sicht der häufigste Name der Menschen im All zu sein schien. Er fand ihn an in einem der halbgaren Casinos nahe des Afterlife im Herzen von Omega. Mit dem markanten Undercut war der Typ schnell gefunden – und auch seine „Freunde“. Die Jugendgang belagerte Serenas Ex tatsächlich, als Qatar den Laden betrat. Keiner der anderen Gäste schien Anstoß oder Interesse an Johns Gejaule zu nehmen als die anderen drei Kerle, deren Westen mit bunten an Graffitis erinnernden Symbolen ihn kräftig in die Mangel nahmen.
„
Ein Ohr finde ich wäre eine gute Bezahlung, um dir noch eine Woche Aufschub zu gewähren. Leihst du uns en Ohr, John? Du wählst: Rechts oder Links.“
„
Bitte! Ich bezahle euch, Jungs“, flehte John, der auf den Knien in dem rutschte, was wohl einmal sein Getränk gewesen war. Zumindest hoffte Qatar, dass die Flüssigkeit dort zuvor in John hineinsollte und nicht aus ihm herausgekommen war. Er sah, wie einer der Jungen – sie alle mussten zwischen sechszehn und zwanzig Jahre alt sein – mit so etwas wie einer unter Strom stehenden Klinge vor Johns Nase fuchtelte.
„
Ich gehe zu meiner Ex. Die hat immer etwas Geld“, bemühte sich der Gepeinigte rasch zu sprechen. „
Ich werde sie nach Geld fragen und wenn sie mir keins gibt, nehme ich mir einfach etwas. Ich schwöre es. Ihr bekommt das Geld!“ „
Aber das hier macht viel mehr Spaß, oder?“, fragte der offenkundige Rädelsführer, für dessen hellen Bartpflaum noch ein trockenes Brötchen zur Rasur reichte.
„
Finger weg von ihm!“
Die drei und John drehten sich zu Qatar um, der zwischen den Automaten auf sie zukam.
„
Was willst du von u-…“ Der Anführer bekam einen kräftigen Tritt in die Magenkuhle versetzt, kaum war der Turianer dicht genug dran.
„
Maul halten! Und ihr da, lasst ihn los!“
Der Anführer keuchte noch, sein Kamerad fummelte an etwas, was hinter seinem Rücken im Hosenbund steckte. „
Wenn es das ist, was ich glaube, was es ist, dann: lass es“, grollte Qatar drohend. Die Klaue seiner rechten Hand tippte gegen die Pistole an seiner Seite. Die Phaeston ragte erkennbar über seiner Schulter und im Steißbeinholster steckte die Schrotflinte. Der Typ schaute erschrocken zu seinem Nebenmann, der ebenso eingeschüchtert dreinschaute. Nur der dritte im Bunde, der sich langsam aufrappelte, starrte Qatar böse an.
„
Er… schuldet uns noch… Geld“, keuchte er. Sofort zuckte er zusammen, als der viel größere und breitere Turianer einen Schritt auf ihn zu tat.
„
Tja. Mir auch!“, log Qatar und versetzte dem verwirrt dreinblickenden John, der einen Moment seine Rettung vor Augen gehabt haben musste, einen Schlag mit der gepanzerten Rückhand. Der Kerl kippte zur Seite und schlug sich die Stirn an einem der Automaten auf.
„
Der Kerl gehört mir, bis er mir meine Schulden zurückgezahlt hat“, erklärte Qatar.
„
Und was wird aus uns? Was ist mit unserem Geld?“
„
Ihr habt die Wahl: Ihr könnt auf eure läppischen Credits bestehen und hier in diesem Casino sterben, oder ihr verpisst euch sofort.“
Qatar verbesserte die Überlebensstatistik der drei für Omega, als sie trotz feindseliger Blicke des Anführers kampflos von dannen zogen. Sie beschleunigten sogar, als Qatar die Predator aus dem Holster löste und sie sich zischend dekomprimierte.
„
Bei allem Respekt, Sir, aber… ich weiß wirklich nicht, wann ich mir von Ihnen Geld geliehen habe, Sir. Aber Sir, ich schwöre Ihnen, Sir, dass ich Ihnen alles zurückgeben werde, Sir. Sogar mit Zinsen!“
„
Halt dein dummes Maul, John!“, fauchte Qatar und steckte die Waffe zurück. „
Du schuldest mir kein beschissenes Geld. Deine Ex-Frau schickt mich, Serena. Sie will nicht, dass ihre Tochter ohne dich aufwächst. Obwohl ich das beim besten Willen nicht verstehen kann“, murmelte er den letzten Satz. Er hatte sich damals mehr oder weniger bewusst von Vela abgewandt. Selbst, wenn es weiterhin ein Verhältnis zu ihrer Mutter gegeben hätte, hätte er sich doch kaum als Bereicherung für ihr Leben gesehen. Mittlerweile bereute er die Jahre, die er verpasst hatte. Aber die Zeit war ein reißender Fluss und ihr entging nichts und niemand. Nicht einmal Mistkerle wie Tiberias Qatar.
„
Serena? Diese verdammt bevormundende Nutte! Ich hab ihr schon tausend Mal gesagt, sie soll sich nicht in mein Leben…“
Zum wiederholten Male an diesem Tag griff Qatar zur Gewalt, als ein weitere Rückhandschlag John zurück auf den Boden schickte, von dem er sich gerade erhoben hatte.
„
Du verdienst es nicht, dass sie sich Sorgen um dich macht, John“, urteilte Qatar. „
Keine Mutter eines Kindes sollte sich Gedanken um ein Stück menschlichen Abfalls wie dich machen müssen. Sie bezahlt mich dafür, dass ich dich am Leben halte. Aber mach dir keine Illusionen: Umlegen würde ich dich sogar für umsonst.“
John schaute eingeschüchtert auf den Boden und puhlte an seinen Fingernägeln. „
Und jetzt zieh Leine. Geh nach Hause und krieg dein Leben auf die Kette. Wenn nicht für dich, dann wenigstens für dein Kind.“
„
Ich wollte sie gar nicht. Meine Tochter…“, sagte John in kleinlauter Verteidigung.
„
Und wenn es schlecht läuft, wird sie das irgendwann verstehen und dann wäre es vielleicht doch besser, wenn ich dich auf der Stelle abknall und dich in irgendeinen Schacht werfe. Dann muss sie zumindest nicht mit so einer Enttäuschung aufwachsen. Jetzt hau ab, bevor ich es mir anders überlege.“
Und das tat John.
*
„
Also, ich hab zwei von diesen normalen Granaten hier. Die sind aus alten Haftgranaten-Disks, deren Zünder und Sprengstoff entfernt wurden. Dann habe ich noch drei Brandgranaten gebaut und zwei Pakete Sprengladungen. Uralte Machart, knallt aber immer noch prächtig. Die sind aber relativ instabil, also benutzen Sie sie nicht in warmer Umgebung.“
Serena breitete ein kleines Arsenal vor Qatar auf dem Tisch aus, nachdem sie sich mit einem Anruf bei John über dessen Gesundheit vergewissert hatte. Mittlerweile trug sie eine bequeme Hose und einen weißen Rollkragenpullover, der ihren Körper verbarg.
„
Beeindruckend. Woher wissen Sie so viel über Sprengstoff, dass Sie ihn selbst herstellen können?“
„
Also genaugenommen stelle ich ihn nicht her. Ich nehme nur vorhandene Komponenten und gebe ihnen die gewisse Würze, damit es kracht“, sagte Serena und grinste ein hübsches Grinsen, das einen gewissen Stolz barg. „
Mein Vater, oder zumindest der Typ, den meine Mom mir als solchen verkauft hat, war früher mal in einer der Minen auf der Kolonie. Da wurde viel mit Sprengstoff gearbeitet. Er hat immer mal Dinge von der Arbeit mitgebracht und zum Spaß die Ratten in den Hinterhöfen gesprengt. Irgendwann hat er mir das dann beigebracht.“
„
Und?“
„
Und noch heute ist mein Rattenfleisch-Ragouts berühmt“, grinste Serena.
„
Tja, diese Dinger hier brauche ich für ein paar größere Ratten“, sagte Qatar und steckte die Sprengladungen ein.
„
Wissen Sie, eigentlich ist das viel zu viel“, sagte die Prostituierte. „
Ich meine, ich freue mich, dass Sie Johns Leben gerettet haben, aber… im Prinzip ist das ja auch nur ein, vielleicht zwei Granaten wert.“
Qatar musterte sie kurz, dann packte er die Sprengladungen aus der Tasche wieder auf den Tisch. Plötzlich lagen Serenas Hände auf den seinen. „
Aber!“, sagte sie und schaute ihm tief in die Augen, „
Ich will, dass Sie sie trotzdem nehmen. Sie brauchen Sie ja scheinbar und ich würde es begrüßen, wenn Sie diese Sache überleben. Um ehrlich zu sein würde ich Sie bitten, mir im Gegenzug einen Gefallen zu tun.“
„
Noch einen? Gibt es da noch einen Ex-Mann?“
„
Ex-Freund, um genau zu sein und nein. Es ist nicht spezielles jetzt direkt, sondern eher, dass es nie verkehrt ist, wenn man auf Omega einen bis an die Zähne bewaffneten Freund hat. Sie wissen schon, falls ich mal in Schwierigkeiten stecken sollte.“
„
Verstehe“, sagte Qatar und zog die Granaten über den Tisch zu sich heran. „
Ich bin einverstanden. Hier.“ Er aktivierte sein Omnitool und spielte seinen Kontakt auf das ihre. Sie tat das nämliche.
„
Damit Sie wissen, dass Sie rangehen müssen, wenn ich anrufe“, sagte Serena.
„
Verlassen Sie sich drauf. Ich gebe Ihnen mein Wort.“
„
Und irgendwie glaube ich Ihnen das sogar. Und dass man jemandem beim Wort nehmen kann, das ist auf Omega noch seltener als Nutten, die Granaten basteln.“
*
Dr. Renshasa hatte Wort gehalten. Er hatte sämtliche Dateien und Baupläne sowie Drohnenfotografien, die quasi von jedem Teil der Citadel existierten, aufgetan. Sogar ein paar Aufnahmen von Überwachungskameras hatte er ergattert.
„
Gewaltige Ausmaße“, sagte Qatar in der „Praxis“ des Arztes.
„
Ja. Aber auch schwer zu verteidigen, oder?“
„
Vermutlich. Gibt viel Deckung, wenn man erst einmal drin ist“, erklärte der Turianer und betrachtete sie Bilder. Die Voraussetzung war natürlich, dass die Vorcha die alten Container nicht weggeschafft hatten. Allerdings waren die Biester nicht für ihre Ordnung bekannt, sondern eher dafür, selbst in den Containern zu schlafen.
„
Wie werden Sie vorgehen?“, fragte der Batarianer.
„
Das lassen Sie mal meine Sorge sein“, antwortete der Turianer. „
Wie wollen Sie den Komplex halten, wenn ich ihn erobert habe?“
„
Das lassen Sie meine Sorge sein, Söldner.“
„
Gut, ist mir auch egal. Solange Sie meinen Freund auftauen und ich ihn ohne Schäden vorfinde. Sonst war die ganze Aktion nämlich zwecklos.“
„Im Zweifel haben Sie der Gemeinschaft Omegas einen Dienst erwiesen“, erklärte der Doktor. Der Turianer gab ein Knurren von sich und machte sich daran, Thermomagazine in die zusätzlichen Munitionstaschen zu stecken.
*
Das Gebäude verfügte über drei große Eingänge in Form von Rolltoren, die groß genug waren, um zwei oder drei Trucks nebeneinander hineinfahren zu lassen. Daneben gab es auf der oberen der zwei gebauten Ebenen zwei Zugänge, die über Stege und Seitentüren liefen. Nach Informationen der Kameras gab es zusätzlich ein Kellersystem, das nachträglich in den Asteroiden gegraben worden war.
Die Stege waren der schnellste, direkteste Zugang ohne einen zum Scheitern verurteilten Frontangriff fahren zu müssen. Allerdings boten sie keinerlei Deckung. Er brauchte ein Ablenkungsmanöver und da ihm weder die Zeit zum Anheuern von Schützenhilfe noch zum Kauf billiger Kampf-Mechs blieb, die er sich ohnehin nicht hätte leisten können, musste er auf den guten alten Überraschungseffekt setzen. Er bezweifelte, dass selbst beide Sprengladungen kraftvoll genug wären, um ein Loch in die Rückwand des Gebäudes zu reißen. Deshalb benutzte er eine davon und platzierte sie an dem aufgegebenen Fahrzeug im Vorfeld der Halle, bevor er sich geduckt und schleichend wieder zurückzog. Er wusste nicht, wie viele Vorcha in dem Komplex lebten, allerdings wäre es Selbstmord im Erdgeschoss anzugreifen.
Er würde das Gebäude über den Steg betreten und sich dann Raum für Raum und Ebene für Ebene nach unten kämpfen müssen. Vorcha verfügten zwar über eine recht gute Sicht im Dunkeln, dennoch würde das Ausschalten des Stroms dem Turianer einen Vorteil verschaffen, weshalb die zweite Ladung an der Stromversorgung des Gebäudes klebte.
Qatar drückte sich seinen Helm auf den Kopf und entsicherte die Phaeston.
Der Weg runter von diesem verfluchten Felsbrocken war lang. Doch Qatar war bereit für den ersten Schritt.