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»Stark«, meinte er auf die Frage nach seiner Gefühlslage. »Ausgeglichen«, ergänzte er nachdem er ein bisschen nachgedacht hatte. Er machte ein nachdenkliches Gesicht. Der Sturm in seinem Inneren schien sich beruhigt zu haben. Draco spürte die Magie in seinem Inneren. Doch statt eines endlosen Kampfes schien nun sanfte Harmonie zu wirken. Der Sturm war vorüber gezogen und nun blieb der Wald in Stille zurück. Viele Äste lagen verstreut auf dem Boden, doch die Zeit würde den Wald heilen. Er streckte die Hand aus. »Es ist etwas völlig Neues. Ich denke du bist deiner Herausforderung nachgekommen. Wir haben zusammen etwas Neues erschaffen. Neue Werte auf neue Tafeln«.
Er ging stand zaghaft auf, nicht sicher was passieren würde, doch es passierte tatsächlich nichts. Kein Orkan, nichts tiefgreifendes. Es blieb alles in Takt. Er streckte seine Finger und schloss sie wieder. Unsicher ob da nicht noch etwas kommen würde. Doch es kam nichts. »Eine Uhrmacherin für wahr. Du hast die Dinge in meinem Inneren verstanden und so zusammengesetzt, dass sie ineinander greifen«. Fast meinte er das Ticken in seinem Inneren zu hören. »Wie es scheint haben wir erfolgreich den Göttern getrotzt. Du hast mich gerettet. Ich kann dir nicht genug danken«. Er umarmte sie kurz. »Ich stehe für immer in deiner Schuld«. Er sagte es und er meinte es so.
Nach einer Weile ging er in die Hocke und betrachtete die Perle. Er nahm sie mit Zeigefinger und Daumen auf. Sah die Schwärze und die Röte. In dem Moment in dem er sie aufnahm verfärbte sie sich. Erst leuchtete sie weiß und schwarz in genau gleicher Ausprägung. Eine flammende Barriere trennte die beiden Kräfte. Dann sah er Erde darin in der Samen lagen und die sich sanft entfalteten. Er spürte die Wärme einer Mutter. Als drittes sah er eine stürmische See. Die Gezeiten wechselten in rascher Folge. Das vierte Bild war der Himmel, der wie der hohe Vater Innos nach unten blickte. Das fünfte Bild erschreckte ihn. Es war tiefschwarzes Wasser und er meinte eine dämonische Fratze zu sehen. Das sechste Bild war ein Berg. Stark und unerschütterlich. Das vorletzte Bild war ein Blitz und er fühlte den Donner in seinem Inneren. Erregung und Kraft durchfluteten ihn. Das letzte Bild war wie ein sanfter Wind an einem Sommertag. Die Bilder wechselten sich immer wieder ab und ihr Zusammenwirken war wie Harmonie. »Die Perle spiegelt die Siegel. Scheinbar ist sie magieaffin«, meinte der Paladin nachdenklich. »Das sind die acht Siegel nicht wahr? Trennung, Weiblichkeit, Wechsel, Männlichkeit, Gefahr, Aufrichtigkeit, Erregung und Sanftheit«. Beim Aussprechen jedes Namens spürte er in seinem Inneren wie etwas aktiviert wurde. »Je nach Form der Magie werde ich andere Dinge in Harmonie bringen müssen, um sie auszulösen nicht wahr? Es sind immer alle beteiligt, den ich muss zum Kern durchdringen. Aber die Ausprägung des Flusses bestimmt letztendlich die hervorkommende Magie nicht wahr?«
Er versuchte wie gewohnt die Schatten zu rufen und zu verschmelzen, doch das gelang nicht mehr. Auch das Feuer konnte er nicht mehr rufen, so wie er es zuvor konnte. Der alte Weg war versiegt doch die Kraft von Françoise. Es war auch mehr ein Versuch zu Validierung gewesen. Welcher Weg war also der Neue? »Nun ich kann die Siegel fühlen. Doch welche Kräfte ergeben welche magische Ausrichtung?«, fragte er zu sich selbst und zu seiner Freundin gleichzeitig. Er versuchte zunächst erst einmal alle Siegel ein kleines bisschen zu öffnen. Die Siegel bewegten sich leicht und fast ohne sein Zutun. So wie es die Obskuromantie getan hatte. Als die Magie ganz leicht fließen konnte trat aus seiner Hand ein silberner Funken hervor. Eine winzig kleine Lichtkugel die ein klein wenig größer wurde als er mehr Kraft durch die Siegel fließen lies. Vorsichtig und bedächtig. Er musste in Harmonie bleiben. Die Lichtkugel schwebte über seiner Hand. Ein kleiner Mond. Nun brauchte es keine gewaltige Kraftanstrengung mehr. »Das ist die Basis meiner Magie. Der Magie von Licht und Schatten. Die Magie die wir erschaffen haben«. Der Klingenmeister lächelte Françoise an. »Hast du einen Anhaltspunkt welche Kombination welche Magie hervorrufen wird?«. Er lachte. Sonst würde er es wohl einfach austesten müssen.
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Bakaresh
"Nun, das ist euer Fachgebiet, nicht meines. Wenn ihr also sagt, dass Obsidian von den südlichen Inseln wertvoller ist, dann wird es wohl so sein."
Berash musterte sie für einen Moment, bevor er sich wieder neben sie an die Wand lehnte. In so jungen Jahren schon durch und durch eine Händlerin, dass war erstaunlich. Besonders, weil sie, ihrem Äußeren nach gehend, wenig von einer Händlerin hatte. Außerdem wirkte sie wesentlich härter als die meisten anderen Händler, die Berash in seinem Leben bisher kennen gelernt hatte. Doch vermutlich lag es daran, dass sie zur See fuhr. Da musste man wohl ein härterer Knochen sein.
Für einen Moment fragte sich der Assassine, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er als junger Erwachsener nicht jemanden erschlagen hätte. Wäre er dann ein erfolgreicher Schmied geworden, hätte geheiratet und wäre nun von einer Schar Kinder umgeben? Aber wer konnte das schon wissen.
Dankbar nahm er den Punkt mit Argaan wieder auf.
"Ganz ehrlich? Ich kann euch nicht sagen, wann ich das letzte Mal auf Argaan gewesen bin."
Berash musste wirklich überlegen, kam aber zu keiner befriedigenden Antwort. Irgendwann vor Jahren war er einfach zu dem Entschluss gekommen, dass Argaan ihm nichts mehr zu bieten hatte und war wieder zurück aufs Festland gesegelt. Und dort hatte er die Jahre damit verbracht, von einem Ort zum nächsten zu wandern, durch Tagelöhner-Arbeiten sich genug Münzen zu verdienen, dass er sich ab und zu eine warme Mahlzeit leisten konnte und vielleicht auch mal einen überdachten Schlafplatz.
Er war nie lange genug an einem Ort geblieben um neue Kontakte oder Bekanntschaften zu knüpfen, zumeist hatte er den jeweiligen Ort schnell verlassen, wenn sich sowas anbahnte und war weiter gezogen. Bis es ihn auf einmal nach Bakaresh gezogen hatte, den einzigen Ort, den er in den vergangenen Jahren immer gemieden hatte.
"Ich glaube, es war kurz nach dem Drachenangriff auf Setarrif, als ich die Insel verlassen hatte. Das schien mir ein guter Zeitpunkt zu sein, glaube ich zumindest. Die Jahre ziehen an einem ziemlich gleich vorbei, wenn man kein festes Ziel hat."
Der Assassine überlegte, ob ihm der Name des Barons selbst einfiel. Doch er musste passen. Er hatte sich kaum in Setarrif aufgehalten, zuletzt war er in Schwarzwasser gewesen.
"Und bei dem Baron kann ich euch keine Antwort geben. Doch vielleicht könnt ihr mir eine andere Frage zu Argaan beantworten: Wisst ihr von einer Gemeinschaft von Magiern, die sich auf Argaan befinden soll und Abseits von anderen Gemeinschaften in ihrem Kastell lebt? Gerüchte besagen, dass sich diese Zirkelmagier auf Argaan befinden sollen, aber die ganze Insel absuchen könnte sehr lange dauern."
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Bakaresh
„Ist für uns wohl auch nicht weiter von Belang, wie ein Baron am Rand einer Insel heißt, die zusehends an Bedeutung verliert, nicht wahr?“, überspielte sie den Punkt, dass sie beide den Namen nicht mit Sicherheit nennen konnten.
Stattdessen konzentrierte sie sich nun auf seine Folgefrage, wobei sie weniger über den möglichen Standort eines solchen Kastells nachdachte, als über die Tatsache, dass Berash Interesse an Zirkelmagiern hegte, die abseits der Zivilisation lebten. Was machte man denn den ganzen Tag, wenn es keine Geschäfte gab, in denen man sein hart erarbeitets – oder in ihrem Fall erbeutetes, erschwindeltes oder erstohlenes, nein, gestohlenes – Gold ausgeben konnte? Wie verbrachte man die Abende, wenn nicht in einer rauen Taverne mit mittelmäßigem Bier, grölendem Klientel und leichten Mädchen?
„Ich glaube nicht, dass ich schon einmal von so einer Enklave gehört habe. Ich meine… Feuermagier werdet Ihr in Thorniara finden, da bin ich mir sicher. Die Menschen aus Setarrif und nun Stewark sind Adanos verbunden und es gibt Schauergeschichten unter den Seeleuten, dass die Wassermagier unter König Ethorn ganze Flotten von König Rhobar versenkt hätten. Sturm und Hagel hätten sie beschworen, die Segel und Matrose gleichermaßen zerfetzten“, holte sie das Seemannsgarn hervor, der sich in jeder gewissenhaft gepackten Wortschatztruhe einer Seefahrerin befinden sollte.
Doch wenn es ihm weder um die einen, noch die anderen Magier ging, blieben nur solche, über die zumeist geflucht oder hinter hervorgehaltener Hand getuschelt wurde. Jene, die einst Varant mit eisernem Griff beherrscht haben sollen.
„Verzeiht mir die Frage, aber mir fallen partout keine anderen Magier ein, außer jene, die Beliar huldigen. Und wenn ich so ehrlich sein darf, kommt ihr mir nicht wie ein Kultist vor. Nicht, dass ich was gegen Beliar hätte, so lange er sich von mir und der Crew, mit der ich segle, fernhält. Aber ist es nicht eher untypisch die Nähe dieser Schwarzmagier zu suchen? Und wieso nennt man sie eigentlich Schwarzmagier?“
Die letzte Frage war ihr tatsächlich beim Sprechen gekommen. Was war der Sinn dahinter und wer hatte sie überhaupt so betitelt?
„Ich meine… Feuermagier – Feuer. Soweit klar“, begann sie und blickte nachdenklich in eine Standfackel, die die Straße beleuchtete, „Wassermagier – Wasser“, sie deutete aufs Meer, „Und Schwarzmagier – Schwarz? Beschwören sie Pech oder so?“
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Kap Dun - Auf der Fernanda (10. Tag, Nachmittag, Phase 4 - Finale) II
Zwei Stunden waren vergangen und sie verstand, wieso der Koch als merkwürdig im besten Sinne von Löckchen von der Diebesgilde beschrieben worden war.
Er fluchte ständig und lachte böse, wenn er irgendwas in seiner Küche zerkleinerte oder zerschlug. Es war teils unheimlich und selbst Sir Scrachalot hatte das Weite gesucht, als er einmal kurz rein geblickt hatte. Naira würde bei den Vier und allen anderen Gottheiten keinen Fuss in die Küche setzen.
Da waren ihr selbst die anderen Matrosen von vorhin und jene von vor einer halben Stunde lieber. Die fluchten auch, aber hatten wenigstens normale Themen, über die sie sprachen.
Den anstehenden Kampf, was sie noch zu tun hatten, lästern über die fies blickende Soldatin an Deck und ein neues Waschweib, das mittlerweile für 50 Goldstücke alles machen würde, was man will. Männer halt.
Morgen wäre Chani eine Prinzessiin mit der in der letzten nacht fünf schon geschlafen hätten und für ihre Dienste von ihr bezahlt wurden.
Als es in der Küche ruhiger wurde, sah Naira unmittelbar später, wie der Koch durch den Raum schritt und einen Teller sehr gut duftenden Essens an die andere Tür brachte. Er klopfte höflich und übergab dann wohl an Kapitän Ramos die Mahlzeit. Doch sah Naira nicht wie er aussah.
Danach schritt der Koch zurück in seine Küche und rumpelte dort herum.
Mit Neugier beobachtete die Taschendiebin dann, wie der dunkelhäutige Hüne einen großen Topf mit einer schwappenden Flüssigkeit in den Mannschaftsraum brachte.
Nur wenig später ging er mit einer Triangel raus und läutete zum Essen fassen.
Naira war angespannt, denn es war eindeutig mehr los an Deck. Ob die alle erst jetzt dazu gekommen waren?
“Ohhh riecht ihr das? Heute gibt es Enax’ Kartoffeleintopf!”
“Hoffentlich mit ordentlich Fleisch! Ich habe Hunger!”
“Und dann hat mir die Kleine gesagt, dass sie nackt in einer Kiste versteckt auf mich warten wird. Jaha!!”
Viele Stiefel trampelten in das Mannschaftsquartier. Vorbei an Naira in der Wäschekiste, deren Herzschlag unmittelbar höher war.
Dann hörte sie klapperndes Geschirr, lautes Gelächter und roch den Kartoffeleintopf. Den würde sie probieren, aber nicht in dieser Gesellschaft. Das Festmahl ging gefühlt drei Stunden für Naira, während wohl in Wirklichkeit keine ganze Stunde verging, bevor einer aufstand und sagte man solle sich gefälligst was anständiges nun anziehen, da der Kapitän heute an Deck erwartet werden würde. Eine Ansprache für die anstehende Abreise aus Kap Dun. Jubel brach aus, weil es wohl endlich losging und Naira befand, dass das doch gerade ein ziemlicher Zufall war. Aber wie sagte Bhor immer - Adanos Glück belohnt die Unschuldigen und Verrückten.
Sie hörte wie dann Geschirr gesammelt wurde und sah dann wie der Koch mit dem nun leichteren Topf in seine Küche marschierte. Im Quartier war es nun noch lauter und sie hörte Bürsten, die an Stiefeln abgewetzt wurden, Gürtelschnallen, Sprüche, Kleidung, die auf dem Boden landete und Hinweise, dass der Gegenüber immer noch beschissen aussah.
Für die nächsten Momente vorbereitete sie sich dann darauf, dass die Klappe über ihr geöffnet werden würde.
“Hey! Ich dachte diese Waschweiber hätten die Schmutzwäsche mitgenommen? Die haben tatsächlich die Kleidung der hohen Dienstgrade hier mit rein geworfen?!”, tönte es über ihr.
“Der Korb war auf jeden Fall voll. Der Riese musste den Deckel zwei Mal aufheben, so voll war das. Ich glaub die kommen noch einmal vorbei? Haben dann einfach schon mal alles zusammen geworfen.”
“Unsere Kleidung wird mit der anderen gemischt und gewaschen? Hmm…naja. War ihr erster Tag nicht wahr?”
“Ja. Zumindest haben sie die saubere Kleidung richtig abgelegt. Da fällt mir ein, die Wäscherinnen hatten ihre Körbe leer. Da war die saubere Kleidung.”
“Das erklärt dann das da. Die Kleine hatte nur Fenns Schwanz im Kopf und die andere war damit beschäftigt die Zwei daran zu hindern sich nicht zu schlagen. Ich sag dir…Fachkräfte fehlen überall und wer billig zahlt, bekommt auch die billigsten Dienste. So war es und so wird es immer sein.”
“Dann wird Fenn wohl keine junge Edelhure bekommen, die als Prinzessin verkleidet in einer Kiste beim großen Kampf die Beine breit macht und Fenn dafür noch bezahlt?”
“Fenn wird hinter einer Kiste selbst Hand anlegen und Oma Stahlfaust beobachten. Das bekommt Fenn umsonst.”, lachte der Ältere der beiden und Naira musste bei der Vorstellung grinsen. Im nächsten Moment landete der erste Teil neuer schmutzig, feuchter Wäsche in der Kiste und Naira erduldete es einfach. Denn ihr Versteck blieb ein Versteck. Als der Letzte hoch ging und oben schon irgendwas gebrüllt wurde, hörte Naira Schritte die wieder hier runter kamen. Hatte jemand was vergessen?
Es war die Soldatin, die böse guckende Stadtwache von vorhin. Sie bewegte sich leise und vorsichtig. Sah sich um und ging in das Mannschaftsquartier. Kam dann wieder raus und stand vor Nairas Versteck.
“Oy! Was mache du da!”, dröhnte eine Stimme wie ein ungemütlicher Sturm, der auf die Küste traf und die Gischt weit an Land spülte.
“Nichts! Nur eine Patrouille um das Schiff. Auf der Suche nach Auffälligkeiten.”
“Pasheera! Gehen hoch! Unser Schiff. Du Wache für Gefangene. Rashedda! Ich melden”, knurrte der Koch und stampfte auf.
“Das Schiff gehört dem myrtanischen Reich! Ihr seid NUR die Crew! Ich darf und muss kontrollieren. In die Küche mit dir, Torgaaner!”, zischte die Frau in einen sehr gehässigen Ton. Naira mochte sie jetzt schon nicht. “Fiese Alte…”, dachte sie sich, obwohl die Frau nicht sehr viel älter als sie war.
“Was ist das für ein Lärm! Meldung!”, sprach eine feste, die Wörter langsam betonende Stimme, die scharf wie ein neues Messer war.
Stiefel schlugen aneinander.
“Matta Huuri von der Stadtwache! Ich mache eine Patrouille um die Räumlichkeiten der Fernanda, Kapitän Ramos! Vermute, dass irgendwas nicht stimmt.”, meldete die Frau schneidig und salutierte wohl.
“Vermutungen interessieren mich nicht! Smutje Enax! Ist dir etwas aufgefallen!?”
“Nein, Käpt'n Ramos! Nichts! Nur Frau was gehen hier rum wie Katze!”
Im selben Moment tauchte fauchend Sir Scrachalot auf und jagte einer kleinen Ratte hinterher. Ein Sprung und er biss dann ihr Genick durch.
Augenblicklich begann der Kapitän zu niesen.
“Da habt ihr eure Katze! Matta Huuri! Ich werde euch melden. Eine Patrouille besteht aus zwei Personen! Und für Ausflüge auf meinem Schiff, braucht ihr meine Genehmigung! Zurück an euren… Hatschiii!.... Wachposten. Ich werde Innos danken, wenn wir euch ungehorsamen Haufen… HaHatschiii!...Stadtwachen aus Kap Dun los sind! Smutje Enax! Bring diese Pest von Ka…Hatschiii!...Katze von meinem Schiff und finde mir den, der das da hierher gebracht hat! Ausführung!!”, sagte der Kapitän und klang lustig, wenn er niesen musste. Ein Kontrast zu seinen Worten.
Im nächsten Moment stampfte Enax los und jagte Sir Scrachalot hinterher.
“Viel Erfolg…”, wünschte Naira wohlwissend, was dieser Enax schaffen musste.
Die Soldatin hingegen salutierte und bewegte sich eilig aus dem Raum.
Kapitän Ramos wartete einen Moment, richtete seine Kleidung und ging los.
Ein stolzer, nicht großer Mann mit Schnauzbart, dunklem Haar und ergrauten Schläfen. Ein kantiges Seitenprofil wie auf einer Münze und mit einem schicken Dreispitz auf dem Kopf. Er trug nicht seine Kapitänsuniform, sie trug Kapitän Ramos.
>HATSCHII!< erklang es nochmal auf der Treppe und dann hörte man ein sehr lautes >Achtung! Kapitän Ramos an Deck!<.
Naira erkannte gerade die Gelegenheit. Erkannte die kleine Fügung des Schicksals die sich in den Stunden Warterei bis zum Abend wohl eh ergeben hätte.
Riskierte sie es? Die ganze Mission für die Diebesgilde? Ihr Herz schlug sehr hoch und dann hob sie sanft die Klappe hoch und stieg aus ihrem Versteck…
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Bakaresh
"Es hätte mich auch gewundert, wenn ihr davon gehört hättet. Ich kenne diese Zirkelmagier noch von früher, sie haben sich schon immer recht bedeckt gehalten und sind mehr unter sich geblieben."
Berash dachte an die Zeit zurück, als der Hüter des Kastells ihn vom Einfluss der Klaue Beliars befreit hatte. Dies war eines der wenigen Male gewesen, als die Schwarzmagier aktiv in das Geschehen eingegriffen hatten, damals, als Zuben versucht hatte, die Stadt wieder unter seine Knute zu bringen.
Der Asssassine war damals nicht ganz er selbst gewesen, die Klaue hatte sich teilweise in seinem Verstand verbissen und ihn zu Dingen getrieben, die kaum selbstzerstörerischer hätten sein können. Doch Ardescion war zur Stelle gewesen, bevor Berash komplett vom verschlingenden Wesen der Klaue aufgefressen wurde. Dafür war der Assassine dem Hüter auf ewig dankbar.
"Ihr Kastell war früher auf dem Berg dort," mit ausgestrecktem Arm wies Berash auf den Gebirgszug, welcher sich an Bakaresh schmiegte wie ein Säugling an seine Mutter. "Doch nach der Eroberung war es verschwunden. Und Gerüchte besagten, dass es auf Argaan nun eine Enklave gäbe. Aber ihr wisst ja, wie es mit Gerüchten ist."
Berash zögerte, als Ravia ihn nach seinem Glauben fragte, beziehungsweise ihm das Kultistentum unterstellte. Er war gewiss keiner dieser Fanatiker, die sich nur um Mitternacht trafen und versuchten mit Tier- oder Menschenopfern Beliars Gunst zu gewinnen. Ja, er war wieder fester in seinem Glauben, nachdem er jahrelang gezweifelt hatte und orientierungs- und ziellos durch die Welt gestreift war. Doch als fanatischen Kultisten würde er sich selbst sicher nicht bezeichnen.
"Ich würde mich nicht als Kultist bezeichnen, Ravia, nur als jemand, der nicht in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden will. Die Priester Innos und Adanos legen uns Grenzen auf, Tabus und Verbote, predigen die Rechtschaffenheit und das Gleichgewicht. Eine festgelegte Ordnung, von der es keinerlei Abweichung geben darf. Ja, Beliar steht für Chaos, Zerfall und Dunkelheit. Aber wer sagt, dass dies alles böse sein muss? Was sind Chaos und Zerfall denn anderes als Veränderung? Und wo wäre das Licht, wenn es keine Dunkelheit gebe?"
Berash seufzte kurz. Er hatte sich hinreißen lassen.
"Verzeiht. Ich wollte keine Predigt halten, nur darauf hinweisen, dass der dunkle Gott etwas bietet, was seine Brüder nicht tun: Freiheit. Die Freiheit zu tun und zu lassen, was man möchte. Am Ende landet ein jeder von uns in seinen Hallen, schließlich ist seine Sphäre der Tod. Und da möchte ich meinen Weg dorthin doch selbst bestimmen."
Er schmunzelte, als er über die Frage nachdachte, warum man Schwarzmagier ausgerechnet als Schwarzmagier bezeichnete. Er hatte sich, wenn er ehrlich war, nie darüber Gedanken gemacht sondern es als solches akzeptiert.
"Und vielleicht nennt man Schwarzmagier so, weil sie gerne Schwarz tragen. Oder eben, weil ihre Domäne die Dunkelheit ist. Oder vielleicht auch, weil Untotenbeschwörer oder Nekromant etwas schwer über die Lippen geht. Ich weiß es nicht, es war halt schon immer so."
Der Assassine zuckte mit den Schultern.
"Aber mit Pech hat es nichts zu tun, dass weiß ich zumindest. Sie sind halt gern geheimnisvoll und mysteriös."
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Bakaresh
„So wie Ihr?“, fragte sie und grinste frech.
Ravia wollte gar nicht weiter darauf herumreiten, doch er machte es ihr zwischendurch dann doch zu einfach, als dass sie sich mit einer Bemerkung zurückhalten konnte. Immerhin hatte er bei ihrem Gedankenspiel mitgemacht, welches sich um die Benennung der Magier Beliars drehte.
„Schwarz ist immer eine gute Wahl“, meinte sie nachdenklich, „Es lässt sich mit so ziemlich allem kombinieren“, gab sie sich fachmännisch.
Sie tat so, als würde sie grübeln, den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf die Unterlippe gelegt, die Stirn in Falten. Ein absurdes Thema, was sie aus einer bedenklichen Frage Berashs gesponnen hatten. Doch wieso nicht, wenn es dabei half, die Stimmung zwischen ihnen ein wenig zu lockern.
„Wisst Ihr“, begann sie nach einer kurzen Pause erneut, „So wie Ihr Beliar beschreibt, habe ich ihn noch nie gesehen. Immer, wenn man Fetzen einer Predigt aufschnappt, heißt es, dass sein Ziel die ewige Dunkelheit wer, dass er den Tod darstellt und Unheil stets auf ihn zurückzuführen sei. Aber Freiheit?“
Sie suchte im Gesicht des Weißhaarigen nach etwas, nach Antworten, einer Regung, vielleicht auch einfach nach einer Falte, die bewies, dass er doch älter war, seiner Haarfarbe angemessen. Doch da war nichts, lediglich ein leichtes Schmunzeln um die Lippen und der kluge Schein in den eisklaren Augen.
„Ich muss zugeben, dass es immer mehr Sinn ergibt, je länger ich darüber nachdenke. Ordnung, wie es die Feuermagier preisen, ist der Feind der Freiheit. Grenzen, die man einzuhalten hat, um Innos gerecht zu werden. Doch was, wenn wir Menschen nicht dafür geschaffen sind in begrenzten Bereichen zu agieren, zu denken? Ich liebe meine Freiheit und es gibt mehr als einen Grund, warum ich mich stets von einem Leben an Land ferngehalten habe.“
Dass der eigentliche Grund dafür das Fehlen jeglichen Bezugs zu Menschen oder Regionen fern der Joka war, musste sie ihm ja nicht direkt auf die Nase binden. Als Piratin handelte sie auch mit dem Tod, selbst wenn sie ihn gern mied. Außerdem begab sie sich bei jeder Fahrt in die Hände und die Gunst Adanos‘. Denn das Meer war sein und er konnte damit den Tod selbst herbeiführen, wie die Geschichte bewies. Auch Innos war der stete Begleiter der Seeleute, brannte als Sonne auf sie herab und wies ihnen gleichwohl die Richtung, wenn Kompass und andere Navigationsgeräte unzuverlässig wurden.
„Aber Ihr wollt mir wirklich weis machen, dass ein Gebäude dort oben auf dem Berg gewesen ist und dann von einen auf den andern Tag verschwand? Wer wäre so naiv das zu glauben?“
Sie hatte einmal von einem alten Seebären gehört, dass weit im Westen die Kompassnadeln sich wie wild im Kreis drehten und die Strömungen jegliches Segeln oder Rudern unmöglich machten. Schiffsfriedhof hatte er es genannt, denn viele gute Galeeren und Fregatten waren dorthin aufgebrochen und nie wieder zurückgekehrt. Es war offensichtlich Seemannsgarn gewesen, doch jetzt fingen selbst die Leute vom Festland mit derartigen Behauptungen an? Vielleicht hatte die Seeluft in der Hafenstadt auch die Gemüter der Menschen hier abenteuerliche Dinge fantasieren lassen. Oder Berash wollte sie schlicht beeindrucken.
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Berash schmunzelte ob ihrer Reaktion. Ja, die wenigsten Menschen hinterfragten die von Innos vorgegebene Ordnung, sie nahmen sie einfach als gegeben hin. Die Götter hatten der Welt schon immer ihren Stempel aufgedrückt, mal mehr, mal weniger deutlich. Und auch wenn Adanos das Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkel bewahrte, das eine konnte nun einmal nicht ohne das andere bestehen.
"Versteht mich bitte nicht falsch, Beliar ist auch das, was die Priester Innos predigen. Doch er gibt einem die Möglichkeit, selbst zu entscheiden. Und das ist es, worauf es für mich ankommt." Berash zögerte einen Moment, bevor er weitersprach. "Und er ist sicher kein gnädiger Gott, soviel steht fest."
Er sprach aus eigener Erfahrung. Was der dunkle Gott ihm gegeben hatte, dass hatte er ihm auch wieder genommen.
Als er Ravias ungläubige Miene betrachtete, nachdem er ihr vom Kastell erzählt hatte, musste der Assassine leise lachen. Ja, er konnte sich gut vorstellen, wie lächerlich das klang. Ein Gebäude, welches eines Tages so plötzlich verschwand, wie es aufgetaucht war, klang nach einem unglaublichen Märchen. Doch die Bewohner Bakareshs hatten es selbst erlebt.
"Ich weiß, wie lächerlich das ganze klingt. Doch fragt einmal in Bakaresh herum, wenn ihr mir nicht glauben wollt. Die älteren von ihnen werden sich sicher noch an damals erinnern. Ich bin selbst ein paar Mal dort oben gewesen, früher, als die Stadt noch frei unter der Sonne Varants leben konnte. Die Schwarzmagier hatten ein lockeres Bündnis mit den hiesigen Assassinen gehabt, was gelegentliche Besuche nicht ausschloß."
Mit einem nostalgischen Schaudern dachte er an seinen ersten Besuch im Kastell zurück. Er hatte die ätzenden Worte der beiden Skelette, welche ans Tor genagelt worden waren, noch immer gut in Erinnerung. Und den Tribut, welchen jeder Besucher zahlen musste.
"Das Kastell ist wohl etwas einmaliges in dieser Welt. Ich habe nie erfahren, wie genau es funktioniert, aber es hieß damals, dass es nur halb in dieser Sphäre verweilen würde. Und eine riesige Bibliothek besäße, welche ihresgleichen sucht. Und genau die ist mein Ziel."
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Bakaresh
Allmählich kam Licht ins Dunkel oder wäre es treffender zu sagen, dass die Schatten weiter in die Vergangenheit Berashs zu reichen schienen? Wenn Ravia sich nicht verhört hatte – und für gewöhnlich achtete sie sehr genau auf die Wortwahl ihrer Gesprächspartner – hatte er angedeutet, dass er einst zu den Assassinen gehörte. Es war schwammig gewesen und sie könnte zu viel in seine Worte hineininterpretieren, doch wenn ihre Vermutung stimmte, dann war der Weißhaarige deutlich interessanter, als es den Anschein gemacht hatte.
„Konnte jeder in Bakaresh das Kastell besuchen?“, fragte sie interessiert.
Natürlich zielte sie darauf ab, dass er es verneinte und sich somit weiter offenbarte. Beinahe fühlte es sich an, als würde sie dem Enigma auf der Spur sein, welches sich ihr als Berash vorgestellt hatte. Ein Schloss, welches sie zu knacken hoffte.
„Die Bibliothek klingt zu schön, um wahr zu sein!“, stieß sie aufgeregt aus, „Schier endlose Bücher, die zwischen den Sphären wechseln? Was für Wissen liegt dort verborgen? Wie viel wert wäre wohl ein solches Buch, wenn man es verkaufen würde?“
Ihre Augen begannen zu glänzen, als sie sich vorstellte durch die Regalreihen zu schlendern, Bücher hervorzuholen, von denen manche nie wieder an ihren Platz zurückkehren würden. Vielleicht gäbe es dort auch Hinweise auf verborgene Schätze, die das Herz einer Piratin höherschlagen lassen konnten. Gold und Geschmeide, versteckt und gesichert mit Fallen, die es zu umgehen galt. Eine Schatzjagd wie aus den Legenden von Kapitän Rotfuß, der durch das Blut seiner Feinde watete oder dem Fliegenden Nordmarer, einer geisterhaften Galeere, die durch den Himmel zu segeln vermochte.
Ihr Blick ging gen Himmel, der Mond war bereits hoch am Himmel und wären die Straßen nicht vom Licht der Fackeln erleuchtet, würden sie wohl im silbrigen Schein glänzen. Die Nächte in der Wüste waren bekanntlich kühl und langsam begann es Ravia tatsächlich zu frösteln. Sie verschränkte die Arme und rieb sie sich mit den Händen.
„Ich habe nie verstanden, wie es am Tag so furchtbar heiß sein kann, während die Nacht so kalt ist wie die Tiefen des Meeres“, grummelte sie und schaute sehnsüchtig in das Innere der Schenke.
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Berash überlegte. War ihm jemals der Eintritt ins Kastell verwehrt worden? Nein, so weit er sich erinnern konnte, nie. Doch hatte er auch stets den Tribut bezahlt, um eingelassen zu werden. Was wohl passiert wäre, wenn er das nicht getan hätte? Vermutlich hätten die Dämonen ihn aufgefressen. Oder einfach wieder hinaus geworfen? Vielleicht auch beides zusammen.
"Jeder, der Tribut zahlt. Mir wurde davon abgeraten, es ohne auch nur zu versuchen. Aber da die Zirkelmagier dort weitestgehend für sich blieben, hatte wohl auch kaum jemand anderes Interesse daran das Kastell zu betreten."
Zumindest waren ihm keine außergewöhnlichen Geschichten deswegen bekannt. Gut, er musste auch zugeben, in Bezug auf die Schwarzmagier des Kastells waren außergewöhnliche Geschichten noch einmal ein ganzes Stück schlimmer als für die einfache Bevölkerung. Wenn es um Beliar und seine Anhänger ging, dann waren die meisten Geschichten ja schon von sich aus grausam und blutig. Bei den Kastellmagiern hätte man da noch eine Schippe drauf legen müssen.
Als Ravia ins schwärmen geriet, wie es wohl wäre, eines der Bücher aus der Kastellbibliothek zu verkaufen, packte er sie plötzlich am Arm und blickte ihr Ernst in die Augen. Trotz ihres Erschreckens lag die Hand der Jungen frau sofort am Griff ihres Messers, was Berash jedoch nicht mitbekam. Stattdessen senkte er die Stimme und redete eindringlich auf sie ein.
"Denkt nicht mal daran!" zischte er nachdrücklich. "Das Kastell schützt sich vor allem, was ihm auch nur ansatzweise Schaden zufügen will! Es ist immer noch ein Ort, der Beliar zugehörig ist und wird von seinen Kreaturen geschützt!" Berash blickte ihr noch einmal nachdrücklich in die Augen, bevor er merkte, wie nah er ihrem Gesicht gekommen war und wie fest er zugepackt hatte. Sofort lies er ihren Oberarm los und trat er einen Schritt zurück, das Gesicht vor Zerknirschung verzogen.
"Verzeiht, Ravia, das war unangemessen. Ich hätte euch nicht so anfahren dürfen." Er verbeugte sich leicht, bevor er sich ihren und seinen Krug nahm.
"Und ihr habt recht, es ist kalt geworden. Kommt, in der Schenke ist sicherlich wärmer."
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Bakaresh
Mit neuerlich verschränkten Armen starrte sie in Berashs Augen. Seine plötzliche Aggressivität hatte sie kalt erwischt und hätte er nicht so schnell eingelenkt, hätte sie wohl ihr Messer im nächsten Augenblick gezogen.
Verdammt, ich hab nicht richtig aufgepasst, verfluchte sie sich dafür, dass sie unachtsam geworden war.
Ihr gefiel das Gespräch mit dem mysteriösen Mann und sie hatte dabei die wichtigste Regel vergessen: Jeder spielte nur ein Spiel. Sie hatte für einen Moment die Regeln vergessen und hätte dafür bezahlen können. Nun jedoch zählte, was ihr nächster Zug sein würde. Dennoch musste sie sich wundern, wie schnell er reagiert hatte. Mit einer solchen Geschicklichkeit hatte die Piratin bei dem älteren Mann nicht gerechnet.
„Schon gut“, gab sie schließlich nach und ließ ihre Arme sinken, um zu verdeutlichen, dass sie ihre abwehrende Haltung ablegte.
Sie folgte ihm in die Schenke und versuchte ihr stark pochendes Herz zu beruhigen. Der kurze Schreck hatte Adrenalin in ihren Körper gepumpt und nun galt es sich zu beruhigen.
„Es war nur ein Gedanke. Immerhin ist Handel mein Gewerbe und ich kann nicht anders, wenn ich von einer verwunschenen, verzauberten, magischen…was auch immer Bibliothek höre“, erklärte sie ihre vorherige Idee, jedoch ohne jegliche Schuld in der Stimme.
Doch was hatte es mit diesem Tribut auf sich, von dem Berash gesprochen hatte? Musste man eine Spende abgeben, um Zugang zu diesem Kastell und der Bibliothek zu bekommen?
„Also könnte ich durch Abgabe dieses Tributs ebenfalls das Kastell betreten? Was habt Ihr damals gezahlt, als Ihr Zugang begehrt habt?“, fragte sie und war froh, dass sich ihr Herzschlag beruhigt hatte und ihre Mimik wieder unter Kontrolle war, „Ich werde übrigens einige Leute meiner Crew befragen, ob sie eventuell wissen, ob es auf Argaan eine solche Enklave von Schwarzmagiern gibt. Mit etwas Glück hat einer etwas gehört. Seeleute reden gern, wenn sie auf Landgang sind.“
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Berash hustete verlegen und bestellte zwei Getränke, welche kurz darauf zu ihrem Tisch gebracht wurden. Überraschenderweise war es recht leer in der Schenke, womit er nicht gerechnet hatte. Vielleicht war das heute keine Nacht für einsame Seeleute, die sich zu einem letzten Umtrunk zusammen fanden, bevor sie wieder hinaus aufs Meer mussten. Oder sie hatten alle bereits ihre Heuer versoffen und mussten nun warten, bis sie wieder genug Münzen in den Taschen hatten.
Wenigstens schien Ravia ihm seinen kurzen Ausbruch nicht all zu übel zu nehmen. Er wusste selbst nicht genau, was ihn dazu getrieben hatte, doch er mochte die junge Frau und wollte sie nicht ins offene Messer laufen lassen. Dankbar nahm er ihren Themenwechsel an.
"Es muss etwas von Wert für euch sein. Sie haben dort in der Eingangshalle eine Statue stehen, die einen Teller hält. Darauf legt ihr den Tribut ab und wenn er angenommen wurde, könnt ihr das Kastell betreten."
Berash überlegte, welchen Tribut er früher bezahlt hatte. Doch er war sich nicht mehr sicher, was genau es war. Die Zeit hatte die Erinnerung daran mit einem sanften Nebel überzogen und zeigte nur noch, wie der Tribut sich in Rauch aufgelöst hatte, kaum dass er seine Hand vom Teller genommen hatte.
"Ich glaube, es waren Münzen gewesen, aber sicher bin ich nicht. Ich hatte damals nicht viel, womit sie für mich eine Menge wert besessen hatten."
Er nickte dankbar, als Ravia hinterherschob, dass sie ein paar ihrer Schiffskameraden befragen würde. Vielleicht wusste ja einer von ihnen mehr darüber. Für den Assassinen war es ungemein wichtig geworden, dass er Antworten erhielt.
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Bakaresh
Ravia überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass Münzen immer in etwa denselben Wert besaßen – natürlich gemessen an Faktoren, die sie ungern gedanklich aufzeigte. Doch sie verzichtete auf die Kleinlichkeit und verstand natürlich auch, dass er von persönlichem Wert sprach, der aus einem Mangel an eben jenen herrührte.
„Nun scheinbar habt Ihr heutzutage ein wenig mehr Münzen, wenn Ihr euch eine Überfahrt leisten wollt“, mutmaßte sie und schaute nach einem Goldbeutel an seinem Leib.
Sie lehnte sich betont lässig in ihrem Stuhl zurück, überschlug die Beine und tippte gegen den Keramikbecher, der vor ihr auf dem Tisch stand.
„Danke übrigens für das Getränk“, lächelte sie ehrlich und wartete darauf, dass die heiße Flüssigkeit sich abkühlte.
Etwas von Wert für mich, dachte sie über die Worte Berashs nach und fragte sich, was sie als Tribut opfern würde, um Einlass in dieses sagenumwobene Kastell zu erhalten.
Sie kam nicht umhin sich vorzustellen, dass sie mit etwas von höherem Wert wieder herauskam und überlegte sogar, ob sie jemanden kannte, der sich für derlei Unikate der vermeintlich magischen Natur interessierte und zudem bereit wäre, dafür ein ordentliches Sümmchen springen zu lassen. Allerdings wollte ihr ad hoc niemand einfallen. Sei es drum. Es brachte ohnehin nichts Münzen auszugeben, die man noch nicht hatte.
„Was meint Ihr? Trinken wir auf eine gute Schiffsreise und treffen uns in zwei Tagen an Bord? Ich empfange Euch am Hafen und kümmere mich um alles weitere. Dem Käpt’n werdet Ihr jedoch in jedem Fall einige Worte opfern müssen. Er ist sehr penibel, wenn es um die Joka geht.“
Es wurde spät und sie spürte den gestrigen Tag noch immer in ihren Knochen. Morgen konnte sie noch einige Dinge besorgen, wie sie es immer tat, wenn sie das Glück hatte in Varant zu sein. Nirgendwo sonst gab es so wunderbare Duftöle und sie konnte nicht leugnen, dass ihr der Geruch an Bord und auch ihr eigener schnell zu viel wurde. Da half es, wenn man seine Nase ab und an verwöhnen konnnte.
„Und eine Sache noch“, sagte sie mit verschwörerischer Miene.
Sie beugte sich vor und lehnte sich vielsagend in Berashs Richtung über den Tisch. Dort verharrte sie, studierte sein Gesicht. Ihre Augen huschten kurz zur Seite, als hätte sie etwas gesehen und sie bemerkte, dass sein Blick dem ihren folgte. Es wäre eine perfekte Gelegenheit ihn um etwas zu erleichtern, doch gab es außer der Silberkette um seinen Hals nichts, was sie sah. Ohnehin wollte sie nur testen, wie aufmerksam er auf sie achtete.
„Wart Ihr ein Assassine?“
Unverfroren stellte sie diese Frage, die ihr seit dem Moment auf der Zunge brannte, als er den Zusammenhang zwischen Kastell und dem Regime der Assassinen gezogen hatte. Einen Moment lang wartete sie auf seine Reaktion, bevor sie ein breites Grinsen zeigte.
„Nur ein Scherz!“, nahm sie der Situation aus ihrer Sicht die Spannung.
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Eine Umarmung hatte Françoise nicht erwartet. Trotzdem freute sich die Priesterin über diesen Beweis der Zuneigung ihres Freundes. Besonders weil ihre letzte Umarmung in der anderen Welt stattgefunden hatte. Sie vermisste jene ungemein, denn das war nicht nur die Umarmung eines Freundes gewesen, sondern von Familie.
»Du schuldest mir nichts, Draco.«, sagte die Oberste Feuermagierin. »Du hättest dasselbe für mich getan. Ich bin froh, dich wieder auf unserer Seite zu wissen.«
Mit einer Geste hob Françoise die magische Barriere auf, mit der sie ihnen Privatsphäre verschafft hatte. Dann stand sie auf und reichte dem Paladin eine helfende Hand. Die Götter wussten, dass Draco keine Hilfe für so etwas banales nötig hatte. Immerhin war er es gewesen, der sie in der Beherrschung ihres physischen Körpers unterrichtet hatte. Dennoch nahm er die Hilfe an.
»Du hast vollkommen Recht.«, antwortete Françoise auf die Frage nach den acht Siegeln. Nur jemand, der sich mit Philosophie auseinandergesetzt hatte, konnte mit der Begrifflichkeit etwas anfangen. Draco hatte immer schon einen offenen Geist besessen, so dass seine Kenntnis die Oberste Feuermagierin nicht besonders wunderte.
»Acht Siegel und acht Pforten.«, fuhr sie fort. »Die Kraft nur einzusperren, war nicht Sinn und Zweck. Ohne die Pforten geht es nicht.«
Neugierig sah die Priesterin ihrem Freund dabei zu, wie er den Umgang mit den Siegeln studierte. Zu ihrem Erstaunen gelang es Draco sogar, eine Lichtkugel heraufzubeschwören. Damit fiel Françoise ein Stein vom Herzen. Wenn es im Kleinen funktionierte, dann würde es auch im Großen funktionieren!
»Ich fürchte, ich weiß genauso wenig wie du. Wir haben wirklich neue Werte auf neue Tafeln geschrieben.«, erwiderte die Oberste Feuermagierin. »Es würde mich überraschen, wenn wir überhaupt jemanden finden würden, der damit Erfahrungen gesammelt hat. Eine derartige Verbindung zweier Magiequellen ist vermutlich einzigartig in dieser Welt. Das heißt, wir müssen es ausprobieren. Nun, du musst es ausprobieren. Ich kann nur zugucken und versuchen den Schaden einzudämmen, wenn etwas schief gehen sollte. Deshalb muss ich dich bitten, dass wir uns einen anderen Ort dafür suchen. Komm mit.«
Zusammen verließen Paladin und Feuermagierin die Bibliothek wieder. Zuvor nahm Françoise noch einen Stapel leerer Pergamentrollen, ein Fass Tinte und einen Pinsel mit. Sie betraten hier unbekanntes Land. Gelegenheiten wie diese durfte man nicht ungenutzt vorüberziehen lassen.
Françoise führte sie hinab in den Keller des Tempels. So wie in den meisten Klöstern und Tempeln befanden sich dort Laboratorien und auch Übungsräume. Letzteres war wie für sie gemacht.
»Diese Übungsräume werden meistens von Novizen benutzt, wenn sie ihre neu erlernten Kräfte ausprobieren wollen.«, erklärte Françoise als sie eine geräumige Kammer gefunden hatten. Um ungestört zu sein, schloss sie hinter ihnen ab. »Wände, Boden und Decke sind mit magischen Siegeln versehen. Ihre Natur ist eine andere, als deine. Ihr Zweck besteht darin, dass weder der Tempel noch der Magier hier bei Übungen zu Schaden kommt. Sie absorbieren übermäßige Magie. Bis zu gewissen Grenzen, versteht sich. Formeln des sechsten Kreises solltest du heute erst mal nicht wirken, verstanden?«
Die Priesterin schmunzelte. Tatsächlich hatte sie sich niemals die Frage gestellt, wo die Paladinmagie von ihrer Macht einzuordnen sei. Es handelte sich um eine hochspezialisierte Form der Magie. Ausgesprochen mächtig in manchen Bereichen und dafür wenig nützlich in anderen. Innos hatte bei ihrer Erschaffung offensichtlich ein sehr klares Bild vor Augen gehabt, wofür sie eingesetzt werden sollte. Wahrscheinlich war ein Vergleich schon allein deshalb sinnlos.
Françoise setzte sich auf den Boden und breitete eine der Pergamentrollen vor sich aus. Dann nahm sie den Pinsel zur Hand, tunkte ihn in das Tintenfass und strich überschüssige Tinte ab.
»Ich werde unsere Erkenntnisse niederschreiben.«, sagte die Priesterin und krempelte einen ihrer weiten Ärmel zurück. »Ansonsten fang einfach an. Wir werden schon sehen, was gut funktioniert und was du besser sein lässt.«
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"Das klingt nach einem guten Plan, Ravia. Machen wir das so." Berash nippte an seinem Getränk und genoß die Wärme des Tees, welche sich angenehm in ihm ausbreitete. Nach der Kühle der Nacht war dies ein guter Gegenpart, es war fast wie Varant selbst. Heiß und Kalt, Hell und dunkel. Die Wüste war wie die zwei Seiten einer Medaille, wenn man es genau betrachten wollte. Selbst Licht und Finsternis waren in ihr vertreten, wenn man die Besetzung der Myrtaner und die verbliebenden Assassinen unter Zuben miteinander verglich.
Für einen Moment kam Berash der Gedanke, ob er vielleicht einen der Schwarzmagier aus Zubens Reihen aufsuchen sollte, denn dieser hätte ihm vielleicht erklären können, was es mit dieser dunklen Flamme auf sich hatte, welche Berash verbrannt hatte. Und warum ihn der Mann aus der Wüste 'Bruder' genannt hatte. Doch schnell verwarf Berash den Gedanken wieder. Selbst wenn sich jemand aus den Reihen Zubens dafür gefunden hätte, Berash und dessen Assassinen hatten eine Vergangenheit zusammen, die wohl keiner bereit war zu vergessen. Insbesondere Berash nicht, schließlich waren es dessen Diener gewesen, welche ihn damals gefoltert hatten.
Als sich Ravia nach vorne beugte und verschwörerisch zuraunte, näherte sich der Assassine neugierig ihrem Gesicht. Was hatte die junge Frau denn nun vor?
Doch ihre eindringliche Frage kam plötzlich und jagte dem früheren Emir einen Adrenalinschauer durch den Körper, der sein Herz rasen lies wie ein plötzlicher Sprint durch die Wüste. Erschrocken bemühte sich Berash nicht zurück zu weichen, während sich seine Pupillen weiteten und er zischend die Luft einzog.
Er war noch dabei sich Worte zu überlegen um sich aus dem ganzen herauszureden, als ein Grinsen Ravias Gesicht erhellte und sie es einen Scherz nannte. Berash bemühte sich nicht vor Erleichterung auszuatmen, als die Spannung langsam wieder aus ihm wich.
Er hüstelte verlegen, blickte auf seinen noch halb vollen Becher und versuchte sich an einem trockenen Lächeln, was ihm nur halb gelang.
"Ha, guter Scherz..." brummte er halbherzig, bevor er einen großen Schluck von seinem Tee nahm, der zwar nicht mehr heiß, aber immer noch ziemlich warm war. Unangenehm lief ihm der Tee die Kehle herunter, doch Berash leerte den Becher trotzdem, bevor er aufstand.
"Bis in zwei Tagen dann, Ravia. Ihr klärt das mit eurem Kapitän, ich werde das Gold dann bereit halten. Noch eine entspannte Nacht."
Berash verneigte sich noch einmal kurz und wandte sich dann ab um die Schenke zu verlassen. Beim hinaus gehen schlug er seine Kapuze hoch und trat hinaus.
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Vengard
»Schön, dass ich dir als Forschungsobjekt dienen darf«, meinte er halb spöttisch halb lachend. Der Raum in dem sie sich nun befanden wirkte seltsam kalt und steril. So als würden die Siegel die Wärme von draußen ausschließen. Wahrscheinlich nicht nur die Wärme. Fast fühlte er sich wie in einem selbst auferlegten Gefängnis. Der Streiter schritt den Raum ab und musterte ihn. »Das ist auf jeden Fall besser als die Bibliothek. Hier können wir definitiv nichts in Brand setzen«. Er seufzte. Der Streiter schlich mehr als er ging zur Mitte des Raumes und setzte sich dann dort in den Schneidersitz. Er kannte diese Position noch allzu gut. Viele Stunden hatte er so in Bakaresh im Heiligtum verbracht und nach Antworten gesucht. Manche waren zu ihm gekommen, viele nicht. Jedenfalls nicht abschließend. Auf eine Antworten folgten stets viele neue Fragen. Jetzt wo er hier in Vengard unten saß kamen viele Erinnerungen wieder hoch.
»Es ist noch immer Chaos in meinem Inneren. Die Streitkräfte des Lichts und der Dunkelheit sind vorbeigezogen, doch das Schlachtfeld ist noch dort«, erklärte er martialisch. »Ich denke ein guter Beginn wird sein das Schlachtfeld aufzuräumen und mit der inneren Heilung zu beginnen«. Er entspannte sich und lies seine Hände ruhig auf seinen Oberschenkeln ruhen. Valien hatte er zuvor bereits bei Françoise liegen lassen. Die Interferenz konnte er jetzt noch nicht brauchen. Er atmete sehr langsam ein und aus. »Siegel und Pforten«, erinnerte er sich leise an die Worte der Priesterin. Er konnte die Siegel spüren. Sie waren zusammen wie ein großes pulsierendes Herz. Er spürte in sich hinein. Die acht Teile waren dort. Wenn er sich wirklich sehr konzentrierte, dann konnte er feine Nuancen erkennen, die die unterschiedlichen Kammern voneinander trennten. Das mussten die Pforten sein. Er begann die Pforten zu öffnen und die Siegel auszurichten. Erstaunlicherweise kostete das keine bis kaum Kraft. Irgendwie war es gelungen, dass sich alles nahtlos gefügt hatte. Das ganze Konstrukt schien lebendig zu sein und eine Eigendynamik entwickelt zu haben. »Es lebt. Das was du konstruiert und ich durch die beiden Kräfte gespeist habe lebt. Ich kann es fühlen. Es verändert sich. Wie zwei Bäume, die nun ineinander wachsen. Es … fühlt sich schön an«, er grinste. Er wusste kein besseres Wort, auch wenn schön wohl wenig akademisch war. Doch in seinem Inneren, abseits der Magie, fühlte er immer noch die Reste des Krieges, der in ihm getobt hatte. »Dort ist eine Stadt. Eine Mischung aus Bakaresh und Khorinis. Sie liegt in Trümmern. Das Wasser ist rot vor Blut, viele Häuser niedergebrannt, Tote liegen überall, zerschmetterte Waffen säumen die Straßen und es regnet«. Er konnte die Trauer spüren die damit einherging. »Es fühlt sich bitter an. So als hätte ich alles verloren. Es muss einen Weg geben...«, meinte er und dann versuchte er die Magie aus dem Inneren zu rufen. Alle Pforten mussten ein wenig geöffnet werden und sie mussten zueinander stehen. Dann aktivierte er Aufrichtigkeit, Sanftheit, Weiblichkeit und Gefahr. Lies die Magie besonders durch diese vier Siegel fließen. Doch er lenkte den Strom nicht nach Außen. Dieses Mal lenkte er die Kraft nach Innen.
»Kannst du es sehen? Siehst du die Häuser?«, fragte er und riss die Augen auf in denen silbernes Licht leuchtete. Die Wolkendecke flackerte in der Stadt seiner verschmolzenen Erinnerungen.
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Bakaresh - Hafen
„Ah, da seid Ihr ja!“, rief sie Berash zu, als sie die Planke zum Pier hinabstieg.
Es war früher Morgen und alle Vorbereitungen für die Abreise waren erledigt. Die Joka La Maji war mit Vorräten aufgestockt worden, darunter einige varantische Spezialitäten, über die sich besonders Jabari gereut hatte, der nicht oft die Gelegenheit hatte die hiesigen Gewürze wie Safran oder Koriander zu benutzen.
Ravia hatte unterdessen ein wunderbares Duftöl entdeckt, welches sie nicht hatte stehenlassen können. Die Aromen von Zedernholz und Rosmarin waren einfach zu verführerisch gewesen. Zudem hatte sie einige Münzen bei einem Schlosser investiert, dem sie erzählt hatte, dass sie den Schlüssel für ihr Schmuckkästchen verloren hatte. Der hilfsbereite Mann hatte sofort angeboten ihr einen Ersatzschlüssel zu fertigen, wenn sie ihm das Kästchen brachte. Doch auf ihre Geschichte hin, dass sie am nächsten Tag wieder in See stachen, hatte er ihr etwas überlassen, was wie verbogene Nägel aussah, von denen einige so dünn waren, dass man meinen mochte, beim ersten Hammerschlag würden sie brechen.
„Ist das alles an Gepäck, was Ihr mitnehmen wollt?“, fraget sie überrascht und deutete auf dasselbe Bündel, was er bereits bei ihrer ersten Begegnung dabei hatte.
Die Stimmung der Mannschaft war ausgelassen. Die gestrige Übergabe der Ladung war ohne Probleme vonstattengegangen. Leider hatte Ravia keinen Seidenballen behalten können, doch die einzelne Weinflasche war sicher verborgen in ihrer Truhe.
So sicher ist die Truhe gar nicht, ermahnte sie sich selbst.
Denn immerhin hatte sie bereits selbst das Schloss geknackt. Warum sollte es also nicht auch jemand anderes schaffen?
„Kommt mit an Bord, ich stelle Euch dem Käpt’n vor und dann zeige ich Euch, wo Ihr schlafen könnt“, forderte sie ihn auf und stieg mit ihm zusammen zurück an Bord.
Es herrschte emsiges Treiben, denn das Schiff wurde bereits klargemacht zum Auslaufen. Sie wandte sich problemlos zwischen den anderen Matrosen hindurch und lächelte, als sie bemerkte, dass auch Berash ohne Weiteres wusste, wie man aus dem Weg zu gehen hatte, wenn jemand anderes arbeitete.
„Käpt’n! Das hier ist unser Passagier. Sein Name ist Berash. Berash, das hier ist Arus, Kapitän der Joka La Maji!“, stellte sie die beiden einander vor.
„Kwa hivyo wewe ndiye mgeni ambaye hajaalikwa?”, brummte der hühnenhafte Torgaaner.
“Baba!”, stieß Ravia empört aus und erntete eine gerunzelte Stirn und dann ein schelmisches Grinsen von Arus.
“Willkommen auf der Joka, Kolo!”, wechselte er in die gemeine Zunge und breitete einladend die Arme aus, “Ravia sagt, du kannst zahlen. Zeig mir das Gold und bleib meiner Mannschaft während der Fahrt aus den Haaren, dann haben wir auch keine Probleme und setzen dich auf Argaan ab, kueleweka?”
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Kap Dun - Auf der Fernanda - DK 1 Prüfung (10. Tag, Nachmittag, Phase 4 - Finale) III
Auf ihren dünnen Stulpenstiefeln schlich Naira vorsichtig entlang einer Diele entlang, die zur Kajüte von Kapitän Ramos führte. Achtsam setzte sie Schritt um Schritt. Leicht gebeugt und leicht seitlich, um einen Blick zur Küche und den Treppen vor allem zu haben. Sir Scrachalot war nach unten gerannt, während der Kapitän hinauf aufs Deck gegangen war.
An der Tür angekommen pochte ihr Herz und kurz war da der Gedanke sich schnell wieder zu verstecken.
Doch als sie dann in das Schlüsselloch blickte und wusste welchen Dietrich sie nehmen konnte, war es entschieden.
Der Dietrich glich grob dem Schlüssel eines Buntbartschlosses und sah aus wie ein am Ende um 90° verbogener, dicker, platt geschlagener Nagel mit rundem Griff am anderen Ende.
Es verursachte ein paar Geräusche, bis sie den einfachen Heber erwischt hatte und mit einer Umdrehung die Tür entriegelt hatte. Es war das mit einfachste Schloss, das man so kannte und wäre bestimmt nicht die größte Herausforderung für die angehende Einbrecherin in der Fernanda.
Einen Blick heraus setzte sie noch, bevor sie durch erneutes Öffnen des Schlosses per Dietrich die Tür fast geräuschlos wieder schloss.
Sie war drin und atmete ein paar Mal durch, um sich zum einen auf die Einbruch-Lektionen von Gisla zu konzentrieren und zum anderen im Raum überhaupt einen Eindruck zu bekommen, was hier alles war.
Dank einer Reihe aus vier einfachen Fenstern war es einigermaßen hell, denn der Raum wurde damit durch Tageslicht versorgt.
Mit Glück würde das Dokument hier irgendwo herumliegen und dann wäre sie prompt wieder in ihrem Versteck.
Doch so einfach sollte es nicht werden, zumal sie keine Zeit hatte. Würde der Kapitän zurückkommen und sie wäre hier.. “... Bewahre!”, dachte sie sich und begann leise zu schleichen. Sie wusste nicht, was unter der Kajüte war und wollte es auch nicht durch laute Schritte auf sie aufmerksam machen.
Ihr erstes Ziel war der große, massive Tisch im Raum, auf dem nicht nur eine Karte der bekannten Welt zu sehen war, sondern auch Stützpunkte der Myrtaner und andere Symbole, für die sie keine Zeit hatte. Sie besah sich im Schein des Tageslichts das Logbuch der Fernanda, schüttelte es einmal und legte es dann genauso wieder hin. Der Teller, den der Koch gebracht hatte, stand da noch. Ramos hatte brav aufgegessen und nicht einmal die Soße auf dem Teller gelassen.
Sein dazu passendes Silberbesteck sagte schon was aus und auch der Raum selbst, nun da sie nahe an seinem gepolsterten Stuhl stand, erzählte so manches über Kapitän Ramos.
Eine Vitrine mit fünf aufwendig verzierten Silberpokalen, das Ölgemälde einer schönen Frau, stilvoll eingerichtete Möbel, die zum massiven und verzierten Tisch passten und vor allem wie der Tisch fest mit dem Boden verankert waren.
Eine verhältnismäßig sehr große Sammlung an Waffen war jedoch das Prunkstück. Sie hingen fest montiert an der Wand und hatten sowas wie Schilder bei sich. Auf denen standen Namen oder eher Schiffsnamen? War das die Beute des Kapitäns? Naira wusste nicht, wie das auf See war. Übergaben andere Kapitäne ihre Waffe, wenn sie besiegt waren? Naira fielen zwei Waffen auf, die verdreckt und blutig waren, ja gar schon rostig.
“Kapitän Rotbart…Johann Silber.”, las sie stumm in Gedanken und dachte sich ihren Teil. Die Namen waren ihr kein Begriff. Was sollte auch ein Mädchen vom Waldvolk groß über Seefahrer wissen? Sie kannte nur die Geschichte über die Rattensippe und Kapitän Yared. Und das nur sehr grob.
Naira öffnete die erste Schublade und durchstöberte sie, dann auch eine Zweite und eine Dritte. Sie fand nicht das gesuchte Dokument, dafür jedmöglichen Kram, Federkiele und zwei Tintenfässer, eine Schachtel mit einem schönen Sextanten drin und einen sicher teuren Dolch in einer verzierten Gurt-Halterung. Die vierte Schublade war voller Briefe und weckte in Naira große Hoffnung hier fündig zu werden. Doch es war beim Überfliegen dieser Briefe ausschließlich persönliche Korrespondenz. Er schrieb mit einer Frau und wohl einem anderen Kapitän. Doch irgendein offizielles Dokument mit Siegel und schöner, klarer Schrift war nicht dabei. Hätte sie auch schwer gewundert. So drehte sie am Knauf der Schublade und machte alles wieder zu, wie bei den anderen Schubladen. Sie musste jetzt schon sagen, dass es durchdacht war, was der Kapitän hatte.
Sie schlich dahin wo sie ein verstecktes Dokument aus ihrer geringen Einbrechererfahrung als Nächstes vermuten würde. Am Ölgemälde hob sie es leicht an und fand leider nichts dahinter. Konnten ja nicht alle wie Lasse sein. Direkt daneben war ein kleines Bücherregal und sie besah sich so schnell es ging, die sechs Bücher darin. So viele Bücher persönlich zu besitzen sprach schon von einem gewissen Reichtum und Bildung für Myrtana. Leider gab dieser Reichtum kein Dokument her, das zusammengefaltet nach Naira schrie.
Das nächste Ziel war das Bett des Kapitäns, doch unter den Decken und der Matratze war auch nichts zu finden. Naira wollte noch nicht zum Offensichtlichen hin. Noch nicht zur Truhe, die regelrecht einlud, da mal zu schauen.
Als nächstes war ein Schrank dran, wo fein säuberlich Ober- und Unterkleidung gefaltet waren, ganze drei Kapitänsmantel hingen und noch ein Dreispitz zu finden war. Aber kein Dokument. Sie schloss den Schrank leise und hielt auf halbem Weg zur Truhe. Sie griff sich einen Schemel nahe der Wand und schlich damit zurück zum Schrank. Dann setzte sie diesen ab und stieg darauf.
Oben auf dem Schrank fand sie etwas. Weitere Bücher und eine Schatulle.
Die staubigen Bücher waren alte Logbücher der Fernanda. Bis auf lose Blätter und Skizzen gesehener Tiere oder Wesen war da nichts. Die Bücher legte sie zurück. Nicht mehr ganz staubig, aber sie hoffte, dass diese Spur sie nicht verraten würde.
Um die Schatulle kümmerte sie sich jetzt. Sie stellte diese auf den Schemel und wählte Dietrich und Spanner aus ihrem Etui.
Dann begann sie mit der Erfahrung eine ähnliche Schatulle ganz am Anfang schon dutzende Male und auf Zeit geöffnet zu haben.
Der Spanner fand die Kerbe und der dünne Dietrich tastete sich zum ersten Schieber hin. Kurz klackerte es und dann schob sie mit ruhiger Hand den Schieber nach rechts, bis der Mechanismus hörbar etwas löste. Kurz schob sie am Spanner weiter voran und sah wie sich der Deckel schon hob.
Sie atmete aus und öffnete den Deckel, nachdem sie ihr Werkzeug wieder einsortiert hatte.
“Gold…zähne?”, sagte sie ganz leise und angewidert. Sammelte Ramos Goldzähne? Von wem? War es womöglich in Verbindung mit den Waffen? Piraten hatten doch Goldzähne? Zumindest Corazon hatte einen und Danzos Gegner heute sogar eine ganze Zahnreihe.
Naira schloss die Schatulle und legte sie oben wieder ab.
Jeder noch so disziplinierte und sauber wirkende Kerl hatte irgendein krudes Geheimnis, wie es schien. Doch war Naira ja schon durch die Diebesgilde und deren gesammelten Informationen darauf vorbereitet worden. Ramos war ein Sadist, ein Schwein, das seine Leute für Kleinigkeiten auspeitschen ließ und damit Loyalität und Disziplin durch Furcht erschuf. Mit diesem Fund bekam dieses Bild ein Stück mehr Wahrheitsgehalt.
Naira stieg ab und nahm den Hocker schleichend wieder dahin zurück, wo er stand und schlich zur Truhe.
Groß war sie und entsprechend auch das Schloss der Kiste. Naira besah es sich so schnell sie konnte und wählte schon die Dietriche, da hörte sie vor der Tür Geräusche. Schnell sah sie sich um und bewegte sich hinter die Kiste.
Sie hörte Flüche und einen Katzenschrei und dann weitere Flüche.
Sir Scrachalot ließ sich nicht so schnell fangen.
Als die Geräusche sich entfernten, machte sie sich wieder an die Kiste heran und stoppte abrupt.
“Was macht die Leiste da?”, fragte sie sich in Gedanken und blickte an das andere Ende der Truhe. Da schaute am Deckel eine dünne Leiste hervor. Dick wie ein Besenstiel und um diese war Garn gewickelt und ging zur Wand. Genauer musste sie es ertasten, denn Licht kam da nicht hin.
Zwei kurze, vorsichtige Schritte später ertastete sie den Garn, der nun durch eine Öse an der Wand hinauf geführt wurde und gespannt war. Den Kopf hoch genug geneigt sah sie erst den kleinen Vorhang in der Ecke. Dunkel wie der Schatten selbst und einmal in einem rechten Winkel um die Ecke gehend. Was er verbarg, sah sie noch nicht, hatte aber zwei Gedanken.
Das Versteck der Dokumente oder irgendwas Unheimliches, das mit dem Garn und der Leiste zu tun hatte. Letzteres eher, weil sie sich nicht vorstellen konnte, was das Garn mit einem Versteck zu tun haben würde. Doch zunächst besah sie sich die Leiste am anderen Ende an. Sie wurde nachträglich an den Deckel dran genagelt. Simpel, aber stabil. Der Garn war kompliziert verknotet und auf Spannung und lief dann an der Wand entlang hinauf in das, was sich im Schatten des Vorhangs noch verbarg. Naira beeilte sich, stieg auf die Kiste selbst und zupfte am Vorhang, um diesen dann wie einen Schleier beidhändig hoch zu heben .
“Snapperscheiße!”, zischte sie leise und blickte mit erhobenen Händen fast direkt in den Bolzen einer kleinen Armbrust.
“Nehmt euch immer in Acht vor den Fallen eurer Geschäftspartner. Manches ist mehr Schein als Sein und schaut zweimal hin, bevor ihr einen Handel beginnt. Das ist mein Rat als alter Weinhändler.”, erlangen Cassius doppeldeutigen Worte in ihrem Kopf und er hatte recht. Naira atmete aus und dann ein. Stieg kurz ab und auf. Sie hatte keine Ahnung von Armbrüsten, aber wenn sie den Garn an diesem kleinen Hebel so betrachtete, konnte sie sich schon einen Reim darauf machen.
Hob sich der Deckel, senkte sich die Leiste mit dem Garn und löste einfach gesagt den Abzugshebel der Armbrust.
Was der dann machte, konnte sie sich denken.
“Einfach und tödlich.”, war der Gedanke der Taschendiebin, während sie eine schnelle Lösung für dieses Problem suchte.
Die einfachste Lösung war, den Garn durch zu schneiden.
Das würde aber damit kollidieren, dass ihre eigentliche Mission in wenigen Stunden erst beginnen würde. Ein Blick, ein Prüfen des wissenden Auges von Ramos und er wusste, dass jemand auf seinem Schiff war.
So fand ihr Dolch einen anderen Weg. Sie sicherte ihr Vorhaben, indem sie den Dolch hinter dem Abzughebel platzierte und hob dann mit den Fingern den eingelegten Bolzen an. Sorgsam zog sie das tödliche Geschoss heraus und steckte diesen ein. Dann zog sie die Garnschlaufe sorgsam vom Hebel und sorgte dazu, dass der Garn lose am Schaft hing.
“Falle entschärft…weiter Naira. Die Zeit rennt.” Gefühlt war sie hier schon eine Ewigkeit, während es real wohl noch wirklich nicht lange her war, dass sie durch die Tür geschlichen kam. Ihr Geist hatte in der kurzen Zeit sehr viel leisten und schnell agieren müssen.
Sie suchte schon die Dietriche zusammen, um das Schloss der Truhe zu knacken, da kamen ihr Cassius’ Worte wieder in den Sinn. “...manches ist mehr Schein als Sein…” - Naira hielt inne. Sollte sie es riskieren? Sollte sie darauf setzen, dass in der Truhe nichts von Wert war? Das Ramos bewusst diese Truhe nutzte, um jeden, der es wagte einzubrechen - sei es aus der Crew oder Diebe - auf die Art hinters Licht zu führen? Ganz offensichtlich sollte die Armbrust auslösen und den Einbrecher erwischen. Aber war Ramos so komplex…so listig und wissend, dass seine Dokumente einen hohen Wert hatten, dass er eine Falle und Täuschung zugleich ansetzte und die Dokumente ganz woanders versteckte?
Naira hielt Ramos auf ganz eigene Art für schlau und interessant, aber nicht auf solch eine Art und Weise. Er war in erster Linie Kapitän und hatte viele Kämpfe erfolgreich hinter sich gebracht. Er war kein reicher Kaufmann, der ein Katz- und Mausspiel spielte, um seinen Besitz zu schützen.
Mit Pech hatte Ramos die Dokumente sogar an sich, wenn er Angst darum hatte.
Naira entschied sich für den Weg, den sie für wahr hielt. Und wäre es der falsche Weg, dann wäre dem so und sie dieses Mal erfolglos.
Die Diebin setzte einen größeren Dietrich ein und suchte mit dem Spanner den Druckpunkt. Der war keine Kerbe, sondern ein ihr schon bekannter vierkantiger Druckpunkt für einen vierkantigen Schlüssel. Sie wählte den entsprechenden Spanner und drehte kurz nach rechts und dann nach links.
“Links…”, murmelte sie und ging gleich mit dem Dietrich an den ersten Schieber von Zweien, die sie vermutete.
Kurz klackerte es, als sie suchte und dann auch was fand.
Langsam schob sie dann am Mechanismus und drehte den Dietrich vorsichtig auch nach links, während sie den Spanner mit der sanften Kraft ihrer Hände nach links gegen hielt.
Sie spürte nach einer halben Umdrehung am Dietrich etwas und drehte dann am Spanner. Der bewegte sich aber nicht.
Naira nickte und fuhr langsam wieder zurück mit dem Dietrich.
Der andere Schieber musste es dann zuerst sein.
Und so war es auch. Genauer gesagt wurde es der Mittlere, denn das Schloss war durch drei Schieber gesichert.
So bewegte sie den mittleren Schieber eine Vierteldrehung nach links und spürte wie etwas leicht arretierte und den Spanner frei gab. Den bewegte Naira um eine Vierteldrehung und wusste gleich, dass nun der hinterste Schieber dran war.
Wie zuvor schaffte sie es mit Fingerspitzengefühl auch diesen in die Arretierung zu schieben und gleichzeitig den Spanner nun ebenso in eine insgesamt halbe Drehung Position zu bringen. Dabei zählte, dass sie den Spanner permanent in die linke Richtung gedreht hielt, damit die Schieber nicht wieder aus der Arretierung springen.
Der vorderste Schieber sollte dann das Schloss öffnen, wurde aber recht kompliziert, als Naira eine fast ganze Drehung mit dem Dietrich am Schieber schaffte und immer noch nichts arretierte.
Sie machte weiter, vollendete die volle Umdrehung und konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso nichts arretierte. Höchstens, dass der Schieber abgenutzt war oder im Mechanismus selbst etwas klemmte. Im Kopf ging sie einfach den Ablauf des Öffnens der Truhe mit Schlüssel durch.
Wie sie festgestellt hatte, musste der Schlüssel voll hinein gesteckt werden, um in den vierkantigen Spannmechanismus zu passen. Dann nach links gedreht werden, damit die einzelnen Bärte des Schlüssels die Schieber in ihre jeweilige Position brachten und gleichzeitig der Spannmechanismus mit der Drehung des Schlüssels mehr und mehr das Schloss freigab. Da es drei Schieber gab, musste es drei Bärte am Schlüssel geben und drei Punkte wo die Schieber eine Arretierung bei entsprechendem Druck durch den Dietrich und Drehung des Spannmechanismus das Schloss frei gaben.
Nairas Gedanken rasten. Dachte sie zu kompliziert? Zu einfach? Sah sie vor lauter Schiebern nicht den wahren Mechanismus? Sie dachte an alle Schlösser und Schlüssel, die sie in ihrem Leben schon in Aktion gesehen hatte. Schüttelte den Kopf und kam im sich aufbauenden Stress der Eile nicht darauf.
Nicht sofort. Es war erst eine Trotzreaktion oder eher eine Verzweiflungstat, als sie den Spanner, entgegen ihrer bisherigen Vorsicht, mit etwas mehr Kraft weiter nach links drehte. Widerstand war da, aber nicht so groß wie ohne einen arretierten Schieber. Vor einer ganzen Umdrehung des Spanners, rechnete sie damit, dass gleich was passiert und zog den Dietrich zurück. Immerhin hatte sie das auch schon einmal erlebt, wie alles zurück schnellte und ihren Dietrich zerstörte.
Als der Spanner eine Vierteldrehung über der vollen Umdrehung war, hörte sie kurz wie am mittleren, arretierten Schieber etwas klickte und dann nach einer halben Umdrehung auch am Hinteren - zusammen mit einem neuen Geräusch.
“Zwei Umdrehungen sind es…und die Spannung an den beiden ersten Schiebern, schiebt irgendwas vor…”, dachte sie sich und setzte ihren Dietrich wieder am vordersten Schieber ein. Sie spürte eine Schwergängigkeit im Mechanismus und…
“Verdammt!”, zischte sie kaum hörbar und sah, wie die dünne Spitze des größeren Dietrichs genau am Übergang des 90° Winkels abgebrochen war. Sie legte den kaputten Dietrich beiseite und pulte mit einem kleineren Dietrich das quer liegende andere Ende heraus. Der dazugehörige Schlüssel zum Schloss musste wohl recht massiv für seine Größe sein.
“Gisla wird meckern…”, dachte sie sich und besah sich ihre Dietriche, während sie den Spanner in Position hielt, indem sie den kaputten Dietrich zum Blockieren nutzte.
Alle Dietriche, die kleiner waren, würden brechen. Die zwei Größeren hatten etwas dickere Spitzen, aber könnten wohl auch brechen, wenn es blöd lief. Statt es zu versuchen, entschied sie sich für einen anderen Weg. Cassius Gaben waren noch im Etui und sie griff sich dann den groben Dietrich, der für die einfachen Türschlösser gedacht war. Der war dick, hatte eine platte Spitze und würde garantiert nicht brechen.
Leider entpuppte sich dieser wie für Naira erwartet als zu dick von der Spitze und passte nicht ins Fach des vorderen Schiebers.
So flogen kleine Metallspäne zu Boden, während Naira mit einer etwas groben Feile begann die Seiten der Dietrichspitze anzufeilen. Das Risiko gehört zu werden ging sie ein, war jedoch froh, nah am offenen Fenster zu sein, von wo auch genug Umgebungsgeräusche allein durch das Meer existierten.
Zwei Mal setzte sie neu an, entblockte dann immer den Spanner, hielt dagegen und setzte den präparierten Dietrich ein. Immer fehlte noch ein wenig oder die Spitze drohte zu verkanten.
So war es erst nach dem dritten Mal und schnellen, groben Bewegungen an beiden Seiten mit der Feile, dass die Spitze nicht nur fluchtete, sondern auch etwas Spiel hatte.
Naira sah sich um, betete still für sich noch etwas Zeit zu haben und bewegte nun den schwergängigen Schieber im Uhrzeigersinn, bis sie etwas spürte und verstand. Die Arretierung griff am Schieber und sie bewegte den Spanner final zur vollen Umdrehung. Das Schloss öffnete und sie blickte nicht dirket in die Truhe, sondern in den Mechanismus. Oder besser: Sie hoffte was zu erkennen.
Sie sah jedoch nichts, glaubte aber fest daran, dass die zwei Schieber und die Bewegung des Spanners eine Feder spannten, die die dritte Arretierung in den Schacht des vorderen Schiebers schob und dann das ganze Schloss entriegelte. Ein findiger Schlosser musste das sein, der sowas bauen konnte. Sie würde Gisla davon erzählen und lächelte leicht auf.
Es war ein Glücksgefühl, dass die ganze Anspannung und Stress mit einem Mal gelöst hatte. Ein kleiner Rausch, der gleich von der Beute aus dem Truheninhalt noch mehr gefüttert werden würde.
Als Naira den Deckel komplett hoch schob und kurz zur Armbrust blickte, wurde ihr bewusst, dass sie Glück hatte mit der Falle und ihr Können bewies beim Lösen ihres Problems mit dem Dietrich und beim Schloss insgesamt.
Im Inneren der Truhe waren dicke Beutel mit Münzen, zwei Bücher, die schön verziert waren, eine Silberschale in der Schmuck und Perlen lagerten, ein altes Säbel, eine akribisch-sauber gefaltete Flagge die sie nicht kannte und ihre große Hoffnung - zusammengerolltes Pergament. Mehrere kleine Rollen.
Eilig griff sie sich die erste Rolle und rollte sie auf.
“Kopfgeld von 20000 myrtanischen Goldstücken - Kapitän Jakob der Spatz…Kapitän der Perla Negra….Beleidigung eines ehrwürdigen Feuermagiers, Beschmutzung der Ehre einer Novizin, Häresie, Verschmutzung eines Innosschreins durch Fäkalien, versenken der Donatella und schwere Piraterie.”
“Kopfgeld von 10000 myrtanischen Goldstücken - Arus von Torgaan…Kapitän eines Schiffes namens Loco Lala Maggi…Schwere Piraterie, verantwortlich für den Kinderraub von Ardea von vor 14 Jahren, Majestätsbeleidigung höchsten Grades durch beschimpfen ihrer Majestät Rhobar(t) des 3. als Schwachkopf…”
Naira legte auch die vorletzte Rolle fein säuberlich wieder zurück und hoffte nun auf die letzte Rolle, denn alle bisher waren die Steckbriefe von Piraten oder Verrätern. Doch statt des gewünschten Dokuments war da eine alte Seekarte. Sie wusste nicht, was die Insel da sollte und die Zahlen. Aber das X auf der Insel weckte in Naira eine Sehnsucht nach dem Finden eines echten Schatzes. Das könnte spannend werden, wenn hier alles gut ging.
Die Karte sollte ihre Beute werden, die auf den ersten Blick nicht als gestohlen auffallen würde.
Sie blickte kurz zurück und holte dann einen mitgenommenen, schmalen Schriftrollenbehälter aus Leder hervor. Der war auch für die eigentlichen Dokumente gedacht, die sie stehlen wollte, denn der Behälter galt gut verschnürt als wasserdicht.
Als die Karte verstaut war, war die Verlockung sehr groß, noch den Rest mitzunehmen, doch das gehörte nicht zur Mission später. Klimpernde Münzen würden ihr nicht helfen, wenn sie schleichen musste und Schmuck… - sie griff sich einen Aquamarinring aus Silber. Der Stein darin war wunderschön. Welche Bedeutung dieser hatte, ahnte sie nicht, wusste sie nicht und würde es vielleicht nie erfahren. Für den Moment aber war es einfach nur ihr neuer Ring. Eine Goldkette mit Saphiranhänger und ein breiter Silberarmreif mit sehr kleinen, roten Rubinen darin ließ sie auch mitgehen und verstaute alle drei Dinge in einer kleinen Tasche an ihrem Gürtel.
War es ein Verarbeiten des Frusts, dass auch hier nicht das Dokument war? Wahrscheinlich. Mit leeren Händen wollte sie hier auch nicht weg.
Naira wollte den Deckel wieder schließen, da fiel ihr auf, dass der Deckel kein gewöhnlicher Deckel war. Die typische Wölbung war da, damit noch mehr in die Truhe passte. Jedoch war das Innere des Deckels flach.
“So simpel? Gut…erst einmal muss man die Falle entdecken oder überleben…dann das Schloss knacken und dann Zeit haben. - Und die hast du nicht mehr lange, Naira.”, sagte sie zu sich selbst, während sie irgendein Gerümpel außerhalb des Raumes vernahm. Wohl Sir Scrachalaot? Sie hatte gerade kein wirkliches Zeitgefühl, aber es war genug Zeit vergangen, als dass sie bald oder besser jederzeit Besuch bekommen würde.
So folgte sie dem einzig möglichen Weg und machte sich an den Deckel im Deckel. Es war simpel, wenn man das passende Werkzeug besaß - oder improvisieren konnte. Der Deckel hatte vier Beschläge an den Kanten die in den Rahmen gepresst waren und den Deckel im Rahmen hielten. Gewöhnlich würde Ramos wohl zwei Haken besitzen, die er in eine runde Fassung an zwei der Beschläge schob und dann mit einem Ruck alles löste.
Naira wählte dafür ihr Lieblingswerkzeug des heutigen Tages. Der dicke Dietrich für die einfachen Bartschlüsselschlösser mit den nun mehr angefeilten Seiten. Sie presste das flache Ende durch den Spalt vor einen der Beschläge, drehte diesen um 90° und hakte sich am Beschlag damit ein. Sie holte den Armbrustbolzen hervor, schob diesen durch den runden Griff des Dietrichs und zog dann ruckartig am Dietrich, der wie ein wackliges T mit dem Armbrustbolzen aussah. Die Ecke löste sich und Naira machte das schnell auch gegenüber liegenden Beschlag.
Der Deckel wurde vorsichtig weggezogen und Nairas Herz schlug nicht nur höher, es jubelte wie ihr Inneres selbst.
Sie fand das gesuchte Dokument, das Ramos befähigte, in die Gefangenenlager des Reiches zu gehen und Rekruten und Arbeiter für seine Crew abzuziehen. Selbst wenn auch nur für eine Fahrt. Die Geschichte hatte Cassius ihr erzählt. Glaubte sie das? Bedingt. Es war zu einfach Gut und Böse in dieser Geschichte einzuteilen und die Moral als höchstes Gut für seine Taten zu rechtfertigen. Es war ihr Auftrag für die Diebesgilde von Kap Dun, um nicht nur dort wie ein Familienmitglied zu gelten, sondern auch Zugang zu allen Diebesgilden zu bekommen. So wie Gisla. Im Leben würde sich das auszahlen und Ramos ging es gut genug, wenn sie all das beurteilen konnte, was sie bisher gefunden hatte.
“Interessant…”, murmelte sie, während sie eine andere Pergamentrolle durchsah. Es war die Urkunde die besagte, dass Ramos offiziell der Eigner der Fernanda mit allen Rechten und Pflichten für das Myrtanische Reich war. Der König selbst hatte sein Siegel darauf gesetzt. Ferner gestattet ein dazu gehörendes Dokument Kaperfahrten gegen Feinde des Reiches.
Sie fand noch ein Testament und zwei verschlossene Briefe in diesem geheimen Bereich, doch dafür hatte sie keine Zeit mehr. Fast wie bestellt hörte sie dank der offene Fenster irgend ein dumpfes Gebrüll an Deck und einen Schrei aus vielen Kehlen. Ein Jubel oder sowas. Damit hatte der Kapitän wohl angekündigt, dass es bald los geht und würde wohl auch nicht mehr allzu lange eine Rede halten.
Naira hatte das wichtige Dokument in ihrem Behälter verstaut und schob den Deckel mit allem Papierkram wieder in den Deckel. Dann prüfte sie noch einmal den Truheninhalt und schloss dann den Deckel. Dann stieg sie auf den Deckel und spannte - so vorsichtig wie davor mit ihrem Dolch - die Schlaufe des Garns wieder über den Abzugshebel und legte den Armbrustbolzen wieder so drauf, wie er auch zuvor lose abzuheben war. Sie atmete durch, sah sich im Raum noch einmal um und fand noch was. Sie wischte die Metallspäne unter ihr mit der Hand auseinander. Danach musste nun entscheiden, wie sie herauskommen würde. Das musste auch sofort geschehen, denn Sekunden entschieden über alles.
Der kurze Blick hinaus zur untergehenden Sonne ließ sie wanken, aber der Mangel an Zeit wieder zurückwanken. Sie holte schnell etwas aus ihrem Dietrich-Etui.
Sie konnte sich jetzt nicht spurenlos etwas basteln, das ihr durch die Fenster half an ein besseres Versteck zu kommen. Nicht bei Tageslicht im Hafen. Selbst wenn sie ins Wasser springen würde oder irgendwie auf das Steg kommen könnte. Sie wäre nicht mehr auf dem Schiff und hatte noch ihre Mission.
Naira schlich schon längst zur Tür und ging in einem Akt höchster Konzentration und kurz vor der Zielgerade an das Türschloss. Innerhalb von Sekunden war es zum vorletzten Mal geknackt. Sie spähte durch den Spalt und zählte bis Eins.
“EINS!”, sagte sie sich mutig im Kopf und schlich durch die Tür, führte sie sofort zu sich, führte den Dietrich hinein, fand den Schieber und hielt die Spannung mit ihrem heutigen Lieblingsdietrich. Die Tür schloss und sie entfernte den Dietrich. Drückte kurz gegen die Tür um sicher zu gehen und schlich so schnell es ging zu den Kisten mit der Wäsche. Ihre Augen blickten in Richtung Deck, wo es immer noch dumpf Worte von Kapitän Ramos zu hören gab. Bevor sie in die Kiste stieg und den Deckel schloss, hörte sie ein lautstarkes >HHAAAAATTSCHHIIIII!< und musste grinsen. Sir Scrachalot war heute ihr geheimer Glücksbringer.
In der Kiste steckte sie den Dietrich wieder ein, grub sich in die Wäsche ein und atmete in diesem Muff aus Schweiß und anderen unangenehmen Gerüchen einfach durch.
Egal was heute noch geschah - sie hatte jede Lektion von Gisla und die Ratschläge von Cassius bisher umsetzen oder gut anwenden können. Auf der Habenseite stand schon jetzt ihr erster, richtiger Einbruch und ihre Beute. Stolz war sie auf sich, aber nicht auf die Art stolz, dass sie sich irgendwas darauf einbildete. Sie hatte mit der Falle Glück, sie hatte trotz allem Hilfe in der ganzen Vorbereitung und währenddessen sogar dank Sir Scrachalot. Ja, selbst die lange Rede und die vorige Inspektion der Mannschaft des Kapitän Ramos waren Teil dieses Erfolgs. In einer anderen, schlechter laufenden Geschichte wäre Ramos nur kurz oben gewesen und sie erwischt worden. Wäre Sir Scrachalot erwischt worden und der Koch hätte vielleicht den Teller auf dem Tisch noch abgeholt oder sie wäre nicht auf die Dinge gekommen, wie sie es tat. Dies war die wirkliche Lektion für die frisch geborene Einbrecherin und Taschendiebin. Glück war eine sich drehende Münze die von einer kampferprobten Straßen-Glückskatze gestoppt wurde.
Geändert von Ornlu (27.11.2024 um 18:39 Uhr)
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Berash hatte am frühen Morgen noch alles, was er nicht mitnehmen wollte, bei einem Pfandleiher gelassen und die Quittung danach weggeworfen. Er besaß nun außer dem Bündel, in welchem das Schwert eingehüllt war, und den Kleidern an seinem Leib nichts mehr, was ihn noch ansatzweise mit der Stadt verband. Und er hatte auch keinerlei Bedürfnis danach, Bakaresh beizeiten wiederzusehen. Für ihn war das Kapitel Varant abgeschlossen, schließlich gab es nichts mehr hier, das ihn noch hielt.
Ravia begrüßte den Assassinen gut gelaunt und begleitete ihn auf das Schiff hinauf. Die Mannschaft selbst war schon mit allerlei Vorbereitungen für die Abreise beschäftigt und wuselte wie ein Ameisenhaufen über das Deck. Für einen Laien wie Berash wirkte es auf den ersten Blick chaotisch und durcheinander, doch schnell erkannte er ein Muster darin.
Jedes Mitglied der Mannschaft hatte seine Aufgabe und ging dieser gewissenhaft nach, ohne sich dabei in die Quere zu kommen.
Während Ravia ihn zum Kapitän führte, wich Berash geschickt den einzelnen Mitgliedern aus, schließlich wollte er keinen schlechten ersten Eindruck hinterlassen und der Mannschaft bereits vor Beginn der Reise im Weg stehen.
Der Kapitän selbst schien, so Berashs erster Eindruck, nicht unbedingt ein Ausbund an Freundlichkeit zu sein. Gut, bei der massigen Gestalt war das wohl auch zu erwarten gewesen. Er war größer als Berash und definitiv auch kräftiger gebaut. Ganz gewiss nicht Dick oder so, aber die Oberarme allein wirkten schon, als würde der dunkle Kerl schon zum Frühstück ganze Rinder stemmen. Und danach verspeisen.
Der bärbeißige Eindruck wurde noch von dem grau melierten Bart unterstrichen, den verschiedenen Tätowierungen und der leicht verkniffenen Miene. Vermutlich wäre Berash nicht einmal ansatzweise auf das Schiff gelassen worden, wenn Ravia nicht für ihn verhandelt hätte.
"Min dawaei sururi 'an 'altaqi bikum." erwiderte Berash auf varantisch, bevor er sich leicht verbeugte und seinen Geldbeutel hervor holte und eine handvoll Münzen heraus nahm.
"Wie ihr seht, ich habe das entsprechende Gold." Er verknotete den Beutel wieder und warf ihn kurzerhand Ravia zu, welche ihn verblüfft auffing. "Es sollte genug für die Überfahrt und Verpflegung sein. Und bevor ihr was sagt, ja, ich werde das gleiche essen wie die Mannschaft und nein, ich erwarte keinerlei Sonderbehandlung. Zeigt mir einfach, wo ich mich am besten aufhalten kann, ohne euch oder eurer Mannschaft im Weg zu stehen und ich werde mich aus allem heraus halten."
Berash nahm sein Bündel in die andere Hand und blickte über das Deck des Schiffes, musterte die Mannschaft.
"Ich werde jedoch keinerlei Händel seitens eurer Mannschaft mit mir dulden. Ich werde keinen Streit mit ihnen suchen oder Anfangen, da könnt ihr gewiss sein. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich mich zu wehren weiß." Berashs Blick wurde kalt und unahbar, als er wieder zurück zum Kapitän schaute.
"Euer Schiff, eure Regeln. Das Wort des Kapitäns ist Gesetz. Und wir beide wollen, dass dies eine entspannte Reise wird. Aber Seeleute sind manchmal etwas übereifrig, da würdet ihr mir gewiss zustimmen. Und ich denke, das sollten wir geklärt haben, bevor das Schiff den Hafen verlässt." Der Assassine zuckte einmal kurz mit den Schultern, bevor seine Miene wieder freundlich wurde und Gelassenheit ausstrahlte.
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Bakaresh - An Bord der Joka La Maji
Ravia musste zugeben, dass sie überrascht war, wie selbstbewusst Berash dem riesigen Torgaaner gegenübertrat, und das zeigte sich in ihrem Gesicht. Seine Worte waren klug gewählt und Arus‘ sehr unhöflichen Worte, die der Weißhaarige wohl nicht verstehen konnte, konterte er mit varantisch, von dem sie beide wohl gerade mal Bruchstücke beherrschten, die kaum über die Begrüßung und „Gebt uns euer Gold!“ hinausgingen.
„Tja, ehm, ich zeige Berash hier dann mal, wo er während der Reise unterkommt und erkläre ihm das Wichtigste, Käpt’n!“, ergriff sie die Initiative, da sie nicht einzuschätzen wusste, wie ihr Baba reagieren würde.
Jetzt nickte er lediglich und brummte: „Mach das!“, bevor er sich abwandte und lauthals über das Deck brüllte: „Klar machen zum Ablegen!“
Die Vorbereitungen waren bereits im vollen Gange und das Kommando war mehr Tradition, als wirklich notwendig, doch es schien die Mannschaft noch weiter zu motivieren. Viele der Matrosen hatten den kurzen Aufenthalt voll ausgekostet und wohl den Rest ihrer letzten Prise versoffen oder verhurt, da sie nun eine weitere in Aussicht hatten. Jeder würde seinen Anteil bekommen, nachdem das Gold noch einmal gezählt und die Kosten für Proviant und die nötigen Reparaturen am Bug, wo die Joka die Handelskogge gerammt hatte, abgezogen wurden. Auch mussten sie den Anteil für die Hinterbliebenen der beim Angriff Gefallenen berücksichtigen und Ravia befürchtete fast, dass die Prise doch nicht so reich ausfallen würde, wie wohl die meisten an Bord vermutete.
„Kommt, Berash, ich führe Euch herum. Da Ihr schon einmal auf einem Schiff wart und wohl eine beträchtliche Zeit in einer Hafenstadt gelebt habt, muss ich wohl nicht erwähnen, dass der riesige Holzpfahl mit dem Tauwerk und den übergroßen Bettlaken der Mast samt Segel ist, nicht wahr?“, scherzte sie etwas unbeholfen, um das Aufeinandertreffen mit dem Kapitän zu überspielen.
Sie konnte kaum fassen, wie neu es sich für sie anfühlte, jemandem das Schiff zu zeigen, der mit ihnen für eine Fahrt lang reisen würde. Nicht, dass sie es nicht schon dutzende Male mit frisch angeheuerten Piraten getan hätte, doch noch nie mit einem Passagier, der nichts über die Handhabung der Segel oder die Einteilung der Wachschichten erfahren musste.
„Die Kombüse ist dort vorn. Jabari ist ein ausgezeichneter Koch, muss ich sagen. Aber nehmt Euch in Acht, wenn er seinen Spezial-Fischtopf kocht. Haltet Euch dann lieber an Zwieback, wenn Ihr keinen starken Magen habt“, warnte sie ihn mit ernster Miene, wobei die Theatralik unmöglich an ihm vorbeigehen konnte, „Stört Euch nicht an den Hühnern, sie sind eine unserer Nahrungsquellen, wenn der Proviant langsam ungenießbar wird.“
Sie führte ihn weiter, duckte sich unter der Schot hindurch, mit der gerade das Rahsegel gehisst wurde. Ihr Blick ging nach oben und sie beobachtete, wie sich das Rigg langsam auffächerte. Auf der Rah standen noch auf jeder Seite jeweils ein Matrose, die kurz zuvor das Segeltuch gelöst hatten.
„Hier durch die Tür geht es hinunter zu den Kojen. Ich habe dafür gesorgt, dass Ihr eine davon für Euch habt. Normalerweise teilen wir uns eine Koje, wenn jemand anderes gerade Wachschicht hat. Aber dank einiger Umstrukturierungen bei der letzten Fahrt, könnt Ihr eine eigene Koje haben.“
Tatsächlich hatte sie ihre eigene Koje aufgegeben, denn eine der Gefallenen war diejenige gewesen, mit der sie sich eben jene geteilt hatte. Sina war eine der Unglücklichen gewesen, die ins Meer gestürzt und ertrunken waren.
„Das hier ist Euer Schlafplatz“, sagte sie und deutete auf das einfache Bett, neben dem noch immer ihre und auch Sinas Truhe standen, „Weiter unten ist der Frachtraum und darunter die Bilge, aber haltet Euch besser fern von Ersterem, sonst landet Ihr womöglich in Zweiterem“, zwinkerte sie ihm zu, „Wenn Ihr fragen habt, ist jetzt die perfekte Gelegenheit“, bot sie an und lehnte sich gegen die dünne Holzwand, während sie ihn offen anlächelte.
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Berash lies sich, nachdem er und der Kapitän die Fronten geklärt hatten, von Ravia das Schiff zeigen. Und erneut stellte der Assassine fest, dass Schiffe schon etwas beonderes waren, wenn man ihren Aufbau genauer betrachtete: Sie waren ein Widerspruch.
Schiffe waren groß, schließlich mussten eine Menge mehr Leute auf ihnen Platz finden als in einem Boot oder Dingi. Gleichzeitig mussten sie stabil gebaut sein, damit sie über das offene Meer reisen konnten, Piraten abwehren und Stürme und Unwetter aushalten. So weit, so verständlich. Aber der Widerspruch war, dass trotz ihrer Größe die Mannschaft sich oftmals auf engstem Raum bewegte und es kaum Privatssphäre gab. Selbst die höheren Ränge mussten sich ihre Unterkunft teilen. Des Weiteren war ein ziemlich großer Teil eines Schiffs oftmals leerer Raum, gerade bei Handelsschiffen. Dieser musste natürlich gefüllt werden.
Und Stabilität brachte einem nicht viel, wenn man langsamer war als ein Waran Nachts in der Wüste. Also durften sie nicht zu stabil gebaut sein, schließlich mussten sie schnell segeln können. Was Berash zum nächsten Widerspruch brachte: Je größer das Schiff, desto größer und zahlreicher wurden auch die Segel, damit es sich überhaupt vom Fleck bewegen konnte.
All das brachte den Assassinen aber schlussendlich auch nur zu einem Punkt: Er verstand nicht genug von nautischen Dingen und konnte schon froh darüber sein, dass er sagen konnte, was Back- und Steuerbord waren.
Den schwachen Scherz der jungen Frau speiste er nur mit einem müden Lächeln ab. Sie wusste vermutlich selber, wie lahm der Witz gewesen war. Vielleicht hoffte Ravia einfach so die Wogen zwischen Berash und Arus etwas zu glätten (ha! noch ein nautischer Begriff, den er kannte!) damit es nicht zu Spannungen kam.
Berash hatte auch nicht vor irgendwelche Spannungen hervor zu rufen, schließlich wusste er wie schnell eine gut funktionierende Mannschaft durcheinander gebracht werden konnte, wenn jemand ohne Ahnung dazwischen funkte. Er mochte einfach nur klare Tatsachen und genau so schätzte er den Kapitän des Schiffes ein.
Mit manchen Menschen konnte man stundenlang reden ohne etwas zu sagen, während andere das genaue Gegenteil bevorzugten.
Als ihm Ravia seine Koje gezeigt hatte, schob Berash sein Bündel unter das Bett und verkantete es, damit es nicht durch die Gegend rutschte, dann nahm er auf dem einfachen Bett Platz.
Ravia, die sich an die dünne Wand lehnte, wirkte aufgeregt und schien sich auf die Reise zu freuen. Und sie schien mehr zu sein als eine einfache Matrosin, schließlich durfte sie ihm das Schiff zeigen und alles erklären, während der größte Teil der Mannschaft das Schiff bereit machte. Ob sie wohl zu den Offizieren gehörte? Und hatte sie sich diese Stellung erarbeitet oder war sie ihr gegeben worden, weil ihr Ziehvater (Ein Musterexemplar eines Torgaaners) zufällig Kapitän des Schiffes war? Berash vermutete ersteres. Arus wirkte nicht wie jemand, der Vetternwirtschaft betrieb.
"Oh, keine Sorge. Ich werde mich von eurem Lagerraum fern halten, schließlich habe ich eurem Kapitän ja versprochen, keinen Streit anzufangen." Aber er würde ihn beenden, sollte er dazu gezwungen werden, dachte Berash für sich.
"Wie lange werden wir eurer Meinung nach brauchen? Und wo kann ich mich an Deck am besten aufhalten, damit ich niemandem im Weg stehe? Und bitte sagt jetzt nicht 'bei den Hühnern', denn das ewige Gegacker würde mich irgendwann in den Wahnsinn treiben."
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