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"Weißt du, du hattest auch schon mal bessere Ideen, mein Lieber." Berash schüttelte den Kopf. "Was hat dich eigentlich geritten, dass du allein in die Kasbah eindringen wolltest, hm? War es deine dämliche Vision, beziehungsweise dein komischer Fiebertraum, den du hattest?"
Wieder schüttelte Berash den Kopf und antwortete verdrossen: "Das war ein Zeichen! egal was du sagst. Und guck dir an, was es mir gebracht hat!" Der frühere Emir zog das silberne Amulett in Form eines Rabenschädels unter seiner Kleidung vor. Und während dies nun offen vor seiner Brust baumelte, zog er das dunkle Langschwert aus seinem Gürtel und hob dies entgegen.
"Und das sollen keine Zeichen sein?!" Fauchte er ätzend. "Allein dafür hat es sich gelohnt!" Er spuckte aus, bevor er die Sachen wieder verstaute.
"Uiii, ein Schwert und ein Anhänger." wurde sarkastisch geantwortet. "Sowas bekommt man ja auch nicht auf jedem belieben Marktplatz. Oder bei einem Goldschmied. Oh, oder wie wäre es mit diesem neumodischen Kram, die sich Waffenschmiede nennt? Das ist der neueste Schrei, hab ich gehört!" Die Worte troffen förmlich vor Zynismus und Spott.
Berash rieb sich den Kopf. Er hatte furchtbare Kopfschmerzen, seit er aus der Kasbah zurück in die Katakomben geflohen war. Und mittlerweile auch ne ziemliche Beule von seinem halben Sturz den Fluchtschacht hinunter. Und überhaupt tat ihm alles weh. Wenn es nicht so verflucht dunkel gewesen wäre, dann würde er seinen Körper vermutlich in allen Farben schimmern sehen können.
Doch nichts davon hielt ihn davon ab, wutentbrannt aufzufahren. Niemand redete so mit ihm!
"Du hälst dich für so schlau, hm? Was hast du denn beigetragen außer rumzumotzen und alles mies zu machen, was ich geschafft hab?!" schrie er zurück, während seine Stimme im dunklen verhallte. "Ich hab ein Zeichen gesetzt! jetzt wissen diese Narren, dass ihre... nein, MEINE Kasbah nicht sicher ist. Ich hab sie an der Nase herum geführt. Hab ihnen am hellichten Tag..." Berash brach ab. War es überhaupt Tag gewesen, als er in der Kasbah war? Oder war er Nachts eingedrungen? Egal. Er griff den verlorenen Faden wieder auf.
"Wo war ich? Genau. Am hellichten Tag bin ich da rein. Hab Wachmänner überwältigt, das verlorene Heiligtum enthüllt und dieses Schwert gestohlen, bevor ich meinen Weg hinaus gefochten habe! Mit diesem Schwert!" Er griff sich erneut die Waffe und fuchtelte damit vor sich herum.
"Und wo hab ich es gefunden? Genau. Im Heiligtum. Beliar selbst muss es mir als Zeichen gesandt haben. Das ist bestimmt eines seiner Artefakte, wie damals seine Klaue. Götter, waren wir mächtig damals. Meister der Schatten, Emir der Assassinen UND Träger seiner Klaue! Und ich werde es wieder sein. Und das Schwert hier wird mir dabei helfen!" Trotzig verschränkte der Assassine die Arme vor der Brust, während er mit Überzeugung sprach. Doch die gehässige Antwort lies nicht lange auf sich warten.
"Die Klaue? Du meinst die Klaue Beliars, welche dir fast den Verstand entrissen hat und du von einem der Schwarzmagier des Kastells geheilt werden musstest? Diese Klaue Beliars?" Ein angewidertes Schnauben ertönte.
"Erzähl doch keinen Mist. Noch etwas länger und die Klaue hätte dir das letzte bisschen von deinem Verstand geraubt. Oder hatte sie das vielleicht schon? Nach der Aktion heute kann ich mir das gut vorstellen." wurde höhnisch hinzu gefügt.
"Und du zählst all deine Erfolge auf, als würden sie noch was bedeuten! Meister der Schatten? Das ich nicht lache! Den Titel hast du zusammen mit Emir in dem Moment verloren, als du feige aus Bakaresh verschwunden bist. Und ich würde eher sagen, dass du ein Opfer der Klaue warst. Und guck dir dein tolles Schwert jetzt doch an! Da ist nichts besonderes dran. Das ist ein stinknormales Langschwert. Gut, es sieht vielleicht etwas besonders aus, aber das war es auch schon! Das ist kein magisches Artefakt oder sowas. Es ist einfach nur ne Waffe!"
"Ist mir Scheißegal!" schrie Berash zurück. "Das ist das einzige, was ich neben dem Amulett aus der Kasbah retten konnte! Und du wirst mir das nicht mies machen, du Wichser!" Wütend begann der Assassine damit durch das Sammelsurium der geplünderten Kisten zu wühlen, welches er in den Schacht geworfen hatte. Wenn es wenigstens nicht so verdammt finster wäre!
Berash hasste es, dass er nicht daran gedacht hatte, eine Fackel oder eine Lampe mitgehen zu lassen! Dann würde er jetzt nicht hier im Dunkeln sitzen müssen und sich, während er versuchte etwas brauchbares zu finden, diese widerlichen Worte anhören müssen. Als wenn er das alles nicht selber wüsste!
Plötzlich war da wieder der Geruch von verbranntem Zucker in seiner Nase und ein leichtes Schwindelgefühl. Und für einen kurzen Moment, gleich einem Blinzeln, war der Raum hell erleuchtet. Eine leuchtende Kugel erschien in der Mitte des Raumes und zeigte den leeren Raum und das ganze wilde Durcheinander, welches um Berash herum verteilt lag.
"Was zum..." keuchte der Assassine, als das Licht wieder verschwunden war und nur grelle Nachbilder auf seinen Augen hinterlassen hatte.
Berash versuchte sie wegzublinzeln, während ihm Tränen in die Augen schossen. Was war da gerade passiert? Woher war dieses Licht so plötzlich gekommen? Und warum hatte alles wieder in diesem verschmutzten Regenbogenschimmer geglänzt wie ein ausgelaufener Ölfilm?
Wenn die Nachbilder auf seinen Augen nicht wären, dann hätte er es als Trugbild abgetan, hervorgerufen durch Erschöpfung und die Kopfverletzung vom Sturz. Doch so?
"Na ganz toll." Murrte es wieder. "Was hast du jetzt wieder angestellt, hm?" Unsicher schüttelte Berash den Kopf. Beliar sei Dank war er alleine hier, so dass niemand mitbekam wie der Assassine mit sich selbst redete. Manchmal half es einfach, wenn der innere Monolog zu einem äußeren Dialog mit sich selber wurde.
Dabei musste es für einen unsichtbaren Beobachter eher so wirken, als würde Berash langsam wahnsinnig werden, wenn er schon mit sich selber redete. Doch das war Berash sicher nicht.
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Vengard
»Das Licht ist die Grundlage unserer Magie. Es ist Kern und Ausprägung dessen was wir repräsentieren. Das Licht wird zum Schild gegen unsere Feinde und wehrt Schaden von uns ab. Das Licht erhellt unsere Wahrnehmung und lässt uns die Gefahr für uns erkennen. Das Licht schürt unseren gerechten Zorn und lässt uns über uns hinauswachsen. Das Licht gebündelt ist ein Geschoss gegen unsere Feinde und das Licht dringt in unseren Körper ein um uns zu heilen. Ohne das Licht gibt es keine Magie. Wir sind die Diener des Lichts und ohne, dass du das Licht herbeizurufen vermagst wirst du die Magie niemals fühlen, geschweige denn nutzen können«, hatte Thordir dem Weißhaarigen mitgegeben. Die Worte hallten wie eine Mahnung in seinem Kopf wider. Wenn es ihm also nicht gelang das Licht zu rufen, dann würde es ihm niemals gelingen die Macht des Feuerkelches für sich zu nutzen. Er seufzte. In den Worten des alten Paladins hörte es sich so einfach an. Doch für ihn war es nicht einfach. Im Gegenteil mit seiner Geschichte und der Dualität der Mächte in ihm was es eine gewaltige Herausforderung.
Seufzend drehte er zum gefühlten eintausensten Male das Kris um und legte es auf die andere Seite. Er hatte einige Zeit zugebilligt bekommen, die er für seine Übungen nutzen sollte und doch war das Einzige was er bisher zustanden gebracht hatte an diesem Tisch in seinem Zimmer zu sitzen und die Waffe immer wieder umzudrehen. Es war ein Trauerspiel. Er konnte die Dunkelheit kraft der Obskuromantie in andere Richtungen drängen, doch Licht erzeugen funktionierte nicht. Er wusste überhaupt nicht wie das gehen sollte. Es schien so anders zu sein. Die Schatten waren mit ihm verschmolzen und er hatte intuitiv gewusst, was er tun sollte. Doch jetzt fühlte er sich so ratlos wie ein dreijähriges Kind was vor einen Almanach gesetzt wurde ohne Lesen zu können. Wahrscheinlich auch ohne Jemanden der ihm das Lesen beibringen konnte, denn die Schrift die er lesen musste verstand Niemand. Die anderen Paladine zogen ihre Macht aus ihrem Glauben und der Gewissheit, dass Innos’ mit ihnen war. Das sein Wille der Ihre werden musste. Das sie seine Schwerter waren im Kampf für das was sie als gerecht ansahen. Leider barg seine Biographie da deutliche Widersprüche zu diesem Anspruch. Sein Glauben wankte nicht nur, er hatte sich glatt beiden Extremen zugewandt. »Verflucht«, meinte er und warf entnervt den Kelch, aus dem er noch zuvor getrunken hatte und der seinen Inhalt mittlerweile vermissen lies einmal kräftig durchs Zimmer. Es schepperte kurz an der steinernen Mauer und am Boden. Dann verstummte das Geräusch. Es würde irgendwann werden. Hoffentlich.
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Unter Bakaresh
"Also, was haben wir hier..." murmelte Berash leise vor sich hin, während er mit den Händen durch die bisherigen Gegenstände wühlte. Er hatte die letzte halbe Stunde damit verbracht, den Raum zu durchkriechen und alle Gegenstände, die hier verteilt worden waren, zu sammeln und grob zu sortieren. Soweit es eben in Dunkelheit möglich war.
Mittlerweile hatte er mehrere "Haufen" zusammen geschoben. Da waren Sachen, die sich fest und holzig anfühlten, dann nur fest, Stoff und zum Schluss alles andere.
Vielleicht konnte er damit eine grobe Fackel improvisieren. Zwar hatte er außer Stoff keinen wirklichen Brennstoff, aber das würde ihm zumindest helfen etwas zu sehen.
Doch er war nicht ganz bei der Sache, musste er gestehen. Noch immer beschäftigte ihn das plötzlich auftauchende Licht, welches ihn für einen Moment geblendet hatte. Woher war es gekommen? und warum so schnell wieder verschwunden? Und was hatte der Geruch von verbranntem Zucker damit zu tun gehabt?
Das erste Mal hatte er diesen Geruch in der Kasbah wahrgenommen, als ihm plötzlich so übel geworden war. Doch da war er in einer bedenklichen Verfassung gewesen und hatte es damit abgetan, dass er einfach erschöpft und voller Adrenalin gewesen war. Doch beim zweiten Mal war er ruhig gewesen.
Gut, er hatte sich mit sich selbst gestritten und war dabei ziemlich in Rage geraten, doch das war kein Vergleich zu der vorherigen Situation gewesen. Außerdem war ihm diese Kugel aus reinem Licht bekannt vorgekommen. Irgendwo in seiner Vergangenheit hatte er so etwas ähnliches schon einmal gesehen. Doch er konnte nicht genau sagen, wann oder wo es gewesen war.
Hing diese Kugel vielleicht mit seinem neuen Schwert zusammen? Möglicherweise war es aber auch dieser seltsame Anhänger, welchen er in der Kasbah gefunden hatte. Doch beide Gegenstände wirkten nicht, als würden sie überhaupt nur einen einzigen Funken Magie besitzen. Sicher, Berash war kein Experte, was das anging, doch im Gegensatz zu anderen Menschen hatte er zumindest schon einmal ein verzaubertes Schwert besessen. Oder es ihn, je nachdem, wie man es betrachten wollte.
Doch weder das Schwert noch der Anhänger gaben ihm das gleiche Gefühl wie die Klaue Beliars damals. Und wenn man das als Referenz nahm, dann kam er trotzdem nicht auf ein aussagekräftiges Ergebnis.
Er riss sich von dem Gedanken los und konzentrierte sich wieder auf die Gegenstände vor ihm. Er hatte ein längliches Brett dabei gefunden, zumindest fühlte es sich danach an. Wenn er den gestohlenen Wappenrock von seiner geklauten Uniform nehmen würde und in Streifen schnitt, könnte er damit vielleicht eine Fackel improvisieren. Schließlich hatte er noch seinen Feuerstahl.
Also tat Berash genau das. Nachdem er den Wappenrock ausgezogen und mit dem Schwert in Streifen geschnitten hatte, wickelte er mehrere um das vermutete Holzbrett. Und dann machte er sich daran Funken zu schlagen. Da er keinen Zunder hatte, würde es jedoch eine Weile dauern.
Und so saß er nun im Dunkeln und schlug Funken mit dem Stahl. Immer wieder wurde die Dunkelheit kurz unterbrochen durch kleine Funkenblitze, die zumindest in die korrekte Richtung flogen. Doch bis der Wappenrock auch nur glühte würde es noch dauern.
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Gebirge nordwestlich von Mora Sul - Das Höhlensystem
Testweise schwang Jaleel eines der Schwerter durch die Höhle. Er hatte nie gelernt mit Waffen umzugehen, lediglich kopiert, was er bei Arenakämpfern gesehen hatte. Die Haltung, die Abfolge von Hieben und Abwehr, doch eine Darbietung war etwas anderes, als ein richtiger Kampf und selbst jetzt, wo er nur für sich war, stellte er fest, dass er sich in keiner Weise mit Naima, Sahar oder einem der anderen vergleichen konnte. Als Amateur könnte man ihn bezeichnen, der es schaffte, sich nicht selbst mit der geführten Waffe zu verletzen.
Auch sein Wissen um Beschaffenheit und Balance eines Schwertes war kaum nennenswert, denn er hatte nur damit in der Arena antreten können, was man ihm gegeben hatte. Allein von der Art der Lagerung und der offensichtlichen Masse an Waffen, die hier gelagert wurden, konnte er jedoch annehmen, dass es sich bei den Klingen um minderwertige Ware handelte. So oder so würde er dem Befehl der Liva folgeleisten.
Das Schwert samt Scheide an seinem Gürtel befestigt, trat er wieder in den Hauptraum mit dem Kristallsee. Jabir saß noch immer bei Fahims Leiche und Sahar schaute mit steinerner Miene auf das stille Wasser hinaus. Die anderen waren wohl noch dabei nach Nützlichem zu suchen, doch Jal war sich fast sicher, dass sie nichts finden würden. Viel mehr interessierte ihn hingegen, was es mit dem Rest des Kristalls in dem Gewölbe, welches sich unter dieser Höhle befinden musste, auf sich hatte. Das Bruchstück, welches er unter Einsatz seines Lebens erbeutet hatte, ruhte in seiner Reisetasche und er musste sich zurückhalten, um es nicht hervorzuholen. Dann war da noch diese seltsame Kristallspinne, welche ihn beinahe das Blut in den Adern gefrieren hatte lassen. Wenn er an diesen Ort zurückkehrte, würde er sich dafür etwas einfallen lassen müssen.
Zurückkehren?, fragte er sich überrascht.
Unbewusst hatte er wohl bereits die Entscheidung gefällt, dass es nicht das letzte Mal gewesen war, dass er diesen unglaublichen Kristallberg zu Gesicht bekommen hatte. Doch bis zu einem weiteren Mal würde er jemanden finden müssen, der ihm beim Entschlüsseln der Geheimnisse helfen könnte.
Naima stieß als nächstes zu ihnen und kam wie erwartet mit leeren Händen wieder, was die kleine Blondine aber wohl nicht weiter verstimmte. Viel mehr erwartete sie wohl, dass sie bald diese Höhlen würden verlassen können. Doch die Aura, mit welche Sahar sich umgab, hielt sie wohl davon ab, direkt zu fragen, ob sie bereits zu einer Entscheidung gekommen war. Unwillkürlich gesellte sie sich zu, Chronisten und musterte das Schwert an seiner Hüfte.
„Steht dir“, grinste sie, der Unmut von vorher wie weggeblasen.
„Ich weiß nicht“, gab er unsicher zurück.
„Das spitze Ende in die Feinde stechen“, riet sie ihm mit einem frechen Grinsen und vollführte einen Stich mit einer imaginären Waffe aus.
„Danke für den Tipp“, erwiderte Jaleel trocken, was sie mit einem weiteren Grinsen und Schulterzucken quittierte.
„Wie ich es hasse, dass er Recht behält“, hörten sie das Echo vom Gemurmel der Anführerin und schauten auf, als sie sich zu ihnen wandte, „Wir warten auf die anderen und wenn sie nicht etwas Besonderes gefunden haben, machen wir uns nach einer kurzen Rast auf den Rückweg“, ließ sie verlauten.
„Den Göttern sei Dank“, meinte Naima und war offensichtlich erleichtert, dass sie bald wieder an frischer Luft sein würde.
Tatsächlich ließen die anderen nicht mehr lange auf sich warten und keiner von ihnen hatte etwas Brauchbares vorzuweisen. Die Zeit bis zum Aufbruch verbrachte jeder auf seine eigene Weise. Fahim würden sie wohl nicht mitnehmen können, weshalb Soraya und Jabir leise miteinander berieten, wie sie mit der Leiche verfahren sollten. Schlussendlich nutzten sie das alte Holz der Kisten dafür, um ihn an Ort und Stelle mit dem Feuer einer Fackel zu verbrennen. Noch während die Flammen an seinem Körper züngelten, brachen sie auf mit keinen nennenswerten Erfolgen und in Jaleels Fall mit einem großen Fundus an neuen Fragen, um die seine Gedanken kreisten. Zahira, der Kristall, die spinnenartige Kreatur und das Symbol auf den Steinstatuen.
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Vengard
»Eine nicht zu verachtende Gefahr geht tatsächlich von potentiellen Gespielinnen des Monarchen aus. Wenn er sich die Falsche aussuchte oder es eine Dame gar gelänge das Herz des Königs zu erobern, so müssten wir dringend handeln«, fuhr Daelon in seiner elenden Litanei der Irrungen und Verwirrung im myrtanischen Reich fort. Da die Berieslung erneut schon einige Zeit andauerte war der Weißhaarige wieder dazu übergegangen nach draußen zu schauen, wo das Mondlicht sanft auf den Balkon fiel.
»Es wäre nicht überblickbar was das wohl für die Stabilität des Reiches bedeuten würde. Beziehungen verändern Menschen und Verstrickungen in andere einflussreiche Familien würde alles für uns deutlich schwieriger machen«
»Habt ihr denn bislang etwas in der Richtung bereits in Erfahrung bringen können?«, fragte der Streiter, während er sich erhob und auf den Balkon hinaustrat, auf den ihm der Aristrokrat folgte.
»Nun. Zumindest nicht direkt. Es gab Gerüchte. Bislang gab es keine Anzeichen! Aber das ist es was wir tun müssen. Eventualitäten überdenken. Informationen heranziehen. Wir dienen dem Reich. Nichts ist wichtiger.«
»Das sehe ich natürlich auch so. Nur vielleicht beschäftigen wir uns zunächst mit den Eventualitäten, die realistischer sind«, schlug DraconiZ vor und erntete nur einen vernichtenden Blick.
»Natürlich sollten wir es einordnen. Sonst kommen wir nirgendwohin. Allerdings müssen wir dazu erst einmal alles aufgezählt haben, bevor wir ordnen können. Deshalb verwende ich so viel Zeit. Um dir Wissen und Überblick zu bieten«
»Natürlich. Dafür bin ich sehr dankbar«. War der Klingenmeister wirklich. Nur hätte ihm auch die Kurzfassung gereicht. Wie sollte er sich nur so viel merken? Es würde mit der Zeit kommen und die Vorgehensweise ihm alles hineinzupressen war vielleicht nicht die eleganteste. Er war dennoch galant genug um seinem Onkel das nicht auf die Nase zu binden.
»Zurück zum Thema: Elyndra Draegoria hat schon einmal Avancen in Richtung des Königs gehabt. Diese Schlange. Nunja es hat seine Majestät kalt gelassen, aber das wäre sicherlich ein sehr herber Rückschlag, wenn dort eine Verbindung zustande käme«
»Ich unterstütze dich natürlich darin, wenn Rhobar mir irgendwann einmal seine Aufmerksamkeit schenkt«
»Das ist gut. Wir werden uns um sie kümmern müssen. Sie war mir schon vorher nicht wohlgesonnen. Ihre letzten Handlungen waren fast unverhohlen feindselig. Sie fordert unser Haus heraus«
»Silber. Nicht Gold«, meinte der Weißhaarige und schaute fasziniert auf seine Hand die vom Mondlicht angeschienen wurde.
»Silber? Nunja sicherlich. Sie ist eher Silber als Gold, wenn du Gold für den Kronrat hälst.«
»Das Licht fällt auf ein dunkles Objekt und wird dann etwas Neues. Etwas völlig Anderes. Das ist es. Kein Zwielicht. Kein Wechsel von Nacht und Tag. Das Licht bei Dunkelheit. Mondlicht«
»Erm«, meinte Daelon und schaute nun, selbstredend immer noch lächelnd, etwas verwirrt drein, was seinem Gesicht etwas Groteskes verlieh. »Hast du dich am Sumpfkraut bedient? Ich meine ich muss mich ebenfalls bekennen da nicht unbedingt abgeneigt zu sein«
»Die Mutter ist das Mysterium das die Götter wollen, aber nicht haben können. Wichtig für den Kreislauf, aber doch irgendwie außerhalb. Wie der Mond die Fluten lenkt und Einfluss hat. Das muss es sein!«. Er nahm Valien zur Hand und zog es blank, was seinen Onkel einige Schritte nach hinten gehen lies. Es glitzerte silbern im Mondlicht.
»Draco...?«, versuchte es Daelon leise und mit Vernunft. Der Streiter gab die Waffe dem Aristokraten in die Hand, welcher noch verwirrter drein schaute.
»Fiat lunae lucem!«, eine kleine Lichtkugel begann über der Hand des Paladins zu schweben. Sie schimmerte silbern und mysteriös. So wie ein Miniaturmond.
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Kap Dun - Schwarze Perle (5. Tag, Mittagszeit)
Die Schwarze Perle war eine Lokalität ganz nach Nairas Geschmack. Rustikal, ein wenig schmuddelig und fast schon zu liebevoll für eine Hafenkneipe gestaltet.
Da hingen an der Decke Fischernetze auf denen allerhand Seefahrer-Tand lag und ein schwarzes Segel, das seine beste Zeit schon hatte. Ja, sogar ein schwarzes Ruderboot hing da zwischen zwei Balken und zu gern hätte Naira gewusst, ob sich etwas im Boot befand.
Ein großer Anker hing an einer Wand und wurde von mit Sicherheit nicht vererbten Kerzenleuchtern aus Bronze beleuchtet. Während an einer weiteren Wand sich Ruder kreuzten und auf kleinen Brettern unzählige, nautische Instrumente sorgsam positioniert worden waren. Ein Sextant, Fernrohre und weitere Dinge, die sie so als Unwissende nicht benennen konnte.
Jemand hatte sich sogar die Mühe gemacht, eine Wand komplett hell zu streichen, um die komplette, bekannte Welt mit Holzkohle darauf einzuzeichnen.
Naira staunte selbst, über die Karte und ihre Details. Sie prägte sich möglichst viel davon ein. Der Künstler saß bestimmt einige Tage daran.
Am meisten Eindruck schindete jedoch die lange Theke. Auf und in den Regalen lagerten nicht wie üblich zwei, drei Fässchen Bier, Wein und wenige Spirituosen. Hier jedoch gab es unzählige Flaschen und kleine, handliche Fässer. Alkohol aus aller Herren Ländern. Wein aus Archolos, Nebelgeist aus Nordmar, sechs myrtanische Biersorten, mehrere Weinsorten aus Varant und Süd-Myrtana, Kräuterbier aus Silden, khorinischer Selbstgebrannter und argaanischer Apfelwein und Obstbrand. Torgaanischer Rum und Reisschnaps des östlichen Archipels. Chani hatte ihr alles vorgestellt und wäre nicht Gisla und vor allem Corazon die ihre Schätze hier mit solch einem Stolz bewachte, dann hätten die beiden jungen Frauen sich querbeet durch alles probiert. Doch dafür fehlte ihnen auch das Kleingeld. Myrtanischer Kram war ja noch erschwinglich, aber alles aus Übersee konnte sich Naira nicht leisten. Nicht als einfaches Mädchen aus dem Waldvolk.
“Seemänner sind Träumer. In jedem Hafen trinken sie aufs Glück, die Liebe und Abenteuer. Einen Ort zu haben, wo sie alte Erinnerungen aufleben lassen können…das war mein Traum, Mädchen. Sie lassen gerne ihre Heuer hier und ich kann den ganzen Fusel importieren lassen. Ich verkaufe ihnen ihre Träume und Erinnerungen! HA!”, erzählte Corazon mit ihrer melodischen, warmen Stimme. Sie war Südländerin. Eine halbe Torgaanerin wie sie sagte und die Tochter eines hohen Tiers von Argaan. Ein Adliger der alles anspringen durfte, was nicht bei Drei auf einem Schiff weg von Argaan war. Mehr wollte sie aber nicht erzählen. Ihr gutes Recht. Genauso wie sie Naira sehr seltsam anblickte, als sie mehr über sie und Gisla wissen wollte. Was da vorgefallen wäre.
“Mädchen…durch welchen Schmugglertunnel sind wir zusammen gekrochen? Also frag nicht sowas! Willst du was trinken?”, fragte die Wirtin.
“Kräuterbier aus Silden. Hast du das direkt von Aidar?”, fragte die Dunkelhaarige.
“Sicher… - der Alte weiß wie man es braut. Bist also eine Kennerin, heh? Trinkst es gern wie dieses Völkchen?”, fragte Corazon und zapfte einen Krug.
“Völkchen? Durch welchen Wald sind wir gerannt, dass ich dir was von Völkerkunde erzähle, Corazon? Frag ein junges Mädchen doch nicht sowas. Ich mag es nur herb.”, sagte Naira mit einem Funkeln in den Augen und leichten Schmunzeln. Corazon offenbarte ihre perlweißen Zähne, bei denen ein Eckzahn aus Gold war.
“Herb? Probier mal den Kräuterteufel! Eine Kräuterhexe aus Khorinis hat ihn mir verkauft. Beste Kräuter, Honig und mehrfach destilliert. Danach wachsen dir Kräuter aus den Ohren. Ich lade dich darauf ein. Alles andere zahlst du, Mädchen.”, sagte Corazon und füllte ein Schnapsglas halb voll für Naira und für sich auf.
“Auf das Völkchen.”
“Auf die Schwarze Perle! Mir gefällt es hier, Corazon.”, sagte Naira und beide stießen an. Mit einem Zug war der Kräuterteufel weg und brannte sich seinen Weg durch Nairas Kehle. Sie hustete auf, schüttelte sich und verzog das Gesicht, weil es abartig bitter und doch honigsüß war. Corazon lachte auf und schob Naira ihr Bier zu.
“Das ist herb…puhhh.”, sagte sie und spülte mit dem doch angenehm herben Kräuterbier nach. Dann legte sie ein Silberstück auf den Tresen und nickte Corazon zu.
“Machst du etwa mein Mädchen betrunken?”, fragte Gisla und setzte sich dazu. Sie zeigte auf eine bauchige Flasche und Corazon machte sich an die Arbeit. Heißes Wasser, ein kleiner Löffel Honig, eine Scheibe Zitrone und dann ein großer Schluck aus der bauchige Flasche. Zum Ende zupfte sie etwas von einer Art Rinde ab und verrührte es ordentlich. Gisla zahlte mit einem Goldstück und roch erst daran. Dann ließ sie Naira dran riechen und die wunderte sich was das war.
“Heißer Grog. Ich rieche Rum und Zitrone. Aber was ist diese Rinde?”, fragte die Taschendiebin.
“Torgaaischer Zimt.”, meinte Gisla.
“Genau gesagt ist das nicht der Torgaanische. Der hier kommt aus Sendar auf Korshaan. Etwas milder und deswegen besser für Vieles. Das muss man wissen.”, meinte Corazon und band sich das lockige Haar zusammen.
“Das muss man wissen…”, tönte Gisla und warf gedanklich mit Messern nach der Wirtin. Zumindest deutete Naira das aus Gislas Blick. Corazon erwiderte mit einem Zwinkern und einem siegesgewissen Grinsen.
Dann bekam Corazon Kundschaft oder besser jemanden der sie darum bat unter vier Augen zu sprechen.
“Lass dich bloß nicht abfüllen, Naira. Am Ende schuldest du ihr was. Sie kann sehr ungemütlich werden. Piraten sind alle nett und spendabel, bis du ihnen was schuldest. Merk dir das.”, mahnte Gisla und nahm einen Schluck vom Grog. Den brauchte sie wohl heute bei dem nass-kalten Wetter.
“Verallgemeinerst du nicht etwas? Das wäre ja so wie alle unseres Volkes laufen durch Wälder und sprechen mit Tieren.”
“Gut! Corazon ist nett und spendabel, bis du ihr was schuldest. Merk dir das. - Hast du auch so schlecht geschlafen? Heute morgen warst du sehr ruhig.”, meinte Gisla. Naira nickte und nahm einen Schluck ihres Bieres.
“Ich hatte schlecht geträumt und lag dann lange wach. Der Wetterumschwung? Samhain ist nah.”
“Vielleicht. Ich schlafe allgemein schlecht, wenn Vollmond ist. Aber dieser Vollmond war anders. Selbst Eskiel war unruhig und hat irgendwas in der Ferne schleichen sehen. Er ließ mich vorhin wissen, dass es sehr viele Wölfe waren und die in Ardea Vieh gerissen haben. Wieso auch immer zu diesem Vollmond.”
“Wölfe? Ok. Ich dachte die Myrtaner zahlen gut für tote Wölfe und deswegen gäbe es hier nicht mehr so viele. Wie ging es Bhor heute morgen?”, fragte sie und lenkte vom Thema ab. Was sie geträumt hatte, wollte sie für sich behalten. Ihr Traum war zu düster. Mit einem fremden Schatten der sie still beobachtete und ihrer Familie, die allesamt an einem Baum aufgeknüpft waren. Sie, die auch gehängt wurde und dann als Erlösung von einem Pfeil ins Herz getroffen wurde. Nein, das war zu furchtbar. Als sie dann aus dem Traum aufschreckte, hörte sie Wolfsgeheul, konnte es aber nicht als Wolfsgeheul wahrnehmen, da der Traum so grausam und nah war, dass sie erst einmal aufhören musste zu weinen und sich vergewisserte, dass es allen gut ging. Erst später, kurz bevor sie wieder einschlief, hatte sie beim Anblick des Mondes sofort Wölfe im Sinn und…Blut.
“Dachten viele. Ist aber nicht so einfach und das ist gut so. In Nordmar respektieren wir die Wölfe und das sie Teil des Landes sind. Ohne sie ist Nordmar nicht dasselbe. - Bhor ging es heute morgen gut. Jammerte über Kopfschmerzen. Ich habe Bhor dann was von richtigen Schmerzen erzählt, als ich seine Söhne zur Welt brachte. Danach hielt er die Klappe und hat mit Danzo wohl geübt. Ich habe Bhor immer gesagt, dass er Alkohol nicht so gut verträgt. Aber wer nicht hören will…”, erzählte sie und nippte wieder am heißen Grog.
“Was ist der Plan?”, fragte Naira direkt.
“Chani hat dir sicher schon euer Zimmer gezeigt. Heute Abend sind keine Kämpfe für Danzo angesagt. Ein paar Fragen wo er steckt sind dann doch ganz gut. Wie wird deine Tarnung ausschauen?”, fragte Gisla.
“Ich glaube als Bettlerin wird das nichts. Bei den Kämpfen haben alle Gold und die Leute sind geladen…angespannt. Wollen Kämpfe sehen. Nicht irgendwelche Bettler, die dort nerven. Nein, ich muss ganz natürlich in diese Menge passen und nicht weiter auffallen. Und dann schaue ich, wie ich mit Lasse ins Gespräch komme. Vielleicht über Pferde? - Achja. Ich brauche Lederkleidung. Zumindest Hosen und eine passende Bluse denke ich. Vielleicht einen Mantel?”, sagte Naira und überlegte noch.
“Wen willst du spielen? Eine Piratin? Dann brauchst du eine Waffe. Aber ich würde es dir nicht abnehmen und du bist noch nie zu See gefahren. Nein, Naira. Ich denke du wirst ganz gut als Handelsreisende durchkommen. Reisekleidung, einige lockere Münzen und vielleicht ein schicker Hut?”, meinte Gisla und deutete an welcher Hut es sein sollte.
“Ja…gute Idee. Ich habe an eine Diebin, an eine Kriminelle gedacht, die sich Schatten oder sowas nennt. Schwarzes Haar, provokant und ein wenig großmäulig bei den Wetten. Aber eine offensichtliche Diebin ist nicht immer gut. Vor allem, wenn dort Leute sind, deren Beruf es ist, Diebe zu fassen. Auch wenn sie für den Moment dann auf derselben Seite sind. Also eine Handelsreisende. Reisekleidung. Schmutzige Stiefel, Lederhosen, eine Bluse und einen Reisemantel. Offensichtlich eine Geldkatze um den dicken Gürtel und mein schöner Hut. Das Haar…”, überlegte sie.
“Wenn wir wüssten was Lasse bevorzugt.”
“Bhor sagt immer das Glück kommt von Adanos. Außerdem hab ich doch genug Charme. In meiner Ledertasche hab ich ein paar Dinge. Greif rein und diese Farbe wird es.”, meinte die Taschendiebin und hielt die Tasche vor.
Gisla packte rein und hielt den Silberring in der Hand, den sie von Gren geschenkt bekommen hatte.
“Nein!”, sagten beide aus gutem Grund. Gisla griff im zweiten Versuch eine alte Goldmünze heraus. Rhobar der 1. war noch drauf.
“Dunkelblond…ich muss da an Chanis Mutter denken. Die hat immerhin auch…Dinge verkauft.”
“Naira…lass sie das bloß nicht hören. Hast du alles dafür?”, fragte Gisla.
“Ringelblumen, Lavendelöl von dir, ein Ei und Cassia besitze ich noch selbst. Sollte reichen, wenn wir damit heute Abend beginnen.”, sagte sie und besah ihr dunkels Haar. Es war noch recht dunkelbraun.
“Gut. Dann besorge ich dir passende Kleidung aus der großen Kiste. Und nun noch etwas. Setzen wir uns aber besser da in die Ecke.”
Mit ihren Getränken nahmen sie in der hintersten Ecke der Schwarzen Perle Platz und Naira sollte genau da sitzen, wo sie neue Besucher im Auge behalten konnte.
Gisla holte dann ein zusammengerolltes Stück weichen Leders hervor und löste die kleine Gurtschnalle des Etuis.
“Dietriche? Deine Dietriche.”, sagte die Dunkelhaarige. Gisla holte noch eine kleine Schatulle hervor und klopfte drei Mal drauf.
“Es ist lange her, dass ich dich damit spielen ließ. Damals hast du mir vier Dietriche kaputt gemacht.”, sagte sie vorwurfsvoll. Naira verschränkte sofort die Arme und zog die Augenbrauen zusammen.
“Ich habe nicht gespielt! Ich war vierzehn Jahre alt und mir war langweilig und du hast gesagt - versuch dich mal damit. Hab ich getan, habe das Schloss an Eskiels Truhe geknackt…”
“...kaputt gemacht, weil drei Dietriche schon drin steckten und du dann mit dem Gröbsten und einem Hammer das Schloss durchschlagen hast…”
“Ich habe es geknackt und die Truhe klemmte irgendwo. Das Schloss war wohl eh kaputt. Eskiel sagte mir das so und den Schlüssel hatte er nicht mehr.”
“Sooo war das ja? Na gut, dann wird es dir sicher leicht fallen, diese Schatulle zu knacken?”
“Ganz bestimmt, aber da die liebreizende Gisla sicher damit nicht aus Langeweile beginnt und mich auf etwas vorbereiten möchte, höre ich mir gerne an, was sie alles zu diesen schönen Instrumenten zu sagen hat.”, entgegnete Naira, lächelte süß und klimperte - wohl wissend, dass sie nicht wusste mit diesen Werkzeugen wissend und behände umzugehen und Gislas Wissen ungemein schätzen würde - mit den Wimpern.
“Also so wird das nichts mit Lasse. Aber ich vermute du gibst zu, dass du Unterweisung brauchst und nun deine Fähigkeiten mit den Händen wesentlich geschickter sind wie damals, bei der Rotznase Naira. Stimmts? Immerhin wirst du dich in den kommenden Phasen an Kisten und Kerkertüren zu schaffen machen und da willst du sicher nicht den Hammer nehmen.”, führte Gisla auf und lächelte ihrem Schützling zu.
“Hmm…auf diesen Moment hast du all die Jahre gewartet nicht wahr? Ob ich als Mutter auch so werde? - Ja, die Rotznase Naira war sehr ungeduldig und hat es besser wissen wollen. Bring es mir bei. Ich bin geduldiger als damals und es soll nicht dein Schaden sein.”, bat Naira und fühlte sich fast so wie jemand im Büßergewand.
Gisla nickte und löste ein paar der feineren Dietriche, sowie eine kleine Feile aus dem Etui. Ebenso holte sie noch einen Schlüssel hervor und öffnete die Schatulle, um sie dann wieder zu öffnen. Dann nahm sie einen Schluck vom Grog und wischte sich die Lippen ab.
“Beginnen wir. Mit so feinen Händen wäre es ein Verbrechen, dir nicht das Diebeshandwerk beizubringen.”
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Nordwestlich von Mora Sul
Wieder über Tage angekommen, blickte die Gruppe um Jaleel in einen wolkenlosen Sternenhimmel, der sich weit und unendlich über ihnen spannte, ein tiefes Indigo, das mit zahllosen funkelnden Sternen übersät war. Die kühle Umarmung der nächtlichen Wüste war ein alter Bekannter und eine willkommene Abwechslung zu der ungewöhnlich feuchten, stickigen Luft der Tunnel.
Der Mond, groß, silbern und so nah, dass man denken mochte, mit ausgestreckter Hand berühren zu können, was sonst das Firmament der Nacht beherrschte, warf sein magisches Licht auf die Dünen, die sich wie Wellen im sandigen Meer erstreckten.
Die Luft war klar und frisch und jeder Atemzug füllte ihre Lungen mit der Essenz der Wüste, ihrer Heimat. Der Wind, der leise über die Sandkämme strich, trug das Flüstern uralter Geschichten mit sich, die nur die Stille der Nacht hören konnte. Jal spürte, wie der Sand unter seinen Füßen nachgab und ihm einen festen, gleichwohl nachgiebigen Schritt verlieh.
Die Sterne schienen ihnen den Weg zu weisen, ihre Helligkeit spiegelte sich in den Augen der Gruppe wider. In der Ferne, jenseits der endlosen Sanddünen, konnte der Chronist das schwache Leuchten Mora Suls erahnen, eine tröstende Erinnerung daran, dass sie nicht allein in dieser unendlichen Weite waren, ein Ziel vor Augen, einen Ort, an den sie zurückkehren konnten.
Der Nachthimmel war ein lebendiges Kunstwerk, mit wandernden Sternen, die manchmal die Dunkelheit durchkreuzten und leuchtende Spuren hinterließen.
Während sie weitergingen, beobachtete Jaleel die Schatten der Dünen, die sich unter dem Mondlicht veränderten und in bizarren Formen tanzten. Die Stille der Wüste wurde nur von ihren gedämpften Schritten und dem gelegentlichen Rascheln einer Schlange oder eines Skorpions unterbrochen, das sich durch die Sandkörner bewegte.
In der Ferne heulte ein Schakal, ein Wüstenwolf, dessen trauriger Ruf sich in der Dunkelheit verlor und alsbald von anderen seiner Art aufgegriffen wurde. Rashid und Amir wurden aufmerksam und behielten die Umgebung genau im Auge. Sie würden die anderen warnen, wenn sich die Raubtiere zeigten.
Es war eine Erinnerung an die wilde und ungezähmte Natur dieser Landschaft, die ebenso schön wie gefährlich war und bisher den Bemühungen der Myrtaner, Herren über Varant zu werden, erfolgreich getrotzt hatte. Jal schloss kurz die Augen und ließ die Ruhe und Majestät seiner Heimat auf sich wirken.
Sie gingen weiter, im Rhythmus ihrer Schritte, jeder von ihnen in Gedanken versunken. Jaleel dachte an die Kristalle, die sie entdeckt hatten, und die Geheimnisse, die sie möglicherweise bargen. Er war entschlossen, Antworten zu finden, doch in diesem Moment gab ihm die friedliche Schönheit der nächtlichen Wüste ein Gefühl der Ruhe und des Friedens. Ein Paradoxon, bedachte man doch die Tödlichkeit, welche im Schleier der anmutigen Weiten drohte.
Der Sand glitzerte im Mondlicht, als wäre er mit kleinen Diamanten bestreut, und die Wüste erstreckte sich endlos vor ihnen. Immer wieder spielten seine Gedanken dasselbe Muster durch. Mora Sul, ihre Zuflucht, rückte langsam näher, und mit jedem Schritt fühlte der Chronist, wie sich eine stille Entschlossenheit in ihm festigte. Die Wüste war sowohl ihr Feind als auch ihr Freund. Heimat, und doch ungewollt von jenen, die sich hier gewaltsam niedergelassen hatten. Ein stiller Zeuge ihrer Reise und ihrer Suche nach Möglichkeiten zu erlangen, was einst war ihres.
Seine Hand suchte das Heft des Schwertes, welches ungewohnt an seiner Hüfte schwankte. Wissen und Weisheit wären seine Waffen der Wahl, wenn es darum ging zu befreien, was ihm lieb und teuer war. Doch auch Stahl und Holz hatte seine Berechtigung, wenn Ideale und Wiege bedroht waren. Auf die eine oder andere Weise würde er helfen, auch wenn die aufkeimende Rebellion an einem Tiefpunkt war. Er vertraute auf Sahar und ihren Erfindungsreichtum. Auf Naima und ihr scheinbar natürliches Talent. Auf Jabir und Soraya, die auf dieser Reise mehr Verbundenheit zu ihren Kameraden gezeigt hatten, als Jaleel ihnen zugetraut hätte. Und auf Rashid und Amir, deren Erfahrungsschatz in vielen Situationen äußerst nützlich gewesen war. Zusammen würden sie einen Weg finden, der zu ihrem gemeinsamen Ziel führte.
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Mora Sul
„Erledigt, was ihr zu erledigen habt. Wir treffen uns heute Abend wieder hier. Es ist der neue Treffpunkt für die Zukunft. Hätten den alten ohnehin längst wechseln sollen“, entließ Sahar ihre Mitstreiter, nachdem sie nach einem weitern Tag in der Wüste wieder durch den Schmugglertunnel in das Haus nahe der nördlichen Stadtmauer gelangt waren.
Von Tunneln hatte Jaleel fürs Erste eigentlich genug gehabt, doch sie wollten es so gut es ging vermeiden, von den Stadtwachen gesehen zu werden. Der Plan war besprochen und auch, wenn er ihm nicht gefiel, würde er mitziehen. Eine Rebellion war selten ohne Blutvergießen zu gewinnen und wenn die Leben einiger Roter der Preis für ein freies Varant waren, dann würde er ihn ohne zu verhandeln bezahlen.
„Verlasst nicht alle auf einmal das Haus. Wartet immer, wenn jemand gegangen ist, sonst fliegen wir schneller auf, als uns lieb ist.“
„Dann gehe ich als Erste. Kommst du mit, Jal?“, fragte Naima und lief bereits auf die Treppe zu, die sie zur Eingangstür bringen würde, hinter der die frühmorgendlichen Straßen Mora Suls warteten.
„Geh ruhig ohne mich. Ich habe es nicht eilig“, lehnte der Chronist ab und glaubte eine Spur Enttäuschung in der Mimik der Blonden zu erkennen, welche sie einen Augenblick später mit Spott überspielte.
„Lass dich nur nicht wieder erwischen“, feixte sie und war im nächsten Moment verschwunden.
Tatsächlich wollte er lieber allein losziehen, denn seine Gedanken waren derzeit ein äußerst einnehmender Weggefährte. Mehr als einmal hatte er sich entschuldigend erkundigen müssen, was seine Kameraden zu ihm gesagt hatten. Es war einfach so viel in den letzten Tagen geschehen und noch mehr lag vor ihnen, was zu bedenken wert war.
Karawanen zu überfallen war der neue Plan, der ursprünglich von Hasdrubal kam, dem Argaaner, den er kennengelernt hatte. Noch immer hatte er lebhaft vor Augen, wie Sahar die Fassung verloren hatte, als er ihr seine Vorgehensweise erläuterte und sie darauf hingewiesen hatte, dass auch sie diese Strategie sehen müsste. Denn wie es sich herausstellte, waren sie gemeinsam auf Argaan in der Akademie der Klingen gewesen, ein Ort, der schon lange die Fantasie des Chronisten anregte. Was würde er dort wohl alles zu sehen bekommen, sollte er jemals einen Fuß hineinsetzen können? Welche Schriften bewahrten sie, die Wissen um Kampfkünste enthielten, von denen er nur zu träumen wagte? Welche davon beherrschten die Krieger dort und wie war ihre Vorgehensweise im offenen Gefecht gegen die Myrtaner, welche ihre Heimat bedrohten, so wie sie es mit Varant taten?
„Wir gehen als nächstes“, verkündete Rashid und Amir trat an seine Seite, „Wir werden einige Salben und Verbände besorgen, damit wir besser vorbereitet sind, als beim letzten Mal.“
Soraya und Jabir verzogen unangenehm das Gesicht, als sie die Worte vernahmen, doch keiner von beiden konnte abstreiten, dass Fahim seinen Wunden erlegen war, weil sie keine Möglichkeit gehabt hatten, sie zu versorgen.
„Gut, viel Erfolg“, verabschiedete Sahar die Brüder und wandte sich wieder dem zu, was sie zuvor getan hatte.
Ausdruckslos auf die Wand starren, offensichtlich in Gedanken. Auch an ihr war der Rückschlag, den ihre Gruppe in den Tiefen des Gebirges erlitten hatte, nicht spurlos vorübergegangen. Ob sie in den Höhlen bloß eine eiserne Fassade hatte bewahren wollen, um die anderen bei Stange zu halten oder ob sie wirklich unberührt war von dem Verlust, konnte Jaleel noch immer nicht einschätzen.
Sicher war er sich jedoch, dass sich die Liva mehr von den gelagerten Vorräten versprochen hatte. Dass sie zusätzlich Zahira verloren hatten, die womöglich eine Verräterin war, die das ganze Vorhaben im Keim zu ersticken im Stande war, tat sein Übriges.
Unwillkürlich wanderte seine Hand an den Knauf des schmucklosen Schwertes, welches er auf den Befehl der Anführerin hin mitgenommen hatte. Das Gewicht war noch immer ungewohnt und er dachte im Stillen an Adanos und bat ihn darum, dass er es nicht so bald würde ziehen müssen. Doch vermutlich war es ein hohler Wunsch, denn im Hinblick auf die Überfälle würde auch er seinen Beitrag leisten müssen.
„Liva?“, fragte er schließlich mit ruhiger Stimme, die sein Innerstes Lügen strafte, „Werden wir nur Karawanen der Myrtaner überfallen oder auch solche, die von unseren Landsleuten geführt werden?“
Soraya und Jabir horchten auf, denn es war eine wesentliche Frage, die wohl jedem von ihnen bereits in den Sinn gekommen war. Jal wusste, dass er nur die Roten angreifen wollen würde, denn was würde es aus ihnen machen, wenn sie für die Freiheit des Volkes von Varant kämpften, aber jene opferten, die Teil davon waren?
„Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine Bedrohung für Mora Sul darstellen, Jal“, antwortete Sahar ohne ihn anzusehen, „Wir müssen in jedem Bericht vorkommen, der dem Statthalter auf den Tisch geknallt wird. Die Einwohner Mora Suls müssen an den Händlerständen sehen, dass die Nahrung knapp wird und immer weniger Händler am Markt stehen.“
Es war keine direkte Antwort, aber eine, die sich zwischen den Zeilen sehr deutlich abzeichnete. Und diese Erkenntnis beunruhigte den Chronisten zutiefst.
„Wir können doch nicht unsere eigenen Leute…“, wollte Jabir aufbegehren, wurde jedoch jäh unterbrochen.
„Glaubst du mir fällt es leicht?“, fuhr Sahar ihn brüsk an und wandte sich schließlich zu ihnen um, „Es ist das Einzige, was mir seit Tagen im Kopf herumspukt. Aber es ist der einzige Weg, wie wir mehr, als nur ein lästiges Ärgernis für die Myrtaner werden. Wenn die Menschen in der Stadt unzufriedener werden, könnten sie selbst zu den Waffen greifen wollen und damit hätten wir unser Ziel ebenfalls erreicht!“
„Aber…“, es wäre eine Wiederholung der Nacht der Mazamir“, flüsterte Jaleel, „Hunderte Menschen mit Messern, Knüppeln und Fäusten gegen gut ausgerüstete Soldaten. Ein Massaker, bei dem es keine Sieger gibt und am Ende nur mehr Leid herbeiführt.“
„Dann sag mir, du weiser Historiker, wie wir verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt“, richtete sie sich bissig an ihn, „Wie versorgen wir sie alle mit Waffen? Wie bringen wir jenen das Kämpfen bei, die es nie lernen mussten? WIE?“, schrie sie das letzte Wort fast.
Ihr Atem ging schwer und ihre Augen waren zu einem manischen Blick weit aufgerissen. Für einen Moment war sie fort, die starke Persönlichkeit, die unbeugsame Anführerin. Ersetzt durch eine Frau, die die Blüte ihrer Jahre hinter sich gelassen und einem Ziel hinterherjagte, welches mit jedem Rückschlag unerreichbarer wirkte.
Es war nicht ihr erster Versuch ein freies Varant für sie alle zu erschaffen und die Last der Vergangenheit schien sie in diesem Augenblick zu erdrücken. Doch wie jeder Wimpernschlag verging auch die Verletzlichkeit Sahars und die kontrollierte Fassade ragte erneut imposant vor ihnen empor.
„Wir werden versuchen unsere Brüder und Schwestern zu verschonen, fortzujagen, statt sie zu töten. Doch die Roten erfahren keine Gnade von uns.“
Damit lief sie die Treppe hinauf und ließ die drei zurück. So wie es aussah, würden sie in der nächsten Zeit viele bittere Entscheidungen treffen müssen.
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Kap Dun - Schwarze Perle (5. Tag, Mittagszeit)
Klack - Klack…Klack - Klick…Klick - Klick…Klick - Klack - Klack…
“Auf…”, sagte Naira mit etwas Stolz in der Stimme. Sie hatte mit dem Dietrich endlich die richtige Kombination getroffen und verhindern können, dass der Mechanismus wieder zuschnappte.
Dafür hatte sie den zweitkleinsten Dietrich aus Gislas Ausrüstung verwendet.
Sie hatte sich tunlichst zurückgehalten, um nicht wieder Dietriche zu zerstören und erst Gisla sorgsam ihr Set erklären lassen.
Die Dietriche waren vielfältig von sehr dünn bis recht grob vorhanden und Gisla gab Naira dann ein Gefühl für den Punkt, wo der jeweilige Dietrich brechen würde, indem sie gefühlvoll in ihre Handfläche drückte.
Der Dünnste war furchtbar schwach und brach schon bei geringem Widerstand. Der Gröbste der eindeutig für große Schlösser gedacht war, würde laut Gisla nicht brechen, dafür aber ohne Feingefühl sehr laut sein. Dies war ein weiterer Faktor. Es war alles zu knacken und in richtiger Kombination zu öffnen, aber wenn jemand einen hörte, war es ein Problem.
Dafür würden sie sich noch Zeit nehmen. Für Gisla war zunächst wichtig, dass Naira die dritte Lektion verstand. Drehmoment, Lautstärke und dann der Mechanismus. Naira musste verstehen, wie ein Schloss funktionierte. Was es für Arten gab und wie man es anging. Ob man von vornherein Zeit bräuchte oder es mit geübten Handgriff schnell gehen konnte.
“Schau dir den Schlüssel an. Er hat drei Bärte. So nenn ich das mal. Für diese Art von Schloss gibt es selten mehr, denn es ist ein simples Schloss an der Schatulle. Einen Spanner brauchst du nicht dafür. Indem man die drei Richtungen frei drückt, öffnet sich das Schloss. Drückst du in die falsche Richtung, musst du neu beginnen. Aber das ist auch das unkomplizierteste Schloss und dahinter verbergen sich meist keine wertvollen Sachen. So wie bei der Schatulle, findest du so ein Schloss an einfachen Schränken, Truhen und Türen. Die sich Menschen leisten, die nicht viel haben, es aber etwas schützen wollen.", waren ihre Worte davor und dann durfte Naira beginnen.
Begonnen bei der Wahl des Dietrichs und seiner Größe.
Danach - so Nairas Logik - musste man sich probieren und logische Kombination testen. Und so hatte sie es mit einmal links, dann vorschieben und zwei Mal rechts und dabei auch den Dietrich fein weiter schieben geöffnet. Sie wusste, dass es Gisla am wichtigsten war, dass Naira vorsichtig vorging und mit Feingefühl den dünnen Dietrich einsetzte. Das Drehmoment für das Schloss und seinen Mechanismus zu treffen war die weitere Aufgabe für eine erste Erkenntnis und Erfahrung. Im Groben würde jedes Schloss dieser Größe ein ähnliches Drehmoment benötigen.
“Erzähl mir mehr zu den Schlössern? Gibt es auch Kleine, die schwerer zu drehen sind? Was dann? Und der Spanner. Was mach ich damit genau?”, fragte sie nach ein paar Gedanken.
“Es gibt allerhand Schlösser mit harten, weichen und sehr komplizierten Mechanismen. Es ist jedes Mal wie jemand Fremdes kennenzulernen. Manchmal erkennst du an der Machart, dass es was Bekanntes ist. Ist ja nicht so, dass es für jedes Schloss einen Schlosser gab, der sein individuelles Werk vollbracht hat. Manchmal oder oft ist es aber eine neue Herausforderung. - Wenn ein so kleines Schloss so schwer zu drehen ist, dann hast du drei Ansätze. Ein wenig Öl kann Wunder wirken. - Fremdkörper im Mechanismus. Ein anderer Dieb hat zum Beispiel sich daran versucht und seinen Dietrich abgebrochen. - Oder jemand hat Geld in die Hand genommen oder selbst etwas konzipiert, dass es komplizierter wird. Für sowas musst du was Spezielles anfertigen oder das Rätsel anders angehen. Da kann dir nur die Erfahrung helfen, aber deswegen üben wir ja. Du hättest dieses Schloss auch mit diesen wellenförmigen Dietrich öffnen können, aber das lernst du noch. Ein Gefühl entwickeln ist erst einmal wichtig. Öffne das Kästchen und dann erzähl ich dir was zu Spannern.”, meinte Gisla und Naira griff zur Schatulle. Als sie diese öffnete, fand sie ein Hängeschloss vor. Schwer, dick und faustgroß.
“Hier wirst du einen Spanner benötigen. Das Schwierige hierbei ist zum einen, mit dem Dietrich den Drehpunkt zu finden und genau zu hören, wann etwas einrastet. Dann aber auch den Spanner genau dort anzusetzen, damit der Mechanismus nicht sofort zurück setzt oder vorbei setzt. Du klemmst mit dem Spanner also den Mechanismus fest und gehst an den nächsten Punkt. Klingt kompliziert und das ist es auch manchmal. Deswegen ist es auch ein richtiges Handwerk mit unzähligen Methoden, Lösungsansätzen und manchmal frustrierenden Ergebnissen. Am Ende sind deine Logik, Verstand, Glück, Geduld und Gefühl in den Fingern alles entscheidende. Na gut und das Material. Hast du schlechte Dietriche und Spanner oder fehlt dir was, dann kommst du nicht weit. Du wirst für unsere Zeit hier mein Set nutzen. Und ich stelle dir noch Dietriche vor, die manch gängige Tür sehr leicht öffnen. Doch zunächst öffnest du mir dieses Vorhängeschloss.”, sagte die Diebin und wollte sehen wie Naira vorgehen würde.
Zunächst besah sie sich das Schloss. Blickte durch das Schlüsselloch, um gewisse Muster zu erkennen und zu verstehen. Dann wählte sie drei Dietriche und griff sogleich vier Spanner, die auch unterschiedliche Spitzen hatten. Hier konnte sie sich austoben. In Zukunft würde es sicher nicht so eine entspannte Atmosphäre dabei geben.
“Los geht es!”
Geändert von Ornlu (26.10.2024 um 12:15 Uhr)
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Kap Dun - Schwarze Perle (5. Tag, Mittagszeit)
Ein Spiel aus Geduld, Feingefühl und Verstand. Eigentlich etwas für die ganze Familie, wo dann der entnervte, picklige Sohn das Vorhängeschloss gegen die Wand werfen würde und es als weibisch schimpft.
Naira war für kurze Momente nah dran, aber bekam mit einem ersten Erfolgserlebnis neue Motivation.
Zuerst musste sie das Schloss nachvollziehen und dann erkennen, dass sie in der Regel ohne Spanner die besten Dietriche der Welt besitzen könnte und nichts erreichen würde.
Klar hatte sie es ohne Spanner versucht, aber bei diesem Schloss bewegte sich erst gar nichts und kostete sie fast einen Dietrich.
Mit eingesetztem Spanner #3 baute sie im Zylinder des Schlosses Druck auf. Und zwar dort, wo in der Regel der passende Schlüssels Widerstand erzeugte. Dort baute sie zuerst Druck auf und versuchte dann mit einem Dietrich der gröber war, als jener bei der Schatulle irgendwas zu bewegen.
Erst Gislas Hinweis, dass sie doch mal an der Druckstelle des Spanners fühlen sollte, machte einiges klar und sorgte für das erste Erfolgserlebnis.
“Ein sehr leichter Keil, in den wohl der Bart des Schlüssels grob passt. Baue ich Druck auf und drehe zur richtigen Seite…lockere ich den Mechanismus, um überhaupt was zu bewegen.”, klang ihr Aha-Erlebnis. Gisla nickte lediglich und ließ Naira dann auf das Schloss los.
Die wählte einen anderen Spanner der keilförmig war und der Länge nach noch knapp passte. Sie setzte dann Druck auf den Spanner und drehte dann langsam erst nach links, wo sie nicht erwartete weiterzukommen. Dem war auch so und so ging es nach rechts und wieder zurück und wieder nach rechts. Sie wollte den leisen, klickenden Mechanismus hören aber auch in den Fingern spüren. Fünf Mal wiederholt und sie setzte den Dietrich an, um ihn dann zurück zu ziehen und Gisla anzublicken.
“Das ist ein kleines Schloss. Bei sehr großen Schlössern muss man sicher stark gegenhalten. Hat man dann einen komplizierten Mechanismus der auch stark ist, dann ist das wohl sehr anstrengend. Gibt es dafür Lösungen?”
“Ja. Du fixierst den Spanner mit einem zweiten Spanner. Nur machen sowas nur Besten. Wieso? Machst du Fehler mit dem Dietrich oder bist zu ungeschickt, setzt sich alles zurück. Im blödesten Fall bricht einer der Spanner und dein Dietrich. Das macht dir dann sehr viel mehr Arbeit. Lass es besser für den Anfang. Mit der Zeit kannst du es versuchen. Vor allem mit einem eigenen Satz Dietriche.”, sagte Gisla.
“Wo bekomme ich Dietriche her? Und was sind die besten?”, fragte die Taschendiebin.
“Jeder Zeugschmied kann dir aus langen Nägeln machen. Aber nicht jeder Zeugschmied möchte mit Dieben zu tun haben. Es sind meist ehrliche Handwerker und bei anderen Schmieden kannst du es zwar auch versuchen, aber ein Hufschmied wird das nicht gut machen und ein Waffenschmied bildet sich auf jeden Dietrich soviel ein, dass er ihnen Namen gibt. Den meisten Erfolg wirst du tatsächlich in den Städten haben, wo die Konkurrenz groß ist. Die Preise sind entsprechend. Selten findest du auf den Dörfern einen Zeugschmied. Ein Dieb der Zeugschmied ist, wäre natürlich der einfachste Weg, aber den musst DU erst einmal finden. Ich habe es, aber sage auch nicht mehr. Achja…man wird dir sagen, dass Dietriche aus magischen Erz die besten sind. Nur sag ich dir als wenige ehrbare Nordmarerin…die große Ehre dort in Nordmar Schmied zu sein und die Geheimnisse zu erfahren, vertragen sich nicht mit Diebeswerkzeugen. Es gibt teurere Sätze aus besseren Materialien wie Eisen. Aber finde erst einmal den richtigen Schmied.”, erklärte Gisla. Naira nickte lediglich, ohne zu klagen, dass Gisla ihr nicht den Namen des Schmiedes verraten wollte. Es hatte wohl was mit dieser Diebesgilde zu tun und das war nicht ihre Sache. Ihre Nase steckte da nicht drin. Noch nicht…
Naira legte dann los. Den Spanner wieder in Position gebracht, setzte sie nun den Dietrich ein. Langsam arbeitete sie sich vor, setzte den Dietrich da, wo auch der Schlüssel an einem Drehpunkt im Zylinder sitzen würde. Es war ein etwas fester Widerstand, als sie zu drehen begann und kurz dachte sie, sie hätte den Dietrich zerbrochen, als es Klick machte. Doch als sie losließ, fuhr lediglich der Schieber zurück und mit diesem auch der Mechanismus am Spanner.
“Etwas Öl ist da. Und erschrecke nicht bei jedem Geräusch. Wenn du ein altes Schloss vor dir hast, das selten genutzt wird, nimmst du erst einmal Öl. Denk auch daran, dass ein Schloss an einem Sommertag in der prallen Sonne schwergängiger sein kann. Metall weitet sich aus. Nicht viel, aber ich hab es tatsächlich ein paar Mal schon erlebt. Vor allem das Vorhängeschloss in deiner Hand.”, erzählte Gisla und widmete sich ihrem Grog und einem Notizbuch. Naira vernahm ihre Worte, holte das kleine Fläschchen aus dem Etui und einen feinen Pinsel und verteilte das Öl im Schloss.
Danach begann sie wieder mit dem Spanner und dann kam der Dietrich.
Es knirschte ganz leicht, war aber auch dezent leichter geworden. Nun konnte sie mit dem Dietrich arbeiten. Sie bewegte den Schieber mit sanfter Stärke am Dietrich Millimeter um Millimeter und ging dann wieder zurück. Den Druck am Spanner haltend ging sie mit weniger Kraft am Dietrich voran und befand, dass dies nicht gehen würde. So startete sie erneut, wählte erneut eine Kraft in den Fingern, mit der sie sonst Chani zwicken würde. Der Dietrich schob den Schieber und ab einen bestimmten Moment spürte sie ein Einrasten. Kaum ein Geräusch. Als sie weiter drehte, drückte der Schieber gegen etwas, machte aber nichts weiter. Sie war mit dem Schieber am Ende. So spürte sie auch gleich den Widerstand, den wohl eine Feder verursachte und den Schieber zurück schob. Sie hielt dezent gegen und schob dann wieder vor, bis der Schieber wieder gefühlt einrastete.
“Jetzt musst du vorsichtig sein. Zu viel Gewackel und es löst sich alles.”, kommentierte Gisla. Naira nickte und zog den Dietrich komplett raus. Kurz atmete sie durch, blickte konzentriert auf das Schloss, wo sie den Spanner in Position hielt und schob den Dietrich vorsichtig hinein. sie gelangte in die Nähe des Spanners und setzte dort an. sie versuchte den Schieber zu erfühlen, der im Grunde genau dort saß, wo auch der Schieber davor positioniert war. Einfach weil die bartenden des Schlüssels auch identisch waren.
Sie schob mit gleicher Kraft den Schieber mit dem Dietrich an und merkte, wie dieser viel früher einrasten. Sie schob etwas weiter und merkte nicht, dass der Schieber wieder frei wurde.
Dann tat sie das was sie intuitiv im Sinn hatte. Sie drehte ihren Schlüssel - den Spanner - weiter und es klackte auf. Das Schloss war offen.
“Der Hintere ist einfacher gewesen.”, sagte sie stolz.
“War ja auch ein einfaches Schloss. Der Hintere rastet zuerst ein und dann der Vordere. Seh es mal wie die Drehbewegung des Schlüssels. Du drehst den Schlüssel um einen Viertel-Kreis und öffnest das Schloss. Ein anderes Schloss erfordert mehr Drehung. Da ist der Hintere dann fast den ganzen Weg der Schlüsseldrehung eingerastet. Bei so einem Schloss, hättest du statt gegen den Uhrzeigersinn mit dem Dietrich zu drehen, eher im Uhrzeigersinn vorgehen müssen. Das Risiko mit dem längeren Weg ist immer, dass du den Mechanismus durch einen sich lösenden Schieber auslöst. Was denkst du wie schwierige Schlösser konzipiert sind? Die Rastpunkte sind sehr klein, du hast vielleicht vier oder fünf davon und zu viel Unruhe löst sofort alles aus. Dein Dietrich verklemmt sich oder bricht. Es wird noch viel Übung brauchen, bis du sowas knackst. Aber bis jetzt schlägst du dich gut! Ich möchte, dass du mit diesem Schloss noch einige Male übst.”, meinte Gisla und holte eine kleine Sanduhr hervor.
“Verstehe…”, meinte Naira und freute sich auf die Aufgabe.
“Wenn das klappt. Wird es heute Abend spannend. Ich möchte, dass du bei einem Weinhändler einbrichst. Nur durch die Tür und etwas aus seinem Keller holen und dich dort umschauen. Ich vermute, dass dort eine Karte ist und ein Zugang in eine Art Kanalisation. Kap Dun ist vielleicht klein, aber manche Häuser sind alt und womöglich miteinander verbunden. Verstehst du? Und wenn eines der Häuser zufällig mit den Rohren verbunden ist, aus denen am Kai ein Rinnsal strömt, haben wir einen Fluchtweg und Versteck für ein paar Tage.”, erklärte Gisla. Naira machte große Augen.
“Ok…ein Weinhändler ist aber sicher vorsichtig. Bist du dir sicher, dass ich das schaffe? Was , wenn was schief geht?”, fragte sie.
“Dann rennst du. Du bist schlau und flink genug. Bist du draußen, folgst du mir. Ich werde draußen warten. Ich will dich testen und wir haben in der Hinsicht keinen Erfolgsdruck. Es ist eine Option, die ich gerne hätte. Diesen Weinhändler habe ich die ganze Zeit beobachtet und habe Hinweise von meinen Freunden bekommen. Er hat keine Wachen im Haus und schläft spätestens eine halbe Stunde nachdem die Öllampe im Obergeschoss aus ist. Er ist ein sehr strukturierter Mensch. Du müsstest mal seinen Weinstand sehen. Da ist alles wohlfeil platziert. Also…schaffst du das mit dem Schloss? Und traust du es dir zu? Ich kann das auch allein machen, aber du wirst bei Lasse dann schon etwas Erfahrung haben. Das ist immer gut, nicht wahr?”, sagte die Diebin und zeigte Naira die Notizen zum Weinhändler in ihrem Büchlein. Nachdem sie diese überflog stimmte die Dunkelhaarige zu. Es erschien ihr etwas zu früh, aber umgekehrt konnte sie hier noch komplizierte Schlösser knacken und hätte nicht die Übung die sie heute Abend bekommen könnte.
“Machen wir es. Dreh um…”, bat sie und hielt Schieber, Schloss und Dietrich bereit.
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Mora Sul
In der stickigen Hitze des späten Nachmittags saß Jaleel in seinem bescheidenen Wohnraum und grübelte über die Ereignisse der letzten Tage nach. Die Expedition in die Höhlen hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, und die Rebellion schien am Scheideweg zu stehen. Sahars Plan, Überfälle auf Karawanen zu verüben, um die Aufmerksamkeit auf ihre Sache zu lenken und die Unzufriedenheit in Mora Sul zu schüren, erfüllte ihn mit Unbehagen. Zwar verstand er die Notwendigkeit, die Myrtaner zu schwächen und die Menschen zum Widerstand zu bewegen, doch der Gedanke an sinnloses Blutvergießen widerstrebte ihm zutiefst.
Sahars Worte hallten in seinem Kopf wider. Wir müssen in jedem Bericht vorkommen, der dem Statthalter auf den Tisch geknallt wird. Er erinnerte sich an die Nacht der Mazamir, an das sinnlose Gemetzel, das durch den Aufstand ausgelöst worden war, und fürchtete, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Das Verhalten der Liva beunruhigte ihn zusätzlich. Seit ihrer Begegnung mit Hasdrubal wirkte sie angespannt und gereizt, und ihre Entscheidung, auch varantische Karawanen zu überfallen, um Mora Sul zu destabilisieren, schien ihm kurzsichtig und grausam.
Jaleel spürte die Last des Schwertes an seiner Hüfte, ein ungewohntes und unwillkommenes Gewicht4. Er war ein Chronist, kein Krieger. Seine Waffen waren Wissen und Weisheit, nicht Stahl und Holz. Doch in diesen unsicheren Zeiten musste er sich fragen, ob diese ausreichten, um Varant zu befreien und die Ideale zu verteidigen, die ihm am Herzen lagen.
Die Erinnerung an die leuchtenden Kristalle in den Höhlen ließ ihn nicht los. Er war überzeugt, dass sie mehr waren als nur schöne Steine, dass sie ein Geheimnis bargen, das der Schlüssel zur Befreiung Varants sein könnte. Vielleicht besaßen sie magische Kraft, die sie gegen die Myrtaner einsetzen konnten? Oder waren sie ein Symbol der Einheit und Stärke des varantischen Volkes der alten Zeit? Ein Zeichen, dass sie den Kampf niemals aufgeben durften?
Jaleel beschloss, die Kristalle genauer zu untersuchen. Er wusste nicht, wo er danach suchen sollte, und ob es alte Schriften und Legenden gab, in denen er nach Hinweisen suchen konnte. Bisher hatte er in den Geschichten zur Kultur Varants nichts über dieses Phänomen gelesen. Umso wichtiger fand er es, intensiver danach zu Ausschau zu halten. Gut gehütete Geheimnisse waren meist aus besonderen gut gehütet. Wenn die Assassinen von damals um die Existenz der Kristalle gewusst hatten, tat sich jedoch die Frage auf, wieso davon kein Wort herausgekommen war.
Doch zuerst musste er sich um die anstehenden Überfälle kümmern. Er würde versuchen, Sahar davon zu überzeugen, dass es einen anderen Weg geben musste, die Myrtaner zu bekämpfen, ohne unschuldige Menschen zu gefährden. Er würde ihr seine Bedenken darlegen und ihr anbieten, nach Alternativen zu suchen. Wäre es vielleicht eine Option die Nomaden mithilfe von Rashid und Amir aufzuspüren, um sie darum zu bitten Informationen über die myrtanischen Truppenbewegungen zu sammeln und der Rebellion so helfen, strategisch wichtige Ziele anzugreifen, ohne dabei Zivilisten zu gefährden?
Jal wusste, dass der Weg zur Befreiung Varants lang und gefährlich sein würde. Doch er war entschlossen, seinen Teil beizutragen und alles in seiner Macht Stehende zu tun, um seine Heimat von der myrtanischen Herrschaft zu befreien. Er war ein Chronist, aber auch ein Sohn Varants. Und er würde nicht ruhen, bis seine Heimat wieder frei war.
Seine Schriftrollen verstaute er an einem sicheren Ort in seiner Behausung, ebenso wie seine Zeichen- und Schreibutensilien. Sie würden ihm in der Wüste nichts nutzen und bereits bei der Reise zum Gebirge hatte er feststellen müssen, dass zu viel Gepäck ihn zu stark einschränkte. Was er mitnehmen würde, wären Proviant, Wasser, eine sandfarbene Decke, mit der er die Nächte überstehen und sich im Zweifel tarnen konnte. Gezwungenermaßen würde er auch das Schwert mitnehmen. Gemischte Gefühle begleiteten diese Entscheidung, die keine war. Sein Interesse an Kampfkunst, und dementsprechend auch Waffen, ermutigte ihn dazu, doch sein Unwille ein Leben zu nehmen hielt unerbittlich dagegen. Zudem konnte er nicht darauf hoffen einen geübten Kämpfer zu überwältigen, was ihm Sorgen bereitete. So wenig er auch ein Leben nehmen wollte, so gering war sein Wunsch das eigene zu verwirken, selbst wenn er bereit war es für ein freies Varant zu opfern.
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Vengard
»Du hast dich also eingelebt«, meinte Daelon wie immer lächelnd und deutete auf die edle varantische Kleidung die DraconiZ nun trug.
»Muss ein Vermögen gekostet haben. Solch edler Stoff. Warst du von deinem Erfolg bei der Magie so begeistert, dass du dir direkt etwas gönnen wolltest?«
»Du hast doch gesagt, was dein ist, ist mein Onkel. Zudem hast du mir den Wert von Eindrücken gepredigt. Da dachte ich es sei wohl nicht unangemessen deine Kasse damit zu belasten«, der Klingenmeister grinste zurück. Langsam dachte er das Spiel zu verstehen.
»Sicher«, entgegnete der Aristokrat.
»Gibt es weitere Fortschritte zu bejubeln im Sinne deiner magischen Ertüchtigung?«
»Schwerlich. Es stellt sich bedauerlicherweise als äußerst zeitraubend heraus«. Auch wenn Thordir mit viel Enthusiasmus dabei war, war er jedoch nicht unbedingt der beste Lehrmeister für ihn. Zumals er das Ganze Anrufen von Innos während jeder magischen Handlung nicht als besonders hilfreich empfand und zudem der alte Paladin wahrscheinlich einem Herzinfarkt anheim fallen würde, wenn ihm auffiele, dass seine Lichtkugel nicht golden wie die Sonne, sondern silbern wie der Mond blitzte. Vielleicht wäre Jemand der erfahrener war besser geeinget.
»Der Erfolg wird sich einstellen«, beschloss der Lord und fuhr dann fort: »Was gibt es Neues aus Varant?«
»Es erscheint alles auf Kurs zu sein. Bakaresh hat längere Zeit nicht mehr so eine stabile Lage gehabt. Die Händlerfürsten scheinen ihren Profit zu sehen. Nur Mora Sul und Isthar sind noch größere Themen. Doch die werden wir sobald auch nicht ausräumen können. Es brodelt überall unter der Oberfläche und das wird sich wahrscheinlich nie ganz legen«
»Also unverändert«, konstatierte Daelon.
»Was macht das höfische Benehmen?«
»Von Innen nach Außen essen«, murrte der Paladin und fragte sich erneut ob die ganze Etikette sich nicht lieber zu Beliar scheren sollte.
»Meinst du wirklich es ist notwendig, dass ich das alles perfekt lerne? Ich bin gut ohne durchgekommen«
»Wir sind von Stand mein lieber Junge und ja dazu gehört alles. Die Menschen um uns herum schauen unbewusst auf uns. Jeder kleine Makel fällt direkt auf. Wir können uns nicht leisten aufzufallen. Besonders nicht negativ. Manchmal muss man konform sein um unauffällig zu sein«
»Ja Onkel«, meinte der Streiter entnervt. Es war viel was er hier lernen sollte und so leid es ihm tat bei Vielem war es ihm noch nicht ganz ersichtlich wohin die Reise führen würde. Zumindest noch nicht.
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Mora Sul
Die Dunkelheit des Abends hatte sich über die Stadt gelegt und Jaleel trat in das alte Schmugglerhaus im Nordviertel ein, dem neuen Unterschlupf der Rebellion. Bari, der zahnlückige Junge jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein, als er am Ende der Treppe, vor dem verborgenen Raum aus dem Schatten auf ihn zutrat.
„Bei den Göttern…Bari!“, zischte er, untypisch für seine sonst gefasste Art.
Die bevorstehende Aufgabe machte ihn nervös. Angespannt wie nur vor einem Schaukampf in der ehemaligen Arena war er. Der Bengel grinste nur frech, blieb aber stumm. Wenigstens ersparte er ihm dieses Mal den Austausch der albernen Parole, wobei er sich fragte, ob Sahar auf die Idee gekommen war oder sich der Junge einfach nur einen Spaß daraus gemacht hatte.
Im verborgenen Hinterzimmer traf er auf die anderen. Mit ihm waren fünf von den sieben verblieben Mitgliedern bereits versammelt. Naima fehlte und auch Jabir, den Jaleel zusammen mit Soraya zurückgelassen hatte, nachdem er sich auf dem Weg zu seinem Heim gemacht hatte.
Die kleine Blonde kam wenige Momente später in den Raum geschlüpft, die Wangen leicht gerötet und ein Grinsen auf den Lippen.
„Diesmal musste ich dir ja gar nicht den hübschen Arsch retten, Jal“, witzelte sie und verschränkte die Arme unter der kaum sichtbaren Erhebung ihrer Brust.
„Hast du mich etwa wieder verfolgt?“, fragte er überrascht.
Er hatte sie überhaupt nicht bemerkt, obwohl er dachte aufmerksam gewesen zu sein. Die Ausgangssperre war noch nicht ausgerufen worden, doch nach Sonnenuntergang sollte man in den schmalen Gassen der Metropole immer ein Auge in alle Richtungen haben. Auch die Anwesenheit der Roten hatte die Masse an Halsabschneidern und Dieben nicht bändigen können.
„Was denkst du denn? Ich kann ja nicht zulassen, dass unser einziger Chronist in die Arme der Myrtaner läuft, oder?“, spottete sie.
Er wusste, dass sie seine Profession als nutzlos und lächerlich ansah. Vergangenheit war für sie nicht von Belang, wenn die Gegenwart alles bot, was sie wollte und die Zukunft in ihren Händen lag.
„Sobald Jabir da ist, ziehen wir los“, ließ Sahar sie wissen, wobei sie Naimas Gehabe ignorierte.
Sie alle hatten leichtes Gepäck dabei, abgesehen von Rashid, der aussah, als würde er mehr mit sich führen, als bei der Reise zum Gebirge. Unvermeidlich bemerkte er Jaleels neugierigen Blick und er lächelte leicht.
„Einige Heilkräuter, Salben und Verbände vom Apotheker aus dem Südviertel“, erklärte er bereitwillig, „Ich mache einen Fehler nur ungern zweimal.“
„Fehler?“, stieß Soraya spitz aus und verengte die Augen zu Schlitzen.
Rashid schaute in ihre Richtung, seine Miene unleserlich. Jal wusste nicht, was er sagen sollte und entschied sich zu schweigen.
„Willst du andeuten, dass Rashid Schuld an Fahims Tod hat?“, fragte Amir mit gefährlichem Unterton in der Stimme.
„Amir“, warnte der älter Bruder ihn.
„Was? Das ist, was sie macht, Bruder!“, rechtfertigte sich der Jüngere.
„Jeder von uns hat Schuld an seinem Tod, auch er selbst“, beschied Rashid, „Gleichzeitig ist es niemandem von uns vorzuwerfen. Wir können nur unser Bestes tun, um es kein weiteres Mal zuzulassen.“
Daraufhin legte sich Stille über den Raum, die so lange anhielt, bis Jabir endlich zu ihnen stieß. Jaleel hatte die Gesichter der anderen beobachteten, während sie gewartet hatten. Es hatte nie ein unverwüstliches Band zwischen ihnen allen geherrscht. Zu verschieden waren sie, was Hintergrund und Motivation anbelangte. Rashid und Amir, bekennende Nomaden, die ihrem Volk den Rücken gekehrt hatten, da sie sich bessere Chancen erhofften mit den Menschen aus der Stadt einen Umbruch zu erwirken. Naima, deren Beweggründe so undurchschaubar waren, dass man sich wundern musste, ob sie nur des Nervenkitzels wegen dabei war. Jal hatte keine Vorstellung davon, wie Sahar sie für ihre Sache gewinnen hatte können. Soraya, die von ihnen allen am wenigsten wie eine Freiheitskämpferin wirkte, sich aber mehr als einmal bewiesen hatte. Und die Liva selbst, deren Antrieb von allen am heißesten zu brennen schien. Einzig ein Ziel einte sie, doch wie lange würde es noch ausreichen die verschiedenen Menschen zu verbinden? Der Chronist war sich sicher, dass sowohl Assasinen, als auch Nomaden hier am gleichen Strang zu ziehen versuchten, doch die Geschichte zeigte, dass sie auf eine Weggabelung zusteuerten, an denen sie in unterschiedliche Richtungen zerren würden. Er hoffte nur, dass dieser Moment noch in ferner Zukunft lag.
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Vengard
Eine weitere ereignislose Schiffsfahrt endete. Nun, nicht völlig ereignislos. Françoise hatte einen Blauwal auf dem Meer erspähen können. Solch ein majestätisches Tier und so riesig groß. Zu gern hätte die Priesterin den Wal aus der Nähe betrachtet und ihn gestreichelt. Ein Wunsch, der unerfüllt blieb. Schließlich konnten sie nicht ein Schiff voller Leute riskieren, nur um die Neugier der Obersten Feuermagierin zu befriedigen. Dafür war Françoise nicht egozentrisch genug.
Nun waren sie schließlich in Vengard eingelaufen. Die Fracht wurde gelöscht und bereits mit einem Wagen gen Tempelviertel gebracht. Françoise nahm sich hingegen die Zeit, um gemeinsam mit Konstantin und seinem Roten Hasen zu Fuß den Weg durch die Stadt zu gehen. Bereits im Hafen gab Vengard einen ganz anderen Eindruck als Thorniara. Alles war größer, belebter und vor allem besser in Schuss. So wie es sich für eine Königsstadt gehörte.
Nach einer Weile gesellten sich ein halbes Dutzend Soldaten zu den Neuankömmlingen. Ihren geröteten Gesichtern nach zu urteilen, hatten sie die Stadt im Laufschritt nach der Obersten Feuermagierin durchsucht. Da niemand von ihrer Ankunft gewusst hatte, gab es für Françoise selbstverständlich auch keine Eskorte, die sie im Hafen in Empfang nahm. Doch Nachrichten verbreiteten sich schnell und irgendwo saß ein Hauptmann, der von jetzt auf gleich alles in die Wege leiten musste. Bei dem Gedanken kam ein gewisses Schuldgefühl in Françoise hoch. Niemand würde ihr Probleme bereiten, weil sie das Protokoll ignorierte. Dafür könnte es einen der Soldaten treffen. Vielleicht war sie am Ende doch egozentrisch und realisierte es nicht einmal.
»Ich bringe mein Pferd in die Stallung.«, sagte Konstantin, als sie das Tempelviertel erreicht hatten.
»In Ordnung. Du wirst mich in meinem Arbeitszimmer im Tempel finden.«, antwortete Françoise. Dann wandte sie sich an die Soldaten ihrer Eskorte. »Ich komme jetzt allein zurecht. Richtet eurem diensthabenden Offizier meinen Dank aus, dass er so schnell auf meine plötzliche Ankunft reagiert hat.«
Allein schlenderte die Priesterin durch die Gassen des Tempelviertels. Vorbei an der Schule, vorbei an dem großen Hospital und durch den herbstlichen Garten. Kein einziges Blatt lag auf den Gehwegen. Ein deutliches Indiz, dass Parlan zur Zeit die Novizen und Adlati beaufsichtigte. Eine korrekte Vermutung, wie sich wenig später herausstellte. Der weißhaarige Feuermagier stand vor dem Eingang des Tempels und instruierte gerade gut ein Dutzend Adlati. Wie Ameisen schwärmten sie danach aus und verrichteten ihre Arbeiten.
»Schwester Françoise! Das ist ja eine Überraschung.«, sagte Parlan mit einem Lächeln.
»Wie geht es dir, Parlan?«, antwortete die Priesterin.
»Gut, gut. Ich kann nicht klagen. Wie kommt es, dass du hier bist? Ich dachte, du wärst noch auf den südlichen Inseln.«
»Das war ich auch. Wir haben eine Weihe gefeiert und danach hatte ich mich kurzerhand entschlossen, zurückzukommen.«
»Oh, eine Weihe? Richtig. Neoras hatte was davon erwähnt. Er meinte, es wären zwei Novizen geweiht worden. Stimmt das?«
»Es stimmt tatsächlich.«
»Wie ungewöhnlich.«
»Ja. Aber ich bin überzeugt, dass sie ein Gewinn für unser Gemeinwesen sind.«
»Und wer bin ich, dass ich die Oberste Feuermagierin in Frage stellen würde?«
Parlan lachte und Françoise musste schmunzeln.
»Überarbeite die niederen Ränge nicht!«, sagte die Priesterin scherzhaft und klopfte dem alten Feuermagier zum Abschied auf die Schulter.
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»Françoise es hat mich sehr gefreut, dich wieder zu treffen und zu sehen, wie du deine körperlichen Fähigkeiten weiter entwickelt hast. Ich bin mir bewusst, dass du bald wieder abreisen wirst, denn es gibt in dieser Stadt wohl nicht viel das dich hält. Sei dir gewiss, dass ich dich als Person sehr zu schätzen gelernt habe, obgleich ich mir immer bewusst sein werde, dass unsere Ideologien weit auseinander klaffen. Ich wünsche dir alles Gute und hoffe darauf, dass sich unsere Wege auch noch ein paar Male überschneiden mögen«, meinte DraconiZ nachdenklich auf die Frage von Daelon hin, ob er sich noch an die letzte Begegnung mit der obersten Magierin erinnerte. Zumindest an irgendetwas. Manchmal war es seltsam doch der Moment in dem sie sich getrennt hatten, in der Wüstenstadt am Rande Varants war ihm in Erinnerung geblieben. Ein Moment voller Ruhe und Frieden ohne Krieg. Sehr selten in der Zeit als er Assassine in Varant gewesen war.
»Das war das letzte was du zu ihr gesagt hast?«
»Ja soweit mich meine Erinnerung nicht trügt«
»Ein bisschen theatralisch meinst du nicht? Und zumindest musst du dir über die Ideologie nicht mehr ganz so viele Sorgen wie damals machen nicht wahr?«
»Wird sich zeigen«, antwortete der Klingenmeister nur auf die letzte Frage. Er war dazu übergegangen manche spitze Bemerkung einfach zu übergehen.
»Du weißt was du tust?«
»Das hoffe ich. Auch wenn ich recht sicher bin, dass wir – relativ gesehen – im Reinen waren, so ist sie die Erste die ich aufsuche, nachdem ich eine zweite Chance erhielt und die bei vollem Gedächtnis ist«. War auch wahrscheinlich am Besten so sie zuerst zu sehen. Wenn er an Medin, Uncle-bin oder gar den ehemaligen Großmeister Ferox dachte, so würde so eine Begegnung sicherlich nicht glimpflich ablaufen.
»Du hast einen Auftrag«, erinnerte Daelon ihn. »Das Reich schützen«
»Den werde ich niemals vergessen«, versprach der Paladin und verabschiedete sich dann, um die lange nicht gesehene Freundin aufzusuchen.
Während er durch die Straßen Richtung Tempelviertel schritt musste er noch viel an die vergangenen Abenteuer denken. Er hatte Valien mitgenommen. Das Schwert baumelte an einem lockeren Schwertgurt um seine Hüfte. Er hatte den edlen schwarzen varantischen Kaftan anbehalten, der er sich von seines Onkels Geld spendiert hatte. Selbst Daelon hatte nichts von ihrer Reise gewusst und es erst mitbekommen, als sie hier angelandet war. Das sprach dafür, dass sie recht kurz entschlossen gewesen sein musste.
Sie ließen ihn gewähren und gaben ihm Auskunft, dass sich die höchste Magierin in ihrem Arbeitszimmer befand. Sie gingen wohl entweder davon aus, dass er vertrauenswürdig genug war, wenn der König ihm eine zweite Chance gewährte und – das war wahrscheinlicher – dass sie ihn sehen wollte. Die Tür war gut in Schuss, denn sie knarzte nicht. Als sie sich öffnete konnte er sie sehen. Das Alter schien an ihr abgeperlt zu sein wie an eine Lotosblüte. Nur eine einzige weiße Strähne. Sonst hätte sie auch seiner Erinnerung entsprungen sein können.
»Françoise«, meinte er. »Es freut mich sehr dich wiederzusehen«
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Verwundert drehte sich Françoise zu ihrem Besucher um. Sie kannte die Stimme. Sie kannte sie und wusste gleichzeitig, dass diese Stimme hier nicht hingehörte. Als sie dann Draconiz erblickte, konnte sie es kaum fassen.
»Du bist es wirklich!«, rief Françoise und musste unweigerlich lächeln. Es war mehr als eine Lebzeit für die Priesterin vergangen, seit sie den Assassinenmeister zuletzt getroffen hatte. Er hatte sich verändert. Älter und reifer war sein Gesicht geworden. Doch es stand ihm gut. Seiner Kleidung nach zu urteilen, war Draco seinen varantischen Wurzeln treu geblieben. Ein weiterer Fakt, der sich nicht mit der politischen Realität vereinbaren ließ. Obwohl den Klingenmeister und die Oberste Feuermagierin eine herzliche Freundschaft verband, änderte das nichts an seiner Vergangenheit. Für die meisten Myrtaner war Draco ein Verräter und ein Feind. Lange Jahre stand auf seinen Kopf eine hohe Geldsumme ausgeschrieben, die ihn in eine Kategorie mit Zuben und den Anführern der Orks setzte. Und viele Streiter Innos' hätten ihn auch ganz ohne Bezahlung getötet.
Françoise schritt auf Draco zu, packte ihn an der Schulter und konnte sich gerade noch davon abhalten, ihren Freund zu umarmen. Dennoch war es ihr deutlich anzusehen, wie sehr sie sich über die Begegnung freute.
»Was bei allen Göttern tust du hier?«, fragte sie und blickte tief in die blauen Augen des Assassinenmeisters. »Bitte sag mir nicht, du hast dich bis hierher eingeschlichen?! Wenn man dich sieht, wird man dich töten!«
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»Kein Grund zur Sorge. Wir stehen wieder ganz offiziell auf der gleichen Seite«, meinte er lachend und vollendete die Umarmung die sie begonnen hatte. Wer wenn nicht er konnte die Etikette brechen? Der Streiter war die Ausnahme der Ausnahmen, etwas das niemals vorgesehen gewesen war , noch jemals wirklich gewünscht sein würde. Es fühlte sich richtig an und das zählte für ihn. Erinnerte ihn an die Kämpfe die sie durchgestanden hatten. Den Schmerz den sie gefühlt hatten. Schmerz, Blut und Tränen. Lachen und Freude. Der Weißhaarige war sehr erleichtert, dass sie ihm noch immer zugeneigt war. »Der König hat mir eine weitere Chance gegeben meinen Eid dem Reich und den Menschen gegenüber zu erneuern und die will ich nutzen. Onkel Daelon hat seinen Teil dazu beigetragen«. Er zwinkerte, löste dann sanft die Umarmung und setzte sein typisch kaum zu deutendes Gesicht auf.
Dann trat er einen Schritt zurück und zog sein geweihtes Schwert blank. Die Klinge schimmerte im Licht wie silbernes Feuer. Er legte sie schräg und dann in die Hände der obersten Feuermagierin. »Als ich in Bakaresh besiegt wurde verschwand ich über zehn Jahre in Dunkelheit«. Er hielt kurz inne. »Ich bat um den Tod. Ich wollte nicht zurückkehren. Schier endlos bat ich darum endlich Erlösung zu finden. Ich war sicher, dass ich nicht zurückkehren würde«. Er fühlte noch einmal kurz den kalten Atem des Todes und fröstelte. »Ein Licht zog mich zurück und ich fand Valien wieder. Die Klinge die wir nach Tyrien geweiht haben. Sie hat sich verändert wie ich mich verändert habe, doch sie steht für das Gleiche. Die Menschen und das Reich zu schützen«. Er lies einige Augenblicke verstreichen, wo sie sich die Klinge mit ihrer Expertise anschaute. »Kannst du Tränen immer noch spüren?«, fragte er leise. Er wusste, dass sie davon getrunken hatte. Was sie vielleicht noch besonderer machte als sie ohnehin war. Eine Frau an der Spitze von alten Männern. Das Leuchtfeuer gegen die Finsternis in Form einer gütigen, unerschrockenen und verständnisvollen Frau. Er schaute sich im Raum um und ging ein paar Schritte. Zweckmäßig, möglicherweise karg zu nennen. Kein stark zur Schau gestellter Prunk, den sie sich problemlos hätte nehmen können. Meditativ fast.
»Ich bin, wer ich bin. Das weißt du besser als die Allermeisten. Du wirst es an dem Schwert sehen. Die Dunkelheit ist in mir und wird nicht gehen, so wie sie jetzt in Valien ist. Doch ich entscheide in welche Richtung sie fließt. Zumindest die meiste Zeit«. Wieder legte er den Kopf schräg und grinste. »Wohin fließt deine?«, fragte er humorvoll genug, dass sie die Frage unbeantwortet lassen konnte, ohne dass es auffallen mochte.
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Bakaresh
Berash musterte den Hafen Bakareshs vom Fenster der Hafenkneipe aus und fragte sich, wie er am besten von hier verschwinden konnte. Die Gardisten und Wächter waren seit dem Einbruch in die Kasbah um einiges aufmerksamer als zuvor. Zwar hatte, soweit Berash es in Erfahrung bringen konnte, es keinen großen Alarm gegeben, aber eine entsprechende Order war wohl an die Soldaten weitergegeben worden. Vielleicht hatte es aber auch daran gelegen, dass Berash ziemlich lange in den Katakomben herum geirrt war und sie ihn deswegen nicht gefunden hatten.
Schaudernd dachte der Assassine daran zurück, wie er mit den improvisierten Fackeln orientierungslos durch die steinernen Katakomben gezogen war, immer wieder gezwungen sie zu löschen und neu zu entzünden um so Licht zu sparen. Hunger und Durst hatten ihr übriges dazu beigetragen, dass er am Ende mehr im Fieberwahn als bei klarem Verstand gewesen war. Einem Wunder gleich war er am Ende dennoch aus den Kammern entkommen, verdreckt, stinkend und brabbelnd wie ein Irrer, doch etwas Ruhe und einfache Nahrung hatten ihm geholfen darüber hinweg zu kommen. Auch wenn er sich jetzt noch zwischendurch dabei erwischte mit sich selbst zu reden.
Eine Angewohnheit, die er schnellstens ablegen musste, wenn er nicht noch mehr Blicke auf sich ziehen wollte.
Doch während Berash nun hier in dieser Kneipe saß und den gedämpften Geräuschen eines typischen Hafens lauschte, kam ihm eine noch viel wichtigere Frage: Wohin sollte er gehen?
Varant bot ihm nichts mehr. Die königlichen Soldaten hatten die meisten Städte unter fester Kontrolle und wenn es Widerstand gab, dann höchstens von den Assassinen Zubens. Falls man den Gerüchten um den Obersten der Assassinen glauben schenken wollte. Berash hatte jedoch am eigenen Leib erfahren müssen, wie es war, wenn man ihm nicht dienen wollte. Und das wollte der Assassine nicht noch einmal durch machen.
Myrtana fiel auch weg, schließlich war dies die Hochburg Rhobars und all seiner Soldaten. Da konnte Berash sich auch gleich am nächsten Baum selbst aufknüpfen, das ginge zumindest schneller. Von Nordmar brauchte er gar nicht erst anzufangen.
Nein, dass sinnvollste wäre, wenn er das Festland wieder verließ. Doch wohin? Khorinis? Oder zurück nach Argaan?
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Vengard
Ein Stein fiel vom Herzen der Priesterin, als sie die Neuigkeiten hörte. Draco war nicht nur ein Freund, sondern auch ein mächtiger Verbündeter. Gewiss würde es noch Jahre dauern, bis die meisten ihn als solchen akzeptierten. Und es würde zweifellos immer jemanden geben, der in ihm nach wie vor einen Verräter sah. Aber nicht Françoise.
»Ich wusste immer, dass du den Weg zurück finden würdest.«, sagte die Oberste Feuermagierin. »Dass Rhobar das ebenfalls erkannt hat, freut mich sehr. Er ist ein außergewöhnlicher Mann und seine Entscheidung wundert mich deshalb nicht. Sein Vorgänger hätte dir nicht verziehen.«
Dann nahm Françoise das geweihte Schwert von Draco entgegen. Es lag überraschend schwer in der Hand, wie sie feststellen musste. Was in erster Linie daran lag, dass sie selbst keines trug und entsprechend keinen Vergleich hatte. Die letzte Waffe, die sie in den Händen gehalten hatte, war Immanuels Dolch gewesen. Ebenfalls aus magischem Erz geschmiedet, doch etwas völlig anderes als ein geweihtes Paladinschwert.
»Ich hatte dir damals gesagt, dass du es niemals verlieren sollst!«, mahnte die Oberste Feuermagierin. »Zum Glück hat es DICH wiedergefunden.«
Françoise strich vorsichtig mit den Fingern entlang der Klinge. Kein sterbliches Wesen war dazu in der Lage, die Macht der Tränen zu korrumpieren. Vorübergehend übertünchen vielleicht. Doch am Ende triumphierte die dem Schwert innewohnende Kraft Innos'.
»Ich spüre die Tränen deutlich. So deutlich wie am Tag der Weihe.«
Sie gab die Waffe an Draco zurück.
»In jedem Menschen existiert Licht und Dunkelheit.«, sagte Françoise. »Es liegt an jedem einzelnen, wie er damit umgeht. Finde die Stärke, die Dunkelheit in dir zu kontrollieren. So wie es die größten Streiter Innos' vor dir taten.«
Die Frage des Paladins hatte Françoise damit elegant umgangen, wie sie fand.
»Ansonsten finden wir für dich bestimmt einen freien Platz als Adlatus, damit du Disziplin lernst. Alles was du brauchst, ist ein Schaf und...«, begann die Oberste Feuermagierin und hielt für den Effekt einen Moment lang inne. »Tausend Goldstücke.«
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Vengard
So deutlich wie am Tag der Weihe. Damit war es bestätigt. Das Licht schien etwas anders. Doch es war genauso stark wie vorher. Ein gutes Omen befand der Streiter. »Ahh die tausend Goldstücke wären sicherlich nicht das Problem«, lachte er und dachte an die Kasse seines Onkels. »Aber meine panische Angst vor Schafen. Wirklich wie sie blöken und dieses Fell. Dann erst wie sie riechen. Unheimlich findest du nicht? Es lässt sich auch nicht so recht einschätzen was sie wollen. Dieser finstere Blick. Wabernd und scheinbar wahllos. Nein da lässt sich leider gar nichts machen fürchte ich. Wenn es wenigstens Raben wären oder eine Echse. Ein Frosch vielleicht. Aber Schafe….«, erlaubte er sich ein wenig zu blödeln.
Kurz darauf räusperte er sich und wurde zumindest ein bisschen ernster: »Mein Onkel und der König haben mich dafür vorgesehen zu helfen Informationen zu beschaffen und widrige Gegebenheiten für die Krone früh ausfindig zu machen. Gegebenenfalls auch dieser frühzeitig entgegen zu wirken. Ich habe bereits ein Netzwerk in Varant aufgebaut. Schließlich fiel es mir dort am Leichtesten alte Kontakte wiederzubeleben. Doch die Lage dort ist noch immer schwierig. Der König wird akzeptiert, aber nicht geliebt. Die Kultur ist stark verwurzelt und Feuer und Schwert haben leider eher zur Festigung statt zur Aufweichung beigetragen. Nichts desto trotz ist natürlich auch daran gelegen Myrtana, Argaan und Nordmar im Blick zu behalten. Daelon bekommt viel mit, auch in seiner Rolle als Berater des Königs und ich ebenfalls, da ich ihm nun unterstellt bin. Doch alles sicherlich nicht. Auch hier werde ich versuchen mich weiter einzubringen. Wenn du dort Hilfreiches weißt, lass es mich gerne wissen. Heißt, wenn ich dich nicht gerade von irgendetwas Wichtigem abhalte«, meinte er und spähte zur Zimmertür als erwartete er, dass gleich Jemand hineinkommen würde, so wie er es getan hatte. »Wie hast du es eigentlich geschafft dich einigermaßen an die Etikette hier zu gewöhnen? Ich komme mir manchmal fast vor wie ein Bauer ohne Manieren.«, wieder lachte er. »Oder nutzt du einfach den Bonus der obersten Feuermagierin? Du machst einfach neue Regeln?«, zwinkerte er.
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