Ein mächtiger Verbündeter
Die Vorbereitung und Planung für einen Job waren der ätzendste Teil ihrer Arbeit. Natürlich machte es Sinn, sich haargenau auf den Job vorzubereiten, Rollen zu verteilen, die Location auszukundschaften, Backup-Pläne zu schmieden und das Equipment vorzubereiten. Und Jax wusste, was er tat. Seine Erfahrung bei der Allianz hatte sich in der Vergangenheit schon wiederholt als absolut goldwert bewiesen und sie alle vertrauten seiner Einschätzung, was ihre Herangehensweise anging.
Doch Saskia fand die ewig langen Treffen unendlich langweilig und es fiel ihr wie immer nach einer Weile schwer, sich auf die Gespräche zu konzentrieren. Jax zeigte ihnen einen Plan des Aschenests, zumindest so, wie es vor einigen Wochen noch ausgesehen hatte und ging mit ihnen die verschiedenen Pfade durch, welche man durch das Gebäude nehmen konnte, sowie Einstiegspunkte und Fluchtwege. Manchmal beneidete Saskia Wish, denn die Asiatin hatte offenbar nicht nur eine unbegrenzte Aufmerksamkeitsspanne, sie war scheinbar auch in der Lage, sich jeden noch so komplizierten Plan im Kopf abzuspeichern und problemlos wiederzugeben. Die Computerspezialistin neben ihr machte sich dauerhaft Notizen auf ihrem Laptop und speicherte sich die Grundrisse ihres Zielortes mit allerhand zusätzlicher Anmerkungen ab, während Saskia mit einer ihrer Pistolen rumspielte und sie immer wieder um den Finger kreiseln ließ.
Immerhin eine gute Sache hatten die Treffen in der Boom-Box, um den Angriff auf die Techno-Nomaden vorzubereiten; Gloria war wieder aufgetaucht. Und es hatte nicht einmal einen Anschiss von Saskia gebraucht, um sie aus ihrem Loch zu kriegen.
Dennoch sah die Biotikerin so beschissen aus wie selten zuvor. Seitlich und mit angewinkelten Beinen saß sie auf einem der Sofas und es war schwer zu sagen, ob sie Jax bei seinen Ausführungen zuhörte oder im Delirium gefangen war. Ihr Gesicht war blass, eingefallen und zeigte gut sichtbare Augenringe. Ihre schulterlangen roten Haare drangen wild und ungepflegt unter der Kapuze ihrer gelben Jacke hervor, welche sie für gewöhnlich trug. Wann immer sie direkt angesprochen wurde, dauerte es einen Moment, bis sie reagierte und ihre eigenen Beiträge waren oft sehr einsilbig und zurückhaltend.
Das Treffen endete auch an diesem Tag mit den üblichen Worten von Jax: "Also...haltet die Augen und Ohren offen. Falls ihr irgendetwas mitbekommt, was die Techno-Nomaden betrifft, meldet euch sofort, verstanden? Wir brauchen jede Info, die wir kriegen können." Zustimmendes Gemurmel folgte, doch damit gab sich der Anführer zufrieden. Von seiner Crew konnte er nicht die Disziplin erwarten, welche er beim Allianz-Militär gewohnt war. "Gut, das wäre alles. Wegtreten!"
Die Boom-Box leerte sich sehr schnell wieder. Echo, Matt und Wish verschwanden als Erste, Fix folgte ihnen nach kurzer Zeit, nachdem er versucht hatte, Gloria Roten Sand anzudrehen. Die Biotikerin lehnte zwar ab, doch ihnen war klar, dass sie das nur tat, weil Jax, Casandra und Saskia dabei waren und sie vor ihnen keinen Stoff kaufen wollte.
"Ich kann dir wirklich besseres Zeug geben", behauptete der Dealer. "Cleaneres Zeug! Die Scheiße, die du jetzt nimmst, bringt dich noch um!"
Gloria schüttelte langsam den Kopf. "Nein...geht schon...", krächzte sie.
Der Mann seufzte resigniert und erhob sich. "Wenn du deine Meinung änderst, ruf mich an", meinte Fix schulterzuckend, schnappte sich seine Jacke und verließ den Unterschlupf.
"Hey, wenn sich Jax jetz' auch noch verpisst, sind wir Mädels ganz unter uns!", merkte Saskia lautstark an.
Der Ex-Soldat wirkte amüsiert. "Na, wenn das so ist. Ich muss eh noch ein paar Sachen besorgen, also brauche ich euch nicht länger stören", grinste er und meinte beim Rausgehen noch leicht spöttelnd: "Viel Spaß bei eurer Ladies-Night..."
Kaum war er gegangen, richtete sich Saskia auf und sah zu Casandra und Gloria. "Na, was machen wir jetz'?", wollte sie mit kindlich hoher Stimme wissen. "Lackieren wir uns die Fingernägel und reden über Jungs?"
Mehr als ein belustigtes Schnauben von Casandra bekam sie für den Witz nicht. "Gloria...wie geht's dir?", wandte sich die breitschultrige Frau mit sanfter Stimme an die Biotikerin.
"Ahhh...gut...mir geht's gut..."
"HA! Lügnerin!", schalt Saskia sie und warf sich wieder nach hinten. "Das war 'ne rhetorische Frage, Mann! Wir wissen doch alle, dass du am Sack bist."
Ihre Freundin schaute leicht beschämt zur Seite. "Jaah...", murmelte sie leise, gefolgt von betretenem Schweigen, welches die Boom-Box wie ein Gas ausfüllte.
"Okay, war ein scheiß Thema", beschloss Saskia. "Wie sieht's denn sonst aus? Irgendwas Spannendes passiert in letzter Zeit?"
Wieder folgte im ersten Moment einfach nur peinliche Stille. Casandra schien zu überlegen, ob sie etwas sagen wollte oder nicht, während Gloria sich weiterhin abgewandt hatte. Saskia war drauf und dran, die anderen beiden Frauen für ihre Schweigsamkeit anzuschnauzen, als...
"Wisst ihr, wo Anastasiya ist?" Zwar sprach Gloria schon die ganze Zeit über ganz leise, so als würde es ihr Schmerzen bereiten die Stimme zu erheben, doch die Frage war sehr gut zu verstehen.
"Du bist auch nicht mehr auf dem neuesten Stand, oder?", prustete Saskia los. "Anastasiya ist doch schon seit Wochen verschwunden."
"Ja, wir haben seit dem Tipp mit den Vorcha nichts mehr von ihr gehört", erklärte Casandra deutlich ernster. "Ich fürchte, es hat sie erwischt."
Gloria senkte den Blick wieder. "Oh..."
Eigentlich war sie immer eine gute Freundin der Crew gewesen und hatte Jax und seine Mitstreiter regelmäßig mit Infos versorgt oder sie mit nützlichen Leuten in Kontakt gebracht. Leider hatte Anastasiya auch einige Feinde auf der Station gefunden und allem Anschein nach hatten die sie nun endgültig zum Schweigen gebracht. Anastasiyas Wohnung war seit Wochen verwaist und sie war auf keinen Kanälen mehr erreichbar. Sie war nur der letzte Name auf einer endlosen und stetig wachsenden Liste aus Freunden und Verbündeten, welche sie an die gierige Bestie namens Omega verloren hatten.
Die Biotikerin wirkte besonders bedrückt von der Nachricht.
"Wieso fragst du?", wollte Casandra von ihr wissen.
"Naja...also...Jax sagt, wir brauchen vielleicht mehr Leute für den Angriff...wir sind vielleicht nicht stark genug..."
"Ach, Quatsch!", winkte Saskia sofort ab. "Wir haben doch jetzt diesen kack Turianer dabei, wenn der als Kämpfer nur halb so gut ist wie als Wichser, dann wird das kein Problem. Außerdem..." Sie grinste Gloria schief an. "Wir haben dich!"
"Ich...ich...bin nicht mehr..." Die Rothaarige nestelte am Reißverschluss ihrer Jacke herum. "Ich bin doch total nutzlos", raunte sie.
"Alter, fuck off!", rief Saskia. "Du bist 'ne beschissene Legende unter Biotikern. Die Beste auf ganz fucking Omega. Und jetzt hör auf so rumzujammern, sonst muss ich dir wehtun!"
Auch Casandra schüttelte den Kopf. "Gloria, hast du schon vergessen, was du mit deiner Biotik machen kannst? Deine Kräfte sind mehr wert als unser ganzes Arsenal zusammen."
Der Gesichtsausdruck der Biotikerin versteinerte für einen Moment und sie sah aus, als ob sie Schmerzen hätte. "Aber..."
"Hab ich nich' gesagt, du sollst aufhören zu jammern!", beschwerte sich Saskia. Aus ihrer recht eigenwilligen Liegeposition heraus versuchte sie nach ihrer Freundin zu treten. Bei ihrer Körpergröße fehlte aber trotzdem noch ein gutes Stück, um die Frau zu treffen. "Ach, fuck..."
Trotzdem erreichte sie ihr Ziel, denn nun erschien doch ein schwaches Lächeln auf Glorias Gesicht.
"Du bist wichtig für unser Team, wir brauchen dich", fuhr Casandra fort und deutete mit einem Daumen abschätzig in Saskias Richtung. "Kiki zum Beispiel ist eigentlich völlig nutzlos, die kann nicht mehr als laut schreien und wild um sich schießen. Aber du, Gloria..."
"Moment ma'! Was soll'n das heißen?" Saskia richtete sich auf und funkelte die Frau an.
Casandra erwiderte den Blick fast schon herausfordernd, lehnte sich lässig nach hinten und legte die Füße auf dem Tisch ab. "Hast du ein Problem?", fragte sie unbeeindruckt.
Für einen Moment war Saskia selbst verunsichert. Es war schwer zu sagen, ob Casandra nur scherzte oder ob sie ihre Worte ernst meinte. Und das ärgerte Saskia noch mehr als alles andere. Mürrisch betrachtete sie ihre Mitstreiterin. "Ey, Cassie, werf nochma'n Bier rüber!"
Leise in sich hinein lachend beugte sich Casandra zu dem Kasten, welcher neben ihrem Sofa stand und wollte gerade danach greifen, als sich plötzlich ein blaues Leuchten auf die Kiste legte. Ein kaum hörbares Wummern lag in der Luft und die leicht flimmernde Energie kroch suchend über den Kasten, bis sie sich um eine der Flaschen legte und sie vollständig einschloss. Das wabernde Licht ruckte etwas unbeholfen die Flasche mitsamt Kasten ein wenig hin und her, bis es den Behälter schließlich nach oben zog. Langsam schwebte die Flasche durch die Luft und hielt zielstrebig auf Saskia zu.
Ein schwaches Flimmern in demselben Blau umspielte Glorias Fingerspitzen, während sie mit leichten Bewegungen ihrer Hand die Flasche durch die Luft dirigierte. Hatte Gloria die ganze Zeit bisher trübselig, niedergeschlagen und schwach gewirkt, konnten sie nun einen Funken von Glückseligkeit in ihren blutunterlaufenden Augen erkennen. Mit einem Lächeln, welches rötlich angefärbte Zähne entblößte, schaute die Biotikerin zu Saskia.
Die erwiderte den Blick und nickte ihr grinsend zu. Kaum war die Flasche in Griffweite, angelte Saskia sie aus der Luft und das blaue Leuchten erstarb. "Ich bin froh, dass du dabei bist, Glo!", sagte sie ehrlich.