„
Ja, Mama. Ich werde aufpassen und pünktlich zuhause sein“, sagte Charis spöttisch aber mit einem liebevollen Augenzwinkern garniert, als Orlowski beim Gericht ausstieg. „
Viel Glück und halten Sie durch. Und grüßen Sie den Staatswalt von mir… obwohl: lieber nicht“, sagte sie zum Abschied. Dann schloss sich die Tür des Skycars und Charis flog mitsamt der Takedas wieder los.
*
Das Skycar der Takedas erhob sich in die Lüfte und verschwand mit einem letzten Aufröhren des aufgemotzten Motors. Vermutlich würden die beiden Schwierigkeiten bei einer Polizei-Kontrolle bekommen und das wäre dann das Ende ihrer Söldner-Karriere. Oder sie hatten genug Power, um den Cops zu entkommen. Aber wohin sollte man fliehen, auf einer Station? Die Antwort lag direkt vor Charis‘ Nase: In die Tips.
Die Asari hatte sich gut eineinhalb Stunden vor dem geplanten Treffen mit Sonny in der Gegend absetzen lassen. Sie war in eigener Sache unterwegs, einer Sache, die sie als Dank und gleichermaßen als Freundschaftsdienst betrachtete. Charis steckte die Hände in die Westentaschen. Die linke hielt sie frei, was sie ein biotisches Feld wirken musste, die rechte umklammerte den Griff der Pistole. Sie machte lange Schritte, die Absätze der schwarzen Stiefeletten mit der silbernen Fleur de Lys auf der Spitze klackten laut beim Gehen. Gestalten mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen lugten aus Hauseingängen und starrten aus stumpfen Augen, so leer wie die
Rrin-Kalosh-Behälter zu ihren Füßen. Aus einer abknickenden Gasse hörte Charis hysterisches Gelächter. Entweder war jemand drauf oder hatte gerade jemanden abgestochen. Ein zerfleddertes Wesen streckte die verschmutzte, krumme Hand in der Hoffnung aus, dass die Asari irgendwelche Credits übrighatte. Stattdessen lief sie mit langen Schritten weiter, vorbei an der von Kugeln durchsiebten Leiche eines Straßenköters. Sie hatte es nicht. Das hier war wirklich ein mit verdreckten Tüchern abgehangener Vorhof zur persönlichen Hölle der Gescheiterten und vergessenen. Ein Ort, wo Mütter drei Kinder von sechs verschiedenen Vätern hatten und der Blick in die Zukunft im Video-on-demand-Fernsehen lag. Trotzdem schaffte es Charis ohne Probleme zur kleinen, aber breiten Tür in einem fensterlosen Komplex, der an einen dunklen Basaltklotz erinnerte. In den Stahl über der Tür waren Zeichen und Symbole eingeritzt, die irgendwie archaisch wirkten. Charis klopfte und sah sich um.
Die Tür öffnete sich, nachdem eine winzig kleine Kamera die Asari für einen Moment inspiziert hatte. Das heißt: Die Türen glitten beiseite aber der beinahe quadratische Durchgang war dennoch nicht frei.
Ein Mann von der Größe und Breite eines Kroganers stand vor der Schmugglerin. Sein T-Shirt hätte Charis als Kleid tragen können, sein Lächeln aber konnte nur er selbst so tragen.
„
Charis Vale! Altes Mädchen!“ Er öffnete seine Arme, die ungefähr so dick wie Charis‘ Oberschenkel waren und drückte die Asari an sich. Sie versuchte, ihre Arme um ihn zu schlingen aber wie immer passte es nicht. Hugo schien seit ihrer letzten Begegnung sogar noch dicker geworden zu sein. Es war, als würde man einen Berg umarmen. Oder einen Mammutbaum, nur dass dieser hier viel weicher war und nach Vanille roch.
„
Schön dich zu sehen, Hugo“, sagte Charis, nachdem er von ihr abgelassen und sich mit den Fingern durch seinen Lockenkopf gefahren war.
„
Komm rein, komm rein“, sagte er. Das musste man der Asari nicht zweimal sagen.
Die Wohnung war weitläufig, die Flure ebenso quadratisch wie die Tür und erinnerten an Transporttunnel. Hugo hatte diese Bleibe gewählt, weil sie besser zu seiner Form passte und er keine Lust hatte, ständig den Bauch einziehen zu müssen. Er führte sie durch einen der Korridore. Weil es hier keine Fenster gab, spendeten Leuchtstoffröhren ein bläuliches Licht, das die dunklen Wände wie Skarabäenpanzer funkeln ließ.
„
Willst du einen Kaffee? Egal, du bekommst einen. Ich habe gerade eine neue Kanne aufgesetzt.“ Charis lächelte und nahm dankend an. Sie hatte sich darauf vorbereitet: Hugo trank immer Kaffee. Vor allem, wenn er arbeitete. Und hier, direkt vor Charis‘ Augen lag sein „Arbeitszimmer“. Etwa zwölf Holo- und drei analoge Bildschirme bildeten das kreisförmig angeordnete Herzstück des Raumes. Ein riesiger Schreibtischstuhl mit tapferen Rollen diente als Hugos Kommandozentrale. Er kam mit zwei Tassen zurück und reichte Charis eine. Sie danke, nahm einen Schluck und ließ ihn sofort wieder zurückfließen. "
Bah!"
„
Zu heiß?“
„
Verdammt nein, aber wie viel Süßstoff ist denn da drin?“
„
Oh… dann ist das meiner“, meinte Hugo und tauschte die Tassen. Er betrachtete kurz das Schwarz kurz, zuckte dann die Achseln und trank.
„
Schon besser“, meinte die Asari, als sie vorsichtig von der zweiten Tasse probierte.
„
Hey, Gemma, schaut mal wen wir zu Besuch haben.“
Hugo drehte sich auf seinem Stuhl in Richtung eines Durchgangs, durch den
eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren und der Eleganz eines weiblichen CEO schritt. Sie lächelte, als sie Charis sah und drückte sie ebenso wie es Hugo getan hatte.
„
Wie schön dich zu sehen, Vale. Was führt dich her? Du bist sicherlich nicht zum Reden über alte Zeiten gekommen, oder?“
„
Und wenn dem so wäre?“
Gemma rief etwas auf ihrem Omnitool auf, scrollte durch Dateien und machte ein paar Eingaben. „
Dann würdest du uns jetzt erzählen, dass dein Schiff explodiert ist, richtig?“ Sie hielt der Asari eine Kameraaufnahme aus dem Nebendock der
Renacimiento. Das Schmugglerschiff war weit im Hintergrund, doch Charis erkannte es sofort und so sah sie aus der Entfernung zu wie es tonlos explodierte.
„
Hmm, verdammte Hacker“, grollte Charis halbernst. Gemma lächelte.
„
Du willst unsere Dienste?“, fragte sie und legte Hugo eine Hand auf die Schulter.
„
Ja, will ich“, sagte Charis.
„
Klar, natürlich, altes Mädchen“, sagte der Dicke und nahm noch einen Schluck aus der dampfenden Tasse.
„
Und womit willst du das bezahlen? Dein letzter Kontostand, bevor dieses sich so plötzlich in Luft auflöste, was…“ Die Frau aktivierte erneut ihr Tool, doch Charis hatte schon verstanden. „
Gemma“, sagte Hugo zurechtweisend. „
Vergiss mal nicht, was Charis für uns getan hat. Wir schulden ihr wirklich noch einen Gefallen. Oder mehrere. Unsere ganze Ausrüstung würde noch auf Eden Prime feststecken, wenn sie nicht wäre.“
„
Dafür haben wir sie aber auch bezahlt“, erklärte Gemma mit einem Stirnrunzeln.
„
Ja, mit ein paar Credits und nutzloser Tech“, erinnerte Charis sie an einen der mieseren Deals. „Du hast ja recht. Das Leben hier auf der Citadel korrumpiert einen, vor allem, wenn man hier unten leben muss“, sagte die Hackerin, schob Hugos Arm etwas beiseite und setzte sich auf seinen Schoß, was sich anfühlen musste, als würde sie sich in einen jahrzehntelang benutzten Baseball-Handschuh fallen lassen. Sie schlang die Arme um seinen breiten Hals, was ihr nur mit Mühe gelang und sah ihm in das feiste aber lächelnde Gesicht. „
Du kannst froh sein, dass ich so einen süßen und hilfsbereiten Ehemann hab, Vale.“
„
Bin ich auch“, sagte Charis. „
Ist hier eigentlich noch Rauchverbot?“
„
Striktes. Wenn die Rauchmelder angehen und die Technik fluten können wir uns auch gleich in die Tunnel begeben“, meinte Gemma. Neben ihr öffnete Hugo eine Dose mit einem giftgrünen Energy-Drink.
„
Was können wir denn für dich tun.“
„
Ihr müsst eine Adresse für mich raussuchen, besser gesagt ein Kontakt. Interstellar. Und ich muss eine Nachricht absetzen können.“
„
Okay… etwas wichtiges.“
„
Hmm… eine Schuld, sozusagen. Etwas für eine… Freundin.“
Hugo drehte seinen Stuhl und tippte ein paar Felder.
„
Und wie heißt diese Person?“
„
Werner Neumann.“