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Novizin Vocea, Thorniarer Marktplatz - Eine Einladung
„Komm schon, du schaffst das“, machte sie sich Mut. „Es gibt einen Grund, warum sie dich losgeschickt haben.“
Vocea sah sich auf dem Marktplatz um, als wäre sie eine Diebin. Als täte sie etwas Verbotenes. Und ein wenig kam es ihr so vor, denn ihre Aufgabe war gewagt. Dreist sogar. Sich mitten in die Stadt der Rotröcke zu stellen und diese Kunde zu verbreiten, mochte durchaus gefährlich sein. Außer, es gelang ihr, einen strahlenden Auftritt hinzulegen und das gewisse Glitzern an den Tag zu legen, dass ihr nachgesagt wurde. Nicht umsonst war sie früher so oft die Hauptdarstellerin im großen Theater von Setarrif gewesen! Nun, eigentlich war es eine Arena gewesen, die den Dramatikern von Zeit zu Zeit für ihre glänzenden Auftritte überlassen worden war, doch das tat nichts zur Sache. Was zählte, war, dass die Bühne ihr Element war, die gefesselten Blicke der Menschen die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, der Beifall der Zuschauer die Nahrung in ihrem Bauch. Sie war von Adanos geschaffen, damit man ihr zuhörte, verdammt! Und genau das würden die Leute nun auch tun.
Vocea schlug ihren hauchdünnen, weißen Überwurf zurück und ließ das Kleidungsstück von ihren Schultern rutschen. Im Rot der Abendsonne erstrahlte das Blau ihrer Novizenrobe und brachte Lebendigkeit und Farbe in die Tristesse der Ordnung.
„Bürger des wunderschönen Thorniara!“, rief sie. Eine schmeichelhafte Lüge zum Auftakt, so war die Art der Schauspieler. Glockenklar war ihre Stimme immer noch, über große Plätze und zu den Ohren vieler Menschen wusste sie zu sprechen, dass jeder sie verstand und aufhorchen mochte.
„Ich komme aus dem beschaulichen Stewark im Auftrag des Kreises des Wassers! Die Wassermagier schicken mich mit einer Kunde des Friedens und der Freude, mit einer Einladung zur Feier des Lebens und des Miteinanders! Begleitet mich und pilgert an meiner Seite in die Stadt auf dem Fels, denn Adanos, der Herr des Lebens, hat uns ein Geschenk gemacht, das wir mit Fest und Tanz und Speis‘ und Trank mit allen teilen wollen.“
Eine bedeutungsschwere Pause, ein strahlendes Lächeln in die Runde – die Menschen hörten ihr zu. Sahen sie an. Eine wohlige Freude durchfuhr sie. Vocea war in ihrem Element.
„Das Schicksal schenkte uns einen Tempel, eine heilige Halle der Erde und des Wassers. Seht das Wunder des Tempels unter dem Meer, seht hinaus in die wässrige Tiefe durch ein riesiges Fenster aus Magie! Ein jeder von euch wird willkommen sein, wenn Spielmannszüge und Schausteller die Straßen in ein kunterbuntes Abenteuer verwandeln und die Pracht des Lebens feiern! In zwei Tagen beginnt die große Feier, in zwei Tagen werden wir uns alle als Freunde begegnen. Kommt, sage ich! Kommt, und wir werden Seite an Seite stehen, wenn der Tempel von Stewark seine Pforten öffnet!“
Vocea sah sich zufrieden um und blickte in die Augen der Menschen, die stehen geblieben waren, um ihrer Stimme zu lauschen.
„Hey, ich kenn dich!“, rief ein Mann in mittleren Jahren, der gerade mit einer abgedeckten Schubkarre vorübergerollt war und innegehalten hatte. „Du bist doch die Schauspielerin! Dich fand‘ ich immer scharf!“
Ein Bewunderer! Nach so langer Zeit, und das hier in Thorniara! Voceas Herz machte einen Hüpfer.
„Du hast Recht, ich bin es! Vocea, die Blume von Setarrif!“ Sie strich sich durch das blonde Haar und schlug die Augen nieder. „Kann ich mit dir in Stewark rechnen, mein Hübscher?“
„Worauf du einen lassen kannst!“
Voceas Zähne glänzten weiß im Abendlicht. „Damit machst du mir eine riesige Freude! Wirst du deinen Freunden davon erzählen, dass ich euch alle eingeladen habe?“
Der Man glotzte sie an. „Öhm…“
Sie blinzelte ihn an. „Bitte…“
„Na gut, warum eigentlich nicht? Wir wollten uns Stewark schon lange mal anschauen.“
Vocea strahlte. „Das ist toll! Entschuldige, ich muss noch weiterziehen. Wir sehen uns beim Tempel?“
„Aber so was von!“
Sie winkte ihm zu und wandte sich ab. Galant hob sie ihren Überwurf vom Boden auf und stolzierte davon. Sie konnte es immer noch!
Nun musste sie nur noch herausfinden, in welcher Richtung Norden lag. Immerhin hatte sie noch einen zweiten Auftrag zu erfüllen, der sie in die Heilkammer führte. Aniron hatte ihr einen Brief für eine Frau namens Danee mitgegeben. Auf dem Weg dorthin würde sie sicherlich noch das ein oder andere mal ihr Sprüchlein aufsagen – allein schon, weil es sich so gut anfühlte, endlich wieder gesehen zu werden. Blieb nur zu hoffen, dass die Stadtwachen sie das auch weiterhin tun lassen würden. Entspannt war schließlich wirklich nicht gerade das Wort, das sie mit den Königstreuen in Verbindung brachte.
„Alles für den Auftritt“, murmelte sie sich selbst zu. „Jede Werbung ist gute Werbung.“
Kisha
Geändert von Die Wassernovizen (06.09.2023 um 00:43 Uhr)
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Der Friedhof. Aus irgendeinem Grund hatten ihre Schritte die junge Frau, die vor wenigen Stunden von Bord eines Schiffes gegangen war, hier hingeführt. Der Friedhof der Hafenstadt Thorniara, dem Tor Argaans zu Welten jenseits des Ozeans. Hier war von dem Treiben in den Straßen und am Hafen nichts mehr zu hören, hier wehte nur der Wind, hörte man nur das Rauschen und Branden der Wellen am Fuße der Klippen, auf die vor Generationen die erste Katakombe, die erste Gruft gebaut worden war.
Friedhöfe, Mädchen, sollt ihr als Ort des Andenkens an die Gefallenen betrachten. Ignoriert, ja verachtet die Gräber von Toten, die Krankheit oder Alter dahingerafft hat. Die Grabsteine von Kriegerinnen, Soldaten, Kämpferinnen und Rittern, die sollt ihr ehren. Denn sie haben das Schwert in die Hand genommen und sich dem Richtspruch des Krieges gestellt. Dafür gebührt ihnen Respekt.
Also war die junge Frau mit den Worten der Ehrwürdigen Arimae in den Ohren über die gepflasterten Wege gewandelt, hatte hier und dort an Gräbern halt gemacht, um die Inschriften der Grabsteine zu lesen. Jenen Toten, die nicht im Krieg gefallen waren, schenkte sie nur ein herablassendes Schnauben, während sie jenen, die im Kampf gefallen waren, ein ehrerbietendes Neigen des Kopfes schenkte.
„Betrachtet es als Ehre, im Kampf gefallen zu sein. Ihr seid den Tod der ruhmreichen Krieger gestorben“, flüsterte sie mit gesenktem Haupt am Grabstein eines Ritters, der bei dem Kampf gegen einen Drachen gefallen war. Gleichwohl sie gehört hatte, dass derartige Kreaturen existierten, war es doch schwer zu glauben, dass ein solcher eine ruhige Insel wie Argaan hatte plagen können.
„Was sagst du da?“
Die Stimme war belegt von Fassungslosigkeit. Die Frau aus dem Norden hob den Kopf, wandte sich um und blickte auf eine grauhaarige, dürre Dame herab. Sie trug schwarze Kleidung, das Zeichen der Trauer. Ein herzliches Lächeln umspielte die Größere.
„Das der Tod im Kampf, im Krieg, in einer Schlacht … das Größte ist, was eine Frau … oder auch ein Mann erreichen kann“, sprach sie mit klarer Stimme, in der felsenfeste Überzeugung mitschwang, „Was ist ehrenvoll daran, dahinsiechend im Bett oder in der Gosse zu sterben, wahnsinnig oder sich vor Schmerzen krümmend?“ Nichts war daran gut, nein! „Aufrecht im Gefecht, das Schwert in der Hand, einen Kampfesschrei auf den Lippen, so sieht der gute Tod aus.“
In dem Gesicht der Trauernden wechselten sich Überraschung und Unglauben ab, dann Verwirrung und schließlich brennender Zorn. Sie trat heran an die weitaus größere Frau und holte – schneller als diese reagieren konnte – mit der flachen Hand aus und ohrfeigte sie, dass der Knall über die Grabsteine hinweg schallte.
„Du widerliches, ekelhaftes, dummes, naives, arrogantes Miststück!“, kreischte sie, holte erneut aus. Dieses Mal trat die Frau aus dem Norden zurück, schockiert, sich die gerötete Wange haltend und – wofür sie sich insgeheim schämte – Tränen niederkämpfend. „Du stehst hier auf dem Friedhof an Gräbern von Menschen, die Väter, Mütter, Brüder, Schwestern, Söhne und Töchter gewesen sind. Die ihren Liebsten genommen wurde, egal ob im Krieg oder im Frieden! Du urteilst darüber, welcher Tod ehrenvoll ist, welcher Tote ein ruhmreiches Nachleben verdient und welcher nicht … du … du …“
Die junge Frau schluckte erneut, während die grauhaarige Dame die Hände vor Wut wrang, überlegte, ob sie sich nochmals auf ihr Gegenüber stürzen sollte. Dann aber atmete sie bemüht ein und aus, holte tief Luft, beruhigte sich. Ihre eben noch hasserfüllten Züge glätteten sich, machten kalter Verachtung Platz.
„Du weißt nichts. Du bist wohlbehütet groß geworden, wahrscheinlich in irgendeinem Schloss oder im Kloster und hast nicht die Schrecken gesehen und erlebt, wie normale Menschen. Mein Mann,“ – sie zeigte auf ein Grab, zwanzig Meter entfernt – „mein Vater“ – ein weiterer Fingerzeig auf ein jüngeres Grab – „und meine beiden Söhne.“ Mit bebender Hand deutete sie auf eine Wand, an der lange Reihen von Namen in Stein gemeißelt wurden. Dort lagen keine Toten, dort wurde denen gedacht, die nicht den Frieden eines eigenen Grabes hatten finden können.
„Sie alle haben in Kriegen gekämpft. Mein Vater unter Rhobar dem Ersten. Er ging als fröhlicher, liebevoller Vater und kam als Trinker und Schläger zurück. Ich entfloh meinem Elternhaus, als ich meinen Mann kennen lernte. Als mein Vater starb, begrub ich ihn hier. Nein, er starb nicht im Kampf. Er packte sich einen Strick und ging in den Stall.“
Keine einzige Träne lag in den Augen der Frau, die unerbittlich fortfuhr. „Mein Mann kämpfte im Krieg des zweiten Rhobars gegen die Orks. Wir lebten damals auf dem Festland, nahe der Hauptstadt Vengard. Er starb vor fünfzehn Jahren vor den Toren dieser Stadt, erschlagen von einem Vetter, der im nahen Faring den Orks die Treue geschworen hatte. Man brachte mir seine Leiche und sprach von seinem Opfer für die Krone, für ein freies Myrtana. Man erzählte mir dieselben Lügen wie hunderten anderen Müttern, Frauen und Töchtern.“
Dann sah sie zu der Gedenkmauer. „Zwei Jahre nach dem Krieg traten meine Zwillinge dem Orden bei, berauscht von den Worten der Anwerber, die den Tod ihres Vaters dem eines Märtyrers gleichsetzten. Sie wurden Ordensbrüder, verdienten sich ihre Sporen … und kamen hier her, nach Thorniara. Ich folgte ihnen, sie sorgten für mich. Als ihr Großvater starb, trafen sie die Vorkehrungen, ihn hier bei uns Begraben zu lassen. Sie überzeugten einen Priester, das Grab ihres Vaters hier her verlegen zu lassen. Und dann … ja … dann wurden sie Opfer des Drachen. Starben in Flammen gehüllt, wie so viele. Ihr Lebenslicht von einem Orkan ausgepustet. Sie … waren noch so jung, so idealistisch … wie du“
Die alte Dame blickte nun wieder zu ihr. Keine Verachtung mehr, nur ein geradezu hämischer, verbitterter Gesichtsausdruck. „Du wirst es noch lernen, Kind. Dass Geschichten vom Krieg und Kampf selten mit der Realität übereinstimmen. Los, pack dir ein Schwert und such dir den Kampf. Du wirst an meine Worte denken, wenn du im Schlamm kriechst, dir die Gedärme aus dem Bauch quellen und du heulend und kreischend wie eine Wahnsinnige da liegst. Ich bete zu meinem Herrn Innos, dass dir ein solches Schicksal zuteilwird.“ Sie spuckte voll Abscheu vor der jungen Frau auf die Pflastersteine. „Dann wirst du sehen, wie ehrenvoll dein Tod im Krieg ist.“
Mit diesen letzten Worten wandte sie sich ab und ging ruhig, gemessenen Schrittes den Weg in Richtung Stadt hinab. Die Jüngere schluckte abermals schwer, versuchte den Kloß im Hals loszuwerden. Sie blickte sich verstohlen nach anderen Besuchern des Friedhofs um, ehe sie sich hinhockte und voller wütender Verzweiflung den Tränen ihren Lauf ließ.
„Das ist alles Scheiße, Meve“, zischte sie mit erstickter Stimme, „Was weiß diese Hexe schon? Was kann ich dafür, wenn sie die Opfer ihrer Angehörigen nicht erkennt.“
Aber dennoch, irgendwo in ihr drin, fragte sich ein Teil ihrer Seele, ob das wirklich so war.
Geändert von Meve (25.08.2023 um 19:57 Uhr)
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"Magie ist erlernbar, von jedem, der sich mit Adanos und seinem Wirken auseinander setzt", sagte Danee einfach so dahin. Aber etwas anderes hatte die Aufmerksamkeit der alten Heilerin erfasst.
"Ich weiß sehr gut, wie du dich fühlst", gestand sie. "Auch ich fühle mich hier nicht heimisch. Die Innosgläubigen leben so andere Werte als wir Magier des Wassers. Ich vermisse meine alte Heimat, ich vermisse die goldenen Kuppeln der Stadt und das Magierviertel mit seinem Tempel, der Heilkammer und dem Haus der Magier. Ich vermisse den wunderschönen Kräutergarten und am allermeisten vermisse ich die Menschen. Ich vermisse die anderen Magier, die Adanos verstanden und seine Lehren verbreiteten und wirkten."
Hier, bei den Dienern Innos', musste man sich erst umständlich erklären oder man wurde gar nicht verstanden oder für voll genommen. Das ärgerte sie, wenngleich auch einge von ihnen bemüht waren, die Ansichten der alten Heilerin zu verstehen. Aber es war dennoch nicht ansatzweise wie damals.
"Niemand ist ein niemand, wir alle sind irgendwer. Wenn du aber gesehen werden willst, darfst du in einem Elend nicht ertrinken. Schau, was du verloren hast und dann schau, was du noch hast. Was du verloren hast, ist deine Heimat. Die kannst du neu finden. Du hast die Funktionalität deines einen Armes verloren. Der andere Arm ist noch benutzbar. Außerdem hast du dein Leben zurück gewonnen. Adanos' kostbarstes Geschenk ist das Wichtigste, denn eine Heimat oder einen funktionierenden Arm gibt es nicht ohne das Leben. Also, trauere ruhig über deinen Verlust, aber versinke nicht im Selbstmitleid, denn du selbst bist diejenige, die ihr Schicksal in der Hand hält."
Es tat ihr so gut mit dieser jungen Frau zu sprechen! Schon lange nicht mehr hatte sie sich ihrer Profession hingegeben, wenngleich es hier bei der Frau eindeutig um eine Heilung der Wunden in ihrem Geist und Herzen ging. Danee selbst fühlte sich unfassbar lebendig, schon so lange war das nicht mehr so gewesen. Oh Adanos, du wirkst deine kleinen Wunder auf so sonderbar faszinierende Weise.
"Die meisten Überlebenden aus Setarrif wohnen jetzt in Stewark", sagte sie schließlich. "Inklusive der Wassermagier."
Danee wollte noch weitersprechen, aber sie wurde unterbrochen, als jemand an die beiden Frauen herantrat.
Aniron
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Novizin Vocea, Innenhof der Heilkammer - Eine Botschaft
"Gut, das muss es wohl sein."
Orientierung war noch noch Voceas Stärke gewesen. Sie wünschte, man hätte ihr jemanden an die Seite gestellt für diese Reise - wie gern hätte sie ihren Liebsten, Piero, an ihrer Seite gehabt. Der große Holzkopf verirrte sich nie.
Doch es schien, als hätte sie schlussendlich doch noch den Ort gefunden, an dem sie diese Danee finden sollte. Lange genug hatte sie ja nun bereits gesucht. Immerhin, sie hatte noch dem Ein oder Anderen ihre Einladung zum Tempeleröffnungsfest mitteilen können, und der Ein oder Andere hatte sich von früher noch an ihr Gesicht erinnert. Es war ja so schmeichelhaft, wenn man auch nach Jahren der erzwungenen Auftrittspause noch erkannt wurde! Nun gut, da waren auch einige Leute gewesen, die ihr deutlich weniger freundlich gesonnen waren. Außer einigem "Na wart nur!" und "Dich krieg ich noch!" war bislang aber glücklicherweise nichts weiter passiert. So ganz hatte Vocea die Anfeindungen allerdings nicht verstanden. Sie lud doch zu einer Feier des Lebens und Friedens ein, und freies Essen und Getränke würde es auch geben! Warum würde sich irgendjemand davon angefeindet fühlen?
Wie dem auch sein mochte, sie hatte die Aufgabe nach ihrem eigenen Dafürhalten höchst professionell geregelt und war nun bereit, den zusätzlichen Botengang in Angriff zu nehmen. Vocea hatte sich ihren dünnen, weißen Überwurf wieder angezogen, der so wahnsinnig gut mit dem Blau der Novizinnenrobe harmonierte, und fischte den versiegelten Umschlag aus einer der tiefen Taschen. Mangels besseren Wissens hatte sie sich einfach bis hierhin durchgefragt, und ein junger Mann hatte ihr sogar recht genau sagen können, dass sich die alte Frau in diesem Innenhof aufhalten musste. Und da war sie nun, trat zögerlich näher heran an die beiden Personen, die dort auf einer Bank saßen und sich unterhielten. Eine Frau in ihrem Alter - unscheinbar, aber von trauriger Schönheit - und eine Alte, blind und faltig, aber mit einem friedlichen Strahlen auf ihren Zügen, das Vocea unweigerlich zum Lächeln brachte.
"Entschuldigt bitte", unterbrach sie das Gespräch der beiden Frauen, "seid Ihr die Heilerin Danee? Mein Name ist Vocea, ich komme im Auftrag der Wassermagierin Aniron, um euch eine Grußnachricht zu bringen."
Vocea hielt den Brief empor - und hielt zögernd inne, blickte zwischen der Alten und dem Schriftstück hin und her. "Auch wenn ich... nun, auch wenn ich nicht so recht weiß, was ihr damit anfangen wollt. Ich meine, wegen euren..."
Sie deutete auf ihre eigenen Augen, ohne zu bemerken, dass eine Geste nicht der sinnvollste Weg war, mit einer Blinden zu kommunizieren. In solchen Situationen war sie wahrlich nicht sehr geübt.
"Hier ist der Brief", sagte sie und überreichte ihn mit beiden Händen an die Jüngere der beiden. Vermutlich war sie Danees Pflegerin.
"Nun, also... ich bin eigentlich hier, um alle Welt zur Eröffnung des neuen Tempels des Wassers in Stewark einzuladen. Ich nehme an, ihr wollt ihn euch nicht zufällig auch ansehen? Das muss man mit eigenen Augen erlebt haben! Der Blick hinein in's Meer durch das magische Fenster ist... wenn man das einmal gesehen hat, will man nichts anderes mehr betrachten."
Vocea hielt inne. "Habe ich etwas Falsches gesagt?"
Kisha
Geändert von Die Wassernovizen (26.08.2023 um 15:02 Uhr)
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Stirnrunzeln blickte Mera auf, um zu sehen, wer sie da aus ihrem tiefen Gespräch gerissen hat. Vor ihnen stand eine junge Frau, die mit einem Brief herumwedelte, als wäre es ein Fächer, mit dem sie die Tageshitze und die Fliegen verscheuchen wollte. Sie trug ein seltsam entrücktes Lächeln im Gesicht und plapperte gedankenlos los wie einer der Papagein im Dschungel vor Setarrif. Doch im Gegensatz zu den Papagien wusste sie, was sie sagte – sollte man zumindest meinen, den über die Bedeutung der Worte, die sie sprach schien sie nicht einen Gedanken zu verlieren. Wie ein Kind, das eben erst zu Sprechen gelernt hatte und es nun im vollen Maße austestete, ehe es über seine Worte nachdachte.
Doch sie war kein Kind, sondern eine erwachsene Frau. Sie war in Blau gekleidet, Blau wie die Roben der Wassermagier, von denen Danee gesprochen hatte, doch sichtlich keine Magierin… eine Novizin, so wie Miriam. Und doch wieder kein bisschen wie Miriam. Sie war einige Jahre jünger und schien ihre Novizenrobe eher wie ein modisches Kleidungsstück zu tragen, und weniger als Ornat zu betrachten.
Noch ehe Mera ein Wort der Empörung aussprechen konnte, plapperte die Novizin weiter und drückte der Setarriferin einen Brief in die Hand. War sie schon zuvor furchtbar unsensibel Danee gegenüber, schoss sie nun den Vogel ab, indem sie der alten Heilerin vom Blick in Stewark vorschwärmte. Mera zog die Augenbrauen hoch und blickte die Novizin mit funkelnden Augen an, und tatsächlich schien diese ihren subtilen Hinweis zu bemerken.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“ fragte sie, offensichtlich immer noch nicht im Klaren darüber, was Meras Empörung hervorgerufen haben könnte. Danee schien, einen Seitenblick nach zu urteilen, zu lächeln und konnte der gesamten Situation wohl sogar eine gewisse Komik abzugewinnen. Der Humor war jedoch an der Setarriferin verloren.
„Eine angehende Wassermagiern“ meinte sie kühl. „sollte eigentlich mehr Gedanken auf die Wahl ihrer Worte verschwenden, und wen sie treffen könnten“
Sie konnte förmlich sehen, wie es hinter den Augen der Novizin ratterte und sie scharf über ihre Worte nachdachte. Dann, nach einigen Momenten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, schien das Verständnis über sie zu kommen. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund blickte sie Danee an.
„Oh je!“ plapperte sie sofort wieder los und schien zu einer Entschuldigung anzusetzen. Mera wollte eben die Hand erheben und die Novizin mit einem Wink verscheuchen, hielt jedoch inne. Zum einen war es nicht sie, an die die Entschuldigung gerichtet war, zum anderen sollte jeder Mensch die Chance eingeräumt zu bekommen, eine aufrichtige Entschuldigung abzugeben.
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Widerliche Pissplörre., schoss es der Adlata durch den Kopf, als sie widerwillig den Krug ansetzte und einen Schluck nahm. Das zumindest befahl ihr die Höflichkeit. Und ihre Höflichkeit hatte sich Ulrich in der letzten Zeit mehr als verdient. Insbesondere dann, wenn er für die Getränke zahlte. Außerdem war er ein recht fähiger Mann, der sein Leben in den Dienste des einzig wahren Gottes Innos' gestellt hatte und zumindest nach bisheriger Sachlage nicht ganz so unfähig zu sein schien, wie andere Angehörige des kriegerischen Zweigs.
»Auf uns!«, brummte einer der Kämpfer und hob seinen Krug. Die meisten taten es ihm gleich, sodass auch Felia sich gezwungen sah, den Krug von ihren bezaubernden Lippen zu nehmen und ihren Gefährten erneut anzustoßen. Bier schwappte von einem Becher in den nächsten, das meiste davon landete allerdings auf dem Tisch des Holzes, auf dem sich bereits eine nicht unbeachtliche Pfütze gebildet hatte, die sich langsam aber sicher über den gesamten Tisch ausbreitete. Das war bereits das dritte oder vierte Mal, das irgendjemand jemanden gefunden hatte, auf den man anstoßen konnte. Neben Innos, dem König und Thorniara folgten nun sie selbst an Platz vier. Felia war tatsächlich nicht ganz abgeneigt davon, zu erfahren, wer wohl an fünfter Stelle kam. Ihre Unterstützung im Kampf und bei der Aufrechterhaltung der Moral war zumindest nicht ganz unerheblich gewesen. Ein fünfter Platz war da durchaus angebracht. Zum ein »Auf Felia - bezauberndste Bardin Argaans, erfahrenere Kampfmagierin und Herrscherin über das Feuer, zukünftige Priorin und allgemein« recht knackig über die Lippen ging, wie sie fand. Ein Lächeln stahl sich über ihre makellosen Züge, während sie gedankenversunken einen ungewollt großen Schluck des widerlichen Gebräus zu sich nahm.
Jegliche gute Stimmung war allerdings wie weggeblasen, als ein aufgeblasener Wichtigtuer die Tür zur Schänke schwungvoll aufbließ. Primus Gabriel betrat - nein stürmte die Schänke, dicht gefolgt von einem breit grinsenden Angehörigen ihres Ordens, von dem sie hätte schwören können, dass er eben noch in der Kneipe gehockt hatte.
»Bruder Felia!« Der kleine Mann baute sich zu seiner vollen, nicht sehr einschüchternden Größe auf. Der Kopf rot vor Zorn und vermutlich auch, weil er sich von seinem so geliebten Schreibtisch hatte erheben und durch Thorniara bewegen musste. Eine Seltenheit.
»Innos zum Gr-«
»Ihr schweigt besser, wenn ihr wisst, was gut für euch ist!«, unterbrach der Novizenmeister die Adlata unwirsch und hob drohend einen Zeigefinger in ihre Richtung. Zwei Dinge, die die Braunhaarige besonders wenig leiden konnte. Du kleiner, unwichtiger Knilch! Möge Innos deiner Seele gnädig sein. Denn ich bei den Göttern, ich werde es nicht sein, wenn du es wagst, mich noch ein mal zu unterbrechen. Sie spürte deutlich, wie Zorn in ihr aufflammte, aber ob ihrer Berufung war sie es gewohnt, sich ihre Gefühlsregungen nicht anmerken zu lassen. Freundlich lächelte sie den Primus an.
»Wenn es mir korrekt erinnerlich ist, habe ich euch ausdrücklich befohlen, in der Stadt zu bleiben und den Orden von hier zu unterstützen. Nur wenig später erfahre ich, dass Ihr die Stadt verlassen habt und euch gegen meine konkrete Anweisung mit ein paar« Er deutete auf die Anwesenden. »abgehalfterten Söldnern eine gute Zeit gemacht habt!« Die Bardin schreckte innerlich zusammen. Gabriel war in seinem Kämmerchen durchaus zurückgezogen und schottete sich bewusst von vielen Dingen der Stadt ab, aber dass er einen Streiter Innos' und seine Gefährten ob ihrer Äußerlichkeiten beurteilte - Felia war entsetzt. »Das ist inakzeptables Verhalten. Und nicht nur das! Ich komme dank des freundlichen Hinweises eines Ordensbruders hier an und sehe euch ausgelassen feiern?« Er spie ihr das letzte Wort förmlich entgegen. Gabriel war nicht gerade für seine Kontaktfreudigkeit bekannt. Er hatte schon oft erwähnt, dass die Öffnung des Ordens eine Schande gewesen war und viele der ursprünglichen Werte mit Füßen getreten wurden. Der Konsum von Alkohol war für ihn dabei mit inbegriffen. »Was kann es denn schon so schönes zu feiern geben? Wie ich sehe, habt ihr Trilo nicht gefangen.« Er lachte spöttisch. »Wie auch. Eine... Frau« für ihren Geschmack betonte der kleine Mann das Wort ein wenig zu deutlich. »eures Standes kann froh sein, dass sie im Orden einen Platz gefunden hat. Ich verlange auf der Stelle, dass ihr mir folgt. Ihr packt eure Sachen und werdet noch heute den Orden verlassen! Ich werde Meister Icarion davon in Kenntnis setzen.« Felia spürte Samiras Griff um ihren Oberarm.
»Gabriel!« Sie erhob sich langsam und strich sich die Robe glatt. Noch bevor der Mann mit seinem hochroten Kopf zu einer erneuten Schimpftirade ansetzen konnte, hob sie den Zeigefinger. »Wenn es mir korrekt erinnerlich ist, habt ihr mich darum gebeten, die Suche nach Trilo Leuten zu überlassen, die dazu beauftragt und fähig sind, ihn zu schnappen. Ihr sagtet mir, ich solle mich meinen Aufgaben in der Stadt widmen und den Orden unterstützen.« Sie deutete auf die Anwesenden am Tisch. »Dann wird es euch sicherlich erfreuen zu hören, dass ich im Rahmen meiner Aufgaben als Adlata des Ordens Sir Ulrich, Paladin des Ordens und Streiter unseres Herrn Innos sowie seinen tapferen und fähigen Begleitern bei der Suche nach dem Schwerverbrecher Trilo und der Befreiung der entführten Geiseln« Sie deutete auf die drei tatsächlich etwas abgehalfterten Gestalten, die ebenfalls am Tisch saßen. »unterstützt habe. Ganz so, wie ihr es von mir verlangt habt.« Die Bardin setzte sich zufrieden wieder hin und nahm einen großen Schluck aus ihrem Krug, bevor sie sich dem Primus wieder zuwandte. Er war kurz davor zu explodieren.
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Wie nach längeren Einsätzen üblich, lud der Kommandant seine Männer zu einem Umtrunk ein und weil es sich so ergab, den Rest der Reisegruppe ebenfalls. Dieses Ritual, wenn man es so nennen wollte, hatte sich bislang prima bewährt, um ohne großes Tamtam, die Männer aus ihren Verpflichtungen zu entlassen. Und solange es keine andere Order gab, mussten sie keine Befehle befolgen, das wussten die Männer und waren dementsprechend auch gleich in bester Trinklaune. Davon abgesehen, gab es tatsächlich keine schönere Belohnung nach einem anstrengendem Einsatz, als ein frisch gezapftes, kühles Paladinder, fand Ulrich, der schon oft in diesen Genuss kam. Schon mit dem ersten Schluck des edlen Gebräus, begann sich meist die innere Anspannung aufzulösen, so auch an diesem Tage. Alle waren wohl behalten in der Stadt angekommen, allein das war ein Erfolg und jedes gerettete Menschenleben war es wert gefeiert zu werden. So die Meinung des Kommandanten, als er eine weiter Runde bestellte und kurzerhand beschloss, sich von der guten Stimmung unter den Männern, mitreißen zu lassen.
Ulrich formulierte gerade in Gedanken einem guten Witz, den er zum besten geben wollte, um seinen Beitrag zur guten Laune Aller zu leisten, als ihn jäh irgendein Störenfried in seiner Konzentration störte. Der Kommandant schaute sich missmutig um und entdeckte einen kleinen Wicht, der sehr nach Magier aussah und Felias Namen durch die Taverne brüllte. Der Wicht unterbrach die Adlata, die ihn eigentlich nur begrüßen wollte, so Ulrichs Eindruck, ziemlich unwirsch, da ahnte der Hüne schon, das der kleine Mann mit dem roten Kopf, dieser Gabriel sein musste. Dann lief die seltsame Gestalt zur Höchstform auf, zeterte los wie ein Waschweib mit schlechter Laune und redete schlichtweg nur Unsinn. Offensichtlich nicht Herr seines Mundwerkes, beschuldigte er Felia vor versammelter Mannschaft, lautstark mit fadenscheinigen Begründungen, die so zum Himmel stanken, das es selbst der Dümmste sofort merkte. Die Adlata versuchte noch sachlich, sich und ihr Verhalten zu erklären, aber das schien auf taube Ohren zu stoßen, der kleine Magier setzte an, erneut loszubrüllen.
Der Kommandant gab Jon ein Zeichen, dieser verstand, steckte seinen Finger in den Mund und erzeugte einen ohrenbetäubenden Pfiff, alle in der Taverne verstummten. Ulrich erhob sich und schritt langsam auf diesen Schreihals zu, unterwegs zog er ganz langsam seinen Zweihänder aus der Rückenhalterung. In etwa drei Schritt Entfernung zu dem kleinen Magier baute sich der Paladin auf, stellte den Zweihänder vor sich senkrecht auf dem Boden und ließ beide Hände locker auf dem Knauf der schweren Waffe ruhen. „Wer wagt es meine kleine Feier zu stören“ knurrte Ulrich, während er den Magier von oben bis unten argwöhnisch musterte. „Du bist sicherlich dieser Gabriel“ mutmaßte der Kommandant und schaute sich kurz zu Felia um, die Adlata nickte verhalten. „Nun, ich habe schon von dir gehört, allerdings nichts Gutes und so wie du dich hier aufführst, scheinen meine Informationen zu stimmen. Bist du nicht ein wenig zu klein um hier solche Töne zu spucken und einen verdientem Paladin mit deiner Anwesenheit zu belästigen. Ich bin immer wieder verwundert, was das einatmen von zu viel Weihrauch aus Menschen machen kann“, die Männer des Kommandanten konnten sich nicht länger zurückhalten und prusteten los.
„Nun sage ich dir mal, wie ich dir Sache sehe, ich hoffe das geht noch in deinen vernebelten Schädel hinein. Es ist so wie Felia, übrigens eine äußerst begabte Kampfmagierin, berichtet hat, sie hat mich und meine Männer mit Eifer und Elan und zu meiner vollsten Zufriedenheit, in der Mission Verbrecherjagd und Geiselbefreiung, unterstützt. Und was hast du sinnvolles in dieser Zeit geleistet?“ Ulrich stockte kurz, winkte dann aber ab, „ich will es gar nicht wissen. Und in der Tat ist der Verbrecher Trilo entkommen, daran trägt Niemand die Schuld, erst recht nicht Felia, ich erspare mir, aber vor allem dir nähere Details wie es dazu kommen konnte.“ Der Kommandant legte eine kleine Pause ein, um seine Worte beim Magier wirken zu lassen. „Nun, ich denke das dieses, ich nenne es mal wohlwollend, Missverständnis aus der Welt geschafft wurde und Felia mit keinerlei Repressalien zu rechnen hat. Ich würde eher meinen, das die junge Adlata eine Belobigung für ihren mutigen und selbstlosen Einsatz verdient hat, so würden wir es im Ritterorden handhaben, belassen wir es an dieser Stelle. Und nun geh mir aus den Augen, bevor ich noch ernsthaft darüber nachdenke, bei einem deiner Vorgesetzten Beschwerde über dich einzureichen.“
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Sie hätte ihn küssen können. Alleine schon für das grandiose Bild, wie sich der Hüne mit seinem Zweihänder vor dem kleinen Gabriel zu voller Größe aufbäumte und ihn dabei um einige Köpfe überragte, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die nächsten Jahre eine ihrer top fünf, vielleicht sogar top drei Erinnerungen sein würde.
Aber seine Worte? Felia war entzückt. Nahezu begeistert. Uli - den Kosenamen hatte er sich nun wahrlich verdient - war ein famoser Kerl. Eine Säule der Gemeinschaft. Ein Vorbild für Männer und Frauen gleichermaßen. Wahrlich ein Streiter Innos', der das Wort ihres Herrn verkündete. Ein hell leuchtender Stern an einem sonst so dunklen Nachthimmel mit Männern wie Gabriel und Konsorten. Sie war dem Ordensbruder einen finsteren Blick zu, der sie anscheinend verpfiffen hatte, um ein paar Pluspünktchen bei dem Primus zu sammeln. Das würde mit Sicherheit ein Nachspiel haben, darauf konnte der Knilch aber Gift nehmen!
»Ich...« der Primus schien nach den richtigen Worten zu ringen. »Selbstverständlich habt ihr Recht, Sir Ulrich!« Es schien beinahe so, als würde der Mann noch ein Stückchen kleiner werden. Und hatte er gerade eine Verbeugung angedeutet?
Du kleiner, widerlicher, schmieriger, ranziger, flutschiger Arschkriecher. Hoffentlich bleibt mein lieber Uli nicht plötzlich stehen, sonst wird dein Nasenspitze ganz braun!
»Für Männer unseres Standes geziemt es sich nicht, in solcherlei Form die Fassung zu verlieren und Emotion zu zeigen. Ich bin mir sicher, dass Adlatus Felia eine entscheidende Rolle bei dem Erfolg eures Unterfangens hatte. Zum Glück hat sie von einem so fähigen Kommandanten und profitieren können, der schon so lange im Dienste unseres Herrn steht.« Felia konnte sich ein lautes Seufzen und ein Augenrollen nur mit Mühe verkneifen. Gabriel legte wirklich dickt auf. Schon unangenehm dick. »Ich werde mich diesbezüglich umgehend mit Ihrer Exzellenz Icarion in Verbindung setzen.« Er bedeutete Felia mit einer stummen Handbewegung, ihr zu folgen. »Ich bin mir sicher, dass eine Beschwerde nicht nötig sein sollte, Sir Ulrich. Ich verabschiede mich.« Ohne Felia eines weiteren Blickes zu würdigen stapfte er davon. Ulrich brummte zufrieden. »Wirt? Eine Runde für meinen guten Freund Sir Ulrich und seine fähigen Freunde! Auf mich!« Dann stapfte er davon.
Ulrich steckte das Schwert weg und Felia flitzte mit kleinen Tippelschritten auf ihn zu. »Das war...« Sie griff nach seinen Händen und nahm die Pranken in ihre zarten, sanften Händchen. Wie ein kleines Kind sah sie mit großen Augen zu ihm herauf. »Danke. Ehrlich!« Geschwind ging Sie auf die Zehenspitzen und gab dem Kommandanten ein Küsschen auf die Wange. Von einigen seiner Männer war ein »Uuuuuuuh!« zu hören. Einer von ihnen Pfiff sogar. Die Schneiderin fuhr zu den Männern am Tisch herum.
»Und ihr?« Sie funkelte die Männer böse an. »schaut euch doch nur an mit eurer lumpigen Kleidung! Kein Wunder, dass Gabriel euch für Vagabunden und Söldner gehalten hat!« Der gespielt finstere Blick wich einem aufrichtigen Lächeln. »Wenn ihr mal etwas... schickere Kleidung braucht, kommt doch zu Agnes und mir in die Schneiderei. Ich bin mir sicher, das wir euch was zaubern können. Und wenn ihr euch gut anstellt, lasse ich sogar den Deppen-Aufschlag weg!« Sie streckte den Männern die frech Zunge raus und huschte dann unter halblauten Drohrufen und einigen Lachern davon, während eine der Schankmägde den Nachschub brachte.
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Der Weg zum Büro des Primus war lang und verlief schweigsam. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen kostete die Bardin jede einzelne Sekunde davon aus. Jeder Schritt so kurz hinter dem davoneilenden Primus war ihr ein inneres Blumenpflücken. Hin und wieder dachte sie dann an das Bild zurück, das sich vor wenigen Augenblicken erst ergeben hatte. Wie er kleinlaut den Schwanz eingezogen und von dannen gezogen war.
Sie hatte mit Uli einen wahrlich mächtigen, einflussreichen Verbündeten gewonnen, ohne dass es je ihr Ansinnen gewesen wäre.
Ob Politik vielleicht doch etwas für mich wäre?, schoss es ihr durch den Kopf. Ihre natürliche Schönheit, ihr charmantes Wesen und ihr scharfer Intellekt wären sicher wertvolle Dinge auf der Bühne der Politik. Einer Frau ihres Schlages war es mit Sicherheit ein leichtes, die einflussreichsten Persönlichkeiten zu umgarnen und so Einfluss zu nehmen. Sie war sich aber nicht sicher, ob das Ganze auch langfristig begeistern könnte. Tagein tagaus mit alten Männern diskutieren? Vielleicht war das etwas, dem man als Hobby nachgehen konnte. Aber hauptberuflich - dafür war Felia nun wirklich zu talentiert.
Wortlos öffnete Gabriel die Tür zu seinem Büro und nahm Platz. Er musterte die Adlata. Dabei verzog er keine Miene. Dennoch wusste sie ganz genau, was sich hinter seiner Stirn abspielte. Er kochte vor Wut. Gabriel war kein Mann, der eine Niederlage so leicht hinnahm. Er war gedemütigt worden. DAs würde er ihr heimzahlen, dessen war sie sich sicher. Aber nicht heute. Nicht, nachdem was eben passiert war. Nein - definitiv nicht heute.
Eine Sekunde verging. Dann noch eine. Sicherlich ein gutes Dutzend Sekunden gingen ins Land, ehe er die Stimme erhob. »Nehmt doch bitte Platz.« Ein überaus freundliches Lächeln schob sich gequält auf sein Gesicht und deutete auf einen der Stühle. Es war das erste Mal, das ihr im Arbeitszimmer des Primus ein Stuhl angeboten worden war. Sie nahm Platz und erwiderte das falsche Lächeln mit einem ihrer herzlichsten, aufgesetzten Lächeln.
Du kleiner Wichtigtuer. Warts nur ab. Ich säge an deinem Stuhl, bis du mit deinem faulen Hintern auf dem Steinboden fällst, du verschwendete menschliche Existenz.
»Bruder Felia. Wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, habt ihr euch über alle Maßen für den Orden, seine Mitglieder und die Werte unserer Gemeinschaft eingesetzt. Eure Pflichten als Adlatus habt ihr daher mehr als übererfüllt. Ich bin daher ausnahmsweise gewillt, über eure bisherigen weitreichenden und zahlreichen Fehltritte hinwegzusehen und sogar über die freizügige Auslegung meiner eigentlich unmissverständlichen Anweisungen.« Felia ertrug die Sticheleien des Mannes ohne jegliche Gesichtsregung. Sie war Profi - das Lächeln war ihr wie auf die Züge gebrannt. Ihr Gegenüber stockte kurz. Rang wohl mit den nächsten Worten.
»Ich werde Ihrer Exzellenz Icarion berichten, was euer... Gönner zu berichten wusste. Ich bin mir sicher, dass darauf schon bald eine...« Wieder geriet er ins Stocken. Das eingefrorene Lächeln auf seinen Lippen geriet für einen Augenblick ins Wanken. »Dass eurem Aufstieg in den Rängen des Ordens vorerst nichts mehr im Wege stehen sollte. Selbstverständlich muss eine offizielle Ernennung durch ein hochrangiges Mitglied unseres Ordens erfolgen. Aber das ist Dank des Empfehlungsschreibens, das ich zeitnah aufsetzen werde sicherlich reine Formsache. Wie ihr wisst verfüge ich über enormen Einfluss innerhalb des Ordens.«
Steck dir deinen Einfluss sonst wo hin, du eitler Fatzke., dachte Felia.
»Selbstverständlich, Bruder Gabriel.«, sagte Felia.
»Ich gehe daher davon aus« Er nahm Feder und Papier zu Hand, so als wolle er gleich mit dem Schreiben beginnen. »dass sich der Ehrenwerte Sir Ulrich mit seiner Beschwerde sicherlich einen Scherz erlaubte.« Selten zuvor war es der Schönheit so schwer gefallen, Ernst zu bleiben.
Ja, du arme Wurst. Dir geht der Arsch auf Grundeis. Recht so! Fürchte mich, du kleines Würstchen. Winde dich ruhig. Ich hab dich in der Hand, du Wicht. Ein falsches Wort und bist deinen gemütlichen Posten los, du Witzfigur.
»Selbstverständlich, Bruder Gabriel.«, wiederholte Felia.
»Wenn das dann alles wäre Bruder Fel-«
»Verzeiht mir, Bruder Gabriel, aber eine Bitte hätte ich noch.« Nur für einen kurzen Augenblick war ihr so, als breche die Maske des Primus. Aber er hielt stand.
»Ulrich hat ja über meine magischen Fähigkeiten gesprochen, die während der abschließenden Schlacht - das kann ich euch versichern - von essentieller Bedeutung waren, da ich immerhin eine Schlüsselaufgabe im Kampf gegen Orks und menschliche Banditen hatte.« Sie wartete eine Handvoll Sekunden, ehe sie fort fuhr. »Wie mein einstiger Lehrmeister und ehemaliger Prior des Ordens - Lopadas - mich einst lehrte, ist die Reise zur Beherrschung der magischen Künste aber eine lange. Wie ihr, Bruder, sicherlich aus eigener Erfahrung wisst. Daher wäre es mir ein Anliegen, bei einem erfahrenen Lehrmeister unseres Ordens meine magischen Fähigkeiten zu vertiefen.«
Sie genoss jede Sekunde und fürchtete schon, das bezaubernde Lächeln auf ihren Lippen gegen ein wahnsinniges Lachen eintauschen zu müssen, wenn diese Unterredung noch länger dauerte. Gabriel aber tat ihr nicht den Gefallen, zuerst die Fassung zu verlieren, daher musste auch sie weiter an sich halten.
»Aber selbstverständlich gerne. Ich habe da auch schon die richtige Person ins Auge gefasst: Sicherlich habt ihr schon von Meister Neoras gehört?«
Der merkwürdige Trankpanscher, der nie vor die Tür geht? Sicher - von dem habe ich gehört. Diesmal war es beinahe Felia, die die Maske fallen ließ, als sie verstand. Nein - du würdest doch nicht?
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass er erst kürzlich an der Seite eines Novizen die Stadt verlassen hat. Er hat einige Rationen und Verpflegung besorgen lassen - es scheint also ein längerer Aufenthalt außerhalb er Stadtmauern zu werden. Vermutlich habt ihr sie nur knapp verpasst. Wie ihr wisst ist Meister Neoras ein weitreichend bekannter Magier unseres Ordens. Ich bin mir sicher, dass er euch das ein oder andere beibringen könnte.«
Ja sicher. Wie man im Keller versauert. Und weitreichend bekannt dafür, ein schusseliger Depp zu sein, der wegen seiner merkwürdigen Experimente angeblich vom Festland verbannt wurde. Punkt für dich, du aufgeblasener Wichtigtuer. Wart's nur ab. Wenn ich wieder da bin - ich schwöre bei Innos, ich säge so lange an deinem Stuhl... Warte nur, du Knilch!
»Ich werde mich alsbald auf den Weg machen. Ich danke euch.« Felia erhob sich ohne dem Primus des Ordens einen weiteren Blick zu schenken.
Als sie an der Tür angekommen war, hielt sie kurz inne. »Ach, eine letzte Kleinigkeit noch.« Sie drehte sich auf dem Absatz um. »Valeria - eine der Gefangenen, die ich gerettet habe.« Sie ließ den Satz für einige Herzschläge wirken. »Hat Interesse an einem Beitritt zum Orden geäußert. Ich bin mir sicher, dass ihr stets an neuen Mitgliederinnen für den Orden sehr interessiert seid. Sir Ulrich wird im Bedarfsfall sicherlich auch ein gutes Wort für sie einlegen, aber bin ich mir sicher, dass vorerst mein Wort als Adlata... verzeiht, als Adlata und zukünftige Novizin ausreichen sollte.«
»Ich werde morgen nach ihr schicken lassen und die Eignung überprüfen. Habt Dank für euren Hinweis, Bruder. Auf bald.«
Geändert von Felia (27.08.2023 um 01:23 Uhr)
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Danee schmunzelte. Ja, die junge Novizin redete sich um Kopf und Kragen, aber die alte Heilerin war schon zu oft solchen Situationen ausgesetzt gewesen, um noch Anstoss daran zu finden. Ihre Gesprächspartnerin hingegen jedoch trug noch die Empörung der Jugend in sich und Danee mochte das. Sie sagte daher erst einmal nichts, sondern beobachtete die Szene, bis ein unangenehmes Schweigen entstand. Danees Lächeln wurde breiter:
"Also, zunächst erst einmal nehme ich den Brief an mich, der schließlich auch für mich ist", sagte sie und ihr wurde das Papier gereicht. Sie würde schon jemanden finden, der ihr den Brief vorlas und dem sie eine Antwort vorsagen konnte. Sie freute sich, dass ausgerechnet jetzt, wo sie sich mit der jungen Frau mit dem verletzten Arm über Setarrif unterhalten hatte, ein Brief von Aniron kam. Adanos' Wege waren undurchschaubar, aber so oft ganz wunderbar!
Dann aber fiel ihr wieder ein, was die plappernde Novizin noch gesagt hatte:
"Nach Stewark, meint ihr?", hakte sie noch einmal bei Vocea nach. "Ein neuer Tempel, hm ..."
Danee verstummte und es begann in ihr zu arbeiten. War das ein Zeichen? Da saß sie hier und erzählte der jungen Frau von Setarrif und hatte bemerkt, wie sehr ihr der Kreis des Wassers fehlte, als plötzlich die Novizin aufschlug?
Sie hielt den Brief so fest in ihrer Hand, dass das Papier knitterte.
Sollte sie es wirklich noch einmal wagen? Auf ihre alten Tage? Was hielt sie denn hier? Sie hatte doch selber fest gestellt, dass die Menschen hier von einem anderen Schlag waren und ihr die Diener Adanos' fehlten. Jedoch hatte sie den beschwerlichen Umzug nicht vergessen, den sie damals hinter sich gebracht hatte, um Thorniara zu erreichen. Diesmal jedoch hatte sie keinen Tross voller Verletzter dabei. Diesmal würde sie schneller sein können. Aber sie würde dennoch Hilfe gebrauchen ...
"Mädel, wie heißt du eigentlich?", fragte sie.
"Mera", war die Antwort.
"Mera, hast du nicht Lust, mit mir nach Stewark zu reisen? Ich habe zwei Arme, aber brauche auf der Reise deine Augen. Was hälst du davon? Hier hält dich eh nichts. Und falls du doch noch jemanden wegen deines Arms aufsuchen willst, nun, ich bin Heilerin und im Kreis des Wassers findest du ebenfalls viele kundige Heiler."
Entschlossen stand Danee auf: "Alles, was dir hier fehlen könnte, wirst du auch bei den Wassermagiern finden. Ich jedenfalls werde gehen. Und wenn du mir die Ehre erweist, mich zu begleiten, dann will ich alles daran setzen, dass du in Stewark ein gutes neues Zuhause bekommst."
Aniron
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Das Angebot der alten Heilerin hatte Mera überrascht, doch sie brauchte nicht lange zu überlegen. Danee hatte recht, nichts hielt sie in Thorniara. Keine Freunde, keine Familie, keine Verpflichtungen. Im Gegenteil, niemand würde sie wohl hier vermissen, oder auch nur bemerken, wenn sie weg wäre. Sie würde den Heilern im Tempelviertel nicht mehr zur Last fallen und auch der eitle Novize, jener Geck, der sie so eindringlich beobachtete, müsste ihren Anblick nicht mehr ertragen. Sie hatte nicht viel Überzeugung gebraucht um zuzustimmen.
Nach einer letzten, unruhigen Nacht in der Krankenstube (dunkle Träume von Setarrif rissen sie wiederholt aus dem Schlaf) kleidete sie sich in die rauen, unscheinbaren Leinenklamotten, die die Heilkammer ihr zur Verfügung stellte. Ihre eigenen Sachen schienen wohl auf der Flucht oder in Thorniara verloren gegangen zu sein, und auch Miriam, von der sie sich noch dankbar verabschiedete, konnte ihr nicht sagen, wo sie abgeblieben waren.
Am frühen Morgen dann trafen sich Danee und Mera im Kräutergarten, an der Bank, an der sie sich getroffen hatten. Die alte Heilerin schien weitaus ausgeschlafener und munterer zu sein als die junge Setarriferin, die ihr mit Augenringen und gähnend gegenüber stand. „Guten Morgen!“ grüßte Danee sie fröhlich und hakte sich bei ihr unter. „Ein schöner Tag um auf Reise zu gehen. Es verspricht angenehm warm zu werden.“ sagte sie und gemeinsam machten sie sich langsam auf, aus dem Tempelviertel hinaus zum Westtor Thorniaras.
„Erzähl mir vom Kreis des Wassers“ bat Mera, nachdem sie auf der Straße waren und die Mauern der Hafenstadt hinter ihnen lag. Sie wollte wissen, welches Umfeld die Heilerin zu der Person gemacht hatte, die sie nun war.
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Die Zitadelle, Amtszimmer des Sir Marsilius
Viele Monate ist es her, seit der Orden den Aufstand im Hafenviertel beendet hatte. Mit Einführung einer neuen und toleranzlosen Sicherheitspolitik, führte man die Stadt mit eiserner Hand und ahndete jedes noch so kleine Vergehen. Gleichzeitig jedoch investierte man in die Infrastruktur von Thorniara, beseitigte letzte Schäden des einstigen Drachenangriffes, subventionierte die Händler auf dem Marktplatz und zeigte erhöhte Präsenz auch außerhalb der schützenden Stadtmauern. Immer häufiger verließen die Feuermagier das Tempelviertel, um im Hafenviertel und auch im unseligen Armenviertel der Stadt einige Wohltaten zu verteilen.
Natürlich wussten auch die hohen Beamten der Zitadelle, dass das Regieren mit eiserner Hand nicht lange aufrecht erhalten werden konnte. Zum Einen hatte man nicht genügend Soldaten, um Recht und Ordnung bedingungslos durchzusetzen. Zum Anderen riskierte man auch neue Unzufriedenheiten, je länger der scheinbare Ausnahmezustand andauerte. Da würde es auch nicht helfen, wenn das Brot auf dem Marktplatz so günstig war, wie nie zuvor.
Deswegen entschied man sich, die Sicherheitsmaßnahmen schrittweise zu reduzieren und die Ordenskrieger von ihren Aufgaben zur Unterstützung der Stadtwache abzuziehen. Auch die strengen Kontrollen an den Stadttoren und den Eingängen zu den jeweiligen Vierteln, hatte man gelockert. Leibesvisitationen wurden abgeschafft, ebenso wie den gestempelten Passierschein, den ein Besucher nach Abgabe aller seiner Waffen erhalten hatte.
Doch auch wenn die Ordenskrieger nicht mehr gemeinsam mit den Angehörigen der Stadtwache durch die Stadt patrouillierten, so hatten sie dennoch die Befehlsgewalt über die Milizionäre inne. Das war auch der Grund, warum Sir Marsilius genervt in seinem viel zu kleinen und behelfsmäßig eingerichteten Amtszimmer in der Zitadelle saß und Berichte der Stadtwache durchlas. Der stolze und leidenschaftliche Krieger des Ordens konnte sich weitaus bessere Tätigkeiten vorstellen, als über Kleinstdelikte im Hafenviertel informiert zu werden. Doch der Befehl von Sir Theoderich, Hauptmann der Stadtwache, war eindeutig. So lange sich Feuermagier in der Stadt befanden, konnte man ihre Sicherheit nicht vollständig in die Hände der von Bauern und Bürgern besetzten Stadtwache legen.
"Die zweite Patrouille im Hafenviertel hat in der zweiten Gasse links der Kneipe ein Versteck mit Sumpfkraut gefunden. Beschlagnahmt wurden insgesamt sechs Stengel, die zur vorläufigen Lagerung in die Hafenkommandantur gebracht wurden." las Sir Marsilius laut vor, als würde sich noch jemand anderes im Amtszimmer befinden. "Wenn das nicht eine Information ist, die einem Ritter des Ordens würdig ist..."
Gerade als er seine schwungvolle Unterschrift unter das Pergament setzen wollte, um damit seine Kenntnisnahme zu bestätigen, öffnete sich die Tür. Es war Ludwig, einer der Fähnrichs, die der Bezirkswache zugeteilt waren. "Verzeiht die Störung, mein Herr. Aber ich muss Euch dringend darüber in Kenntnis setzen, dass mindestens ein Novize des Wassers in der Stadt ist, zuletzt gesichtet auf dem Marktplatz." Sir Marsilius seufzte und nahm den Gänsekiel wieder zur Hand. "Ich weiß..." erwiderte er. "Die Feuermagier dulden ihre Anwesenheit in der Stadt. Wir dürfen nicht eingreifen."
"Ich verstehe. Was sollen wir den Bürgern sagen, die sich deswegen an die Stadtwache wenden?" Ein leichtes Kratzen war zu hören, als Marsilius die Unterschrift unter das Pergament setzte. Sie war ihm dieses Mal nicht so schön gelungen. Dann legte er den Gänsekiel endgültig weg, schaute zum Soldaten auf und erwiderte: "Sagt ihnen, dass wir alles im Griff haben." Der Ordenskrieger hatte bereits eine Handbewegung gemacht, auf dass sich der Soldat wieder entfernen solle, da kam Sir Marsilius noch eine Idee: "Wartet! Erhöht meinetwegen die Präsenz auf dem Marktplatz. Als Signal dafür, dass wir um die Anwesenheit des Novizen wissen und im Zweifelsfall auch eingreifen werden."
Maximus
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Es war wieder einer dieser Tage, an denen Hierodius Lex nur ungern seine Schicht in der Stadtwache antrat. Denn wieder musste er seinen Dienst im Reichenviertel verrichten. Dort jedoch bekämpfte er nicht das Verbrechen, jagte Gelegenheitsdiebe durch die Gassen oder hob Verstecke von Sumpfkraut aus. Im Reichenviertel bewachte er die prunkvollen Bauten und beaufsichtigte die Arbeiter, die eifrig dabei waren, die gepflasterten Straßen zu fegen. Aber als Angehöriger der Stadtwache konnte man sich nun einmal nicht aussuchen, welche Viertel man zu bewachen hatte und es war die Pflicht eines jeden Soldaten, die Befehle gewissenhaft auszuführen. Auch wenn es nur alte Gemäuer zu bewachen galt.
Als Hierodius Lex einige Ornamente an dem gegenüberliegenden Gebäude betrachtete, lief ein Trupp von Ordenskriegern an ihm vorbei. Vermutlich waren sie gerade von einer Mission der Feuermagier zurückgekehrt und wollten nun den Erwählten Innos' Bericht erstatten - denn sie liefen geradewegs auf das Tempelviertel zu. Hierodius Lex schaute ihnen hinterher. Er selbst war überzeugter Soldat der Stadtwache aber je häufiger er die Männer in schweren Rüstungen sah, desto mehr konnte er sich auch vorstellen, in einer Armee zu dienen.
Doch der breitgebaute Soldat wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine bekannte Stimme ertönte. "Hierodius! Ich brauche dich und einen weiteren Mann, um die Wache auf dem Marktplatz zu verstärken, Befehl von Sir Marsilius." Es war Ludwig, ebenfalls Fähnrich der Bezirkswache. "Ist etwas vorgefallen?" fragte Hierodius Lex, als er zusammen mit Ludwig bereits auf dem Weg zum Marktplatz war. "Nein nein." erwiderte Ludwig. "Es hat sich ein Novize des Wassers hierher verirrt. Die Feuermagier dulden seine Anwesenheit aber wir wollen trotzdem erhöhte Präsenz zeigen. Sir Marsilius will vermutlich nicht, dass die Bürger denken, wir ließen uns hier auf der Nase herumtanzen."
Nach einem kurzen Fußmarsch und nachdem sie Addvar ebenfalls von seinem Posten im Reichenviertel abgezogen hatten, waren sie am Marktplatz angekommen. "Seht ihr ihn?" fragte Hierodius Lex. "Nein, bisher nicht. Trägt vielleicht auch gar kein Gewand der Wassernovizen?" Die Soldaten musterten die Männer und Frauen auf dem Marktplatz, konnten jedoch keine Auffälligkeit entdecken. "Nun gut. Teilen wir uns auf und zeigen Präsenz."
Geändert von Hierodius Lex (27.08.2023 um 12:58 Uhr)
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Danee hatte sich bei Mera untergehakt und war guter Laune. Es war ein gutes Gefühl aus der Stadt hinaus zu sein und dann waren sie noch auf dem Weg nach Stewark zum Kreis des Wassers. So gut hatte die alte Heilerin sich lange schon nicht mehr gefühlt. Sie war geradezu beschwingt.
Zurzeit waren sie noch allein unterwegs, aber da sie eh langsamer waren, hatten sie mit Vocea ausgemacht, schon ein bisschen loszulaufen und dann von ihr und all jenen, die mit ihr kommen wollten, weiterzureisen, wenn sie erstmal eingeholt waren.
Also genoss Danee die Stille gerade doppelt.
Sie dachte kurz über Meras Aufforderung nach.
"Was möchtest du denn wissen?", fragte sie. "Und vor allem, was weißt du schon? Grundsätzlich ist der Kreis des Wassers so aufgebaut, dass man zunächst Novize wird, wenn man dem Kreis beitritt. Vocea ist Novizin, du hast sie gesehen. Und diese werden schon mit richtig wichtigen Aufgaben betraut, wie du auch gesehen hast."
Langsam liefen sie den Weg entlang. Es war etwas kühler als zuletzt und Danee musste sich ein wenig an den Untergrund gewöhnen, der nun nicht mehr wie in der Stadt so glatt war, sondern natürlich aufgeraut. Mera aber hatte sie sicher am Arm.
"Vom Novizen wird man zu Adepten, wenn man sich mit den Lehren Adanos' auseinander gesetzt hat und sich mit den Grundlagen der Magie beschäftigt hat. Das führt man dann als Adept natürlich weiter. Und wer sich als würdig erwiesen hat, in den Kreis der Magier aufgenommen zu werden, bekommt dann auch schon die Magierweihe. Ich finde ja, das ist der wichtigste und aufregendste Schritt. Alles weitere danach, die Vertiefung in die Magie und die Weihe erst zum hohen Wassermagier und dann zum Priester, sind zwar schön und wichtig, aber nicht mehr ganz so zauberhaft. Also, das ist meine persönliche Meinung."
Sie schmunzelte. Ja, deswegen hatte sie es bei der Magierweihe belassen. Außerdem war ihr Steckenpferd das Heilen und nicht die vertiefte Auseinandersetzung mit der Theologie. Das sollten die anderen hohen Tiere machen, die Zeit hatten, in ihren Kammern zu sitzen und zu philosophieren. Sie wollte bei den Leuten sein, wollte den Menschen helfen, das war schon immer ihr Ziel gewesen.
"Der Kreis des Wassers nimmt jeden bei sich auf, der Adanos dienen will, und innerhalb der Gemeinschaft gibt es verschiedenen Aufgaben. Es ist natürlich wichtig, sich mit einzubringen und der Gemeinschaft zu dienen. An der Spitze der Wassermagier steht der Oberste Wassermagier, das dürfte ", sie überlegte kurz, "zurzeit Tinquilius sein, wenn ich mich recht erinnere."
Ja, Aniron hatte das immer mal wieder berichtet.
"Die Wassermagier sind mit König Ethorn ein Bündnis eingegangen und manche von ihnen sind deswegen in eine politischere Richtung gegangen. Ethorns magische Berater nennt man die Hofmagier, sie unterscheiden sich ein wenig vom üblichen Kreis des Wassers. Du hast sicher schon einmal von ihnen gehört."
Aniron
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»Blöde, gierige, knausrige, griesgrämige, unhöfliche Dämlacks! Allesamt!«, grummelte Felia missmutig halblaut zu sich selbst und stapfte mit den soeben erhaltenen Rationen, einer Grundausstattung für die Reise sowie einer zusätzlichen Robe im Rucksack durch Thorniara. »Ein Novize hat das Gold für Reise mit Meister Neoras schon abgeholt.«, äffte sie Michael nach. »Schon wieder jemand, der Rationen braucht?«, plapperte sie die unhöflichen Worte des Küchenchefs nach. Die Männer in dieser von Innos verlassenen Stadt hatten nun wirklich den Verstand verloren. Alle miteinander.
Sie ballte ihr kleines Händchen zu einer Faust und stapfte mies gelaunt weiter. Sie erinnerte sich in ihrer Wut an Michael zurück. Wie er ihr irgendein nutzloses Buch umgedreht und drei Mal auf den Namen und die Unterschrift des Mannes getippt, der anscheinend an Meister Neoras' Seite reiste. Ein widerlicher Speichellecker oder ein ebenso wie der Magier Neoras einsiedlerischer Kauz, der das Sonnenlicht mied wie die Baumkuschler ein Bad. Als hätte ihr das unleserliche Gekritzel in dem Buch auch nur irgendetwas gesagt. Selbst wenn sie hätte lesen können, wäre diese grässliche Handschrift unmöglich zu entziffern gewesen. Dieser Knilch jedenfalls war jetzt der Grund, wieso Felia kein Gold von dem aufgeblasenen Lagerfutzi bekommen hatte. Nicht, dass sie es benötigt hatte, die Geschäfte in der Schneiderei liefen zumindest nicht schlecht, sodass sie sich ein nettes Polster hatte ansparen können. Aber die Tatsache, dass sie, als angehende Novizin des Ordens abgewiesen wurde wie eine einfache Bittstellerin, war unerhört. Eine Frechheit gar. Gedanklich schrieb sich Michael auf die Liste derer, die für ihre Unverschämtheit büßen würden, wenn sie einmal Prima - oder besser noch: Priorin in Thorniara war!
Und dieser Milchbubi aus der Küche kam gleich hinten dran auf die Liste. Als würde sie die schmutzige Küche betreten und sich Lebensmittel einsacken, wenn es nicht von absolut zwingender Notwendigkeit wäre. Wie konnte dieser Wicht es wagen, sie darauf hinzuweisen, dass die Rationen bereits verteilt worden waren. Natürlich waren sie das. Nur war sie selbst eben nicht eingeplant in diese Rationen. Wovon sollte sie denn bitte Leben? Sollte sie unterwegs einen Hasen jagen oder Blümchen pflücken und sich einen Salat machen? Sie war ein Mitglied des Ordens und somit stand ihr eine anständige Verpflegung zu! Das hatte sie dem Früchtchen aber mal ganz schnell klar gemacht. Sein Tonfall hatte ihr aber nicht gefallen.
Definitiv ein Kandidat für die Liste!, dachte sie. Und dann war er zu allem Überfluss auch noch ein einfacher Novize gewesen, der in dieser Art und Weise mit ihr gesprochen hatte. Ein absolutes Unding!
Sie murrte und murmelte noch immer leise Flüche und ballte dann und wann drohend das Fäustchen, als sie das Westtor Thorniaras schon längst passiert hatte. Ein besonders tretenswert aussehender Stein war der erste, der ihrem Zorn zum Opfer fiel.
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Zufrieden grinsend saß Sunder allein am Tisch in der hintersten Ecke der Taverne, vor sich ein Krug Bier und beobachtete das Geschehen um sich herum, viel zu sehen gab es aber nicht. Eigentlich nur Männer, die in verschieden große Grüppchen an anderen Tischen saßen oder in der Nähe des Tresens, mitten im Raum standen und sich mehr oder weniger angeregt unterhielten. Manch Einer mochte meinen, das die die ein langweiliger Anblick sein musste, für den Seebären war dieses Bild am heutigen Tage eine wahre Augenweide. Der gewohnte Anblick von palavernden Männern in einer Kneipe, vermittelte ihm irgendwie ein Gefühl von Geborgenheit.Der Anblick erinnerte Sunder auch daran, das er sich wieder in sicheren Gefilden befand und nicht mehr ständig um sein Leben fürchten musste. „Verrückte Welt“ murmelte der Seebär, während er sich in Erinnerung rief, wie er in diesen Schlamassel rein geraten war und was dabei alles passiert war. Im nach hinein erschien manches so unwirklich, das er selbst kaum glauben konnte, das er all das erlebt hatte.
„Stör ich“ holte Sunder eine wohlbekannte Stimme aus seinen Gedanken, der Seebär schaute auf, vor ihm stand Ulrich, der ihn erwartungsvoll anschaute. „Quatsch, du doch nicht, setz disch doch“, der Paladin nahm ihm gegenüber Platz und prostete ihm mit seinem Krug Bier zu. „Und, alles klar bei dir“ wollte der Kommandant wissen, Sunder nickte, „ja, mit jeht et gut“, „schön, schön..., was wirst du nun machen, hast du irgendwelche Pläne?“ Der Seebär war ein wenig überrascht, das Ulrich ihm gerade jetzt so eine Frage stellte, deshalb musste er kurz nachdenken. „Nit wirklisch, du kennst misch doch, aber..., na ja, isch hab mir überlegt, ob dat mit der Armee nit doch wat für misch ist. Isch glaub, isch jetzt kapiert, dat et nit schlecht ist, wenn man gut kämpfen kann und Jon hat gesagt, dat isch dat noch lernen kann. Und dat kann man doch am besten in der Armee lernen, oder nit?, und jute Männer können die doch immer brauchen, hab isch jehört. Und immer nur im Klabautermann rumhängen ist vielleischt doch nit alles, wat isch in meinem Leben tun sollte..., oder wat meinst du?“
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Der Kommandant schmunzelte innerlich, der alte Seemann hatte schon eine recht eigenwillige Denkweise, manchmal vielleicht etwas naiv, aber durchaus mit erfrischend einfacher und meist bestechender Logik. „Dir ist aber schon noch klar, das es mehr braucht um Soldat zu werden, als der bloße Wunsch besser kämpfen zu können, oder?“, Sunder nickte. „Grundsätzlich ist es natürlich eine gute Sache, wenn ein Mann sich entschließt, in den Dienst der königlichen Armee zu stellen. Nur sollte man sich vorher auch darüber im klaren sein, was es bedeutet in der Armee zu sein, sonst platzt der Traum von Ritter werden, die meisten Männer, die zur Armee wollen träumen davon, ehe er richtig begann. Ohne die Bereitschaft sein Leben zu ändern, sich der militärischen Ordnung zu fügen, wird Niemand jemals ein guter Soldat. Da haben wir von anderen Tugenden, wie Disziplin, Gehorsam, Mut und Willenskraft, noch gar nicht gesprochen. Ich bin mir da ehrlich gesagt nicht sicher, ob all das auf dich zutrifft, alter Freund. Zumindest was Disziplin anbetrifft, habe ich starke Bedenken, du hattest doch schon mal einen Posten in der Stadtwache und den hast du nicht lange durchgehalten.“
„Dat war nit meine Schuld“ empörte sich Sunder, „isch hab alles jemacht wat von mir verlangt wurd, aber irgendwie wollten die misch nit mehr haben.“ Der Kommandant schaute den Seebären skeptisch an, das kann ich mit nicht vorstellen, woran soll es denn gelegen haben“ fragte er nach. „Na, der Hauptknilch vom Hafenlager meinte isch sollte da so Listen bekritzeln und du weißt ja, dat isch sowat nit kann..., und dat war dann ein Problem, wat sich nit lösen ließ.“ „Verstehe..., dumm gelaufen“ brummte Ulrich, war wohl keine gute Idee Sunder in der Hafenkommandantur unterzubringen, stellte er selbstkritisch fest, schließlich er hatte damals ein gutes Wort für den Seebären eingelegt. Sunder schien es wie damals, sich der Armee anzuschließen, wirklich ernst zu meinen, deshalb kam der Kommandant nach kurzer Überlegung zu dem Schluss, das der Seebär sicherlich eine zweite Chance verdient hätte. „Du hast mich überzeugt alter Freund, ich denke du hast das Zeug dazu, ein guter Soldat zu werden, ich werde nochmal ein gutes Wort für dich einlegen. Allerdings werde ich persönlich ein Auge auf dich werfen, damit du nicht wieder falsch abbiegst, du verstehst was ich meiner.“ Sunder grinste, „danke Scheff..., klar Scheff, isch soll nit mehr soviel trinken, dat kriege isch hin.“ Der Kommandant nickte zufrieden, „gut, dann melde dich möglichst bald in der Bastion, du weißt ja wo du hin musst. Und nimm Jacques am besten gleich mit, der sollte sich auch eine vernünftige Grundausrüstung zulegen und dann sehen wir weiter.“
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“Ah, die Neuen!”, begrüßte sie der Zeugwart, als Jacques gemeinsam mit Sunder die Rüstkammer betrat. Sobald die kleine Feier in der Marktschänke ihr Ende gefunden hatte, war er von dem alten Seebären aufgefordert worden, ihn zur Wache zu begleiten – damit sie sich gemeinsam offiziell in der Miliz einschreiben konnten. Jacques war zwar im ersten Moment durchaus überrascht gewesen, dass Sunder ebenfalls der Armee beitreten wollte, aber die Ereignisse der letzten Tage hatten dem Alten wohl auf gewisse Art die Augen geöffnet. Er wollte nicht nur lernen, sich selbst zu verteidigen, sondern sich auch besser für andere einsetzen können. Wenn solche Gestalten wie die, von denen sie entführt worden waren, frei herumliefen, dann war niemand sicher!
Dem hatte Jacques nichts hinzuzufügen und er war froh, auf diese Art gleich gemeinsam mit einem Bekannten seinen Dienst antreten zu können, auch wenn die beiden frischgebackenen Milizionäre unterschiedlicher kaum sein konnten.
Die Formalitäten der Einschreibung waren schnell erledigt gewesen – man war bei der Wache offenbar froh um jeden Mann und auch als Sunder etwas verlegen erklärt hatte, dass er nicht schreiben konnte, hatte der hagere Soldat in der Amtsstube ihn einfach drei Kreuze setzen lassen und damit war die Sache gegessen.
Der Zeugwart war ein alter Mann mit einem stattlichen grauen Bart und ebenso stattlichem Bauch, der auf einem Holzbein herangehinkt kam. Die linke Hand fehlte ihm ebenfalls, an ihrer statt hatte er einen kruden Haken am Stumpf befestigt. Obgleich er mit diesen Verstümmelungen sicher nicht mehr in der Lage war, effektiv zu kämpfen, trug er dennoch den rot-weißen Wappenrock der Miliz, verziert mit einigen strategisch platzierten Fett- und Bierflecken.
„Ja, wir sind die Neuen!“, bestätigte Jacques beschwingt, „Ihr seid also schon informiert worden?“
Der alte Soldat nickte. „Jawoll, hier wird nicht herumgetrödelt! Willkommen in der Armee, übrigens… war die richtige Entscheidung von euch!“ Er baute sich vor ihnen auf und schlug sich stolz mit der Faust auf die Brust. „Die Armee hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin!“
Jacques‘ Blick fiel auf die fehlenden Gliedmaßen des alten Soldaten und sein Lächeln nahm einen etwas gequälten Ausdruck an, was der Zeugwart allerdings nicht zu merken schien. Oder er ignorierte es einfach gekonnt. Jedenfalls machte er sich daran, die Ausrüstung für die beiden Neuzugänge herauszusuchen – Gambesson und Wappenrock, Helm, Marschgepäck, Kurzschwert und einfache Hellebarde. Die Standardausrüstung der Stadtwache.
„Na dann… Für Innos, den König und die Gerechtigkeit!“, verkündete Jacques nur halb scherzhaft, als er seine neue Ausrüstung entgegennahm.
Bis zum Ritter war es noch ein weiter Weg – aber jeder Weg begann mit einem ersten Schritt!
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Meves erste Tage in Thorniara, der Hafenstadt der Südlichen Insel Argaan, waren, nach der Begegnung mit der trauernden Witwe am Friedhof der Stadt, eine Aneinanderreihung von feucht-fröhlichen Abenden in der Hafenkneipe und allerlei Wettbewerbe im Armdrücken, Prügeln und Trinken gewesen. Gerade Mittleres und Letzteres hatte sie ganz außerordentlich gut praktiziert, stellte sie fest, als sie nun in irgendeiner Gasse aufwachte und sich unangenehmerweise ihres Zustandes bewusstwurde. Die hasserfüllte Standpauke der Witwe hatte sie mehr aus der Bahn geworfen, als sie sich hatte eingestehen wollen.
„Götter“, keuchte sie und erhob sich so unsicher, dass selbst ein neugeborenes Rehkitz abfällig geschaut hätte. Dabei kämpfte sie sich an dem nassen, leicht modrigen Holz einer Wand hoch, ehe sie ihre beeindruckende Größe in einen wackeligen Stand gebracht hatte. „Oh Götter …“
Der Stand wurde sofort auf die Probe gestellt, als der letzte Abend seinen Tribut forderte. Meve stützte sich auf ihren Knien ab, beugte sich vor und erbrach sich völlig ungeniert in die Gasse.
Sie hörte Schritte, blickte mit tränenverschleierten Augen auf und sah einen jungen Hafenarbeiter herankommen. „Alles gut?“, fragte er vorsichtig, streckte eine Hand aus, um sie zu stützen. Meve natürlich, selbst in der Gosse noch auf dem höchsten aller Rösser, stieß die Hand unwirsch weg, richtete sie auf und ballte die Fäuste, musste dabei aber ein Würgen herunterzwingen.
„Verpiss dich, Milchtrinker“, zischte sie, „oder ich breche dir die hübsche Nase, kapiert?“
Der Hafenarbeiter wirkte erst überrascht, dann zornig, dann gleichgültig. Er spuckte ihr vor die Füße, wandte sich um und kehrte zu seiner Arbeit zurück. Meve bewies nach wie vor das Talent, Freunde zu finden. Diese Erkenntnis kam ihr natürlich während des größten Katers, den je ein Wesen in Adanos‘ Sphäre hatte erleiden müssen, nicht. Sie stolperte aus der Gasse, nachdem sie abermals ausgespuckt hatte und machte sich auf die Suche nach einem Badehaus. Oder – sollte sie ihr Gold in der Gasse oder davor in irgendeiner Kneipe oder Spelunke verloren oder gelassen haben – einen Brunnen, an dem sie sich waschen und wieder einen klaren Kopf bekommen konnte.
So brauchst du jedenfalls nicht bei der Akademie vorstellig werden, dumme Trine.
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Kapelle
"Die Errettung durch Sankt Johanna..."
Beinahe lautlos formten ihre Lippen die Worte nach, als ihre Fingerkuppen über die goldene Schrift auf königsblauem Grund fuhren. Worte voll von fanatischem Übereifer, Worte voll von Lügen. Es gab keine Heiligkeit in dieser Welt. Johannas Hände fuhren über die Szenen des seidenen Wandteppichs, der seit den grausamen Ereignissen an der Wand der Kapelle hing. Die Schrecken der Pest waren vor über neun Jahren über sie alle hereingebrochen, beinahe ein halbes Leben. Doch in ihrer Erinnerung waren sie mehr als präsent. Wie oft hatten sie in diesen neun Jahren die Erinnerungen an die siechenden Frauen des Hafenbordells heimgesucht, an totenbleiche, wächserne Gesichter und schwarze Eiterbeulen? Erinnerungen an den Anblick ihrer Mutter, an der Schwelle des Todes, kaum noch fähig, zu sprechen? Die Szenen von Tod und Hoffnungslosigkeit auf diesem Gebetsteppich weckten all die finsteren Bilder der Vergangenheit, die sie nie wirklich verlassen hatten. Das Gefühl völliger Hilflosigkeit gegenüber dem Schicksal. Das Gefühl, vergessen und verlassen zu sein, weggesperrt und zum Sterben verurteilt. Das war die Gnade gewesen, die der Orden ihnen allen zugedacht hatte.
Vicktar und Grimbar hatten damals verhindert, dass der schwarze Tod das Ende für sie alle war. Johanna sah hinab auf ihre Handfläche. Eine Narbe in Form einer kruden Sichel kündete noch immer von dem Versuch, endgültig herauszufinden, ob sie immun gegen die Pest war. Vicktars Blut zu ihrem - damals hatte sie gehofft, dieser Akt würde sie endlich umbringen wie all die anderen Seelen aus dem Bordell, würde sie wieder mit ihrer Mutter vereinen. Doch das Schicksal hatte anderes mit ihr vorgehabt.
Ihre Finger fuhren bebend weiter über die Bilder von Dunkelheit und Schrecknis, hinüber auf die rechte Seite des Teppichs. Dort durchstieß das Licht die Dunkelheit, und umgeben vom hellen Schein der Heiligkeit saß dort ein blutendes Mädchen, von dessen Armen die roten Tropfen in die Münder der Menschen fielen, die erlöst wurden und gesundeten. Johanna sah in ihr zwölfjähriges Antlitz. Sankt Johanna...
Nichts an ihr war heilig. Das waren nur die verdrehten Worte und Gedanken eines übereifrigen, fanatischen Gottesgläubigen. Damals hatte sein Eifer sie alle gerettet, hatte auch Johanna gerettet. Doch zu welchem Preis? Wie viele neue Narben hatte er ihrer Seele in seinem Fanatismus in all den Jahren danach zugefügt, weil sie dem Bild nicht genügte, das er von ihr hatte? Und wie vielen Anderen hatte er Schaden zugefügt in seinem wirren Weltbild von Gut und Böse?
Johannas Finger krallten sich in den Seidenstoff. Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, doch es war ein zweckloses Unterfangen. Schluchzend sank sie auf die Knie und riss den Gebetsteppich mit sich herab - es war ihr egal. Sie bettete das Gesicht in den glänzenden Seidenstoff und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Dieser Mann hatte ihre Welt zerstört. Doch nicht nur das: in seiner verblendeten Selbstgerechtigkeit verfolgte er sie nun bis in den letzten Winkel dieser Insel, bis in den leisesten Gedanken in tiefster Nacht. Vicktar war ein Monster, das sie vielleicht niemals völlig abschütteln konnte, egal was geschah. Und der Orden hatte ihm die Mittel gegeben, zu diesem Monster zu werden.
Durch den Schleier ihrer Tränen sah Johanna auf und blickte sich in der Kapelle um. Sie war vollkommen leer, selbst Meister Isgaroth hatte den Gebetsraum nach der Vormittagsandacht für den Moment verlassen. Sie sah auf den Gebetsteppich hinab.
"Du verfluchtes Scheusal! Soll dein Feuer dich selbst verbrennen!"
Sie nahm ihren Reisesack von der Schulter und stopfte den Teppich wütend hinein. Wenigstens diese eine von Vicktars verdrehten Lügen sollte aus der Welt verschwinden, wenngleich die von ihm in unzähligen Predigten ausgebrachte Saat immer noch in den Köpfen der einfachen Menschen verbleiben würde. Doch außer in den Erinnerungen einiger weniger Menschen würde es keine Sankt Johanna von Argaan mehr geben.
Johanna raffte sich auf und wischte sich die Tränen aus den verquollenen Augen. Sie war fertig mit diesem Ort. Doch es gab noch andere Erinnerungen, denen sie sich stellen musste.
Geändert von Johanna (09.09.2023 um 12:48 Uhr)
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