-
Armenviertel
Ordentliche Kleidung und die Möglichkeit, ein wenig die Hygiene des Körpers aufzupolieren. Im Grunde zwei lächerlich einfache Bedürfnisse, die jedoch ohne Goldmünzen in der Tasche fast unerreichbar zu sein schienen. Heric hatte die Tage im Armenviertel von Thorniara verbracht und sich dabei ein wenig an das Dasein in der Schwefelmine erinnert gefühlt. Nur das hier niemand den Knüppel oder die Peitsche schwang, nun, zumindest nicht so offensichtlich, dass die Stadtwache des Ordens es mitbekommen würde. Andererseits – so Herics Erkenntnis – trieb die sich äußerst selten in der Tiefe dieses Bezirks herum, der mal aus größeren, älteren Bauten und dann wieder aus einer Ansammlung von Katen und Hütten bis zum Strand zu bestehen schien. Irgendwann hatte er mal – Jahre war’s her – von einem Schmuggler in Schwarzwasser gehört, dass die Menschen in Rhobars Reich lebten wie Maden in einem ganzen Lager voll Speck. Hunger? Gab es seit dem Krieg nicht mehr. Gewalt auf den Straßen? Niemals, dort floss kein einzelner Tropfen Blut außerhalb eines fairen Arenakampfes. Verbrechen? Angeblich konnte man in Vengard vor dem Tempel Innos‘ oder der Burg der Paladine in Gotha seinen Goldbeutel verlieren und würde ihn eine Woche später an der gleichen Stelle wieder aufsammeln können, mit der gleichen Anzahl an Münzen.
Als Heric jedoch durch das Armenviertel pirschte, wusste er, dass der Schmuggler einen grünen Jungen an der Nase hatte herumführen wollen. Rhobars Reich war kein Paradies. Es war genauso dreckig und unfair wie die restliche Welt. Mal mehr, mal weniger.
„He, Junge, willst du etwas Gold verdienen?“
Aus einer Gasse zwischen zwei windschiefen Hütten winkte ihm jemand. Ein dürrer Kerl in Lumpen, das Gesicht verdeckt, wohl zum Schutz vor dem Wind von der See, der nach Salz, Tang und totem Fisch roch. Heric blieb stehen, sah sich kurz um und überlegte. Am Ende gewann die jugendliche Neugierde das Würfelspiel gegen den Verstand und er marschierte auf die Gasse zu. Der Mann war kleiner als Heric, wirkte aber zäh wie ein altes Lederband. Er grinste zahnlückig zu dem jungen Burschen hoch.
„Haste kein Problem damit, dir die Pfoten dreckig zu machen, hm?“, fragte er und dünstete den Gestank von Bier und Knoblauch aus. „Oder bist’n feines Bürschchen aus’m Reichenviertel?“ Abermals maß er den Jungen mit Blicken. „Ne, so siehste mir nicht aus. Komm mit!“
Auf die gezischte Aufforderung wandte sich der Kerl um und ging davon, sich dabei wie eine Ratte nah an der Holzwand bewegend. Heric folgte ihm einige Minuten durch das Gewirr von Armenhütten, ehe er auf einem kleinen Platz stehen blieb. Mit dem Kopf nickte er zu einer bestimmten Unterkunft hin, die etwas größer und zweistöckig war, jedoch so windschief und baufällig, dass ein kräftiger Wintersturm reichen würde, um daraus einen unansehnlichen Trümmerhaufen zu machen.
Aus zwei weiteren Gassen kamen fünf Gestalten. Heric schluckte.
„Was …“, begann er und sah den Mann an, der ihn angesprochen hatte. Der hob beschwichtigend die Hand. „Nicht für dich, Bürschchen. Da reicht mein Messer. Nein, wir warten hier auf jemanden.“ Er grinste böse. „Jemanden, den du da“ – er deutete auf das zweistöckige Gebilde – „rauslockst.“
Der Mann krallte nach Herics Kragen, bewies dabei überraschend viel Kraft. „Rote Mähne, Nordmann. Hat eine Fresse wie ein Amboss, der zu hart für den Hammer is‘. Den lockste raus.“
„Und wenn ich …“
In der Hand, die nicht den Kragen des jungen Mannes gepackt hielt, erschien eine schartige Klinge. „Dann schneid ich dir den Wanst auf, Rattenjunge. Wenn du ihn rausgelockt hast und der tot is‘, kriegste etwas Gold. Wie versprochen.“
„Ich …“
„Weniger reden, mehr rauslocken. Der Hurensohn heißt Fyresgrim oder so, scheiß Nordmarname. Los, bevor ich dir die Eier abschneide, Bastard.“, knurrte der Mann und stieß ihn von sich, auf den Eingang der Hütte zu. Es erwies sich als Kaschemme, als Kneipe billigster Art und Rauschhöhle, um sich mit Sumpfkraut die Armut zu versüßen. Übelkeit ergriff Heric bei dem Geruch nach Kraut, Schweiß, Bier, Urin und schlimmeren Dingen. An etwas, das eine Theke darstellen sollte und wohl ein Stück Treibholz war, saß der größte Mann, den er je gesehen hatte. Wahrlich ein Nordmann.
„Hey du … äh … Ihr … da … Ihr sollt mal rauskommen, Herr.“
Herics Stimme versagte, als der Hüne sich umwandte und langsam den kaputten Holzkrug abstellte. Kein Gesicht, das wie ein Amboss wirkte. Vielmehr wirkte der Riese so, als würde er magische Erzklingen zum Frühstück verspeisen.
„Was willst du, Kleiner?“, rumpelte irgendwo im Weißaugengebirge eine Steinlawine.
„Seid Ihr … äh … Fy- … Fyresgrim?“
Der Rote schnaubte, was klang, als würde das Geräusch von einem belustigten Bären kommen.
„Fyresgrim war mein alter Herr. Ich bin Ragnar. Ragnar Fyresgrimson.“ Er erhob sich ächzend von seinem Platz. Im Schein einiger Kerzen sah Heric, dass das Haar des Mannes zwar feuerrot war, aber auch stark von Grau durchzogen.
„Hat Fylip endlich entschieden zu handeln, der kleine Goblinbumser?“
Das Grinsen auf den Zügen des Riesen war freudig. „Du bist neu. Gehörst nicht zu seiner Bande. Oder noch nicht lange. Dein Glück, sonst hätte ich dir schon das Genick gebrochen. Komm mit, Neuer. Willst du mal sehen, wie ein Oger ein paar Ratten zerquetscht?“
-
Das Hafenviertel
"Wer hat dich geschickt?" blafte der stämmige Soldat den armen Dieb an der es nicht vollbracht hatte zu fliehen. "Ich weiß nichts.... wirklich!", jammerte der Gefangene. "Alles was wir machen sollten waren diese Kisten hier zu diesme Haus bringen. Wir wissen nicht einmal was darin verborgen ist oder von wem sie stammen." Die Stadtwache schien nicht sonderlich glücklich über diese nichtssagende Antwort und grummelte nochmal:"Wer hat dich geschickt?" "Es war ein irgendein Kerl hier am Hafen." stammelte der Dieb. Hierodius Geduld schien am Ende zu sein:"Wieso habt ihr diesen Auftrag angeommen, woher kamen die Kisten?" Der geschnappte Dieb hatte Tränen in den Augen:"Wenn wir das verraten bringen sie uns um." Der Soldat hatte keine große Lust auf solche Spielchen und antworterte:"Wenn ihr es nicht verratet, dann wird euch eurer Aufentalt im Kerker keinen großen Spaß machen, aber in den kommt ihr sowieso außer ihr helft uns den Kopf dieser ganzen Aktion zu schnappen."
Korken war über die schnelle und effiziente Reaktion des Soldaten sehr überrascht. Auch in der Kolonie schon gehörte Korkens Reaktion nicht zu den schnellsten aber jetzt da er sich gefangen hatte und sich der Lage bewusst war ging er vor die Tür und sah wie der Soldat dessen Name er immer noch nicht kannte einen der Diebe verhörte. "Also willst du uns zu dem Haus führen?" fragte der Soldat ein letztes mal bevor er wohl bereit war den armen Schlucker ohne weitere Gnade in den Kerker zu werfen. "Ich kann euch nicht zu dem Haus führen, ich bin nur ein einfacher Flötenspieler der sein Gold am Hafen verdient. Ich habe nichts und werde nie etwas haben. Bitte lasst mich gehen!" bettelte der Ausgequetschte.
Das weitere Verhör brachte niemanden weiter und der Soldat und Korken standen wieder mit Null da. Trotzdem hatten die beiden jetzt Zeit sich gebührend vorzustellen, was sie auch taten. "Wie soll es jetzt weitergehen?" fragte Korken. "Ich weiß es nicht." antwortete der Soldat. Da fiel Korken eine letzte Möglichkeit ein:"Eine Spur haben wir noch. Harald wurde von einem Würfelspieler in der Taverne in die Sache reingezogen, wir könnten nach ihm Ausschau halten." "Der wird über alle Berge sein", seufzte der Hauptmann und schlug sich in die Hand. "Ein Versuch ist es aber wert."
Die beiden gingen zur Taverne. Sie war voll gefüllt an diesem Abend und das Licht aus dem inneren warf einen einladenen Schein nach draußen wo es kalt und dunkel war. "Ich werde hier draußen warten.", verkündete der Soldat. Falls etwas sein würde, wäre er hier draußen zu Stelle, aber wenn er mit reinkommen würde, dann wäre es viel zu auffällig. Deswegen ging Korken alleine in die gemütliche Stube und schaute sich um. Am Platz des Würfelspielers saß ein Mann, wenn auch nicht der gesuchte Würfelspieler.
"Besser als nichts" dachte sich Korken und setzte sich zu dem geheimnisvollen Fremden.
"Willst du würfeln?" murmelte der Fremde. "Nein.", antworte Korken leise."Ich brauche Antworten." Kennst du den Mann, der vor dir hier mit den Leuten gewürfelt hat?" der Mann lachte. "Ich kenne viele Leute aber lasst es mich mit einem Gedicht beantworten:
Hier gehen viele Männer ein und aus
Ich schweige wie die Kirchenmaus
Hier kosten Informationen bares Gold
Ich schweige dann bleibt das Glück mir hold"
Korken gefliehl die sympathische Reimerei des Spielers der weitaus weniger grimmig, deswegen aber keinenfalls weniger kriminell, als sein Vorgänger zu sein schien. Wenn er ähnlich dichten würde bekäme er vielleicht eine Antwort die er gebrauchen könnte:"
Drum sag mir wohin ist dein Vorgänger
Gehts um Gedichte bin ich ein wahrerer Kenner
Ist er noch in der Stadt oder in ferne Länder
Ist er noch arm oder trägt er jetzt teure Gewänder?
Dem Fremden schien die Gedichte antwort gut genug zu gefallen, denn er lachte und winkte die Bardame zu sich her. "Ein Bier für uns beide bitte!". "Nun mein Freund, das ist zwar schön gereimt, aber du hast nicht verstanden was hier abgeht. Zieh deine Nase aus dem Geschäft und wir beide bleiben Freunde."
-
Armenviertel
Heric ging schnellen Schrittes aus der Rauschhöhle und stolperte direkt den Schurken von zuvor in die Arme. Der abgerissene Haken, der ihn bedroht und zum Lockvogel gemacht hatte, fing ihn ab, packte ihn fest und schüttelte ihn.
„Haste Muffensausen gekriegt, oder was?“, keifte er und verteilte dabei Speichel über Herics Gesicht, „Du beschissner kleiner Bastard, ich schlitz dir das Gekröse auf!“
„Hammel, scheiße, da kommt der Rote!“, kreischt ein anderer Unhold. Hammel, der den Burschen immer noch gepackt hielt, riss den Kopf herum, Mund und Augen auf und stieß Heric von sich, der stolpernd zu Boden ging. Er rappelte sich einigermaßen auf und rutschte rücklings zu einer Häuserwand, unfähig, den Blick von dem folgenden Schauspiel abzuwenden.
Von irgendwo auf dem Weg hatte Ragnar Fyresgrimson eine Art Totschläger aufgehoben, der wohl in einer nahen Schlachterei zum Betäuben des Viehs benutzt worden war. Es war ein massiges Ding und Heric bezweifelte ernsthaft, ob er es überhaupt hätte anheben können. In den Händen des Nordmannes aber wirkte es wie eine leichte Weidengerte. Dem ersten, messerschwingenden Enthusiasten verpasste er damit so einen Schlag gegen die Seite, dass der Mann wie von einer Schnur gezogen davonflog. Irgendwo rechts von Heric krachte er in die Holzwand, die bedrohlich unter dem Aufprall bebte.
Der nächste Übeltäter bewies etwas Weitsicht, blieb außer Reichweite des Knüppels, verteilte sich mit dem Rest unter Hammels Koordinierung. Das waren erfahrene Straßenkämpfer, Köter, die mit stumpfen Messern, abgebrochenen Flaschenhälsen und den Fäusten zu töten wussten.
Ebenso wie Ragnar. Der konnte es aber schlicht besser. Zu einer Seite schlug er mit dem Totschläger aus, öffnete damit scheinbar eine Lücke, die ein anderer Schurke nutzte, um mit dem Messer zuzustechen. Dies war aber der Plan des Hünen gewesen, sodass er schlicht die freie Hand vorstieß, als würde er sich anlehnen wollen. Es krachte, knirschte widerlich und der Angreifer ging gurgelnd und aus Nase und Mund blutend zu Boden. Ein weiterer Kämpfer wurde einfach weggetreten, da Ragnar seine Größe zum Vorteil nutzte. Dazu gehörten auch lange, kräftige Beine wie junge Eichenstämme.
Letztlich waren nur Hammel und sein letzter, stehender Gevatter übrig. Ragnar grinste den anderen an. „Du wirst den Quacksalber holen.“, stellte der Sohn des Fyresgrim fest und deutete mit der Keule auf ihn.
„Hä?!“, spie der hervor, „Was meinst du?“
Der Angesprochene und Hammel sahen sich an, während Fyresgrimson nur seufzte.
„Einer ist immer ein Feigling und holt den Quacksalber. Oder die Stadtwache. Hierbei“ – der Hüne wog den Totschläger in der Hand – „würde ich aber eher zum Feldscher raten, nicht wahr?“
Und mit einer Geschwindigkeit, die Heric ihm niemals zugetraut hätte, warf sich Ragnar nach vorn, schlug locker mit dem massiven Knüppel auf das Handgelenk der Waffenhand Hammels. Es knirschte laut, das Messer fiel aus verkrampften Fingern zu Boden. Der andere Schurke überlegte kurz, sprang vor, sah Ragnars Blick, sprang wieder zurück, fluchte laut und rannte davon.
Der eine Übeltäter, der getreten worden war, rappelte sich auf, wurde von Ragnar jedoch mit einem gezielten Schlag zu Boden geschickt, einem halbvollen Sack Mehl, der umkippt, nicht unähnlich. Hammel war in die Knie gegangen, kauerte im Schlamm und umklammerte das zertrümmerte Handgelenk.
„Du Huuurensooohn!“, heulte er schrill, dass sich Heric der Magen umdrehte. Ragnar Fyresgrimson trat wieder zu dem Mann hin, kniete sich ebenfalls hin und überragte ihn sogar dann noch bei Weitem.
„Richte Fylip aus, dass ich mich nicht einschüchtern lasse.“ Er griff gnadenlos nach dem gebrochenen Gelenk, ballte die Faust, als würde er ein Schwert packen. Das Heulen Hammels wurde lauter, schriller, hysterischer. Die Muskeln in Fyresgrimsons Arm traten hervor und erneut war ein widerlich knirschendes Geräusch zu vernehmen.
„Richte Fylip aus, dass er Glück hat und ich keinen Tag länger in seinem Viertel und seiner Stadt bleibe.“ Der Nordmann ließ los, stieß Hammel um, dass er wimmernd auf dem Rücken im Dreck landete. Der Hüne setzte seinen Stiefel auf den Brustkorb und einen Augenblick befürchtete Heric, er werde mit aller Kraft zutreten und dem Kerl einen schmerzhaften Tod zuteilwerden lassen. Auch Ragnars Miene ließ das Gedankenspiel erahnen. Am Ende beugte er sich aber nur herab, was jedoch Gewichtverlagerung genug war, um Hammel endgültig zu einem schluchzenden, jammernden Wrack zu verwandeln.
„Richte Fylip aus, dass wenn ich seine oder deine Visage nochmal sehen sollte, irgendjemanden, der mir schöne Grüße von euch bestellen möchte …“ Das Grinsen auf den Lippen des Mannes mit der grau durchsetzten Flammenmähne war nur bar jeglichen Spotts oder Hohns. Es gemahnte an die eiskalten Winternächte Nordmars. „Dann spüre ich jeden einzelnen Bastard aus eurer Bande auf und reiße ihm die Eingeweide raus. Ich werde dann ein Exempel an euch statuieren, dass niemand mehr in Rhobars verdammtem Großreich auf die Idee kommt, Verbrecher zu werden.“
Der Hüne trat von dem Mann herunter und zurück. „Und jetzt friss Scheiße, Hammel.“
Mit diesen Worten warf er den Totschläger achtlos beiseite und bedeutete Heric mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. „Komm, Bursche. Folge mir, wenn du schlau bist. Wenn du hierbleibst, machen die dich kalt und verfüttern dich an die Fische in der Bucht. Glauben nämlich, dass du sie in eine Falle gelockt hast. Und Fylip, dieser Sohn einer Thorniarer Eselzüchterin, ist hier im Viertel für seine Grausamkeit bekannt.“
Kurz blieb er stehen. „Wie schimpft man dich?“
„Heric.“
Der Nordmann schnaubte kurz bestätigend. „Wie gesagt, Ragnar Fyresgrimson. Ehemaliger Paladin und Ritter Seiner unnachahmlichen Majestät, König Rhobars des Dritten. Verschwinden wir, bevor irgendjemand die Wache ruft. Ich … habe kein Interesse an langen Gesprächen mit ehemaligen Waffenbrüdern in der Bastion.“
-
Das Hafenviertel
Dem Soldaten der Stadtwache gefiel die Situation gar nicht. In der gebotenen Eile musste er Ludwig beim Gefangenen zurücklassen und ihm auch noch die Sicherung der Kisten übertragen. Möglich, dass die geflohenen Arbeiter zurückkehrten, um ihren Freund zu befreien und die Kisten verwinden zu lassen. Ungeduldig überblickte Hierodius Lex daher den vorgelagerten Platz an der Kaimauer entlang und hoffte weitere Soldaten der Stadtwache zu entdecken.
Unglücklicherweise hatte die Abenddämmerung bereits eingesetzt, sodass sich die Schicht der Arbeiter dem Ende neigte und so auch die Patrouillengänge reduziert wurden. Denn auch wenn die Zitadelle die Reihen der Stadtwache zeitweise mit Angehörigen des Ordens verstärken ließ, standen viel zu wenige Männer zur Verfügung, um auch am Abend und in der Nacht die erforderliche Präsenz zu zeigen. Sehr zum Leidwesen der ansäßigen Händler und Handwerker, die im Hafenviertel ihre Lagerhäuser gemietet hatten.
Doch Hierodius Lex hatte Glück! In einiger Entfernung sah er im Schein einer Fackel eine Rüstung der Stadtwache glänzen. Hastig winkte er, auf dass ihn der Kamerad bemerken würde. "Jawohl, Fähnrich!" stieß Remboldt aus, nachdem er Hierodius Lex erreicht hatte. "Hört zu!" erwiderte der breitgebaute Soldat. "Drei Gassen weiter, auf der rechten Seiten, ist ein großes Haus mit einer grünen Tür. Dort ist Ludwig, der sich um einen Gefangenen kümmert und eine Ladung Diebesgut sichergestellt hat. Geh hin und unterstütze ihn!" Remboldt nickte entschlossen und lief schnellen Schrittes in die beschriebene Richtung.
Auf ein Zeichen oder ein ungewöhnliches Geräusch wartend, stand Hierodius Lex weiter am Eingang der Hafenkneipe. Es war nicht seine Art, auf die Aussagen eines Fremden zu vertrauen und mit einem einfachen Bürger zusammenzuarbeiten. Doch er wollte die Untersuchung endlich beenden und war dafür bereit, auch mit seiner gewohnten Vorgehensweise zu brechen.
-
Das Hafenviertel
Korken versuchte immernoch Informationen aus seinem gegenüber herauszubekommen. Mittlerweile hatten die beiden schon ein paar Bier getrunken und Korken hatte einen guten Einfall. "Wie heißt du mein Freund?" lallte er etwas angetrunkener als er eigentlich war. "Nenn mich Gerhalt.", sagte der Ganove freundlich. "Okay Gerhalt, ich will ehrlich mit dir sein. Draußen stehen die Stadtwachen und wollen den Laden hier hochnehmen. Die Kisten sind bereits in den Händen der Wachen und wir brauchen nur noch einen Sündenbock. Deswegen muss ich wissen wo der Würfelspieler hin ist." Gerhalt stockte die Freundlichkeit im Gesicht, aber auch etwas furcht vor den Wachen war in ihm zu erkennen. "Hör zu Junge, mit dem Ding hatte ich so gut wie nichts zutun. Wir Hafenleute sind nicht alle miteinander verbunden. Aber wenn du mir drohen willst, dann kann das Ding hier gerne hochgehen, ich hab mir nichts zu schulden kommen lassen."
Korken seufzte auf:"Ich hab mit der Sache doch selbst kaum was zutun. Bin seit ein paar Tagen in der Stadt und schon hab ich wieder Ärger am Hals. Mein Plan ist es mich den Magiern in Tooshoo anzuschließen." Die Worte des jungen Adanosfreundes schienen etwas in seinem Gegenüber ausgelöst zu haben, er senkte seine Stimme und flüsterte:"Einem Diener Adanos will ich helfen, hör zu:
Der Würfelspieler ist nicht mehr in Thorniara
ihm zu folgen stellt eine große Gefahr da
in den Kisten was war dort verborgen?
euch kann ereilen der Tod, oder aber ihr habt große Sorgen
Wohin weiß ich selbst nicht
aber die Kisten waren erst der Anfang
weil die Gier der Reichen die Stadt zerfrisst
und niemand einen eitlen Klopps vermisst
Korken erschrak bei der letzten Zeile. "Ist etwa ein Mord geplant?". Der Gauner verschloss mit seinen Fingern die Lippe und lächelte Ihn an. "Ich danke dir Gerhalt, das Bier geht auf mich!" Korken schnappte sich ein bisschen Gold aus seiner Tasche und bezahlte die Barfrau, dann machte er sich auf den Weg nach draußen um Hierodius Lex von den Neuigkeiten zu berichten. Doch bevor er die Taverne verlassen konnte stellte sich ihm ein anderer Mann in den Weg und schaute ihn grimmig an. "Ihr wurdet grade mächtig übers Ohr gehauen. Glaubt ihr wirklich, dass ein Gauner zu leicht spricht nur Wachen vor der Tür stehen?" Korken wurde grade klar, dass er das Bier bezahlt hatte und auf dem Weg nach draußen war ohne auch nur eine handfeste Information zu haben. Wütend ballte er die Faust, aber es war hoffnungslos, sein breitgebauter Peiniger würde nichts herausrücken. Dann er widerte er:"Ihr wollt mich sicher auf die nächste Fährte locken?" "Eine Fährte ja..." sagte der Fremde. "... aber auch die Wahrheit. Der Würfelspieler ist noch in der Stadt beziehungsweise, vielleicht ist er es grade so noch, denn Harald hat euch ebenfalls mächtig übers Ohr gehauen. Die Kisten sollten da nicht nur gelagert werden, sie sollten aus der Stadt geschafft werden, durch einen Schmugglertunnel." Korken fiel alles aus dem Gesicht. "Wieso erzählt ihr mir davon?" fragte er unglaubwürdig. Der Fremde nahm ihm zur Seite:"Harald hat sich hier ein falsches Opfer gesucht. Wir haben die Information schon länger, und mir wäre es egal wenn ihr nicht Adanos dienen wollen würdet. Deshalb muss Harald jetzt gradestehen."
Der Fremde verabschiedete sich ohne seinen Namen zu nennen und bevor Korken ihn verfolgen konnte war er schon in der Menge des Hafenviertels untergegangen. Mit den brisanten Neuigkeiten ging Korken zu Hierodius Lex. Ob es den Schmugglertunnel wohl wirklich gab und sollte Korken wirklich für den Diebstahl der Kisten angeschwärzt werden? Naiv genug hatte er dem Fremden bei seiner Ankunft vertraut.
-
»Solange sie in deiner Verwahrung waren und nichts damit geschah, soll mir das genügen.«, antwortete die Oberste Feuermagierin und überlegte. Für sie war all das nicht nur sechs Jahre her. Mit etwas Hilfe konnte sie sich dennoch daran erinnern. Das Chaos, welches das rote Sumpfkraut in der Stadt verursacht hatte und das Leid, welches daraus resultierte. Es ließ Françoise auch an die Tochter Rabenweils erinnern. Ein Akolyth der schwarzen Magie und sehr von sich selbst überzeugt. Ob sie immer noch am Rockzipfel des Schwarzmagiers Esteban hing?
»Woran genau scheitert die Zerstörung dieser Werkzeuge?«, fragte Françoise und nahm einen weiteren Schluck. Der Tee konnte wirklich etwas Zimt gebrauchen.
»Wenn nötig, werde ich es selbst übernehmen. Oder wir verbannen sie in den Giftschrank. Das Kloster in Nordmar kann sie sicher verwahren. Für den Fall, dass wir uns noch mal mit ihrer Wirkungsweise auseinandersetzen müssen.«
Die Verwahrung stellte ein gewisses Risiko dar und gewiss wäre die Zerstörung der sichere Weg mit ihnen zu verfahren. Dennoch wusste Françoise, dass Wissen die beste Verteidigung gegen schwarze Magie und dergleichen war. Womöglich ließ es sich sogar in etwas positives umkehren.
-
Das Hafenviertel
Endlich verließ der Mann die Hafenkneipe, auf den Hierodius Lex wie abgesprochen gewartet hatte. Bereits an seinem Gesichtsausdruck konnte der Soldat erkennen, dass es zumindest Neuigkeiten gab. "Einen Schmugglertunnel!?" fragte der Fähnrich ungläubig nach, nachdem er über die Details aufgeklärt worden war. "Schwer vorstellbar, dass wir einen solchen nicht schon längst gefunden haben. Aber das habe ich nicht zu bewerten..." Einen momentlang dachte Hierodius Lex nach und erwiderte dann: "Wie dem auch sei. Ich danke Euch für Eure Unterstützung! Aber ab hier wird sich die Stadtwache alleine um die Angelegenheit kümmern. Also haltet Euch von diesen Leuten fern!"
Mit diesen Worten verabschiedete sich der breitgebaute Soldat und lief zum großen Haus zurück. Dort stand nur noch Remboldt und bewachte die auf einem beschädigten Holzkarren verzurrten Holzkisten. "Bericht!" brummte Hierodius Lex. "Ludwig hat den Gefangenen zur weiteren Befragung zur Bastion gebracht. Die Kisten wollten wir nicht ohne dein Beisein öffnen. "Sehr gut! Na dann wollen wir mal" erwiderte der Fähnrich. Er zog das Schwert aus der Scheide und hebelte eine der Kisten auf. "Was ist das denn?" fragte Remboldt verwundert, als sich der Inhalt offenbarte. Tatsächlich war es eine weitere Kiste gewesen. "Hmm!" stieß Hierodius Lex aus. "Scheint leer zu sein..." fuhr er fort, als er die verpackte Kiste vorsichtig anhob. Mit einem Ruck holte er sie ganz hervor und erblickte auf den Seiten ein aufgemaltes Wappen. "Ha! Volltreffer!" freute er sich. "Das sind die gesuchten Kisten! Wir haben sie gefunden!"
Auch Remboldt freute sich: "Das ist ja großartig! Was denn für Kisten?" Hierodius Lex stellte die Kiste wieder ab und schaute erleichtert zu seinem Kameraden: "Diese Kisten wurden einem Händler aus dem Reichenviertel gestohlen. Vermutlich um damit Schmuggelware zu transportieren und es so aussehen zu lassen, als sei eben dieser Händler dafür verantwortlich." Die anfängliche Freude über den Fund legte sich jedoch schnell, als der breitgebaute Soldat darüber nachdachte. "Tja, jetzt haben wir zwar die Kisten gefunden aber immer noch keinen blaßen Schimmer, wer sie denn nun gestohlen hat und warum..."
-
Tempel des Innos, Tempelviertel – Vor den unheiligen Tatsachen sitzend
Arvideon zögerte nicht, sondern stellte seinen Becher beiseite.
"Es reicht von minder harmlosem… Geistiger Abgrund, konserviert, zum Mitnehmen. Häresie als Faltblatt.“, begann er, wie er es einst dem Kapitän dargelegt hatte, während er die Gegenstände der Reihe nach aus den zahlreichen, mal mehr mal weniger ersichtlichen Taschen, Falten und Ärmeln seiner Kluft holte.
„…bis zu gefährlichem, denn Rabenweil vermochte der Magie, weil sie ihm verschriftlicht vermacht worden war, und nicht alle Rollen, so scheint es, hatte er aufgebraucht, bevor er unterlag. Der kleinwüchsige Wandermönch kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber diese hier“, er zeigte auf drei kleine Rollen, die er mit etwas Abstand zu den übrigen Pamphleten deponiert hatte, “sind nach keiner bekannten Sprache lesbar, doch spürt der einstig mit Magie betraute, dass ihnen Kräfte innewohnen. In Wort gefasstes Chaos, in Sätze gegossene Dunkelheit, Beliars Kräfte portioniert für den Hausgebrauch."
Zuletzt förderte er drei Ringe, einen Siegelring und zwei, deren Steine ihren Glanz auf nicht nachvollziehbare Weise total eingebüßt hatten, sowie ein kleines Messer aus Silber hervor – letzteres mit spitzen Fingern und sichtlicher Abscheu. Das Schneidewerkzeug jagte ihm jedes Mal, wenn er es anfasste, dunkle Schauer über den Rücken.
"Etwas Schmuck, sichtlich ausgebrannt, ziemlich geschmacklos und schwer verkäuflich. Ein Messer, Silber, nicht für Melgans Augen, eher für Augäpfel, dunkle Riten."
Nun da alles offen ausgebreitet dalag, sah er wieder zur Obersten Priesterin auf.
„Der langgediente Götterdiener zweifelt nicht an der Kraft des heiligen Feuers, Eure Eminente Rigorosität. Doch seit dem Versiegen der Runen hat er keinen Zugriff mehr auf die Kräfte, die Innos seinen Dienern gewährt. Die Lektüre in den bekannten Werken brachte auch nur zu Tage, dass Feuer nicht gleich Feuer sei. Was dem fleißigsten Rechercheur nicht gegeben wurde, war die Gewissheit, ob Innos‘ Geschenk an alle verstandesbegabten Wesen – die Flamme, die jeder mit Stein und Zunder zu erzeugen vermag und die auch Euer bescheidener Diener zu erzeugen und nutzen vermag – reicht, um die Magie zu brechen, die in diesen Schriften mutmaßlich enthalten.“
Dass sich Arvideon noch nicht mal sicher war, ob er überhaupt fähig war, die Kräfte Innos‘ je wieder kanalisieren zu können - weil er vielleicht längst einer anderen Gottheit zu dienen zugesagt hatte – verriet er mit keiner Regung.
-
Über Felias letzten Satz konnte Curt nur schelmisch – wenn nicht gar debil – grinsen. Sollte er sie wissen lassen, dass dieser Kuss mit fast vierzig Jahren Lebenserfahrung sein erster gewesen ist? Ob sie diese Ehrlichkeit zu schätzen wusste oder ließ ihn das gar völlig rückständig wirken? Sicher, die meisten Männer seines Alters waren bereits in einer Beziehung, wenn nicht gar Väter oder Großväter. Er selbst hatte sich das immer für später vorgenommen, konnte jedoch nicht ahnen, dass er plötzlich für zehn Jahre in einen komatösen Zustand fiel. Er hatte viel nachzuholen.
„Vielleicht hängt es ja mit meinen täglichen Gesangsübungen zusammen. Nur wenn man jeden Muskel in seinem Gesicht richtig einzusetzen vermag, kann man einen perfekten Eindruck hinterlassen. Sei es nun im Gesang oder …“ Er rieb sich verlegen durch den Bart und ließ den Rest unausgesprochen. „Aber es konnte nur so gut gelingen, weil ich einen solch reizenden Gegenpart habe. Und das muss fleißig trainiert werden. Komm her.“
Er zog sie noch einmal an sich und versank in einem weiteren Kuss. Nicht so lang wie zuvor, doch die intensiven Glücksgefühle schossen erneut durch seinen gesamten Körper. Er war nun auf den Geschmack gekommen und jeder Muskel in ihm sträubte sich dagegen, sich wieder um alltägliche Dinge zu kümmern.
Als Felia sich nach den Holzscheiten für das Leuchtfeuer mühte, nahm er sie ihr prompt ab.
„Überlass das mir. Du musst dir jetzt nicht die schönen Kleider beschmutzen. Nimm doch stattdessen den Wein und den süßen Bratapfel.“
‚Auch wenn er nicht ansatzweise so süß schmeckt wie du‘, führte er den Satz gedanklich fort.
Sie verdrehte zwar gespielt die Augen, ließ es aber zu. Vorsichtig begaben sie sich die Wendeltreppe empor auf die Spitze des Turms, wo erst der kalte Wind ihm den liebestrunkenen Kopf wieder etwas abkühlte. Das Feuer war schon ziemlich heruntergebrannt. Behutsam stapelte Curt das Holz auf, das Feuer jedoch entflammte Felia mit einem spielerisch leicht gewirkten Feuerball. Der Novize legte den Arm um sie und schaute eine Weile verträumt in die wärmenden Flammen.
„Ich bin gerade sehr glücklich, weißt du?“
Er drückte Felia etwas fester an sich und gab ihr noch einen Kuss auf die Schläfe. Was für eine Untertreibung. Das war vermutlich der schönste Tag in seinem Leben.
-
Die Zitadelle
Wütend und deprimiert saß der Stadtverwalter Simon an seinem Schreibtisch. Eigentlich sollte ihm die Verwaltung für das Armenviertel und das Hafenviertel übertragen werden, sodass er fortan nicht mehr als Ansprechpartner für die einflussreichen Bürger im Reichenviertel diente. Doch der Stadtverwalter, der sich an seiner Stelle mit Kaufleuten und dem niederen Adel auseinandersetzen sollte, verstarb in Folge einer schweren Erkrankung. So war die Versetzung hinfällig und Simon musste wieder wortgewaltige, auf hochwertigen Pergament festgehaltene und mit prunkvollen Siegeln verschlossene Botschaften der Oberschicht bearbeiten.
Ein Gesuch hatte er ganz besonders hinausgezögert, konnte sich dem Antrag eines neuen Mitgliedes der Händlergilde nicht mehr länger verschließen. Soweit es der Zitadelle bekannt war, reiste vor Kurzem ein Gildenmeister dieser Gemeinschaft ab und nahm ein großes Gefolge mit sich. Übrig blieb eine sehr viel kleinere Verwaltung, die von einem bisher in Thorniara unbekannten Mann geführt wurde. Eben dieser wollte in der Zitadelle vorstellig werden und die Zukunft der Händlergilde auf Argaan besprechen.
Versehentlich zerbrach Simon einen Kohlestift, als er an den bevorstehenden Besuch dachte. An die damit verbundene Schwafelei, der Selbstgefälligkeit und der maßlosen Überschätzung der eigenen Position. Doch noch schien die Obrigkeit zu glauben, die Strukturen der Händlergilde für sich nutzen zu können, um die Versorgung von Thorniara sicherzustellen. Dementsprechend wohlwollend sollten die Verwalter über Gesuche entscheiden. Doch da spielte Simon nicht mit.
Als sich der Stadtverwalter gerade mit anderen Anträgen ablenken wollte, klopfte es an der Tür. Eine der Wachen hatte zwei Mitglieder der Händlergilde zum Amtszimmer gebracht. "Innos zum Gruße. Ihr müsst der Stadtverwalter Simon sein! Ich bin Corvus Horatius, Faktor der Händlergilde - und das hier ist mein Assistent und strategischer Berater Octavianus Magnus." Simon versuchte sich nichts anmerken zu lassen und erwiderte freundlich: "Das ist richtig. Stadtverwalter Simon. Zu Euren Diensten. Bitte nehmt platz und berichtet mir, warum Ihr die Zitadelle aufsuchen wolltet."
Der Assistent legte einige Unterlagen vor, während Corvus Horatius das Wort ergriff: "Zunächst möchten wir der Obrigkeit anzeigen, dass die Händlergilde auf Argaan fortan nicht mehr unter der direkten Verantwortung des Gildenmeisters Trevorius Vibenius Septus steht. Stattdessen habe ich die Geschäfte in Folge eines Beschlusses der Gildenmeister übernommen. Grundlage dafür, warum man mich für diese Aufgabe auswählte, sind die fortschreitenden diplomatischen Beziehungen zwischen Eurem König und unserem Herzog." Simon war genervt von dem Redeschwall des in feinen Stoffen gekleideten Mannes. Doch bedauerlicherweise musste er aufmerksam folgen, um auf etwaige Anträge reagieren zu können. "Das haben wir zum Anlass genommen, das bisherige Wirken unserer Gemeinschaft auf Argaan zu überprüfen und zu Gunsten dieses Standortes anzupassen. Es liegt im Interesse des Herzogs, dass auch die Händlergilde ihren Teil dazu beiträgt, die Beziehungen zum Großreich Myrtana zu verbessern."
Corvus Horatius blätterte durch die vorgelegten Unterlagen und zog ein ganz bestimmtes Pergament hervor. "Nach Prüfung der Unterlagen haben wir festgestellt, dass der Händlergilde und ihren Mitgliedern die Immunität verliehen wurde. Offensichtlich als Gegenleistung für herausragenden sozialen Einsatz. Das damit entgegengebrachte Vertrauen ehrt uns als Gemeinschaft. Dennoch möchten wir als Beweis für die Anerkennung der Autoritäten, die Immunitätsvereinbarung mit sofortiger Wirkung aufkündigen."
Da war der Stadtverwalter sprachlos. Er hielt die geschlossene Immunitätsvereinbarung für einen folgenschweren Fehler, der sich auch nicht durch großzügige Spenden an die Armenspeisung rechtfertigen ließ. Simon hatte immer den Verdacht gehabt, dass einzelne Angehörige des Ordens auch noch inoffizielle Geldgeschenke dafür erhielten, um diese Vereinbarung durchzusetzen. Dass sie nun von der Händlergilde selbst aufgekündigt werden sollte, war mehr als überraschend. Steckte da vielleicht mehr dahinter?
"Die Immunitätsvereinbarung lässt sich durchaus einseitig aufkündigen. Ich muss Euch jedoch daran erinnern, dass Ihr dadurch auch wieder zur Entrichtung der Steuern verpflichtet seid und das Privileg des Unterhalts eigener bewaffneter Söldner erneut geprüft werden wird." erwiderte Simon. Doch Corvus Horatius machte nicht den Eindruck, als hätte er das nicht alles bereits eingeplant. Freundlich nickte er und überreichte ein weiteres Pergament. "Dessen sind wir uns bewusst. Daher habe ich diesen Schuldschein vorbereitet, der als Nachzahlung für die Steuern der letzten zwanzig Wochen dienen soll."
Ungläubig schaute Simon auf den überreichten Schuldschein. Tatsächlich waren alle Merkmale enthalten, auf dass ihn die Zitadelle dafür nutzen konnte, um den ausgewiesenen Betrag in Gold einzufordern. Doch der Stadtverwalter blieb skeptisch. Er glaubte fest daran, dass auch diese zuvorkommende Art nur die Vorbereitung auf Forderungen war, die die Händlergilde unnachgiebig durchsetzen wollte.
Maximus
Geändert von Maximus (09.01.2025 um 22:50 Uhr)
-
In der Bastion der Stadtwache
„Was willst’n du hier, Schwester? Die Treppenstufen fegen?“
Der Milizionär grinste hämisch und stellte dabei eine lückenhafte Reihe schiefer, gelber Zähne zur Schau, passend zur der ebenso schiefen, in zahlreichen Schlägereien – vermutlich eher in der Kneipe als auf dem Schlachtfeld – breitgedätschten Nase und den kleinen, grauen Schweinsäuglein.
Der Angesprochene schluckte schwer. Er trug die Robe eines Novizen der Feuermagier und pfriemelte umständlich ein Schriftstück aus einer ledernen Mappe hervor, das er schließlich dem Soldaten hinhielt. Der Milizionär griff gemächlich nach dem Dokument und starrte es lange Zeit an. Als er nach gefühlten fünf Minuten noch immer nichts gesagt hatte, räusperte sich der Novize und ergriff selbst das Wort: „Da steht, dass ich auf Geheiß von Richter Orlok und Meister Gabriel hier, um dem Gefangenen… äh… einem Gefangenen auf dessen Verlangen seelischen Beistand zu leisten!“
„Ich weiß“, grunzte der Wachposten, „Ich kann lesen!“
Tobias, der Novize, hatte daran zwar seine argen Zweifel, war aber klug genug, nichts zu sagen. Sonst würde er sich noch bis zum Abend mit diesem Rüpel herumärgern müssen. Tobias fragte sich – nicht zum ersten Mal – was um alles in der Welt die Paladine, die ritterlichen Streiter des Ordens Innos‘, dazu bewegte, solch lumpiges Gossenpack wie den Milizionär vor ihm in Sold zu nehmen. Männer, die keinen echten Respekt kannten vor den Dienern des Herrn und zwar vor den Magiern kuschten und zu Kreuze krochen, aber keine Gelegenheit ausließen, den Novizen das Leben schwer zu machen – vermutlich, weil sie wussten, dass sie selbst gegenüber dem untersten Novizen eigentlich nichts waren als kriechendes Ungeziefer, dem zeitlebens der Gestank der Gosse anhaften würde, aus der man sie gezogen hatte.
Der Wachmann zog lautstark Rotz hoch und knüllte das Dokument regelrecht zusammen, als er es Tobias zurückgab und die schwere, eisenbeschlagene Tür zum Kerker aufschloss. „Na dann… immer rein in die gute Stube!“
Tobias atmete vorsichtig durch den Mund, als er die schmalen Stufen zum Verlies hinabstieg. Er war noch nie hier gewesen – natürlich nicht! –, aber es roch genau so, wie er sich einen Kerker vorstellte: Nach feuchtem Mauerwerk, Schweiß, Ausdünstungen und Verzweiflung. Er hoffte nur, dass sich die Angelegenheit rasch würde abhandeln lassen. Warum Gabriel ausgerechnet ihn damit hatte beauftragen müssen? Tobias stoppte sich selbst, bevor er zu lange darüber sinnieren konnte. Der ehrwürdige Novizenmeister würde sicherlich seine Gründe gehabt haben, und sei es nur, dass er Tobias‘ Standhaftigkeit prüfen wollte.
Am Fuß der Treppe wurde der Novize von einem weiteren Wachposten empfangen, der an einem kleinen Tisch saß und ihn misstrauisch musterte. Tobias zeigte erneut das Schreiben vor und erläuterte sein Ansinnen. Der Posten hier unten schien seinen Job zumindest ernster zu nehmen als sein Kollege, er verschwendete keine Zeit mit überflüssigen Spielchen, sondern nickte nur und führte Tobias zu der Zelle, in der der Gefangene saß, der meinte, unbedingt mit einem Vertreter der Geistlichkeit über seinen Fall sprechen zu müssen.
Genauer gesagt waren es zwei Gefangene: Ein junger Mann, der übernächtigt, aber dennoch von einem ungesunden Eifer beseelt zu sein schien, und ein älterer rothaariger Kerl, der ziemlich heruntergekommen aussah.
„Also gut…“, seufzte Tobias und ließ sich auf dem Schemel nieder, den der Kerkermeister ihm hingestellt hatte. Ein wenig theatralisch blätterte er durch die Dokumente, die er mitgebracht hatte. Er kannte ihren Inhalt, hatte sie mehrfach gelesen. Die Anklageschrift – Brandstiftung und Mord. Warum man den Verurteilten nicht längst hingerichtet hatte, war Tobias ein Rätsel… wahrscheinlich war irgendwo im Getriebe der Bürokratie auf dem Festland ein Zahnrädchen locker gewesen, eine Unterschrift oder ein Siegel war vergessen worden, eine Anweisung nicht überbracht – und jetzt war der Kerl hier, statt wohlverdient am Galgen zu baumeln, und Tobias musste sich mit ihm herumärgern. Innos, gib mir Kraft… Er holte noch einmal tief Luft und hob erstmals den Blick zu den beiden Gefangenen: „Wer von euch ist Ardan?“
Tak
Geändert von Die Feuernovizen (05.03.2024 um 21:38 Uhr)
-
Schritte auf dem Gang waren nichts Ungewöhnliches. Die Gitter der Kerkertüren gaben keine Möglichkeit für einen unbeobachteten Moment, doch das Geräusch eines Schemels, dessen Füße ihren Platz auf dem Steinboden suchten schon.
»Wer von euch ist Ardan?«, die genervt klingende Stimme holte Redlef aus seinem Dämmerzustand. Schlaftrunken drehte er sich auf seiner Pritsche, um zu sehen wer sich zu ihnen gesellt hatte. Etwas verloren wirkend saß ein junger Mann, fast noch ein Kind, mit Milchgesicht vor ihrer Zelle und sortierte einige Pergamente.
»Bei Innos haarigen…« Ein schmerzerfülltes Stöhnen unterbrach den Gefangenen, bevor er wohl noch etwas aussprechen konnte, was er später bereuen könnte. »Ein Novize… was soll das denn? Hat er denn auch einen Namen, der Vertreter Innos?«
Redlef drehte sich zurück und legte sich wieder hin. Das Knie jagte heiße Schmerzspitzen durch sein Bein. Mit äußerster Vorsicht suchte er eine Position auf seiner Liege, die am wenigsten Qual verursachte und dem Novizen den Rücken zuwandte. Kaum hatte er sie gefunden, zog er die Dose unter dem Strohkissen hervor, und schob sich ein paar fermentierte Blätter Sumpfkraut unter die Unterlippe. Nun blieb ihm nichts weiter, als auf das Einsetzten ihrer Wirkung zu warten.
Geändert von Redlef (05.03.2024 um 22:40 Uhr)
-
Lehrling
Im Kerker
Ardan schaute auf, als er hörte wie ein Schemel über den steinernen Boden gezogen wurde. Seine schweren Lider hoben sich als er die rote Kluft erkannte, die der Mann vor der Zelle trug. Ein Novize des heiligen Ordens! Kerkermeister Pons hatte sein Wort gehalten und tatsächlich jemanden geschickt, dem sich der junge Mann guten Gewissens anvertrauen konnte. Jemanden, der ihm dabei helfen konnte seinen Fall richtigzustellen.
„Ein Novize…was soll das denn?“, meldete sich Redlef zu Wort, der zuvor noch geschlafen hatte.
Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt und offensichtlich hatte er mit jemandem gerechnet, der sich seiner Schmerzen annehmen könnte. Wohl etwas, was einem Novizen nicht zuzutrauen war. Der Rothaarige wandte sich wieder ab und suchte eine bequemere Position auf seiner Pritsche.
Ardan nutzte die Gelegenheit um näher an das Gitter zu treten. Ehrfürchtig sank er auf die Knie, besudelte dabei seine grobe Leinenhose.
„Ich bin Ardan Hsia“, stellte er sich mit ruhiger Stimme vor und senkte sein Haupt zum Gruß.
Ein kurzer Moment verstrich bis sich der Novize als Tobias vorstellte, eine Antwort auf Redlefs Frage.
„Seid Ihr hier, um euch meiner Seele anzunehmen?“, fragte der Gefangene hoffnungsvoll und blickte zum Vertreter des Tempels auf, der bejahend nickte und einige seiner Dokumente überprüfte.
Wie sollte er jetzt anfangen? So lange schon wartete er auf diese Gelegenheit, doch die Worte wollten sich nicht formen so wie sie es sonst taten. Ein Moment des Schweigens breitete sich zwischen den Männern aus.
„Ich bin zu Unrecht eingesperrt, Herr“, durchbrach Ardan schließlich die Stille, „wie Ihr euren Dokument sicher entnommen habt, bin ich für Brandstiftung festgenommen worden. Doch ich schwöre, dass meine Tat rechtens war! Beweise gab es, dass in jenem Haus Beliarpaktierer lebten und mit Innos gerechtem Zorn habe ich sie bestraft. Derartige Auswüchse der Dunkelheit im Herzen unseres heiligen Reiches konnte ich nicht länger dulden!“
Der Kopist hielt kurz inne, überlegte, wie er seinen Worten mehr Dringlichkeit und Glaubwürdigkeit verleihen konnte.
„Längst hätte ich brennen sollen für meine Tat, doch wie Ihr seht wurde ich nur beiseite geschaffen, um den Zwist zwischen unseren weltlichen Gesetzen und Innos‘ Ordnung nicht zu beflügeln. Die Menschen Vengards waren nicht in der Lage zu sehen, dass ich mit Gottes Führung gehandelt habe! Und nun sitze ich seit nunmehr drei Jahren ein, geduldig darauf wartend, dass der Tag kommt, an dem Innos‘ Weisheit jene erhellt, die mir die Absolution gewähren können. Bitte Herr, vertraut auf unseren Gott und darauf, dass ich längst hingerichtet worden wäre, wenn meine Taten nicht unter Innos' leitender Hand geschehen wären!“
Wieder neigte Ardan das Haupt und dieses Mal auch den Rücken, sodass seine Stirn beinahe den Boden berührte. Seine Worte mussten zu dem Novizen durchgedrungen sein, sie mussten einfach!
-
Tobias musterte den vor ihm knienden Gefangenen. Je ausführlicher dessen Ausführungen und je unterwürfiger seine Haltung wurden, um so höher wanderten die Augenbrauen des Novizen. Als Ardan geendet hatte, brauchte Tobias einen Moment, in dem er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel massierte.
Oh Innos… Warum prüfst du mich so?
Der Novize räusperte sich und warf noch einmal einen Blick auf seine Unterlagen, bevor er das Wort ergriff: „Also… habe ich das richtig verstanden?“ Er legte ein wenig den Kopf zur Seite und betrachtete Ardan mit einer Mischung aus Verwunderung und kaum verhohlener Abscheu. „Ich weiß um deine Vergehen. Du hast eine Familie ermordet, von der du und ein paar verblendete Häretiker behauptet haben, sie seien Beliarkultisten gewesen, wofür es keinen einzigen Beweis gab. Und diesen Mord hast du durchgeführt, indem du ihr Haus in Brand gesteckt hast – du bestreitest dies ja nicht einmal! – , wodurch du nicht nur besagte Familie einem qualvollen Tod überantwortet hast, sondern zudem das Risiko eines Großbrandes in Kauf nahmst! Das ganze Stadtviertel hätte niederbrennen können und es hätte dutzende, vielleicht hunderte weiterer Todesopfer gefordert! Männer, Frauen, Kinder… hast du darüber einmal nachgedacht? Hast du auch nur einen Gedanken daran verschwendet? Bist du wirklich so verblendet, zu glauben, du hättest Innos‘ Werk verrichtet? Es grenzt an ein Wunder, dass nicht mehr Menschen zu Schaden gekommen sind, du verfluchter Narr! Und du willst mir erzählen, du seist unschuldig? UNSCHULDIG??“
Tobias hielt schwer atmend inne. Er war immer lauter geworden und hatte nicht einmal bemerkt, wie er irgendwann während seiner Rede aufgestanden und an das Gitter herangetreten war, hinter dem der Gefangene kauerte. Der Novize war normalerweise ein friedfertiger Mensch, aber hier und jetzt hatte er die Hand zur Faust geballt und zitterte vor ohnmächtiger Wut. Wenn die Eisenstäbe nicht zwischen ihnen gewesen wären, er hätte auf diesen selbstgerechten Bastard eingeprügelt, auf diesen widerlichen Ketzer, der den Namen Innos‘ beschmutzte, indem er vorgab, im Auftrag des Gottes des Lichts und des Lebens abscheuliche Verbrechen zu begehen!
Tobias atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen, strich sich mit der Hand durch das Haar und trat wieder einen Schritt zurück.
„Ich hatte angenommen, du wolltest deine Seele erleichtern. Ich hatte gedacht, ich könnte einem reumütigen, bußfertigen Menschen, der seine Fehler eingesehen hat, auf der Schwelle zu seinem letzten Gang die Last seiner Schuld von den Schultern nehmen und seine Seele unserem Herrn anempfehlen. Aber ich sehe, dem ist nicht so. Stattdessen sehe ich vor mir einen Verbrecher, der selbst im Angesicht seiner verdienten Strafe nicht von seinem falschen Weg lassen will, kein Einsehen, keine Reue zeigt und den Namen unseres Herrn beschmutzt! Du Ardan Hsia, bist wahrlich verloren.“ Tobias legte eine kurze Pause ein, ließ seine Worte wirken. Anschließend zog er ein bestimmtes Papier aus dem Stapel mit seinen Unterlagen hervor und hielt es in die Höhe, so dass der Gefangene es lesen konnte, so er denn des Lesens mächtig war. Das Siegel der Stadt Thorniara prangte darauf neben der kantigen, strengen Unterschrift Richter Orloks, und die schnörkelige Überschrift des kurzen Textes lautete: Anordnung zur Vollstreckung des Todesurteils durch Verbrennen.
Tobias‘ Tonfall war kalt wie Eis: „Deine Hinrichtung ist in drei Tagen angesetzt. Du wirst auf dem großen Marktplatz zur Mittagsstunde den Flammen übergeben werden, wie es einem Ketzer, Mörder und Brandstifter wie dir geziemt. Möge deine Seele in den tiefsten Tiefen von Beliars Reich verrotten.“ Ohne auf eine Erwiderung Ardans zu warten, klappte Tobias seine Ledermappe zu und wandte sich ab. „Wächter? Wir sind hier fertig.“
Tak
-
Den Blick ließ die Oberste Feuermagierin über die einzelnen Dinge streifen. In den falschen Händen zweifellos gefährlich. Doch keine Artefakte, die die Säulen der Welt zu erschüttern vermochten. Das Schlimmste, was sie anrichten konnten, waren einige Kratzer an jenen Säulen zu verursachen. Neugierig nahm Françoise eine der Spruchrollen in die Hand. Sie selbst hatte niemals Verwendung für diese Form der Magie gehabt und dementsprechend wenig Erfahrung. Als sie mit den Fingern über das Papier strich, spürte die Priesterin eine Art von arkanem Relief. Fast wie eine Blindenschrift, die in der körperlichen Welt nicht existierte.
»Dir steht die Magie nicht mehr zur Verfügung?«, fragte die Oberste Feuermagierin und legte die Spruchrolle zurück. »Bedauerlich. Ich weiß aus erster Hand, wie schwierig der Verlust der Runen für uns war. Ich nahm es zum Ansporn. Dir rate ich dasselbe. Ein Leben ohne Magie ist möglich, aber sinnlos. Es wird dir früher oder später gewiss gelingen, sie wiederzufinden.«
Françoise besah sich den Rest der Utensilien, die Arvideon gebracht hatte.
»Nichts von dem besitzt großen Wert, als dass wir den Aufwand betreiben sollten, es in das Kloster zu bringen. Wenn du es wünschst, werde ich die Sachen vernichten. Dann sollten sie unschädlich sein und du von deiner Pflicht entbunden.«
-
Lehrling
Im Kerker
Wie ein brennender Schürhaken hatten sich die Worte des Novizen in Ardans Seele gebrannt. All seine Hoffnung auf Absolution ging in einer einzigen sengend heißen Stichflamme auf. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen und beinahe hätte sein gesenktes Haupt den schmutzigen Boden berührt. Doch aus der Asche seiner Hoffnung stieg etwas Neues empor, etwas Stärkeres. Einem Flüstern gleich füllte es den leeren Raum seiner Seele.
Was weiß dieser Novize schon von Innos? Würde er zu den Niedersten der Niederen geschickt werden, wenn er der Gemeinschaft wahren Nutzen brächte?
Lass dir nicht von Menschen Gottes Wille erklären. Allein Innos Weisheit ist es, der du vertrauen musst.
Innos erleuchtet den Pfad seiner auserwählten Diener. Jene, die blind gegenüber seiner Führung sind, tappen in Beliars ewiger Dunkelheit umher.
Weiß stachen Ardans Knöchel heraus, als seine Hände die eisernen Gitterstäbe so fest umklammerten, dass er glaubte seine Finger gruben sich ins kalte, harte Metall. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie er aufgestanden war, sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten, ein Feuer in ihnen, dass seinem Blick sengende Intensität verlieh.
„Was wisst Ihr schon von Innos‘ Willen, Novize“, rief er dem Vertreter des Tempels hinterher. Das letzte Wort klang der Betonung nach eher wie eine Beleidigung denn eines ehrenwerten Ranges unter den Dienern der Gemeinschaft.
Von Redlef, der die respektlose Art des jungen Mannes, der ihnen geschickt worden war zu verachten schien, kam ein abfälliges Schnalzen der Zunge, was den Kopisten in seiner Rage bekräftigte.
„Ich habe es satt den Launen der Menschen ausgeliefert zu sein, bin es leid auf Einsicht und Vernunft zu warten!“
Hsia hob das Kinn etwas an, erzeugte den Eindruck nicht er wäre es, der eingesperrt war, sondern Tobias, der Novize.
„Ich verlange ein Gottesurteil! Lasst Innos richten über mich und meine Tat. Lasst das heilige Licht meine Seele sengen oder segnen!“
Die Worte hallten unheilvoll in den steinernen Katakomben der Bastion wider. Für Ardan war es der Klang der Herolde des Herren, die sich seiner Stimme bemächtigten. Doch all Jenen, die Zeuge dieser Vorstellung blinden Glaubens wurden, lief ein Schauer über den Rücken.
-
Tobias erstarrte. Er hatte Ardans Gezeter keine Aufmerksamkeit geschenkt. Es war das arrogante Gefasel eines verblendeten Narren, damit hatte er gerechnet und es war es nicht wert, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Bis…
Gottesurteil.
Die Blicke des Novizen und des Kerkermeisters trafen sich einen Moment lang. Der Soldat war neben Tobias der einzige echte Zeuge, dass der Gefangene nach einem Gottesurteil verlangt hatte (die anderen Gefangenen zählten nicht, ihre Worte hatten kein Gewicht), und die beiden Männer, so unterschiedlich sie waren und obwohl sie sich praktisch nicht kannten, waren sich einig, ohne dass es der Worte bedurft hätte.
Tobias könnte einfach weitergehen. Er könnte einfach weitergehen und so tun, als ob er nichts gehört hätte. Am Tag der Hinrichtung wäre es zu spät, nach einem Gottesurteil zu verlangen. Ardan Hsia, dieser selbstgerechte Mörder und Brandstifter, würde für seine Taten die verdiente Strafe erhalten und die Welt wäre wieder ein Stückchen besser.
Der Soldat nickte Tobias zu, schielte dabei in Richtung der Treppe, wie um ihm den Weg zu weisen. Tobias schluckte schwer.
Ein Gottesurteil… Es war lange her, dass diese Tradition zuletzt in Thorniara zur Anwendung gekommen war. Die meisten Delinquenten waren sich völlig darüber im Klaren, dass sie Unrecht getan hatten und dass sie die Wahrheit vor Innos nicht verstecken konnten, also verzichteten sie lieber darauf, vor ihrem Tod noch die Qualen eines Gottesurteils erdulden zu müssen, das ohnehin nur ihre Schuld beweisen würde.
Aber nicht Ardan.
Natürlich nicht Ardan…
Himmel, dieser verblendete Narr glaubt wirklich, er hätte im Auftrag des Höchsten gehandelt!
Tobias setzte einen Fuß auf die unterste Treppenstufe… und zögerte. So selten es auch vollzogen werden mochte, das Gottesurteil war eine geheiligte Tradition, ein unverrückbarer Bestandteil des königlichen und göttlichen Rechts. Durfte ein einfacher Novize es sich anmaßen, sich über das Recht zu stellen? Über die Gesetze des Reiches, über die Gesetze Innos‘?
Er seufzte und drehte sich noch einmal um, musterte den Verbrecher, der mit hochgerecktem Kinn am Gitter stand und so tat, als habe er, der Mörder, über den treuen Diener des Ordens, den Anwärter auf die Robe der Magier, ein Urteil zu fällen. Und wahrscheinlich maßte dieser unerträgliche Kerl sich auch genau das an…
Da umspielte plötzlich ein kurzes Lächeln die Lippen des Novizen. Was würde es für einen Anblick geben, wenn Ardan sich der Prüfung stellte und Innos, woran kein Zweifel bestand, ihn für Schuldig befinden würde? Es würde nicht nur die körperliche Pein sein, die Ardan würde erdulden müssen. Oh nein, es würde das Bewusstwerden, die Erkenntnis darüber sein, dass er nichts weiter war als ein ganz gewöhnlicher Verbrecher, die ihn vernichten würde. Ardan würde zerbrechen wie ein Ast im Wind, seiner Selbstgerechtigkeit beraubt, und er würde nichts sein als ein wimmernder Haufen Elend, wenn man ihn letztendlich doch auf den Scheiterhaufen zerrte, den er so redlich verdient hatte. Und er würde in den Tod gehen, wissend, dass ihn auch auf der anderen Seite nichts anderes erwartete als ewige Qualen in der Finsternis von Beliars Reich…
Tobias nickte bedächtig. „Ein Gottesurteil also? Wisse, dass dies zu verlangen ein heiliger Akt ist und du nicht von dieser Forderung zurücktreten kannst, ohne deine Seele auf Ewig zu verdammen. Du wirst die Konsequenzen tragen. Ich frage dich also, und ich frage dich nur dieses eine Mal: Verlangst du ein Gottesurteil?“
Wenig überraschend bejahte Ardan im Brustton der Überzeugung. Tobias neigte den Kopf und legte die Hand aufs Herz. „Gut, ich habe deine Worte vernommen. Ich, Tobias, Novize des heiligen Ordens Innos in Thorniara, bezeuge, dass du, Ardan Hsia, verlangst, von Innos selbst gerichtet zu werden und ich schwöre, dass ich dem hohen Gericht dies mitteilen werde, auf dass die nötigen Vorkehrungen getroffen werden können. Halt dich bereit. Dein Seelenheil und dein Leben liegen nun in Innos‘ Händen, Gefangener.“
Damit drehte er sich endgültig um und verschwand im Treppenhaus.
Tak
-
Es kam selten genug vor, dass Felia sich das eingestehen musste, aber sie teilte uneingeschränkt Curts Empfindung. Sie verspürte in der Gegenwart ihres bärtigen Novizenbruders eine merkwürdige Ruhe, die sie sonst nur bei der harten und konzentrierten Arbeit in der Schneiderstube der alten Agnes’ empfand, wenn sie ganz allein und ungestört war. In Anwesenheit einer anderen Person hatte die Bardin schlicht nie entspannen können. Sie war stets an eine Rolle gebunden. Die Schwester. Die Entertainerin. Die Freundin. Die Bezugsperson. Die Schülerin. Die Novizin. Die Innosdienerin. Bei Curt aber war sie all diese Rollen auf einmal und zugleich keine einzige davon. In seiner Nähe war sie einfach nur Felia. Und das reichte.
Sie lächelte.
»Selbstverständlich bist du glücklich.«, verkündete sie. »Ich bin ja auch fantastisch!« Schelmisch grinsend zwinkerte sie ihm zu und legte ihren Kopf auf seine Brust. Curt wusste erst nicht so recht, wie er damit umgehen sollte, entschied sich dann aber dafür, seine Hand auf ihren Kopf zu legen, war aber weitsichtig genug, um nicht durch ihr aufwändig frisiertes Haar zu streichen.
»Aber weißt du, Curt.« Sie hob kurz den Kopf an, gab ihm einen Kuss auf die Wange und schmiegte sich dann in der kühlen Luft der Hafenstadt wieder an ihn. »Du bist durchaus auch ganz in Ordnung.«
Auf diese Weise verharrten sie für eine Weile. Das nachgelegte Holz versorgte das Feuer mit notwendigem Futter, sodass die Flammen im Gegenzug der frischen Brise zum Trotz die Körper der beiden Liebenden wärmte.
Niemand von ihnen sprach ein Wort während dieser Zeit. Sie genossen die Zweisamkeit, die Ruhe vor dem Trubel und dem Lärm des Lebens, der in der Hafenstadt so weit unter ihnen so fürchterlich weit weg zu sein schien. Ein jeder von ihnen ging für eine Zeit lang seinen eigenen Gedanken nach.
»Hast du schon Pläne?« Sie blickte nicht zu ihm auf, aber verstärkte die Umarmung. Sie wusste, dass Curt ein Mann war, dem sie intellektuell nicht das Wasser reichen konnte. Und sie wusste, dass er nach Wissen strebte, dass weder sie, aber auch Thorniara ihm nicht geben konnte. Er war der vermutlich begabteste Novize - und das nicht nur mit der Zunge - den sie seit Jahren im Orden erlebt hatte. Einen Mann seiner Talente an diesen Ort zu binden wäre schlicht nicht richtig.
»Für die Zukunft meinte ich. Im Orden. Und was die Lehren der Magie betrifft.«
-
Der breitgebaute Soldat war zufrieden. Zwar konnte der Diebstahl nicht vollständig aufgeklärt werden, doch die Stadtwache vermochte dem Eigentümer wenigstens seine Kisten zurückgeben zu können. Das genügte den Hauptmann der Stadtwache auch und so erklärte er die Angelegenheit für beendet. Hierodius Lex musste also keine Befragungen mehr durchführen und auch keine Häuser mehr durchsuchen. Noch länger hätte die Stadtwache eine solche Verschwendung von Zeit und Personal auch nicht verkraften können. Denn jeder Mann, der solche Untersuchungen anstellen musste, fehlte bei den dringend benötigten Patrouillengängen.
Die Lage innerhalb der Stadtmauern war weitestgehend friedlich und es half ungemein, dass auch einige Soldaten des Ordens die Reihen der Wache verstärkten. Doch es zeichnete sich bereits ab, dass sich das Hafenviertel allmählich wieder zu einem Sündenpfuhl zurückentwickelte. Das Hafenviertel war noch nie von frommen Bürgern bewohnt und alleine die Lagerhäuser der ansässigen Händler waren für zwielichtige Gestalten eine zu große Verlockung.
So hatte Hierodius Lex das Glück, nach Abschluss der Untersuchungen direkt im Hafenviertel patrouillieren zu dürfen. Viele seiner Kameraden bevorzugten das Reichenviertel, weil es dort weit weniger gefährlich war. Doch der breitgebaute Soldat wollte Recht und Gesetz mit kräftigen Faustschlägen durchsetzen, das verbrecherische Gesindel durch die Gassen jagen und Sumpfkrautverstecke ausheben. Dafür war das Hafenviertel der richtige Ort gewesen.
-
Das Händler- und Handwerkerviertel, Kontor des Grafen
Der Warenbestand im Kontor des Grafen nahm stetig ab aber Pregorius Amiel hatte die klare Anweisung erhalten, keine weiteren Waren einzukaufen, ehe nicht das Schiff aus dem Herzogtum Rivellon zurückkam. Das war Teil einer Strategie des Grafen gewesen, die für Pregorius aber noch immer im Dunkeln lag. Auch wenn er in seinem Namen das Kontor führen durfte und weitestgehend freie Hand über die Geschäfte hatte, so wurde er doch nicht in alle Pläne eingeweiht.
Doch der geringe Warenbestand bereitete Pregorius Amiel zunehmend Sorgen. Gewiss war es das Handelskontor des Grafen aber es war auch Pregorius' Ruf, der darunter leiden würde, wenn er Bestellungen nicht mehr bedienen konnte. "Hoffen wir, dass das Schiff bald ankommt..." murmelte der Händler, als er die Ausführung einer Warenlieferung in einem Buch festhielt.
Ein kalter Luftzug bahnte sich seinen Weg in das Handelskantor, als Jonathan die Tür öffnete. "Die Ware ist fertig zum Abtransport!" sagte er und schaute erwartungsvoll zu Pregorius. "Worauf wartest du? Mach dich auf zum Tempelviertel und liefere die Ware ab. Stelle sicher, dass sie von einem Feuermagier entgegengenommen wird. Und nun hinfort mit dir!" erwiderte der Händler.
"Ein hoffnungsloser Fall..." stellte Pregorius ernüchternd fest. Er musste sich schon eine Zeit lang mit dem Dienstboten herumschlagen und glaubte mittlerweile nicht mehr daran, dass Jonathan jemals wieder im Anwesen des Grafen arbeiten durfte. Nur sehr selten ließ ihn Adalbert nur für einen Botengang anfordern.
Maximus
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
|