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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Eskalation

    Der Held hockte immer noch schwer atmend auf den Planken. Es war schon lange her, dass er sich so erschöpft gefühlt hatte, aber die letzte Aufregung war es definitiv wert gewesen. So sehr hatte sein Herz schon lange nicht mehr gehämmert.
    „Das war beeindruckend“, rief Ragnar während er neben ihm arbeitete.
    Der Held antwortete nicht, stattdessen zog er einen weiteren Heiltrank aus seiner Hosentasche und kippte ihn hinunter. Jetzt war er wieder vollständig genesen. Trotzdem holte er einen Heiltrank nach dem anderen hervor und legte ihn auf die Planken.
    „Nimmt sich besser jeder welche, für den Notfall.“
    „Wirklich?“ fragte Ragnar erstaunt.
    Der Held nickte und der große Kerl griff sich einen großen Heiltrank.
    „Ich will auch“, rief der kleine Nils und langte zu.
    „Ragnar pass auf, dass keiner zu kurz kommt und die Tränke gerecht verteilt werden!“, befahl der Held und Ragnar nickte.
    Ragnar nahm seine Aufgabe sehr ernst und drohte Francis mit Prügel, sollte er die sieben Heiltränke, die er sich gekrallt hatte nicht an seine Kameraden weiterverteilen. Die Unruhe um die Heiltränke trug leider dazu bei, dass nicht jeder sofort dort war, wo er gebraucht wurde. Das hatte der Held nicht bedacht und er ärgerte sich über seine Kurzsichtigkeit. Immerhin Alligator Jack, Parviz und Henry waren unverrückbar an ihren Posten, so dass ihr Schiff nun leichte Fahrt aufnahm und sich der Flussmündung näherte. Henry rannte vorne zum Klüverbaum und hielt ein Lot ins Wasser.
    „Hand Breit Wasser unterm Kiel“, rief er.
    „Mutt recken“, knurrte Greg und steuerte sein Schiff in den Fluss.
    Der Held blickte zurück und sah wie die „Herrschaft“ bereits gesunken war. Das Schiff war zu groß, um vollständig zu versinken, das Oberdeck lugte noch heraus, doch hatte sich das Schiff seltsam quer gelegt. Die „heilige Wächterin“ und die „Bestrafung“ hatten ihre Anker nun gehoben und setzten einen Verfolgungskurs. Da das Piratenschiff nun langsamer werden musste, um nicht aufzulaufen, würden sie rasch aufschließen.
    „An de Achterkanonen! Maakt dat jem so swar as mööglich uns to verfolgen!“, kommandierte Greg und Alligator Jack und sein Trupp übernahmen diese Aufgabe erregt.
    Schon donnerten die Kanonen los, doch waren die Schüsse noch zu nachlässig gezielt, so dass sie links und rechts vor der „Bestrafung“ ins Wasser klatschten.
    „Behaltet einen klaren Kopf!“ wies Alligator Jack Morgan und Bones zurecht, welche die Kanonen führten.
    Der nächste Schuss von Bones traf immerhin die Reling, doch Morgan hatte wieder verfehlt.
    „Zu hoch!“ schimpfte Alligator Jack. „Lass mich mal ran!“
    Auch die „Bestrafung“ feuerte nun und traf mitten in den Heckspiegel des Piratenschiffs, so dass Gregs Kajüte eine radikale Umgestaltung erfuhr. Einige Piraten schrien erschrocken auf.
    „Ausbesserungstrupp an de Arbeit!“ befahl Greg und sofort liefen Christian, Tobias, Rolf, Heiko, Rüdiger, Nikolaos, Mirko und Kasimir unter Deck, um das Schiff notdürftig zusammenzuflicken.
    Nun waren sie in großer Gefahr, denn sollte die „Bestrafung“ erneut auf die gleiche Stelle schießen standen sie wie auf dem Präsentierteller.
    „Wird das noch was?“ knurrte Alligator Jack Morgan an, der seiner Meinung nach die Kanonen wohl nicht schnell genug nachlud.
    Endlich konnte er schießen und traf die „Bestrafung“ mitten in den ihnen zugewandten Bug. Der Schuss war gut gesetzt, denn durch das Loch floss umgehend Wasser.
    „Versuch es auch so!“, forderte Alligator Jack von Bones.
    Der traf ebenfalls tief, aber seitlicher, so dass die Kugel die „Bestrafung“ ein Stück der Länge nach aufriss.
    „Das war ja sogar noch besser“, freute sich Morgan und Bones sonnte sich für einen Moment in seinem Erfolg.
    Die Bestrafung begann zu sinken und versperrte der „Heilige Wächterin“ so den Zugang zum Fluss.
    „Goot gemacht“, lobte Greg, als er kurz über seine Schulter sah, dann forderte er von Henry ihn beim Navigieren zu helfen.
    Der Held war neben ihn an den Klüverbaum getreten und sah ins klare Wasser, dass in der Morgensonne sanft glitzerte. Er konnte den Grund sogar mit bloßem Auge sehen. Es ruckte, als das Piratenschiff aufsetzte.
    „Konzentratschoon dar vörn, oder wüllt ihr, dat wi stranden?“ brüllte der Kapitän zu ihnen nach vorne.
    „Sind wir doch schon, oder?“ fragte der Held.
    „Ach“, kam es nur abwehrend von Henry und tatsächlich schleifte sich „Fions Stolz“ seinen Weg vorwärts und kam wieder frei. Der Fluss führte zunächst schnurgeradeaus, aus Königsbrück heraus, so dass Greg zumindest die kleinen Segel hissen ließ, damit sie bessere Fahrt machten. Mittlerweile wusste der Held genug von der Seefahrt, um zu wissen, dass Greg damit volles Risiko einging. Umso schneller sie waren, umso schwieriger wurde es in diesem engen Bereich zu navigieren. Doch wieder beeindruckte der Piratenkapitän den Helden mit seinen erstaunlichen Fähigkeiten. Greg kannte sein Schiff offenbar auf den Zentimeter genau, denn ohne wirklich zu sehen was vor ihnen lag, konnte er mit den Angaben seiner Crew das Schiff so exakt steuern, dass sie trotz dem vergleichsweise engen seichten Fluss gute Fahrt machten.
    „Wir haben sie abgeschüttelt“, berichtete Enrico aufgeregt aus dem Krähennest.
    Ein kollektives Aufatmen der Crew war zu vernehmen. Greg schärfte ihnen ein wachsam zu bleiben. Die Situation könne jederzeit wieder umschlagen. Er befahl Alligator Jack ihm die Karte der Umgebung zu bringen. Der Held blieb vorne bei Henry und so sah er die Karte nicht, doch er hörte wie sich der Kapitän, Parviz und Alligator Jack über ihren Kurs unterhielten. Offenbar führte ein Flusslauf hoch in den Norden bis zur Quelle, doch wenn sie weiterfuhren trafen sie auf eine Verzweigung. Sie war wohl recht schmal und daher war es unsicher, ob sie weiterhin durchkamen, aber sie führte zum Meer und alles andere brachte sie nicht weiter. Der nördliche Wind wurde stärker und drückte sie nun weiter gegen das Ufer, so dass die Crew die Segel neu ausrichten musste. Sie refften die Segel ein Stück und veränderten ihren Winkel. Nun kamen sie nicht mehr so rasch voran. Sie fuhren zwischen weiten kahlen Feldern dahin. Dünner Schnee bedeckte den Boden und einige Krähen umschwirrten das große Schiff. Auch einige Bauern sahen sich verwundert nach „Fions Stolz“ um. Der Held konnte mehrere Bauern auf das Schiff deuten und miteinander reden sehen. Daraus schloss er, dass nicht oft Schiffe dieser Größe den Fluss nutzten. Gegen Mittag erreichten sie die Flussabzweigung und fuhren nun Südwärts. Links und rechts tauchten nun immer mal wieder kleine aber hübsche Dörfer auf. Wieder mussten die Segel angepasst werden. Der nördliche Wind trieb sie nun gut voran, doch weil der Fluss noch enger und seichter wurde, war dies nicht unbedingt vorteilhaft. Sie refften die Segel daher noch weiter, damit überhaupt Zeit blieb den Kurs zu korrigieren, wenn eine plötzliche Untiefe auftauchte. Erschwerend kam hinzu, dass der Fluss hier viele weit ausholende Bögen beschrieb, die sie viel Zeit kostete.
    „Mann, wenn das so weitergeht dauert das ewig bis wir auf dem Meer sind“, meckerte Parviz und zog an einem Stängel Tabak.
    „Ja“, stimmte ihm Kettenklaus zu. „Guck mal dahinten da ist die nächste Biegung, bis das Schiff dort ist sind wir bestimmt schon drei mal hin und her gelaufen.“
    „He, warum machen wir das nicht? Guckt mal da sind Häuser. Sehen richtig protzig aus, da gibt es doch sicher was zu holen“, sagte der kleine Nils und guckte begierig.
    „Hört sich gut an“, kommentierte Parviz und wandte sich dann zu Greg. „He, Käpt’n, was hältst du von der Idee? Lass uns plündern gehen.“
    Der Kapitän sah nicht begeistert aus.
    „Sei nich dwerig“, sagte Greg. „Wi hebbt al noog dar mit to doon hier överhoopt wedder ruttokamen.“
    Seine Antwort gefiel einem großen Teil der Mannschaft offenbar nicht.
    „Sind wir nun Piraten, oder nicht?“ fragte Parviz großspurig und streckte beide Arme aus. „Für Tage wie diese leben wir.“
    „AYE!“ kam es aufgekratzt aus vielen Kehlen zurück.
    „Jetzt sind wir endlich hier im reichen Adloka und sollen nicht plündern?“ fragte Parviz herausfordernd. „Hier gibt es bestimmt reiche Beute und uns alle brauchst du jetzt eh nicht auf dem Schiff. Wir laufen los, krallen uns was wir in die Finger kriegen und treffen uns dahinten bei der nächsten Biegung wieder.“
    „Ach un wi wollt ihr den Krempel, den ihr euch holt op dat Schipp bringen? Dat warrt schon swaar noog bi’n Fohren af un weeder opspringen“, sagte Greg höhnisch.
    „Er hat doch diese magische Hosentasche“, sagte Parviz schneiden und zeigte auf den Helden.
    Im Versuch die Situation einzuordnen blickte der Held von Greg, der finster drein schaute zu Parviz und einem Großteil der Mannschaft, der es offenbar, von ihren dreisten Erfolgen berauscht, gar nicht abwarten konnte wieder losschlagen zu können.
    „Wäre doch ein Jammer sich diese Chance durch die Lappen gehen zu lassen“, kam es nun von Skip, der offenbar auch darauf gierte selbst losziehen zu können.
    Vielleicht hatten die verwegenen Taten des Helden sie inspiriert, jedenfalls waren sie kaum zu bremsen. Der Held hatte so eine Ahnung, dass es spätestens jetzt zu einer Revolte kommen könnte, wenn die Piraten nicht von der Kette gelassen wurden und daher sagte er: „Von mir aus.“
    „Na schön. Mok dat! Aver wer da vörn nich wedder op dat Schipp kummt hett Pech hatt, verstanden?“ rief Greg angefressen.
    „AYE!“ rief ein Großteil der Mannschaft begeistert.
    Enrico im Krähennest hatte sogar nun die Piratenflagge gehisst und kam nun eilig heruntergeklettert, um den Spaß nicht zu verpassen. Die Freigänger warteten die nächste Biegung ab, bei der sie Häuser sehen konnten und kletterten dann von Strickleitern vom Schiff und sprangen ins herrlich aufspritzende kalte Flusswasser. Henry, Alligator Jack, Garrett, Owen, Bill, Brandon, Merik, Samuel, Alejandro und ein großer Teil des Ausbesserungstrupps blieben an Bord, die anderen hetzten schon über den frostigen Boden auf die hübschen Häuser zu, die sie in der Nähe erspäht hatten. Verwundert sahen ihnen einige Bürger entgegen. Sie hatten solch einen Angriff wohl noch nicht erlebt, denn sie wussten offensichtlich nicht was ihnen bevorstand. Anstatt zu kämpfen, oder zu flüchten, standen sie zunächst einfach nur stocksteif da und taten gar nichts. Ragnar, Kettenklaus und der kleine Nils waren zuerst bei ihnen und brachten sie kurzerhand um. Da löste sich endlich die Starre der anderen Bürger und sie rannten schreiend davon. Ragnar stürmte bereits voran in eines der Häuser und zerlegte dabei grobschlächtig die Tür. Der Held ging noch etwas ziellos durch die Straßen und beobachtete die Situation. Auch hier sahen die Häuser einheitlich aus. Es gab sogar gepflasterte Wege und das Gras, die Bäume und Sträucher wirkten unnatürlich gepflegt. Es war ein seltsamer Kontrast. Die schöne Umgebung und die wilden Piraten, die umherstürmten. Einige seiner Kameraden wirkten nun geradezu entfesselt. Irre lachend stürmte Kettenklaus in eins der Häuser herein und richtete den Geräuschen nach zu urteilen ein furchtbares durcheinander an, dann hörte der Held eine Frau kreischen, sie rannte entsetzt nach draußen wo sie gegen den kleinen Nils lief, der ihr kurzerhand einen üblen Schwinger verpasste von dem sie nicht mehr aufstand. Andere Piraten hatten sich den Plünderungen jubelnd angeschlossen. Immer mehr Zeug wurde aus den feinen Häusern auf die Straße geworfen und immer wieder kamen Piraten zum Helden und forderten von ihm, dass er ihre Beute einstecken möge. Der Held tat was sie verlangten, doch er plünderte nicht mit. Es erschien ihm reizlos. Die Bürger waren keine interessanten Gegner. Seine Sicht der Dinge änderte sich, als er eine atemlose aber zornige Stimme rufen hörte: „Endlich. Da sind sie! Bringt sie um! Schützt die Bürger!“
    Sofort wandte der Held den Kopf und sah in das wutverzerrte Gesicht eines Paladins. Er glaubte ihn schon einmal gesehen haben, am Morgen in Köngisbrück. Hinter ihm stand eine kleine Armee von Soldaten, Rittern und anderen Paladinen. Sie schienen erschöpft, aber entschlossen zu sein. Der Held freute sich. Endlich spannende Gegner. Die anderen Piraten sahen das aber wohl hauptsächlich anders.
    „Zurück zum Schiff!“ brüllte Enrico und ein Teil der Crew rannte sofort mit ihm mit.
    Der Held blieb wo er war und beschwor sein altbewährtes Dämonengespann für den Fall, dass er die kleine adlokanische Streitmacht allein hinhalten müsste. Wie sich herausstellte war er aber nicht allein. Ragnar hatte den Lärm gehört und trat aus einer der Hütten hervor. Er hatte es jetzt schon geschafft seine Klamotten mit Blut zu bespritzen. Nun nahm er die Barbarenstreitaxt, die der Held ihm gegeben hatte, von der Halterung an seinem Rücken und brüllte angriffslustig. Auch einige der anderen Piraten hielten zum Helden. Die beiden gegnerischen Seiten prallten aufeinander und eine undurchsichtige äußerst blutige Schlacht begann. Am meisten Eindruck auf die Streiter Adlokas machte der Flammenschwert schwingende Dämon, der ohne Furcht und voller Aggression durch die Menge pflügte. Es war ihm egal, wenn er schmerzhafte Hiebe einstecken musste, so lange er schreckliche Attacken austeilte. Seine Angriffsmethode rächte sich schnell, als immer mehr Paladine auf ihn einhieben und ihn schließlich zu Fall brachten. Der Held war trotzdem zufrieden mit ihm, denn er hatte für gute Ablenkung gesorgt. Auch Parviz Dämon Xcrdkrxzt hatte sich nun ins Gemenge gestürzt und kämpfte ohne Rücksicht auf Verluste, um all seine Aggressionen an lebenden Wesen auslassen zu können. Der Held hörte wie Cosmin neben ihm aufschrie und zu Boden ging. Er drehte sich herum und duckte sich unter einem Pfeil weg, der nun stattdessen Etienne traf, der sich mutig in den Kampf hatte werfen wollen. Seinerseits stach der Held einem Ritter sein Rapier mitten ins Gesicht und stieß ihn dann mit einem beherzten Tritt zurück. Ein kämpferisches Brüllen ließ ihn sich umwenden und keine Sekunde zu früh blockte er den furiosen Schlag eines Paladins. Er hatte seinen Zweihänder mit so viel Kraft geschwungen, dass das Rapier des Helden unter seinem kraftvollen Ansturm zerbrach. Der Held sprang instinktiv zurück, so dass das Schwert seine Rüstung aufschlitzte und seine Brust aufriss, ihm aber immerhin keine tödliche Verletzung beibrachte. Der Held gab ein halb ersticktes Grollen von sich und warf dann einen Eislanzenzauber auf den Paladin. Das verschaffte ihm Zeit Uriziel aus der Hosentasche zu ziehen. Er holte weit aus und brannte dem Paladin dann das mächtige Schwert auf die Rüstung, die sofort Feuer fing. Erschrocken und gepeinigt schrie der Paladin auf und sah erschüttert an seinem brennenden Körper hinunter. Obwohl sie selbst gerade mitten in haarsträubenden Kämpfen steckten hielten die Umstehenden kurz inne, und wandten die Köpfe zum im Flammen stehenden Paladin, der nun brennend auf dem Boden zusammenbrach. Um sicherzugehen, dass er auch wirklich tot war, stieß der Held ihm Uriziel in den Bauch und drehte es grob herum, so wie es in Myrtana Brauch war. Er zog das legendäre Schwert aus dem zerstörten Körper und blockte nun den Angriff eines Ritters, der ebenfalls mit einem Zweihänder kämpfte. Der Held riss Uriziel hoch und hieb erneut aus. Diesmal blockte der Ritter. Es wäre wohl ein längerer Kampf geworden, doch plötzlich durchstieß die Spitze eines Zweihänders den Kopf des Ritters. Verwundert sah der Held zum Träger des Schwertes und erblickte den kleinen Nils, der blutdurstig grinste. Er hatte das Schwert wohl einem gefallenen Ritter abgenommen und freute sich es nun selbst ausprobieren zu dürfen. Der Held nickte ihm kurz zu und wandte sich dann ab, um Udo aus seinem Entertrupp zu Hilfe zu kommen. Er duellierte sich mit einem Soldaten und von links drängte ein Ritter heran, der gerade Robin geköpft hatte. Der Held holte aus und erstach den Soldaten von hinten, doch in eben diesem Moment hatte ein anderer Soldat, der wie aus dem Nichts aus dem Gewühl von Kämpfenden aufgetaucht war, Udo sein Schwert in den Leib gerammt. Dem Helden reichte ein einziger kurzer erfahrener Blick um festzustellen, dass Udo nicht mehr zu helfen war und wollte sich schon dem Soldaten zuwenden, doch Kettenklaus hatte ihm eins mit einem Morgenstern auf den Helm gegeben und der Soldat ging zu Boden. Der Held stieg über die Leichen von Allarich und Tim und drängte zu Ragnar, der gerade mit bloßen Händen einen Ritter von sich warf und jetzt wieder seine Axt zog um mit ihr einem Soldaten den Schädel zu spalten.
    „Wenn wir das Schiff nicht verpassen wollen, sollten wir los!“ sagte der Held trocken.
    Ragnar keuchte und nickte dann zustimmend.
    „Zurück zum Schiff!“ brüllte nun Parviz laut und rannte los.
    Ihm folgten erst Enrico und Francis, dann schlossen sich ihnen immer mehr Piraten an.
    „Halt mir die für einen Moment fern, ich beschwöre noch einen Dämon, der uns den Rückzug sichern soll“, sagte der Held zu Ragnar.
    Der nickte knapp, brüllte aggressiv und laut auf, fast wie ein Troll und schwang seine Axt um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Kettenklaus und der kleine Nils sprangen ihm bei, um ihn zu unterstützen. Sie waren jetzt die letzten noch verbliebenen Piraten. Obwohl ein paar adlokanische Recken gefallen waren, so hatten doch die Piraten die größeren Verluste eingefahren. Entschlossen drängten die Paladine auf sie ein. Boris, der Dämon erschien gerade rechtzeitig, um ihrem Vorstoß einen Dämpfer zu verpassen.
    „Los jetzt! Marsch!“ brüllte der Held und die vier letzten Piraten rannten los so schnell sie konnten.
    „Fions Stolz“ hatte sich bereits bedrohlich weit entfernt.
    „Ich schaff es nicht“, keuchte Ragnar.
    Der Held sah zu ihm. Er blutete aus vielen kleineren und einer großen Wunde an der Brust.
    „Doch du schaffst das! Das hat zu gehen!“ rief der Held ihm zu und trieb ihn so weiter an.
    Kettenklaus und der kleine Nils sprangen bereits ins eiskalte Wasser und schwammen mit kraftvollen Zügen auf die Strickleitern zu. Die Piraten, die sich bereits an Bord gerettet hatten, brüllten ihnen aufmunternd zu.
    „Noch ein kleines Stück!“
    „Schneller!“
    „Gleich habt ihr es geschafft.“
    Der Held war jetzt auch im Wasser und schwamm so schnell er konnte. Das Schiff hatte nun die Flussbiegung erreicht und drehte sich, so dass es besser war die linke Seite des Schiffes anzusteuern, die ihm nun zugewandt war. Hinter sich konnte er Ragnar laut keuchen hören. Endlich bekam der Held eine der dargebotenen Strickleitern zu fassen und zog sich hoch. Er sah sich nach Ragnar um, doch er lag schon weit zurück.
    „Los! Beeil dich!“ rief der Held ihm zu.
    Ragnar sagte nichts, doch ein verzweifelter Ausdruck stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Held wusste was er dachte. Er würde es nicht schaffen. Das Schiff hatte sich fast gedreht, so dass er nicht länger abkürzen konnte und es war schneller als Ragnar schwimmen konnte.
    „Los! Du schaffst es!“, rief der Held trotzdem und streckte Ragnar seine rechte Hand hin.
    Das Vertrauen, dass sein Entertruppführer in ihn setzte motivierte den riesigen Kerl wohl, denn trotz seiner Abgeschlagenheit intensivierte Ragnar seine Anstrengungen noch einmal. Offenbar mobilisierte er alle Reserven und tatsächlich schaffte er es die Hand des Helden zu ergreifen. Mit einem Kampfschrei zog der Held und schaffte es den schweren Ragnar ein Stück hochzuwuchten, so dass der seinerseits die Strickleiter zu fassen bekam. Zu zweit und geschafft vom anstrengenden Tag war es noch schwieriger als ohnehin schon die Strickleiter hinaufzuklettern. Schnaufend erreichten sie endlich das Deck. Der Held atmete schwer, blieb jedoch stehen, während Ragnar sich offenbar mit letzter Kraft auf Deck zog und einfach ausgestreckt liegen blieb. Neugierig wandte der Held den Kopf und sah zwischen den kahlen Bäumen hindurch wie das verwüstete Dorf in die Ferne rückte.
    „Na da hebbt ihr ja wat schafft“, höhnte Greg. „Die ännern kummt sicher nich mehr, wat?“
    Seine Crew antwortete nicht. Betretenes Schweigen hatte sich über „Fions Stolz“ gelegt.
    „Un wat hebbt ihr vun eurem glorriek Roovtog mitbröcht?“ fragte Greg zynisch.
    Der Held zog aus seiner Hosentasche hervor was ihm die Piraten gebracht hatten und ließ die Sachen auf die Planken fallen. Ein paar kleine Säcke mit Gold, silberne und goldene Teller, Schüsseln und Besteck, Kerzenständer und Geschmeide fiel auf einen kleinen Haufen.
    „Dat ist also twölv Piratenleven weerd, soso“, sagte Greg schonungslos in die bedrückte Stille hinein.
    Die verbliebene Crew sah sich deprimiert und auch etwas ängstlich an. Erst jetzt realisierten einige so richtig was passiert war. Cosmin, Etienne, Gwenael, Bernhard, Fabio, Robin, Fabrice, Udo, Francisco, Allarich, Alois und Tim waren tot.
    Geändert von Eispfötchen (01.04.2023 um 10:39 Uhr)

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    Gehasst und gefürchtet

    Als die Sonne sich zum Horizont senkte, näherten sie sich endlich der Küste. Die adlokanische Streitmacht war ihnen gefolgt und erwartete sie an der Flussmündung. Die Männer waren sicher durch die Strapazen des Gewaltmarsches erschöpft doch ihre Anführer hatten sie offenbar unermüdlich angetrieben. Nun hatten sie sich bei zwei Wachtürmen gesammelt, die links und rechts neben der Flussmündung aufragten. Sie waren sicher zwanzig Meter hoch und ihre Kanonen wurden nun auf das feindliche Schiff ausgerichtet. Auch die Kanonen des Piratenschiffes waren geladen und Greg kommandierte: „Feuer!“
    Nie zuvor erwiesen sich die technisch überlegenden Kanonen der „Fions Stolz“ als solch ein Glücksfall wie heute. Während die Kugeln der Wachtürme nur ins Wasser oder in den Uferschlamm einschlugen hatten Merkassas Kanonen die nötige Reichweite, um schon aus großer Entfernung zu treffen. Zunächst waren nur die am Bug befindlichen Kanonen von nutzen.
    „Volltreffer“, jubelte Alligator Jack, als er einen der Türme erwischt hatte.
    Morgan hatte immerhin einige Soldaten aufgeschreckt, weil er unweit von ihnen in den Schnee geschossen hatte. Je weiter sie sich näherten, je treffsicherer wurden die Piraten, doch umso gefährlicher wurde es auch für sie, denn nun schob sich „Fions Stolz“ auch in Reichweite der Wachtürme.
    „Zielt auf die Kanonen!“ befahl Alligator Jack und machte vor was er sich von seinen Mitstreitern erwartete.
    Seine abgesetzte Kugel durchbrach die Wehrmauer und beschädigte die Kanone dahinter.
    „Goot. Weiter so!“ lobte Greg, der hochkonzentriert dabei war sein Schiff durch die Untiefen zu steuern.
    Seine Worte gingen in einem großen Krachen unter, als das Schiff in den Bug getroffen wurde. Holzsplitter flogen umher und bohrten sich in Morgans Körper. Er schrie auf und warf sich zu Boden. Alejandro rannte mutig zu ihm, schleifte ihn weg hinter den Fockmast und wandte zwei leichte Heilzauber auf ihn an. Das reichte nicht, damit Morgan wieder kampfbereit war, aber immerhin hatte er seine Lage stabilisiert. Gerne würde Alejandro ihm weiter helfen, doch seine magische Kraft reichte noch nicht aus. Wieder splitterte Holz, diesmal hatte es die Reling links getroffen, dann wurde die rechte Seite des Piratenschiffes aufgerissen, immerhin drang kein Wasser ein, da das Loch zu hoch lag, doch Ramon wurde getötet. Greg schickte sofort den Ausbesserungstrupp los, damit sie sich um die Schäden kümmerten. Das Schiff musste unbedingt kampfbereit bleiben. Greg ließ die Segel weiter hissen. Das war sehr wagemutig, denn obwohl der Fluss hier schon tiefer war, könnte es immer noch sein, dass sie aufliefen. Dieses Risiko ging der Piratenkapitän allerdings ein, denn umso schneller sie hier weg kamen, umso besser für sie. Mittlerweile befanden sie sich in unmittelbarer Nähe der Wachtürme, so dass sie nun das zornige Brüllen der Soldaten, Ritter und Paladine hörten, die erst Verwünschungen, dann Pfeile und Bolzen auf sie niederregnen ließen. Es traf Rüdiger und Clemens vom Ausbesserungstrupp, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten. Samuel rächte sich indem er eine Brandkugel mitten in die Feindesgruppe donnern ließ. Als die Kugel an der Wehrmauer zerschellte, versprühte sie die brennende Flüssigkeit im Inneren. Nun rollten viele Adlokaner auf dem Boden umher, oder retteten sich aus Angst vor weiteren Brandkugeln in Deckung. Wer noch geblieben war, bekam von Bones eine Splitterkugel um die Ohren geschossen.
    „Das macht ja richtig Spaß!“ rief Bones breit grinsend und freute sich.
    Wie zur Antwort wurde seine Kanonen vom rechten Wachturm aus abgeschossen. Bones schrie, als die Planken unter ihm erzitterten, die Kanone mit Ruck zurückgerissen wurde und Holz und Metallstücke umherflogen. Weil der neben ihm feuernde Held ihn stöhnen hörte, wandte er kurz den Kopf, konnte aber nicht erkennen wie schwer es ihn getroffen hatte.
    „Geladen“, informierte Heiko aus seinem Entertrupp ihn und das war für den Helden das Stichwort, seinerseits zu feuern.
    Er traf den Turm, der nun direkt vor ihnen war, ließ die abgefeuerte Kanone dann stehen und lief nach Steuerbord zur nächsten Kanone, um auch diese abzufeuern, denn nun waren auch diese Kanonen aufgrund der veränderten Position brauchbar geworden. Der Kampf von „Fions Stolz“ um die Freiheit war äußerst hart. Greg musste sie wortwörtlich durch den Kugelhagel führen. Der Besanmast wurde leicht beschädigt und sie büßten zwei Spiere des Großmastes ein. Die Paladine waren auf die Idee gekommen das Piratenschiff mit Feuerbällen und Feuerstürmen anzuzünden. Die Piraten vom Ausbesserungstrupp wussten gar nicht wo ihnen der Kopf stand. Mit dem Löschwasser, das sie zur Verfügung hatten, kamen sie gar nicht mit dem Löschen hinterher. Der Held nutzte Eiszauber, um dem sich ausbreitenden Feuer zu Leibe zu rücken. Vielleicht wäre „Fions Stolz“ ohne ihn schlussendlich von den Flammen verschlungen wurden. Nun waren alle Kanonen im Dauereinsatz. Beständig krachte und rummste es und die Lage sowohl auf dem Schiff, als auch auf den beiden Wachtürmen wurde immer unübersichtlicher.
    „Wasser! Wir haben ein Leck!“ rief dann auch noch Nikolaos, der vom Unterdeck hochgekommen war, um die anderen vom Ausbesserungstrupp zu sich zu holen.
    Ein Leck hatte immer Priorität.
    „Durchhalten Männer!“ schwor Greg seine Truppe drauf ein. „Et is nich mehr weit na de See.“
    Tatsächlich mussten die Piraten nun schon die Achterkanonen benutzen, um die Wachtürme und die Soldaten noch treffen zu können. Endlich waren sie außerhalb der Reichweite der Pfeile und Bolzen.
    „Wir haben es geschafft, endlich, das Meer“, rief Samuel hocherfreut und grinste breit, wobei er einige Zahnlücken zeigte.
    Ein kollektiver Jubel ging durch die Crew. Er erstickte jedoch, als sie ihren Blick nach Westen wandten wo sich die „Läuterfeuer“ näherte. Sie hatte wohl nur darauf gewartet, dass sie ins Meer geschippert kamen, denn nun setzte sie alle Segel, die sich im Wind blähten und hielt auf sie zu. Sie fuhren raumschots auf sie zu und kamen daher schnell voran. „Fions Stolz“ befand sich noch auf maximaler Höhe und war so in einer verzwickten Situation. Sie könnten beidrehen und so in die gleiche Richtung wie die „Läuterfeuer“ fahren, doch das größere Schiff war noch nicht beschädigt und würde daher rasch aufschließen. Als weitere Option könnten sie „Fions Stolz“ nach Südwesten steuern, so dass sie im scheinbaren Wind fuhren, allerdings würden sie so wohl mit der „Läuterfeuer“ kollidieren. Dem Helden kam eine Idee und er hastete zum Piratenkapitän, um sie rasch mit ihm zu besprechen. Der schaute verwundert, stimmte dem Plan angesichts ihrer misslichen Lage aber zu. Der Held nickte und begann die Takelage des Großmasts hinaufzuklettern.
    „Klar zum Wenden!“ rief Greg laut und deutlich, so dass auch wirklich jeder ihn verstand.
    „Ist klar“, rief Henry zurück, als er mit seinem Trupp die nötigen Veränderungen an der Leeschot und der Luvschot durchgeführt hatten.
    „Ree!“ kam das nächste Kommando von Henry und sie luvten an, drehten durch den Wind, der sie nun aber zurück zum Land drückte.
    Das Piratenschiff ächzte, doch dann gab es einen plötzlichen Ruck, als der Held mittels einer Rune einen aufgeladenen Sturmwind entfesselte, der die Segel blähte und „Fions Stolz“ brachial nach vorne schoss. Das Schiff schlingerte kurz, fing sich dann aber und drehte sich durch die veränderten Schoten nun hart in den Wind.
    „Över de Fock!“ brüllte Greg, als der Wind den Bug auf den neuen am scheinbaren Wind Kurs drückte.
    Diese rabiate Wende war gefährlich, doch sie sorgte dafür, dass sie kurz vor der „Läuterfeuer“ das Wasser durschnitten und ihnen die volle Breitseite geben konnten. Mit diesem verwegenen Manöver hatten die Seepaladine ganz offensichtlich nicht gerechnet. Alligator Jack traf mit seiner Kanone mitten in den Fockmast hinein, der zwar noch nicht vollends zerstört, aber nun deutlich in seiner Funktion eingeschränkt war. Er war eindeutig der beste Schütze auf dem Piratenschiff und das ließ er auch jeden wissen.
    „Habt ihr das gesehen? Ha! Keiner schießt besser als ich! Nennt mich Meisterschütze!“
    Auch Bones hatte einen guten Treffer gelandet und ins oberste Kanonendeck geschossen. Sie hörten Holz brechen, das Klirren von Metall und die Schreie aufgeschreckter und verletzter Männer. Die Kugeln der anderen Piraten trafen auch, wenn auch nicht so gut und zertrümmerten Planken und ließen es Holz regnen. Owen hatte immerhin den Klüverbaum getroffen, so dass der sie nicht aufspießte, als sie haarscharf an der „Läuterfeuer“ vorbeischrammten. Die Piraten konnten den Kapitän der Seepaladine laut fluchen hörten und lachten laut.
    „Euch wird das Lachen gleich vergehen!“ hörten sie Ignatius von den Rosenbergen herüberbrüllen. „Holt an die Schoten!“
    Auch die „Läuterfeuer“ startete nun ein Wendemanöver. Mit dem beschädigten Fockmast würde es ihnen aber deutlich schwerer fallen, als dem Piratenschiff, das noch alle Klüversegel im Einsatz hatte. Ihr Kurs hart am Wind war zwar rau, aber sie machten gute Fahrt und konnten so viel Strecke zwischen sich und dem Schiff der Seepaladine bringen. Die Seepaladine verfolgten sie nun zwar, doch hatten sie ausreichend Abstand zu ihnen, so dass sie vorerst keine Gefahr waren. Ob die Paladine sie einholen konnten, oder nicht, würde der Wind und die Zeit zeigen. Trotz der drohenden Gefahr am Horizont waren die Piraten in ausgelassener Stimmung. Endlich waren sie wieder auf See. Sie hatten ihr vermutlich waghalsigstes Abenteuer überstanden, waren mit all ihrer Dreistigkeit davongekommen und hatten das wohl mächtigste bekannte Land vorgeführt. Die Gefühle schäumten hoch. Sie lachten und rissen derbe Scherze auf Kosten von Königin Leandra und ihrer Streitmacht. Bald stimmte Skip ein fröhliches Lied an, welches das waghalsige abenteuerliche Piratenleben besang.
    „Greg ist sein Name und wir sind seine Brüder. Den Totenkopf auf unserer Fahne, singen lauthals Räuberlieder.“*
    Bill grinste breit und holte sogar seine Laute hervor um Skip darauf zu begleiten. Garett und Owen hämmerten im Takt aufs Holz.
    „Am Sonntag vorm Altar zu lügen war noch niemals unser Ding. Von Khorinis selbst bis nach Königsbrück weiß ein jeder wer wir sind. Adanos Freund und aller Welten Feind. Wir scheißen nie ins eigne Nest. Egal was der Herr darüber meint wir teilen alles, selbst den Rest. Für Silber, Weiber, Salz und Bier besegeln wir das Meer. So leben wir im Hier und jetzt und das gefällt uns sehr.“
    Bald stimmten die anderen Piraten mit ein.
    „Wir plündern nicht, wir rauben. Wir beten nicht, wir glauben. Geboren wie ein Gotteskind. Das Segel schwarz und hart am Wind.“
    Die Piraten sangen zusammen und tanzten sogar ein wenig übers Deck. Samuel holte den Alkohol heraus und es wurde noch lustiger.
    Der Held hing immer noch in den Wanten und ließ sich den Abendwind durch die Haare wehen. Er war glücklich. Hinter ihm lag ein aufregendes Abenteuer. Sie waren entkommen. Waren trotz ihrer Schandtaten frei. Und vor ihnen warteten sicher noch viele weitere aufregende Abenteuer.

    *leicht für die Geschichte abgewandelter Liedtext zu Störtebeker von In Extremo
    https://www.youtube.com/watch?v=dxxCCeaeLIw

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Es gibt nur Wasser, Wasser, Wasser überall, doch wir haben nichts zu trinken

    Dank der Arbeit des Ausbesserungstrupps hieß das Schiff nun wieder „Murietta“. Besonders Brandon war darüber erleichtert, denn er verkündete jedem der in seiner Nähe war, dass es Unglück brachte, wenn das Schiff unter einem Namen segelte, auf den es nicht getauft war. Einige der altgedienten Piraten verdrehten genervt die Augen, doch manche, die noch nicht so lange dabei waren nickten ihm zustimmend zu.
    Die Verluste, die sie in Adloka erleiden mussten, hatten es nötig gemacht einige Männer umzuverteilen, damit es wieder gleichviele Männer pro Trupp gab. Der kleine Nils hatte unbedingt zum Trupp des Helden gewollt, doch Greg duldete keine Widerrede. Die Trupps sollten in etwa gleich stark sein und da der Held in den Augen des Piratenkapitäns wohl schon beinahe übermächtig war, wollte er, dass den anderen Trupps möglichst viele Kämpfer blieben. Neben Nils hatte es noch viele weitere Interessenten gegeben, die nicht ganz so entschieden in ihren bisherigen Teams gebraucht wurden. Damit es nicht wieder eine Schlägerei gab, hatte das Los entschieden wer in den Trupp des Helden kam. Neu dazugekommen waren der alte Michael, der Segeltuchmacher Till und Kai, der seine Rüstung wieder geflickt hatte, als sie ihm von den Orkwaffen aufgerissen wurde. Dem Helden war es nicht ganz so wichtig wer nun eigentlich in seinem Trupp war, denn da er selten schlief, arbeitete er im Grunde mit allen Piraten zusammen. Es wurde für ihn nur dann wichtig, wenn er seinen Trupp befehligen sollte, denn die anderen Entertruppführer sahen es nicht gern, wenn er ihren Leuten Befehle erteilte. Damit er bei Bedarf nachsehen konnte wer sich aktuell in seinem Team befand, hatte der Held die Truppaufstellung in seinem Tagebuch aktualisiert. Seit er an der Murietta anheuerte, hatte er zehn Namen durchstreichen müssen. Von seinem ursprünglichen Trupp waren nur noch Skip und Alejandro übrig.
    „Adanos sei Dank sind jetzt acht Männer in jedem Trupp“, sagte Brandon, als sich die neuen Entertrupps formiert hatte.
    „Na was’n Glück, dass so viele von uns abgemurkst wurden“, sagte Skip mit beißender Stimme und Brandon zog beschämt über seine Unbesonnenheit den Kopf ein.
    „Nächstes Mal musst du besser auf deine Leute aufpassen!“, rief Henry dem Helden mürrisch zu.
    Statt etwas zu antworten, warf der Held ihm nur einen wütenden Blick zu, denn seiner Meinung nach war es einfach Pech, das sein Trupp am meisten gelitten hatte.
    Nachdem er diesem Blick kurz Stand gehalten hatte, sah Henry naserümpfend weg.
    Die Tage vergingen recht eintönig während der Arbeit und wenn sie tagsüber nicht das Schiff der Paladine sehen würden und nachts deren Schiffslampen, könnten sie vermutlich fast glauben, alles wäre wie immer. Vermutlich versuchten einige der Piraten sich das sogar ganz fest einzureden, um mit ihrer Nervosität zurechzukommen.

    „Käpt’n, uns geht das Wasser aus“, sagte der alte Michael, kaum, dass er die im schwachen Mondschein dunkel daliegende Treppe zum Steuerrad hinaufgerannt war.
    „Ken Water? Wat’n dat vürn Shiet?“ kam es mürrisch zurück. „Wi hattn veer volle Fässer, dat Water mut ja irgenwo hin sün.“
    „Wir haben es gebraucht, um die Feuer zu löschen, die während unserer Flucht aus Adloka auf dem Schiff ausgebrochen sind“, erinnerte Michael ihn.
    Greg brummte. Nun erinnerte er sich wohl, wollte aber nichts dazu sagen.
    „Wir hatten nur noch ein halbes Fass und das ist jetzt fast leer. Wenn wir nicht verdursten sollen, dann müssen wir irgendwo an Land gehen und Nachschub besorgen.“
    „Dat weß ik selber“, knurrte Greg schlechtgelaunt. „Hau ab un such di Arbeit!“
    Michael zuckte schreckhaft zusammen und machte sich dann eilends aus dem Staub. Der Held hatte mitgehört. Zusammen mit Till flickte er gerade einige Leinen, die während der Schlacht vor drei Tagen Schäden erlitten hatten. Es war schwer bei dieser Dunkelheit die Leinen aufzuspleißen, doch Greg hatte verboten Laternen zu entzünden. Sie wollten es ihren Verfolgern nicht zu leicht machen.
    Skip befand sich im Moment oben im Krähennest und behielt die Paladine im Auge, die vorschriftsmäßig Signallichter für andere Schiffe gesetzt hatten. Heiko schrubbte zusammen mit Alejandro das Deck. Dem Leichtmatrosen bekam die Nachtarbeit gar nicht. Offenbar schlief er schlecht, denn unter seinen Augen befanden sich tiefe dunkle Ringe und wenn der Held ihn ansprach wirkte er unkonzentriert und schlecht gelaunt. Hin und wieder hatte der Held mitbekommen wie Alejandro weiter mit seiner Magie geübt hatte, doch bekam er das Gefühl, dass der Junge sich sogar verschlechtert hatte. Vielleicht lag es nicht nur an der Nachtschicht, sondern auch an der harten Arbeit auf See, die ihn mehr und mehr auslaugte. Eigentlich hatte Greg Kurs auf die Fischschwanzinseln gesetzt, damit die im Kampf beschädigten Kanonen von Merkassas Leuten repariert, oder ausgetauscht werden konnten, doch nun gab der Kapitän Befehl den Kurs nach Südosten zu ändern. Vielleicht kannte er eine Insel in der Nähe, die sie anlaufen konnten, um ihren Wassermangel zu beheben. Da der Held noch immer nichts von Navigation verstand, wusste er nicht wie Greg sich in dieser Dunkelheit orientieren konnte, befolgte aber zuverlässig die gegebenen Befehle, um das Schiff neu auszurichten. Skip hatte ihm mal gesagt, dass ein erfahrener Seemann sich an den Sternen orientierte, doch der Held wusste nicht wie genau das funktionieren sollte. Für ihn waren die Sterne bisher nur leuchtende Pünktchen am Firmament gewesen. Nett anzuschauen, aber ihm fiel kein praktischer Nutzen für sie ein. Nun da er wusste, dass sie für die Navigation wichtig waren, versuchte er etwas aus ihnen herauszulesen. Fast im Zenit las er KSO, doch er wusste nicht was das zu bedeuten hatte, oder wie es ihm beim Navigieren helfen sollte.
    „Kannst du mit den Sternen navigieren?“ fragte der Held Heiko, doch der schüttelte den Kopf.
    „Ne, das ist Sache für Kapitäne und Gelehrte. Ich war nur Nagelschmied.“
    „Dann weißt du bestimmt auch nicht, was diese Buchstaben da oben heißen sollen?“
    „Buchstaben?“ fragte Heiko verwirrt, ließ die Arbeit für einen Moment Arbeit sein und schaute hinauf ins Himmelszelt.
    Er sah verwirrt aus.
    „Na da“, setzte der Held hinzu und zeigte auf das was er meinte. „KSO.“
    Heiko runzelte die Stirn und sah, immer noch auf den Knien hockend, angestrengt hinauf.
    „Meinst du wirklich, dass das Buchstaben sein sollen? Für mich sieht es aus wie ein Pfeil, eine Schlange und ein Kreis.“
    „Kennst du lesen?“ fragte der Held.
    „Nein.“
    „Ver-stehe.“
    „Auf dem Meer kommen mir die Sterne irgendwie heller vor“, sagte nun Till, der auch mitreden wollte. „Mir ist das KSO schon als Kind aufgefallen. Ich hab mich immer gefragt was das soll. Ich meine … hat Adanos persönlich den Himmel so gestaltet? Steckt ein tieferer Sinn dahinter? Vielleicht möchte er uns ja etwas damit mitteilen. Vielleicht ist das ja ein Kürzel für irgendetwas.“
    „Ein was?“ fragte Heiko verwundert und fuhr sich durch seine verfilzten Haare.
    „Eine Abkürzung“, knurrte Till leicht genervt. „Vielleicht sowas wie … Kapitän segel Ostwärts.“
    „Warum soll ein Kapitän denn ostwärts segeln?“ fragte Heiko verwirrt.
    Till zuckte mit den Schultern.
    „Das weiß ich nicht. Das will ich ja gerade herausfinden. Vielleicht soll es als Markierung dienen. Oder es heißt was ganz anderes.“
    Heiko fing an zu kichern.
    „Was ist denn so lustig?“, fragte der Held.
    „Ja, wir wollen auch mitlachen“, kam es von Till.
    „Vielleicht spricht der Käpt’n deswegen so seltsam. Vielleicht ist das die Sprache der Sterne. Vielleicht heißt dieses KSO Kummt supt ook.“
    Er schüttete sich aus vor Lachen und konnte sich gar nicht mehr halten. Till und der Held wechselten einen verwunderten Blick, runzelten die Stirn und wussten nicht warum das lustig sein sollte. Der Kapitän wusste es wohl auch nicht, denn seine raue Stimme wehte zu ihnen hin.
    „Wenn ihr noch lachen köönt, denn is de Arbeit woll noch nich hart noog. Arbeitet gefälligst weiter, ihr Komiker!“
    Ohne zu murren setzte der Held seine Arbeit fort, doch seine Kameraden stöhnten und bückten sich, Till, weil er seine fallen gelassenen Leinen wieder aufhob und Heiko, weil er weiter das Deck schrubbte.

    Beim ersten Schimmer des neuen Morgens hörten sie Skips Ruf aus dem Krähennest, der verkündete, dass Land in Sicht war und pünktlich zum Schichtwechsel landeten sie an einer zerklüfteten unscheinbaren Insel an. Alligator Jacks Trupp ließ das Beiboot zu Wasser, um seine Leute und die leeren Fässer hinüberzutransportieren. Es blieb noch Platz für den Helden, der sich die Insel aus nächster Nähe ansehen wollte. Von Alligator Jack und seinen Männern wurde er skeptisch angesehen, denn die anderen Piraten waren froh, wenn sie ihre Freizeit zum ausruhen nutzen konnten. Da der Held das Gefühl hatte, es würde Alejandro guttun, mal vom Schiff wegzukommen, überredete er den Jungen mit ihm zur Insel zu fahren. Alejandro sah ihn besorgt an. Vielleicht lag es an den vergangenen Abenteuern in Adloka, oder auch das war ein Nebeneffekt der harten Arbeit, doch dem Helden war aufgefallen, dass sich Alejandro in sich selbst zurückzog und nicht mehr auf ihn zukam und nach Magie ausfragte.
    Hier lag kein Schnee und es war deutlich milder als noch in Adloka, doch es wehte ein scharfer Wind und wer konnte blieb daher auf dem Schiff unter Deck. Auf den hellen Felsen wuchsen keine Bäume. Nur ein paar Sträucher und robuste Krautgewächse trotzten den wilden Winden der See. Nachdem sie sich von Alligator Jacks Trupp, der nach Wasser suchen sollte, abgesetzt hatten, kam der Held auch direkt aufs Themas zu sprechen.
    „Warum bist du so verschlossen? Stimmt etwas nicht mit dir?“
    Alejandros Augen wurden groß.
    „Mit mir?“ fragte er mit hoher Stimme und setzte dann ungewohnt sarkastisch hinzu: „Ach, was sollte denn mit mir nicht stimmen? Ich segle auf einem gesuchten Piratenschiff mit. Wir haben uns den gefährlichsten Feind überhaupt gemacht. Was sollte denn im Angesicht des beinahe sicheren Todes mit mir nicht stimmen?“
    „Wir sind den Paladinen schon einmal entkommen“, erinnerte der Held ihn.
    „Weil wir in einen furchtbaren Sturm gesegelt sind, in dem ich wohl ertrunken wäre, wenn du mich nicht gerettet hättest“, gab Alejandro zurück.
    „Aber jetzt ist kein Sturm zu sehen.“
    „Ja, daher fällt es unseren Verfolgern bestimmt nicht schwer uns einzuholen.“
    „Deswegen hat Greg ja auch alle Lichter löschen lassen, damit sie uns nicht sehen und uns in der Dunkelheit verlieren. Jetzt haben wir sogar den Kurs geändert.“
    „Das sind Paladine verdammt nochmal!“, sagte Alejandro und warf aufgeregt die Hände in die Luft.
    Verwundert sah der Held ihn an. So erhitzt hatte er den Jungen noch nie erlebt.
    „Die können ganz bestimmt gut navigieren und wir haben so ein entsetzliches Chaos in Adloka hinterlassen, dass sie uns ganz sicher bis an unser Lebensende verfolgen werden und ich befürchte, dass das nicht mehr lange auf sich warten lässt. Bestimmt tauchen sie unten in der Bucht auf, wenn wir zum Schiff zurückkehren.“
    „Mit dieser negativen Einstellung wirst du es nicht leicht haben im Leben. Du musst versuchen optimistisch zu bleiben“, riet ihm der Held.
    Alejandro sah ihn fassungslos an.
    „Wie um alles in der Welt soll ich denn optimistisch bleiben, wenn ich die Schlinge quasi schon um den Hals spüre?“
    Ein klein wenig freute es den Helden, dass Alejandro endlich etwas Selbstvertrauen gewonnen hatte. Noch vor ein paar Wochen hätte er es sich vermutlich nicht getraut so mit seinem Entertruppführer zu reden. War es der Mut der Verzweiflung, der ihn antrieb? Glaubte er nichts mehr zu verlieren zu haben? Oder hatte er jeglichen Respekt vor ihm verloren? Das wäre schlecht. Doch er war auch besorgt über den Pessimismus des Jungen weswegen er sagte: „Hätte ich so eine negative Einstellung gehabt und hätte so schnell aufgegeben, wäre ich vermutlich immer noch innerhalb der Barriere gefangen, oder wäre in der alten Mine von Minecrawlern gefressen wurden. Das Leben ist hart und unfair und du musst versuchen dich durchzubeißen. Lass dich nicht ins Bockshorn jagen, Junge!“
    Alejandro schluckte seinen Ärger wohl teilweise hinunter, denn zunächst sagte er nichts und dann nur leise: „Das sagst du so einfach.“
    Schweigend gingen sie einige Zeit nebeneinanderher, bis Alejandro fragte: „Was machen wir hier eigentlich?“
    „Wir erkunden die Insel. Ich suche nach einer speziellen Alge, die ein Alchemist auf der Pirateninsel braucht, um seine Studien durchzuführen. Er sagte mir, sie wächst in kalkigem Wasser und ich dachte mir, wenn wir sowieso hier sind, um eine Wasserquelle zu suchen, haben wir vielleicht Glück.“
    „Gut möglich. Die Felsen hier bestehen überwiegend aus Kalkstein“, informierte Alejandro ihn.
    „Du kennst dich mit Steinen aus?“ fragte der Held.
    „Ja, als Kind habe ich Steine gesammelt und sie zusammen mit meinem Großvater bestimmt. Das war unsere gemeinsame Freizeitgestaltung. Er war ein verschlossener Mann, der am liebsten über seinen Büchern gebrütet hat, aber über die Steine haben wir uns gut unterhalten können. Das war unsere Art miteinander Zeit zu verbringen.“
    „Das ist beschämend, aber ich glaube dir“, kommentierte der Held.
    Ein gütigerer Mann hätte dieses Thema vielleicht vertieft, um Alejandro von seinen Ängsten abzulenken und sich ihm weiter anzunähern, doch davon verstand der Held nichts. So erklommen sie schweigend einfach weiter die schroffen hellen Felsen der Insel, in der Hoffnung irgendwo auf Wasser zu stoßen.

    Nach einer viertel Stunde strammen Marsches gelangten sie zu einem in einer kreisrunden Vertiefung liegenden See. Er wirkte klar und rein. Normalerweise war es besser Trinkwasser aus fließenden Gewässern zu entnehmen, doch da der See so klar war, könnte dieses Wasser auch brauchbar sein. Urplötzlich blieb der Held stehen, kramte sein Tagebuch hervor und sah noch einmal nach was der Alchemist der Pirateninsel ihm zur Steifborstigen Armleuchteralge erzählt hatte.
    „Was ist?“ fragte Alejandro, der zum Helden zurücksah.
    „Ich hab mir aufgeschrieben wie diese Alge zu finden ist. Sie sieht aus wie ein Unterwassergebüsch. Um sie zu finden müssen wir in den See tauchen, deswegen ist es besser sich in Lurker zu verwandeln“, teilte der Held ihm klipp und klar mit.
    Alejandro kam zurück und sah sich die Zeichnung der Alge an. Er runzelte die Stirn.
    „So hatte ich mir eine Alge nicht vorgestellt.“
    „Ich auch nicht“, gab der Held zu.
    Während er in der Hosentasche nach einer Schriftrolle suchte, sah Alejandro nervös über den still da liegenden See.
    „Meinst du hier gibt es irgendwas Gefährliches?“
    Der Held zeigte auf etwas auf der anderen Seite des Sees.
    „Dort drüben sind Lurker. Sonst sehe ich keine Gefahr. Wenn wir selbst Lurker sind, lassen sie uns bestimmt in Ruhe.“
    „Klingt logisch“, sagte Alejandro, sah aber immer noch unentschlossen aus.
    Er hatte wohl vor allem vor dem Angst was sich unter der Wasseroberfläche verbarg.
    Entschieden holte der Held das Amulett des suchenden Irrlichts hervor, um es zu beschwören.
    „Such nach Pflanzen im Wasser! Wir brauchen eine Steifborstige Armleuchteralge“, wies der Held das suchende Irrlicht an.
    Während es noch zustimmend summte, sagte der Held in sachlichem Tonfall zu Alejandro: „Ich seh mich erstmal um. Wenn ich tatsächlich diese Algen gefunden habe, komme ich zurück.“
    „Aber…“, fing Alejandro an, erschrocken darüber nun ganz allein gelassen zu werden.
    „Halt die Stellung!“ fuhr der Held ihm dazwischen und verwandelte sich mittels Zauberspruchrolle in einen grün blauen khorinischen Lurker.
    Glucksend und knurrend folgte er dem sirrenden Irrlicht, das bereits aufgeregt über die Wasseroberfläche davonzischte. Das blau leuchtende Irrlicht schwirrte aufgeregt hin und her, schoss dann zur Wasseroberfläche hinab wo es scheinbar abprallte und wieder einen Meter hinaufschoss, um hell aufzuleuchten und damit den Zielort zu markieren. Unten musste also eine Pflanze sein, aber ob es wirklich eine steifborstige Armleuchteralge war?
    Der Held tauchte. Das Wasser war tatsächlich ungewöhnlich klar, so dass er weit sehen konnte. Es war wärmer, als er erwartet hatte, doch er konnte nicht sagen, ob es sich an seiner Lurkerhaut nur nicht so kalt anfühlte, wie es bei seiner Menschenhaut der Fall gewesen wäre, oder ob es wirklich wärmer war. Das gleißende Licht des Irrlichts drang unter die Wasseroberfläche, wobei sich der Winkel der Strahlen veränderte. Von diesem unwirklich anmutenden Leuchten geleitet schwamm der Held tiefer hinunter und entdeckte eine weit ausgebreitete Charawiese. Um sicher zu gehen, dass es sich um die gewünschte Alge handelte, tauchte der Held noch tiefer und nahm eine der Pflanzen genauer in Augenschein. Sie ähnelte der Skizze verblüffend. Meterlange Stengel wiegten sich leicht, als er sich näherte und seine Bewegungen das Wasser von sich wegschoben. Für den Helden sahen die Algen wirklich wie leuchtend grüne Unterwassergebüsche aus. Es gab eine Art dünnen Stamm, von dem immer wieder kleine Äste abgingen. Etwas, das wie eine Mischung aus Blättern und Dornen aussah, ging von den Ästen ab und immer wieder war etwas zu sehen, das Früchten ähnelte, kleine leicht durchscheinende hellbraune und leuchtend rote Perlen. Der Held war sich sicher, dies mussten Steifborstige Armleuchteralgen sein. Er war der Erfüllung der Aufgabe nähergekommen. Nun galt es den zweiten Teil der Aufgabe zu erfüllen. Die Aberntung und den Transport zum Auftraggeber. Er brauchte ein Wasserfass, um die Pflanzen wegschaffen zu können, deswegen schwamm er zurück an die Oberfläche und dann zum Ufer zum nervösen Alejandro. Das weißblau leuchtende Irrlicht folgte ihm aufgeregt auf Schritt und Tritt. Da dessen Gewusel dem Helden lästig wurde, rief er es zurück ins Amulett des suchenden Irrlichts.
    „Die Steiborstigen Armleuchteralgen sind dort unten. Wir brauchen aber ein Wasserfass, um sie zu wegzuschaffen. Deswegen muss ich erstmal zurück zum Suchtrupp. Möchtest du mitkommen, oder so lange hier warten?“
    Alejandro warf einen eiligen Blick hinüber ans andere Seeufer wo sich mittlerweile mehrere Lurker gesammelt hatten, um es sich in einem windgeschützten sonnigen Teil der kleinen Bucht gemütlich zu machen.
    „Ich komme mit“, sagte er entschieden.

    Es war einfach den Suchtrupp zu finden. Sie befanden sich unweit der Landungsstelle. Offenbar konnte Alligator Jack seine Männer nach der üblichen harten Knochenarbeit nicht so recht dazu motivieren auch noch auf der Insel herumzukraxeln und Wasser in die Fässer zu füllen, nur um diese dann unter großer Anstrengung zum Schiff zurückzubuckeln.
    „Was ist los?“ fragte der Held, der die mangelnde Motivation nicht recht verstand.
    „Erstmal was trinken“, sagte Carlos und nahm einen kräftigen Schluck von seiner Rumflasche.
    „Erstmal was essen“, sagte Tobias und knabberte an einem Strang Trockenfleisch, das er sich mitgebracht hatte.
    „Erstmal was rauchen“, sagte Maurice und zündete eine Tabakpfeife an.
    „Erstmal Pause machen“, sagte Morgan im Gras lümmelnd.
    „Ich hab Wasser gefunden“, informierte der Held knapp.
    „Gut gemacht“, lobte Alligator Jack. „Ich wusste es war eine gute Idee dich mitzunehmen.“
    Der Held nahm ein Fass auf und führte sie zum Frischwassersee. Die anderen folgten ihm unter dem üblichen Gejammer und Gestöhne, dass Alligator Jack brummig zu unterdrücken versuchte.
    „Ein bisschen Alkohol dran und es sollte für unsere Zwecke genügen“, knurrte Owen, als er über den ruhigen See sah.
    Der Held nickte, stellte das Fass ab und sagte dann zu Alejandro: „Komm mit! Jetzt verwandeln wir uns und holen die Algen raus. Versuch die Wurzeln glatt zu durchtrennen, dann wird das Sammeln leichter. Ich hab nur noch eine Spruchrolle und einen Trank der Lurkerverwandlung. Besser wir nutzen sie gut.“
    Alejandro guckte immer noch bang, doch ohne sich darum zu kümmern, drückte der Held Alejandro den Verwandlungstrank des myrtanischen Lurkers in die Hand. Er dachte sich, dass der Junge damit wohl besser zurechtkam, da er diese Gestalt schon einmal angenommen hatte.
    Der Held verwandelte sich wieder in einen khorinischen Lurker.
    „Was zum Henker…!“ rief Carlos aus und sprang erschrocken einen Meter zurück, doch der Held beachtete ihn gar nicht weiter und ging ins Wasser zurück.
    Als er schon ein gutes Stück gekommen war, und zurücksah, um herauszufinden wo Alejandro blieb, sah er ihn immer noch am steinigen Ufer bei den anderen stehen. Vielleicht würde er ihm dieses Mal nicht folgen?
    Unbeirrt tauchte der Held und fand den Unterwasserrasen schnell wieder. Er sah sich nach Gefahren um, doch konnte er nichts entdecken. Mit seinen scharfen Lurkerkrallen grub er im weichen Seeboden und wirbelte damit jede Menge Sediment auf. Die Wurzeln der Armleuchteralgen zu durchtrennen war schwerer als gedacht. Sie waren erstaunlich widerstandsfähig und er musste großen Druck ausüben, um eine Pflanzen zu lösen. Als er es endlich schaffte, trieb die Pflanze nicht wie erhofft zur Wasseroberfläche, sondern sank zum Boden herab. Nun fiel dem Helden wieder ein, dass der Alchemist der Pirateninsel auch das erwähnt hatte. Das würde mehr Arbeit bedeuten. Kurz ärgerte sich der Held warum er kein Netz mit hierhergebracht hatte, denn dann würde er die Algen leichter transportieren können. Er war es so gewohnt alles in seine Hosentasche zu stopfen, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, wie er die Unterwasserpflanzen hinauf zum Fass bringen sollte, wenn er ein Lurker war. Er entschied erst einmal einige Pflanzen abzutrennen und dann gesammelt nach oben zu bringen. Eine Bewegung am Rande seines Sichtfelds ließ ihn herumfahren. Ein Lurker hatte sich genähert. Da das Wasser hier so klar war, hatte er ihn entdecken können, obwohl er noch ein gutes Stück entfernt war. Er verharrte im Wasser und ließ sich langsam Richtung Grund sinken. Zuerst hatte der Held gehofft, dass es sich um Alejandro handelte, doch das war definitiv kein myrtanischer Lurker. Kopf und Rumpf waren breiter und so ähnelte er mehr den Lurkern, die er in Varant gesehen hatte, doch anders als seine Vettern war sein Schwanz lang und biegsam. Die Hände waren kräftig und zwischen den kurzen bekrallten Fingern spannten sich Schwimmhäute. Eine Reihe dicker Stacheln verlief über das Rückgrat und zwischen ihnen spannte sich ebenfalls Haut. Das Exemplar vor ihm war grünblau und besonders der leuchtend grün gefärbte Kopf stach hervor. Während der Held das Tier beobachtete, hatte es sich wieder in Bewegung gesetzt. Es umkreiste ihn nun. War es nur Neugierde, oder wollte der Lurker angreifen? Der Held hielt es für besser sich bei seiner Arbeit zu beeilen. Eilig wandte er sich wieder den Armleuchteralgen zu und grub im Schlick, damit er an die Wurzeln der Unterwasserpflanzen gelang. Er hatte bereits sechs Pflanzen geborgen, als eine erneute Bewegung ihn inne halten ließ. Noch ein Lurker näherte sich, diesmal von oben. Der Held fuhr herum und hielt die rechte Klaue angriffsbereit, doch dann erkannte er, dass es der verwandelte Alejandro war. Der Held winkte ihn zu sich und deutete dann auf die Pflanzen. Alejandro nickte. Er hatte sofort verstanden und ließ sich neben den Helden sinken, um ihm dabei zu helfen die Pflanzen abzuernten. Alejandros lange dünne Krallen waren offenbar besser dazu geeignet die Wurzelstränge zu durchtrennen, denn er arbeitete rasch und ohne ersichtliche Mühe. Mit ihm kam der Held viel schneller voran, so dass sie bald ein Dutzend Pflanzen zusammengetragen hatten. Ein tiefes bedrohliches Geräusch, ließ sie sich skeptisch umsehen. Der einheimische Lurker hatte sich sehr viel weiter genähert und kam nun von links. Er war nur noch wenige Meter entfernt und wieder ertönte das seltsame Geräusch, als er die Backen aufblies. Dann bewegte er die Hände mit den Krallen vor ihnen in der Luft. Es mutete wie ein seltsamer Tanz an. Verwundert sahen sich Alejandro und der Held an und blickten dann wieder zum mysteriösen Lurker, der sich noch weiter genähert hatte. Unerwartet schoss er nach vorne und hieb mit seinen Krallen nach dem Helden aus, der sich aber noch rechtzeitig wegduckte und dem Angriff so entging. Neuer Dreck wirbelte auf, als der Held nach unten in den Schlick sank, sich abstieß und nun seinerseits den Lurker attackierte. Er landete einen Treffer an der breiten Schulter des anderen Lurkers, der offenbar sein Territorium verteidigen wollte. Etwas Blut vermischte sich mit dem Wasser und verriet in welche Richtung der Lurker sich davonmachte. Der Held winkte Alejandro, zeigte erst auf die Pflanzen und dann zur Wasseroberfläche. Seiner Meinung nach hatten sie genug Pflanzen mit denen der Alchemist der Pirateninsel sich beschäftigen konnte. Rasch rafften sie alle abgetrennten Armleuchteralgen zusammen und nahmen sie in die Arme. Mit den Füßen stießen sie sich ab und schwammen eilig Richtung Wasseroberfläche hinauf. Ein plötzlicher Stoß und ein scharfer Schmerz warfen den Helden aus der Bahn. Er fuhr herum und sah den Lurker, der nun erneut ausholte und ihm schmerzhafte Kratzer über dem Brustbein zufügte. Die Reaktion des Helden kam prompt und unerbittlich. Er hieb zurück und erwischte den Lurker am Kopf. Leider verlor er bei seinem unüberlegten Angriff die Algen und so trudelten sie zurück auf den Grund des Sees. Kurz sah er ihnen nach, dann schaute er sich wieder nach dem Lurker um. Er war verschwunden. Ein prüfender Blick zur nahen Wasseroberfläche sagte dem Helden, dass Alejandro von all dem vermutlich nichts mitbekommen hatte und zurück zum Ufer schwamm. Verstimmt kehrte der Held zur Charawiese zurück, um die verlorenen Armleuchteralgen einzusammeln. Es war mühsam und nervig sie zwischen all den anderen hochgewachsenen Unterwasserpflanzen ausfindig zu machen und aufzuklauben. Erneut erklang das Drohgeräusch des Seelurkers und der Held sah sich nach der Quelle um. Doch wohin er auch sah, er konnte nur Armleuchteralgen sehen, die sich leicht im Wasser wiegten. Er beugte sich wieder hinunter und sammelte weitere Pflanzen ein, da bemerkte er eine leichte Bewegung direkt vor sich. Ein großer breiter Lurkerkopf schob sich zwischen den Armleuchteralgen hervor und im nächsten Moment holte er aus und verpasste dem Helden einen schmerzhaften Hieb mitten ins Gesicht. Die scharfen Klauen verfehlten sein linkes Auge nur knapp und rissen brennende Wunden. Wieder ließ der Held die Armleuchteralgen fallen und stürzte sich auf seinen Gegner. Mit allen vieren schlug er um sich und schaffte es so den Seelurker erneut zu vertreiben. Doch der Held dachte nicht mehr daran, dass er lange fernbleiben würde. Dieses hartnäckige Biest würde wohl erst aufgeben, wenn er tot, oder verschwunden war. Rasch klaubte der Held auf was er zu fassen bekam, stieß sich dann vom Boden ab und schwamm eilig zur Wasseroberfläche hinauf. Ein Blick zurück genügte, um zu erkennen, dass er verfolgt wurde. Mit gebleckten Zähnen folgte der Seelurker ihm. Vielleicht hatte der Held mehr Kampferfahrung, doch der Seelurker hatte mehr Erfahrung darin ein Lurker zu sein, deswegen wollte der Held es hier und jetzt nicht auf einen Kampf auf Leben und Tod ankommen lassen. Stattdessen intensivierte er seine Schwimmanstrengungen. So schnell wie noch nie schwamm er durch das Wasser und näherte sich bald dem Ufer. Doch als er Boden unter seinen Füßen spürte, wurde es schwer zu gehen. Khorinische Lurker liefen vorzugsweise auf allen vieren und mit den Armleuchteralgen in den Armen kam er nur langsam auf seinen Beinen voran. Wasser hinter ihm spritzte auf und er wusste, dass sein Verfolger knapp hinter ihm war. Eilig warf er die Algen vor sich ans Ufer, verwandelte sich zurück und zog den ausgerüsteten Orkschlächter, um ihm dem Seelurker in den Kopf zu rammen, der bereits eine Klaue ausgeholt hatte, um ihm einen erneuten Hieb zu verpassen.
    „Ja, gib’s ihm!“ feuerte Alligator Jack ihn an und sah mit Genugtuung in den Augen dabei zu wie das Tier tot auf den Kies fiel.
    „Was willst du denn mit dem Zeug?“, fragte Bill und sah angewidert auf die grünen labbrigen Algen.
    „Ist für einen Auftrag“, kam die dürftige Erklärung vom Helden, während er die gesammelten Armleuchteralgen in ein bereits gefülltes Wasserfass warf.
    „He was soll das? Glaubst du etwas du kannst unsere Wasserfässer einfach für deinen Kram benutzen?“ fragte Bones brummig.
    „Ja, das glaube ich“, sagte der Held eisern und sah mit einem stahlharten Blick zu Bones unter dem sogar der furchtlose Kämpfer einknickte.
    Verstimmt sagte der: „Ich meine ja nur, wir haben schon Alkohol dran getan, damit das Wasser nicht fault.“
    „Das macht nichts. Der Alchemist sagte, es verändert die Wirkung der Pflanzen nicht und dann gammeln die hoffentlich nicht so schnell“, sagte der Held, eine Spur ruhiger.
    „Ach so, na dann …“, gab sich Bones wohl geschlagen.
    Die anderen hatten ganz offensichtlich nicht mal dran gedacht zu diskutieren. Alligator Jack sah dem Helden nur griesgrämig nach, als der das Fass mit den Armleuchteralgen anhob und den Weg zurück zum Schiff ging, als würde es nicht mehr wiegen als ein Snapperei.
    Längst hatte sich der Held auf der Murietta Respekt verdient, doch spätestens seit ihrem Raubzug in Adloka hatte sich Furcht dazugesellt. Furcht davor was mit denen passieren könnte, die sich gegen ihn stellten. Und keiner der Piraten wollte der sein, der herausfand, ob er mit ihnen gnädiger umgehen würde, als mit den adlokanischen Kriegern. Noch würde es wohl keiner offen zugeben, doch es war nicht abzustreiten, dass die meisten Piraten ihn mittlerweile als Gregs rechte Hand ansahen. Niemand wollte Streit mit ihm, niemand wollte sich ihm wiedersetzen und auch wenn die anderen Entertruppführer ihn manchmal großmäulig anschnauzten, wenn er ihren Leuten Befehle gab, so waren es im Grunde nur laue Worte, denen keine Taten folgen würden und sie fürchteten den Tag, an dem er das auf die Probe stellen würde.

    „Blots en Waterfass? Wo is denn de Rest?“ fragte Greg, als der Held allein mit dem Beiboot zurück zum Schiff ruderte.
    „Die anderen trödeln und ich wollte nicht auf sie warten“, verkündete der Held, nachdem er das Fass aufs Schiff gewuchtet hatte.
    Garett und Rolf kamen sofort herbei, um das Fass unter Deck zu bringen.
    „Stellt das abseits von den anderen Fässern auf!“, befahl der Held und missachtete erneut, dass die beiden gar nicht unter seinem Befehl standen, doch Henry war zu weit weg, um ihm einen blöden Spruch an den Kopf zu werfen.
    „Warum?“ wollte Greg wissen, denn nichts geschah auf seinem Schiff, ohne, dass er davon wusste.
    „Da ist nicht bloß Wasser drin, sondern Steifborstige Armleuchteralgen, die ein Alchemist auf der Pirateninsel braucht“, informierte der Held den Kapitän.
    „What?“ fragte der erstaunt.
    „Steifborstige Armleuchteralgen“, sagte der Held erneut, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
    „Willst du mi verarschen?“, fragte Greg und kam dem Helden schlecht gelaunt mit dem Oberkörper entgegen. „Wi bruukt dat Water! Et is noch ene weite Reise bet to de Fischschwanzinseln. Dor köont wi den Platz nich för düsse steifschwänzigen Armleuchteraknen verschwenden.“
    „Steifborstige Armleuchteralgen“, verbesserte der Held. „Und ich geb dir fünfhundert Goldstücke, wenn wir das doch können.“
    „Hm…“, knurrte Greg und sah den Helden mit seinem verbliebenen Auge eindringlich an. „Na goot, abgemacht. Her mit dat Goold!“
    Es dauerte nur einen Moment, bis der Held das fällige Gold aus seiner magischen Hosentasche in die wartenden gierigen Hände des Piratenkapitäns befördert hatte.
    „Na what denn?“, fuhr der Kapitän Garett und Rolf an, die verunsichert aussahen. „Stellt dat Ding abseits vun den annern Fässern unner Deck, damit Samuel nich ausversehen Water mit dem Kroppzeuch an de Crew verteilt!“
    Dem Helden warf Greg noch einen unergründlichen Blick zu und befahl ihm dann: „Un du, ruder torück to de Insel un hol de annern Fässer!“
    Der Held drehte sich um, kletterte eilig zurück ins Beiboot und ruderte zur Insel zurück, wo Alligator Jacks Trupp die anderen Wasserfässer mühsam zum zerklüfteten Ufer hinunterbuckelte.
    Geändert von Eispfötchen (15.05.2023 um 18:53 Uhr)

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    Der erbarmungslose Winter in Nordmar

    Nachdem Meister Altus eine Reihe andachtsvoller Worte gesagt hatte, standen die Feuermagier demütig vor dem riesigen Innosschrein und begleiteten einen der Ihren auf seinem letzten Weg in dieser Welt. Ufiar war bereits während des Orkkrieges in Nordmar Novize gewesen und er hatte kurz vor seiner Prüfung zum Feuermagier gestanden. Er hatte den vier neuen Novizen geholfen, die aus dem Norden Myrtanas gekommen waren, um bei den Feuermagiern ausgebildet zu werden. Auch wenn er nur langsam Fortschritte gemacht hatte, so hatte er doch alle Tugenden gehabt, die ihn zu einem guten Novizen machten. Er war fleißig, folgsam und wissbegierig, stellte das Wohl anderer über sein eigenes und hatte meist zuerst nachgedacht, bevor er eine Frage an die Feuermagier stellte. Daher war er von den ausgebildeten Feuermagiern sehr geschätzt wurden. Vor einigen Tagen war Frithjof vom Feuerclan im Kloster aufgetaucht und hatte darum gebeten, dass einer der Magier ihn zurück begleitete, denn der Jäger Mort hatte sich bei der Jagd ein Bein gebrochen und musste geheilt werden. Eigentlich wäre das eine Aufgabe für einen ausgebildeten Feuermagier gewesen, doch Milten hatte Ufiar diese Aufgabe zugetraut und ihm gestattet sich allein auf den Weg zu machen, wenn er dies wollte. Bis zum Feuerclan war es nicht weit und es gab kaum noch Wölfe oder Säbelzahntiger, die ihm gefährlich werden könnten, weswegen Milten kein Problem darin sah ihn allein loszuschicken. Glücklich, dass jemand ihm den Auftrag zutraute, war Ufiar mit Frithjof mitgegangen, doch er war am Abend nicht zurückgekehrt.
    Im Grunde war das nichts Ungewöhnliches. Besonders während des harschen Winters hielt man sich nur so kurz wie irgend möglich in der beißenden Kälte auf und Milten hatte vermutet, dass der Novize im Feuerclan übernachtete und am nächsten Morgen zurückkehren würde. Doch er kam nicht. Das hatte Milten Sorgen bereitetet und so war er mit den Novizen losgegangen, um ihn zu suchen. Sie fanden ihn unterhalb einer Klippe im Schnee. Beim Aufstieg hinauf zum Kloster, musste er wohl auf dem frisch gefallenen Schnee ausgerutscht und von der Klippe hinuntergerutscht sein. Doch Ufiar war nicht dort gestorben wo er gelandet war. Spuren im Schnee verrieten, dass er noch einige Meter weit gekrochen sein musste, bevor er endgültig starb. Milten und die Novizen brachten seinen Leichnam zurück zum Kloster, wo der Alchemist Innostian und die erfahrenen Feuermagier ihn untersuchten. Offenbar hatte er noch versucht sich zu regenerieren, doch seine magische Kraft war nicht annähernd stark genug gewesen, um die schweren Verletzungen zu heilen. Alle waren bestürzt über den Verlust von Ufiar. Um solche Unfälle zukünftig zu vermeiden hatte Meister Altus allen Feuermagiern und Novizen verboten zukünftig allein das Kloster zu verlassen. Er hatte alle der Reihe nach intensiv angesehen und Milten schien es, als würde sein mahnender Blick besonders lang auf ihm ruhen. War es weil Milten schon öfter allein hinausgegangen war und er fürchtete, dass ihm das gleiche Schicksal ereilen könnte? Oder machte Meister Altus ihn für den Tod von Ufiar verantwortlich?
    Diese Fragen beschäftigten Milten immer noch während er ins knisternde Feuer starrte, das Ufiars Körper vor dem Innosschrein verzehrte.
    War es seine Schuld? Ein dicker Kloß machte es Milten schwer zu schlucken. Er war kein unbedarfter Novize mehr. Nun trug er Verantwortung. Er hatte selbst zahllose Abenteuer überstanden und wusste wie gefährlich die Welt war. Aber lag nicht gerade darin das Problem? Hatte er die Gefahr unterschätzt, weil er selbst schon so viel überlebt hatte? Als er abgewogen hatte, ob Ufiar mit Frithjof gehen könnte, hatte er überlegt was für Gefahren Ufiar drohen könnten. Er hatte an Orks und wilde Tiere gedacht, von denen es aber fast keine mehr in Nordmar gab und deswegen hatte er den Weg für sicher befunden. An so etwas Alltägliches wie auf dem Schnee auszurutschen hatte er gar nicht gedacht. Die Gedanken quälten Milten. Er hätte Asulf mit ihm schicken sollen. Auch wenn er noch nicht lange Feuermagier war, so hätte er Ufiar bei seinem ersten großen Ausflug außerhalb des Klosters einweisen und ihm helfen können. Vermutlich wäre Ufiar dann gar nicht erst von der Klippe gerutscht, weil Asulf auf ihn aufgepasst hätte. Asulf stammte vom Wolfsclan und war mit den harschen Wintern von Nordmar aufgewachsen. Er hätte die Gefahrenzone sicher gesehen. Hätte er ihn doch nur mitgeschickt. Die Schuld brannte in Miltens Körper und er sah zu Meister Altus, dessen ruhiger Blick fest auf dem Holzstoß lag, mit dem Ufiars Körper verbrannte. Nur Feuermagier durften bei dieser Zeremonie anwesend sein, weswegen die Wache Kilian, Innostian und sein Lehrling nicht anwesend waren. Die anderen Magier Dargoth, Aidan und Pyran hielten ebenfalls demutsvoll den Blick auf den Toten gerichtet, während den Novizen ihre Unruhe sehr viel deutlicher anzumerken war. Es waren noch vier. Skarf und Jemkil waren aus Faring, sowie Lini und Tak, die beide aus Silden stammten und dort Sklaven der Orks waren. Wie viele andere Leute waren sie zum Kloster gekommen, um der Hungersnot zu entkommen. Denn das Kloster wurde von den Clans mit Nahrung versorgt, doch auch wenn Altus die kostspieligen Aufnahmeregeln ausgesetzt hatte, so musste jemand der Novize werden wollte dennoch Manaaffin sein. Bewerber, die kein Talent für Magie hatten, versuchten bei Innostian als Alchemist in die Lehre einzugehen, doch der hatte immer noch Tomi, der seit dem Orkkrieg bei ihm in die Lehre ging.
    Nachdem Ufiars Leichnam vollständig verbrannt war und auch vom Holz nur noch Asche übrig war, trat Meister Altus vor, sammelte die Asche auf und schüttete diese in die Feuerschale, die direkt vor dem Schrein brannte. Dann stellte er sich neben die Schale, den anderen zugewandt und beobachtete sie dabei, wie sie sich einer nach dem anderen vor der Schale verbeugten und ein Gebet zu Innos sprachen. Eigentlich sollten die Novizen zuletzt gehen, doch Milten ließ ihnen den Vortritt, denn er wollte noch etwas sagen. Altus linke Augenbraue hob sich, weil es Milten war, der Ufair die letzte Ehre erwies, doch er sagte nichts und wartete geduldig was der junge Feuermagier zu sagen hatte, denn das ihm etwas auf der Seele brannte war ihm deutlich anzusehen. Milten überlegte zuerst Meister Altus anzusprechen, doch dann neigte er den Kopf und sprach zur Innos geweihten Schale.
    „Es tut mir Leid Ufiar. Ich war für dich verantwortlich. Wenn ich umsichtiger gewesen wäre, könntest du noch leben. Ich hätte Asulf mit dir schicken sollen, damit er auf dich aufpasst. Es war dein erster richtiger Auftrag und ich hatte Vertrauen in deine Fähigkeiten. Ich habe die kleinen Gefahren in Nordmar unterschätzt, die solch schreckliche Auswirkungen haben können. Meine Fehleinschätzung hat dir das Leben gekostet. Ich weiß, dass es mir leidtut macht es nicht wieder gut, doch ich lerne aus meinen Fehlern und werde dadurch hoffentlich zu einem besseren Menschen.“
    Milten verbeugte sich tief, richtete sich dann auf und drehte sich herum, um den anderen Feuermagiern zu folgen, die bereits den Weg zurückgegangen waren. Er war erst ein paar Schritte gekommen, da merkte er wie sich eine alte Hand auf seine Schulter legte. Sie drückte kurz zu und Milten sah zu Meister Altus hinüber, der nun neben ihm ging.
    Zunächst sagte keiner von Ihnen ein Wort. Sie passierten Killian, der nach wie vor eisern Wache schob, damit niemand unbefugtes die heilige Stätte betreten konnte, und gingen die Stufen zum Hof hinunter. Normalerweise herrschte hier rege Betriebsamkeit. Wenn die Novizen nicht lernten schlugen sie hier Feuerholz, oder sägten Bretter, um die Gebäude in Ordnung zu halten. Doch aufgrund der Umstände war es still und leer.
    „Ich ahne wie schwer die Schuld auf dir liegt“, begann Meister Altus.
    Seine Stimme war ruhig, wie so oft, doch eine leise Mahnung lag auch darin, als er fortfuhr: „und ich weiß, dass du diese Schuld nicht auf die leichte Schulter nimmst, denn dazu hast du ein zu gut ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Deine Einstellung daraus zu lernen, halte ich für löblich. Auch wenn ich es vorgezogen hätte, wenn du mit mir oder den anderen Feuermagiern gesprochen hättest, bevor du Ufiar losschicktest, so glaube ich nicht, dass du es aus Sorglosigkeit getan hast, sondern vielmehr, weil selbst so viel von dir verlangt wurde, als du noch ein junger Magier warst.“
    Er verstummte für einen Moment und Milten befürchtete eine Rüge. Er schluckte und fragte dann, ob seine Befürchtung sich bewahrheiten würde: „Es wäre gerecht, wenn du mir die Lehrtätigkeit entziehen würdest. Vielleicht hatte Pyrokar Recht und es war wirklich noch viel zu früh. Vielleicht sollte lieber ein erfahrenerer Magier diese Aufgabe übernehmen.“
    Meister Altus sah ihm lange prüfend in die Augen und sagte dann mit seiner alten weichen Stimme: „Vielleicht.“
    Miltens Herz pochte aufgeregt. Seiner Meinung nach wäre es noch eine unzureichende Strafe für seine Nachlässigkeit, doch trotzdem schmerzte es ihn sehr diese lieb gewonnene Arbeit aufzugeben.
    „Doch vielleicht…“, setzte Meister Altus fort. „…könnt ihr zusammen aus dieser Tragödie lernen. Trauer wird besser zusammen bewältigt. Die Novizen kommen gut mit dir zurecht und es wäre auch eine Strafe für sie, wenn sie nicht mehr von dir lernen könnten.“
    Mit diesen Worten wandte sich Meister Altus ab und ging die Treppe zum Hauptgebäude hinauf. Milten blieb noch einige Zeit unschlüssig stehen. Er wusste nicht was er jetzt tun sollte. Trauer, Schuld, aber auch Erleichterung rangen in ihm und besonders für die Erleichterung schämte er sich. Ja, er hatte befürchtet seinen Lehrposten zu verlieren, denn er fühlte, dass ihm das lag und Freude bereitete, doch gleichzeitig fand er es ungerecht und egoistisch, dass er dieses Privileg behalten durfte, obwohl er einen Fehler begangen hatte.
    Schnaufen und Keuchen riss ihn aus seinen Gedanken. Unruhig sah er zum Tor und erblickte dort eine schwächelnde Frau, die von einem sehr besorgten Mann gestützt wurde. Als der Mann Milten erblickte, weiteten sich seine Augen.
    „Wir brauchen schnell Hilfe. Meine Frau Asvi ist krank. Ich fürchte, wenn ihr uns nicht helft wird sie und das Kind sterben.“, sagte er verzweifelt.
    Der Frau und der Mann trugen Nordmarer Lederkluft. Sie war unbewaffnet, doch er trug einen Langbogen über der Schulter und einen Zweihänder in einer Halterung auf dem Rücken. Daneben trug er eine große prall gefüllte Ledertasche.
    Alarmiert lief Milten zur anderen Seite der Frau, um ihr beim Gehen zu helfen.
    „Weißt du, was für eine Krankheit deine Frau hat?“
    „Sie ist erkältet, schon seit zwei Wochen, aber es geht einfach nicht weg. Wir haben schon Zwiebelsalbe, Hagebutten- und Fichtennadeltee versucht, aber es wird einfach nicht besser.“
    Milten überlegte ihre Krankheit sofort mit der alten Magie zu heilen, doch da sie schwanger war, wollte Milten sicher gehen, dass ihr das nicht schadete. Er wusste nicht, ob die Magie das Kind vielleicht beeinflussen könnte und nach seinem letzten Fehler wollte er auf Nummer Sicher gehen.
    „Wir gehen sofort zu Meister Altus.“
    Der kurze Weg zum Hauptgebäude war mühsam, denn Asvi konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
    „Von welchem Clan kommt ihr?“ fragte Milten, um einschätzen zu können wie lange sie unterwegs waren.
    „Vom Wolfsclan. Wir sind dort Jäger.“
    „In ihrem Zustand so einen weiten Weg auf sich zu nehmen ist sehr gefährlich“, sagte Milten.
    „Ich weiß“, knurrte der Mann. „Aber wir hatten keine andere Wahl. Ich fürchtete, es könnte zu spät sein, wenn ich jemanden zu euch schicke und ihr dann erst zu uns kommen müsst.“
    Sie betraten das Hauptgebäude und hatten sofort alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Eine Frau, noch dazu eine schwangere Frau, war ein seltener Gast im Kloster. Sofort fingen die Novizen an zu tuscheln.
    „Meister Altus, diese Frau ist krank und braucht unbedingt schnell Hilfe“, sagte Milten und sofort kam Altus zu ihnen und sagte: „Dann bringt sie bitte hinauf in den Schlafsaal, wo wir uns in Ruhe um sie kümmern können.“
    Milten hatte befürchtet, dass er das sagen würde, denn so mussten sie wieder hinausgehen und an der Mauer des Gebäudes entlang bis zur Treppe wanken.
    „Gleich geschafft“, sprach Milten Asvi Mut zu.
    Er wusste nicht wie geschwächt sie war, deswegen wusste er nicht wie ernst die Lage war. Noch dazu war Asvi deutlich anzusehen, dass sie Schmerzen hatte und jeder Schritt, den sie tat, sie große Anstrengung kostete. Die Treppe hinaufzugehen bedurfte noch einmal besonderen Durchhaltewillen, dann endlich war es geschafft und Milten und Asvis‘ Mann ließen sie behutsam in das Bett zwischen Bücherregal und Kamin gleiten.
    „Geschafft, du bist jetzt in Sicherheit“, sagte der Jäger und strich ihr über die langen blonden Locken.
    „Ronar“, sagte sie mit schwacher Stimme, in der aber viel Liebe lag.
    Sie streckte die Hand aus und fuhr mit ihrer schmalen Hand über das stoppelige kantige Gesicht ihres Mannes und dann durch die kurzen braunen Haare.
    „Danke.“
    Sie ließ ihn los und für einen Moment dachte Milten jetzt würde sie vor Erschöpfung ohnmächtig werden, doch sie schloss nur kurz die Augen und versuchte ihre Atmung zu beruhigen. Es war ihm unangenehm bei diesem recht privaten Moment anwesend zu sein und so griff er Feuerholz aus dem Eimer neben dem Bett, um es in den halbkugelförmigen steinernen Kamin zu legen und das Feuer neu anzufachen. Im gleichen Moment trat Meister Altus ein und sah auf seine Patientin hinunter.
    „Sie ist schon seit zwei Wochen krank. Eine besonders hartnäckige Erkältung“, wiederholte Ronar.
    „Und wie lange ist sie schon schwanger?“ wollte Altus wissen.
    Er warf einen Blick zu ihrem Bauch, doch unter dem Leder war nur eine leichte Wölbung zu sehen.
    „Öhm… also ich weiß nicht so genau“, sagte Ronar, der mit dieser Frage sichtlich überfordert war.
    „Seit fast fünf Monaten“, konnte aber Asvi sagen.
    Milten wusste nicht, ob er bleiben durfte, um zu sehen was der Meister tat, doch er ließ es auf einen Versuch ankommen. Er wollte herausfinden, was in so einer Situation zu tun war. Der alte Magier legte die rechte Hand auf die Stirn von Asvi und stellte fest: „Du hast hohes Fieber.“
    „Deswegen sind wir so schnell wir konnten hergekommen“, sagte Ronar, der langsam aber sicher ungeduldig wurde.
    Milten konnte es ihm nicht verdenken. Natürlich wollte der Mann schnellstmöglich Hilfe für seine Frau.
    „Hat sie einen Heiltrank bekommen?“ fragte Meister Altus und sein Gesicht wirkte angespannt.
    „Nein. Wir hatten keinen mehr. Sie sind uns ausgegangen“, sagte Ronar mit zusammengebissenen Zähnen.
    Altus nickte. Milten bemerkte überrascht, dass sich seine Haltung etwas entspannte.
    „Zunächst versuche ich es mit alter Magie, welche die Krankheit vertreibt. Seid unbesorgt, es schadet dem Kind nicht.“
    Die beiden sahen erleichtert aus, doch Milten glaubte leisen Zweifel auf dem Gesicht von Meister Altus zu sehen. Er blinzelte und der Ausdruck war verschwunden. Hatte er sich das nur eingebildet? Der altehrwürdige Feuermagier stand nun neben dem Bett und hob die rechte Hand, die nun anfing sanft zu glühen, als er die alte Magie wirkte. Sofort zeigte sich Erleichterung auf Asvis Gesicht.
    „Das hat ihr geholfen“, sagte Meister Altus beruhigend. „Doch wir werden ihren Zustand weiter beobachten. Die nächsten Tage sollte sie nirgendwo mehr hingehen, bis sie kräftig genug für die Rückreise ist. Es kommt gleich jemand herauf, der euch eine stärkende Mahlzeit bringt.“
    „Wir haben selbst etwas dabei“, sagte Ronar und zeigte auf seine Ledertasche.
    Er öffnete sie und holte eine Wildschweinkeule und eine verschlossene Schüssel hervor.
    „Bitte, nehmt euch etwas davon. Das ist das mindeste, was ich euch für eure Hilfe anbieten kann“, bat Ronar.
    „Nein, das können wir doch nicht annehmen, wenn deine Frau die Stärkung nötiger hat. Behalte es“, sagte Meister Altus.
    Ronar sah nachdenklich aus, hin und hergerissen zwischen der Fürsorge für seine Frau und der Pflicht den Feuermagiern etwas für ihre Hilfe zu überlassen. Dann nickte er und sagte: „In Ordnung. Wir behalten es. Aber morgen gehe ich auf die Jagd und bringe euch ein Geschenk.“
    „Vielen Dank junger Freund“, sagte Meister Altus und legte seine linke Hand wohlwollend auf die Schulter von Ronar, der immer noch neben seiner Frau kniete.
    Der alte Feuermagier sah zu Milten, ruckte mit dem Kopf Richtung Tür und sagte dann: „Komm Milten, lassen wir die beiden sich von ihrer anstrengenden Reise ausruhen.“
    Milten nickte und sie verließen den Schlafraum. Meister Altus spähte kurz ins Untergeschoss und trug Jemkil auf zwei Eimer mit klarem Wasser nach oben zu bringen, damit sich die beiden müden Reisenden erfrischen konnten, dann zog er sich wieder zurück und hielt auf die Bibliothek zu. Milten blieb stehen, denn er wusste nicht, ob er mit ihm gehen sollte, oder nicht. Offenbar merkte Meister Altus seine Unentschlossenheit, denn er blieb nach einigen Schritten stehen, drehte sich um und fragte: „Hilfst du mir in der Bibliothek Milten?“
    „Natürlich Meister Altus“, sagte der jüngere Feuermagier sofort und folgte seinem Mentor, der an der Türschwelle einen Lichtzauber wirkte.
    Die Bibliothek befand sich in einem Bücherturm, der in den Felsen des Berges hineingebaut war. Sie wirkte dunkel und mysteriös, denn von oben ließ sich kaum alles überschauen. Meister Altus ging durch mehrere Lesezimmer. Nichts ließ mehr darauf schließen, dass hier vor gar nicht allzu langer Zeit ein schwarzer Dämon sein Unwesen getrieben hatte, doch Milten erinnerte sich mit einem Schauer daran. Wieder einmal war er unglaublich froh, dass der Held hier aufgetaucht war und sich dieses Problems angenommen hatte. Milten wartete darauf Fragen zu stellen, bis sie im zweiten Lesezimmer von rechts angekommen waren und Meister Altus ein in leder gebundenes Buch aus dem zweiten Laufenden Meter des dritten Bücherregals entnommen und auf den Lesetisch abgelegt hatte.
    „Was ist das für ein Buch?“ fragte Milten nun.
    Ohne zu ihm zu sehen, setzte Altus sich und schlug das Buch auf.
    „Lies selbst!“ forderte Altus ihn auf und zeigte auf den Titel.
    „Der Einfluss von Magie auf die frühkindliche Entwicklung.“
    Milten runzelte die Augenbrauen und dachte einen Moment nach, bevor er sagte: „Hat die alte Magie vielleicht doch einen schädlichen Einfluss auf das Kind?“
    Meister Altus seufzte und blätterte nur wenige Seiten um, denn mehr als vier Seiten waren im Buch noch nicht beschrieben.
    „Ich weiß es nicht“, sagte er endlich. „Leider haben wir in unserer Bibliothek keine Aufzeichnungen zu dem Thema. Ich habe erst vor fünf Jahren angefangen meine Beobachtungen dazu aufzuzeichnen und bisher habe ich noch nicht viel herausfinden können.“
    „Aber warum gibt es kaum Aufzeichnungen?“ wunderte sich Milten.
    „Tja…“, fing Meister Altus an und ließ das Wort einen Moment in der, von den alten staubigen Büchern, muffigen Bibliotheksluft hängen. „Offenbar hat sich hier bisher noch kein Magier damit beschäftigt. Leider interessieren sich nicht viele Feuermagier für das Wunder der Geburt.“
    „Was ist mit der Bibliothek auf Khorinis? Sicher weiß Talamon, ob bei Ihnen ein Buch zum Thema im Bestand ist.“
    „Laut dem Brief, den er mir zurückgeschrieben hat, haben auch sie kein Buch dazu in ihrer Bibliothek. Er beauftragte Isgaroth und Daron damit bei Gelegenheit Beobachtungen zum Thema schriftlich festzuhalten.“
    „Was ist mit den Wassermagiern? Ich könnte mir vorstellen, dass Vatras mit vielen Bürgern in Khorinis gesprochen hat. Vielleicht weiß er etwas und kann dir etwas mitteilen“, schlug Milten vor.
    Meister Altus sann über diese Möglichkeit einen Moment nach und sagte dann: „Vermutlich schadet es nicht ihn danach zu fragen.“
    Er verstummte einen Moment und sah Milten dann lange an, der nicht wusste ob der ältere Magier ihn musterte, oder nur Gedanken versunken stierte. Er setzte schon zu einer Frage an, als Altus sagte: „Vermutlich hast du aufgrund deiner vielen Abenteuer ein besonderes Bündnis zu den Wassermagiern aufgebaut. Wie du sagtest haben sie dir geholfen, indem sie dir bei sich Zuflucht gewährten, als die Feuermagier von Gomez und seinen Schergen im alten Lager ermordet wurden.“
    „Naja … leider habe ich es ihnen schlecht gedankt, weil ich die magische Kraft ihres Erzhaufens in Uriziel geleitet habe.“
    „Ich erinnere mich. Sie sind immer noch nicht gut auf dich zu sprechen, nicht wahr?“
    Milten schüttelte den Kopf. Altus gab ein zustimmendes Brummen von sich.
    „Ich weiß, du hältst viel von den Wassermagiern. Tatsächlich bin auch ich von ihrem Altruismus beeindruckt, denn ich denke, auch wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen, damit die Bevölkerung von Myrtana und Nordmar uns uneingeschränkt vertraut und weiß, dass sie sich auf uns verlassen können. Doch…“
    Altus verstummte und suchte offenbar nach Worten. Das überraschte Milten, denn normalerweise kam es ihm so vor, als wüsste der alte Mann immer die richtigen Worte für jede Situation.
    „Es gibt Gründe warum wir verschiedenen Orden angehören. Zeit deiner Karriere kennst du die Wassermagier als unsere Verbündeten, doch das muss nicht für immer so bleiben. Die Wassermagier und die Druiden stehen für das Gleichgewicht. Während der letzten Jahrzente arbeiteten wir oft mit den Wassermagiern zusammen, da die Mächte Beliars sehr stark waren und die Wassermagier ihre Kraft in die Waagschale legten, um einen Ausgleich zu schaffen. Nun da die Orks weg sind könnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich diese Verbundenheit lockert.“
    Miltens Stirn furchte sich.
    „Glaubst du etwa, dass sie sich gegen uns stellen könnten?“
    „Nein, dafür müsste sehr viel passieren, aber es könnte sein, dass sie uns nicht mehr so leicht unterstützen wollen, wie sie es bisher getan haben. Im Moment haben sie viele Probleme, um die sie sich kümmern müssen. Die Nomaden sind nicht mehr so zahlreich wie früher und auch wenn sie in Varant einen Teilsieg errungen haben, so sind sie doch nach wie vor gefährdet von den Assassinen getötet zu werden. Sie werden versuchen ihr Volk zu beschützen und ihnen helfen zu alter Stärke zurückzufinden.“
    „Ich sehe daran nichts schlechtes“, warf Milten ein.
    „Ich habe nicht gesagt, dass die Wassermagier etwas Schlechtes vorhaben. Nein, sie haben aber nun andere Interessen und sollten diese mit unseren Interessen kollidieren, so bezweifle ich, dass sie nach wie vor so selbstlos handeln werden.“
    „Ich finde, wir sollten uns gegenseitig unterstützen“, sagte Milten entschieden.
    Wieder sah Altus Milten lange an, bevor er sagte: „Ich finde deine Einstellung sehr löblich. Ich möchte ebenfalls, dass wir uns auch zukünftig unterstützen. Bitte bedenke aber, dass sie jedes Wissen, das wir ihnen geben irgendwann einmal auch gegen uns einsetzen könnten, wenn sie meinen, dass dies ihren Zielen dient.“
    Milten verzog enttäuscht das Gesicht. Meister Altus Mistrauen erschütterte sein Vertrauen in den alten Feuermagier.
    „Also glaubst du nicht, dass Vatras uns wegen deinem Studienthema helfen würde?“
    „Doch, ich denke schon, dass er das tun wird“, sagte Meister Altus und nahm nun Federkiel und Tinte zur Hand, um seine Gedanken in das Buch zu schreiben.
    Er ließ sich viel Zeit damit und schrieb möglichst ordentlich und sauber, damit seine Schrift auch noch in vielen Jahren gelesen und sein Text eines Tages vielleicht abgeschrieben werden könnte. Um seine Konzentration nicht zu stören, verkniff sich Milten seine Fragen vorerst und dachte nach. Wenn Altus glaubte, dass Vatras ihm helfen könnte, wozu hatte er ihm dann seine Zweifel bezüglich der Wassermagier mitgeteilt? Wusste Altus etwas, das er nicht wusste? Glaubte er wirklich, dass die Wassermagier sie irgendwann nicht mehr unterstützen würden, sich vielleicht sogar gegen sie stellen würden? Dieser Gedanken beunruhigten Milten und er zwang sich an etwas anderes zu denken. Worum ging es nun eigentlich bei diesen Studien, die Meister Altus betrieb? Er blickte dem alten Magier über die Schulter und las, dass der ältere Feuermagier das heutige Datum aufgeschrieben hatte, sowie Namen und Herkunft der Patientin und den alten Zauber, mit dem er ihr geholfen hatte. Erst als Altus die Feder beiseitelegte, gestattete sich Milten zu fragen: „Was glaubst du passiert mit dem Kind von Asvi?“
    „Ich hoffe nichts schlechtes“, sagte Altus und Milten kam es vor, als sinke der alte Feuermagier ein Stück weit in sich zusammen. „Doch ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Fest steht, dass magische Tränke aller Art den Kindern im Leib der Mutter schaden können. Es wurde über Fehlbildungen und Totgeburten berichtet. Ich habe einen Befund von dem Alchemisten Ignaz aus Khorinis gelesen, der einen Fötus obduziert hat. Er schrieb, dass er wahrscheinlich aufgrund des Alkohols, der in magischen Tränken enthalten ist, starb, doch es ist nicht sicher, ob dies der alleinige Grund ist. Auch ist unklar wie viel Alkohol zum Tod des Kindes führt und ob magische Tränke schädlicher sind, als normaler Alkohol. Leider ist Ignaz nicht gut angesehen und daher erregen seine Aufzeichnungen kaum Aufmerksamkeit. Wer weiß wie viele Kinder bereits starben, weil ihre Mütter unwissend magische Tränke während der Schwangerschaft zu sich nahmen. Welche Mutter würde vermuten, ihrem Kind zu schaden, weil sie einen Heiltrank trinkt?“
    Altus seufzte.
    „Deswegen hast du gefragt, ob Asvi einen Heiltrank getrunken hat?“ fragte Milten.
    Altus nickte.
    „Aber dann sollten wir ihr sagen, dass sie auch zukünftig keinen trinken darf“, sagte Milten alarmiert.
    Wieder richtete Altus seine Augen auf Milten und diesmal sahen sie sehr traurig aus.
    „Milten. Hör mir gut zu. Wir dürfen es uns nicht einfach machen Ratschläge zu erteilen, wenn wir nicht sicher wissen, ob wir damit unnötig Leid verursachen. Wir können noch nicht mit Bestimmtheit sagen, wie schädlich magische Tränke wirklich sind. Vielleicht braucht es viele magische Tränke, bis das Kind wirklich geschädigt wird. Und wenn die Mutter verletzt oder krank ist und keinen Zugang zur magischen Heilung hat, soll sie sich dann selbst gefährden?“
    „Aber das wäre dann ihre Entscheidung. Wir können Asvi ja sagen, dass wir es nicht sicher wissen.“
    Wieder seufzte Altus schwer. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er es sich nicht leicht machte und wollte, dass Milten seinen Standpunkt verstand.
    „Ich kann Mütter nur schwer einschätzen und es hängt auch maßgeblich von der Situation ab. Wie schwer ist eine Frau verletzt oder erkrankt und wie schätzt sie selbst die Lage ein? Was ist, wenn sie die Lage falsch einschätzt? Manche würden ihr Leben wohl über das ihres Kindes stellen, doch andere würden vielleicht das Risiko eingehen zu leiden, wenn es bedeutet, dass ihr Kind sicher ist.“
    „Trotzdem sollte das die Entscheidung der Mutter sein“, fand Milten.
    „Und was ist, wenn wir ihr sagen, dass magische Tränken ihr Kind gefährden könnten, sie dann keine mehr nimmt und deswegen stirbt? Wir müssten uns den Schuldzuweisungen ihres Mannes stellen, der sicher darauf beharren würde, dass sie noch leben könnte, hätte sie einen Heiltrank genommen und wir ja nicht sicher wüssten, wie gefährlich solche magischen Tränke für das Kind wirklich sind. Verstehst du? So lange wir es nicht sicher wissen ist es schwer eine eindeutige Entscheidung zu fällen. Deswegen führe ich doch diese Studien durch.“
    Milten ließ es für den Augenblick dabei bewenden und fragte: „Was ist mit der Magie? Du wirktest vorhin unsicher, ob die alte Magie dem Kind schaden könnte.“
    „Wirkte es so?“ fragte Altus beunruhigt. „Ich hoffe, ich habe den beiden keine Angst gemacht. Ich hoffe, dass ich dem Kind nicht geschadet habe. Da die alte Magie lange nicht mehr benutzt wurde, wissen wir leider noch viel zu wenig über sie. Asvi ist die einzige schwangere Frau, bei der ich überhaupt alte Magie angewendet habe. Die anderen…“
    Er zeigte auf die bisher beschriebenen Seiten. „habe ich allesamt mit Runenmagie geheilt. Und bei denen gab es kein Anzeichen für eine Schädigung.“
    „Aber warum hast du dann nicht auch heute Runenmagie angewendet, wenn du dir sicher bist, dass das dem Kind nicht schadet?“ fragte Milten und er konnte eine gewisse Gereiztheit nicht aus seiner Stimme verbannen, da es ihm nicht behagte, dass der alte Feuermagier das ungeborene Kind vielleicht in Gefahr gebracht haben könnte.
    Es gab so wenige Kinder in Myrtana, dass jedes einzelne entscheidend für das weitere Schicksal von Myrtana sein könnte.
    „Irgendeine schwangere Frau musste die erste sein, an der ich die alte Magie ausprobiere.“
    Milten fand, dass sich das ungewohnt hartherzig für Meister Altus anhörte. Stellte Altus seine Studien womöglich über das Wohl seiner Patienten?
    Milten schluckte. Er könnte ihn fragen, doch schon allein der Gedanke kam ihm zu unerhört vor, als dass er ihn auch noch aussprechen könnte.
    „Ich sehe es dir an, meine Worte erschrecken dich, doch glaube mir, ich hätte es nicht getan, wenn ich das Kind wirklich in Gefahr sehen würde. Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Innos diese Magie an uns weitergeben würde, wenn sie irgendwem irgendwann schaden könnte. Ich habe vertrauen in Innos und das solltest du auch haben.“
    Milten atmete einmal tief ein uns aus, um die Anspannung loszuwerden und sich zu beruhigen.
    „Und bei der Runenmagie haben sich alle Bedenken bisher als unbegründet herausgestellt. Sowohl die Mütter, als auch die Kinder sind wohlauf und bei der Mehrzahl von Ihnen hatte ich von ihren Familien gehört, dass sich ein gewisses Talent für Magie zeigte. Es könnte also sein, dass sich die Magie möglicherweise sogar positiv auf die frühkindliche Entwicklung auswirkt. Da es aber auch Zufall sein könnte, ist es noch zu früh, um das eindeutig sagen zu können.“
    In Miltens Gedächtnis regte sich eine Erinnerung und er sagte: „Ich stelle mir vor, dass Kinder, die magisch begabt sind, auch Manaaffine Eltern haben.“
    Altus legte den Kopf schief.
    „Ja, der Zusammenhang ist mir auch aufgefallen. Doch es gibt nicht allzu viele begabte Magier außerhalb der Orden. Magisch begabte Menschen zieht es früher oder später in einen der magischen Orden und es ist äußerst selten, dass Magier eine Familie gründen.“
    „Warum eigentlich?“ platzte Milten dazwischen.
    Meister Altus seufzte, wohl, weil er unterbrochen wurde, doch als er antwortete, war seine Stimme noch genauso freundlich wie zuvor: „Mit einer Familie kann sich ein Magier nur schwer den vielen Aufgaben seines Ordens widmen. Außerdem sind die Klöster Orte der Spiritualität, der Studien und der Ruhe. Das Geschrei von Kindern würde das stören.“
    Milten dachte einen Moment nach und offenbar glaubte Altus zu erraten, wohin seine Gedanken führten, denn er setzte hinzu: „Und wir könnten es nicht verantworten, wenn der Magier von seiner Familie getrennt leben müsste.“
    Für einen Moment schwieg Milten und Altus glaubte schon seinen Ideen einen Riegel vorgeschoben zu haben, da sagte der jüngere Magier: „Und warum gibt es eigentlich keine Magierinnen?“
    Altus atmete hörbar ein, dann hustete er und sagte mit krächzender Stimme: „Magierinnen? Nun … hm… es entspricht nicht … unseren Traditionen.“
    „Hm…“, machte Milten und er machte keinen Hehl draus, dass er das für ein äußerst schwaches Argument hielt.
    „Außerdem wären die anderen Magier sicher abgelenkt von ihrer Anwesenheit…“, setzte Altus hinzu.
    Milten verdrehte die Augen. Auch das hielt er nicht für ein ausschlagekräftiges Argument und sagte dann: „Vielleicht haben es sich die Orden früher leisten können nur unter gewissen Menschen auszuwählen, doch Myrtana befindet sich in einer denkbar schlechten Lage. Wir können es uns wirklich nicht leisten, möglicherweise magisch begabte Personen auszuschließen, nur weil sie zufällig Frauen sind.“
    Altus sah etwas gequält aus, als er Milten antwortete: „Deine Offenheit ehrt dich Milten, aber hast du nicht bemerkt, dass es ohnehin wenig Frauen in Myrtana gibt? Es wäre ein großer Zufall, wenn die Frauen, die es noch gibt, zufällig auch noch magisch begabt sind.“
    Milten rieb sich übers Kind und dachte nach. Altus tat ein paar flache Atemzüge.
    „Ja, aber wenn zufällig doch eine vor unserem Kloster auftauchen sollte, die magisch begabt ist, sollten wir ihr nicht die Klostertür vor der Nase zuschlagen.“
    „Das ist dir offenbar sehr wichtig Milten. Bei unserer nächsten Versammlung werde ich es ansprechen und dann werden wir alle zusammen darüber abstimmen.“
    Es hörte sich so an, als würde Altus das Thema schnell hinter sich bringen wollen.
    „Hm…“, machte Milten, denn er glaubte nicht, dass die Mehrheit dafür stimmen würde.
    Asvi durfte immerhin ins Kloster rein. Ein Umstand, der wahrscheinlich positiv gewertet werden musste, da Frauen in Khorinis das Kloster nicht ohne besondere Genehmigung betreten durften. Milten fragte sich nach dem Grund. Fühlten sich die Magier gestört? Wollten sie ihre Macht nicht teilen?
    „Ich habe mir überlegt“, fing Milten an und er überhörte nicht, dass Altus einen Seufzer nicht unterdrücken konnte. „wenn es in jedem Ort in Nordmar und Myrtana einen Feuermagier geben würde, dann könnten wir den Menschen viel schneller helfen. Asvi hätte sich zum Beispiel nicht erst hierher quälen müssen, wenn es im Wolfclan auch einen Feuermagier geben würde und Ufiar würde noch leben, wenn er nicht zum Feuerclan hätte gehen müssen.“
    Altus klang erleichtert, als er sagte: „Ja, darüber habe ich auch schon nach gedacht. Es ist nur leider so, dass wir im Moment stark unterbesetzt sind. Deswegen ist deine Arbeit auch von unschätzbarem Wert. Mit jedem weiteren Feuermagier, den wir ausbilden, kommen wir dem Ziel näher den Menschen in Nordmar und Myrtana langfristig helfen zu können.“
    Es war kurz still. Milten sann nach.
    „Wenn man Nordmar und Myrtana zusammennimmt, gibt es da zwölf Ortschaften, zusammen mit den ehemaligen Rebellenlagern fünfzehn, aber da dort im Moment kaum jemand lebt, würde ich die zunächst außen vor lassen…“, fing Milten an, doch Altus unterbrach ihn: „Ich kann mir schon denken was du gleich sagen willst. Teilen wir uns doch auf und setzen in jeden Ort einen Feuermagier ein, doch ich habe es bereits gesagt, wir sind noch zu wenige.“
    „Aber wenn wir mal überlegen“, ließ Milten nicht locker. „Asulf kommt vom Wolfsclan, also kennt er sich dort aus und vielleicht wäre er glücklich dorthin zurückzukehren. Bei Pyran habe ich das Gefühl, dass er sich beweisen will, also könnte es für ihn die Chance sein in einen Clan, oder eine Ortschaft in Myrtana zu gehen und Aidan wäre sicher nicht mehr so mies gelaunt, wenn er sich gebraucht fühlen würde.“
    „Dann wären wir hier aber nur noch zu dritt und was ist, wenn du wieder für ein paar Wochen verschwindest? Sollen Dargoth und ich uns dann allein um die Novizen und all die Angelegenheiten im Kloster kümmern? Das ist alles viel mehr Arbeit, als du dir das vielleicht vorstellst“, unterbrach Altus ihn. „Und Pyrokar wäre sicher nicht glücklich, wenn er hört, dass er weitere Magier zur Unterstützung zum Festland schicken sollte.“
    Milten grollte.
    „Meiner Meinung nach wird viel Potential im Khoriner Kloster verschwendet.“
    „Milten! Ich verbitte mir, dass du so redest“, schimpfte Altus und der junge Magier hatte ihn selten so streng erlebt. „Unsere Brüder in Khorinis widmen sich wichtigen Studien. Sie helfen den Leuten auf ihre Weise. Aufgrund der äußeren Umstände sind wir nicht dazu imstande hier Wein zu keltern, Schafe zu halten, oder seltene Kräuter anzubauen. Wir sind ganz vom wohlwollen der Clans abhängig, die uns mit allem versorgen, das wir zum Überleben brauchen, doch in Khorinis sind die Magier für einen Teil ihrer Nahrung selbst verantwortlich.“
    Milten zuckte kurz zusammen, doch ließ sich nicht lange abhalten, seinen Standpunkt zu vertreten: „Das meiste davon erledigen doch aber die Novizen. Sicher sind auch die Studien wichtig, aber sind diese Studien das Leben von Menschenleben wert? Die Lage könnte nicht ernster sein. Wir müssen um das Leben jedes einzelnen Menschen in Nordmar und Myrtana hart kämpfen.“
    „Milten, ich verstehe, dass du frustriert und aufgebracht bist“, sagte Altus und seine Stimme war nun wieder voller Milde, da er wohl verstand, warum der junge Magier so reagierte. „Aber du siehst doch gerade selbst wie wichtig Studien sind, oder?“
    Er tippte auf das Buch, in das er gerade noch geschrieben hatte: „Wissen ist Macht. Wissen rettet Leben. Wenn wir herausfinden warum die Kinder sterben, dann helfen wir allen Menschen in Nordmar, Myrtana, Khorinis und vielleicht sogar in Varant. Und nur weil du nicht weißt was für Studien unsere Brüder in Khorinis verfolgen, so sind sie doch nicht gleich unwichtig.“
    Milten ließ den Kopf hängen, denn er sah seinen Fehler ein.
    „Es tut mir Leid, dass ich so überreagiert habe, Meister Altus. Mir hätte meine Beherrschung nicht entgleiten dürfen.“
    Meister Altus stand auf und legte Milten beschwichtigend eine Hand auf die linke Schulter: „Ist schon gut, junger Freund. Das ist das Feuer der Jugend. Ich würde es auch gerne sehen, wenn es in jeder Ortschaft einen Feuermagier geben würde. Ich werde einen Brief an Pyrokar senden. Vielleicht kann er ja doch einen Magier erübrigen. Sebastian ist mit der Weiterführung der Chronik beschäftigt, aber vielleicht erklären sich Rakus, Treslott und Marius dazu bereit künftig in den Ortschaften Dienst zu tun.“
    Er seufzte.
    „Aber es wird nicht leicht sie zu überzeugen. Nach allem was ich gehört habe, ist die Hungersnot in Myrtana noch viel schlimmer als hier oben in Nordmar. In Vengard soll die Nahrungsmittelversorgung noch am besten sein, daher wird es nicht leicht sie dazu zu überreden von dort weg zu gehen.“
    Altus legte Buch, Federkiel und Tintenfass wieder zurück an ihren ursprünglichen Platz und ging dann zur Tür. Milten folgte ihm auf dem Weg die Stufen hinauf und sagte: „Weißt du was ich mir überlegt habe? Wenn die Magier in den Ortschaften Familien gründen wollen, dann würde das die Magier in den Klöstern nicht bei ihrer Arbeit beeinträchtigen. In den Städten und Dörfern sind die Menschen eher an Kinder gewöhnt. Wir könnten dann sehen, ob die Kinder von Magiern eher magisch begabt sind.“
    Altus lächelte in sich hinein und schüttelte belustigt den Kopf.
    „Das hast du dir also überlegt, aha.“
    Er gluckste und sagte dann wieder: „Das Feuer der Jugend. Ach ich wünschte, ich wäre auch noch einmal jung.“
    Geändert von Eispfötchen (08.06.2023 um 06:25 Uhr)

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    Ärger ums Jagdrecht

    Nachdem die beiden Feuermagier die Bibliothek verlassen hatten, ging Altus wieder ins Hauptgebäude. Milten stutzte, denn er sah jemanden den Weg zum Hauptgebäude herauf kommen. Ungläubig blinzelte er und sah noch einmal genauer hin. Ganz klar, ohne Zweifel. Auch wenn er sichtlich an Muskelmasse eingebüßt hatte, es war Gorn, der sich da in der Nordmarer Eiseskälte auf den langen Weg zu ihm begeben hatte. Immernoch war Gorn eine beeindruckende Erscheinung, doch seine Rüstung klapperte bei jedem Schritt, obwohl die hervorstehenden Riemen zeigten, dass er sie bereits an seine schmalere Gestalt angepasst hatte.
    „He, alter Freund“, sagte Gorn fröhlich mit seiner tiefen brummigen Stimme.
    „Gorn, was machst denn du hier?“ fragte Milten erstaunt.
    „Auch schön dich zu sehen“, sagte Gorn mit einem leichten Anflug von Ärger. „Warum guckst du so erschrocken? Ich dachte du freust dich, wenn dein alter Freund sich die Zehen fast abfriert, nur um dich mal wieder zu sehen.“
    Milten lächelte ihn an und sagte dann: „Natürlich freu ich mich. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du hier auftauchst, eben weil man sich die Zehen abfriert bei dem Versuch hierherzukommen.“
    Gorn gab ein verstimmtes Grunzen von sich und sagte dann: „Ist bei diesem Scheißwetter auch kein Wunder. Hätte nicht gedacht, dass es überhaupt so kalt werden kann. Als ich vorhin in den Wald gepisst habe, dachte ich fast meine Pisse friert noch im Flug ein. Hätte mir fast die Eier abgefroren. Wo gibt es denn hier das nächste Feuer?“
    Milten deutete auf das Hauptgebäude, indem das Leben im Kloster stattfand.
    „Ist das Glas?“ fragte Gorn verwundert und zeigte auf die Butzenglasfenster.
    „Ja, es hält die Wärme drinnen. So offen wie im Süden können wir die Häuser hier wegen der eisigen Kälte natürlich nicht lassen“, sagte Milten und warf Gorn ein verschmitztes Grinsen zu.
    Sie gingen ins Gebäude und stellten sich an den Kamin, wo sich auch schon die anderen Feuermagier und Novizen aufwärmten.
    „Du bist Gorn, richtig?“ fragte Meister Altus und musterte den Krieger eingehend. „Was führt dich zu uns ins Kloster? Gibt es Neuigkeiten? Ist der Befreier zurück?“
    „Nein, leider nicht“, sagte Gorn und es war ihm deutlich anzusehen, dass er gerne erfreulichere Nachrichten überbringen würde. „Ich bin hier weil ich meine Truppe suche. Wegen … einer kleinen Meinungsverschiedenheit hat Lord Hagen mich und den Ritter Roland damit beauftragt die Stimmzettel für die Wintersonnenwendwahl einzusammeln und da diese Aufgabe erledigt ist, bin ich auf der Suche nach meinen Leuten. Ich kam von Silden hierher, weil mir Anog sagte, dass ich sie vermutlich hier finden würde.“
    „Hier im Kloster?“ fragte der Novize Skarf verdutzt und Jemkil neben ihm verdrehte genervt die Augen, bevor er höhnte: „Ja, natürlich du Golemhirn, die Krieger fallen hier gleich zur wöchentlichen Lesestunde ein. Er meinte damit natürlich, dass sie sich hier irgendwo in Nordmar herumtreiben.“
    „Was wollen sie denn hier?“ fragte nun Asulf.
    Er sah misstrauisch aus.
    „Ich vermute sie wollen Jagen gehen“, sagte Gorn düster.
    Asulf schnaubte.
    „Wenn ich mich recht erinnere haben die Clanchefs mit Lee eine Vereinbarung geschlossen. Niemand darf aus Myrtana hierherkommen und jagen. Niemand!“ sagte Asulf schneidend.
    „Ich weiß, ich weiß“, sagte Gorn genervt. „Deswegen bin ich ja hier. Ich will meine Jungs von einer Dummheit abhalten.“
    „Du meinst, du willst einen neuen Krieg verhindern“, schnarrte Asulf.
    Obwohl er noch recht jung war, wich er vor dem erfahrenen Krieger nicht zurück. Milten befürchtete, es könnte sich eine ernsthafte Auseinandersetzung anbahnen. Altus war wohl der gleichen Ansicht, denn er hob beschwichtigend die Arme und sagte: „Beruhigt euch. Gorn ist hier, um zu helfen. Wenn wir seine Leute finden, dann kann er doch sicher mit ihnen reden.“
    Gorn brummte und nickte dann.
    „Ich schlage vor, wir setzen uns erstmal und bereden alles in Ruhe bei einer Mahlzeit“, sagte Altus und wies auf den Tisch.
    Jemkil deckte ihn rasch, während Lini und Tak eine Suppe aufköchelten und Bisonfleisch durchbrieten. Gorn war sehr dankbar, dass auch er ein großes Stück Fleisch abbekam, auch wenn Asulf und Aidan ihn mit kritischen Blicken bedachten. Unbehaglich dachte Milten darüber nach, dass auch hier eifersüchtig über jeden Krumen gewacht wurde. Da Gorn weder hier lebte, noch ein bedürftiger Patient war, sahen manche seiner Kollegen wohl nicht ein, ihm wirklich einen Anteil ihrer Vorräte zu gewähren, doch sie wagten nicht sich gegen die Einladung von Meister Altus zu stellen und Milten war froh darum. Anders als Ronar durfte Gorn nicht einfach losziehen und ein Tier jagen, um seinen Teil beizutragen. Milten fand das unfair, doch er verstand auch, warum es diese Vereinbarung zwischen Lee und den Clanchefs gab. Trotz der tödlichen Kälte würden einige Glücksritter aus Myrtana nach Nordmar kommen, um hier zu jagen, um dem drohenden Hungertod zu entgehen und so wie es aussah, waren Gorns Leute selbst trotz des Verbots gekommen.
    „Wie sind deine Leute überhaupt hierhergekommen? Von Faring aus?“ fragte nun Dargoth.
    „Nein. Der Pass in Faring wird von den Paladinen bewacht und die hätten meine Jungs nicht durchgelassen. Nein, ich schätze, sie sind von Silden gekommen, so wie ich und haben sich einen Weg durch die Berge geschlagen.“
    Die Feuermagier und Novizen sahen Gorn skeptisch an.
    „Du bist über die Berge gewandert?“ fragte Dargoth und seine Stimme klang wegen seiner Verwunderung unnatürlich hoch.
    Gorn runzelte die Stirn und sagte dann brüsk: „Siehst du doch.“
    „Warum hast du nicht den Pass in der Nähe von Okara und Gotha genommen, oder wird der auch von den Paladinen bewacht?“ fragte Dargoth nun.
    Gorn sah ihn an und dachte über etwas nach, dann sagte er barsch: „Anog hat mir gesagt ich soll von Silden aus nach Nordmar gehen und das habe ich auch gemacht. Er sagte der Pass von Silden und nicht der Pass zwischen Okara und Gotha.“
    Aidan gluckste, doch ein Blick von Gorn ließ ihn rasch verstummen. Im Versuch seine Anwandlung von Heiterkeit zu vertuschen beeilte er sich zu sagen: „Wenn deine Leute den Pass von …, also den versteckten Pass genommen haben, dann sind sie viel weiter südöstlich in Nordmar angekommen als du.“
    „Dann weiß der Wolfsclan vielleicht wo sie sind“, überlegte Asulf. „Denn sie sind bestimmt an ihnen vorbei gekommen.“
    „Vielleicht, aber vielleicht auch nicht, denn wenn sich dieser andere Pass wirklich in der Nähe von Okara und Gotha befindet, kennen die Paladine ihn vermutlich. Außerdem kennen sich meine Leute hier nicht aus. Gut möglich, dass sie sich verirrt haben“, entgegnete Gorn.
    „Ja, vielleicht“, stimmte Milten zu. „Wer hier fremd ist, kann sich schnell in den Schluchten und Tälern verlaufen.“
    Wieder schnaubte Asulf abschätzig.
    „Ja, wer die Orientierung einer Bockwurst hat, der verirrt sich hier vermutlich.“
    Gorn warf ihm einen drohenden Blick zu, dann schnappte er sich ein Stück Bisonfleisch von dem Teller, den Tak gerade erst auf den Tisch gestellt hatte. Gorn hätte wohl gar keinen eigenen Teller gebraucht, denn er aß das Fleisch wie es in Myrtana und Nordmar üblich war mit bloßen Händen. Die Magier bevorzugten es ihr Fleisch kleinzuschneiden und erst dann zu essen. Da es nicht genügend Fleischstücke für alle gab, begnügten sich Milten und die Novizen mit der Fleischsuppe.
    „Sie könnten genauso gut in der Nähe des Hammerclans sein“, sagte Pyran nachdenklich und fuhr sich über den kahlgeschorenen Kopf.
    „Wenn’s sein muss durchsuche ich ganz Nordmar“, grollte Gorn.
    Altus warf Milten einen intensiven Blick zu, doch der junge Feuermagier hob nur eine Augenbraue, da er nicht verstand, was der alte Mann ihm sagen wollte. Meister Altus seufzte und sagte dann: „Wenn du noch ein paar Tage wartest Gorn, dann könnten Asvi und Ronar dich auf deinem Weg begleiten. Sie sind Jäger vom Wolfsclan und kennen sich hier aus. Es wäre klug zu dritt zu gehen.“
    „So lange kann ich nicht warten“, schmetterte Gorn diesen Vorschlag ab. „Wenn meine Jungs wirklich zum Jagen hierhergekommen sind, dann sind sie vielleicht schon mit den Nordmarern aneinandergeraten. Falls nicht, hab ich aber auch keine Zeit zu vertrödeln, vielleicht kann ich eine Auseinandersetzung noch verhindern.“
    „Ich kann Gorn begleiten“, sagte Milten sofort, weil er seinem Freund helfen wollte, aber auch, weil er eine Auseinandersetzung zwischen Myrtanern und Nordmarern verhindern wollte.
    Aidan, Dargoth und Altus stöhnten kollektiv.
    „Wirklich? Du haust schon wieder ab?“ fragte Aidan brüsk.
    „Gorn kennt sich hier nicht aus. Er könnte sich verlaufen“, erklärte Milten.
    „Aber du wirst hier gebraucht“, entgegnete Aidan missbilligend, der es wohl satt hatte während Miltens Alleingängen seine Arbeit zu übernehmen. „Außerdem hat Meister Altus uns doch gerade erst heute eingeschärft nicht mehr allein durch die Wildnis zu laufen.“
    „Aber ich wär doch nicht allein. Wir gehen doch zu zweit“, hielt Milten dagegen, der gar nicht so recht verstand, warum die anderen sich aufregten.
    „Und was soll Gorn tun, wenn du verletzt wirst?“ fragte Aidan herausfordernd. „Ich meine… außer laut herumzufluchen? Oder wissen wir vielleicht nur nicht von einer versteckten magischen Begabung?“
    Gorn runzelte die Stirn und warf Milten dann einen fragenden Blick zu. Ganz offensichtlich wusste er nicht was all diese Aufregung sollte.
    „Ich gebe ihm einen Heiltrank, damit er mir notfalls helfen kann. Einverstanden? Ich werde ja nur höchstens zwei Tage weg sein“, versuchte Milten Aidan milde zu stimmen.
    „Komisch, das hast du letztes Mal auch gesagt und du warst so lange verschwunden, dass wir glaubten, dich nie wieder zu sehen“, sagte Aidan grantig.
    Er seufzte genervt. Auch Dargoth sah nicht erfreut aus.
    „Was ist wenn du bei der Auseinandersetzung verletzt wirst oder gar stirbst? In diesen Zeiten brauchen wir jeden einzelnen Feuermagier.“
    „Aber es ist doch unsere Aufgabe den Leuten zu helfen und für Ordnung zu sorgen“, hielt Milten stur dagegen. „Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn es wirklich zum Schlimmsten kommt und ich nichts dagegen unternommen hätte.“
    „Milten hat Recht“, meldete sich nun endlich auch Meister Altus zu Wort. „Es ist unsere Aufgabe den Leuten zu helfen, also auch im Fall eines Streits zu vermitteln, deswegen erlaube ich dir mit Gorn zu gehen. Versuche eine Vereinbarung zwischen Gorns Leuten und den Clanchefs zu schaffen.“
    Die anderen Feuermagier und sogar die Novizen blickten Meister Altus verwundert an. Offenbar hatte keiner damit gerechnet, dass er Milten so schnell erlauben würde zu einem neuen ungewissen Abenteuer aufzubrechen. Altus legte sein Besteck beiseite und schob den leeren Teller von sich, dann stand er auf und sagte: „Ich werde hoch in den Schlafsaal gehen und Asvi und Ronar fragen, ob sie vielleicht fremde Leute gesehen haben. Hoffentlich können sie uns weiterhelfen.“
    Als Altus gegangen war, wurde es merkwürdig still am Tisch. Die Novizen schlürften ihre Suppe und Dargoth kaute die letzten Reste seines Bisonfleischs. Anspannung und Missmut lagen in der Luft und Milten mochte das nicht, doch er fürchtete, wenn er den Mund aufmachte, würde sich all die Spannung plötzlich entladen. Er konnte den Standpunkt von Aidan und Dargoth nachvollziehen. Er fühlte sich selbst schuldig, dass er so lange mit dem Helden fort gewesen war. Zumindest hätte er es mit den anderen Feuermagiern besprechen müssen, bevor er ging. Doch diesmal hatte Meister Altus ihm erlaubt mit Gorn zu gehen und daher sah er sich im Recht.
    Als Meister Altus zurück zu ihnen an den Tisch kam, brachte er die Information mit, dass Asvi und Ronar keine Fremden gesehen hatten.
    „Das muss noch nichts bedeuten“, brummte Gorn und erhob sich. „Ich breche sofort auf. Danke für das Essen und die Wärme.“
    Er warf Milten einen vielsagenden Blick zu, der rasch den Rest seiner Suppe hinunterstürzte und dann ebenfalls aufstand.
    „Ich hole nur noch ein paar magische Tränke.“


    Kurz darauf gingen Gorn und Milten den Klosterberg hinunter.
    „Die wollten dich zuerst ja echt nicht gehen lassen“, brummte Gorn.
    Er klang erstaunt.
    „Deine Truppe würden sicher auch nicht wollen, dass du wieder einfach weggehst, oder?“ fragte Milten.
    Gorn brummte.
    „Ja, bestimmt. Ich war schon wieder viel zu lange fort und hätte mich Hagen nicht zu dieser nervigen Zusammenarbeit mit Roland verdonnert, wären meine Jungs sicher gar nicht in dieser verzwickten Situation.“
    „Hättest du dir wirklich die Gelegenheit nehmen lassen die Abgabe der Stimmzettel zu überprüfen?“ fragte Milten und grinste seinen Freund an.
    „Hm… nein, vermutlich nicht. Es war mal was anderes.“
    „Hast du was neues von Lester und Diego gehört?“ fragte Milten neugierig.
    „Ne, nicht seit wir uns bei der Wahl gesehen haben“, gab Gorn zurück.
    „Vorsicht!“ sagte Milten erschrocken, als Gorn sich für seinen Geschmack zu nah an die Kante wagte.
    Er wollte nach dem Arm seines Freundes greifen, doch Gorn wich ihm aus, zog die buschigen Augenbrauen zusammen und fragte: „Was soll das?“
    Milten zog seine Hand schnell zurück und erklärte: „Erst vor kurzem haben wir einen Novizen verloren, der von dieser Klippe fiel.“
    „Hm“, brummte Gorn und ging sogar noch einen Schritt näher an die Klippe um hinunterzuspähen, was Miltens Herzschlag deutlich beschleunigte.
    „Und? Sehe ich vielleicht aus wie einer von euren Novizen?“
    Milten seufzte angespannt und fragte sich was das eine mit dem anderen zu tun hatte, doch er wusste, dass es nichts brachte dahingehend mit Gorn zu diskutieren, daher sagte er nur: „Nein, bist du nicht.“
    Er hoffte, dass Gorn nun endlich vom Rand der Klippe wegkam, doch der ließ sich Zeit.
    „Also“, kam es zurück.
    Plötzlich knackte es bedrohlich unter Gorns Füßen.
    "Oh“, machte Gorn, plötzlich unsicher.
    Milten wurde blass und fragte erschrocken: "Oh? Was heißt hier oh? Ich will nicht hören, wie aus dem erstaunten oh ein abfallendes ah wird."
    „Keine Sorge, ich fall schon nicht runter“, kam die schroffe Beschwichtigung zurück.
    „Das will ich aber auch hoffen“, sagte Milten und war erleichtert, als Gorn sich endlich von der Klippe wegbewegte.
    Zum wiederholten Male fragte sich Milten wieso Gorn nur so verdammt stur sein musste. Und warum ließ er es einfach nicht zu, dass sich jemand um ihn sorgte? Sah er dies wirklich lediglich als Zeichen von Schwäche? Und wenn ja, warum versuchte er selbst in Gegenwart seiner Freunde immer den starken Mann zu markieren? Sie waren doch Freunde, sollte es da nicht eine größere Offenheit zwischen ihnen geben?
    Als sie endlich unten angekommen waren, fiel ein Teil seiner Anspannung ab. Die nächste Zeit sagten sie nichts. Milten überlegte was er zu Gorns Leuten sagen sollte, wenn sie auf sie stoßen würden. Was könnte er für eine Vereinbarung aushandeln, um für Frieden zu sorgen?
    Als sie an eine Weggabelung kamen, holte Milten eine Karte von Nordmar hervor und versuchte herauszufinden wo sie sich befanden.
    „Sag bloß, du weißt schon nicht mehr wo wir sind“, grollte Gorn.
    „Doch weiß ich, wir müssen den linken Weg nehmen. Es ist nur so, dass es hier in Nordmar viele kleine Wege gibt, die nicht auf der Karte eingezeichnet sind und ich weiß nicht wo die alle hinführen“, verteidigte sich Milten.
    „Wunderbar“, grummelte Gorn.
    „Wäre es dir lieber gewesen, ich wäre im Kloster geblieben?“ fragte Milten harsch, denn Gorns Verhalten zerrte an seinen Nerven.
    Für ihn hatte er sich den Missmut seiner Kollegen eingehandelt und jetzt musste er sich Gorns Gebrumme anhören. Offenbar merkte sein Freund nun endlich auch, dass er sich etwas am Riemen reißen sollte, denn er sagte: „Tut mir Leid Milten, ich bin im Moment nur angespannt. Ich hab die letzten Tage kaum etwas gegessen und ich mach mir große Sorgen, dass meine Jungs auf der Scheiße ausgerutscht sind.“
    Seine Worte stimmten den Feuermagier milde.
    „Kann ich verstehen. Beilen wir uns besser. Es wird bald dunkel und dann wird die Kälte unerträglich.“
    „Hab ich gemerkt“, sagte Gorn, der offenbar mindestens eine Nacht im Freien hatte verbringen müssen, als er über die Berge gekommen war.
    Als die Sonne schon tief stand, passierten sie den Steinkreis der Wintersonnenwendfeier. Milten ließ im Vorbeigehen seinen Blick über die grauen Megalithen schweifen und fragte sich, ob er an der nächsten Wintersonnendwendfeier teilnehmen würde. Er hätte die Feier gerne erlebt, denn die Feuermagier im Kloster schwelgten hin und wieder in Erinnerungen an die vergangenen Feste. In den letzten Jahren waren die Feierlichkeiten nicht mehr so umfangreich gewesen, doch voller Freude erzählten Dargoth und Altus hin und wieder von den alten Zeiten, vor dem zweiten Orkkrieg, als die Wintersonnenwendfeiern Feste der Familie, der Freude, des guten Essens und der Musik waren. Milten hätte das gerne einmal selbst erlebt. Leider hatte er nicht viele Feierlichkeiten in seinem Leben erlebt. Während das Ritual der Wintersonnenwende an diesen Megalithen hier im Norden zelebriert wurde, begingen die Nordmarer und Feuermagier die Sommersonnenwende an einem Steinkreis, der sich weiter im Süden zwischen dem Wolfsclan und dem Hammerclan befand. Vielleicht würde er an diesem Fest teilnehmen können. Es wäre schön zur Abwechslung mal etwas zu haben auf dass er sich freuen konnte.
    Sie kamen erneut zu einer Abzweigung wo zwei Schilder geschmückt mit Knochenhänden und Schädeln ihnen den Weg wahlweise zum Wolfs- oder zum Hammerclan wiesen.
    „Wo willst du zuerst suchen?“ fragte Milten. „Asvi und Ronar haben gesagt, dass sie keine Fremden gesehen hätten, deswegen ist vielleicht keiner von deinen Leuten in der Nähe des Wolfsclans, aber vielleicht haben sie deine Leute auch nur nicht gesehen.“
    „Da geht’s nach Süden, oder?“ fragte Gorn und zeigte auf das Schild, das ihnen den Weg zum Wolfsclan wies.
    „Ja, aber wir kommen dort auch am Hammerclan vorbei.“
    Gorn kratzte sich den schwarzen Schopf und zeigte dann auf das linke Schild.
    „Da steht aber, dass wir diesen Weg nehmen müssen, um zum Hammerclan zu kommen.“
    „Wir sind hier in Nordmar Gorn. Wegen der vielen Verwinkelungen führen manchmal mehrere Wege ans Ziel.“
    „Versteh ich nicht. Entweder geht’s da zum Hammerclan, oder nicht“, knurrte Gorn schlecht gelaunt.
    „Pass auf“, sagte Milten und zeigte geradeaus in den abendlichen Dunst hinein. „Dort ist der Hammerclan, aber da gibt es keinen direkten Weg hin. Wir können entweder links den Berg hinauf, oder rechts den Berg hinauf. Wie auch immer, auf beiden Wegen kommen wir zum Hammerclan“, erklärte Milten gestenreich.
    „Ach und warum hat man dann nicht einfach zwei Schilder aufgestellt, auf denen Hammerclan steht?“ ließ Gorn seinen Ärger an seinem Freund aus.
    „Weil das vielleicht für Verwirrung sorgen würde“, sagte Milten, der versuchte trotz Gorns schlechter Laune geduldig zu bleiben.
    „Ach, weil das hier die Leute nicht verwirrt?“ höhnte Gorn und wies mit einer ausschweifenden Handbewegung auf die beiden Schilder.
    „Lass uns einfach nach Süden gehen, in Ordnung?“ fragte Milten genervt.
    Gorn nickte, grummelte dann aber noch leise vor sich hin: „Würde mich echt nicht wundern, wenn sich meine Jungs verirrt haben, so beschissen wie das hier alles ausgeschildert ist.“

    Es war mittlerweile kalte dunkle Nacht, als sie erneut zu einer Weggabelung kamen und ein lauter Ruf die Stille durchschnitt: „Hanson, Jorn, Lisk, hier rüber!“
    Milten konnte eilige Schritte hören, die den tiefen Schnee aufwirbelten. Er warf Gorn einen angespannten Blick zu und sie liefen los, um zu sehen was der Grund für die Aufregung war.
    Aus der Schwärze der Nacht schälten sich die Umrisse von acht Männern. Vier standen im Schnee und zogen nun ihre Nahkampfwaffen, während die anderen vier auf sie zu rannten. Als Milten sich an Gorns Seite weiter näherte und hörte wie sein Freund gleichzeitig erleichtert, aber auch bekümmert aufseufzte, ahnte er, dass die Männer, die soeben ihre Waffen gezogen hatten zu seinem Trupp gehörten. Die Leute, die auf Gorns Männer zurannten waren Nordmarer und neben ihnen lief ein Eiswolf. Er war offenbar keine Gefahr für sie, denn keiner der Nordmarer machte anstalten ihn anzugreifen und auch der Wolf zeigte lediglich gegenüber von Gorns Leuten Aggressionen. Die Nordmarer hielten ausreichend Abstand, um nicht in die Gefahrenzone der Nahkampfwaffen der Myrtaner zu geraten. Einer der Männer, ein großer glatzköpfiger Kerl, ging jedoch noch einen Schritt weiter und stellte sich vor: „Ich bin Jensgar, der Anführer der Jäger vom Wolfsclan. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Lee und den Clans von Nordmar. Ich weiß ganz genau, dass ihr hier nicht jagen dürft.“
    „Ich bin Linhart und führe im Moment diesen kleinen Trupp“, sagte einer von Gorns Leuten und trat nun ebenfalls vor.
    Er sah ein paar Jahre jünger aus als Gorn, hatte braune kurze Haare und einen Schnauzbart und war so dünn wie die meisten Menschen in dieser Zeit. Er war kleiner als Jensgar, doch er sah sehr entschlossen aus.
    „Wir sind hier um zu jagen, damit wir nicht verhungern müssen.“
    Milten konnte nicht sagen, ob der Mann einfach nur ehrlich, oder tatsächlich dreist sein wollte. Wie auch immer er sich seine Worte gedacht hatte, sie kamen bei den Nordmarer Jägern jedenfalls gar nicht gut an.
    „So einfach lassen wir uns unsere Beute nicht streitig machen, oder Hanson?“ fragte der Jäger Jensgar seinen Kollegen, einen großen kräftigen Mann.
    „Auf gar keinen Fall“, brummte Hanson und sein Eiswolf knurrte noch lauter. „Hat schon gereicht, dass euer herumgepolter all das Wild verscheucht hat. Der Lärm einer Bisonherde ist ein Witz gegen euer Getrampel.“
    „Ich wette, die Tiere sind vorher schon abgehauen, als sie eure hässlichen Fratzen gesehen haben“, höhnte Linhart und trat noch einen Schritt vor, um Jensgar ins nun wutverzerrte Gesicht zu sagen: „Mann bist du hässlich, ich wette, deine Mutter ist ein Wildschwein.“
    „Was ist dir da aus dem Maul gefallen, du Halboger?“ knurrte Jensgar drohend.
    „Hast du Tannenzapfen in den Ohren? Ich sagte, deine Mutter ist ein Wildschwein.“
    „Wenn du weiter so redest, spendiere ich deinem Gesichtserker gleich eine Generalüberholung!“
    „Na mach doch, los!“ forderte Linhart Jensgar großspurig heraus und unterstrich dies mit einer ausholenden Bewegung beider Arme.
    Jensgar sah zu seinen Kollegen, wohl um zu sehen, was sie davon halten würden, wenn er diesen Myrtaner angreifen würde.
    „Was ist los?“, stachelte Linhart seinen Gegner weiter an. „Kämpfst du jetzt oder nicht? Hat deine Alte deine Eier an ihrer Wäscheleine zum Trocknen aufgehängt, oder was?“
    „Immerhin habe ich eine!“ brüllte Jensgar.
    „Ach wirklich? Obwohl du so hässlich bist? Ist die blind oder hat sie eine Figur wie ein Sack Schrauben und zwei Füße aus Holz?“
    „Du mieser kleiner…“, begann Jensgar zu sagen und zog nun ebenfalls eine Nahkampfwaffe, einen imposanten Zweihänder.
    „Seid ihr mit eurem Weitpinkelwettbewerb endlich fertig?“ brüllte Gorn, um die Aufmerksamkeit der Zankenden auf sich zu richten.
    Verwundert sahen sich beide Parteien nach ihm um. Sie wirkten überrascht. Ob es war, weil sie nicht damit gerechnet hatten, dass sich hier und jetzt jemand in ihren Streit einmischte, oder weil sie nicht damit gerechnet hatten, hier einen Feuermagier zu sehen, konnte Milten nicht sagen. Zumindest galten die Blicke der Nordmarer vorwiegend ihm, während Gorns Leute natürlich Gorn anstarrten.
    „Gorn! Du bist es. Endlich bist du wieder da“, sagte einer der Männer erleichtert.
    Er stand ihnen am nächsten und ging einige Schritte auf Gorn zu, während Milten und Gorn ihrerseits näher an die anderen Männer herankamen.
    „Wo kommst du her? Wieso bist du hier?“
    „Das gleiche frag ich dich Errol“, gab Gorn zurück, baute sich vor seinen Leuten auf und verschränkte wütend die Arme vor der Brust.
    Obwohl er einiges an Masse eingebüßt hatte, war er immer noch eine imposante Erscheinung. Errol senkte kurz den Blick und sah dann um Verständnis heischend zu Gorn hoch.
    „Wie du bestimmt noch weißt sind Cipher und Rod uns in den Rücken gefallen, indem sie in Silden Bisons gewildert haben. Anog traute uns dann auch nicht mehr und obwohl wir ihm mehrmals sagten, dass wir nichts mit den beiden Idioten zu tun haben wollen, ließen sie uns nicht mehr in die Nähe der Bisons. Weil die Paladine dann kamen und die Tiere bewachten, ließ sich da auch nichts mehr machen. Du warst weg und wir wussten zuerst nicht welchen neuen Plan wir machen sollten. Wir haben uns dann zuerst einmal wieder nach Okara zurückgezogen, doch nachdem Wolf dann auch noch zurück nach Vengard gegangen ist, hatten wir bei der Jagd einfach kein Glück mehr.“
    Errol strich sich nervös durch seinen braunen Bart.
    „Wir haben abgestimmt und auch wenn Gabriel dagegen war, die meisten anderen waren dafür hierherzukommen und hier sind wir nun.“
    „Wo ist Gabriel?“ fragte Gorn angespannt.
    „Er ist mit Raik und Ian in eine Schlucht südlich von hier gegangen, weil er glaubte dort Bisonspuren gesehen zu haben“, erklärte Errol.
    „Verstehe ich das richtig, dass du zu diesen Typen gehörst?“ fragte Jensgar und musterte Gorn skeptisch.
    Er versuchte wohl einzuschätzen, ob er eine Gefahr darstellte, oder seine Leute zurückpfeifen würde. Gorn holte tief Luft und sagte dann möglichst laut und deutlich, um jedes Missverständnis auszuschließen: „Es ist wie der Jäger gesagt hat. Wir dürfen hier nicht jagen und wenn wir es doch tun, brechen wir die Vereinbahrung die Lee gegeben hat.“
    „Pah! Warum sollte es uns was scheren was Lee sagt? Er hat uns einfach im Stich gelassen. Klar, dich hat er durchgefüttert, aber wir anderen mussten in dem Dreckloch Okara hungern. Warum sollten wir Lee folgen, wo er uns fallen gelassen hat?“ keifte Linhart, der offensichtlich eine große Portion Wut im Bauch mit sich herumtrug.
    „Lee hat uns nicht fallen gelassen. Er hat nur gedacht, dass er nicht für uns Amme spielen muss“, knurrte Gorn und sah Linhart nun abschätzig an. „Hätte er gewusst, dass du so rumheulst hätte er dich wahrscheinlich zu den anderen Fischern und Arbeitern in Vengard gesteckt, oder zum Latrinenputzen geschickt. Er dachte, du wärst ein harter Kerl, der sich selbst durchschlagen kann.“
    Linhart Augenbrauen berührten sich unter der Wut, mit der er sein Gesicht verzerrte und er schob beleidigt die Unterlippe vor, wagte es aber nicht Gorn zu widersprechen. Sein Blick huschte zu Gorns berüchtigter Barbarenstreitaxt.
    „Und was schlägst du also vor?“ wagte Linhart dennoch herausfordernd zu fragen.
    „Milten hat einen Plan“, sagte Gorn und zeigte auf den Feuermagier.
    Er ging wohl einfach davon aus, dass sich sein Freund bereits etwas überlegt hatte. Milten räusperte sich und sagte dann: „Ich denke, dass wir alle darin übereinkommen, dass ein Krieg zwischen Myrtana und Nordmar das Letzte ist was wir wollen, aber genau das wird passieren, wenn Gorns Leute hier jagen.“
    Linhard holte schon tief Luft um etwas einzuwerfen, doch Gorn hob die Hand und brachte ihn damit zum Schweigen.
    „Gorns Leute haben sich durch ihren harten Kampf gegen die Orks aber auch Respekt verdient. Sie sollten zumindest die Chance erhalten, dass wir uns ihre Probleme anhören und wir nach einer Lösung suchen, die uns allen zu Gute kommt. Deswegen schlage ich eine Versammlung aller Clanchefs vor, damit wir dies besprechen.“
    Jensgar sah Milten skeptisch an. Ihm war anzusehen, dass er großen Respekt vor dem Feuermagier hatte, doch er war im Moment so wütend, dass er nicht anders konnte, als etwas zu entgegnen: „Die dringen in unser Land ein, vertreiben unsere Beute und beleidigen uns und dann sollen wir ihnen auch noch Gastfreundschaft gewähren?“
    Die anderen Jäger murrten zustimmend. Milten merkte, dass er über dünnem Eis lief. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen. Beide Parteien reagierten im Moment äußerst sensibel. Er musste also einen Weg finden Jensgar die Lage der Myrtaner zu erklären, ohne jemanden zu beleidigen.
    „Es entschuldigt zwar Linharts rüden Umgangston nicht, aber ich vermute, der Hunger hat seinen psychischen Zustand negativ beeinflusst. Wenn du dich in seine verzwickte Lage hineinversetzt, Jensgar, dann kannst du ihn vielleicht besser verstehen.“
    Die anderen Männer sahen Milten verwundert an. Dem Magier fiel auf, dass Gorns Leute vor allem skeptisch dreinblickten, während die Nordmarer Jäger beeindruckt wirkten. Milten überlegte und vermutete dann, dass wohl keiner der anderen Männer ganz und gar verstanden hatte, was er gerade gesagt hatte. Von seiner Umgebung war Milten mittlerweile eine andere Ausdrucksweise gewohnt. Wenn er von den anderen Männern hier aber wirklich verstanden werden wollte, musste er sich wohl wieder eine einfachere Sprache angewöhnen.
    „Na gut“, sagte Jensgar und alles in seiner Stimme verriet, dass er dabei war etwas zu tun, dass er überhaupt nicht tun wollte. „Am besten wir gehen zum Hammerclan. Der ist von hier aus am nächsten. Wenn wir weiter hier in der kalten dunklen Nacht rumstehen frieren wir uns noch die Eier ab. Hanson wird euch hinführen. Jorn und Lisk werden zum Feuerclan gehen, um Kerth zu holen und ich hole Grim vom Wolfsclan und dann werden wir uns anhören, was ihr zu sagen habt.“
    Milten nickte und warf Gorn dann einen vielsagenden Blick zu. Auch er nickte, zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
    „Also, ihr habt es gehört. Es geht zum Hammerclan. Errol, wenn du weißt wohin Gabriel und die anderen verschwunden sind, dann schnapp dir Lennard und Gothard und geht ihn und die anderen suchen. Wir warten hier so lange.“
    „Oh nein“, begehrte Hanson auf, während seine Kollegen sich auf den Weg zu den Clans machten. „Wir gehen sie gemeinsam suchen. Ich sehe es sonst schon noch kommen, dass ihr euch auch noch verirrt und dann müssen wir euch die ganze Nacht suchen. Oder ihr nutzt die Gelegenheit, um euch zu verpissen und doch noch zu jagen.“
    „Gut, dann gehen wir alle zusammen“, knurrte Gorn.
    Hanson schien ihn einfach zu ignorieren. Er nahm ein Stück rohes Fleisch aus seiner ledernen Umhängetasche, hockte sich nieder und sah seinen Eiswolf direkt an, dann sagte er, ganz so, als würde der Wolf jedes Wort verstehen: „Grauhaar. Wir suchen drei Männer, die sich hier in der Nähe verirrt haben. Sie sind Fremde, mit dem Geruch von Laubwäldern aus Myrtana. Ich bin sicher, dass du sie finden kannst.“
    Grauhaar sah ihn aus intelligenten Augen an, nahm dann das Fleisch aus Hansons Händen und fraß es rasch auf. Dann ging er zielstrebig Richtung Süden davon. Offenbar hatte er schon vor einiger Zeit einen fremden Geruch wahrgenommen und hatte nur auf die günstige Gelegenheit gewartet dem nachzuspüren.
    Und so gingen Hanson, Milten, Gorn, Linhart, Gothard, Lennard und Errol los, um die letzten drei Männer von Gorns Trupp zu suchen.
    „Ist der Wolf gezähmt?“ fragte Gorn.
    „Nein“, kam es knapp von Hanson zurück.
    Mehr wollte er wohl nicht dazu sagen und Gorn fragte auch nicht weiter. Etwas kurios fand Milten das schon, aber er wusste auch, dass es viele Begleitwölfe im Wolfsclan gab.
    Sie waren noch gar nicht lange unterwegs, da ließ sich Linhart etwas zurückfallen und raunte Errol und Gothard zu: „Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, um den Jäger loszuwerden. Wir sind ihm eindeutig überlegen.“
    Er hatte sich zwar bemüht leise zu sprechen, doch die stille verschneite Landschaft trug jedes Wort weit durch die Luft, so dass auch alle anderen ihn hören konnten.
    Ohne zu ihm zurückzusehen sagte Milten mit Schärfe in der Stimme: „Wenn du keinen Feuersturm ins Gesicht kriegen willst, benimmst du dich!“
    Linhart sah ihn überrascht an. Offenbar hatte der Krieger gedacht, der Feuermagier würde keine Gefahr darstellen. Milten wollte ihm nichts tun, doch er wusste, dass Krieger wie dieser sich nur von denjenigen etwas sagen ließen, die Stärke und Durchsetzungswillen ausstrahlten. Hanson warf Milten einen äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck zu.
    Grauhaar blieb kurz stehen und schnupperte auf dem Boden. Mit seinen Pfoten grub er im Schnee, dann drehte er sich leicht, ging ein paar Schritte und schnüffelte weiter, dann endlich hob er den Kopf und lief eine Senke hinunter. Sie mussten sich jetzt beeilen, um ihm zu folgen. Nach einem anstrengenden Lauf durch den Tiefschnee, bei dem ihnen trotz der eisigen Kälte etwas wärmer wurde, erreichten sie eine kleine Baumgruppe aus Tannen. Zunächst konnten sie im Dunkeln wenig sehen, doch dann erkannten sie, dass der Schnee hier aufgewirbelt war, so als hätte hier ein Kampf stattgefunden. Grauhaar jaulte und wenig später hörten sie eine raue markante Stimme sagen: „Na toll, jetzt kommen auch noch Wölfe.“
    „Gabriel!“
    „Gorn? Was machst du denn hier?“
    „Deinen Arsch retten, was sonst.“
    Sie gingen weiter auf die Stimme zu und ihnen kam ein großer Mann in schwerer Rüstung entgegen. Er hatte eine Glatze, einen rostroten Vollbart und Augen, die tief in ihren Höhlen lagen. Er sah erschöpft und müde aus. Alles an ihm sagte, dass er eine harte Zeit hinter sich hatte.
    „Verdammt schlampige Arbeit“, schimpfte Hanson und ging zu Grauhaar hinüber, der neben einem toten Bison stand und daran schnupperte. „Habt ihr das arme Ding zu Tode geprügelt?“
    Die Stille wurde sehr angespannt, bevor Gabriel endlich erwiderte: „Nein, wir haben den Bison natürlich mit unseren Nahkampfwaffen angegriffen.“
    Hanson verdrehte die Augen.
    „So kämpft man vielleicht gegen Orks. Ein guter Jäger lässt das Wild nicht lange leiden.“
    „Wir kennen uns mit der Orkjagd nun mal besser aus“, sagte Gabriel hart, denn er war es wohl Leid sich zu rechtfertigen.
    „Wir haben euch gesucht, weil es eine Versammlung im Hammerclan geben wird“, erklärte Gorn.
    „Wieso? Was hat das zu bedeuten?“ fragte Gabriel und Gorn erzählte ihm in einer kurzen Zusammenfassung was vor kurzem geschehen war.
    „Am besten wir schaffen den Bison zum Hammerclan. Es ist immer gut ein Geschenk mitzubringen und wenn Tjalf gut gelaunt ist, dann gibt er euch vielleicht auch was davon ab“, sagte Hanson, der immer noch das tote Tier musterte.
    „Das ist unser Fleisch“, begehrte einer der Krieger auf.
    „Halt die Füße still Ian!“, befahl Gorn brummig, während Hansons Augen sich verengten und er schlecht gelaunt erwiderte: „Ihr dürft hier nicht jagen. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Lee und den Clans.“
    Er wurde offenbar nicht müde das immer wieder anzuführen.
    „Wir bringen das Fleisch jetzt zum Hammerclan und dann werden wir sehen was passiert. Na los, rann an den Körper und den verschneiten Hügel hochgeschleift!“
    Offenbar machte es Hanson Spaß die Myrtaner herumzukommandieren.
    „Willst du mich verarschen?“, knurrte Gabriel. „Wir bekommen vermutlich nichts von dem Fleisch ab, sollen uns damit aber abbuckeln?“
    „Ihr habt es ja auch gejagt“, knurrte Hanson.
    Gorn sah kurz zu Milten und als der zustimmend nickte, befahl er: „Na los Jungs, tut was er sagt. Vielleicht verhindert dieser Bison, dass wir sofort achtkantig aus Nordmar rausgeschmissen werden.“
    Er ging zur Tierleiche und packte ein Vorderbein. Ian stellte sich hinter ihn, während Gabriel und der letzte Krieger, der wohl Raik sein musste, sich auf die andere Seite stellten. Sie hoben die Vorderseite des Tieres an und begannen es durch den Tiefschnee den Berghang hinaufzuschleifen.
    Milten wünschte sich, er hätte eine Telekinese Schriftrolle, damit sich die Männer nicht so abplagen mussten. Während des Weges wurde viel gestöhnt und geflucht. Hanson sah belustigt drein, wann immer zu den Myrtanern hinübersah. Milten dachte darüber nach, dass er seine Novizen wohl auch in den Umgangsformen schulen musste, damit sie später besser mit den Bewohnern Nordmars und Myrtanas zurechtkamen.
    Sie kamen zurück zu der Weggabelung, die sie vorhin passiert hatten und hielten sich nun südlich, um zum Hammerclan zu kommen. Sie hörten Schritte durch den Schnee stapfen und bald wurden sie von Jensgar und Grim eingeholt, die vom Wolfsclan gekommen waren.
    „Welche Idioten sind denn auf diesen Bison losgegangen? Das Fell ist so übel zugerichtet, dass es kaum noch zu gebrauchen ist“, fragte Jensgar.
    „Vielleicht als Putzlappen“, höhnte Grim.
    Die Nordmarer lachten und wieder stieg die Anspannung zwischen ihnen und Gorns Leuten. Auch Gorn wirkte nun, als müsste er sich stark zusammenreißen, um nicht aus der Haut zu fahren.
    „Guckt doch nicht wie ein Schattenläufer, dem man gerade die Klöten abgeschnitten hat“, sagte Grim im jovialen Tonfall. „Na los Leute, geben wir ihnen eine kleine Verschnaufpause.“
    Jensgar und Hanson brummten unwillig, doch dann halfen sie ihm doch dabei die Plätze der Myrtaner einzunehmen. Auch ihnen war die Anstrengung dieser Schinderei deutlich anzusehen, doch sie murrten nicht. Milten vermutete, dass sie die Myrtaner damit bloßstellen wollten. Immer wollten alle zeigen was für harte Kerle sie doch seien.
    Als der Hammerclan in Sicht kam, wurde wieder gewechselt, denn Grim gab den guten Einwand, dass es wohl besser wäre, wenn die Leute vom Hammerclan sehen würden, dass Gorn und seine Leute ihnen diese Mahlzeit brachten. Auch wenn Hanson die Fremden ganz offensichtlich nicht leiden konnte, so war sein Vorschlag den Bison hierherzuschleifen goldrichtig gewesen. Ohne ihn wären sie vielleicht gar nicht erst eingelassen wurden, denn auch jetzt wurden sie von allen Bewohnern misstrauisch beäugt. Die Leute hielten in ihren Tätigkeiten inne und sahen den Fremden nach, die sich dabei abmühten den Bison weiter den Berg hinauf bis zur Hütte des Clanchefs zu schleifen. Alle Bewohner des Hammerclans versammelten sich dort, denn was geschehen würde, das wollte sich keiner entgehen lassen. Der Clanchef kam heraus und sah auf die Fremden hinunter. Er war schon ein alter Mann und sah nicht mehr besonders fit aus. Milten fragte sich, ob das für ihr Vorhaben gut war oder schlecht. Seine große Erfahrung konnte von Nutzen sein, doch vielleicht fürchtete er auch, dass seine Zeit als Clanchef bald vorbei war und er bei seinen Leuten unbedingt in guter Erinnerung behalten werden wollte. Die Nordmarer waren eigentümlich. Fremde mussten sich erst beweisen und es brauchte einiges um die Nordmarer zu beindrucken.
    „Was soll das? Ihr Myrtaner kommt hierher nach Nordmar um zu jagen? Ihr wisst doch, dass es eine Vereinbarung zwischen Lee und den Clans gibt, oder?“
    Gorns Leute stöhnten und seufzten. Offenbar konnten sie es nicht mehr hören. Nur Gorn, der den Bison nun am Fuß der Hütte liegen ließ, richtete sich zu voller Größe auf und sagte: „Es ist ein Geschenk.“
    „Ein Geschenk?“ fragte Tjalf und hob eine Augenbraue. „Ihr schenkt uns einen unserer Bisons?“
    Seiner Stimme gelang das Kunststück gleichzeitig wütend, als auch amüsiert zu klingen.
    „Wir möchten reden“, schob Gorn nach.
    Tjalf legte seinen Kopf auf die Seite und sah die Fremden skeptisch an.
    „Reden ist besser als ein drohender Krieg meinst du nicht auch?“ fragte Gorn knurrend.
    Milten fragte sich, ob er zu weit ging, doch dann sprang Grim ein.
    „Lass uns erstmal anhören, was sie zu sagen haben. Kerth kommt sicher auch bald und dann können wir das klären.“
    Tjalf nickte und ging ohne ein weiteres Wort in seine Hütte zurück. Milten, Gorn und seine Leute gingen voran, während Grim und seine Jäger ihnen folgten. Vom Hammerclan zwängten sich so viele wie möglich in die große Hütte und umringen den langen Tisch, an den sie sich setzten. Milten musste Tjalf zugutehalten, dass er die Gastfreundschaft, selbst in dieser angespannten Situation hochhielt. Jeder am Tisch bekam einen Krug mit Bier, um seinen Durst zu löschen.
    Zu seinen Leuten sagte Tjalf: „Häutet das Bison, dann weidet es aus, schneidet das Fleisch und bratet es an. Verteilt es an alle im Clan.“
    Er nahm einen langen Schluck von seinem Bier, während dem Gorn und seine Leute sehr angespannt aussahen. Auf Tjalfs Gesicht erschien ein dünnes Lächeln.
    „Und gebt unseren Gästen auch jeweils ein Stück Fleisch.“
    Gorns Leute seufzten erleichtert auf.
    Sie saßen einen Moment still am Tisch. Für Milten war es eine seltsame Situation. Während die Leute, die sich um den Tisch drängten tuschelten und schnatterten, sagte keiner am Tisch auch nur ein Wort. Alle warteten darauf, dass der Chef des Feuerclans eintreffen würde. Als es endlich so weit war musste sich Kerth durch die Menge quetschen, um zum Tisch zu gelangen. Gorns Leute waren in einer schlechten Position. Die Leute vom Hammerclan hatten sie jetzt in der Hand. Dem waren sich alle hier sehr bewusst. Milten nahm allen Mut zusammen und beschloss, dass er es sein sollte, der zuerst das Wort ergriff, damit eine der Parteien nicht sofort vorstürmte und die Lage so vielleicht eskalierte.
    Er räusperte sich und begann mit: „Wir sind hier zusammengekommen, um ein Problem zu lösen. Gorns Truppe ist nach Nordmar gekommen, weil sie hier jagen wollen, doch wie wir alle wissen gibt es eine Vereinbarung zwischen Lee und den Clans, dass kein Myrtaner hier jagen darf.“
    Milten hatte erwartet, dass ihn jemand unterbrechen würde, doch alle hörten ihm gespannt zu.
    „Wir alle haben mit dem harten Winter und der Hungersnot zu kämpfen. Anders als in Myrtana gibt es hier aber noch viel Wild. Besonders während des harten Winters ist die Jagd eine große Herausforderung, der sich die Jäger der Clans jeden Tag aufs Neue stellen, um für ihre Leute zu sorgen. In Myrtana gibt es nur noch einige Hasen, Vögel und eine einzige Bisonherde in Silden, die von den Paladinen streng bewacht wird. Die Tiere stehen zusammengetrieben auf der Wiese bei den Wasserfällen und warten auf ihr Ende, das ganz sicher kommen wird. Damit das Fleisch möglichst lange reicht, lässt König Lee es stark rationieren. In Vengard gibt es eine Liste auf der jeder Bewohner Myrtanas vermerkt ist, so dass jeder bedacht wird. Doch das Fleisch reicht selbst dann nicht immer, um jeden am Leben zu erhalten. Der drohende Hungertod muss jeden Tag gefürchtet werden. Durch die schlechte Lage, in der sich die Menschen befinden, brechen außerdem immer wieder gefährliche Krankheiten aus, so dass noch mehr Menschen sterben.“
    Die umstehenden Männer hörten gespannt zu. Vermutlich wussten sie einiges von dem noch nicht, das Milten ihnen erzählte.
    „Weil zwei von Gorns Leuten abtrünnig wurden und sich nicht an das Gebot der Paladine hielten, wurden sie von der Fleischversorgung abgeschnitten. Sie mussten sich allein durchschlagen und so wie Errol es erzählt hat…“
    Milten sah nun zu Errol, der kurz wegen all der Aufmerksamkeit zusammenzuckte.
    „… hatten sie nur die Wahl auf jeden Fall zu verhungern, oder hierher zu kommen und sich wohlmöglichen eurem Zorn zu stellen, bei dem Versuch zu jagen und zu überleben. Gorn, wann haben deine Leute zuletzt gegessen und was?“
    Gorn sah Milten kurz an, offenbar verstand er was er mit seiner Frage bezwecken wollte und er war froh, dass er ihn nicht direkt gefragt hatte, denn es war fraglich, ob die Nordmarer es begrüßen würden, wenn sie hörten, dass Gorn im Kloster Bisonfleisch gegessen hatte, welches sie selbst dem Kloster gespendet hatten.
    „Lennard was hast du zuletzt gegessen?“ fragte Gorn.
    Lennard sah in die vielen skeptischen abwartenden Gesichter um sich her und sagte dann beschämt: „Eine Ratte, vor vier Tagen.“
    „Und du? Errol?“
    „Eine Krähe, vorgestern, aber ich hab sie mit Linhart teilen müssen.“
    „Und ist das jetzt immer so?“ hakte Milten nach.
    „Ja“, sagte nun Gabriel. „Wir graben nach Wurzeln und töten Kleintiere. Mehr gibt es nicht mehr in Myrtana. Hab gehört einige Leute machen Brot aus Rinde, aber wir wissen nicht wie man das macht.“
    Ganz offensichtlich wollte Milten Mitleid erzeugen, doch die Nordmarer ließen sich nicht leicht erweichen.
    „Haben sie den Vertrag gebrochen?“ fragte Milten in die Runde.
    Viele Männer nickten.
    „Ja“, beantwortete Milten seine Frage dann und fragte dann erneut: „Sind sie verzweifelt?“
    Niemand regte sich.
    „Ja“, sagte Milten wieder. „Sie haben einen Fehler begangen, doch was hättet ihr an ihrer Stelle getan? Hättet ihr euch einfach ausgestreckt, klein beigegeben und auf den Tod gewartet?“
    Die Leute sahen zweifelnd aus.
    „Nein, ihr hättet gekämpft. Ihr hättet auch alles versucht, um irgendwie zu überleben. Denn so haben wir die letzten Jahre überlebt. Wir alle haben gegen die Orks gekämpft. Ihr hier in Nordmar. Sie unten in Myrtana. Doch Gorn hat euch auch geholfen, oder Gorn?“
    Gorn nickte.
    „Als der Befreier zurückkam, da haben Milten, Lester und ich ihm dabei geholfen, alle Orks die noch in Nordmar übrig waren zu töten. Wir haben nicht eher Ruhe gegeben, bis der letzte Orkarsch blutend im Schnee lag. Das sollte doch auch etwas wert sein.“
    Milten sah zu den Leuten und insbesondere zu den Clanchefs, um nun ihre Reaktion abzuwarten. Sie ließen sich Zeit. Nachdenklich fuhren sie sich über den Kopf, oder ans Kinn.
    „Ich verstehe, dass sie glaubten keine andere Wahl zu haben“, erhob Grim das Wort, der sich locker auf seinem Stuhl ausgestreckt hatte. „Doch das ändert nichts daran, dass sie den Vertrag gebrochen haben.“
    „Und was schlägst du vor, sollen sie zur Widergutmachung leisten?“ fragte Milten.
    Gorns Leute wurden sehr nervös und einige funkelten den Feuermagier böse an, doch Milten war der festen Überzeugung, dass er die Clanchefs milde stimmen musste, wenn alle hier lebend wieder herauskommen wollten.
    Grim schüttelte den Kopf.
    „Sie haben nichts von Wert für uns.“
    „Wir sind gute Krieger“, hielt Gorn entschieden dagegen.
    „Aber keine guten Jäger, wie der Bison, den ihr angeschleppt hat beweist“, knurrte Grim. „Und darauf kommt es im Moment an.“
    Kerth und Tjalf nickten, doch letzterer sagte noch: „Wir sind dir dankbar für deine Hilfe die Orks loszuwerden Gorn…“
    Es war noch gar nicht klar, ob das alles war, was er sagen wollte, da setzte Kerth hinzu: „Und wir sind auch dem Orkschlächter sehr dankbar. Er hat die Ahnensteine zurück an ihren Platz gebracht und so ihre Macht freigesetzt.“
    „Er hat uns geholfen unsere Schmiede von den Orks zu befreien“, fuhr Tjalf nun fort.
    „Ja, wir sind uns wohl alle einig, dass er sehr viel getan hat, um uns zu helfen“, knurrte Grim. „Aber wir haben nur Gorns Wort, dass er ihm dabei geholfen hat.“
    „Und das reicht nicht?“ fragte Gorn und sah die Clanchefs eisern an.
    „Gorn steht zu seinem Wort“, sagte nun Gabriel, doch die Clanchefs gingen noch nicht mal auf seine Worte ein.
    „Gorn hat mit ihm gekämpft. Ich kann es bezeugen“, sagte Milten fest und offenbar reichte das endlich, um die Clanchefs zu überzeugen.
    Es wurde kurz still und Milten nutzte die Pause um vorzuschlagen: „Die Nordmarer Jäger gehören zu den besten des Festlandes. Ihr könntet euren reichhaltigen Erfahrungsschatz nutzen, um Gorn und seine Leute in die Jagd einzuweisen, damit sie euch helfen können. So können sie ihren Fehler wieder gut machen.“
    Tjalf schnaubte.
    „Das wäre doch eher ein Geschenk für sie. Dürfen hier bei uns leben, sich in unseren Hütten wärmen und unser Fleisch essen.“
    „Wir werden hart dafür arbeiten“, versprach Gorn, der nun wohl auch fürchtete, dass es keinen guten Weg mehr hier heraus geben könnte.
    Die Clanchefs steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander, um sich abzusprechen. Als sie sich wieder aufrichteten, sagte Kerth: „Na gut. Wir geben euch eine Chance. Wenn ihr sie verspielt war es das mit euch, dann werden wir euch aus Nordmar jagen und ihr könnt zusehen wie ihr elendig in Myrtana verhungert.“
    Gorn sah zu seinen Leuten. Nur Gabriel nickte ihm zu, die anderen sahen beunruhigt, aber auch verloren aus. Milten konnte nur ahnen wie ihnen wohl zumute war. Im Moment gab es nirgendwo einen guten Platz für sie.
    Gorn wandte sich wieder den Clanchefs zu und sagte dann: „In Ordnung.“
    „Ihr werdet euch aber aufteilen müssen. Für euch acht gibt es keinen Platz in einem einzigen Clan“, sagte Kerth. „Und da der Feuerclan der kleinste ist, sollten wir nur zwei von euch aufnehmen müssen.“
    Tjalf und Grim brummten, doch sie erwiderten nichts. Wieder tauschte Gorn einen Blick mit seinen Leuten, dann nickte er und sagte: „Wir nehmen euer Angebot an.“
    Damit löste sich die Versammlung auf. Tjalf winkte einen seiner Leute herbei, der Gorn und seinem Trupp für diese Nacht einen Platz zum Schlafen zuweisen sollte. Milten wollte eigentlich aufstehen, doch etwas sagte ihm, dass die Clanchefs noch mit ihm sprechen wollten und so blieb er sitzen und sah sie abwartend an. Sie warteten bis die Leute hinausgedrängt waren. Als nur noch sie vier in der Hütte verblieben waren, erhob Grim die Stimme: „Wie geht es Asvi? Sind sie und Ronar wohlbehalten euch angekommen?“
    „Ja, es geht ihnen gut. Meister Altus hat ihre Krankheit geheilt und nun ruhen sie sich aus, bis Asvi sich ausreichend erholt hat, um die Rückreise antreten zu können“, sagte Milten freundlich.
    „Es wäre viel einfacher, wenn es in jedem Clan einen Feuermagier geben würde, der uns in der Not helfen könnte“, sagte Grim brummig.
    Kerth warf ihm einen strafenden Blick zu, denn offenbar fand er, dass Grim Milten nicht mit genug Respekt ansprach. Doch der Feuermagier konnte Grim verstehen. Er selbst wollte ja, dass sich dahingehend etwas änderte und der Wolfsclan befand sich am weitesten vom Kloster entfernt. Jetzt im Winter war es für ohnehin kranke und geschwächte Leute lebensgefährlich einen so weiten Weg durch die eisige Kälte auf sich zu nehmen.
    „Das ist der Plan“, sagte Milten daher.
    Die drei Clanchefs sahen ihn überrascht an. Offenbar hatten sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet und Milten fragte sich, ob der Wunsch der Vater seiner Worte war. Ja, er hatte mit Meister Altus darüber geredet, aber noch war nichts entschieden wurden. Milten dachte sich aber, dass sich die Feuermagier nur schwer dem Drängen der Clanchefs entgegenstellen würden, denn immerhin war das Kloster auf die Spenden der Clans angewiesen.
    „Ich bilde derzeit vier neue Novizen aus, doch es wird noch einige Zeit dauern, bis sie die Prüfung der Magie abschließen können“, informierte Milten.
    „Wie lange?“ wollte Grim wissen.
    „Das lässt sich nicht so pauschal sagen. Die Studien der Magie sind umfangreich und schwierig und jeder braucht unterschiedlich viel Zeit, bis er für die Prüfung bereit ist“, erklärte Milten.
    „Und was ist mit den bereits ausgebildeten Magiern? Kann von denen einer zu uns kommen?“ fragte Grim grob.
    „Pass auf was du sagst!“, zischte Kerth ihn an und sagte dann zerknirscht zu Milten: „Bitte verzeih Grim, dass er so ein grober Holzklotz ist. Er hat nicht so oft Umgang mit Magiern und deswegen fehlt es ihm ganz offensichtlich an dem gebührenden Respekt.“
    Grim fläzte sich auf seinem Stuhl und sagte leichthin: „Naja, wenn bei uns ein Magier leben würde, dann würde ich mich wohl dran gewöhnen.“
    Milten nahm es Grim nicht übel. Andere Magier hätten sich vielleicht maßlos über seine Art geärgert, doch Milten sah das nicht so verbissen.
    „Da ich noch einige Zeit benötigen werde, um die Ausbildung der Novizen abzuschließen, werde ich im Kloster gebraucht. Aidan, Pyran und Asulf wären in der Lage euch zu helfen, doch es liegt nicht an mir darüber zu entscheiden. Sie müssen ihren Weg selbst wählen.“
    Grim sah unzufrieden aus, doch Kerth und Tjalf nickten.
    „Wirst du mit dem obersten Feuermagier im Kloster darüber reden? Wir brauchen eure Hilfe, um diese schwere Zeit zu überstehen“, sagte Tjalf.
    „Das mache ich. Wenn ihr sonst keine Anliegen habt, werde ich direkt zum Kloster zurückkehren.“
    Die drei Chefs tauschten noch einen ratlosen Blick. Offenbar fiel ihnen im Moment nichts anderes mehr ein.
    „Nein, ich denke, das war im Moment alles“, sagte Tjalf.
    Milten nickte, erhob sich und nutzte den Teleporterstein, der ihn zurück zum Kloster brachte.

    Kaum war Milten ins Hauptgebäude getreten wurde er trotz der späten Stunde mit Fragen bestürmt.
    „Hast du die Krieger gefunden?“ fragte der Novize Tak.
    „Haben die Leute vom Wolfsclan sie verprügelt?“ wollte Asulf begierig wissen.
    „Nun lasst Milten doch erstmal zu Wort kommen“, versuchte Dargoth den Fragenansturm zu zügeln.
    Offenbar hatten auch die Novizen und Magier, die sich gerade zur Ruhe begeben wollten, mitbekommen, dass Milten wieder da war, denn kurze Zeit später hatten sie sich alle im Hauptgebäude vor dem Kamin versammelt und Milten erzählte ihnen was geschehen war.
    „Die Clanchefs haben zugestimmt Gorns und seine Leute bei sich aufzunehmen. Sie werden unter den drei Clans aufgeteilt, doch Grim, Tjalf und Kerth machen sich auch Sorgen. Grim war sehr besorgt um Asvi und Ronar und hat darauf gedrängt, dass es zukünftig in jedem Clan einen Feuermagier geben sollte, damit in der Not niemand diesen weiten Weg auf sich nehmen muss.“
    „Das hat er gesagt?“, fragte Meister Altus skeptisch, denn er fragte sich wohl, ob Milten ihm nicht selbst diese Idee in den Kopf gepflanzt hatte.
    „Das hat er gesagt“, bestätigte Milten mit fester Stimme. „Tjalf hat mich ausdrücklich darum geben, das sofort mit euch zu besprechen. Er hat gesagt, sie brauchen unbedingt unsere Hilfe.“
    Dargoth fuhr sich mit den Fingern übers Kinn und sagte dann: „Wenn die Clanchefs so direkt um Hilfe bitten, müssen wir schnell etwas tun, immerhin sind wir auf ihre Hilfe angewiesen und normalerweise versuchen sich diese harten Knochen keinerlei Schwäche anmerken zu lassen.“
    „Die Novizen sind aber noch längst nicht so weit eigene Wege zu gehen“, sagte Aidan grummelnd.
    Milten biss sich auf die Unterlippe und alle Augen richteten sich wieder auf ihn.
    „Na los, spuck es schon aus!“, sagte Aidan harsch.
    „Grim wollte wissen, warum wir keine ausgebildeten Magier schicken.“
    „Der hat vielleicht Nerven“, knurrte Aidan. „Als hätten wir hier nichts zu tun.“
    „Aidan“, mahnte Altus, doch seine Stimme blieb ruhig und sanft. „Wir müssen ihren Hilferuf ernst nehmen. Ja, wir haben hier alle unsere Aufgaben zu erfüllen, doch angesichts der neuen Entwicklungen müssen wir überlegen, ob wir ihrer Bitte nachkommen sollten.“
    Aidan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann überlegte er es sich wohl anders, denn kein Laut kam aus ihm hervor. Er schloss den Mund wieder und sah genervt beiseite.
    „Wir haben es Milten zu verdanken, dass der Konflikt zwischen den Clans und den Myrtanischen Kriegern nicht eskaliert ist, aber wer weiß ob das so bleibt. Es wird Anstrengung, Zeit und Geduld brauchen, bis sich diese Leute in die Clans eingefügt haben. Nordmarer sind nicht leicht zu überzeugen“, sagte Meister Altus. „Und es wäre hilfreich, wenn wir Feuermagier in jedem Clan hätten, die verhindern könnten, dass der Streit neu aufflammt.“
    Aidan stöhnte. Doch Pyrans Augen funkelten und er sagte aufgeregt: „Also, ich möchte gerne den Leuten in den Clans helfen. Das ist bestimmt spannend und ich kann viel lernen.“
    „Gut“, sagte Meister Altus. „Seid ihr anderen auch damit einverstanden, wenn Pyran geht?“
    Nach kurzem Gemurmel stimmten die anderen Magier auch zu. Die Novizen hatten noch kein Recht ihre Meinung in die Wagschale zu werfen.
    „Ich finde“, begann Dargoth. „Da Pyran so viel Engagement zeigt, darf er sich aussuchen in welchen Clan er geht.“
    „Dem stimme ich zu. Na Pyran, wohin soll es gehen?“ fragte Altus und lächelte ihn an.
    „Zum Feuerclan“, sagte Pyran sofort.
    „Ist der kürzeste Weg“, sagte Asulf verschmitzt. „Wenn ich darf, möchte ich zum Wolfsclan gehen. Dort kenne ich alle und sie vertrauen mir. Ich denke, das wäre für alle am besten.“
    „Einverstanden“, sagte Altus und auch Dargoth und Milten nickten. „Dann bleibt nur noch der Hammerclan.“
    Altus und Dargoth sahen nun Aidan an.
    „He, warum guckt ihr mich so an?“ empörte der sich.
    „Naja“, sagte Dargoth leise. „Es wäre unfair, wenn zwei Clans einen Feuermagier bekommen, aber einer nicht. Das würde zwangsläufig zu Streit führen. Also muss auch einer von uns zum Hammerclan gehen.“
    Aidan war klar, dass Dargoth nicht gehen würde. Er gehörte fast schon zum Inventar der Bibliothek. Niemand kannte sich in ihr so gut aus wie er und Meister Altus leitete das Kloster, war also auch unabkömmlich.
    „Was ist mit Milten? Soll er doch gehen, immerhin hat er sich das von den Clanchefs aufschwatzen lassen“, sagte Aidan schnippisch.
    Milten zuckte mit den Schultern und sagte dann: „In Ordnung, wenn du dann die Ausbildung der Novizen übernimmst.“
    Aidan stieß ein gequältes Grollen aus. Milten wusste, dass Aidan es hasste die Novizen unterrichten zu müssen.
    „Na gut, ich mach’s. Ich geh zum Hammerclan“, gab er sich schließlich geschlagen. „Haben wir wenigstens noch ein paar Tage?“
    „Nun, ich denke, es wäre, das Beste, wenn ihr spätestens Übermorgen aufbrecht, damit die Clanchefs sehen, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen und uns um sie kümmern.“
    Pyran sah ganz aufgeregt aus und Asulf froh wieder nach Hause zu kommen. Nur Aidan wirkte verdrießlich.
    „Wird ein ganzes Stück Arbeit, die dann auf uns Übrige zukommt“, sagte Dargoth und seufzte. „Aber ich denke, wir alle zusammen werden das schon schaffen.“
    Den Novizen entging nicht, dass er bei diesen Worten ganz besonders sie ansah.
    „Vergesst nicht zusammen zu gehen“, mahnte Altus Asulf, Pyran und Aidan. „Und wenn Asvi und Ronar sich übermorgen bereit für die Reise fühlen sollten, könnt ihr sie gleich begleiten.“
    Milten war zufrieden. Für ihn hatte sich alles zum Guten entwickelt. Zufrieden ging er hinauf in den Schlafsaal wo Asvi schlief. Runar lag neben ihr auf dem Fußboden vor dem Kamin. Er hob wachsam den Kopf, um zu sehen wer sich näherte. Als er Milten sah, wirkte er beruhigt und legte seinen Kopf zurück auf die Ledertasche, die er als Kissen nutzte. Milten lächelte. Wenn es in den Clans künftig Feuermagier gab, dann würde die Gefahr von falsch eingesetzten Manatränken hoffentlich gebannt werden. Müde, aber zufrieden ließ er sich in sein Bett fallen und schlief rasch ein.

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    Alejandros Tagebuch 09. Februar

    Die Paladine haben uns, glaube ich, verloren. Schon seit Tagen haben wir ihr Schiff nicht mehr gesehen. Ich bin wirklich froh, dass wir zu den Fischschwanzinseln gefahren sind. Wir sind nicht so schnell voran gekommen wie erhofft und deswegen ging uns das Frischwasser aus. Zwei Tage ohne Wasser! Ich war noch nie in meinem Leben so durstig gewesen. Unter Deck hat es ein kleines Gerangel gegeben, weil alle an das Fass mit diesen komischen Armleuchteralgen wollten, weil da noch Wasser drin war, doch mein Entertruppführer hat Francis eins auf die Nase gegeben, nachdem der herumgebrüllt hatte, dass er sich jetzt mit diesem Zeug volllaufen lassen würde, ganz egal was da alles drin wär. Wegen seiner gebrochenen Nase blutete Francis die Planken voll und das hielt die anderen dann davon ab sich ebenfalls zu nah an das Fass heranzuwagen. Es ist erstaunlich wie viel Respekt die anderen Piraten vor meinem Entertruppführer entwickelt haben. Er ist weder der größte noch der stärkste in der Crew, aber niemand ist entschlossener als er. Vermutlich liegt es auch an den vielen Fähigkeiten, die er hat. Ich glaube gerade seine Magie wirkt sehr einschüchternd. Es ist schwer einzuschätzen, was er damit alles anstellen kann. Jedenfalls hat dann niemand mehr aufgemuckt. Warum er ein Fass für diese Alge verschwendet hat, darüber haben sie sich lange gewundert und beschwert. Auch die anderen Entertruppführer sind unzufrieden und vielleicht wäre alles zu einer großen Auseinandersetzung hochgekocht, wenn wir dann nicht endlich in Sturmkap unsere Lebensmittelvorräte hätten aufstocken können.
    Der Kapitän wollte natürlich hierher, weil Merkassa die beschädigten oder zerstörten Kanonen gegen neue austauschen sollte. Henry meinte, sie hat ein großes Trara gemacht und sich darüber beschwert wie wir mit ihren kostbaren Kanonen umgegangen sind, doch als sie vom Kapitän hörte was wir erlebt hatten und wie gut ihre Kanonen funktionierten, hat sie ihr Versprechen tatsächlich eingehalten und uns neue Kanonen überlassen. Hätte ich nicht gedacht. Als sie von Merkassa zurückkamen hat Henry aufgeregt einen Steckbrief von meinem Entertruppführer vorgezeigt. Offensichtlich ist die Sache mit der in Brand gesetzten Paladinfestung von Sturmkap bis hierhergedrungen. Ich weiß nicht wie. Henry vermutet, dass das Paladinschiff, das wir damals im Sturm abgehängt haben hier vorbeigekommen ist und nach uns gesucht hat. Auch das noch. Schlimmer als ein voll besetztes Schiff mit Paladinen sind zwei, die uns suchen und mein Bauchgefühl sagt mir, dass es vermutlich nicht bei diesen beiden Schiffen bleiben wird. Was haben wir uns da nur eingebrockt?
    Wir haben alle darüber geredet. Viele waren besorgt. Ich glaube so richtig ist bei einigen erst jetzt angekommen, dass es in Zukunft nicht mehr einfach wird in irgendeinem Hafen anzulegen, ohne aufzufallen. Wir sind jetzt berühmt und berüchtigt, insbesondere nach unseren Schandtaten in Adloka. Ich bin erstaunt, dass mein Entertruppführer nicht sofort verhaftet wurde. Vermutlich haben die Wachen ihn nicht gleich erkannt, denn die Zeichnung auf dem Steckbrief sieht ihm nicht wirklich ähnlich. Erstaunlicherweise war er gar nicht besorgt. Er schlug sogar vor wir sollten ihn ausliefern, damit wir die auf ihn ausgesetzten zwanzigtausend Goldstücke kassieren und er würde dann später ausbrechen und zu uns zurückkehren. Parviz und Henry fanden die Idee gut, doch Alligator Jack meinte, dass dabei viel schief laufen könnte. Der Kapitän war strikt dagegen, denn er wollte nicht noch mehr Argwohn hier in Sturmkap erregen. Er meinte, es wäre vermutlich das letzte Mal, dass hier anlegen würden. Es wäre zu gefährlich. Bräuchten wir nicht die Ersatzkanonen, wären wir wohl gar nicht hier. Das mit dem Steckbrief hat den Kapitän offensichtlich beunruhigt und deswegen wollte er auch so schnell wie möglich wieder von Sturmkap ablegen.
    Wir haben auch vier neue Leute dazu bekommen. Ich weiß noch nicht viel über sie, nur dass sie Romuald, Antonius, Bernhard und Ludwig heißen und offensichtlich keiner von ihnen wusste, dass sie auf einem Piratenschiff anheuerten, bis wir wieder in See stachen und die Crew ihnen unter Gejohle die Fahne des Kaptiäns unter die Nasen hielten und sie auf ihre stürmische und ungemütliche Art in der Crew willkommen hießen. Immerhin ist die Crew jetzt wieder besser gelaunt.
    Von unserem letzten Aufenthalt in Sturmkap wusste Skip noch wo sich gut Diebesgut verkaufen lässt. Er hatte da wohl einen Geheimtipp und viele, die nicht vom Kapitän zu Merkassa geschickt wurden, waren mit Skip losgezogen, um das Zeug zu verhökern, das sie in Adloka geplündert hatten. Als sie zurückkamen, herrschte ausgelassene Stimmung. Eigentlich sollte ich froh darüber sein, doch oft fällt es mir immer noch schwer mich zwischen den betrunkenen und dann besonders ruppigen Piraten zu behaupten. Viele gängeln mich, schimpfen mich Schwächling und Weichei und ich weiß dann nie was ich dagegen tun soll. Trotz all meiner Abenteuer bin ich immer noch kein harter Kerl geworden. Ich könnte ihnen nicht einfach einen Eispfeil an den Kopf knallen. Das wäre ohnehin dumm, denn es würde denjenigen nur wütend machen, so dass er mich bestimmt totschlägt.
    Seit den schrecklichen Erlebnissen auf Adloka ist mein Wunsch die „Murietta“ zu verlassen wieder stärker geworden, aber ich bin immer noch zu feige auf eigene Faust loszuziehen. Immer wieder fallen mir Gründe ein, warum es schlecht wäre ausgerechnet bei diesem oder jenen Hafen das Schiff zu verlassen. In Sturmkap war es, weil sie immer noch nach dem Mörder von diesem Richter suchen. Was wenn sie mich aufgegriffen hätten? Was, wenn sie mich befragt hätten? Ich bin ein echt mieser Lügner. Sie hätten schnell rausgefunden, dass ich etwas weiß, aber nicht sagen will. Hätten sie mich vielleicht sogar gefoltert, um an die nötigen Informationen zu kommen? Und was wäre dann passiert? Nein, es war mir einfach zu gefährlich von Bord zu gehen. Aber ist es hier wirklich besser? Wir haben schon so viele gefährliche Abenteuer erlebt, dass ich mir immer wieder sage, dass es ja nicht mehr schlimmer kommen kann, aber dann überrascht mich das Schicksal immer wieder aufs Neue. Immerhin hier kann ich noch etwas über Magie lernen. Die Bücher, die mir mein Entertruppführer gegeben hat sind äußerst interessant. Wenn möglich ziehe ich mich mit ihnen in meine Hängematte zurück, um zu lesen. Tagsüber kann ich ohnehin nicht gut schlafen. Es ist so laut und hell und obwohl ich immer noch von der langen harten Arbeit erschöpft bin, schlafe ich meist nur ein paar Stunden. Ich hoffe, ich bin nicht für immer in der Nachtschicht. Ich verstehe, dass es nur fair ist, die Schichten durchzutauschen, doch ich glaube lange halte ich das nicht mehr aus. Ich könnte fragen, ob ich in einen anderen Trupp komme. Jemand anderes würde sicher mit mir tauschen, denn viele wollen in diesem Trupp sein, gerade viele von den ehemaligen Orksklaven. Sie nennen meinen Entertruppführer immer noch Befreier und sehen zu ihm auf. Ich will aber ganz bestimmt in keinen anderen Trupp. Henry kann wirklich ungemütlich werden, wenn man die Arbeit auch nur ein wenig schleifen lässt, Parviz ist mir unheimlich und Alligator Jack ist zwar im Großen und Ganzen in Ordnung, doch er hält mich für einen Nichtsnutz und bei ihm hätte ich es sicher noch schwerer als ohnehin schon. Außerdem unterstützt mich mein Entertruppführer immer noch mit der Magie. Heute früh nach der Schicht hat er mit mir geübt. Er hat auf der Reling Ziele aufgestellt, die ich mit der Magie des Eispfeils treffen sollte. Ich hab mich leider nicht allzu gut angestellt und viele der zuschauenden Piraten haben mich ausgelacht. Mein Ansehen in der Crew ist in der Tat wieder schlechter geworden. Als mich mein Entertruppführer zum Wassermagier gemacht hatte, wurde die Crew respektvoller, aber gerade viele der neuen Leute haben wohl einen anderen Bezug dazu. Vielleicht weil ihnen Magie nichts bedeutet, oder weil sie nicht dabei gewesen waren, als mein Entertruppführer mich gesegnet hat, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch, weil sie so lange Sklaven waren, vielleicht hat das ihre Herzen hart gemacht. Mein Entertruppführer ermutigt mich, es immer weiter zu versuchen. Er sagt, es wäre bald an der Zeit für den dritten Kreis. Mir geht das alles ganz entschieden zu schnell. Ich hab kaum die Grundlagen verstanden und da soll ich schon in den dritten Kreis aufsteigen? Ich hatte gehofft, ich würde mich mit der Zeit daran gewöhnen ein Magier zu sein, aber die Wahrheit ist, dass ich mich immer noch nicht so wirklich wie ein Magier fühle. Es kommt mir vor, als würde mir alles einfach zugeworfen und ich sollte mal eben damit klarkommen. Ich fühle mich noch gar nicht bereit für all diese Macht, die ich in die Hände gedrückt bekomme. Das wächst mir alles einfach über den Kopf. Ich wünschte mi…
    Geändert von Eispfötchen (16.03.2024 um 14:21 Uhr)

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    Untot im Drachenboot

    Der Angriff kam unvermittelt am frühen Morgen während des Schichtwechsels. Die meisten Männer des Helden hatten sich gerade in ihre Hängematten legen wollen, als der Held orkisches Kampfgebrüll hörte.
    „Alle Mann zu mir!“ kommandierte er seinen Trupp allarmiert.
    Sofort waren seine verwirrt dreinblickenden Männer bei ihm und es wagte noch nicht einmal ein einziger zu murren. Im ersten Licht des Morgens rannten sie die Treppe hinauf aus Deck, der Held vorneweg. Gerade erst oben angekommen sahen sie wie Frank und der frisch zur Mannschaft dazu gestoßene Romuald von fürchterlich anzusehenden untoten Orks äußerst brutal dahingeschlachtet wurden. Die Männer des Helden blieben stocksteif stehen, selbst der Held war kurz verwundert. Untote Orks mitten auf hoher See? Wo kamen die denn plötzlich her?
    Den untoten Orks war ihr Überraschungsangriff ganz offensichtlich geglückt. Zwei Orks waren bereits auf Deck, doch immer mehr von ihnen kamen über die Reling der Steuerbordseite geklettert. Fertigern kämpfte entschlossen gegen den Ork, der gerade Frank umgebracht hatte. Erst war er dem Hieb des Krush Karroks ausgewichen und stach dann mit seinem Degen zu. Doch seine zierliche Waffe war völlig ungeeignet gegen den untoten Ork. Ein Degen sollte vor allem wichtige Arterien durchtrennen und seinen Gegner so verbluten lassen. Bei einem Gegner, der nicht verbluten konnte, war der angerichtete Schaden jedoch gering. Der Ork hielt noch nicht einmal in seiner Bewegung inne und spaltete Fertigern laut brüllend den Schädel.
    „Los! Angriff!“ befahl der Held, zog seinen Orkschlächter und warf sich mutig ins Getümmel.
    Seine Leute sahen ihm verwundert und angsterfüllt nach, doch Ragnar und Skip folgten ihm nach dem ersten Schreck loyal mit gezogenen Waffen und grimmigen Mienen. Von oben aus dem Ausguck hörten sie wildes Gebimmel. Offenbar hatte nun auch Enrico, der im Krähennest saß, endlich mitbekommen, dass etwas nicht stimmte. Unter Deck wurden Rufe laut und der Held vermutete, wer gerade noch etwas gegessen oder geschlafen hatte, war nun hellwach und würde sich ihrem Kampf anschließen. Er hatte sich derweil schon unter dem Angriffsschlag des nächststehenden untoten Orks hinweggeduckt und stieß ihm nun kraftvoll den Orkschlächter in den Magen. Der Ork brüllte, mehr aus Wut, denn aus Schmerz und fiel auch nicht um, sondern holte zum nächsten Angriff aus. Mit einem Ruck riss der Held sein Schwert aus dem Leib des untoten Orks und machte einen Ausfallschritt zur Seite, um einerseits dem nächsten wuchtigen Angriff zu entgehen und andererseits die ungeschützte Flanke des Orks mit seinem Schwert aufzuschlitzen. Allerdings geriet er nun auch in Bedrängnis, da der Platz auf Deck äußerst begrenzt war. Beinahe wäre er über ein aufgespanntes Seil gestolpert und in einen der anderen untoten Orkkrieger gefallen, den der kräftige Ragnar nun mit seiner großen Barbarenstreitaxt bearbeitete. Es sah nach einem spannenden Kampf aus. Ragnar und der untote Ork waren in etwa gleich stark und jeder von ihnen kämpfte mit ungeheurer Härte. Der Held hatte aber keine Zeit genauer hinzuschauen, denn er war noch mit seinem Gegner beschäftigt. Er verpasste ihm gerade zwei weitere schwere Wunden, bei denen ein lebender Ork sofort gestorben wäre, doch selbst das reichte nicht aus, um ihn zu erledigen. Ein Knistern erfüllte die Luft und ein greller Blitz erschlug den Ork, den der Held bis eben noch malträtiert hatte. Kurz sah der Held hoch zu Parviz, der in den Wanten hing und von seiner erhöhten Position eine hervorragende Übersicht über das wilde äußerst brutale Kampfgeschehen hatte. Von hier aus konnte er seine Zauber wirken, ohne selbst ein Opfer zu werden, denn alle untoten Orks verfügten nur über Nahkampfwaffen.
    Zumindest dachten sie das, bis ein letzter Ork an Bord des Schiffes kletterte. Er unterschied sich optisch deutlich von den anderen Orks, war weniger kräftig, schlanker von der Gestalt, aber auffallend dekoriert. Er trug einen markanten verzierten schwarzen Helm und ein zerschlissenes lila Gewand, ähnlich einem Poncho. In der Hand trug er einen braunen magischen Stab, den er nun auf Alligator Jacks Trupp richtete, der mit wildem Kampfgebrüll auf ihn zustürmte. Ein gleißender Blitz entlud sich von dem unheiligen Stab und schlug im Kopf von Carlos ein, doch dabei blieb es nicht. Der Blitz sprang weiter zu Tobias und Maurice und hätte wohl auch Bill getroffen, hätte der sich nicht rasch zu Boden fallen lassen. Neben ihm sackten die vom Kettenblitz getroffenen Kameraden auf die Holzplanken und regten sich nicht mehr. Alle Piraten rundherum blieben stocksteif stehen und starrten mit schreckgeweiteten Augen den untoten Orkschamanen an, der sich nun für einen neuen Zauber sammelte.
    „Alle auf den Orkschamanen!“ kommandierte der Held, denn er wusste, der musste rasch sterben, oder sie würden nicht mehr erleben wie sich die Sonne vollends vom Horizont erhob.
    Der Ruf des Helden riss die schockierten Männer aus ihrer Starre und sie rannten auf den Schamanen los. Auf einen unhörbaren Ruf hin bildeten die acht verbliebenen untoten Orkkrieger aber eine undurchdringliche Mauer, um ihren Schamanen zu schützen.
    Der Held hatte sich zurückgezogen, um mit der alten Magie seinen Dämon zu beschwören. Da er sich auf seinen Zauber konzentrieren musste, bekam er die Geschehnisse seiner Umgebung nicht voll und ganz mit, doch als Boris, der Dämonenpirat, endlich neben ihm materialisierte, lagen Michael, Nikolaos und Christian tot auf dem Deck. Ragnar, Skip und Brandon waren schwer verletzt und wären sicher gestorben, hätten Samuel und Alejandro sie nicht mit Heiltränken und Heilmagie behandelt. Greg war mittlerweile ebenfalls in den Kampf eingetreten und kommandierte entschlossen seine Crew. Ihr letzter Kampf gegen die Orks war der Mannschaft noch gut in Erinnerung geblieben und so versuchten sie auch jetzt die Ratschläge des Helden zu beherzigen. Es gab allerdings zwei große wichtige Unterschiede. Diese Orks waren untot. Die Strategie ihre Füße zu treffen, so dass sie umfielen und leicht zu töten waren, funktionierte diesmal nicht. Die Orks blieben einfach stehen und setzten zu verheerenden Gegenangriffen an. Zum anderen brachte es dieses Mal auch nichts sich in mehreren Reihen zu verbarrikadieren, denn der Orkschamane warf mitleidslos einen Zauber nach dem anderen. Zusammenzustehen wurde heute zu einem tödlichen Nachteil. Gerade als der Held seine untote Vernichten Rune suchte, kostete der gefürchteter Kettenblitz nun auch Kasimir, Artem, Kai und Till das Leben, die erbittert gegen die Orks gekämpft hatten.
    Da in so kurzer Zeit so viele Männer ihr Leben verloren hatten, gerieten nun die übrigen in Panik. Die Mehrzahl der überlebenden Piraten, vor allem die verbliebenen Männer aus dem Ausbesserungstrupp versuchten irgendwohin zu entkommen. Kalt und unbarmherzig nahm der Schamane aber auch die ängstlich Flüchtenden aufs Korn. Rolf konnte sich gerade noch hinter den Großmast retten, so dass der Blitzschlag das Holz splittern ließ. Der gesamte Mast erzitterte, doch noch hielt er. Heiko versuchte unter Deck zu entkommen, doch er entging dem grellen Blitzschlag nicht und fiel tot um. Währenddessen wirkte der Held zweimal Untote vernichten, so dass zwei der untoten Orkkrieger umfielen wie Puppen, denen die Fäden durchgeschnitten wurden. Gerne hätte der Held noch einige Zauber nachgesetzt, doch seine magische Kraft war erschöpft. Er musste sie erst regenerieren. Währenddessen hatte Parviz einen Blitzangriff auf den Orkschamanen abgefeuert, doch den hatte das anscheinend nicht groß beindruckt. Nun zielte der Schamane seinerseits auf Parviz, der sich nur durch einen tollkühnen Sprung aus den Wanten retten konnte. Der untote Orkschamane beachtete ihn nicht weiter. Er sah kurz zu den beiden endgültig getöteten Orks auf den blutbesudelten Planken und sah dann zum Helden. Ganz offensichtlich war er nun das Ziel mit der höchsten Priorität. Da Boris, der Dämon, ihm aber nun jede Sicht nahm, weil sich sein Kampf mit den untoten Orks ausweitete, gelang es dem Schamanen nicht den Helden ins Visier zu nehmen, der gerade mehrere Manatränke hinunterstürzte.
    Der Held sah wie Alejandro zu Parviz stürzte und ihn zusammen mit Enrico und Jürgen unter die Treppe schleifte, wo sie sich einigermaßen in Sicherheit wähnten, um die schweren Brüche von Parviz zu behandeln. Greg, Alligator Jack, Bones, Morgan, Eugen, der kleine Nils, die zwei neuen Männer Ludwig und Bernhard, sowie Ragnar, der wieder genesen war, kämpften weiterhin verbissen gegen die untoten Orks. Sie hatten im Verlauf der kurzen aber äußerst brutalen Schlacht bereits vier Orks niedergestreckt und indem sie zusammen arbeiteten gelang es ihnen noch einen fünften zu vernichten. Während der Held sich weiter näherte und seinen Winkel veränderte, um freies Schussfeld zu haben, stürmte der kräftige Bernhard heldenhaft vor und trieb dem Schamanen mit einem Kampfschrei sein Langschwert in den unheimlichen Schädel. Es war kurz seltsam still, vielleicht weil einige vermuteten, nun da der Schamane starb, würde der Spuk ein Ende haben, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen deutete der Schamane mit seinem Stab auf Bernhard und fällte ihn mit einem Blitz.
    „Nein!“ schrie Ludwig und stach nun seinerseits auf den Schamanen ein, doch sein Angriff verursachte nicht den geringsten Schaden.
    Der Schamane stand weiterhin unbeeindruckt da und sammelte sich für den nächsten Zauber. Es dauerte nun deutlich länger bis er erneut Magie wirken konnte, was wohl ihr Glück war, denn Morgan und Bones konnten es wohl auch nicht glauben, denn sie stachen und hieben wie von Sinnen auf den untoten Orkschamanen ein, bis Greg rief: „Dat hat kenen Zweck! Dat Ding lett sik nich dootmaken. Rückzug!“
    Er wich dem Schlag eines verbliebenen untoten Orkkriegers aus, der ihm sonst den Kopf gespalten hätte und stach ihm seinen Säbel in die Seite. Dann führte er seine verbliebenen Männer weg vom Hort des Wahnsinns. Leider sah der alte Eugen wegen seines eingeschränkten Schichtfelds den von rechts kommenden Orkangriff nicht, so dass das Krush Karrok seine Schädelknochen zersplittern ließ und ihn tötete.
    Der Held sah die Verstörung in den Gesichtern der erschreckend zusammengeschrumpften Mannschaft. Wie sollten sie etwas töten, das unverwundbar war? Der Held ahnte etwas. Er war nun in der Position, um dem Orkschamen höchst selbst einen Untote vernichten Zauber aufzuhalsen, doch der Zauber bewirkte gar nichts.
    Der Held nickte. Das hatte er befürchtet. So etwas war ihm bereits im Tempel des Schläfers untergekommen. Rasch ging er hinter Boris in Deckung, der nun einen der verbliebenen Orks mit seinem Feuerschwert aufschlitzte. Statt dem Helden bekam nun Boris den Blitzschlag verpasst. Der ohnehin bereits arg mitgenommene Dämon brach brüllend zusammen. Eilig hatte der Held Uriziel aus der Hosentasche geholt, denn auch wenn es auf dem Schiff sehr beengt war, das legendäre Schwert war das einzige was sie jetzt noch retten konnte. Er stürmte vor, über Boris hinweg und nutzte seinen erhöht liegenden Körper für einen tollkühnen Sprung, um sich den beiden verbliebenen untoten Orkkriegern entgegen zu werfen. Der Held verfluchte sich, dass er die Waffe nicht schon längst eingesetzt hatte. Mit Uriziel war es leichter die Orks zu töten. Die Klinge fraß sich gierig durch das untote Fleisch und verbrannte es. Der Blick des Orkschamanen fiel auf Uriziel und im Moment des Erkennens weiteten sich seine Augen. Er hob den gefürchteten Stab, um einen erneuten Blitz zu schleudern, doch der Held ließ ihm dafür keine Zeit. Ohne zu warten, ob die beiden untoten Orkkrieger wirklich sterben würden, lief der Held todesverachtend auf ihn zu und trieb ihm Uriziels Klinge ins faulige Herz. Einen Moment blieb der untote Orkschamane stehen und der Held befürchtete für einen kurzen Augenblick, dass Uriziels Macht versagt haben könnte, doch dann brach der untote Orkschamane doch zusammen. Schwer atmend stand der Held da und sah sich um. Er stand allein umgeben von Leichen auf der Steuerbordseite der „Murietta“. Die verbliebene Mannschaft sah ihn fassungslos an.
    „Ist es vorbei?“ fragte Samuel leise mit vor Furcht zitternder Stimme.
    „Scheiße, na besser wär das!“ schimpfte Ragnar grimmig und sah sich auf dem mit Leichen gepflasterten Deck um.
    Der Held steckte Uriziel an eine Halterung an seinem Rücken und ging zur Reling.
    „Was gibt es denn da zu sehen?“ fragte nun Bill und ging zu ihm herüber.
    „Ihr Schiff“, informierte der Held knapp.
    Nun kamen auch viele der anderen Piraten herüber, um es sich anzusehen. Tatsächlich lag da ein Schiff neben der Murietta.
    Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne beschienen das kleine sichtlich mitgenommene fast schwarze Langschiff, das einem Drachen ähnelte. Vorne war noch ein übel zugerichteter Kopf zu sehen, die Schwanzspitze fehlte jedoch. Der Mast war nur noch ein Stumpf. Sie hatten sich wohl mithilfe der Ruder bewegt, die nun verloren im Schiff lagen. Es war mittels Enterhaken an der „Murietta“ festgemacht wurden.
    „Wer hatte Deenst im Krähennest? Welcher Döösbaddel hat dat übersehn?“ brauste Greg auf.
    Es sprach für Enrico, dass er trotz allem was geschehen war mit gesenktem Blick vortrat und bereit war für seine Verfehlung die Prügel einzustecken.
    „Ich.“
    Er hob den Blick und es lag ein Flehen darin, seinen Worten zu glauben.
    „Aber ich schwöre, da war nichts. Auch die Paladine waren nicht zu sehen. Es war nur pure Schwärze Da war nichts, ich schwöre.“
    Greg schnaubte und sah Enrico finster an.
    „So, du schwörst also… Un wat is dat wert? Die werden doch nich ut dat nix gekommen sün.“
    „Es war dunkel“, setzte sich Parviz für seinen Freund ein. „Das Schiff ist klein und sie hatten natürlich keine Lampen entzündet.“
    „Un? Wat nu? Mokt dat den Schaden wech?“ schnauzte Greg Parviz an.
    „Nein, natürlich nicht, aber das hätte jedem entgehen können“, ließ Parviz nicht locker.
    Enrico warf ihm einen zutiefst dankbaren Blick zu. Sein Gesicht verfinsterte sich allerdings als Greg weiter brüllte: „Wenn wi nich so veele Männer verloren harrn, deed ik di Kielholen för dien Versagen. Aver ik will mi en paar unschöön Arbeiten för di utdenken, darop kannste wetten.“
    Unglücklich und demütig sah Enrico wieder auf die blutigen Planken und wagte nichts zu entgegnen, aus Angst, dass es noch schlimmer werden würde. Es war einen langen Moment still, dann hörten sie Schritte. Samuel hatte durchgezählt und informierte nun den Piratenkapitän: „Wir haben sechzehn Leute verloren.“
    Greg seufzte schwer und schimpfte dann: „Wat fürn beschissener Morgen.“
    „Kannst du laut sagen“, knurrte Henry. „Wo kamen die überhaupt her?“
    „Vermutlich gehörten sie zu den Orks die uns auf unserer letzten Reise zur Pirateninsel begegnet sind“, sagte der Held und bemerkte wie die anderen interessiert seinen Worten lauschten. „Dieser Schamane hat wohl irgendwas gedreht, dass er nicht sterben musste und dann einige seiner Kameraden zurückgebracht.“
    „Und dann haben sie uns hier aufgelauert, in der Hoffnung wir fahren hier noch einmal vorbei?“ fragte Alligator Jack.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Sieht so aus.“
    „Na wunderbar“, sagte Henry sarkastisch und schnaubte. „Drecksorks.“
    „Ja, ist echt beschissen gelaufen“, stimmte der Held zu. „Hätte ich mehr riskiert, hätte ich sie schneller getötet.“
    Dieses Gefühl nagte an ihm, doch die anderen Piraten sahen ihn nur ungläubig an, bis schließlich Alligator Jack sagte: „Machst du Witze? Du hast fast die Hälfte der Orks getötet, außerdem den unheimlichen Orkschamanen, dem keiner von uns etwas anhaben konnte.“
    „Ja, nicht mal mein Blitzzauber hat ihm was getan“, sagte Parviz wütend. „Mistvieh!“
    Er spuckte aus.
    Einige sahen ihn an und nickten, doch manche beachteten ihn gar nicht weiter. Sie wollten vom Helden wissen wie er diese Glanzleistung vollbracht hatte.
    „Erzählst du uns jetzt endlich was das für ein legendäres magisches Schwert ist, das du da hast?“ fragte Ragnar ruppig. „Du hast es schon in der letzten Orkschlacht getragen. Die Orks scheinen es zu kennen … und zu fürchten.“
    Der Held überlegte, ob er wirklich etwas über Uriziel sagen sollte, doch die anderen bedrängten ihn weiter, so dass er keine andere Möglichkeit sah sie zur Ruhe zu bringen, als es ihnen zu erzählen. Der Held zog Uriziel erneut, stellte es mit der Klinge voran auf die Planken und sagte: „Das ist Uriziel. Ich fand es in einem uralten Tempel im Minental. Dort war es von den Orks versteckt wurden, denn sie fürchteten dessen Kräfte. Nachdem mir ein Kumpel geholfen hat die magischen Kräfte des Schwertes wiederherzustellen, konnte ich damit einen untoten Orkschamanen im Tempel bezwingen, der sich nicht anders hatte vernichten lassen.“
    „Meine Fresse…“, kam es von Morgan, dem der Unterkiefer heruntergeklappt war. „Und das erzählst du erst jetzt?“
    „Er ist eben nicht so ein Aufschneider wie du“, kam es schnippisch von Samuel.
    „Naja, eigentlich ja doch, hat doch all die Orks aufgeschnitten“, sagte Kettenklaus belustigt, sah aber auch voller Ehrfurcht zum Helden.
    Dem Helden war das unangenehm. Wieder stand er im Mittelpunkt. Wieder sahen ihn alle als jemand besonderen. Wieder würden sie Erwartungen an ihn stellen. Der Held seufzte und befestigte Uriziel wieder an der Halterung an seinem Rücken.
    „Dorüm wüssst du also, dat dit Sweert em töten könnte“, sagte Greg trocken, der wohl als einziger nicht versuchte beeindruckt zu sein.
    „Und dieser Zauber? Das war doch untote Vernichten, oder?“ fragte nun Ludwig, dessen sehnige Gestalt mit dem Blut gefallener Kameraden bespritzt war.
    Sein ernstes kantiges Gesicht wirkte nachdenklich. Der Held nickte.
    „Dann musst du ein sehr mächtiger Magier sein. Ich habe gehört, nur die besten Magier können diesen Zauber anwenden. Sag, wie bist du an dieses Wissen gelangt? Du siehst mir nicht wie ein altehrwürdiger Feuermagier aus.“
    „Ich war mal ein paar Tage ein Wassermagier und auf meinen Abenteuern hab ich das eine oder andere aufgeschnappt“, versuchte der Held abzuwiegeln.
    Ludwigs linke Augenbraue hob sich erstaunlich weit nach oben, so dass sie fast unter seinem schwarzen Schopf verschwand. Glaubte er ihm etwa nicht?
    „Aber der Dämon spricht eher für einen mächtigen Schwarzmagier.“
    „Ich kann alle Arten von Magie verwenden“, sagte der Held knapp und hoffte, dass das Thema damit vom Tisch war.
    „So, genuch palavert. Wenn wi nich wüllt, dat de Hööftmast uteneenfällt, mött wi wat doon. Parviz, weil du för Enrico verantwortlich büst, musst du nu ook den Kopf hinhalten. Du kriggst de letzt beden vom Ausbesserungstrupp in deen Trupp und ihr makt euch an de Arbeit.“
    Parviz nickte, doch Greg war noch nicht fertig, wandte sich zu Enrico und setzte noch nach: „Un du! Ik will di arbeiden sehn, bet dat fardig is, verstahn?“
    Enrico nickte sofort, obwohl das hieß, dass ihm und Parviz Trupp damit vermutlich eine doppelte Schicht bevorstand.
    „Aye Kapt’n“.
    „Goot.“
    „Aber dann ist unser Trupp doch viel größer als die anderen“, sagte der kleine Nils, der die Chance witterte in den Trupp des Helden zu kommen.
    Greg seufzte und sah den Helden schief an.
    „Joa. Sütt ut, as hättst du en Talent darför dien Männer to verleren.“
    „Zufall“, meinte der Held und zuckte mit den Schultern.
    „Un in den Trupp willst du wirklich Niels?“ fragte Greg und sah den kleinen Niels wachsam an.
    „Gerne.“
    „Ich auch“, wagte Kettenklaus zu rufen.
    „Na goot, mok dat!“, sagte Greg, dem jetzt wohl alles recht war, so lange die Trupps zahlenmäßig wieder einigermaßen gleichstark waren.
    Während Parviz mit seinen neuen Leuten an die Arbeit ging, bekamen die anderen von der Crew die unschöne Aufgabe sich um die Leichen zu kümmern. Die untoten Orks schmissen sie achtlos von Deck. Bei ihren Kameraden ließen sie sich mehr Zeit. Die Freunde der Toten verabschiedeten sich so feierlich es unter den gegebenen Umständen möglich war. Offenbar hatten einige der ehemaligen Sklaven lange Zeit mit den Gefallenen zusammengelebt und intensive Freundschaften aufgebaut, die sie vermutlich auch hier zusammen auf das Piratenschiff gebracht hatten. Sie hätten damals nach ihrer Befreiung auch mit den anderen ehemaligen Sklaven davonsegeln können. Was wohl aus ihnen geworden war?
    Romuald bekam wohl die kürzeste Rede, denn keiner hier kannte ihn wirklich. Er war erst seit ein paar Tagen an Bord. Bernhard, der sich so heldenmutig dem Schamanen entgegen gestellt hatte, bekam immerhin einige anteilnahmsvolle Worte von Ludwig. Er dankte Bernhard für die gemeinsame Zeit auf See und sagte, er wünschte sich, dass sie sich unter anderen Umständen hätten verabschieden müssen.
    Für alle wurden die nächsten Tage schwer. Mühsam waren nicht nur die Reparaturarbeiten am Schiff, sondern auch die schweren Gedanken auszuhalten. Parviz Trupp hatte es besonders schlimm getroffen. Rolf und Mirko waren die einzigen, die vom einstmals großen Ausbesserungstrupp noch übrig waren, den es nun sozusagen gar nicht mehr gab. Parviz und ganz besonders Enrico waren im Ansehen des Kapitäns gefallen und daher hatte er einige Änderungen im Schichtplan vornehmen lassen. Henry und der Held tauschten die Schichten, so dass sich die Zeiten von Henry und Alligator Jack mit denen von Parviz überschnitten, damit sie ihn und seinen Trupp im Auge behalten konnten. Besonders Henry nahm diese Aufgabe sehr ernst und kontrollierte immer wieder die erzielten Leistungen von Parviz Leuten. Das machte Parviz fuchsig. Er konnte es nicht ausstehen ständig überwacht zu werden und der Held sah es schon so kommen, dass Parviz und Henry eines Tages einen handfesten Streit miteinander austragen würden. Die Männer des Helden waren dagegen gut gelaunt. Endlich mussten sie nicht mehr in der Nacht arbeiten, konnten lange ausschlafen und mussten erst nach dem Mittagessen an die Arbeit gehen. Viele auf der „Murietta“ meinten, das wäre die beste Schicht und sie sahen die Umverteilung der Schichten nicht nur als Bestrafung für Parviz, sondern auch als Belobigung für den Helden. Der Held wusste nicht, ob das wirklich so war, denn er fand nicht, dass er das verdiente. Immerhin hatte er Greg in der Vergangenheit viel Ärger bereitet und es war ja nicht direkt Parviz Fehler gewesen, dass Enrico das Schiff der untoten Orks nicht hatte kommen sehen. Außerdem hatte Parviz ihm beim Kampf gegen die Orks geholfen. Der kleine Niels hatte ihm gesagt, dass Greg es wohl nicht gern gesehen hatte, dass Parviz sich so feige oben in den Wanten versteckt gehalten hatte. Der Held wusste nicht, ob er das glauben sollte, denn seiner Meinung nach war es ein strategisch gut gewählter Ort gewesen. Vielleicht log der kleine Nils auch nur und es war gar nicht Gregs Meinung, sondern seine eigene. Vielleicht war Nils nicht so gut mit Parviz zurechtgekommen wie es vorgeblich zu sein schien? Der Held wollte sich da nicht einmischen. Was die Leute redeten, nahm er hin, sah es aber eben auch nur als das was es war. Gerede. Nicht mehr und nicht weniger. Was er von anderen Leuten hielt, das maß er nur an dem was sie selbst sagten und vor allem was sie taten.
    Geändert von Eispfötchen (20.07.2023 um 11:04 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Seemannsgarn

    Die nächsten Tage waren für alle aus der Crew schwer. Die Reparaturarbeiten gingen langsamer voran als gehofft, denn Rolf, der früher immerhin Zimmermann gewesen war, hatte dem Kapitän erklärt, dass sie den beschädigten Mast notbehelfsmäßig verstärken mussten, wenn sie damit noch bis zur Pirateninsel kommen wollten. Dort wären dann umfassende Reparaturarbeiten fällig. Während der Arbeiten, aber auch während des Essens redeten die Männer nur so viel wie nötig. Jeder hing seinen düsteren Gedanken nach. Dem Helden hatte es am wenigsten mitgenommen, was viele aus der Crew verwunderte, aber auch beindruckte. Eines Nachmittags standen die Männer von Alligator Jacks Trupp und dem Trupp des Helden gemeinsam bei der Arbeit und durchbrachen ihr Schweigen, indem sie ihre Gedanken über den Helden austauschten.
    „Ich finde es ja sehr mysteriös, dass unser Entertruppführer keinen Namen hat“, fing Kettenklaus leise an. „Ich meine warum? Warum sollte jemand keinen Namen haben? Früher oder später fliegt einem sowas doch wie von selbst zu.“
    „Also ich glaube ja, dass er während des ersten Orkkrieges in Myrtana geboren wurde“, ließ der große Ragnar die umstehenden Piraten wissen. „Das würde doch passen. Er hasst die Orks und vom Alter könnte das hinkommen. Vielleicht war seine Mutter eine Orksklavin und aufgrund der schwierigen Umstände hat sie ihm gar keinen Namen gegeben. Kinder sterben unter schwierigen Bedingungen früh.“
    „Stimmt“, gab ihm Bill recht. „Ich stell es mir schwer vor das eigene Kind zu verlieren und wenn es dann auch noch einen Namen hat, dann haut das bestimmt noch mehr rein.“
    „Also Francis hat nicht so ausgesehen als hätte es ihn sehr berührt, als er erfuhr, dass seine Kinder gestorben sind“, bemerkte der kleine Nils trocken.
    „Naja, das ist aber auch Francis“, meinte Bill mit einem schwachen Grinsen im Gesicht. „Der tut meist so, als wäre er eine harte Sau an die nichts rankommt, aber eine Mutter sieht das bestimmt noch anders.“
    „Naja, aber dann hätte sie ihm doch später einen Namen geben können, als er älter war“, überlegte Kettenklaus und rieb sich über den stoppligen ungepflegten Bart.
    „Vielleicht war sie dann selbst gestorben“, mutmaßte Ragnar und zuckte mit den Schultern.
    „Aber so als kleines Kind, da kann man sich doch nicht selbst durchschlagen“, gab Ludwig zu bedenken.
    „Vielleicht haben sich ja die anderen Sklaven um ihn gekümmert“, schlug Ragnar vor.
    „Du immer mit deinen Sklaven“, murrte der kleine Nils. „Kann ja auch ganz anders gewesen sein.“
    „Klar kann es das“, stimmte Bill zu.
    „Na schön, was glaubst du?“ fragte Ragnar brummig.
    „Also ich denke, dass er ein Bastard von König Rhobar dem ersten ist“, sagte Bill gewichtig. „Denkt doch mal nach! Er hat mal erzählt, dass er das Auge Innos benutzt hat, um gegen die Drachen zu kämpfen …“
    „Drachen? Er hat gegen Drachen gekämpft“, unterbrach Ludwig ihn erstaunt.
    „Was glaubst du wo er das Gold herhatte, dem wir jetzt nachjagen?“, sagte Bones breit grinsend.
    „Wobei ich immer noch nicht ganz verstehe wie sie sich das Schiff einfach unterm Arsch wegklauen lassen konnten. Ich meine … all das viele Gold, das lässt man doch nicht einfach unbewacht“, sagte nun Morgan empört.
    „Als er und seine Begleiter gesehen haben, dass die Orks Myrtana überrannt hatten, da sind sie vom Schiff gekommen, um sie abzumetzeln. Die Orks waren in dem Moment einfach wichtiger als das Gold“, entgegnete Bones.
    „Verstehe ich nicht“, brummte Morgan.
    „Seid ihr fertig?“, fragte Bill unleidlich, weil er unterbrochen wurden war.
    Bill und Morgan warfen ihm grimmige Blicke zu, sagten aber nichts weiter, so dass Bill fortfuhr: „Also, das Auge Innos. Parviz hat mir gesagt, dass das ein mächtiges göttliches Artefakt ist, das nicht einfach jeder benutzen kann und König Rhobar war ein Erwählter von Innos.“
    „Du meinst, wenn er ein Sohn von ihm ist, dann hätte das irgendwie auf ihn abgefärbt?“ fragte Ludwig skeptisch.
    Morgan lachte laut los.
    „Da wäre Innos aber sicher total enttäuscht, oder? Ich meine, … überlegt doch mal was wir schon alles durchgezogen haben. Schon allein die Sache mit der brennenden Paladinfestung in Stahlstern, oder wie wir die Königin abgezogen haben…“
    Er schüttete sich aus vor Lachen.
    „Parviz sagt, Innos und Beliar können nur indirekt Einfluss auf die Welt nehmen, weil Adanos diese Welt erschaffen hat“, sagte Bill. „Also könnte er nichts dran ändern, selbst wenn er enttäuscht ist.“
    „Wir driften hier ganz schön ab, oder?“ fragte Morgan und grinste breit. „Wenn der alte König wirklich der Vater von ihm sein soll, dann muss der es ja ganz schön bunt getrieben haben.“
    „Meinst, er ist ein Besenschrankkind?“ fragte Ludwig.
    „Klar, warum nicht? Sowas kommt doch ständig vor“, sagte Bill und zuckte mit den Schultern.
    „Aha, da kennt sich einer aus“, sagte Morgan und grinste noch breiter.
    „Und was meinst du ist dann passiert?“ fragte Kettenklaus aufgeregt.
    „Naja, vielleicht … ich meine … könnte ja sein“, erzählte Bill weiter und es war ihm deutlich anzusehen, dass er selbst noch nicht so genau wusste wo seine Gedanken ihn hinführen könnten. „Vielleicht war der Zeitpunkt für das Mädel gerade unpassend ein Kind zu bekommen. Vielleicht hatte sie kein Gold und ihre Familie wäre vermutlich auch nicht begeistert, wenn es einen Esser mehr am Tisch gegeben hätte. Vielleicht hat sie ihn ausgesetzt.“
    „Vielleicht vor einem Kloster der Feuermagier?“ fragte jetzt Brandon, der eigentlich gar keine Schicht hatte, aber ihrem Gerede interessiert gelauscht und nun herbeigekommen war, um munter weiter am Seemannsgarn zu spinnen.
    „Ja, könnte doch sein“, sagte nun Bill aufgeregt, der sich über den Einfall seines Kameraden sichtlich freute. „Das würde auch erklären, warum ihm das mit der Magie so leichtfällt. Vielleicht hat er von klein auf mitbekommen wie das so läuft mit der Magie.“
    „So wie er über König Rhobar den zweiten geredet hat, glaube ich nicht, dass Rhobar der erste sein Vater ist“, gab nun Owen zu bedenken, der sich gerne dem Gespräch anschloss.
    Bills Augen weiteten sich.
    „Eh genau! Vielleicht gerade deswegen.“
    Auch Kettenklaus schien jetzt ein Licht aufzugehen.
    „Ja eben! Vielleicht hat er es ihm übel genommen. Stellt euch vor, ihr seid ein Bastard und müsst um jeden Tag kämpfen, den ihr am Leben seid, aber euer Halbbruder wäre König und bekommt alles in den Arsch geschoben.“
    „Ich würde meinen Halbbruder dann echt hassen“, meinte Morgan finster.
    „Und das erklärt dann auch warum er diesen Prinzen Marcello gar nicht ab konnte. Der war doch auch so ein verwöhnter Schnösel“, spann Bill die Geschichte weiter.
    „Es passt alles zusammen“, freute sich Kettenklaus, grinste breit und rieb sich die Hände.
    Einen Moment sahen sich die Piraten an und waren vollends davon überzeugt die Herkunft des Helden ergründet zu haben.
    „Also ich glaube ja, dass er aus Nordmar kommt“, stellte nun der kleine Nils seine These vor. „Hab gehört, da herrscht ein ähnliches Klima wie daheim in den Eiswüstenlanden und nur jemand der von klein auf mit der harschen Kälte umgehen musste, kann so hart und unbeugsam werden.“
    Die anderen dachten darüber nach, dann fiel Bill was ein. Er zuckte zusammen, als hätte ihn etwas gestochen und zeigte dann mit ausgestrecktem Finger auf den kleinen Nils.
    „König Rhobar der erste soll aus Nordmar stammen.“
    „Ja, stimmt, aus dem Feuerclan, hab ich gelesen, das muss also stimmen“, ereiferte sich nun Brandon.
    Die anderen Piraten ließen diese Information auf sich wirken und dachten nach.
    „Und da gibt es auch ein Kloster!“ setzte Brandon hinzu und riss die Augen manisch auf.
    „Und außerdem hatten die Nordmarer immer mit Orks zu tun. Die kommen doch noch weiter aus dem Norden und greifen die Nordmarer immer an“, mischte jetzt auch Morgan munter mit.
    „Aber ich dachte König Rhobar hat in Vengard geherrscht“, sagte nun Owen langsam und nachdenklich.
    „Naja, vielleicht war er mal zu Besuch in Nordmar“, schlug Bill vor.
    „Vielleicht zur Wintersonnenwendfeier, hab gehört in Nordmar ist das ein besonders großes Fest“, sagte Brandon aufgeregt.
    „Also fassen wir zusammen“, sagte Bill gewichtig und schaute ernst in die Runde. „Könnte sein, dass König Rhobar mal zu einer Wintersonnenwendfeier zu Besuch in Nordmar war. Beim Fest wäre bestimmt auch reichlich Alkohol geflossen und wenn das prasselnde Feuer so schön warm brennt, dann werfen die hübschen drallen Nordmarerinnen bestimmt auch ein paar Pelze ab, um ihre herrlichen Rundungen zu zeigen.“
    Die umstehenden Piraten lachten laut und derbe auf.
    „Naja und dann …“
    Bill schlug die rechte Faust in die offene linke Hand.
    „Haben sie sich geprügelt?“ fragte der kleine Nils verwundert.
    „Nein!“ kam es genervt von Bill.
    „Haben sie sich einen Besenschrank gesucht“, vervollständigte Morgan grinsend die Geschichte.
    „Und dann als das Mädel merkte, dass sie vom König schwanger war, hat sie Panik geschoben und das Kind vor dem Kloster der Feuermagier in Nordmar abgelegt. Die haben ihn dann aufgenommen und großgezogen“, fantasierte Brandon und wirkte zufrieden mit sich und dem Teil, den er zur Geschichte beigetragen hatte.
    „Aber er hat es ja auch faustdick hinter den Ohren, wisst ihr noch die brennende Paladinfestung?“ kam Morgan wieder darauf zurück. „Würde mich wundern, wenn er sich allzu lange von den Magiern hat Vorschriften machen lassen.“
    „Haha“, begann Kettenklaus zu lachen. „Stellt euch mal vor was er alles für dummes Zeug hätte anstellen können. Irgendwann hatten die Magier bestimmt die Nase voll von ihm.“
    „Oder er wollte ausziehen und Abenteuer erleben“, überlegte der kleine Nils und blickte zum fernen Horizont.
    „Und dann ist er nach Süden gegangen und …“, spann Ragnar die Geschichte weiter.
    „Was steht ihr hier eigentlich alle sinnlos rum und tratscht?“, hörten sie die markante Stimme des Helden und zuckten zusammen. „Waschweiber brauchen wir nicht, aber wäre schön, wenn ihr mal den Arsch hochkriegt und das Schiff in Ordnung haltet.“
    Ruckartig sahen sich die Piraten um und erblickten den Helden auf der Treppe stehen, die hoch zum Steuer führte. Er warf ihnen noch einen finsteren Blick zu und ging dann zum Großmast, um die Großschot neu anzupassen. Offenbar hatte Greg ihm eine Kursänderung mitgeteilt.
    „Meint ihr er hat gehört, was wir beredet haben?“ fragte Ludwig unbehaglich.
    „Bestimmt, hast du nicht seinen Blick gesehen?“ kam es düster vom kleinen Nils.
    „Weil du so laut rumgebrüllt hast“, fuhr Bill ihn jetzt an.
    „Ich? Ich hab gar nicht gebrüllt“, wehrte sich der kleine Nils.
    „Und ich hab nur geflüstert“, sagte Kettenklaus scheinheilig.
    „Hast du gar nicht“, giftete der kleine Nils nun auch ihn an.
    „Doch hab ich, zumindest am Anfang“, wurde Kettenklaus jetzt laut und plusterte seine schmale Hühnerbrust vor dem kleinen Nils auf, der das mit größerer Aggression zurückgab.
    „Er hat uns aber zum Ende hin gehört und nicht am Anfang.“
    Der kleine Nils holte weit aus und weil in diesem Moment Brandon versuchte den Streit zu schlichten, bekam der seine Faust zuerst zu spüren. Bill, Owen und Morgan sprangen Brandon daraufhin bei, doch Ragnar schlug sich auf die Seite vom kleinen Nils und Kettenklaus schrie laut auf, als er mitten in dem Durcheinander gegen einige Köpfe geschlagen wurde. Nur Ludwig hielt sich raus und sah mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis den Kämpfenden zu, wie sie als großes Menschenknäuel übers Deck rollten.
    „Wenn ihr nicht gleich an die Arbeit geht, komme ich rüber und mische mit!“ drohte der Held, was die kämpfenden Piraten veranlasste verschreckt auseinanderzuspringen, als hätten die anderen eine ansteckende Krankheit.
    Sie zischten sich noch einige Drohungen zu und setzten ihre Arbeiten dann wieder fort, doch was blieb war die Geschichte, die sie sich über den Helden ausgedacht hatten.

    Später beim Essen um Mitternacht kam Ludwig auch wieder darauf zu sprechen.
    „Ist es wahr, dass du Drachen getötet hast?“ fragte er den Helden, der zwei Sitzplätze schräg gegenüber von ihm saß und seinen Eintopf wie gewohnt in einem Zug hinunterstürzte.
    Der Held brummte und sagte dann nur knapp: „Ja“.
    „Aber wie war denn das genau?“ fragte nun Bill aufgeregt und ließ seinen Löffel in den Eintopf fallen.
    Der Held sah genervt zu ihm herüber.
    „Ja, erzähl doch mal. Ich hab von Drachen immer nur in Sagen gehört, aber nie gehört, dass jemand tatsächlich einem begegnet ist“, sagte nun auch der kleine Nils.
    „Ja, los, erzähl!“, drängte Kettenklaus.
    „Erzähl!“ bohrte auch Brandon weiter nach.
    „Komm schon, lass dir doch nicht immer alles aus der Nase ziehen“, sagte Morgan ruppig.
    Weil nun immer mehr der Piraten auf ihn eindrängten, wurde dem Helden klar, dass er wohl wirklich etwas sagen musste, damit sie sich wieder beruhigten. Er seufzte und fing an zu erzählen: „Kurz nachdem die Barriere des Minentals zusammen gefallen war, tauchten die Drachen auf. Zwei in Irdorath und vier im Minental von Khorinis. Sie befehligten Beliars Heerscharen und sollten Khorinis verwüsten. Außerdem züchteten sie eine Armee von Drachen heran. Überall ließen sie ihre Untergebenen ihre Eier verstecken. Einige konnte ich aufspüren, aber ich vermute, dass diese kleineren Drachen, die ich auf dem Festland zur Strecke brachte auch aus versteckten Eiern kamen.“
    „Was hast du denn mit den Eiern gemacht?“ wollte Samuel wissen, der sich sonst meist zusammen mit dem Küchenjungen in der Kombüse aufhielt, heute aber zu ihnen an den Tisch gekommen war, um den Worten des Helden zuzuhören.
    Auch Morgans Sohn Merik hatte alles stehen und liegen gelassen und lauschte nun so gebannt der Geschichte wie alle anderen Piraten am Tisch.
    „Einige habe ich zu einem magischen Trank verarbeiten lassen, aber ein paar trage ich immer noch in meiner Hosentasche herum.“
    Er zuckte mit den Schultern.
    „Mir fiel noch keine andere Verwendung für sie ein.“
    Manche der Piraten tauschten einen besorgten oder verwunderten Blick. Merik sah geradezu verschreckt aus und fragte ängstlich: „Und was ist wenn die schlüpfen? Krabbeln die dann aus deiner Tasche heraus?“
    Mit gerunzelter Stirn sah der Held den Jungen an und sagte: „Bisher sind sie jedenfalls nicht geschlüpft. Vermutlich fehlt irgendwas damit sie schlüpfen können.“
    „Ich hab mal gehört, dass Drachen ihre Eier mit Feuer anhauchen, damit sie schlüpfen“, erzählte Ragnar.
    „Also wenn du sie aus der Tasche holst und einen Feuerball drauf wirfst…“, begann Parviz vorzuschlagen.
    „Mach das bloß nicht“, sagte Alligator Jack und hob abwehrend die Hände.
    „Was sollten wir denn mit ein paar Drachen anfangen?“ fragte Bones.
    „Na verkaufen“, sagte Morgan, so als wäre das ganz selbstverständlich. „Gibt sicher einen Haufen Leute, die jede Menge Gold für einen Drachen bezahlen würden, damit der dann ihre Schätze bewacht.“
    „Und sie dann tötet, oder was?“ fragte Enrico.
    „Hört sich gut an“, meinte Morgan und grinste breit.
    „Wir sind hier auf einem Holzschiff!“ protestierte Owen laut.
    „Sowas wirst du doch nicht tun, oder?“ fragte Alejandro aufgeschreckt und sah besorgt zu seinem Entertruppführer hinüber.
    „Nein, jedenfalls nicht, bevor mir ein wirklich guter Grund dafür einfällt“, meinte der Held.
    Das beruhigte die aufgeschreckten Piraten kein Stück, so dass sie mucksmäuschenstill wurden und der Held zurück zum ursprünglichen Thema kam.
    „Lord Hagen war nach Khorinis gekommen, um die Förderung des Erzes zu überwachen, aber durch die Drachen, die Orks und die Echsenmenschen war es nicht möglich viel Erz zu schürfen. Die alte Mine war eingestürzt und sie mussten sich mit frisch gebuddelten Höhlen begnügen, die kaum Erz abwarfen.“
    In Erinnerung an vergangene Zeiten rieb sich der Held durch den Bart.
    „Eigentlich wurden die Ritter und Paladine ins Minental geschickt, um die Schürfer gegen die Gefahren zu schützen, aber die Trupps waren klein und wurden immer wieder von Orks angegriffen.“
    „Haben sie die Drachen nicht mit dir zusammen erschlagen?“ fragte Ludwig erstaunt.
    „Wie stellst du dir das vor?“ fragte der Held und hob eine Augenbraue.
    „Na, dass sie eine große Streitmacht entsendeten und die Drachen in einer epischen Schlacht zur Strecke brachten“, sagte der Neue und gestikulierte umfangreich.
    „Schön wär’s. Nachdem der Feuerdrache Feomathar die Burg angriff und sie dann auch noch von den Orks eingekesselt wurden, schmissen die Paladine hin und wollten die Sache einfach nur noch aussitzen. Als ich mir einen Weg durch die feindlichen Reihen gesucht und ins Innere der Burg vorgedrungen war, hatte ich gehofft, dass mir Garond zumindest ein paar Ritter mitgeben würde, um gegen die Drachen zu kämpfen, aber nein.“
    Der Held schüttelte sichtlich verbittert den Kopf.
    „Das war für ihn nicht drin. Ich weiß nicht, ob sie einfach keine Möglichkeit sahen aus der Burg zu kommen, oder ob sie ihre Chancen gegen die Drachen als so mies einschätzten, aber sie ließen sich einfach nicht bewegen mir zu folgen.“
    „Warst du ein Soldat?“ fragte Ludwig neugierig.
    „Nein, ich war Söldner und wurde dann später zum Drachenjäger“, antwortete der Held.
    „Vielleicht wollten sie dir deswegen nicht helfen“, mutmaßte Bones. „Sahen bestimmt auf dich herab.“
    „Feinen Pinkel“, knurrte Morgan abfällig und spuckte neben dem Tisch auf die Planken.
    Samuel warf ihm einen finsteren Blick zu, beließ es aber dabei. Ganz offensichtlich wollte er sich hier und jetzt nicht mit Morgan anlegen.
    „Drei andere Drachenjäger haben mir gegen einige der Drachen geholfen. Manche hab ich aber auch allein bekämpft. Vor allem in Irdorath. Während meine Begleiter die „Esmeralda“ bewachten, damit wir nicht unseren einzigen Weg von der Insel weg verloren, habe ich gegen die Orks und Drachen gekämpft. Zauber waren immer sehr nützlich, besonders Feuerregen und Dämonen beschwören. Aber auch eine kleine Ablenkung wie das suchende Irrlicht kam mir immer gelegen. Dieses Gefunkel hat die Drachen richtig rasend gemacht und sie haben keine Ruhe gegeben, bis sie es endlich erledigt hatten. Das gab mir Zeit sie mit der Klaue Beliars zu bearbeiten.“
    „Die Klaue Beliars?“ fragte Ludwig und zog eine Augenbraue hoch.
    Der Held merkte, dass er sich verquatscht hatte und nun noch mehr Fragen über sich ergehen lassen musste.
    „Ja, was ist das?“ fragte Ragnar und dem kleinen Nils ging es wohl nicht schnell genug, denn er drängte: „Nun lass aus dem Bart fallen!“
    Der Held seufzte erneut.
    „Nachdem mir im Minental klar wurde, dass die Paladine keine Hilfe beim Kampf gegen die Drachen sein würden, musste ich eine andere Möglichkeit finden gegen sie kämpfen zu können.“
    „Warum musstest ausgerechnet du gegen sie kämpfen?“ fragte Alejandro verwundert.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Wer hätte es sonst tun sollen? Die meisten hatten zu viel Angst. Obwohl die Drachen ein riesengroßes Problem waren, fühlte sich niemand der Aufgabe gewachsen gegen sie zu kämpfen. Ich war damals nicht gerade in der besten Verfassung, hatte dreißig Tage unter Steinen gelegen, weil der alte Tempel in dem ich im Minental war, einstürzte. Hätte mich der Dämonenbeschwörer Xardas da nicht rausgehauen, wäre ich vermutlich dort drin verreckt. Er gab mir dann auch den Auftrag die Drachen zu töten.“
    „Aber du hättest das ja nicht tun müssen“, meinte Morgan.
    „Naja, aber dieser Magier hatte ja was gut bei ihm“, antwortete ihm statt des Helden Parviz. „Immerhin hatte er bei ihm eine Lebensschuld.“
    Der Held runzelte die Stirn. Er sah das wohl nicht ganz wie Parviz, aber er fand, dass er ohnehin schon viel zu viel redete und wollte sich nicht mit unnötigen Gesprächen aufhalten lassen.
    „Jedenfalls suchte ich nach einer Möglichkeit die Drachen trotz allem besiegen zu können und als ich nach Jharkendar zu euch ins Piratenlager kam, erfuhr ich von Raven und dass er ein besonderes Schwert bei sich trug. Die Klaue Beliars. Ich tötete Raven und nahm die Klaue an mich. Sie gab mir Hoffnung es doch noch gegen die Drachen zu schaffen.“
    „Und hat sie diese Hoffnung sich auch erfüllt?“ wollte Bones wissen.
    „Sogar mehr als erfüllt. Ich hab nie ein besseres Schwert gehabt. Naja außer vielleicht Uriziel.“
    „Wenn das so ein tolles Schwert war, wo ist es denn jetzt?“ fragte Morgan skeptisch.
    Der Held seufzte erneut. Das wollte er nun ganz bestimmt nicht sagen.
    „Ihr braucht nun wirklich nicht meine ganze Lebensgeschichte wissen“, knurrte er.
    „He, komm“, begehrte Bones auf.
    „Jetzt sag schon!“ wollte auch Morgan mehr hören.
    „Die Klaue ist der Grund warum du überhaupt von Myrtana weggegangen bist, oder?“ fragte Alligator Jack, der sich dahingehend wohl schon einige Gedanken gemacht hatte.
    „Wie kommst du denn darauf?“ fragte der Held, doch es war ihm anzusehen, dass Alligator Jack ins Schwarze getroffen hatte und das bestärkte ihn in seiner Vermutung.
    „Du warst echt geladen, als du an Bord kamst. So wütend hatte ich dich noch nie gesehen und es lag so eine Unruhe an dir.“
    Owen und Brandon schmissen sich fast weg vor Lachen und Morgan sagte glucksend: „Du meinst, mehr als normal schon?“
    „Ja“, knurrte Alligator Jack sie an.
    „Die Klaue Beliar ist ein legendäres Schwert, ich hab aber nur davon gehört“, sagte Parviz. „Es heißt, es hat einen schlechten Einfluss auf seinen Träger.“
    Der Held verdrehte nur die Augen. Ganz offensichtlich wollte er nicht darüber reden.
    „Und was ist mit dem Auge Innos? Wie bist du da ran gekommen?“ fragte Ludwig.
    „Das war echt umständlich. Lord Hagen wollte saß darauf wie eine Glucke und es brauchte einiges an Überzeugungsarbeit, damit er es endlich rausrückte“, erklärte der Held, dankbar für den Themenwechsel.
    „Und wozu war das gut?“ fragte der kleine Nils.
    „Das ist ein göttliches Artefakt du Erbsenhirn“, giftete Brandon ihn an.
    Der schaute ihn mordlustig an und erwiderte: „Ja, aber wozu ist es gut? Was kann das?“
    „Das Auge zwang die Drachen mir Wahrheitsgemäß auf meine Fragen zu antworten, denn ich musste herausfinden was ihre Ziele waren. Außerdem hat es mich vor den Angriffen der Drachen zumindest teilweise schützen können. Drachenfeuer ist verdammt heiß. Normalerweise verbrennt man einfach, wenn einen ein ausgewachsener Drache mit seinem Flammenatem angreift. Natürlich verschmolz meine Haut trotzdem mit der Rüstung und es war echt unangenehm sich später sozusagen die eigene Haut abzuziehen, um da rauszukommen, aber ich wollte ja auch nicht ewig so rumlaufen“, sagte der Held lapidar.
    Die anderen verzogen die Gesichter zu mitleidigen und gequälten Grimassen, als sie das hörten.
    „Ist ja fürchterlich“, kommentierte Brandon.
    „Ja, mich hättest du nicht dazu gekriegt gegen so ein Vieh zu kämpfen“, kam es von Owen.
    „Mich auch nicht“, gab Bill zu.
    „Ich wäre dir gefolgt“, sagte Ragnar loyal und sah mit fanatischem Blick zum Helden. „Ich werde dir auch jetzt überallhin folgen. Du hast gezeigt, dass du ein Held bist. Ich werde für dich sterben, wenn das nötig sein sollte.“
    „Blödsinn. Schlag dir das aus dem Kopf! Für mich soll überhaupt keiner sterben“, entgegnete sein Entertruppführer, dem so viel Heldenverehrung unheimlich war.
    In seinen Augen stimmte wohl etwas nicht mit Leuten, die ihr Leben freimütig für jemand anderen gaben. Er hatte befürchtet, dass seine Erzählungen so etwas bewirken würden. Es war wohl ein Fluch, dass egal wohin er kam, die Leute ihn fürchteten oder bewunderten.
    „Hast du das Auge Innos noch bei dir?“ fragte Ludwig lauernd.
    „Nein. Der letzte Drache war untot und hatte deswegen kein Herz. Es braucht aber ein Drachenherz, um das Auge Innos wieder aufzuladen, denn es verbraucht seine Macht, indem es einen Drachen zwingt mit einem zu reden“, gab der Held Auskunft.
    „Und was ist mit den Drachen auf dem Festland? Die hast du doch erst später getötet. Deren Herzen hättest du doch nehmen können“, sah Alligator Jack es wohl ganz einfach.
    „Die waren noch klein, nur knapp über zwei Meter und noch völlig unmagisch und daher waren ihre Herzen dafür nicht zu gebrauchen. Vielleicht erhalten sie ihre magische Kraft erst später, wenn sie größer sind“, mutmaßte der Held.
    „Und was ist aus dem Auge geworden?“ fragte Brandon neugierig.
    „Ich habe es einem Kumpel gegeben“, antwortete der Held knapp.
    Manche der Piraten bekamen große Augen und Ludwig fragte ungläubig: „Du hast dieses wertvolle göttliche Artefakt einfach aus der Hand gegeben?“
    „Unglaublich“, pflichtete Brandon bei und seine Augen wurden noch größer.
    Der Held zuckte nur mit den Schultern.
    „Ich konnte nichts mehr damit anfangen und da Milten ein Feuermagier ist, ist es denke ich ganz gut bei ihm aufgehoben.“
    „Ach so“, kam es von Ludwig und rieb sich über den stoppligen Dreitagebart.
    „Du warst doch auch mal in Nordmar, oder?“ fragte Kettenklaus wie beiläufig.
    Der Held stöhnte genervt und fragte sich, wann all diese Fragen endlich aufhören würden.
    „Ja“, kam es einsilbig zurück.
    „Warst du da auch mal in den Ortschaften?“ bohrte Kettenklaus weiter.
    „Ja“, kam es wieder vom Helden, noch deutlich genervter.
    „Hast du da auch mal Besenschränke gesehen?“
    „Was?“ fragte der Held irritiert.
    „Na du weißt schon, so Abstellräume.“
    „In Nordmar gibt es keine Abstellräume“, stellte der Held klar. „Es gibt Hütten, die meist aus einem einzigen Raum bestehen.“
    „Hm…“, machte Kettenklaus und fragte dann: „Hast du Rhobar den zweiten umgebracht?“
    „Was?“ fragte der Held alarmiert und fragte sich wie Kettenklaus jetzt auf einmal auf sowas kam und setzte entschieden hinzu: „Nein, hab ich nicht.“
    „Oh, ach so“, sagte Kettenklaus und wurde plötzlich still.
    Jetzt war es der Held, der fragte: „Warum glaubst du, dass ich ihn umgebracht hätte?“
    „Naja … die anderen meinten, wenn du von ihm redest, dann hörte es sich immer so an, als würdest du ihn nicht leiden können.“
    Der Held schnaubte.
    „Warum hätte ich ihn denn mögen sollen? Durch seine Gesetze wurde ich wegen irgendeiner Kleinigkeit in die Barriere des Minentals geworfen und statt gegen die Orks zu kämpfen hat er sich nur feige in Vengard verbarrikadiert. Als ich ihm begegnet bin hat er auf mich den Eindruck von jemandem gemacht, der es gewohnt ist, dass andere die Probleme für ihn lösen, dass er befiehlt und alle anderen müssen machen.“
    Dem Helden reichte es nun endgültig. Er stieß sich ruckartig vom Tisch hoch und ging weg. Für ihn war das Thema durch.
    „Aber das ist doch normal, das ist die Art wie Könige regieren“, hörte er Ludwig ihm hinterherrufen.
    Der Held antwortete nicht. Seiner Meinung nach hatte er heute mehr als genug geredet. Er hörte wie die Gespräche hinter ihm erst aufflammten und dann deutlich anschwollen und immer mehr an Intensität gewannen. Er hatte gehofft ihre Fragen zu beantworten, würde die Lage beruhigen, doch offensichtlich hatte er die Gerüchteküche nur weiter befeuert.

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    Berühmt und berüchtigt

    Als sie wieder an der Pirateninsel angelegt hatten, teilten sie sich in Gruppen auf. Obwohl es erst Nachmittag war, schickte Greg Parviz und seine Leute los, um alles aufzutreiben, dass sie für die Reparaturarbeiten benötigen würden. Parviz wagte nicht sich offen gegen den Piratenkapitän aufzulehnen, doch der Held hörte ihn fluchen und murmeln, als er an ihm vorbei von Bord ging. Die Trupps von Alligator Jack und dem Helden begleiteten Greg bei der Suche nach Samson dem schlimmen Sünder. Die Pirateninsel hatte sich seit ihrem letzten Aufenthalt nicht verändert. Die Häuser wirkten nach wie vor alt und verbraucht und der beißende Gestank stach immer noch in die Nase. Die Leute hier wirkten immer noch verlottert. Doch was sich geändert hatte waren die Blicke, die ihnen zugeworfen wurden. Wenn sie vorübergingen tuschelten die Leute. Jeder Schritt des Helden wurde verfolgt, weswegen er vermutete, dass der letzte Arenakampf sich ins Gedächtnis der Bewohner dieser Insel eingebrannt hatte. Nachdem sie einige andere Piraten nach Samson ausgefragt hatten, erfuhren sie, dass er sich im Moment im „Stinkstiefel“ aufhielt.
    „Moooin“, sagte Greg gedehnt, als er mit seiner Crew die Kneipe betrat und nun drehten sich auch dort die Leute zu ihnen um und murmelten.
    „Oh, es ist Greg. Was der wohl will?“
    „Und er hat den Schlächter von Myrtana bei sich.“
    „Ja, hast du gesehen was der mit den Männern in der Arena gemacht hat?“
    „Ne, hab ich nicht, aber von gehört hab ich und nachdem was ich gehört habe, bin ich froh, dass ich es nicht gesehen habe. Ich geh dann mal…“
    Tatsächlich verließen einige der Leute die Kneipe, so dass Greg zumindest eine Handvoll seiner Leute mit hereinnehmen konnte, während die anderen draußen warten sollten. Auch Samson hatte Männer um sich. Die vier hatten bis eben noch gelacht, doch als die Stimmung in der Kneipe sich schlagartig veränderte, wurden auch sie ernst.
    „Greg, da bist du ja“, sagte Samson.
    Es sollte wohl freundlich klingen, doch der ungläubige Gesichtsausdruck, der ihm unversehens zuerst aufs Gesicht getreten war, ließ den Helden darauf schließen, dass er keineswegs geglaubt hatte Greg jemals wiederzusehen.
    „Dor bin ik un bring di wat mit“, sagte Greg und stellte sich neben Samson an die Theke.
    Ungewohnt freigiebig bestellt er für sich und seine Männer eine Runde steifen Grog. Der Held vermutete, dass er damit zeigen wollte, dass er bei den vergangenen Raubzügen erfolgreich gewesen war. Eigentlich hatten sie gar nicht mal so viel Gold erbeutet, aber das musste Samson ja nicht unbedingt wissen.
    Samson schaute Greg gespannt und gierig an, der dem Helden einen Wink gab. Seufzend sagte der Held: „Wenn ich das Scheißding jetzt wirklich rausholen soll, dann muss Samson das aber auch annehmen. Ich pack das nicht umsonst aus.“
    Die Männer ringsum sahen den Helden erstaunt an, denn auch wenn Piraten nicht viel von einem ordentlichen Umgangston hielten, so war man oft schlecht beraten es bei seinem Kapitän am nötigen Respekt fehlen zu lassen.
    „Samson un ik wi heff ene Vereinbahrung. Er kriggt den Rieksapfel vun Leandra un ik miene Informatschoonen. Nich wahr Samson?“ fragte Greg und sah den anderen Piratenkapitän lauernd an.
    „Das ist ein Bluff… du kannst niemals…“, begann Samson, dem die Worte ganz offensichtlich unüberlegt herausgestolpert kamen.
    Als er das bemerkte räusperte er sich und sagte dann langsamer: „Du hast den Reichsapfel wirklich dabei? Und du willst ihn mir jetzt und hier übergeben?“
    „Klar, warum nich? So sehen alle, dat ik mien Woort hollen heff un niemand wird mehr anzweifeln, dat ik to mienem Wort steih“, antwortete Greg.
    Dass er Samson damit in die Bredouille brachte, war ihm wohl egal, denn alle Augen in der Kneipe waren auf die beiden Piratenkapitäne gerichtet. Wenn irgendjemand Samson die Beute abjagen wollte, würde er bald wissen worum es ging. Den unruhigen Seitenblicken von Samson nach zu urteilen, war dem das sonnenklar, doch er wollte auch keine Schwäche zeigen und einen Rückzieher machen.
    „Dann zeig her!“ forderte er stattdessen.
    Also kramte der Held in seiner Hosentasche und knurrte schmerzgeplagt auf, als er den Reichsapfel fand, der ihm sofort die Hand verbrannte. So schnell wie möglich legte der Held ihn vor Samson auf die Theke und sprach einen Heilzauber was bei den Zuschauern Eindruck hinterließ, bis sie sich den Reichsapfel genauer ansahen und noch mehr aus dem Häuschen gerieten.
    Eine alter Kerl mit Augenklappe und Binde um den narbigen Kopf rief mit seiner alten vertrockneten Stimme aus: „Das ist ja wirklich der Reichsapfel von Leandra!“
    „Pah, woher willst’e das denn wissen?“ fragte ein angetrunkener Pirat seinen Nachbarn.
    „Na sieh mal das Schwert mit den Flammen. Das muss er sein.“
    „Vielleicht eine Fälschung.“
    „Quatsch, hast du nicht gesehen wie es dem Schlächter von Myrtana die Hand verbrannt hat? Das muss der echte Reichsapfel sein.“
    „Unfassbar!“
    Das Gerede in der Kneipe wurde immer lauter, bis Greg wieder etwas sagte und alle wurden totenstill. Keiner wollte auch nur einen Mucks von dem verpassen, dass er zu sagen hatte und Greg nutzte die Lage schamlos aus.
    „Joa, dat is er“, sagte er und sah achtungsheischend in die Runde. „De Rieksappel vun Königin Leandra, mitten ut Königsbrück geraubt. Doodverachtend sünd wi dar henföhrt. Noch vör de Küst hebbt uns dre Paladinschepp affungen, aver wi hebbt se an‘ner Nees rumföhrt un eerst, as wir den Riekssappel harrn, hebbt se merkt, dat wi Piraten sünd. Königin Leandras persönliches königlich Schipp wurr in dat Havenbecken en Opfer vun de Flammen. Se hebbt de gigantischen Toorn slaten, um uns an de Flucht to hinnern, aver ik heff de „Murietta“ eenfach dor den Strom trügg in de See föhrt. Op den Weg hebbt wi noch ordentlich geplündert un uns ihrer Streitmacht gestellt. De werden uns nich so schnell vergeten. Ihre Wachtürme an de Küst hebbt wi zerlegt, ehr best Kriegsschip en paar neue Löcher reingepustet un ehrn obersten Generaal sünd wi unnner der Nees weg entkommen.“
    Viele Ohs und Ahs kamen bewundernd aus der Menge und der eine oder andere ungläubige Ausruf.
    Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass hier keine Prügelei zu erwarten war, sondern eine unglaubliche Geschichte, denn immer mehr Leute kamen in den „Stinkstiefel“ zurück, so dass sie bald dicht gedrängt standen, nur zu Greg, Samson und ihren Männern ließen sie respektvoll abstand.
    „Und das soll ich glauben?“ fragte Samson und seine Augen wurden schmal.
    „De Bewies liggt direkt vör dien Nees“, knurrte Greg und zeigte nachdrücklich auf den Reichsapfel.
    Samson wollte ihn greifen, doch sobald seine Hand ihn berührte, wurde seine Haut rot. Mit einem lauten Aufschrei riss er die verbrannte Hand zurück.
    „Verdammt.“
    Er sah den Reichsapfel strafend an, so als würde das irgendetwas bringen und murmelte dann: „Es ist wirklich der echte Reichsapfel. Zuerst dachte ich, das ist irgendein Trick.“
    „Goot. Wiel du nun övertüggt büst, dat ik mien Deel vun de Abmachung eingehalten heff, will ik, dat du mi seggst, woneem uns myrtanischen Kameraden gesegelt sünd.“
    „Richtung östliches Archipel. Das sagte mir ihr Kapitän, nannte sich Nordsturm, aber ich weiß nicht, ob sie noch dort sind, oder ob sie überhaupt jemals dort ankamen. Sahen ziemlich abgerissen und halb verhungert aus. Nach meiner Einschätzung hatte ihr Kapitän nicht viel Ahnung von der Seefahrt. Entweder hat er es mittlerweile geschafft sich einiges anzulernen, oder er ist in irgendeinem Sturm untergegangen. Wäre pure Ironie. So oder so, ich glaube nicht, dass du deine Freunde jemals wiedersehen wirst.“
    Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
    „Er könnte uns irgendetwas erzählen“, knurrte der Held, dem das hier nicht schmeckte.
    „Ich stehe zu meinem Wort“, sagte Samson sichtlich empört. „Ihr seid meine Zeugen.“
    Er hob eine Hand und blickte in die Runde der neugierigen Zuschauer, die jetzt aufgeregt miteinander tuschelten.
    „Trotzdem ist das ganz schön wage“, murrte der Held. „Wir sollten dir das Teil einfach wieder abnehmen.“
    Empört wollte Samson erneut den Mund öffnen, doch Greg war schneller: „Ik stah to mien Woort. Ik heff em den Rieksappel versprochen, he hett em kriggt.“
    Der Held und Greg tauschten einen sturen Blick.
    „Und ich habe mein Wort gehalten und dir gesagt was ich zum Verbleib deiner Freunde weiß“, sagte Samson stolz und rückte sich den eleganten Pfauenfedergeschmückten Hut zurecht. „Und um zu verdeutlichen, dass ich mich sehr wohl erkenntlich zeigen kann, gibt es von mir noch viertausend Goldstücke obendrauf."
    Er gab seinen Leuten einen Wink und einer von ihnen wetzte los, drängte sich durch die Menge, wohl um irgendetwas oder irgendjemanden zu holen.
    „Wirt, noch eine Runde Grog!“ forderte Samson und bestellte auch für Greg und seine Leute mit.
    Kaum hatte der Wirt die Getränke auf den Tresen gestellt, kippte der Held sich den Grog hinunter, so wie er es schon mit dem vorherigen getan hatte. Auch die anderen tranken nun, doch wesentlich gemächlicher als der Held.
    Bald kamen zwei Männer, die offenbar zu Samsons Crew gehörten zurück in den „Stinkstiefel“ und übergaben das Gold an Greg. Der zählte das viele Gold demonstrativ, so dass alle Anwesenden Stilaugen bekamen, doch es war deutlich zu sehen, dass keiner hier so waghalsig sein wollte sich mit Greg oder seinen Leuten anzulegen, nicht nachdem was Greg erzählt hatte, nicht nachdem was der Held letztes Mal in der Arena veranstaltet hatte. Tatsächlich stimmte die Summe aufs Goldstück genau und Greg packte all das viele Gold wieder zurück in die Beutel. Hier war nun alles erledigt, denn Greg nickte Samson noch einmal zu und ging dann aus der Kneipe, woraufhin seine Crew ihm folgte. Dafür, dass es so aufregend und schwer gewesen war den Reichsapfel in die Finger zu bekommen, war die Übergabe und das Ergebnis ernüchternd gewesen, fand der Held. Ludwig sah das wohl anders, denn er zog ein Gesicht als hätte man ihn gerade angekotzt.
    „Puh, dieses Gesöff haut vielleicht rein. Wenn‘s wenigstens schmecken würde…“
    „Jammer nicht rum. Wenigstens war‘s umsonst für uns“, wies ihn sein Entertruppführer Alligator Jack zurecht.
    Doch Ludwig sah nicht so aus, als würde das irgendwas verbessern. Der Held beschleunigte seinen Schritt, um neben Greg herzugehen.
    „Wie ist der Plan?“
    „Wi repareert de Murietta, stocken de Vörräte op un segeln denn to‘m ööstlichen Archipel, üm de Esmeralda to finnen“, antwortete Greg kurz und knapp.
    „Gut“, sagte der Held und nickte. „Brauchst du mich jetzt noch?“
    „Wullt du woll dien egen Kraam maken?“
    Greg grummelte etwas Unverständliches in seinen Bart, sagte dann aber: „Mok dat.“
    Der Held kehrte zur Murietta zurück, um das Fass mit den Armleuchteralgen zu holen und damit zum „brodelnden Kessel“ zu gehen, wo er einen freudig überraschten Makarius vorfand.
    „Du bist schon zurück? Sag bloß du hast die Steifborstige Armleuchteralge so schnell gefunden?“
    „Sieh her!“, forderte der Held und öffnete das Wasserfass.
    „Na hoffentlich sind sie nicht beim Transport beschädigt wurden“, hoffte der hagere Alchemist und strich sich mit einer Hand über die frisch gewachsenen grauen Haare, die ihm nun beinahe schon in die Augen fielen.
    Ganz offensichtlich hatte er reichlich Gebrauch von der Rezeptur des Haarwuchstranks gemacht.
    „Ich hab Alkohol ins Wasser getan, so wie du gesagt hast.“
    „Gut, gut. Lass mal sehen.“
    Makarius fischte einen Stengel aus dem Wasser und besah ihn sich.
    „Es ist eine Armleuchteralge, aber ist es auch eine steifborstige Armleuchteralge?“
    Er besah sich die Pflanze noch eingehender, hob sie ein Stück weit aus dem Wasser heraus und betrachtete auch die kleinen orangenen Perlen, die an ihr hafteten. Der Held fragte sich für einen Moment tatsächlich beunruhigt, ob er vielleicht die falsche Armleuchteralge angeschleppt hatte.
    „Zweifelsfrei eine Steifborstige Armleuchteralge. Du hast es tatsächlich geschafft.“
    Ein strahlendes Lächeln zeigte sich nun auf seinem bleichen Gesicht.
    „Unglaublich. Du hast sie tatsächlich gefunden. Wo bist du auf sie gestoßen, wenn ich fragen darf?“
    „Auf einer Insel, südöstlich von Königsbrück. Ich weiß nicht genau wo, denn ich kenne mich mit Navigation nicht so gut aus. Sie wuchs in einem klaren See zwischen den Felsen.“
    „Hervorragend, du hast ein paar besonders prächtige Exemplare mit langen dicht stehenden Stacheln gefunden“, lobte Makarius, als er weitere Pflanzen aus dem Fass hob und in ein großes Einmachglas hinüberwechselte. „Sind sie denn nun einhäusig, oder zweihäusig?“
    „Ähm…“, kam es nur vom Helden, dem erst jetzt wieder einfiel, dass der alte Alchemist über etwas für ihn unverständliches in dieser Richtung erzählt hatte.
    Aufgeregt fischte Makarius eine Pflanze nach der anderen heraus, besah sie sich und tat sie dann zu den anderen.
    „Ah, gut, sie sind einhäusig.“
    Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und griff sich kurz ans Herz.
    „Puh, da bin ich aber erleichtert. Ich dachte schon, ich könnte meine Studien nicht vollumfänglich durchführen, wenn entweder Oogonien oder Antheridien fehlen würden. Den Göttern sei Dank. In den Aufzeichnungen steht, dass sie sogar jahrzehntelang keimfähig sein sollen. So hab ich genug Zeit für meine Forschungen. Und wie ich sehe hast du die Rhizoide glatt durchgetrennt wie ich es wollte. Gut, vermutlich hätten sie den langen Transport sonst nicht so gut weggesteckt.“
    Seine Worte ließen den Helden überlegen was er meinte. Er dachte daran wie Alejandro und er die Wurzeln der Armleuchteralgen einfach mit ihren Lurkerkrallen durchgeschnitten hatten. Offenbar hatten sie gut genug gearbeitet.
    „Weißt du was mich jetzt beschäftigt?“ fragte Makarius und sah den Helden gespannt an.
    Dem Helden schwante übles. Gab es da noch ein Haar in der Suppe, das verhinderte, dass er die versprochene Belohnung einheimsen konnte?
    „Nein, was denn?“
    „Wieso sind die Pflanzen nun in ihrer fertilen Phase, wo es doch Winter ist? Eigentlich dürfte das nicht sein.“
    Der Held runzelte die Stirn.
    „Naja…“, setzte er an, ohne so genau zu wissen, was er darauf antworten sollte.
    „Warte!“, kam es aufgeregt von Makarius und seine Augen wurden groß.
    Er sah derart erschrocken aus, dass der Held Schlimmes befürchtete.
    Was war denn nun schon wieder? Waren die vielleicht irgendwie giftig und er hatte den alten Mann vergiftet? Gut, er und Alajendro hatten die ja auch angefasst. Eigentlich konnte es das nicht sein.
    „Du sagtest, du hast sie auf einer Insel gefunden, richtig?“
    „Ja“, stimmte der Held zu und nickte.
    „Möglicherweise bildete sich die Insel durch Vulkanismus und vielleicht gibt es noch thermische Quellen, die nun weiterhin die Wassertemperatur konstant halten.“
    „Also ich fand das Wasser recht warm“, gab der Held Auskunft.
    „Hervorragend. Das stützt meine Theorie. War das Wasser denn klar?“
    „Oh ja, ich hab den Lurker, der mich beim Sammeln gestört hat deutlich sehen können“, antwortete der Held.
    Makarius riss erschrocken die Augen auf.
    „Ein Lurker?“
    „Ja, da leben Lurker.“
    „Bei den Göttern. Nein!“ sagte Makarius, als wäre ein Unglück über sie hereingebrochen. „Das darf es doch nicht geben! Diese Bestien bedrohen durch das Aufwühlen des Untergrunds den Fortbestand der Steifborstigen Armleuchterlage. Eine kleine Baumleuchteralge, oder eine Vielstachelige Armleuchteralge könnte das vielleicht überstehen, aber die Steifborstige Armleuchteralge ist besonders empfindlich was das angeht. Dagegen muss ich etwas unternehmen. Ich werde sofort eine Expedition zusammenstellen. Die Steifborstige Armleuchteralge muss gerettet werden!“
    Voller Tatendrang schlug er seine rechte Faust in die linke offene Hand.
    „Ich werde mich sofort um einen Forschungstrupp bemühen. Hier, komm mal hier rüber, da habe ich eine Karte! Hoffentlich kannst du mir da zeigen wo du diese Kostbarkeit gefunden hast.“
    Der Held folgte Makarius zu seinem Arbeitstisch, wo der alte Alchemist nun eine große Karte ausbreitete. Der Held kreiste mit dem Zeigefinger ein Stück südöstlich von Königsbrück und sagte: „In etwa hier war es. Die zerklüftete Insel ist reich an Kalkstein. Kaum Pflanzen, nur ein paar Büsche und Krautgewächse.“
    „Gut, Danke für die Information. Wenn du willst kannst du dir eine der Steifborstigen Armleuchteralgen mitnehmen, um ebenfalls an ihr zu forschen und du hast dir deine Belohnung redlich verdient. Das Gift des schleichenden Todes. Hier ist das Rezept. Habe es direkt von meinem Lehrmeister aus Schwarzmoor. Wir können auch gerne zusammen eine Charge herstellen, damit du siehst wie es exakt hergestellt wird“, schlug Makarius vor.
    „Gern“, nahm der Held das Angebot an.
    Die Herstellung des Giftes war sehr aufwendig. Nicht nur, dass allerhand Materialien benötigt wurden, von denen der Held noch nicht einmal etwas gehört hatte, auch die Herstellung war knifflig.
    Die Temperatur musste exakt eingehalten werden. Wurde die Mixtur zu heiß, würde das Gift nicht mehr so wirksam sein, geriet die Temperatur zu niedrig bestand die Gefahr das Gift wesentlich leichter nachweisen zu können. Dieses Gift herzustellen war sogar noch viel schwerer als der Trank der Geistesveränderung, den der Held damals für Fortuno gebraut hatte.
    Nach einigen Stunden Arbeit hatten sie so aber immerhin einen Becher voll Gift gemischt, von dem der Held die Hälfte bekam. Laut Makarius würde diese Menge ausreichen um einen kompletten Hofstaat zu vergiften. Der Held war sehr zufrieden. Er glaubte nicht, dass er den Trank in naher Zukunft allein hätte brauen können. Er hätte erst all die Materialen gebraucht und dann war da noch die Herausforderung des komplexen Brauvorgangs. Für den Helden hatte sich der Auftrag die Steifborstige Armleuchteralge zu suchen daher vollends gelohnt.

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    Freiheit oder Tod

    Lester war gerade auf dem Rückweg von Trelis und mit einem letzten Blick zur anderen Seite der Bucht zum alten Tempel, in dem er früher für die Orks schuften musste, dachte er an die vergangenen Wochen. Mit Kewen und Herbert kam er gut aus. Herbert war meist recht schweigsam, aber ihm war deutlich anzusehen, dass ihm die Freiheit und die Gesellschaft sehr gut taten. Kewen ging es ähnlich, doch obwohl auch er aufblühte, so hatte er schwer mit seinen vergangenen Erlebnissen zu kämpfen. Oft plagten ihn Albträume und Angstzustände. Während er in manchen Belangen erwachsener wirkte, als das von einem jungen Mann zu erwarten wäre, so verhielt er sich bei anderen Dingen oft unsicher. Manchmal erkundete er wie ein Kind die Umgebung. Erfreute sich an Kleinigkeiten, als hätte er sie nie zuvor gesehen. Sozial war er unbeholfen, was wohl daran lag, dass er außer mit seinem Sklavenherrn nicht viel mit anderen Menschen zu tun gehabt hatte, seit er ein Kind war. Herbert und Lester versuchten ihn an seine neue Freiheit zu gewöhnen, doch das ging viel langsamer, als Lester gehofft hatte.
    Mit dem Sumpfkraut lief es dagegen sehr gut. Es wuchs ohnehin schon wie verrückt, doch während des Winters gab es immer mal wieder ergiebige Regenschauer, die das Wachstum noch gefördert hatten. Wegen der Nässe war es aber auch zu einer Fleischwanzenplage gekommen. Die kleinen Tierchen wollten das Kraut wegfressen. Zusammen mit Herbert und Kewen hatte Lester das Problem aber gut in den Griff bekommen und sie hatten sehr oft Fleischwanzeneintopf kochen können. Diego war während der Ernte zu ihnen gestoßen. Er hatte einen Begleiter bei sich. Den Arenakämpfer Oelk, dem er damals sein Haus in Mora Sul in Obhut gegeben hatten. Die beiden sahen missmutig auf den Eintopf, den Lester ihnen anbot, aber sie hatten dann doch mitgegessen, weil Fleischwanzeneintopf immer noch besser war als gar nichts zu essen. Diego hatte sogar gesagt er vermisste Lesters Wurzelsuppe, obwohl er sonst immer über dieses Gericht genörgelt hatte. Lester hatte nicht gewusst, ob er sich geschmeichelt oder gekränkt fühlen sollte. Freimütig bot Diego Lester an, dass er mit ihm und Oelk mitgehen könnte, um sein Sumpfkraut nach der Ernte in Trelis zu verkaufen.
    Während Oelk und Diego sich ausruhten, fuhren Lester, Kewen und Herbert den Rest der Ernte ein. Bei Bernd hatte Lester dann eine robuste Kiste eingetauscht, in der sie den Teil der Ernte, den sie selbst verwenden wollten, lagern konnten, damit das Kraut nicht nass wurde und vergammelte. Doch den überwiegenden Teil hatte Lester in zwei große Jutesäcke gepackt und war mit Diego und Oelk aufgebrochen. Kewen und Herbert waren etwas unsicher zurückgeblieben, doch Lester hatte ihnen versichert, dass er sich beeilen würde.
    Er hatte Wort gehalten. Es waren nur drei Tage vergangen, doch leider hatte er das Sumpfkraut deutlich unter Wert verkaufen müssen, um überhaupt etwas dafür zu bekommen. Diego hatte ihm beim Verhandeln glücklicherweise etwas unter die Arme gegriffen, und den Händlern gesagt, wenn es schon nichts zu essen gäbe, dann sollten sich die Leute wenigstens mit Rauchen ablenken. Das hatte geholfen. Immerhin hatte Lester dreihundertsechzig Goldstücke bekommen, einen Heiltrank, neue Klamotten für Kewen und Herbert, Laborwasserflaschen, zwei Gegengifte, einen Manatrank und einen Ring der Gesundheit. Das war alles von Interesse, was die Händler in Trelis ihm anbieten konnten. Diego meinte hinterher Lester hätte mindestens die Hälfte seines Sumpfkrauts verschleudert, aber Lester wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen. So viel Kraut konnten sie nicht selbst aufrauchen und er wusste nicht wie er all das hätte lagern sollen. Während er am Ufer der Bucht von Varant zur Sumpfkrautplantage zurückging, dachte er darüber nach wie er es in Zukunft handhaben sollte. Er hoffte, durch seine Gratisproben würden einige der Leute in Trelis auf den Geschmack kommen und vielleicht würde es noch weiter getauscht werden, so dass es auch in weiter entfernte Orte von Myrtana gelangte. Diego hatte ihn noch einmal davor gewarnt zu viel Sumpfkraut an die Assassinen zu verkaufen, weil diese sonst misstrauisch werden könnten, dann hatte er sich verabschiedet und war mit Oelk nach Geldern aufgebrochen. Sagte, er hätte dort noch Geschäftliches zu tun. Lester hatte noch Diegos Warnung im Ohr, als er in seinem neuen Zuhause ankam, und erschrocken feststellte, dass es einen Kampf gegeben hatte. Der matschige Boden war aufgewühlt, einige Sumpfkrautpflanzen waren aus dem Schlamm geschleudert, oder beinahe gänzlich unter ihm begraben wurden.
    „Kewen! Herbert!“ rief Lester laut, weil er befürchtete keine Antwort zu bekommen.
    „Ich bin hier“, hörte er Herberts tiefe Stimme.
    Erleichterung durchströmte Lester, als er das hörte und drehte sich froh herum, so dass er sehen konnte wie Herbert zwischen den Bäumen des Berghangs hervortrat. Rasch fiel Lesters Fröhlichkeit wieder ab, als er sein bedrücktes Gesicht sah. Der große Mann seufzte, wollte aber immer noch nichts sagen.
    „Was ist passiert? Wo ist Kewen?“ fragte Lester in drängendem Ton.
    Zunächst sagte Herbert nichts, trat stumm weiter auf ihn zu. Sein betretener Gesichtsausdruck ließ das Schlimmste erahnen. Er blieb im Moder vor Lester stehen und sagte gequält: „Sie haben ihn. Die Assassinen, meine ich. Sie kamen gestern Mittag und haben ihn mitgenommen. Ich hatte mich noch rechtzeitig verstecken können, aber Kewen war gerade beim Sumpfkraut und konnte nicht mehr entkommen. Ich … hätte ihm helfen sollen, aber sie waren zu dritt und ich bin kein guter Kämpfer. Jedenfalls nicht gut genug für die. Es waren Sklavenjäger, die kennen sich mit der Menschenjagd aus.“
    Lester ließ den Beutel mit dem Zeug, das er in Trelis gekauft hatte auf den matschigen Boden sinken.
    „Scheiße!“
    Während er nachdachte fuhr sich Lester durch den Bart. Kurze Zeit darauf sagte er: „Wir müssen ihn retten.“
    „Ihn retten?“ fragte Herbert verwundert. „Wie denn? Das sind Assassinen, wenn sich jemand mit Mord und Totschlag auskennt, dann die. Die sind flink und geschickt und setzen auf Gift. Braucht nur einen Kratzer und schon ist man vergiftet.“
    Lester bückte sich, kramte im Beutel herum und reichte Herbert die Klamotten, die er ihm gekauft hatte.
    „Hier, zieh das an! Wir brechen auf!“ sagte Lester entschlossen.
    „Wohin?“ fragte Herbert und sah verdattert auf die neuen Klamotten.
    „Ich schätze sie haben ihn nach Bakaresh gebracht. Kewen erzählte, dass er dort Sklave war.“
    „Bist du verrückt? Die bringen uns um.“
    „Willst du ihn einfach so im Stich lassen?“ fragte Lester und versuchte damit an Herberts Gewissen zu appellieren.
    Sie waren bisher immer gut ausgekommen, doch Lester befürchtete die Angst vor den Assassinen wäre zu groß, als dass Herbert ihm tatsächlich dabei helfen würde Kewen zu retten.
    „Ich … ich … das ist zu viel. Ich kann das nicht, ich hab nicht mal eine Waffe“, sagte Herbert und schnaufte.
    Dieses Gespräch strengte den ehemaligen Sklaven offenbar sehr stark an. Die fehlende Waffe war wirklich ein Problem. Etwas ratlos sah sich Lester um und überlegte laut: „Tja, woher eine nehmen? Im Unterstand ist keine und ich hab auch keine in der Tasche … hm… dann gehe ich eben allein.“
    „Das ist Wahnsinn!“ entfuhr es Herbert.
    „Ich überlass den Jungen nicht einfach diesen Menschenschindern“, sagte Lester starrsinnig und versuchte den bohrenden Gedanken an all die Gefahren, die ihn in Bakaresh erwarten würden, beiseite zu schieben.
    Ungläubig sah Herbert Lester nach, der mit dem Sack in den Unterstand ging. Er steckte sich den magischen Ring, den er gekauft hatte, an den linken Ringfinger und packte sich die gekauften Tränke in die Umhängetasche. Das Gold, Kewens neue Sachen und die Laborwasserflaschen packte er in die Truhe mit ihren Vorräten. Lester rückte noch einmal seinen Streitkolben zurecht und stapfte dann durch den Knat hinauf Richtung Lago um von dort die Straße Richtung Bakaresh nehmen zu können.
    „Warte ich komme mit dir“, hörte er Herbert sagen.
    Lester freute sich, dass sein neuer Freund ihn auf diesem gefährlichen Abenteuer begleitete. Er wartete bis Herbert sich umgezogen hatte. Der ehemalige Sklave trug nun ein braunes Hemd und widerstandsfähige graue Arbeitshosen. An den Handgelenken, an denen während seiner Zeit als Sklave die Eisenringe scheuerten, trug er nun Lederbänder. Um seine Narben am Hals zu verbergen, trug er ein braunes Tuch. Das war nicht unüblich, denn in der Wüste nutzten viele Leute diese Tücher, um sie sich halb übers Gesicht zu ziehen, wenn der Wind stärker wurde und den Sand hochwehte.
    „So wird niemand erkennen, dass du mal ein Sklave warst“, sagte Lester zuversichtlich.
    „Ich hoffe, du hast Recht“, sagte Herbert weniger optimistisch.
    Als sie Lago durchquerten, sahen sie, dass Shakyor gerade hier rastete. Hin und wieder kam er vorbei, um sich hier nach einer langen Wanderung durch die Wüste auszuruhen.
    „Nanu, wohin des Wegs? Seid ihr auf dem Kriegspfad?“ fragte der Nomade und musterte Lesters entschlossenen und Herberts ängstlichen Blick.
    „Wir wollen unseren Freund Kewen befreien“, gab Lester gleich Auskunft. „Als ich in Trelis war kamen einige Sklavenjäger und haben ihn wieder eingefangen.“
    „Oh je, das ist nicht gut“, sagte Shakyor betrübt und schüttelte den Kopf.
    „Ich glaube, sie haben ihn zurück nach Bakaresh gebracht. Wir wollen ihn da rausholen“, erzählte Lester weiter.
    Herbert machte ein seltsames Geräusch, irgendwas zwischen Würgen und um Atem ringen. Shakyor runzelte die Stirn und pfiff dann anerkennend.
    „Na da habt ihr euch ja was vorgenommen.“
    „Ich glaube Lester macht sich einfach keine Vorstellung davon wie schwer das werden wird“, sagte Herbert heiser, schon ganz grün im Gesicht.
    „Warst du denn schon mal in Bakaresh?“ fragte Shakyor und sah Lester skeptisch an.
    Der schüttelte den Kopf.
    „Nein.“
    „Woher willst du dann wissen wo dein Freund gefangen gehalten wird? Bakaresh ist eine der größten Städte des Kontinents.“
    Lester sah wohl ratlos aus, denn Shakyor seufzte und fügte hinzu: „Sieht so aus, als könntet ihr Hilfe gebrauchen. Ich sag euch was: Wenn ihr hinter Rasuls Sumpfkrautfeld hoch in die Berge geht und dann immer an der Küste entlang Richtung Bakaresh zieht, sind eure Chancen deutlich höher ungesehen in der Stadt anzukommen. Geht nicht sofort in die Stadt rein, denn drumherum sind immer viele Wachen postiert und es ist besser, wenn ihr nicht gesehen werdet! Geht Richtung Osten zu den Ruinen! Dort müssen viele der Sklaven für die Assassinen schuften. Vielleicht ist euer Freund dabei und ihr könnt ihn retten.“
    „Das hört sich doch nach einem Plan an“, sagte Lester zuversichtlich. „So machen wir es.“
    Wieder machte Herbert dieses ungute Geräusch, sagte aber nichts.
    „Danke Freund“, verabschiedete sich Lester von Shakyor und der sagte daraufhin: „Jemanden, der sich gegen die Assassinen stellt bin ich immer gerne behilflich.“

    Der Weg über die Berge war beschwerlich. Oft mussten sie klettern und immer mussten sie darauf achtgeben nicht auszurutschen oder die Klippen hinunterzufallen, denn sonst würde es einen üblen Aufschlag aufs Wasser geben.
    „Ich kann nicht mehr“, klagte Herbert, als es später Nachmittag war und sie bereits viele Stunden gewandert und geklettert waren.
    Lester seufzte. Es gefiel ihm nicht jetzt eine Pause einzulegen. Normalerweise war er immer für sowas zu haben, aber nun fürchtete er, dass Kewen schreckliche Dinge angetan wurden. Umso länger sie brauchten ihn zu befreien, umso geringer wurden seine Überlebenschancen. Er hatte erzählt, dass flüchtige Sklaven zur Abschreckung der anderen öffentlich getötet wurden. Wie würden sie das machen? Würden sie Kewen totpeitschen, oder ihn vielleicht sogar Beliar opfern? Lester erschauderte. Das hatte der arme Junge nun wirklich nicht verdient. Alles in ihm drängte darauf weiterzugehen, so schnell wie möglich nach Bakaresh zu gelangen und ihn zu befreien, doch er wusste auch, dass sie dafür Kraft brauchten und er gab zu, der Weg hierher war furchtbar anstrengend gewesen. Immerhin waren sie noch ganz gut in Form. Sie hatten bisher noch jeden Tag mindestens eine Mahlzeit gehabt. Nach allem was Lester in Trelis gesehen und gehört hatte, war das weit mehr, als die meisten Menschen in Myrtana bekamen.
    „Na schön. Eine kurze Pause“, sagte Lester schließlich.
    Herbert ließ sich da wo er war ins Gras fallen und schnaufte angestrengt.
    „Ich will Kewen ja auch retten, aber hast du dir schon überlegt wie wir das anstellen wollen?“ fragte er.
    Auch Lester setzte sich ins Gras und antwortete: „Ich finde, das was Shakyor sagte hört sich ganz gut an. Wir sehen zuerst bei den Ruinen nach. Wenn Kewen dort arbeitet, dann holen wir ihn einfach da weg.“
    „Ach so, ja … natürlich. Wir holen ihn einfach da weg. Einfach so“, wiederholte Herbert gedehnt und alles in seinen Worten unterstrich seine Zweifel, dass dieser Plan funktionieren würde.
    „Du glaubst nicht, dass das funktioniert?“ fragte Lester und wurde tatsächlich etwas unruhig.
    „Ich weiß, du willst Kewen helfen, aber lass dir von jemandem der jahrelang ein Sklave in Varant war sagen, die Assassinen passen sehr gut auf ihre Sklaven auf. Die haben ihre Augen überall. Zunächst einmal sind da die Wachen. Mit ihren Speeren haben sie im Kampf eine hohe Reichweite und viele Assassinen nutzen vergiftete Schwerter, manche können sogar mit zwei Klingen kämpfen und dann wären da noch all die Schwarzmagier, die wer weiß was für schreckliche Zauber beherrschen.“
    „Darum dürfen wir uns nicht erwischen lassen“, sagte Lester.
    Herbert stieß ein verzweifeltes Winseln aus.
    „Das sagst du so einfach. Und was wenn doch?“
    „Dann müssen wir kämpfen. Ich kann auch ein paar Zauber.“
    Herbert seufzte und sah Lester dann lange an.
    „Ich hoffe, du weißt was du tust, denn im Moment sieht es für mich nicht danach aus. Ich komme mit dir mit, weil Kewen mir ein guter Freund geworden ist und ich ihm helfen will. Niemand hat verdient was die Assassinen ihren Sklaven antun. Ich hoffe nur, das wird nicht mein letztes Abenteuer sein. Denn sonst…“
    „Schh!“ unterbrach Lester ihn.
    „Was denn? Darf ich jetzt nicht mal mehr meinen möglichen baldigen Tod betrauern?“ fragte Herbert aufgebracht.
    „Nein, hör doch!“ sagte Lester und war aufgestanden.
    Er sah sich um. Er hatte etwas gehört. Ein vertrautes Geräusch. Zwischen den Nadelbäumen, die hier an der Klippe standen war etwas. Es beobachtete sie und wartete auf den richtigen Moment um anzugreifen.
    „Was ist de…SCHEISSE!“ brüllte Herbert, als ihn von links ein Lurker ansprang und tiefe Kratzer an Rücken und Bauch beibrachte.
    Lester zog seinen Streitkolben, drehte sich herum und griff den Lurker an. Entschlossen hieb er ihm seine Waffe auf den Kopf. Der Lurker gab ein Gurgeln von sich und brach besinnungslos zusammen, doch links und rechts kamen jetzt noch drei weitere Lurker aus dem Unterholz. Einer warf sich auf Herbert, der panisch schreiend versuchte die beiden dünnen Hände mit den Schlachtklauen von sich fern zu halten, unterdessen musste Lester einige schmerzhafte Kratzer einstecken, während er auf die Lurker einschlug. Mit nur einem Tier hätte er mehr aufs Ausweichen gesetzt, doch so gestaltete es sich schwierig, da der zweite Lurker ihn jedes Mal versuchte abzufangen. Deswegen ging er mehr auf Konfrontationskurs und keilte nach allen Seiten kräftig aus. Es war schon eine Weile her, seitdem er so verbissen gekämpft hatte, doch wie er merkte hatte er die alten Bewegungen immer noch drauf, die ihm all die vergangenen Kämpfe das Leben gerettet hatten. Er ließ Streitschlichter ein letztes Mal auf den Buckel des vor ihm stehenden Lurkers knallen, bis der endlich unter der Wucht zusammenbrach und er sich dem Biest zuwenden konnte, das immer noch versuchte Herbert zu zerfleischen. Lester schätzte ab wie er am besten vorgehen sollte, rannte dann los und legte allen Schwung in seinen Streitkolben, den er einmal von oben nach unten und wieder nach oben durchschwingen ließ und so den Lurker von Herbert weg stieß. Der Lurker taumelte und nachdem Herbert ihm noch einen kräftigen Tritt gab, kullerte er den Abhang hinunter und landete mit leisem Klatschen unten im Meer.
    „Uff…“, machte Herbert, als er sich aufrichtete und den Angstschweiß von der Stirn wischte.
    Auch Lester atmete schwer, als er seinen Streitkolben wegsteckte. Eigentlich hatte er sich den Heiltrank aufheben wollen, doch wenn er sich seine Verletzungen so ansah, musste er ihn jetzt schon aufbrauchen. Nach einem Blick auf Herbert beschloss er den Trank zu teilen. Der Lurker hatte ihm übel mitgespielt. Sowohl Oberkörper, als auch Gesicht waren übel zerkratzt. Selbst in seinen verfilzten langen braunen Haaren klebte sein Blut.
    „Hier, wir teilen den Heiltrank“, sagte Lester und reichte Herbert das wertvolle Fläschchen, damit er zuerst davon trinken konnte.
    „Danke“, sagte sein Kampfgefährte mit belegter Stimme, entkorkte angestrengt die Flasche und trank mit großen Schlucken.
    Zuerst dachte Lester, er würde ihn ganz leeren, aber dann setzte er die Flasche doch ab und reichte sie an ihn zurück. Die zweite Hälfte des Tranks ließ Lesters Wunden fast gänzlich verschwinden, doch er fühlte sich noch angeschlagen. Ob dies ein schlechtes Omen war? Sollten sie ihr Vorhaben abbrechen?
    Ein ungutes Bauchgefühl meldete sich in ihm und Herbert sprach aus was ihn immer mehr beunruhigte: „Wie sollen wir gegen all dieses Assassinen ankommen, wenn wir es gerade so gegen ein paar Lurker schaffen? Das ist doch Verrückt.“
    „Wir wollen ja auch nicht gegen sie kämpfen. Wir wollen nur Kewen befreien. Ich werde es mit einigen Zaubern versuchen. Die Assassinen freundlich stimmen und damit überzeugen, oder sie schlafen legen, damit wir an ihnen vorbei können“, erklärte Lester.
    Sein Begleiter legte verwundert den Kopf schräg.
    „So etwas kannst du?“
    Er sah immer noch skeptisch aus, doch Lester erblickte einen Funken Hoffnung.
    „Hab ich in der Bruderschaft gelernt“, erklärte Lester.
    „Naja, vielleicht könnte das was werden.“
    „Sag ich doch. Komm, lass uns nun weiter gehen. Wer weiß, was hier noch für Viecher rumlaufen. Wenn wir noch mal eine Pause einlegen, dann in einem Gelände wo wir überblicken können, ob wir angegriffen werden.“
    „Oh ja“, stimmte Herbert zu.
    Sie gingen weiter und kamen zu einem steilen Hang. Herbert stöhnte als er ihn sah. Es ging nicht anders. Sie mussten vorsichtig herunterklettern. Die Felsen waren hier so steil, dass jeder Schritt ihr letzter sein könnte. Einmal rutschte Lester ab und wäre wohl ins Meer hinunterstürzt, wenn Herbert ihn nicht noch rechtszeitig gepackt und zurückgerissen hätte.
    „Danke.“
    „Gut, dass ich mitgekommen bin, was?“ fragte Herbert und grinste.
    „Sehr gut sogar“, sagte Lester und lächelte.
    Wohlbehalten kamen sie unten an und gingen weiter, wobei der Weg nun immer weiter abfiel.
    „Sieh mal! Da unten ist eine Straße, da können wir besser gehen“, sagte Herbert und zeigte darauf.
    „Aber Shakyor hat doch gesagt wir sollen in den Bergen bleiben und dann nach Osten gehen“, erinnerte Lester ihn.
    „Oh ja, stimmt, jetzt erinnere ich mich“, sagte Herbert und warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Straße.
    Sie setzten ihren Weg fort, bis Herbert Lester umriss und auch sich zu Boden warf.
    „Was ist denn?“ fragte Lester erschrocken.
    „Eine Wache!“ zischte Herbert und atmete schwer.
    Sicher schlug sein Herz aufgeregt wie ein Trommelwirbel. Er hielt sich fest an die Erde gedrückt, doch Lester riskierte einen Blick. Tatsache. Dort unten am Rand der Straße stand eine Assassinenwache, doch sie sah geradeaus auf den Weg, den sie gekommen wären.
    „Ich glaube, er hat uns nicht gesehen, komm! Weiter!“ sagte Lester und kroch auf allen vieren voran.
    Herbert gab eine Art Winseln von sich, folgte Lester dann aber.
    Bald waren ihre Beine und Arme von harten trockenen Pflanzen, Dornen und den spitzen Felsen ordentlich zerschrammt. Als Lester glaubte, die Wache würde sie nicht mehr bemerken, richtete er sich auf und ging weiter den Bergrücken entlang. Herbert kroch lieber noch eine Weile und erst als er Lester kaum noch sehen konnte, richtete er sich auch endlich auf, um ihm schnellen Schrittes zu folgen. Von hier konnten sie Bakaresh nun endlich sehen.
    „Wow, das ist ja riesig“, sagte Lester, als er den imposanten Tempel erblickte, der größer war als jedes Bauwerk, das er je gesehen hatte.
    „Ist es“, kam es knapp von Herbert zurück, der nun, da er hier war noch unruhiger geworden war. „Was mach ich nur hier?“
    Lester ging nicht darauf ein und zeigte auf den Hang, den sie nun vorsichtig hinuntergingen. Sie durften nicht stolpern und hinunterkullern. Weitere Verletzungen konnten sie gar nicht gebrauchen. Wie der Nomade ihnen geraten hatte, hielten sie gebührend Abstand zur Stadt und schlichen sich außen herum. Die tief stehende Sonne warf lange Schatten und tauchte alles in ein rötliches fast schon unwirkliches Licht. Endlich gelangten sie zu den Ruinen vor der Stadt. So wie Shakyor gesagt hatte, arbeiteten zwischen den Ruinen Sklaven, aber es standen auch Wachen in der Nähe, die ein Auge auf sie hatten.
    „Das wird nicht leicht“, murmelte Lester.
    „Na sag ich doch!“ kam es brummig von Herbert.
    „Versuchen wir weiter ranzukriechen“, schlug Lester vor.
    Von Herbert kam nur ein leidiges Stöhnen. Sie verbrachten sehr viel Zeit damit sich Meter für Meter weiter heranzupirschen, immer darauf bedacht nicht ins Sichtfeld der Assassinen zu geraten.
    Endlich lagen sie hinter einer der Ruinenmauern, in der Nähe eines arbeitenden Sklaven.
    „He. Pst“, flüsterte Lester.
    Er horchte. Der Sklave schippte weiter.
    „He, du da“, versuchte er es erneut, diesmal etwas lauter.
    Immerhin hörte das Schippen kurz auf. Hatte der Sklave ihn gehört?
    „Komm mal hier rüber!“ sagte Lester nun.
    Er hörte Schritte, die sich näherten, dann jedoch wieder wie sich die Schippe ins Erdreich grub und der Sklave weiter schaufelte. Das ließ Lester befürchten, dass der Sklave ihn gar nicht wahrgenommen hatte, oder ihn vielleicht gar nicht hören wollte, doch dann hörte er eine heisere dünne Stimme sagen: „Wer bist du? Was willst du?“
    „Ich bin Lester. Ich suche Kewen. Weißt du wo er ist? Er war ein geflohener Sklave, wurde aber von einigen Sklavenjägern wieder eingefangen.“
    Der Sklave schnaubte.
    „Dann steht es schlecht um ihn. Wiedereingefangene Sklaven werden übel gefoltert und dann meist zur Abschreckung zu Tode gepeitscht.“
    Lesters Herz schlug schneller. Er schluckte mühsam. Kamen sie zu spät?
    „Weißt du wo er ist?“
    „Nein, ich kenne ihn nicht und das heißt vermutlich, dass er ein Sklave in der Wohnanlage vom Tempel sein muss. Die wird aber von Raid bewacht und der ist wirklich aufmerksam. Oder er ist gar nicht hier in Bakaresh.“
    Lester hörte wieder wie der Sklave Erde und Sand schippte. Er tat alles, um nicht die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich zu ziehen.
    „Hast du gestern oder vorgestern einen Sklaven hier ankommen sehen?“
    „Nein. Meist bin ich hier bei der Arbeit und da habe ich keine Zeit mich umzusehen. Abends, da haben wir etwas Zeit uns auszuruhen, aber da habe ich niemanden gesehen. Ich muss jetzt gehen. Wenn ich zu lange mit dir rede, dann fällt es noch auf und dann bin ich dran.“
    Lester hörte wieder Schritte, die sich diesmal aber entfernten. Mehr Informationen würden sie wohl nicht bekommen. Um sich ungestört unterhalten zu können, zogen sich Lester und Herbert in sichere Entfernung zurück.
    „Was nun?“ fragte Herbert bang.
    „Wenn stimmt, was dieser Sklave sagt, dann wird Kewen bestimmt in dieser Wohnanlage festgehalten. Ich schätze mal, das ist dieses kuppelförmige Gebäude dort, das teilweise in den Berg reingebaut wurde.“
    „Du schätzt?“, fragte Herbert und zog eine Braue hoch.
    „Er hat Recht“, hörten sie plötzlich eine raue Stimme neben sich sagen.
    Herbert zuckte zusammen und Lester hätte beinahe erschrocken aufgeschrien, wenn eine kräftige Hand ihm nicht den Mund zugehalten hätte.
    „Ich bin es doch nur.“
    Lester wandte den Kopf und erblickte Shakyor. Als der sich sicher war, dass Lester nicht mehr losschreien würde, nahm er seine Hand weg.
    „Meine Fresse, hast du mich erschreckt“, entfuhr es Lester und er atmete tief durch.
    „Habt mich nicht gehört was?“ fragte Shakyor amüsiert. „War echt lustig euch dabei zuzusehen wie ihr da durch den Dreck gekrochen seid, anschleichen kann man das ja wohl nicht nennen.“
    Er lachte trocken mit seiner Reibeisenstimme.
    „Naja, du kannst es ja offenbar besser“, sagte Herbert leicht beleidigt.
    „Richtig. Hab ja auch von den besten gelernt“, gab Shakyor stolz zurück.
    „Und wer ist das?“ fragte Lester.
    „Die Löwen von Varant. Ich hatte mal einen Druidenstein, mit dem ich mich in einen Löwen verwandeln konnte. So habe ich eine Zeit lang unter ihnen gelebt und von ihnen gelernt. Sie sind hervorragend darin sich anzuschleichen und es war immer sehr nützlich unerkannt durch die Wüste zu laufen.“
    „Aber jetzt hast du den Stein nicht mehr?“ fragte Lester.
    „Nein, ich habe ihn dem Befreier gegeben, damit er ihn für eine gute Sache einsetzt. Eigentlich hatte ich gehofft, er würde ganz Varant befreien. Naja … immerhin hat er es zum Teil geschafft. Schätze, den Rest müssen wir allein erledigen“, sagte Shakyor und beobachtete was sich in der Stadt tat.
    „Willst du damit sagen, du willst hier und jetzt Bakaresh befreien?“ fragte Herbert mit vor Schreck fast erstickter Stimme.
    „Ich hoffe doch“, kam es zuversichtlich von Shakyor. „Bakaresh zu befreien, darauf haben wir Nomaden schon seit Monaten hingearbeitet. Wir haben nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet und wie es aussieht ist der richtige Zeitpunkt jetzt. Dort drüben. Dort und dort.“
    Mit dem Zeigefinger zeigte der Nomade auf einige Punkte rund um Bakaresh.
    „Da haben sich meine Brüder versteckt.“
    „Ich sehe gar niemanden“, sagte Lester und kniff angestrengt die Augen zusammen.
    Wieder lachte Shakyor.
    „Das ist ja auch der Sinn der Sache. Sie warten auf ein Zeichen.“
    „Was denn für ein Zeichen?“ fragte Lester.
    „Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Erstmal müssen wir euren Freund da rausholen. Wenn er im Wohnbereich gefangen gehalten wird, dann wird das echt eine heikle Nummer.“
    „Lester wird seine Zauber verwenden“, sagte Herbert schnell, vermutlich um sich die Unterstützung des Nomaden zu sichern.
    „Was denn für Zauber?“ fragte der Nomade wachsam.
    „Wie wär’s wenn ich die Wache dort vorne einschlafen lasse?“ schlug Lester vor und zeigte auf den Assassinen, den der Sklave Raid genannt hatte.
    „Sowas kannst du?“ fragte Shakyor erstaunt und skeptisch. „Das ist Beliarmagie. Du bist doch wohl kein Anhänger Beliars? Sprich schnell! Woher kannst du diese Magie?“
    Die Stimme des Nomaden wurde deutlich ungemütlicher, so dass sich Lester beeilte zu sagen: „Ich hab sie im Minental im Sumpflager erlernt.“
    Er hatte sich bewusst dazu entschieden nicht „Bruderschaft des Schläfers“ zu sagen, um Shakyor nicht noch skeptischer werden zu lassen, als er ohnehin schon war.
    „Und nein, ich bin kein Anhänger Beliars. Ist doch aber gut diese Zauber zu können, findest du nicht auch?“
    „Hm…“, machte Shakyor nachdenklich und versuchte wohl die neuen Informationen einzuordnen. „Wenn sie unserer Sache dienen, dann sind deine Fähigkeiten in der Tat nützlich.“
    Er rieb sich übers Kinn und grübelte nach. Eine Zeit lang war es still, dann schlug er vor: „Also gut. Am besten ihr schleicht euch zurück zum Weg. Bleibt sowohl weit genug von Bakaresh entfernt, als dass euch von der Stadt keiner sehen kann, aber geht auch nicht so weit weg, als dass euch die Wache oben am Pass sieht. Sollte nicht schwer sein, der guckt meist in die Richtung aus der sich jemand der Stadt nähern könnte und nicht zur Stadt zurück. Dann schleicht ihr euch am Berg gedrückt entlang bis hinter das Zelt da vorne, du wendest deinen Zauber an und die Wache verfällt in Schlaf.“
    „Ich bin kein Dieb, oder so etwas. Ich bin nicht so gut im Schleichen“, gab Lester zu bedenken.
    „Hab ich gemerkt“, kam es trocken von Shakyor zurück.
    „Und was ist, wenn die anderen Wachen bemerken, dass dieser Raid schläft?“ fragte Herbert bang.
    „Dann sind wir am Arsch“, sagte Lester.
    „Nicht zwangsläufig“, meinte jedoch Shakyor. „Vielleicht gehen sie auch nur zu ihm hin und rütteln ihn wach. Ohrfeigen ihn vielleicht, weil er während seiner Wache eingeschlafen ist. Es wird bald dunkel. Warten wir, bis die meisten Leute schlafen.“
    „Und dann? Soll Lester etwa allein da rein?“ fragte Herbert bang.
    „Na, ich dachte, ihr geht zusammen?“ fragte Shakyor und runzelte die Stirn.
    „Ich hab nicht mal eine Waffe“, sagte Herbert weinerlich. „Und … ich trau mich nicht. Ich bin kein guter Kämpfer. Wenn ich mich da rein wage werde ich garantiert schnell Würmerfutter.“
    Shakyor seufzte tief.
    „Na das sind ja tolle Freunde mit denen wir Bakaresh erstürmen wollen.“
    „He!“ empörte sich Herbert. „Ich hatte nie vor Bakaresh zu stürmen. Ich will nur meinen Freund zurück.“
    „Na schön. Dann machen wir das anders. Lester und ich, wir gehen rein und du wartest hier bis meine Brüder angreifen, dann eilst du zu den gefangenen Sklaven und befreist sie. Glaubst du, du bekommst das hin?“
    Herbert sagte zuerst nichts, wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her.
    „Bekommst du das hin?“ wiederholte Shakyor in rüdem Ton.
    „Ich denke schon. Ich hoffe es“, sagte Herbert unsicher.
    Wieder seufzte Shakyor.
    „Weißt du wer Kewen als Sklave hält?“ fragte der Nomade.
    Lester versuchte sich zu erinnern.
    „Er erzählte, dass der Typ Sigmor heißt.“
    „Auch das noch. Das ist ein gefürchteter Schwarzmagier. Wenn das wahr ist, dann ist Kewen bestimmt ganz oben, dort wo die Schwarzmagier schlafen.“
    Lester sah hoch zu den oberen Fenstern des großen Gebäudes und fragte sich, ob sie heil dort rein und wieder raus kommen würden.
    „Na gut, jetzt heißt es warten.“

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Löwenmut

    Sie beobachteten weiter Bakaresh. Lester ging sicher seine Runen schnell griffbereit zu haben, damit ihm keine Fehler unterliefen, wenn es darauf ankam. Die Stunden krochen dahin. Die Sonne ging unter und eine dunkle Nacht brach an. Kein Mond und keine Sterne waren wegen der dichten Wolkendecke zu sehen. Das würde ihnen helfen ungesehen nach Bakaresh zu kommen. Shakyor gab ein Zeichen und dann ging es los. Er schlich voran und Lester folgte ihm, nachdem Herbert ihnen Glück gewünscht hatte. Lester versuchte sich was von Shakyors Schleichkünsten abzugucken, doch er gab sich keinen Illusionen hin, neben dem Nomaden sah er recht ungeschickt aus. Als sie sich der Stadt näherten hörten sie einige Assassinen leise reden.
    „Reichtum ist alles.“, „Der Wert eines Menschen ergibt sich aus seinen Fähigkeiten und seinem Besitz.“, „Ein Assassine ohne Besitz ist kein Assassine.“
    Es war wohl schon sehr spät, denn die übliche geschäftige Aktivität des frühen Abends war zum Erliegen gekommen. Eigentlich war das gut, denn es zeigte, dass die meisten Bewohner sich in ihre Häuser zurückgezogen hatten, um zu schlafen, doch trotzdem schlug Lesters Herz aufgeregt. Er schlich weiter gebückt hinter Shakyor her, bis sie hinter dem orangenen Zelt mit den roten Streifen waren, das direkt vor dem Eingang der Wohnanlage des Tempels stand. Hier hörten sie nun ganz deutlich einige Assassinen reden. Möglicherweise waren sie direkt in dem Zelt, oder vielleicht auch davor.
    „Die Nahrungsvorräte werden langsam echt knapp“, hörten sie eine Stimme sagen.
    „Ja, zu knapp. Ich weiß nicht wie hier noch alle ernährt werden sollen“, sagte eine andere tiefere Stimme.
    „Die Sklaven fressen einfach zu viel.“
    „Wir haben ihre Ration noch einmal halbiert. Wenn wir ihnen noch weniger geben sind sie zu schwach zum Arbeiten.“
    „Pah! Dann müssen wir sie eben mehr motivieren. Die Peitsche braucht kein Essen.“
    „Aber der, der sie schwingt muss Essen. Peitschen ist auf Dauer anstrengend.“
    Der andere Mann murrte und rezitierte: „Sklaven sind die Sprossen auf der Leiter des Erfolgs, zögere nicht auf sie zu treten.“
    „Morgen wird dieser entflohene Sklave auf dem großen Platz zu Tode gepeitscht. Das wird die anderen hoffentlich ausreichend motivieren.“
    „Aber Sigmor will den doch behalten.“
    Es wurde kurz still.
    „Hm… hast du das gehört?“
    Lesters Herz schlug noch aufgeregter. Wurden sie entdeckt? Er erstarrte mitten in der Bewegung.
    „Ich hab‘s von Raid und der hat‘s von einer der Elitewachen und die haben wohl ein Gespräch zwischen Sigmor und Tizgar belauscht. Irgendwas mit einer Rache am Vater von dem Sklaven. So genau haben sie mir das nicht gesagt.“
    „Hm…“
    Lester war erleichtert. Er hatte schon befürchtet entdeckt wurden zu sein. Shakyor war schon ein Stück weiter, sah zurück und winkte Lester ungeduldig. So leise wie möglich bewegte Lester sich weiter und ließ das Gespräch der beiden Männer hinter sich, um sich nun auf den Schlafzauber zu konzentrieren. Ohne Probleme gelang er ihm. Die Wache, die vermutlich Raid hieß, gähnte und lehnte dann an seinem Speer. Shakyor trat vorsichtig vor. Er wollte ihr Glück wohl nicht herausfordern, denn er schlich hinter seinem Rücken vorbei. Lester tat es ihm nach. Er war erstaunt wie rasch der Nomade sich in den groben Stollen hineingestohlen hatte, der so gar nicht nach Macht und Reichtum aussah. Wie kam es, dass so ein provisorisch wirkender, mit Spinnweben behangener und von Pilzen bewachsener grob gehauener Stollen zum Allerheiligsten führte? Sollte das den Gläubigen irgendwas sagen? Hatte man einfach noch nicht geschafft diesen Weg etwas besser herzurichten? In der Bruderschaft hätte keiner ein Problem mit diesem Stollen gehabt, doch Lester hatte die Assassinen eigentlich so eingeschätzt, dass sie viel Wert auf ihre Außenwirkung legten. Nachdem sie den Stollen durchquert hatten wandelte sich das Bild. Nun befanden sie sich im Wohnbereich. Links gab es kleine Fensterlöcher unter denen Bänke standen und rechts sahen sie Regale und ein Wasserbecken, an dem die durstigen sich erfrischen konnten. Shakyor streckte die Hand aus, zum Zeichen das Lester stehen bleiben sollte, dann führte er ihn geradewegs in ein Zimmer, in dem ein Assassine schlief.
    Lester schlug das Herz bis zum Hals. Was machten sie denn hier? Musste es ausgerechnet dieser Weg sein? Was wenn er in der Dunkelheit ungeschickt etwas umwarf und alle weckte? Er schlich hinter Shakyor her, der katzengleich an dem schlafenden Mann vorbeischlich und trat nur dorthin wo auch der Nomade hintrat. Beinahe wäre er in Shakyor hineingelaufen, der plötzlich stehen blieb und zur Seite trat. Er zeigte mit dem Finger auf die Tür und machte dann mit beiden Händen eine Geste, als würde er schlafen. Lester hatte verstanden. Er schlich gerade so weit heran, als dass er die Wache sehen konnte, die sich im Treppenflur hinter dem Raum befand. Sie trug einen langen Speer und zwei Schwerter. Im Kampf wäre dieser Mann bestimmt ein gefährlicher Gegner. Aus irgendwelchen Gründen schaute er auf die Treppe und nicht in die Richtung, aus der mögliche Feinde kommen könnten. Vielleicht gab es dort unten ja etwas Wertvolles? Wurden dort die Sklaven festgehalten? Auch diese Wache schickte Lester ins Reich der Träume. Er freute sich, dass bisher alles reibungslos geklappt hatte. Wenn das so weiterging würden sie ohne Probleme wieder hier raus sein. Mit Kewen.
    Lester stieg vorsichtig über die nun am Boden liegende Wache und spähte die Treppe hinunter, die der Krieger bewacht hatte. Plötzlich spürte er eine Hand an seinen Klamotten und wandte den Kopf. Shakyor schüttelte entschieden den Kopf und deutete die Treppe hinauf. Vielleicht wusste er ja, wo es dort hinunter ging und es war gar nicht der Ort an dem die Sklaven gefangen gehalten wurden? Der Nomade hatte ja vermutet, dass Kewen oben bei den Schwarzmagiern war, aber woher sollte er das eigentlich wissen? Hatten die Nomaden Spione hier in Bakaresh, die über so was Bescheid wussten? Lester verfluchte sich, dass er vorhin, als sie warten mussten, nicht mehr gefragt hatte, aber solche Fragen kamen Lester oft erst in den Kopf, wenn er mitten in einer Sache drin war. Jetzt war es eine ganz schlechte Idee zu reden.
    Hinter dem Nomaden stieg Lester die Treppe hinauf. Sie erreichten einen Absatz, wo ein volles Bücherregal stand und erklommen dann die nächsten Stufen. Dort oben gingen vier Türen ab. Sie hörten Männer schnarchen. Hoffentlich weckten sie keinen von ihnen auf. An der Wand geradezu war ein großes blaugelbes seidenes Tuch aufgespannt und links daneben war ein stark ausgedünnter Vorratsraum, in dem schmuddelig und blutig Kewen auf dem Boden lag. Er war in einem fürchterlichen Zustand. Seine Finger waren seltsam verkrümmt. Sie waren wohl mehrfach gebrochen wurden. Selbst im Dunkeln konnten sie sein grün und blau geschlagenes Gesicht sehen und auch unter seinen Lumpen zeichneten sich große dunkle Flecken ab. Als würde das noch nicht reichen, roch es nach verbranntem Fleisch. Kewen lag wach und sah nun schreckhaft zu Shakyor hoch, der vorsichtig eintrat und einen Finger an die Lippen legte, damit der Sklave nicht aufschrie. Sie hörten eine Kette rasseln, als sich Kewen an die Wand drückte und versuchte so weit wie möglich von dem Fremden wegzukommen. Als Lester jedoch eintrat schwang Kewens Verhalten mit einem Mal komplett um. Sein Gesicht hellte sich auf, er sprang aufgeregt hoch und umarmte Lester erleichtert. Stumme Tränen rannen dem Jungen übers Gesicht, weil in ihm wohl so viele unterschiedliche Gefühle tobten, die er nicht anders auszudrücken wusste. Lester war auch etwas überwältigt von dieser Wiedersehensfreude und tätschelte Kewen unbeholfen über den Rücken, während Shakyor sich am Schloss der Kette zu schaffen machte. Offenbar konnte er Schlösser knacken. Lester fiel erst jetzt ein, dass er gar nicht gewusst hätte, wie er allein irgendwelche Schlösser hätte öffnen sollen. Er war nicht gut im Schlösser knacken und er konnte auch keinen Zauber, der Schlösser öffnete. Ohne Shakyor wäre er mal wieder aufgeschmissen gewesen. Warum hatte er sich eigentlich so unüberlegt in dieses Abenteuer gestürzt? Sein Wunsch Kewen aus der Sklaverei zu retten war so überpräsent gewesen, dass er sich über das wie gar nicht so viele Gedanken gemacht hatte.
    Plötzlich hörten sie Schritte und dann erschien ein Schatten in der zweiten Tür, die nach draußen führte. Ein überraschter Schrei kam von dem Mann, der einen Speer in der Hand hielt.
    „Alarm! Eindringlinge!“ rief er.
    „Scheiße!“ fauchte Shakyor und wich dem Speerangriff aus, während er den letzten Kniff tat, damit das Schloss endlich aufsprang.
    Rasselnd streifte Lester Kewen die Ketten vom zerschundenen Körper und drängte ihn zurück zur Treppe, während der Nomade sein Schwert zog, um gegen die Wache zu kämpfen.
    „Komm! Raus hier!“, sagte Lester leise zu Kewen, doch bevor sie die rettende Treppe erreichten, stellte sich ihnen ein Schwarzmagier in den Weg.
    „Sigmor“, wimmerte Kewen.
    „Ihr geht nirgendwohin!“, fauchte der Schwarzmagier erzürnt und das Glühen in seiner rechten Hand sagte Lester, dass er jeden Moment einen Zauber wirken würde.
    „Runter!“ rief Lester, packte Kewen und warf sich mit ihm zu Boden.
    Keinen Moment zu früh, denn ein Blitz zischte haarscharf über ihnen hinweg und traf nun die unglückselige Wache, die von Shakyor aus dem Vorratsraum getrieben wurde. Sigmor schnalzte missbilligend mit der Zunge. Unglaublich schnell erfasste Shakyor die Situation. Mit einem Schritt war er über der toten Wache und mit einem zweiten über Kewen und Lester hinweg, das Schwert ausgestreckt, bereit Sigmor damit zu durchbohren. Der knurrte verärgert und wich in sein Schlafgemach zurück, um dem Nomaden zu entgehen. Lester hatte sich gerade wieder aufgerichtet und seinen Streitkolben gezogen, da streckte ein schwarzbärtiger Schwarzmagier aus einem der anderen Schlafräume seinen Kahlkopf in den Flur, wohl um zu sehen was hier los war. Das hätte er wohl nicht tun sollen, denn so bekam er Lesters Streitschlichter mitten ins Gesicht. Blut spritzte und der Schwarzmagier taumelte zurück. Ein Wächter kam die Treppe herauf, um ihm zu Hilfe zu kommen. Er kümmerte sich gar nicht weiter um den ängstlich am Boden zitternden Kewen und stach seinen Speer nach vorne, direkt in Lesters Rücken. Der fluchte und wandte sich blutend um. Wieder stach die Wache zu, doch diesmal wischte er das Holz mit seinem Streitkolben einfach beiseite und zerschmetterte es.
    „Du Sohn eines Sandcrawlers“, fluchte der Wächter und zog nun seine zwei Assassinenschwerter.
    Lester entgleisten seine Gesichtszüge. Er sah kurz zu den beiden Schwertern, dann zu seinem Streitkolben und suchte das Weite.
    „Ja, Renn Vater der Feigheit!“ brüllte der Wächter ihm nach und verfolgte ihn.
    Nun war Lester im Außenring mit den großen Fenstern. Er sah nach links, wo aber nur eine Wand war und drehte sich dann nach rechts und rannte los, geradezu auf Shakyor und Sigmor zu, die sich ein wundersames Gefecht aus Schwertkampf und magischen Angriffen lieferten. Lester holte aus und hieb dem Schwarzmagier seinen Streitkolben gegen das Kreuz, was ihn zusammensacken ließ und rannte an ihm vorbei. Shakyor sah, dass dies die Chance war den Schwarzmagier zu töten, hob sein Schwert und ließ es herniederfahren, doch zwei Assassinenschwerter blockten gerade noch rechtzeitig seinen Angriff.
    „Sohn einer Sandratte!“ schimpfte der Wächter, der Lester verfolgt hatte und nun den Nomaden als neuen Gegner sah.
    Die Zeit, die der Wächter ihm verschafft hatte, reichte Sigmor, um sich wieder aufzurappeln und sich Lester zuzuwenden. Ob das so ein guter Tausch für Lester gewesen war? Sigmors Lächeln nach zu urteilen, war er sich seines Triumphes offenbar schon gewiss. Er wirkte einen Zauber, der zunächst keinen offensichtlichen Effekt hatte, doch Lester spürte tief in sich drin ein nagendes, sengendes Gefühl. Gift. Der Schwarzmagier hatte einen Giftzauber auf ihn angewendet. Ganz offensichtlich hielt Sigmor Lester nun für zum Tode verurteilt, denn er wandte sich nun wieder dem Nomaden zu und war dabei magische Kräfte für einen neuen Zauber zu sammeln. Lester musste sich an der Wand abstützen, denn ihm wurde ganz schwummerig von der Wirkung des Gifts. Es wirkte schnell. Wenn er nicht sofort etwas dagegen tat, würde er wohl sterben. Zum Glück hatte er gestern die beiden Gegengifttränke in Trelis gekauft, auch wenn er es in dem Glauben getan hatte, sie einzusetzen, falls einer von ihnen unglücklich von einer Blutfliege gestochen wurde und nicht, weil ein berüchtigter Schwarzmagier ihn magisch vergiften würde. Mit zittrigen Fingern entkorkte Lester das Fläschchen und stürzte den Inhalt hinunter. Als er es gerade absetzte, sah er erstaunt wie Kewen mit einem verzweifelten Brüllen aus einem der Schlafzimmer gerannt kam und Sigmor anstieß, dessen Blitzzauber so gerade noch einmal Haarscharf Shakyor verfehlte.
    „Du dummer Junge, ich werde dich lehren was es heißt einen Schwarzmagier anzugreifen!“ schrie Sigmor und wendete einen Zauber auf ihn an.
    Es trat kein sichtbarer Effekt ein, was Lester vermuten ließ, dass er auch ihn vergiftet hatte. Kewen brach geschwächt zusammen. Er zitterte am ganzen Körper. Ungerührt machte Sigmor einen Schritt über ihn hinweg in Richtung Shakyor, der sich nun einen packenden Kampf mit gleich zwei Wächtern lieferte und sammelte nun wieder große Mengen an Energie um einen neuen Zauber zu wirken. Lester nutzte diese Zeit, um rasch zu Kewen zu eilen und ihm den zweiten Gegengifttrank einzuflößen, dann stand er auf und griff in seine Tasche. Er hatte diesen Zauber eigentlich nicht nutzen wollen, weil er ihm als zu schrecklich erschien, aber jetzt war er so zornig, dass er seine Vorbehalte vergaß. Fest schloss sich seine rechte Hand um die Pyrokinese Rune und er sammelte magische Energie, um den Zauber zu wirken. Eben hatte Sigmor noch ein Skelett beschworen, das nun sein altes Schwert zog und auf den Nomaden zu rannte, der gerade einen der Wächter erstochen hatte, doch nun stand der Schwarzmagier wie von unsichtbaren Mächten erfasst stocksteif da. Eine Welle des Schmerzes raste ganz offensichtlich durch seinen Körper und ließ ihn erzittern. Sigmor schrie, schrie aus Leibeskräften, als sein Körper anfing von innen heraus zu verbrennen. Ein Brand, der nicht zu löschen war, der ihn verzehrte, der ihn davon abhielt auch nur irgendetwas dagegen tun zu können. Er sackte auf den Boden und kreischte so schrecklich wie Lester nur einige wenige Male Menschen hatte Schreien gehört und zwar immer nur dann, wenn er diese Rune eingesetzt hatte. Selbst die Assassinenwache und der Nomade hielten einen Moment in ihrem Kampf inne und sahen erschrocken zu dem sich vor Qual am Boden windenden Schwarzmagier hin. Dann realisierten sie wieder, dass sie mitten in einem brutalen Kampf auf Leben und Tod waren und hieben weiter aufeinander ein. Sie kämpften sich weiter in die andere Richtung vor, so dass sie aus Lesters Blickfeld gerieten und er nicht sehen konnte, wie Shakyor nun auch noch das auf ihn zu rennende Skelett bekämpfen wollte.
    Kewen war aufgestanden und sah mit finsterer Miene und fast schon unheimlich hervorquellenden Augen dabei zu, wie sich sein Unterdrücker unter Schmerzen wand.
    „Ja, gib´s ihm Lester! Er hat es nicht anders verdient, dieser elende …“
    Es war nicht zu sagen, wie sein Satz enden sollte, denn Kewen musste sich eilends wegducken, um nicht von einem Blitzschlag getroffen zu werden, den der schwarzbärtige Magier warf. Doch offensichtlich war der Zauber gar nicht für Kewen gedacht gewesen, denn er traf Lester, dessen Körper und Konzentration augenblicklich zusammenfiel, so dass Sigmor aufhörte wie am Spieß zu schreien und nun nur noch schwer atmend am Boden lag.
    „Amul“, sagte Sigmor gepresst und nickte dem anderen Schwarzmagier zu, während er versuchte sich aufzurichten. „Schicken wir diese Narren in den Tod, den sie sich offenbar so sehr ersehnen.“
    Der andere Schwarzmagier nickte zurück und wandte sich dann Kewen zu, der zurück an die Wand zuckte. Während der angeschlagene Lester den Kopf schüttelte, um das Sirren darin loszuwerden, hörte er einen Kampfschrei. Hatte er sich den Kopf so sehr verletzt, oder sah er da wirklich einen Sklaven mit einem Besen auf zwei Schwarzmagier zustürmen? Auch die beiden Magier waren ganz offensichtlich überrascht, denn sie standen nur verwirrt da und Amul sagte leise und fragend: „Murak? Was zum…“
    Dann bekam er den Besenstil ins linke Auge.
    „Au!“
    Lester nutzte die Verwirrung um sich aufzurichten und durch das Schlafgemach neben ihm zurück in den Flur zu verschwinden. Er musste es irgendwie schaffen Kewen und Shakyor zurück zur Treppe zu bringen, doch wie sollte er gegen zwei Schwarzmagier, ein Skelett und eine Wache ankommen? Und wie viele weitere Wachen waren bei all dem Lärm schon auf dem Weg hierher? Ohne seine Magie würden sie hier wohl nicht mehr rauskommen, doch da ihn die Pyrokinese erschöpft hatte, musste er jetzt den Manatrank schlucken, den er bei sich hatte. Dann nutzte er die Rune Wolf rufen, um Waldi als Unterstützung zu rufen und holte als nächstes die Windfaust Rune hervor. Er trat in den Vorratsraum, von dem aus er jetzt eine perfekte Sicht auf Sigmor hatte und sammelte magische Energie für die Windfaust, während Waldi sich auf Amul stürzte, der sich gerade ebenfalls für einen großen Zauber gesammelt hatte, nun aber in seiner Konzentration unterbrochen wurde.
    „Wo kommt diese Töle her?“ brüllte der alte Schwarzmagier und gab Waldi einen saftigen Tritt.
    Der Wolf wimmerte, biss dann aber zu. Beinahe hätte Lester den Zauber zu früh losgelassen, denn Murak und Kewen rannten gehetzt durch sein Sichtfeld und Sigmor sah ihnen wütend hinterher, bis er Lester aus den Augenwinkeln erblickte und sich eine tiefe Zornfalte in seiner Stirn bildete.
    „Du…“, schrie er und ein knisternder Blitz wollte sich gerade aus seiner Hand entladen, als Lester seinen Zauber endlich wirkte und die Faust aus Luft Sigmor von den Füßen hob, ihn durchs Fenster schleuderte und er schreiend auf die staubigen Straßen von Bakaresh herunterfiel.
    „Bei Beliar!“ schrie Amul und starrte Sigmor erschrocken hinterher.
    „Kommt endlich! Weg hier!“ hörte Lester Murak hinter sich rufen.
    Der Sklave war bereits an der Treppe und winkte eilig. Kewen neben ihm hatte weit aufgerissene Augen.
    „Shakyor!“ rief Lester und lief zurück zur Treppe.
    Es rumpelte und der Nomade und der Assassine, immer noch verbissen kämpfend kamen blutbesudelt in den Flur gestürzt. Die Schwerter hatten sie längst irgendwo verloren. Die Krieger rollten sich auf dem blutbefleckten Boden und griffen sich gegenseitig an den Hals, um sich zu erwürgen.
    „Hör auf da rumzuspielen! Komm jetzt endlich!“, rief Lester.
    Der Assassine gewann gerade die Oberhand, doch seine Augen rollten sich in ihren Höhlen nach oben, als Lester ihm eins mit seinem Streitschlichter auf den Kopf gab und er zusammenbrach. Shakyor rollte sich zur Seite und beeilte sich auf die Füße zu kommen. Sie hörten das Knistern eines Blitzschlags und ein Winseln und Lester wusste, dass Waldi Amul nicht länger aufhalten konnte.
    „Los! Beeilung!“ rief er, doch von unten drängten nun vier neue Wachen hinauf.
    „Scheiße“, rief Shakyor, denn ohne Waffe schätzte er ihre Lage schlecht ein.
    Lester reichte ihm seinen Streitkolben und konzentrierte sich erneut auf die Windfaust. Shakyor wusste, dass es aussichtslos war gegen alle vier gewinnen zu wollen, doch er musste Zeit schinden, damit sein Kampfgefährte die nötige magische Energie aufbringen konnte, um den Zauber zu wirken. Als er endlich genug beisammen hatte, gab Lester ein Zeichen, so dass der Nomade zur Seite hechtete. Lester setzte den Zauber frei und die Windfaust riss die Wachen von den Füßen und ließ sie die harten Stufen der langen Treppe hinunterstürzen. Sie hörten die Wächter ächzen und stöhnen und das war ihre Chance zu entkommen. Eilig rannten sie los, den Stollen zurück und hinaus ins umkämpfte Bakaresh. Wenn sie gedacht hatten oben wäre es chaotisch gewesen, so wussten sie nicht wie sie den Kampf hier unten beschreiben sollten. Nomaden und Assassinen kämpften verbissen um die Vorherrschaft von Bakaresh. Schwerter klirrten. Männer schrien. Die Lage war unübersichtlich.
    Shakyor sah zu einem anderen Nomaden hinüber, der gerade einen Assassinen abgeschüttelt hatte und sich nun eine neue Position suchte. Sie tauschten einen eindringlichen viel sagenden Blick. Lester wollte zurück Richtung Berge, doch Shakyor, hielt ihn zurück, holte rasselnd Atem und sagte mit heiserer Stimme: „Nein, dort entlang!“
    Er zeigte einmal quer durch Bakaresh.
    „Nicht dein Ernst!“ kam es verblüfft von Lester, aber Shakyor nickte.
    „Doch. Du wirst gleich sehen warum.“
    Lester, Kewen und Murak rannten los und waren gerade an einem Überdach mit Wasserpfeife vorbei gekommen, als sie einen lauten Ruf hörten: „Rückzug! Rückzug!“
    Sie liefen wie die Hasen. Zuerst an einigen Zelten vorbei, dann unter dem riesigen Torbogen des Tempels hindurch. Auf ihrem Weg kamen sie an drei gefallenen Assassinen und einem toten Nomaden vorbei, doch sie blieben nicht stehen, um zurückzusehen. Sie hörten ein lautes Schnaufen. Es war Shakyor, der sie einholte. Er hielt sich die linke Seite.
    „Lass mich dir helfen“, bot Lester an.
    „Keine Zeit, erst müssen wir zur Oase“, schnaufte ihr Kampfgefährte.
    Ohne zu wissen welche Oase er meinte, oder wie weit sie noch weg wäre, erwiderte Lester, während er seine Heilrune hervorholte: „Wenn ich dich nicht heile, dann schaffst du es vielleicht nicht bis dorthin.“
    Shakyor stöhnte und nickte dann, doch Lester hatte den Zauber schon genutzt, denn auch ohne die Zustimmung des Nomaden hätte er ihm hier und jetzt geholfen. Kewen war unschlüssig stehen geblieben, doch Murak war schon weitergelaufen. Andere Nomaden stießen nun zu ihnen und riefen ihnen zu, sie sollten sich beeilen, wenn sie nicht getötet werden wollten. Endlich hatte Lester Shakyor vollständig geheilt und auch einen Zauber auf sich angewendet, denn nun da das Adrenalin nachließ spürte er deutlich seine Verletzungen. Erst dann liefen sie weiter. Hinter ihnen hörten sie die Schmährufe der siegreichen Assassinen.
    Der Weg war weit und anstrengend. Sie mussten viele Dünen überqueren und es war sehr kalt in der nächtlichen Wüste. Endlich hatten sie ihr Ziel, eine Oase, erreicht. Herbert, fünf befreite Sklaven und zwei Nomaden warteten bereits auf sie.
    „Larry!“ rief Kewen Herbert mit angestrengter Stimme zu.
    Ganz offensichtlich war der junge Mann zwar verletzt und müde, doch die Freude, über seine wiedergewonnene Freiheit war so stark, dass sie ihm die Kraft gab zu seinem Freund hinüberzulaufen und ihn zu umarmen.
    „Kewen, ihr habt es geschafft. Ach, bin ich froh. Ich dachte schon, wir würden alle in Bakaresh sterben.“
    Tatsächlich wischte sich Herbert einige Freudentränen aus dem Gesicht.
    „Dank Lester und dem mutigen Nomaden dort haben wir es geschafft“, sagte Kewen glücklich.
    „He, und was ist mit mir?“ fragte Murak empört. „Hast du vergessen wie heldenmutig ich mich den beiden Schwarzmagiern entgegengeworfen habe? Ich ganz allein mit meinem Besen? Das hättet ihr sehen sollen, wie ich Amul mit meinem Besenstil ins Auge gestochen habe. Haha!“
    Er stand stolz da und lachte aus vollem Hals. Die vierzehn Nomaden sahen ihn verwundert an und tuschelten. Vielleicht fragten sie sich, ob dieser Sklave auf den Kopf gefallen war, oder ob es stimmte was er da erzählte.
    „Es ist noch genug Zeit uns Geschichten über den heutigen Tag zu erzählen“, sagte ein kahlköpfiger Nomade. „Erst mal müssen wir Wachen aufstellen und unsere Wunden versorgen. Braucht noch jemand einen Gegengifttrank?“
    Er sah in die Runde und zuerst sagte niemand etwas, dann trat ein Nomade mit kurzen braunen Haaren hervor und sagte: „Nein, wer selbst kein Gegengift hatte, oder rechtzeitig von anderen versorgt wurde, ist bereits tot.“
    „Verdammt“, sagte ein anderer Nomade.
    „Ob es diese Sache wirklich wert war Shakyor?“ fragte der kahlköpfige Nomade, der zuerst gesprochen hatte. „Wir haben sechs gute Männer verloren und zwei der Sklaven sind auch gestorben.“
    „Das werden wir sehen Hurit. Es war ein harter, blutiger Kampf. Immerhin haben wir ein paar ihrer Krieger getötet und Sigmor ist tot.“
    „Hab ihn herunterstürzen sehen“, sagte einer der Nomaden und grinste.
    „Das war Lester mit einem Zauber“, kam es sofort von Kewen.
    Es sah kurios aus, wie er mit seinem zerschundenen Gesicht noch so breit Grinsen konnte. Alle Nomaden sahen skeptisch zu Lester und dann zu Shakyor, so als erwarteten sie, dass er die Geschichte bestätigte. Tatsächlich legte Shakyor Lester kameradschaftlich eine Hand auf die linke Schulter und sagte mit kräftiger Stimme: „Lester ist ein guter Kämpfer und Magier. Wäre er nicht gewesen, wir hätten es sicher nicht geschafft. Zuerst…“
    „Ja, ja, du kannst uns gleich die heldenhafte Geschichte erzählen wir ihr zwei Superkerle ganz allein den Tempel auseinander genommen habt, aber jetzt stellen wir erstmal Wachen auf“, unterbrach Hurit Shakyors Rede.
    „He, und ich und mein Besen?“ war Muraks empörte durchdringende Stimme zu hören.
    Während die beiden Nomaden, die Herbert und die entflohenen Sklaven hierher gelotst hatten, sowie einige noch nicht so mitgenommene Nomaden die erste Wache übernahmen, setzten sich die anderen ans prasselnde Lagerfeuer, um sich auszuruhen und sich über den großen Kampf auszutauschen.
    „Ich muss jetzt erstmal einen durchziehen“, sagte Lester und kramte in der Tasche nach einem grünen Novizen.
    „Vielleicht könntest du Kewen auch noch heilen?“ fragte Herbert hoffnungsvoll und reichte Lester eine Flasche Wasser.
    Kewen und er hatten sich links und rechts neben Lester gesetzt. Der trank gierig. Das heutige Abenteuer hatte ihn sehr durstig gemacht.
    „Leider sind meine magischen Kräfte erschöpft. Ich muss mich erst ausruhen. Oder hat vielleicht jemand einen Manatrank?“
    Fragend sah Lester in die Runde.
    „Sowas ist hier Mangelware“, klärte einer der Nomaden auf.
    Zwei andere Nomaden warfen sich ein Grinsen zu und dann sagte einer von ihnen: „Aber wir haben Bananenschnaps da. Die Magier sagen, der regeneriert auch langsam die magische Kraft.“
    Lester zog noch einmal an seinem Sumpfkrautstengel und ließ sich Zeit damit seine Frage zu stellen: „Langsam? Wie viel muss ich denn davon trinken, damit ich einen Heilzauber wirken kann?“
    Von den Nomaden kamen nur ratlose Blicke. Viele zuckten mit den Schultern.
    „Keine Ahnung. Konnten wir nicht ausprobieren.“
    „Was hat Riordian denn genau gesagt, Lirit?“, fragte ein junger Nomade.
    „Nur, dass der Schnaps die magischen Kräfte etwas zurückbringt, Koru“, antwortete der junge Mann, der neben ihm saß.
    „Probieren wir es doch einfach aus“, sagte Shakyor, nahm sich eine Flasche Bananenschnaps und reichte sie Lester.
    Der besah sie sich skeptisch und sah noch einmal misstrauisch zu Shakyor, der ihm aufmunternd zunickte. Wollten sie ihn vielleicht einfach nur verulken? Er hob die Flasche an die Lippen und nahm einen vorsichtigen Zug. Es schmeckte fürchterlich. Süß, aber auch bitter und stark alkoholisch. Er verschluckte sich, setzte die Flasche eilig ab und hustete. Ein brennendes Ziehen blieb in seiner Kehle zurück. Die Nomaden lachten.
    „Das passiert jedem beim ersten Mal“, sagte Shakyor freundschaftlich und grinste Lester an.
    „Haut ordentlich rein, was?“ kam es nun fröhlich von Hurit.
    „Ordentlich“, gab Lester mit angestrengter Stimme zu, was die Nomaden erneut auflachen ließ.
    „Na los! Kipps dir hinter! Der arme Junge braucht einen Heilzauber“, sagte einer der Nomaden schalkhaft.
    Lester hob die Flasche erneut an die Lippen und trank und trank. Der Bananenschnaps brannte wie Feuer, doch er wollte das nun endlich hinter sich bringen.
    „He, der Kleine sollte auch etwas davon bekommen. Seine Fingerknochen sind so übel verdreht, dass wir sie erst richten müssen, wenn sie wieder richtig zusammenwachsen sollen“, sagte Shakyor.
    Kewen sah erst bang zu dem Nomaden, dann zu Lester, so als wollte er erfahren, ob es stimmte, was dieser sagte. Lester nickte dem Jungen aufmunternd zu.
    „Besser wäre es, auch wenn das echt nicht schön wird. Hier, trink auch etwas.“
    Lester hielt ihm die Flasche an die Lippen, doch Kewen hatte kaum einen Schluck genommen, da spuckte er die Flüssigkeit gleich wieder aus. Er verzog das Gesicht, schloss die Augen und streckte dann die Zunge raus.
    „Pfui, ist ja furchtbar das Zeug.“
    Wieder lachten die Nomaden. Doch Lester war besorgt. Wenn der Junge das ganze ohne Betäubung durchziehen sollte, würde das übel werden.
    „Hier, dann nimm wenigstens diesen Traumruf“, bot Lester an und zündete ihm einen Stengel an.
    Stöhnend versuchte Kewen den Stengel mit seinen verkrüppelten Händen zu nehmen, doch es gelang ihn nicht ihn festzuhalten. Ohne, dass er es wollte kamen Kewen wieder die Tränen. Der Junge tat Lester unglaublich leid.
    „Warte, ich helfe dir.“
    Lester steckte Kewen den Stengel zwischen die Lippen und der holte tief Luft, musste allerdings husten. Während seiner Zeit auf der Sumpfkrautplantage hatte Kewen schon einige grüne Novizen geraucht, doch der Traumruf war zwei Nummern stärker.
    „Haha, das ist ja lustig, Huiii“, kam es kurze Zeit später von Kewen und er wackelte mit seinem Kopf herum, so als würde sich alles um ihn her drehen. „Wow, hatte nicht gedacht, dass es hier in der Oase so bunt ist.“
    Die Nomaden amüsierten sich über den Jungen und Shakyor sagte: „Gut gemacht Lester, dein Kraut ist ja noch viel besser für so etwas geeignet als der Schnaps. Halt ihn fest, während ich seine Knochen richte, in Ordnung?“
    Lester nickte und hielt den Jungen fest. Shakyor steckte Kewen ein Stück Leder zwischen die Zähne und nahm sich den ersten Finger vor. Sofort schossen Kewen Tränen in die Augen und ein gedämpfter Schrei kam aus seinem Mund. Er wollte sich entziehen, doch Lester hielt ihn fest.
    „Du schaffst das“, sprach er ihm Mut zu.
    Shakyor nahm sich den nächsten Finger vor. Wieder schrie Kewen und schluchzte. Die anderen Nomaden sahen mitleidig zu. Der eine oder andere schimpfte über die Assassinen. Die anderen nickten zustimmend und wünschten die Assassinen in Beliars Reich. Shakyors Handgriffe zeugten erschreckenderweise von Übung. Vermutlich war es nicht das erste Mal, dass er jemandem die Finger richten musste. Endlich war es geschafft.
    „Gut durchgehalten Junge“, lobte Shakyor und tätschelte Kewen kurz tröstend die Wange.
    Der Junge zitterte, obwohl es hier am Feuer warm war. Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper und noch immer schluchzte er. Lester hoffte, dass der Traumruf ihm immerhin ein wenig Leid erspart hatte. Er nahm wieder die Flasche zur Hand und trank. Als er fast die Hälfte geleert hatte, sagte er: „Okay, na dann wollen wir doch mal gucken, ob es funktioniert.“
    „Jetzt schon?“ fragte Koru.
    „Na da bin ich ja gespannt“, sagte der junge Lirit.
    Lester griff sich die mittlere Wunden heilen Rune und versuchte sie anzuwenden. Nichts passierte.
    „Hm… nein, schade“, sagte Lester traurig.
    „Na, dann wirst du wohl weitertrinken müssen“, sagte Hurit grinsend.
    „Erstmal einen durchziehen. Schwarzer Rhobar ist auch gut, wenn man Magie wirken will“, sagte Lester und zündete sich gleich einen an.
    „Na, wenn du das sagst“, kam es lachend von Shakyor und auch die Nomaden ließen nun zwei Flaschen Bananenschnaps herumgehen.
    Lester ließ sich Zeit damit seinen Sumpfkrautstengel zu rauchen, weil er gar nicht so scharf darauf war erneut den Bananenschnaps zu trinken. Um alle zu unterhalten begann Shakyor damit von ihrem spannenden Angriff auf Bakaresh zu erzählen. Es war nicht einfach ein Bericht, so wie er es erzählte war es ein Heldenepos. Während er gestenreich erzählte stand er vor dem Feuer, so dass alle ihn gut sehen konnten. Die Nomaden lauschten gespannt und gaben immer mal wieder ihren eigenen Senf dazu. Lester musste zugeben, Shakyor war ein verdammt guter Geschichtenerzähler. Obwohl er gedacht hatte, spannender als selbst dabei gewesen zu sein würde nicht gehen, ging das offenbar doch. Er hörte gespannt zu und es war äußert interessant die Geschehnisse aus seiner Perspektive zu hören.
    „… und dann auf einmal fing Sigmor fürchterlich an zu schreien. Himmel! Ich hab noch nie jemanden so fürchterlich schreien hören und ich war mal in nem Folterkeller der Assassinen gelandet. Alle Haare haben sich mir aufgestellt. Dem Assassinen, mit dem ich gekämpft habe ging es wohl genauso. Wir haben beide unseren Kampf unterbrochen und sahen wie vom Donner gerührt zum sich am Boden windenden Sigmor. Dann sah der verwunderte Assassine mich an, ich sah ihn an, wir sahen uns an und dann kämpften wir weiter.“
    „Was war denn das für ein Zauber?“, „Ja, was für einer?“, „Hab ich auch noch nie von sowas gehört“, „Los sag schon!“ wollten einige der Nomaden wissen.
    Lester merkte die Wirkung des Bananenschnaps nun deutlich durchschlagen. Wäre er noch nüchtern gewesen, wäre er wohl vorsichtiger mit einer Antwort gewesen, doch so sagte er einfach: „Er heißt Pyrokinese.“
    „Und was macht das?“ wollte einer der Nomaden wissen.
    „Na, es löst Schmerzen aus“, vermutete Hurit, sah dann aber zu Lester, wohl um sich die Bestätigung abzuholen.
    „Naja“, begann Lester und zog ein letztes Mal an seinem schwarzen Rhobar, bevor er ihn ins Feuer schnippte. „Nicht einfach nur so. Es ist sozusagen irgendwie ein Psychofeuerzauber.“
    „Verstehe ich nicht“, kam es gleich von einem großen Nomaden zurück.
    „Ja, ich auch nicht, ist das jetzt ein Zauber von Innos, oder was?“ fragte Hurit.
    „Nein. Genau genommen ist die Rune aus dem Schläfertempel aus dem Minental. Der … Befreier hat sie mir gegeben, weil ich ihm auf seiner Reise dorthin gefolgt bin, als wir auf der Suche nach Uriziel waren.“
    Es war, als hätte Lester eine Einladung gegeben, um Fragen zu stellen, denn er wurde förmlich überrannt.
    „Mit dem Befreier?“, „Erzähl mehr!“,„Uriziel?“, „Was ist das denn?“, „Ist das eine Waffe?“, „Ist das ein Schwert?“, „Was ist denn ein Schläfer?“, „Und über was für einen Tempel redest du?“, „Wo ist der denn?“, „Warum trinkst du keinen Schnaps mehr?“, „Ja, los trink!“, „Trink!“, „Trink!“
    Lester verzog den Mund und bereute damit angefangen zu haben, doch die anderen drängten ihn so lange, bis er endlich auch noch den Rest der Flasche hinunterkippte und endlich ihre Fragen beantwortete. Das wurde für Lester gar nicht mal so einfach, denn hier und da ging ihm bereits die Bedeutung des einen oder anderen Wortes verloren. Nachdem er die drängendsten Fragen der Nomaden beantwortet hatte, steckte er sich noch einen schwarzen Rhobar an und Hurit fragte: „Ja, aber was macht dieser Zauber nun eigentlich genau?“
    „Was denn für ein Zauber?“, lallte Lester.
    „Na den, den du bei Sigmor eingesetzt hast.“
    „Du meinst Pyrekenosi, ne, halt … äh…. Porykoseni, ne … Kosipyroni, ach … verdammt.“
    Lester hielt sich den Kopf, im Versuch seine Gedanken zu ordnen.
    „Pyrodingsbums, na ihr wischt schon, dings halt…“
    „Ja, wir wissen was du meinst, aber was ist jetzt damit?“ fragte nun Shakyor und nahm noch einen Schluck Bananenschnaps.
    „Alscho, das is so ein Psyschomagie, scho wie Telekinese, nur … alscho nich irjendwas auscherhalb wird bewecht, sonnern im Körper vom Opfer, alscho, scho, eben un dadurch wird das irjendwie heiß im Körper, alscho der verbrennt dann innerlich, nich?“
    Es wurde totenstill am Feuer.
    „Waschn? Ihr haaabt gefragt“, sagte Lester und nahm noch einen tiefen Zug vom schwarzen Rhobar.
    „Also ich fand es gerecht, dass du ihm diesen Zauber auf den Hals gehetzt hast“, sprang Kewen ihm bei.
    Der Traumruf hatte ihn offenbar seine Scheu vergessen lassen.
    „Jahrelang hat er mich wie den letzten Dreck behandelt, mich gequält, mich der Freiheit beraubt. Er hat verdient was er bekommen hat.“
    Die Nomaden warfen sich mitleidige Blicke zu und tauschten tuschelnd ihre Meinungen darüber aus.
    „Alscho, wenn ich mir dich so anseh, denn war wasch mit dich, irjendwas wollte ich doch…“, lallte Lester und überlegte angestrengt.
    „Du wolltest ihn heilen“, kam ihm Herbert zur Hilfe.
    „Richtig!“, kam es froh von Lester und er schwang seinen rechten Zeigefinger durch die Luft.
    Herbert sah beunruhigt von Lester zu Kewen und zurück. Beunruhigte ihn was er gehört hatte? Fragte er sich, ob Lester Kewen heute noch würde heilen können? Fragte er sich, ob sich Lester totsaufen würde, im Versuch Kewen zu heilen?
    Wieder holte Lester die Heilrune hervor, versuchte es, doch immer noch wollte sich kein Erfolg einstellen. Daraufhin hob Lester die Flasche an, wollte trinken, doch sie war leer. Er kehrte sie um, um sich davon zu überzeugen, dass wirklich nichts mehr drin war.
    „Lester braucht Nachschub!“, durchbrach Shakyor die Stille.
    „Ja, los! Gebt Lester eine neue Pulle!“, rief einer der Nomaden.
    „Hätte nicht gedacht, dass er einen ganzen Liter davon säuft“, sagte ein anderer.
    Wieder lachten die Nomaden und sie reichten eine frische Flasche Bananenschnaps reihum, bis sie bei Lester ankam. Mit einigen Schwierigkeiten versuchte Lester den Korken loszuwerden, doch letztendlich musste Herbert ihm helfen.
    „Los Trink!“ rief Shakyor und als Lester erneut die Flasche ansetzte, feuerten ihn alle im Chor an.
    „Trink!“, „Trink!“, „Trink!“, „Trink!“, „Trink!“ und dann: „Weiter“, „Weiter“, „Weiter.“
    Endlich setzte Lester die Flasche ab und wischte sich über den Mund.
    „Ist noch was drin?“ fragte jemand.
    Die Frage wurde beantwortet, als die Flasche gefährlich in Schieflage geriet und Lester sich ausversehen etwas selbst bekippte. Eilig nahm ihm Herbert die Flasche weg.
    „Jetzt klau dem armen Mann doch nicht seinen Schnaps!“, „Ja, den braucht er doch, um seine magische Kraft zurückzubekommen.“, begehrten die beiden jungen Nomaden Lirit und Koru dagegen auf, doch Herbert hörte nicht auf sie.
    Besorgt beobachtete er Lester dabei, wie er sich schwankend aufrichtete, die Heilrune hob, als würde er Kewen damit bewerfen wollen und schließlich tatsächlich einen magischen Spruch wirken konnte. Nur leider traf er nicht Kewen, sondern einen Nomaden zwei Plätze neben ihm. Die Nomaden amüsierten sich königlich. Sie grölten herum und schlugen sich auf die Schenkel. Hier und da mussten einige Lachtränen weggewischt werden. Lester geriet gefährlich in Schieflage und ließ sich zurück in den Sand fallen. Er rülpste laut.
    „Das war wohl nix“, kam es von Hurit.
    „He, wieso? Also ich fühl mich ausgezeichnet“, sagte der getroffene Nomade fröhlich und wieder johlten alle los.
    „Wirst du wohl weiter trinken müssen!“ sagte einer lachend.
    „He, sauft doch nicht alles weg, Lester braucht das noch!“, brüllte ein anderer seine Kampfgefährten an, die ebenfalls nach dem Schnaps gegriffen hatten.
    „Der hat doch noch.“
    „Na, aber ob das reicht?“
    „Werden wir sehen.“
    „Ja, los! Trink!“
    „Trink!“, „Trink!“, „Trink!“
    Lester seufzte gequält auf und versuchte mehrmals vergeblich Herbert die Flasche aus der Hand zu nehmen. Es lag nicht an Herbert, der völlig regungslos da saß.
    „Jetzt gib ihm schon den Schnaps!“ kommandierte ein älterer Nomade.
    Herbert stöhnte. Er konnte es wohl schon gar nicht mehr mit ansehen, drückte die Flasche aber dann doch in Lesters Hände. Beim ersten Versuch schüttete sich Lester ein wenig Bananenschnaps ins linke Auge und zuckte erschrocken zurück. Er schüttelte sich und wischte sich unkoordiniert übers Gesicht.
    „Nun helft dem armen Mann doch mal!“, grölte der mittlerweile auch schon reichlich betrunkene Shakyor.
    Lirit und Koru, zwei der jüngeren Nomaden, machten sich einen Spaß daraus und während einer Lester festhielt, damit er nicht nach hinten weg umfiel, hielt ihm der andere die Flasche an die Lippen.
    „Ja, los!“, „Trink!“, „Trink!“, „Trink!“ riefen die anderen wieder im Chor.
    Der Schnaps lief immer weiter und Lester trank und trank.
    „Ist er alle?“ fragte Lirit, der Lester hielt.
    „Warte mal noch einen Moment, ich will sicher gehen“, sagte Koru grinsend. „So. Mal sehen.“
    Er hob die Flasche vorsichtig weg und tatsächlich war sie leer.
    „Okay, neuer Versuch“, sagte Lirit entschlossen.
    „Komm mal her, Junge! Umso näher du stehst, umso unwahrscheinlicher ist es, dass er dich nicht trifft“, sagte Koru und winkte Kewen näher zu sich.
    Kewen hatte so eine Situation ganz offensichtlich noch nie erlebt und war etwas verschreckt, doch er wusste wohl, dass Lester all das nur getan hatte, um ihm zu helfen, also trat er noch weiter vor und wartete darauf, was da kommen möge.
    „Weiß einer, ob es bei betrunkenen Magiern zu fehlerhafter Magie kommt?“ fragte plötzlich Hurit.
    „Ne, keine Ahnung, hab ich noch nich erlebt“, sagte Shakyor und hickste.
    „Na mal sehen“, „Ich bin gespannt.“, „Der nutzt doch eine Rune. Was soll schon schiefgehen?“, „Ja, was soll schon schiefgehen?“
    Von den Gesprächen der anderen angefeuert griffen die beiden jungen Nomaden Lester nun links und rechts unter die Arme, damit der nicht umfiel.
    „Also Lester, das ist jetzt dein großer Auftritt“, sagte Koru.
    „Ja, jetzt noch einmal Konzentration!“ fügte Lirit hinzu.
    Lester gab nur einen leidenden Ton von sich.
    „Die Rune Lester! Du brauchst die Rune!“ half ihm Koru auf die Sprünge.
    Unkoordiniert holte Lester die Heilrune hervor, ließ sie aber in den Sand fallen.
    „Nein, doch nicht so!“
    „Du hast sie fallen gelassen“, tadelte Lirit, griff die Rune aus dem Sand und drückte sie Lester erneut in die Hand.
    „Also! Konzentration!“
    Lesters Stirn furchte sich. Angestrengt versuchte er herauszufinden was jetzt zu tun sei. Er holte weit aus und diesmal warf er die Rune tatsächlich. Es war ein großes Kunststück, wie sie knapp über Kewens rechtem Ohr hinwegsegelte, denn er stand kaum einen halben Meter vor Lester.
    Alle Nomaden brachen wieder in lautes Gelächter aus.
    „Ne, glaub nicht, dass das heute noch was wird“, versuchte Lirit es Kewen schonend beizubringen.
    „Ne, glaub ich auch nicht“, gab auch sein Freund seine Meinung kund.
    Gleichzeitig ließen sie Lester einfach los, so dass er ächzend in den weichen Sand fiel.
    Aus der Menge kam immer noch Gelächter, aber auch mitleidiges Stöhnen.
    „Sagt mal, musste das jetzt sein? Ihr habt da einen Helden vor euch, ein bischn‘ Respekt“, sagte Shakyor lallend.
    „Was ist denn hier los?“ hörten sie eine Stimme aus der Dunkelheit sagen.
    Ein Wassermagier trat ins Licht des Lagerfeuers.
    „Es ist nicht wonach es aussieht Riordian“, kam es angetrunken von Hurit.
    „Was habt ihr mit ihm gemacht?“ fragte Riordian streng und schritt auf Lester zu.
    „Er wollte nur den Kleinen da heilen. Siehst doch wie angematscht der aussieht“, sagte Koru frech.
    „Ja, und wir hatten keinen Manatrank und weil du mal meintest, der Bananenschnaps stellt auch etwas magische Kraft wieder her…“, kam sein Kumpel Lirit ihm zu Hilfe.
    Riordian seufzte leidend und fuhr sich durch den hellbraunen Bart.
    „Aber damit wollte ich doch nicht sagen, dass …“
    Er brach ab, seufzte wieder und fragte nach: „Wie viel hat er denn von dem Zeug getrunken?“
    „Weiß nicht“, sagte einer der Nomaden unschlüssig.
    „Zwei Liter oder so…“, sagte ein anderer.
    Vorsichtig drehte Riordian Lester auf den Rücken, beugte sich über ihn und fragte ihn: „Wie viel Finger siehst du?“
    Für Lester variierte die Anzahl zwischen drei und neun, daher hielt er es für klug einen Mittelwert zu nennen.
    „Äh… sechs?“
    Riordian schüttelte den Kopf, sagte aber: „Lass ich durchgehen.“
    Er richtete sich auf und sagte dann zu den Nomaden: „Also Leute, ihr hattet euren Spaß, aber für alle war es ein harter Tag. Legte euch jetzt schlafen!“
    „Aber was ist mit dem Kleinen?“ fragte Shakyor und klopfte Kewen fürsorglich seine große Pranke auf die Schulter, so dass er mit den Knien einknickte.
    „Darum kümmere ich mich“, sagte Riordian und wirkte einen Heilzauber, der Kewen in kurzer Zeit genesen ließ.
    „Naja, … und was ist mit Lester?“ fragte Shakyor gedehnt. „Ich mein …, sollen wir ihn einfach da liegen lassen?“
    Riordian zuckte mit den Schultern.
    „Vielleicht ist es besser. Wir haben nicht so viele Schlafplätze hier und ich glaube nicht, dass er sich beschwert dort in der Nähe des Feuers zu nächtigen.“
    Tatsächlich war Lester schon dabei einzuschlafen.
    Geändert von Eispfötchen (05.08.2023 um 23:45 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Manchmal erwächst aus Angst Mut

    Lester wachte mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf und im ersten Moment wünschte er sich daher tot zu sein. Das letzte Mal hatte er sich so elend gefühlt, als die Barriere zusammenfiel und er ständig diese üblen Kopfschmerzen hatte erleiden müssen. Damals war er nur knapp am Wahnsinn vorbeigeschrammt und er wusste bis heute nicht, ob es ihm gelungen war, weil er weiterhin Sumpfkraut geraucht hatte, oder ob es damit schwerer geworden war. Er hatte sich immer eingeredet, dass es ihm geholfen hatte, aber ob das wirklich stimmte?
    Heute Morgen traf ganz klar dem Bananenschnaps die Schuld. Er merkte, dass er immer noch nicht ganz nüchtern war, obwohl die Sonne schon warm vom Himmel schien. Mühsam richtete sich Lester in eine sitzende Position auf und versuchte nicht erneut umzufallen. Eine Hand hielt ihn aufrecht und Lester sah verwundert an ihr entlang zur Person, der sie gehörte.
    „Ich dachte mir, du willst bestimmt etwas trinken“, sagte Kewen hilfsbereit und lächelte ihn an.
    Dankbar nahm Lester die Flasche entgegen und trank sie in einem Zug leer.
    „Hast du noch mehr davon?“
    „Ich kann was holen“, sagte der Junge beflissen und rannte Sand aufwirbelnd los, um die Flasche am Wasserloch zu füllen.
    Auch Shakyor hatte wohl gesehen, dass Lester nun wach war, denn er kam gut gelaunt zu ihm geschlendert und begrüßte ihn.
    „Da ist ja der lustige Lester. Gut, dass du noch lebst. Einige von uns hatten Zweifel, dass du noch mal aufwachen würdest. Ich glaube du hast einen neuen Rekord im Bananenschnaps saufen aufgestellt. Zwei Liter ganz allein.“
    Shakyor pfiff anerkennend. Dann fügte er hinzu: „Naja, andererseits lassen wir sonst niemanden so viel trinken, weil der Schnaps kostbar ist, aber es war ja für einen guten Zweck.“
    Lester stöhnte und sagte mit krächzender Stimme: „Naja, so wie wir uns das vorgestellt hatten, lief es dann ja doch nicht.“
    „Ach was, Wutras hat sich gefreut, dass er die Wunden der Schlacht so unkompliziert losgeworden ist und all den Spaß war es allemal wert. He, möchtest du vielleicht was essen?“
    Der Nomade grinste breit und hielt ihm eine Banane hin. Lester zuckte zurück und hob abwehrend die Hände.
    „Bleib mir bloß weg damit! Kannst mich jetzt damit jagen.“
    „So schlimm?“ fragte Shakyor immer noch grinsend.
    „Noch schlimmer“, sagte Lester und hielt sich den schmerzenden Kopf.
    Er zog einen schwarzen Weisen hervor und zündete ihn mit einer ausgewählten Feuerpfeilrune an. Der Nomade sah ihm skeptisch dabei zu.
    „Meinst du denn das hilft?“
    „Na besser wär das.“
    Lester nahm einen tiefen Zug und er merkte wie er sich ein Stück weit beruhigte. Kewen kam zurückgerannt und reichte Lester die Wasserflasche. Wieder trank Lester sie in einem Zug leer.
    „Ich hab auch deine Rune gefunden. Sie lag im Sand.“, sagte Kewen und gab sie Lester zurück.
    Der schaute verwirrt darauf, denn er konnte sich nicht mehr daran erinnern sie aus der Hand gegeben zu haben.
    „War irre komisch, wie du am Kopf des Kleinen vorbeigeworfen hast, obwohl er direkt vor dir stand“, sagte Shakyor und lachte schallend.
    Lester hob eine Augenbraue. Er konnte sich daran nicht mehr erinnern. Lester ließ den Blick schweifen und er blieb bei den Sklaven hängen, die aus Bakaresh befreit wurden waren.
    „Was passiert mit den befreiten Sklaven?“
    „Die können jetzt machen was sie wollen. Sie waren sich darüber aber noch nicht einig. Das Problem haben die Sklaven oft. Sie leben so lang unter der Knute ihrer Herren, dass sie ganz vergessen wie es ist in Freiheit zu leben und wenn sie dann frei sind, wissen sie zunächst einmal nichts mit sich anzufangen“, sagte Shakyor traurig.
    Diese Vorstellung bedrückte Lester, denn er genoss es sein eigener Herr zu sein und selbst zu entscheiden was er tun wollte, am liebsten irgendwo in der Sonne liegen und rauchen.
    „Und was habt ihr jetzt vor?“ fragte Shakyor und sah zu Lester hinunter, der immer noch im Sand saß.
    „Zurück nach Lago und zur Sumpfkrautplantage“, antwortete Lester, ohne groß darüber nachzudenken.
    „Hm“, machte Shakyor nachdenklich. „Meinst du, dass sie euch dort noch in Ruhe lassen? Ich denke schon, dass die Assassinen glauben der Überfall wäre ganz allein eine Idee von uns Nomaden gewesen, aber zumindest Amul hat dich gesehen und überlebt. Er könnte auf die Idee kommen nach dir suchen zu lassen. Glaubst du wirklich, dass es in Lago noch so sicher für euch ist?“
    „Was schlägst du vor?“ fragte Lester, der wegen seiner üblen Kopfschmerzen heute schlecht gelaunt war. „Soll ich mich jetzt auf ewig von den Assassinen terrorisieren lassen?“
    Verwunderung zeigte sich auf Shakyors Gesicht und er brauchte ein wenig, um eine Antwort zu finden.
    „Das nicht. Es wäre nur leichter für euch nach Myrtana zu gehen.“
    „Glaubst du etwa da würden uns die Assassinen nicht finden? Damals während der Zeit der Besatzung sind sie doch auch durch Myrtana gelaufen.“, gab Lester zurück.
    „Naja, aber nach allem was ich so von den Wassermagiern gehört habe, ist diese Zeit doch vorbei. Die Paladine und Stadtwachen beschützen doch wieder die Bürger.“
    „In Myrtana gibt es keinen Streit mit den Assassinen. Im Grunde könnten die ein und aus gehen wie sie wollten. Vielleicht würden sie komisch angesehen, weil sie zu Beliar beten, aber sie werden gebraucht, weil sie noch etwas zum Handeln haben, deswegen würden man sie wohl gewähren lassen. Also wenn sie wollen würden, könnten sie uns auch in Myrtana aufspüren und zur Strecke bringen und ich habe ehrlich gesagt die Nase voll davon immer vor irgendwas wegzulaufen. Erst Blutfliegen, Sumpfhaie, dann Drachen, Orks, jetzt Assassinen. Das wird mir langsam alles zu anstrengend. Wenn jemand was von mir will, dann soll er mir das einfach sagen und er kriegt meinen Streitkolben in die Fresse, oder ich jage ihm die Pyrokinese auf den Hals.“
    Shakyor musterte Lester verblüfft und lachte dann wieder.
    „Na du bist lustig. Also entweder bist du sehr mutig, oder einfach nur dumm, hm… oder vielleicht beides.“
    Wieder lachte der Nomade.
    „Ich werde über das Problem nachdenken, wenn ich wieder nüchtern bin, in Ordnung?“ fragte Lester gereizt. „Zunächst einmal bring ich einfach nur den Schnaps weg.“
    Er stand auf, schwankte leicht und verschwand dann in den Büschen der Oase.

    Shakyor, Lirit und Koru begleiteten Lester, Kewen, Herbert und die befreiten Sklaven von Bakaresh auf ihrem Weg durch die Wüste. Die ehemaligen Sklaven wollten zunächst einmal in Braga halt machen, weil das auch das Ziel der drei Nomaden war, dann würden sie sich überlegen, ob sie weiter nach Myrtana ziehen wollten. Nach dem was sie gehört hatten, standen dort aber die Chancen gut zu verhungern, deswegen wussten sie nicht, ob sie das wirklich durchziehen wollten. Lester hatte ihnen angeboten mit ihnen auf der Sumpfkrautplantage zu arbeiten, aber die Sklaven sagten ihm unumwunden, dass sie von Arbeit erstmal die Nase voll hatten. Weil er das gut verstehen konnte, war Lester ihnen nicht böse.
    „Wollt ihr mit ihnen gehen?“ fragte er Kewen und Herbert während sie über eine weitere, von der Abendsonne beschienene, Düne wanderten.
    Die beiden machten große Augen und tauschten einen verwunderten Blick.
    „Nein!“, sagte Kewen ganz entschieden. „Ich bin zufrieden auf der Sumpfkrautplantage.“
    Herbert nickte, sagte aber zunächst nichts.
    „Aber vielleicht möchtest du ja deinen eigenen Weg gehen. Was Eigenes ausprobieren. Den Rest des Kontinents erkunden?“ fragte Lester.
    „Das ist mir zu gefährlich. Allein trau ich mich das nicht“, sagte Kewen und schaute verlegen hinunter in den Sand. „Außerdem möchte ich erstmal zu mir selbst finden. Innerlich spüre ich, dass ich jetzt erstmal etwas brauche, das mir Stabilität gibt, so eine gewisse Routine, verstehst du? Jeden Tag was anderes … ich glaube, das verkrafte ich im Moment nicht.“
    Lester sah ihn unglücklich an. Er machte sich ernsthafte Sorgen um den Jungen. Was ihm angetan wurde, würde ihm wohl noch lange nachhängen. Was könnte er tun, um seinem jungen Freund zu helfen?
    „Aber hier in Varant bist du in Gefahr. Sie könnten wieder nach dir suchen.“
    „Du hast Sigmor doch getötet und wenn sie jetzt nach all den entflohenen Sklaven von Bakaresh suchen wollten, hätten sie echt viel zu tun. Und es ist doch so wie du gesagt hast, wenn sie mich wirklich suchen wollen, dann werden sie das auch in Myrtana tun und du hast gesagt, wenn sie dann doch kommen, dann wirst du schon mit ihnen fertig“, sagte Kewen und sah mit einem ehrfürchtigen Funkeln zu Lester hin.
    Der seufzte geplagt und antwortete dann: „Ich war noch betrunken, als ich das sagte.“
    „Und wie geht es dir jetzt?“ fragte Herbert besorgt.
    „Immer noch Kopfschmerzen und erschöpft, aber ich glaube, ich bin fast wieder nüchtern“, antwortete Lester.
    „Fast? Soso“, sagte Herbert knapp. „Erinnere mich daran niemals dieses Zeug anzurühren.“
    „Versprochen, uns kommt das nicht mehr in die Finger“, gab Lester eilig seine Zustimmung.
    „Bin dabei“, sagte auch Kewen.
    „Also, wer jetzt mit den anderen mit nach Braga will, kann mit uns kommen, aber wenn ihr wirklich zurück nach Lago wollt, dann trennen sich hier nun unsere Weg“, mischte sich Shakyor jetzt ein.
    Lester sah zu seinen Freunden.
    „Also wegen mir müsst ihr nicht mitkommen“, versuchte Lester sie ein letztes Mal zur Vernunft zu bringen.
    „Freunde halten doch zusammen“, sagte Herbert und lächelte.
    Auch Kewens Gesicht erhellte sich und wie Lester die beiden so ansah, wärmte es ihm das Herz.
    „Na gut. Wir gehen erstmal nach Lago zurück. Wir können es uns ja immer noch anders überlegen, wenn wir wollen“, antwortete Lester dann Shakyor.
    „Seid ihr euch sicher?“ fragte der noch einmal nach.
    Lester nickte.
    „Na gut, dann bis auf bald. Ich werde euch mal besuchen kommen.“
    Die Nomaden und die ehemaligen Sklaven von Bakaresh verabschiedeten sich und zogen weiter Richtung Braga, während Lester, Kewen und Herbert jetzt geradewegs nach Norden wanderten. Als sie Lago erreichten und die mächtigen Wasserfälle auf der anderen Seite der Bucht erblickten, fühlten sie sich wie zu Hause.
    „Da seid ihr ja wieder. Dachte nicht, dass ich euch noch mal sehen würde“, sagte Bernd verwundert. „Shakyor erzählte was davon, dass ihr euch mit den Assassinen anlegen wolltet.“
    „Wie du siehst, leben wir noch“, sagte Lester und grinste verwegen.
    Bernd sah neugierig aus und fragte: „Und? Steht Bakaresh noch?“
    Lester und Herbert lachten los.
    „Na klar, was dachtest du denn? Das wir die ganze Stadt auseinandernehmen?“ fragte Lester immer noch lachend.
    Bernd bekam große Augen.
    „Naja Shakyor meinte, er und die Nomande würden die Stadt überfallen.“
    „Haben sie auch. So haben wir es da raus geschafft“, sagte nun Herbert.
    „Na hoffentlich kommen die nicht wieder hierher. Ich kann auf dieses Pack gut und gerne verzichten“, knurrte Bernd und fummelte an der großen Warze an seinem Kinn herum.
    Kewen zuckte zusammen, als die ersten Regentropfen auf ihn fielen. Es grummelte am Himmel und die vier sahen hinauf.
    „Hätte nicht gedacht, dass es in der Wüste so viel regnet“, sagte Lester erstaunt.
    „Im Winter schon“, tönte Bernd.
    „Aber auch nur hier an der Bucht“, entgegnete Herbert. „Landeinwärts ist mir das fast nie passiert.“
    „Der Regen kommt von Norden aus Myrtana“, hörten sie nun die markante Stimme von Rasul, der zu ihnen trat und sie auf seine Art willkommen hieß. „Das hier heimische Sumpfkraut darf nicht zu viel Regen abbekommen, sonst gammeln die Wurzeln.“
    „Ach wirklich?“ fragte Lester verwundert. „Ich hab mich schon gefragt warum die Pflanze, die du mir gegeben hast so vor sich hin mickert, obwohl ich wirklich alles dafür getan habe, damit es ihr gut geht.“
    „Das gleiche bei deiner. Dachte schon mehrmals die verreckt mir, dabei hatte ich ihr schon ein schönes schattiges Plätzchen ausgesucht. Jetzt wo es regnet, erholt sie sich langsam. Bei den anderen Pflanzen habe ich schon mehrmals die Ernte eingefahren. Sie ist lange hinter dem Zeitplan. Ich glaube wir können unser Experiment damit beenden. Meine Pflanzen hier aus Lago gehören ganz klar zu einer anderen Sorte, als deine aus dem Minental. Meine brauchen viel Sonne und eine warme Brise, deine viel Wasser und nährstoffreichen Schlamm. Aber das ist eigentlich ganz gut so, denn so kommen wir uns nicht gegenseitig in die Quere.“
    Rasul schien ganz glücklich mit dem Ergebnis ihres Experiments, doch Lester freute das nicht.
    „Es wäre schön gewesen mehr zusammen zu arbeiten“, sagte er.
    „Tja, ist eben so“, sagte Rasul Schulter zuckend und es war ihm ganz klar anzusehen, dass er seine Ruhe sehr schätzte und froh war, allein zu arbeiten.
    „Also ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich bin echt müde von all diesen Abenteuern“, sagte Herbert und gähnte. „Ich geh runter ins Lager und hau mich hin.“
    „Warte ich komme mit“, sagte Kewen eilig.
    „He, ich hab in einem der Häuser noch zwei Eiswolfpelze gefunden. Keine Ahnung wie die da hingekommen sind, aber vielleicht wollt ihr die haben, damit ihr nicht auf dem durchweichten Holz schlafen müsst?“ fragte Bernd, der offenbar richtig beindruckt davon war, wie sie es von Bakaresh zurück geschafft hatten.
    Kewen und Herbert nahmen die Felle gern entgegen. Als Lester und die beiden unten in ihrem Lager ankamen waren sie sich einig, dass sie etwas mehr für ihren Unterstand tun sollten, damit es nicht mehr so herein regnete. Hin und wieder hatten sie zwar daran gearbeitete, aber da keiner von ihnen sich wirklich mit Holzbearbeitung auskannte, sah ihr Ergebnis stümperhaft aus. Mehr als eine Bretterbude war es nun einmal nicht.
    „Wir könnten ja auch oben im Dorf schlafen. Platz gibt es genug“, schlug Lester vor.
    Sein Vorschlag hing einen Moment in der Luft, doch dann sagte Kewen: „Naja, aber dort ist es auch wahrscheinlicher, dass die Assassinen nach uns suchen, oder?“
    „Ich dachte du hast keine Angst deswegen?“ fragte Lester.
    Ertappt zog Kewen den Kopf ein.
    „Naja, ich hoffe, dass sie nicht nach uns suchen, aber vielleicht machen sie es ja doch und dann finden sie uns in Lago schneller als hier.“
    „Die Sklavenjäger haben dich auch hier gefunden“, gab Herbert zu bedenken.
    „Die haben bestimmt gerade anderes zu tun“, vermutete Lester.
    Kewen ging wortlos in die Bretterbude und legte das Eiswolffell, das er von Bernd bekommen hatte, auf das klamme Holz. Sah ganz so aus, als wenn er sich heute nicht mehr wegbewegen wollte. Auch Herbert sagte dann: „Ist mir jetzt alles erstmal egal. Können wir uns morgen noch den Kopf drüber zerbrechen. Ich bin so fertig, ich würde auch hier und jetzt im Schlamm einpennen.“
    Auch er ging hinein und suchte sich einen Platz. Lester blieb noch einen Moment im Regen stehen und fragte sich, ob das hier wirklich die richtige Entscheidung gewesen war. Für ihn allein hatte es gereicht. Aber hatten Kewen und Herbert nicht etwas Besseres verdient? In Myrtana gab es genug leerstehende Hütten und wenn Lester ehrlich zu sich war, dann würde er dort auch einen Platz finden wo das Sumpfkraut gut wuchs. Was sprach eigentlich dagegen Shakyors Vorschlag anzunehmen und wirklich nach Myrtana zurückzugehen?

    Mitten in der dunklen Nacht wachte Lester auf, weil Herbert ihn rüttelte. Nach wie vor trommelte der Regen auf die durchweichten Holzlatten der Decke. Rinnsale sammelten sich und immer wieder tropfte es kalt herunter. Verschlafen richtete sich Lester auf, um herauszufinden was los war. Wie sich herausstellte war es Kewen, der im Schlaf wild um sich schlug. Herbert, der ihm am nächsten war, bekam immer noch einige wilde Hiebe ab, aber der Widerstand weckte den Jungen nicht auf.
    „Was sollen wir mit ihm machen?“ fragte Herbert ratlos.
    „Versuch ihn aufzuwecken“, schlug Lester vor.
    „Na, wenn du meinst“, kam es unsicher zurück.
    Herbert rüttelte den Jungen vorsichtig. Er schreckte zusammen, riss die Augen auf und kroch sofort von Herbert weg. Der hob die Hände und sagte: „He, alles in Ordnung. Wir sind’s nur. Alles ist gut.“
    Mit wildem Blick sah sich Kewen um, dann sah er hinunter auf seine zitternden Hände. Er atmete schwer.
    „Es war nur ein Albtraum“, versuchte auch Lester ihn zu beruhigen.
    Kewen rieb sich über die Hände. Es war deutlich zu sehen, dass er sich elend fühlte. Lester seufzte und sprach es erneut an: „Vielleicht solltest du doch von hier weggehen. Das alles erinnert dich zu sehr an die Vergangenheit.“
    „Ich will aber bei euch bleiben. Ihr seid meine Freunde“, entgegnete Kewen.
    Herbert lächelte Kewen aufmunternd an.
    „Ich würde auch gerne bei euch bleiben.“
    Lester rieb sich durch den Bart.
    „Naja, das Sumpfkraut wächst sicher auch woanders. Wir könnten irgendwo anders hingehen.“
    „Und wohin?“ fragte Herbert wenig begeistert.
    Lester sagte nichts, weil er überlegte.
    Es dauerte Herbert wohl zu lange, bis er eine Antwort erhielt, denn er fragte nach: „Was ist denn mit dem Minental, von dem du erzählt hast? Dort wo du mit der Bruderschaft gelebt hast? Da wächst doch das Sumpfkraut gut, oder?“
    „Naja, an sich schon, aber …“, fing Lester an und ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken ins Minental zurückzukehren, dem er jahrelang hatte entfliehen wollen. „mittlerweile ist dort alles verwildert. Es gibt viele Blutfliegen und Sumpfhaie dort, die einen fressen wollen. Außerdem gibt es eigentlich keine Möglichkeit nach Khorinis zu kommen. Letztes mal sind wir mit einem klapprigen Schiff übers Meer gefahren, aber falls es das überhaupt noch gibt, lässt Lee es uns sicher nicht benutzen, weil er es selber braucht.“
    „Ich möchte diesen Ort eigentlich erst mal nicht mehr verlassen“, sagte Kewen stur, was ihm einen erstaunten Blick von Lester einbrachte. „Ich hab mich an ihn gewöhnt und ich möchte mich nicht umgewöhnen müssen.“
    „Aber hier könnte es gefährlich werden, wenn die Assassinen erneut auftauchen“, hielt Lester dagegen.
    „Anderswo könnte es auch gefährlich werden“, sagte Kewen. „Ich glaube kaum, dass die Leute in Myrtana begeistert sind, wenn da drei Leute mehr auftauchen, die durchgefüttert werden sollen.“
    „Wir könnten fischen, so wie wir es hier auch machen“, schlug Lester vor.
    „Das machen die Leute in Trelis und Kap Dun bestimmt auch“, überlegte Herbert.
    „Ja, tun sie“, bestätigte Lester.
    „Und meinst du nicht, dass uns andere zusammenschlagen könnten, um an unseren Fisch zu kommen?“ fragte Herbert skeptisch.
    Lesters Stirn furchte sich.
    „Vermutlich werden sie das versuchen. Dann müssen wir uns eben wehren.“
    Kewen biss sich auf die Unterlippe.
    „Naja … von dir hab ich gesehen, dass du gut kämpfen kannst Lester und du hast deine Magie, aber ich … mit mir würden die harten Myrtaner wohl den Boden aufwischen.“
    „Und ich bin auch nicht scharf darauf mich jeden Tag mit anderen um mein Essen prügeln zu müssen“, sagte Herbert mürrisch. „Bis die Assassinen hier auftauchten war es hier immer sehr angenehm. Die Reusen haben gut was abgeworfen, es ist nicht zu kalt und nicht zu heiß, naja, im Moment etwas zu nass, aber wenn wir den Unterstand mal richtig ausbauen würden, dann würde das auch vorbei sein.“
    „Hört sich danach an, als würdet ihr wirklich hierbleiben wollen“, sagte Lester nachdenklich.
    Er war sich unsicher, ob das gut war. Bis gestern hatte er selbst nicht daran gedacht von hier wegzugehen, aber je länger er darüber nachdachte, umso verrückter kam es ihm vor hier zu bleiben.
    „Ja, lass uns erstmal hier bleiben. Wir lassen uns was einfallen. Am wichtigsten ist doch, dass wir zusammen halten, oder?“ fragte Herbert mit einem Funken Hoffnung in der Stimme.
    Seine Worte ließen Lester lächeln und er nickte.
    „Es ist toll solche Freunde wie euch zu haben“, sagte Kewen, der wohl seit seiner Kindheit keine Freunde mehr gehabt hatte und nun überglücklich war, wieder jemanden zu haben, der ihm beistand.

    Am nächsten Morgen regnete es immer noch. Lester entschied Rasul seine Pflanze zurückzubringen, in der Hoffnung, der würde sie wieder irgendwie hinkriegen. Bei ihm würde sie wohl nur zu Grunde gehen. Ihre Blätter sahen ungesund aus und sie hingen schlaff herunter. Weil der Boden so matschig war, ließen sich die Wurzeln ganz einfach herausziehen. Als Rasul die Pflanze sah schnalzte er missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
    „Tss… das nennst du gute Pflege?“
    „Ich sagte doch, sie verträgt die schattige und feuchte Lage da unten nicht“, sagte Lester.
    „Gib her! Ich kümmere mich drum“, sagte Rasul ruppig und nahm ihm die Pflanze behutsam aus der Hand.
    Flugs hatte er ein Loch an einem vergleichsweise trockenen Plätzchen unter einem Baum gegraben und sie eingepflanzt.
    „Wenn erstmal die Wurzeln abtrocknen wird sie sich schon wieder erholen“, meinte Rasul optimistisch.
    Sie hörten Schritte hinter sich und drehten sich um. Es war Kewen.
    „He, du! Pass auf, wo du hinlatscht!“ fuhr Rasul ihn an, weil er seine Pflanzen in Gefahr sah.
    Kewen kuschte, zog den Kopf ein und wich zurück.
    „Fauch ihn doch nicht so an! Er tritt schon nicht auf dein Sumpfkraut“, sagte Lester.
    Rasul brummte: „Gab schon genug Hohlköpfe, die einfach auf meine Pflanzen gelatscht sind. Du weißt sicher selbst wie ärgerlich das ist.“
    Lester ließ Rasul allein und ging zu Kewen, der die Schultern hochgezogen auf einer Bank hockte.
    „He, alles klar?“ fragte Lester, weil der Junge nicht danach aussah, als wenn alles in Ordnung wäre.
    „Ich weiß nicht was ich wegen dem Sumpfkraut machen soll. Gießen brauch ich nicht. Auflockern ist bei dem Wetter auch sinnlos und außerdem haben wir das ja erst gemacht. Ich … weiß einfach nichts mit mir anzufangen.“
    „Na dann machen wir einfach gar nichts“, schlug Lester vor, weil er sich dachte, dass eine gepflegte Runde faulenzen ihnen allen ganz gut tun würde.
    „Gar nicht? Wie geht denn das, gar nichts machen?“ fragte Kewen verwundert.
    Lester sah ihn schockiert an. Er hatte ja gewusst, dass Kewen schreckliche Jahre durchleiden musste, aber wenn er nicht mal wusste wie man nichts machte, dann musste es wirklich schlimm gewesen sein.
    „Naja einfach nur rumliegen, in den Himmel gucken und nichts machen.“
    „Hört sich gut an, wenn wir gar nichts auch irgendwo machen könnten, wo es nicht so nass ist“, sagte Herbert, der jetzt den schlammigen Pfad vom Ufer hinaufgekommen war.
    „Du meinst in der Wüste?“ fragte Kewen. „Ist das nicht gefährlich?“
    „Ach und wenn schon“, sagte Herbert verwegen.
    „Du hast heute wohl Mut getrunken?“ fragte Lester grinsend, denn er glaubte, dass ihr letztes Abenteuer Herberts Selbstvertrauen gut getan hatte.
    Herbert schüttelte sich die nassen verfilzten Haare aus dem Gesicht und lachte.
    „Nein, das nicht, aber wenn irgendein Vieh kommt, oder uns ein Assassine abstechen will, dann haben wir ja immer noch dich, der sie kalt macht.“
    Lester fiel das Grinsen aus dem Gesicht.
    „Also so ein guter Kämpfer bin ich nun auch nicht.“
    „Sagt der Mann, der einen der gefährlichsten Schwarzmagier vernichtet hat“, gab Herbert zurück.
    „Ich hatte Glück. Wenn er nicht da am Fenster gestanden hätte, dann hätte die Windfaust nicht so gut funktioniert“, meinte Lester.
    „Jetzt rede deine Taten doch nicht klein. Du warst großartig“, sagte Kewen. „Und du warst so mutig. Ich glaube, sonst hätte niemand sein Leben für mich riskiert. Nicht mal Larry.“
    Herbert sah betreten zu Boden.
    „Tut mir ja Leid.“
    „Ich mach dir doch keinen Vorwurf“, sagte Kewen, der große Augen bekommen hatte. „So hab ich das nicht sagen wollen… wie soll ich sagen? Ich glaube, kein normal denkender Mensch hätte sich gedacht mal eben in Bakaresh einzufallen und dort alles durcheinander zur bringen.“
    „Und ich bin also kein normal denkender Mensch?“ fragte Lester.
    Kewen grinste breit.
    „Nein, ganz offensichtlich nicht. Du bist sympathisch, aber auch etwas seltsam.“
    Herbert und Kewen lachten als sie Lesters verwunderten Gesichtsausdruck sahen.
    Auf ein unausgesprochenes Zeichen hin setzten sie sich in Richtung Wüste in Bewegung. Je weiter sie sich von Lago entfernten, desto weniger regnete es. Sie legten sich auf eine Düne und genossen die Wärme der Sonne. Obwohl es immer noch Winter war, kalt war es hier tagsüber nichts. Die Temperaturen waren angenehm und die Sonne hatte noch Kraft. Sie lagen da und rauchten erst eine Runde schwarzen Rhobar, den sie von Rasul eingetauscht hatten, und dann grünen Novizen aus eigenem Anbau. Wieder und wieder erzählte Kewen aus seiner Perspektive wie Shakyor und Lester ihn gefunden und befreit hatten und wie die beiden Heldenhaft gegen die Schwarzmagier und Wachen gekämpft hatten. Lester hörte zwar gerne zu, aber irgendwann war es ihm auch genug Heldenverehrung und er sagte: „Du warst aber auch mutig, als du Sigmor so wild angegriffen hast. Du hattest ja nicht mal eine Waffe.“
    „Damit hätte ich auch gar nicht umgehen können“, sagte Kewen düster. „Und ich war verzweifelt. Ich hab vor allem deswegen angegriffen, weil ich Angst hatte.“
    Der Junge setzte sich auf, zog die Beine an und schlang die Arme darum.
    „Jemand der so mutig ist wie du, der versteht das vermutlich nicht, aber ich war in dem Moment ganz verrückt vor Angst. Als alles losging, war ich ganz starr und konnte mich gar nicht bewegen, später wollte ich fliehen, doch ich hatte zu viel Angst allein die Treppe runterzugehen und weil ich so schrecklich viel Angst hatte, dass Sigmor einen von uns tötet, habe ich angegriffen. Nicht weil ich mutig war, sondern weil ich Angst hatte. Ich bin vermutlich der größte Angsthase der Welt.“
    Kewen sackte immer mehr in sich zusammen und sah aus wie ein einziges Häufchen Elend.
    „Also ich finde, du warst mutig“, versuchte Lester ihn wieder aufzubauen. „Wer seine Angst überwindet, der ist mutig und das hast du gemacht. Weißt du überhaupt was du da geschafft hast? Du hast dich deinem Peiniger entgegen gestellt. Du hast deine Angst vor ihm überwunden und deswegen warst du mutig.“
    Ein schwaches Lächeln trat auf Kewens Gesicht.
    „Naja, aber ich hatte trotzdem Angst. Wir hätten jederzeit sterben können.“
    „Jeder hat Angst“, meinte Lester.
    Herbert lachte.
    „Haha, wovor hast du denn Angst? Dass dein Sumpfkraut aufgebraucht ist und du kein neues mehr bekommst?“
    „Zum Beispiel“, sagte Lester, für den das eine ganz schreckliche Vorstellung war.
    Herbert lachte noch lauter und Kewens Lächeln wurde immerhin breiter. Lester wusste gar nicht was denn daran so komisch sein sollte, aber er war froh, dass seine Freunde gute Laune hatten.
    „Aber jetzt mal ernsthaft. Wann in deinem Leben hast du am meisten Angst gehabt?“ fragte Herbert, richtete sich halb auf, indem er die Ellenbogen in den Sand bohrte und zu Lester hochschaute, der sich nun ebenfalls aufsetzte.
    „Als dieser Drache im Minental erschien. Das werde ich nie vergessen. Ich bin so schnell gerannt wie ich konnte. Ich dachte echt, der frisst mich gleich“, erzählte Lester und nahm sich einen schwarzen Weisen aus der Tasche um ihn anzuzünden.
    „Gibst du uns auch was davon?“ fragte Herbert lauernd.
    „Ist aber was stärkeres“, informierte Lester knapp.
    „Na und?“ kam es von Herbert zurück, der seine Scheu vor dem Sumpfkraut wohl abgelegt hatte. „Reich doch mal zwei Stück rüber!“
    Wortlos zündete Lester zwei weitere Stengel an und reichte sie an seine Freunde weiter.
    „Ich hatte am meisten Angst, als ich von den Assassinen gefangen genommen wurde. Ich wusste nicht was aus mir werden würde, ob ich überhaupt eine Zukunft haben würde. Ich fühlte mich einfach so vollkommen hilflos, weil ich ganz in ihrer Hand war“, erzählte Herbert und unschwer war zu sehen, dass er mit den Gedanken ganz weit weg war.
    Er lag nun wieder lang ausgestreckt im Sand, zog kräftig an seinem Sumpfkraut und blies den Rauch hinauf in den Himmel, der von vielen dunklen Wolken bedeckt war. Nur im Süden, dort wo die Sonne tief stand, war blauer Himmel zu sehen. Einige Zeit lang hing jeder seinen Gedanken nach. Auch Kewen und Lester streckten sich wieder im warmen Sand aus und rauchten. Lester merkte wie das Sumpfkraut seine Sorgen betäubte, seine Gedanken beruhigte und ihn entspannte. Hier und jetzt war er einfach glücklich und zufrieden. Er war wohl eingeschlafen, denn als er wieder aufwachte, hatte die Sonne bereits den Horizont erreicht und die Wüste in ein rötliches Licht getaucht.
    „He Lester, was ist eigentlich das stärkste was du da hast?“ fragte Herbert und sah Lester neugierig an.
    Lester hob die Augenbrauen und sagte: „Schwarzer Novize. Das ist eine Mischung aus Sumpfkraut und Dunkelpilzen.“
    „Lass mich mal probieren“, forderte Herbert, der ganz offensichtlich auf den Geschmack gekommen war.
    Vielleicht schätzte er auch einfach nur den Umstand, dass seine Sorgen und Ängste ihn nicht drückten, wenn das Sumpfkraut seine Wirkung entfaltete.
    Lester sah Herbert unschlüssig von der Seite an. Sollte er ihn wirklich probieren lassen? Immerhin war er selbst oft kaum noch zu was zu gebrauchen, wenn er es rauchte und selbst Dar war schwer beeindruckt von dem Zeug gewesen und der hatte geraucht wie ein Schlot.
    „Versteh mich nicht falsch, aber das Zeug ist nur was für erfahrene Raucher.“
    Herbert verzog verstimmt das Gesicht, weswegen Lester schnell hinzufügte: „Und ich hab auch gar nicht mehr viel davon. Die Dunkelpilze die ich dafür brauche wachsen hier auf dem Festland nicht. Es gibt sie nur auf Khorinis.“
    Das schien Herbert milde zu stimmen.
    „Vielleicht kannst du ja einen rauchen, so dass wir sehen was passiert?“ fragte Herbert und grinste breit.
    „Du meinst die Unterhaltung von gestern hat dir nicht gereicht?“ wunderte sich Lester und fragte sich was er im besoffenen Zustand gemacht hatte, dass sich alle so darüber amüsierten.
    Tatsächlich lachte Herbert wieder, doch unerwartet verteidigte Kewen Lester.
    „He, er hat das gemacht, um mir zu helfen. Um mich zu heilen. Du musstest dieses Zeug ja nicht trinken, sonst wüsstest du, dass das kein Vergnügen war.“
    „So war das nicht gemeint. Ich hab schon gesehen, dass es … nicht ganz leicht war“, versuchte Herbert die Wogen zu glätten.
    Es war einen Moment still, dann fragte Herbert, der wohl einfach nicht locker lassen wollte: „Also Herr und Meister des Sumpfkrauts was genau sollte man denn tun, wenn man dieses Megapilzkraut raucht, dass einem angeblich die Schädeldecke wegsprengt?“
    Lester seufzte und kramte in seinen Taschen nach den wenigen verbliebenen schwarzen Novizen. Er hatte sie in einem extra Zwischenfach seiner Tasche verstaut, damit er nicht ausversehen einen rauchte. Einen Moment rollte er einen zwischen den Fingern und überlegte, ob jetzt der richtige Zeitpunkt zum Rauchen gekommen war. Ach was sollte schon passieren? Immerhin, einen Tag bevor Herbert bei ihm ankam hatte er einen geraucht und in der Nacht gleich noch einen zweiten und es war auch alles gut gegangen, nicht wahr? Also zündete Lester ihn sich an und erklärte: „Wichtig ist ihn langsam zu rauchen, weil es einen sonst zerlegt. Gibt ja gewisse Leute…“
    Unwillkürlich erschien das Gesicht des Helden in Lesters Gedanken.
    „Die ziehen sich einen Stengel einfach so durch, ruckzuck. Die haut es dann natürlich aus den Latschen. Das ist was zum Genießen. Sowas braucht Zeit. Und darum geht es ja auch. Sich einfach mal Zeit nehmen, sich entspannen und alles um sich her auf einen Wirken lassen, bis sich alles ins Gegenteil verkehrt und man nur noch das merkt, was in einem selbst ist.“
    „Ich versteh kein Wort“, brummte Herbert.
    Kewens Stirn furchte sich, dann sagte er: „Also ich glaube, ich ahne was du uns damit sagen willst. Es geht, um unsere Persönlichkeit, oder unser Unterbewusstsein, oder?“
    Lester sah nun Kewen von der Seite her an, nahm noch einen leichten Zug und sagte dann bereits leicht nuschelnd: „Naja, so in etwa. Wichtig ist die Sache einfach fließen zu lassen. Einfach treiben lassen. Es reicht einfach nur zu sein, um nichts kümmern, alle Sorgen loslassen.“
    „Hört sich klasse an. Was ist denn das Stärkste was du uns geben kannst?“ fragte Herbert.
    „Hm…?“, kam es schon etwas vernebelt von Lester. „Äh… Traumruf.“
    Er holte zwei Stück hervor und reichte sie seinen Freunden.
    „Der war echt lustig gestern. Naja, zumindest bis Shakyor mir die Finger gerichtet hat“, sagte Kewen.
    „Es musste sein“, kam es von Herbert.
    „Ich weiß, ich weiß“, gab Kewen leicht gereizt zurück.
    Lester bekam ihr Gerede nur noch am Rande mit. Ihm kam es so vor, als würde er sich vollends fallen lassen können. Sein Herzschlag beruhigte sich. Seine Augen wurden schwer. Alle Gedanken wurden ganz leicht, bis sie sich auflösten.

    Als Lester am nächsten Morgen aufwachte, wusste er nicht mehr wie er zurück zum Unterstand gekommen war. Er sah sich um. Er war allein. Von Kewen und Herbert fehlte jede Spur. Lester streckte sich genüsslich und stellte dabei fest, dass außer seiner Unterhose all seine Klamotten verschwunden waren. Auch sein Streitkolben und noch viel wichtiger sein Sumpfkraut war weg. Was zum Henker war gestern Abend nur passiert? Sollte er sich Sorgen machen? Ach was, bestimmt war es nichts weiter. Er war niemand, der sich allzu schnell von irgendwas verrückt machen ließ. Er gähnte, stand auf, ging hinaus und blinzelte in den sonnigen Morgenhimmel hinauf. Ganz offensichtlich hatte es aufgehört zu regnen.
    „Herbert? Kewen?“ rief Lester seine Freunde.
    Kewen konnte er nicht sehen, aber Herbert setzte nicht weit von hier ein paar Sumpfkrautpflanzen um. Vermutlich hatten sie an ihrem alten Platz nicht genug Raum für ihre Wurzeln gehabt.
    „Ah, du bist wach.“
    „Weißt du wo meine Klamotten hin sind?“ fragte Lester noch müde.
    „Ich dachte, da es endlich mal aufgehört hat zu regnen, wäre es ein guter Zeitpunkt sie mal zu waschen. Die von Kewen und mir sind ja neu, aber … nichts für ungut, aber deine Sachen haben schon echt übel gestunken und da war noch Blut vom Kampf in Bakaresh drauf und Bananenschnaps.“
    Lester, der saubere Sachen etwas überbewertet fand, zuckte nur mit den Schultern, gähnte noch mal und kratzte sich am Bart.
    „Sie hängen gleich neben der Hütte auf der Leine. Kannst ja mal gucken, ob sie schon trocken sind“, schlug Herbert vor.
    Wie Lester feststellte waren sie das nicht. Sie waren noch klamm, aber im Laufe des Tages würden sie schon noch trocken werden. Seine Waffe lehnte außen an der Hütte.
    „Und wo hast du das Sumpfkraut hingetan, das in den Taschen war?“ fragte Lester nach.
    „Hab es in einen Lederbeutel getan und den in die Vorratstruhe“, gab Herbert bereitwillig Auskunft.
    Als Lester alles zusammensuchte, stellte er schnell fest, dass ein schwarzer Novize fehlte und er stellte Herbert zur Rede. Er war nicht sauer, obwohl er ihn sich einfach genommen hatte, denn mit Freunden teilte er gern, aber er war besorgt, dass sich Herbert übernahm.
    „Du hast einen schwarzen Novizen genommen.“
    Herbert sah zu Boden.
    „Tut mir Leid. Ich wollte einfach nur mal ausprobieren wie es ist, wenn alle Sorgen weg sind. Beim Traumruf gestern hat es leider nicht voll und ganz funktioniert.“
    Lester musterte Herbert.
    „Siehst aber nicht so aus, als hättest du ihn geraucht.“
    „Ist das so offensichtlich?“ fragte Herbert und wurde leicht rot im Gesicht. „Naja … ich hab mich dann doch nicht getraut, aber vielleicht irgendwann mal … wenn du ihn mir lässt.“
    Lester sah Herbert lange an und sagte dann: „In Ordnung. Ich hab dir alles dazu gesagt was du wissen solltest. Alles andere ist deine Entscheidung.“
    Herbert sah erleichtert aus.
    „Lester, du bist wach“, hörte Lester Kewen hinter sich.
    Der Junge strahlte übers ganze Gesicht.
    „Schön zu sehen, dass du gute Laune hast“, freute sich Lester.
    „Ich war besorgt, weil du so weggetreten warst. Dachte schon, es stimmt was nicht. Wenn wirklich irgendein Vieh aus der Wüste gekommen wäre, dann hättest du uns bestimmt nicht mehr verteidigen können“, sagte Kewen und deutliche Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
    „Am besten wäre es natürlich, wenn ihr euch selbst verteidigen könnt. Ich kann euch ein bisschen was beibringen“, schlug Lester vor, weil er besorgt darüber war, dass die anderen sich jetzt so auf ihn verließen.
    „Wir haben doch aber gar keine Waffen“, fing Herbert wieder damit an.
    „Für den Anfang reicht auch ein Ast“, ließ Lester das nicht als Ausrede gelten.
    Kurzerhand brach er vom Baum neben der Hütte zwei Äste ab und reichte jedem seiner Freunde einen von ihnen. Die sahen gar nicht glücklich darüber aus.
    „Wirst du uns jetzt verprügeln?“ fragte Kewen bang.
    „Was? Wie kommst du denn darauf? Nein, werde ich nicht“, sagte Lester verblüfft.
    „Aber normalerweise läuft Training doch so ab, oder? Ich hab manchmal gesehen wie die Assassinen trainiert haben“, sagte Kewen und sah wirklich unglücklich aus.
    „Mach dir keine Sorgen. Dir passiert nichts“, versuchte Lester ihn zu beruhigen.
    Er führte sie zu einer Wiese, weit genug weg vom Sumpfkraut und fing damit an Kewen und Herbert die Grundstellung für den Einhandkampf zu zeigen. Herbert hatte wohl immerhin schon mal eine Waffe in der Hand gehalten und deswegen beherrschte er ein paar Grundlagen. Bei Kewen jedoch sah es echt düster aus. Lester hatte noch nie jemanden gesehen, der so ahnungslos war und sich dermaßen ungeschickt anstellte. Manchmal ließ er seinen Stock ganz erschrocken fallen und er schaffte es sogar mehrmals im Matsch auszurutschen und sich der Länge nach hinzulegen. Nach einiger Zeit suchte sich Lester ebenfalls einen Ast und ermunterte seine Freunde ihn anzugreifen. Kewen scheute sich davor. Herbert hatte immerhin einen ganz schönen Schlag drauf, wenn er denn traf, doch Lester konnte jeden seiner Angriffe leicht blocken. Erst nach vielem guten zureden war auch Kewen dazu zu bringen in den Angriff über zu gehen. Noch schlechter sah es aus, als sie die Rollen tauschten und Herbert und Kewen gegenseitig den Block üben sollten. Kewen hielt seine Finger ungünstig, so dass Herbert sie mit seinem Stock traf, weswegen der Junge aufheulte und seinen Stock fallen ließ.
    „Au! Das hast du mit Absicht gemacht!“ heulte Kewen auf.
    „Nein, hab ich nicht. Eigentlich wollte ich deinen Stock weiter vorne treffen. Tut mir Leid“, versuchte sich Herbert zu entschuldigen.
    „Du hast doch gesagt bei diesem Training wird man nicht verletzt“, sagte Kewen und sah Lester anklagend an.
    „Naja, eine wirkliche Verletzung ist das ja nicht“, meinte der.
    „Das tut aber trotzdem weh.“
    „Bei dem was du schon alles durchleiden musstest, ist das doch nichts“, sagte Lester.
    Erst als er es aussprach merkte, er, dass er das Falsche gesagt hatte. Kewens Gesicht verzog sich zu einer finsteren Grimasse. Sarkastisch sagte er: „Ja, jetzt geht es mir gleich viel besser. Toll, dass ich bisher so ein beschissenes Leben hatte. Glaubst du etwa, dass ich deswegen jetzt keine Schmerzen mehr spüre oder was?“
    „So war das nicht gemeint“, beeilte sich Lester zu sagen.
    Kewen sah ihn eine lange Zeit verletzt an. Dieser Gefühlsausbruch zeigte Lester, dass er nicht wusste wie er so recht mit dem Jungen umgehen sollte. Die meisten seiner anderen Freunde schluckten die schrecklichen Erlebnisse, die sie hinter sich hatten meist einfach hinunter und machten weiter. Auch er selbst versuchte es optimistisch zu sehen. Vergangenes war vergangen und es lohnte sich nicht sich deswegen fertig zu machen, doch Kewen konnte das wohl nicht so sehen. Seine Erlebnisse wogen einfach zu schwer. Die Zeit als Sklave hatte tiefe Narben hinterlassen und Lester wusste nicht wie er dem Jungen aus seinem Tief holen sollte.
    „Wir können ja erstmal eine Pause machen“, schlug Herbert vor.
    Er blickte an sich hinunter und sah dann zu seinen Freunden. Vor allem Kewen und er waren voll mit Schlamm bespritzt.
    „Na wir sehen ja saftig aus“, brummte Herbert.
    „Was meintest du vorhin wegen der sauberen neuen Sachen?“ fragte Lester grinsend Herbert.
    „Ja … also, vergiss es einfach. Wir können ja nachher einfach eine Runde schwimmen gehen“, schlug Herbert vor.
    „Hört sich nach Spaß an“, sagte Lester und zündete sich einen neuen grünen Novizen an.
    „Ich kann nicht schwimmen“, gab Kewen zu.
    „Nicht?“, fragte Lester erstaunt und nahm einen tiefen Zug von seinem Sumpfkraut.
    „Mein Vater hielt es nicht für nötig es mir beizubringen und als ich Sklave war, hat sich natürlich keiner drum geschert, dass ich es lerne“, sagte der Junge bedrückt.
    „Na, dann werden wir es dir eben zeigen“, sagte Herbert und sah schon besser gelaunt aus.
    Leider war auch das nicht so einfach. Kewen tat sich sehr schwer und es half auch nicht, dass seine Stimmungen immer mal wieder rasch und unvorhersehbar umschwangen. In einem Moment freute er sich wie ein Kind, weil er im Wasser einen Fisch gesehen hatte, dann wieder wurde er wütend und frustriert, weil er nicht so schnell lernte, wie er sich das vorgestellt hatte und er deswegen alles einfach hinschmeißen wollte.

    Weil das Sumpfkraut im Moment gut versorgt war, hatten sie in den nächsten Tagen viel Zeit für das weitere Training. Lester hatte sich nie für einen guten Kämpfer gehalten, doch Kewen und Herbert machten es ihm echt schwer irgendetwas Positives in ihrem Training zu sehen. Besonders Kewen war schnell frustriert und reagierte launisch. Beim Schwimmen hatte es ihm letztendlich gereicht sich irgendwie im Wasser fortbewegen zu können, ohne unterzugehen. Dann wollte er davon erstmal nichts mehr wissen. Auch sonst war es vor allem mit Kewen jetzt oft nicht einfach. Er wollte immer in der Nähe von Lester und Herbert sein, wohl weil er fürchtete, es könnte ihm etwas Schreckliches passieren, wenn er allein war. Er bekam dann regelrechte Angstzustände und musste erst wieder beruhigt werden. Da reichte es schon ihn nur mal fünf Minuten allein zu lassen. Nachts hatte er oft Albträume und sie mussten ihn wachrütteln, um ihn daraus zu befreien.
    „Was sollen wir nur mit ihm machen?“ fragte Lester eines Morgens Herbert, als sie zusammen draußen bis zu den Knöcheln im Matsch standen und Unkraut aus dem Schlamm zogen, damit das Sumpfkraut mehr Platz hatte.
    Da Kewen in der vorigen Nacht immer mal wieder aufgeschreckt war, hielten sie es für das Beste ihn noch so lange wie möglich schlafen zu lassen.
    „Was meinst du? Für ihn da sein natürlich“, antwortete Herbert, als sei das ganz selbstverständlich.
    Er zog weiteres Unkraut aus dem Schlamm und legte es auf den Haufen von ungewollten Pflanzen neben sich.
    „Aber ich weiß nicht mehr weiter. Er ist in letzter Zeit so anhänglich. Wenn wir nicht in Sichtweite sind, flippt er gleich aus.“
    „Er hat einfach Angst. Wenn dir passiert wäre, was ihm passiert ist, dann würdest du vielleicht genauso sein. Ich kann es jedenfalls verstehen“, sagte Herbert geduldig.
    Lester seufzte. Die derzeitige Situation belastet ihn.
    „Vielleicht muss er einfach unter Leute…“
    „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, entgegnete Herbert. „Fremde werden ihn jetzt eher stressen, weil er nicht weiß, ob ihnen zu trauen ist. Er fürchtet bestimmt, sie könnten ihm gefährlich werden.“
    „Deswegen ist ja auch das Kampftraining so wichtig, aber er stellt sich da echt an wie der erste Mensch.“
    „Was erwartest du denn auch? Er war seit der Kindheit ein Sklave. Wann sollte er denn lernen mit einer Waffe umzugehen? Er hat gelernt, dass er Schmerzen zu ertragen hat, wenn er sich auflehnt und es besser ist, die Füße still zu halten und sich zu beugen“, gab Herbert zurück und rupfte entschlossen weiter Unkraut.
    Durch den weichen Untergrund ließ es sich trotz der langen Wurzeln leicht lösen, so dass die Arbeit weitgehend unbeschwert war. Nur das lange hocken oder bücken konnte anstrengend werden.
    „Hab einfach Geduld mit ihm. Was er durchmachen musste, lässt sich nicht so einfach abschütteln“, fügte Herbert hinzu.
    Lester kannte sich selbst gar nicht so ungeduldig, aber es quälte ihn seine Freunde in so einem Zustand zu sehen. Auch Herbert steckte seine lange Gefangenschaft nicht so gut weg wie er es vorgab. Sein Sumpfkrautkonsum hatte extrem zugenommen. Er rauchte inzwischen sogar mehr als Lester.
    „Wie geht es dir denn?“ fragte Lester.
    „Ich?“
    Herbert seufzte.
    „Mir tut es gut hier bei euch zu sein. Es ist echt schön endlich wieder jemandem zu haben, der freundschaftlich mit mir umgeht. Die langen Gespräche tun mir gut und auch das gemeinsame Arbeiten macht mir Spaß.“
    „Aber?“ hakte Lester nach, weil er gelernt hatte, dass er bei Herbert nachbohren musste.
    „Ich hab auch häufig Albträume, nur dass sie nicht so … lebhaft sind wie bei Kewen. Immer wieder tauchen schmerzhafte Erinnerungen aus meiner Gefangenschaft auf. Ich war so dumm. Ich dachte, wenn ich frei bin, wäre ich auch im Kopf frei, aber … im Kopf bin ich immer noch gefangen.“
    „Was können wir deswegen tun?“ versuchte Lester eine Lösung für Herberts Problem zu finden.
    „Ich weiß es nicht“, sagte Herbert resigniert.
    „Aber da muss man doch was tun können“, sagte Lester starrsinnig, der sich nicht damit abfinden wollte, dass ihm nicht zu helfen war.
    „Für manche Probleme lässt sich eben nicht einfach eine Lösung aus dem Hut zaubern“, grummelte Herbert. „Manche Sachen brauchen eben einfach Zeit.“
    Lester seufzte.
    „Vielleicht hätten wir doch von hier weggehen sollen.“
    Herbert richtete sich nun auf und sagte in gereizterem Ton: „Hast du mir nicht zugehört? An und für sich geht es mir hier gut und Kewen hilft es bestimmt nicht, wenn er von hier fort muss, von einem Ort, den er endlich wieder als so etwas wie sein Zuhause ansehen kann, wenn er mit fremden Leuten konfrontiert wird, die eine Gefahr für ihn sind. Lass es doch einfach mal gut sein! Warte doch einfach mal ab! Wo ist deine Lässigkeit hin? Als ich hier ankam warst du die Ruhe in Person.“
    Tja, wo war das hin? Lester fragte sich das selbst.
    „Ah, hier steckt ihr also“, hörten sie eine kräftige Reibeisenstimme hinter sich.
    Sie drehten sich um und sahen Shakyor, der durch den Matsch auf sie zukam.
    „Vorsicht! Nicht auf das Sumpfkraut treten“, rief Lester aufgeregt.
    Shakyor erstarrte mitten in der Bewegung. Ein Bein hatte er erhoben, das andere war tief im Matsch versunken. Er sah sich verwundert um.
    „Das da?“ fragte er und zeigte mit dem erhobenen Bein auf einige Sumpfkrautpflanzen.
    „Ja, genau das. Nicht drauftreten.“
    Der Nomade schüttelte verwundert den Kopf, tat Lester aber den Gefallen.
    „Kann mir nicht vorstellen an einem Ort wie diesen zu leben, der so … nass ist.“
    „Was führt dich her? Gibt es was Neues?“ fragte Lester neugierig.
    „Ich hab doch gesagt, dass ich euch mal besuchen komme. Wir Nomaden haben uns beraten und haben beschlossen Mora Sul anzugreifen, um auch die Sklaven dort zu befreien.“
    Herbert fiel die Kinnlade herunter.
    „Wird sicher gefährlich. In Bakaresh war es nicht leicht“, gab Lester zu bedenken.
    „Deswegen hab ich gehofft, dass ihr uns helft“, sagte Shakyor und sah vor allem Lester an.
    „Wir dir helfen? Was sollen wir denn tun? Lester hat uns zwar ein bisschen was übers Kämpfen gezeigt, aber ich glaube nicht, dass Kewen oder ich irgendeine Hilfe im Kampf sein könnten“, versuchte Herbert gleich abzuwiegeln.
    „Möglicherweise könnt ihr uns auf andere Art helfen. Vielleicht habt ihr nützliche Informationen über die Assassinen, die wir noch nicht haben“, sagte der Nomade.
    „Tja, also … ich weiß nicht, vielleicht“, sagte Herbert unschlüssig.
    „Du wärst uns mit deinen magischen Fähigkeiten auf jeden Fall eine große Hilfe Lester“, sagte Shakyor.
    „Aber ihr habt doch schon die Wassermagier, die euch helfen“, entgegnete Lester, der sich nicht gleich wieder neue Probleme aufhalsen lassen wollte.
    „Ja, schon, aber es kann ja nicht schaden einen Magier mehr dabei zu haben, oder? Außerdem bist du auch ganz gut im Nahkampf, kannst hin und her wechseln, viele andere Magier können das nicht. Außerdem hast du diese geheimnisvolle Psychomagie. Die haben unsere Wassermagier nicht. Die Gegner schlafen zu legen war extrem nützlich.“
    Noch bevor Lester etwas sagen konnte, hörte er Kewen hinter sich sagen: „Natürlich helfen wir euch dabei die andern Sklaven zu befreien.“
    Verwundert sahen Lester und Herbert zu ihm. Kewen stand entschlossen da, ein seltsames Funkeln in den Augen. Shakyor hatte ein breites Grinsen im Gesicht, als er Kewens Worte hörte.
    „Das hör ich gern.“
    „He, wart mal…“, begann Herbert, doch Lester unterbrach ihn: „Du bist ganz bestimmt nicht bereit dich in den Kampf zu stürzen.“
    „Du hast gesagt aus Angst erwächst Mut“, hielt Kewen störrisch dagegen.
    „Ja, aber es wär auch ganz gut wirklich Kämpfen zu können“, gab Lester zu bedenken. „Und bisher hab ich nicht den Eindruck, dass du ein guter Kämpfer bist.“
    „Aber ich kann bestimmt irgendwas anderes tun, um den Nomaden zu helfen“, sagte Kewen eifrig. „Verstehst du denn nicht Lester? Es geht darum, dass alle Sklaven endlich befreit werden. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Dafür lohnt es sich sein Leben zu riskieren.“
    „Gesprochen wie ein echter Freiheitskämpfer“, sagte Shakyor zufrieden.
    „Ich… will erstmal darüber nachdenken und nicht so unvorbereitet in den Kampf stürzen wie letztes Mal“, sagte Lester vorsichtig.
    „Gut, Besonnenheit ist wichtig“, stimmte der Nomade zu. „Es wird ohnehin noch dauern, bis der Tag gekommen ist, da wir Mora Sul angreifen werden. Wir wollen erst einen richtig guten Plan ausarbeiten, damit unsere Chancen möglichst gut stehen, aber ich wollte euch schon einmal wissen lassen was wir vorhaben, damit ihr euch uns vielleicht anschließt.“
    „Klar machen wir das“, sagte Kewen ungestüm.
    „He, immer langsam, ja?“ versuchte Lester den Jungen zurückzuhalten.
    „Aber du kannst kämpfen, du kannst ihnen dabei helfen die Sklaverei zu beenden“, rief Kewen entflammt.
    „Aber vielleicht ist der Kampf nicht immer die beste Lösung“, erwiderte Lester.
    „Glaubst du etwa die Assassinen werden einfach mit sich reden lassen?“, fragte Kewen herausfordernd. „Glaubst du sie werden einfach so darauf verzichten weitere Sklaven einzufangen, weiterhin Menschen zu unterdrücken und zu quälen?“
    „Ich weiß es nicht“, sagte Lester nachdrücklich. „Deswegen will ich ja darüber nachdenken.“
    Kewen sah so aus, als gäbe es noch viel was er Lester noch entgegnen wollte, doch er atmete nur tief durch und ließ es bleiben. Vielleicht wollte er ihre Freundschaft nicht weiter strapazieren. Shakyor sah von einem zum anderen und erkannte wohl, dass es für ihn der geeignete Moment war, um zu gehen.
    „Beratschlagt euch! Ich schaue immer mal wieder in Lago vorbei, dann können wir reden.“
    Er winkte zum Abschied.
    Geändert von Eispfötchen (08.08.2023 um 19:54 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Alejandros Tagebuch: 18. Februar

    Zum Glück war es in letzter Zeit vergleichsweise ruhig. Natürlich gab es die üblichen Pöbeleien und Schlägereien auf dem Schiff, eigentlich kaum zu glauben, dass ich das mittlerweile als ruhig bezeichne, aber Adanos sei Dank wurden wir weder von anderen Piraten, Paladinen oder irgendwelchen Scheusalen der Meere angegriffen. Der neu aufgebaute Hauptmast macht sich wohl gut, denn ich habe Rolf oft zufrieden davon erzählen gehört. Auf unserem Weg zum östlichen Archipel sind wir nur an einigen kleinen unbewohnten Inseln vorbeigekommen, wo wir unsere Vorräte aufgestockt haben. Nur bei einer größeren bewohnten Insel sind wir an Land gegangen. Der Kapitän gewährte uns einen Tag Landgang. Die meisten Piraten nutzten es wie so üblich, um sich daneben zu benehmen. Klaus, Ludwig und Antonius kamen am Abend nicht wieder, weswegen der Kapitän skeptisch wurde und seine Entertruppführer ausschickte, um nach ihnen zu suchen. Er fürchtete, sie könnten Ärger gemacht haben, oder noch schlimmer, getürmt sein. Da wir durch den Angriff der untoten Orks so viele Männer verloren haben, hab ich das Gefühl, dass er wieder mehr drauf achtet was wir auf unseren Landgängen so treiben. Klaus wurde besoffen in einer Taverne gefunden. Jemand hat ihn bis aufs Hemd bestohlen. Ludwig tauchte später selbst wieder auf und meinte er hätte nur die Zeit vergessen. Greg sah skeptisch aus, aber ich glaube ihm. Ludwig kommt mir sehr ehrlich vor. Doch Antonius tauchte nicht wieder auf und auch die Entertruppführer konnten ihn in der Nacht nicht aufspüren, daher ließen wir ihn zurück, als wir am Morgen weitersegelten. Ich kanns ihm nach dem Desaster mit den untoten Orks echt nicht verdenken. Er ist ja bestimmt auch nicht freiwillig Pirat geworden. Hätte man ihm vorher gesagt wo er hier anheuert, hätte er bestimmt gleich wieder auf dem Absatz kehrt gemacht. Ich finde es immer noch total abartig wie der Kapitän und die anderen Piraten neue Crewmitglieder reinlegen. Erst tun sie so, als wäre dies ein Handelsschiff und kaum sind wir auf offener See offenbaren sie, dass es sich um ein Piratenschiff handelt. Was bleibt einem da schon für eine andere Wahl als mitzumachen? Aber wenn man mitmacht, ist man auch ein Pirat und wird als solcher aufgehängt, wenn man aufgegriffen wird. Antonius hat es schon richtig gemacht. Weg so lange es noch geht. Wäre ich nur nicht so feige wäre ich auch längst fort. Ich hätte mich mehr mit ihm unterhalten sollen, vielleicht hätte Antonius sich mir dann anvertraut und wir hätten zusammen verschwinden können. Ich habe meine Chance vertan. Ob ich so eine Gelegenheit noch einmal erhalten werde? Bald werden wir den östlichen Archipel erreichen. Der Kapitän hat gestern Abend erzählt, dass das östliche Archipel aus zweihundertsiebenunddreißig Inseln besteht und wir erst mal zur nächstgelegenen Insel namens Katikelajos fahren. Die Insel ist wohl ein wichtiger Knotenpunkt zwischen den anderen Ländern und dem Archipelkönigreich. Vielleicht sollte ich es da wagen abzuhauen? Die anderen Piraten wusste nicht allzu viel über das Archipel. Henry hat erzählt, dass es mit den Orks eine Schlacht um das östliche Archipel gab. König Rhobar der zweite wollte wohl eine Kolonie in dieser Region etablieren, doch es schlug fehl, weil die Orks zu übermächtig waren und Henry hat erzählt, dass das Archipelkönigreich eine hervorragende Marine hat. Die werden ihre Inseln bestimmt auch nicht einfach so hergeben wollen. Ich frage mich was uns im östlichen Archipel erwartet. Hoffentlich ist es nicht mehr so schlimm mit den Orks. Wenn es nach mir geht, brauch ich für den Rest meines Lebens keinen einzigen Ork mehr sehen.
    Geändert von Eispfötchen (16.03.2024 um 14:20 Uhr)

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    Das östliche Archipel

    Es war deutlich wärmer geworden und auch die See hatte sich verändert. Statt wilder Wellen schlug das Wasser fast schon zärtlich gegen die „Murietta“. Das Wasser war nun von einem wundervollen freundlichen hellen Blau.
    Sie hatten nun das Inselmeer erreicht und konnten Katikelajos schon mit bloßem Auge erkennen, als Greg derbe zu schimpfen begann. Warum sahen sie, als die Morgensonne die herrlichen roten Segel der „Hosianna“ beleuchtete.
    „Dat kann doch nich wohr sein. Dat Hellhag!“ schimpfte Greg und befahl seinen Männern an die Kanonen zu gehen.
    Der Held freute sich schon auf einen Kampf, doch wie er bald enttäuscht feststellen musste war dies eine reine Vorsichtsmaßname, denn Greg gab keinen Befehl anzugreifen. Bald merkte der Held auch warum. Ein großes Kriegsschiff kam ihnen von Katikelajos entgegen, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Es war um ein Drittel größer als die „Murietta“ und dem Gewusel auf Deck nach zu schließen waren bestimmt über Hundert Mann an Bord. Als Galionsfigur zierte ein grausam aussehendes längliches Seeungeheuer das dunkelblau und grau gefärbte Schiff. Daneben liegende blaue Lettern verrieten den Namen des Schiffes: „Tiefseespalter“. Der großgewachsene Kapitän hieß sie den Wind aus den Segeln nehmen und ihr Anliegen vorzubringen, um im Besten Fall die Erlaubnis zu erhalten die Archipelgewässer weiter befahren zu dürfen. Sowohl Greg als auch Ronja gaben sich recht überzeugend als Händler aus, die ihre Waren verkaufen wollten, so dass der Kapitän ihnen die Weiterfahrt gewährte. Das fremde Schiff drehte ab und fuhr nun im Wind, um weiter auf Patrouille zu gehen. Der Held war sich aber sicher, dass die Mannschaft die neuen Schiffe wachsam im Auge behalten würde. Offenbar sahen dies auch Greg und Ronja so, denn ungewohnt friedlich fuhren sie nebeneinanderher auf die Insel zu. Je weiter sie sich näherten desto heller wurde die Farbe des Wassers, bis es einladend Azurblau war. Der Held musterte die „Hosianna“ skeptisch. Das Schiff hatte nichts von seiner Herrlichkeit eingebüßt. Die Fassade leuchtete in den gleichen satten Rot- und Gelborangetönen wie bei ihrer ersten Begegnung. Es gab kaum Anzeichen für Kämpfe. Entweder wusste Kapitän Ronja geschickt den Gefechten auszuweichen, die sie nicht gewinnen konnte, oder sie hatte einen erfahrenen und tüchtigen Schiffsausbesserungstrupp. Sie fuhren nun auf gleicher Höhe, so dass sie auch die goldene Gallionsfigur sehen konnten, die einen prächtigen goldgefärbten Löwen zeigte, der auf einer Schatztruhe stand. Ronja, genannt die Piratenbraut, stolzierte selbstbewusst übers Deck und rief zu ihnen herüber: „Na Greg, was führt dich denn hierher?“
    „Dat geiht di gornix an!“ herrschte Greg sie an.
    Ronja grinste breit. Mit so einer Antwort hatte sie ganz offensichtlich gerechnet.
    „Na na, so unfreundlich zu einer Händlerkollegin? Hab gehört die Marine des Archipels hat ihre Sicherheitsmaßnamen verschärft. Besser du arbeitest an deinen Manieren, oder sie nehmen dich fest, weil du ihnen suspekt bist.“
    „As wenn du jem wat vörmaken kannst.“
    „Wirst du schon sehen“, sagte Ronja lächelnd und der Held hatte das Gefühl, dass sie etwas geplant hatte.
    Die beiden Schiffe fuhren nun noch dichter nebeneinander her und die Mannschaften beäugten sich gegenseitig sehr misstrauisch.
    „Seht mal! Ronja hat eine neue Frau für ihre Crew gefunden“, informierte Bill sie aufgeregt.
    Francis sah sofort in die angewiesene Richtung.
    „Nicht mein Typ“, sagte er aber dann gleich, so als hätte Bill gefragt, ob er sie heiraten wolle.
    „Für eine Frau sieht sie recht stark aus“, kommentierte jetzt Kettenklaus.
    „Naja, auf jeden Fall stärker als du halber Hahn“, lachte der kleine Nils und patschte eine seiner großen Pranken auf die linke Schulter seines Kameraden.
    Nun sah auch der Held hinüber und suchte mit den Augen zum neuen Besatzungsmitglied von Ronja. Die Neue sah sehr wild aus. Sie war höchstens einen Meter siebzig groß, aber für eine Frau in der Tat recht muskulös, da sie sichtbare Muskeln an den Armen hatte. Wäre sie ein Mann, wären diese Muskeln wohl normal, doch Frauen hatten es schwerer damit an Kraft zuzulegen. Sie hatte einen sehnigen Körperbau und an der Art wie sie geschickt und schnell übers Deck sprang, schloss er, dass sie nicht nur auf ihre Kraft, sondern auch auf ihre Schnelligkeit und ihr Geschickt im Kampf setzen würde. Sie trug keine Rüstung, nur ein robustes Oberteil, das aber nicht einmal bis zu ihrem Bauchnabel ging und eine kurze schwarze Hose, die ihr bis zu den Knien reichte. An ihrem Gürtel hingen viele bunte Fetzen, von denen er nicht wusste, wozu sie gut sein sollten. Ihre langen schwarzen Haare sahen verfilzt aus. Ihr Gesicht war breit, ihre Statur für eine Frau recht stämmig und ihre Hautfarbe ähnelte der von Gorn.
    „Wir sollten vorsichtig mit ihr sein“, schloss der Held aus seiner Beobachtung.
    „Wieso?“ fragte der kleine Nils.
    „Sie sieht stark aus.“
    „Meinst du?“ fragte Ragnar skeptisch.
    Der Held nickte entschieden.
    „Die schwarzen sind immer am Gefährlichsten. Schwarze Trolle, schwarze Goblins, Warge, die sind alle immer stärker, als die normalen Varianten. Mein Kumpel Gorn ist auch schwarz und extrem stark. Wo der hinhaut wächst so schnell kein Gras mehr.“
    „Das ist aber ganz schön rassistisch“, sagte Ludwig anklagend.
    „Rass…was?“ fragte der Held. „Das kenne ich nicht.“
    In Myrtana gab es keinen Rassismus. Wenn einem jemand nicht passte schlug man ihm ins Gesicht, ganz egal welche Hautfarbe dieses Gesicht hatte.
    „Ist dieser Gorn stärker als ich?“ fragte Ragnar, der das offenbar gar nicht glauben konnte.
    Der Held musterte Ragnar, im Versuch abzuschätzen wer von beiden wohl einen Zweikampf gewinnen würde.
    „Schwer zu sagen. Du bist größer und ich weiß, dass du so stark wie ein Ork bist, aber ich kann nicht sagen, ob du stärker als Gorn bist. Das würde wohl nur ein Zweikampf entscheiden können.“
    Ragnar sah irgendwie beleidigt aus. Er wandte sich kurz ab, um ein angebundenes leeres Fass ins stürmische Meer zu schmeißen und es dann mitsamt Meerwasser wieder mit einem Seil heraufzuziehen. Normalerweise wurde dies mit einem Flaschenzug gemacht, doch Ragnar wollte wohl zeigen, dass er die fünfzig Kilo, die ein volles Fass wog auch ohne Hilfsmittel aus dem Wasser, am Schiff hinauf ziehen konnte. Die anderen von der Crew sahen ihn bewundernd an. Der Held fand, dass er wirklich stark war, aber ob er Gorn wirklich besiegen könnte? So oder so. Er wollte beide lieber auf seiner Seite haben, als gegen sie zu kämpfen. Ragnar schaffte es tatsächlich das Fass hinaufzuholen und stellte es mit einem unterdrückten Ächzen aufs Deck.
    „So“, fing er an. „Das Wasser hab ich hochgeholt. Das Deck schrubben übernimmt damit ein anderer.“
    Die Crew hatte ihm erstaunt zugeschaut, doch als es ans Saubermachen ging hatte auf einmal jeder etwas anderes zu tun. Letztendlich mussten Kettenklaus und Alejandro diese lästige Arbeit erledigen.

    Der Hafen war groß und einladend gestaltet. Viele andere Schiffe lagen bereits vor Anker. Der Held sah ein Adlokanisches Handelsschiff, ein weiteres von den Fischschwanzinseln und mehrere hellblau gestrichene Schiffe, die wohl die Handelsschiffe des östlichen Archipels waren.
    Greg entging nicht, dass Ronja ihr Schiff möglichst weit von der „Murietta“ entfernt ankern ließ. Er befahl Parviz und seinen Haufen das Schiff zu bewachen, obwohl er im Moment eigentlich gar keinen Schichtdienst hatte, während Aligator Jack und sein Trupp die „Hosianna“ unauffällig beobachten sollten. Henry und sein Trupp sollten Greg dabei helfen unauffällig etwas zur „Esmeralda“ herauszufinden. Zur Enttäuschung des Helden wurde er mit seinen Leuten und einem Sack Gold aus der Schiffskasse nur losgeschickt um Vorräte einzukaufen. Offensichtlich glaubte Greg nicht, dass er unauffällig nach der „Esmeralda“ suchen könnte. Verstimmt machte sich der Held auf dem Weg zum Basar, der sich neben dem recht ordentlichen Hafenviertel befand. Sie liefen zwischen einer Allee aus Palmen entlang, deren harte grüne Blätter sich herrlich im leichten Wind wiegten und raschelten. Der von wenigen weißen Wolken bedeckte Himmel war so blau wie das Meer, so dass Wasser und Himmel am Horizont beinahe zu verschmelzen schienen. Die Hafenstadt von Katikelajos sah zumindest von weitem gepflegt aus und besonders auffällig waren die in hellblau, gelb und hellgrün gestrichenen Häuser. Die Umgebung vermittelte mit ihren Farben, der Wärme und dem Licht Lebensfreude und ein Gefühl von Leichtigkeit. So wie schon im Hafenviertel war der Boden im Händlerviertel mit großen weißen Steinen gepflastert. Sie warfen das helle Licht der Sonne zurück, so dass sie die Augen leicht zusammenkneifen mussten, um nicht geblendet zu werden. Der Held überlegte, ob diese Steine absichtlich hier ausgelegt wurden, um das Licht zu reflektieren, denn er bemerkte, dass durch die Strahlkraft der Sonne alles interessanter und schöner aussah und die Waren der Händler noch prächtiger wirkten. Auf dem Basar herrschte ein gerade noch angenehmer Trubel. Interessierte standen vor den vollen Auslagen der Händler, die sich wie gewohnt die Kehlen wund schrien, um die Leute auf ihre Waren aufmerksam zu machen.
    „Gold- und Silberschmuck. Ich habe alles, Ringe, Spangen, Haarreife, Ketten und Broschen.“, „Haltbare Stoffe. Hier gibt es haltbare Stoffe, Baumwolle, Leinen, Seide, Kaschmir, Wolle, einfach alles…“, „Segeltuch, gutes neues Segeltuch, fahrt nicht ohne Ersatz raus“, „Angeln, gute starke Angeln, mit denen fangt ihr jeden Fisch, kauft zwei und ihr bekommt einen Krug mit Ködern dazu“, „Waffen, hier gibt es gute Waffen, Säbel, Degen, Rapier, …“, „Hier gibt es Kleidung, Hemden, Hosen, Jacken, Strümpfe, Kopftücher,…“ , „Gewürze, hier gibt es fein duftende Gewürze, ob heimisch, oder exotisch, hier gibt es alles“, „Obst, frisches Obst, wichtig für die Gesundheit nach langen Seefahrten, Obst, frisches Obst, Mirabellen, Bananen, Kokosnüsse, Zitronen, Limetten, Obst, frisches Obst, kommt näher, seht euch meine Früchte an!“
    Tatsächlich weckte der Obsthändler das Interesse des Helden. Nachdem sie sich wochenlang hauptsächlich von ihren haltbaren Vorräten und Fisch ernährt hatten, hielt er es für eine gute Idee Obst für die Crew einzukaufen. Seine Leute im Schlepptau, hielt er auf den Stand zu. Unter einem Vordach aus blauem, widerstandsfähigem Stoff, das links und rechts von Stäben hochgehalten wurde, lag das komplette Obstsortiment ausgebreitet. Hinter dem Tresen des Händlers standen allerhand Kisten, die vermutlich voller Obst waren.
    „Zeig mir deine Ware!“, verlangte der Held.
    „Du kannst alles kaufen was du hier siehst“, sagte der Verkäufer freundlich und wies auf die verschiedenen Früchte.
    „Verkaufst du auch große Mengen für Schiffsreisen?“ fragte der Held.
    „Aber natürlich der Herr“, sagte der kleine mollige Händler mit den Pausbacken und der Halbglatze freundlich. „Ich habe das beste und leckerste Obst der ganzen Insel. Gestern frisch gepflückt. Wie wäre es mit einer Kostprobe?“
    Er hielt ihm eine seiner herrlich gelben Bananen hin und der Held nahm sie ohne zu zögern an, steckte sie umstandslos in den Mund, kaute kurz und schluckte sie dann hinunter. Nicht nur der Händler, sondern auch Klaus, Skip und Alejandro sahen den Helden mit großen Augen an, während Ragnar und Nils sich offenbar nichts weiter dabei dachten. Endlich bekam Skip seinen Mund wieder zu und sagte mit immer noch vor Skepsis zerfurchter Stirn.
    „Äh… du weißt aber schon, dass man Bananen vorher schält?“
    „Ist das so?“ fragte der Held. „In Varant habe ich die Bananen auch immer so gegessen.“
    Der Mund des Händlers öffnete und schloss sich mehrmals, als wäre er ein an Land gespülter Karpfen, dann brachte er endlich heraus: „Ich könnte mir denken, dass es zu ganz üblen Verstopfungen führt, wenn man die Bananen nicht vorher schält.“
    „Schisstapps! Kauft Schisstapps!“, schrie sich ein anderer Verkäufer von schräg gegenüber jetzt fast die Lunge aus dem Hals, weil er ein gutes Geschäft witterte.
    „Bisher ging immer alles gut“, sagte der Held schulterzuckend.
    Skeptisch sahen alle zum Helden. Sogar einige Umstehende warfen verwunderte Blick zu ihm herüber.
    „Ich zeig dir mal besser wie man Kokosnüsse öffnet, bevor du die auch mit einem Mal hinunterschlingst“, sagte Skip grinsend und der Händler gab ihm bereitwillig ein Exemplar zur Demonstration, während er nebenbei die vielen Vorzüge seiner Kokosnüsse aufzählte.
    „Das Wasser schmeckt noch viel besser als Quellwasser und ist gut für die Gesundheit. Das Fruchtfleisch kann man auch trocknen und eignet sich so wunderbar für lange Seefahrten. Mit dem Kokosfett kann man hervorragend braten und es lässt sich auch wohltuende Seife daraus herstellen. Außerdem kann man mit den Schalen musizieren, wenn man will.“
    Geradezu euphorisch schlug der Verkäufer immer wieder mit einigen leeren Kokosnussschalen aneinander und wiegte seinen korpulenten Körper fröhlich hin und her.
    Skip, der den fröhlichen Verkäufer gar nicht weiter beachtete, hatte die Kokosnuss auf den Verkaufstresen des Händlers gelegt, um dem Helden zu demonstrieren wie man sie öffnete.
    „Pass auf! Du nimmst deinen Säbel und haust damit auf das Ding und spaltest es damit. Dann kannst du das Wasser trinken und das Fruchtfleisch rauspulen.“
    Der Säbel fuhr herunter und zerschnitt die Kokosnuss mit Karacho in zwei gleich große Hälften, wodurch das ängstlich verschreckte Gesicht des Händlers ordentlich mit Kokosnusswasser bespritzt wurde.
    „Das krieg ich hin“, sagte der Held erfreut, weil es so einfach war und wandte sich dann an den vor Schreck erstarrten Verkäufer, um ihm mitzuteilen. „Wir hätten dann gerne alles“.
    Er holte mehrere Goldbeutel hervor und warf sie dem Verkäufer hin, dessen Augen den Anschein hatten, als wollten sie mit der Größe der Kokosnüsse konkurrieren. Rasch sah er das Gold durch und sagte: „Es fehlen noch hundertzweiundzwanzig Münzen, wenn ihr wirklich alles kaufen möchtet.“
    Der Held nickte und gab den fehlenden Betrag raus, ohne weiter zu verhandeln.
    „Gut Jungs, nehmt die Kisten mit dem Obst gleich mit und bringt sie aufs Schiff!“ befahl er.
    „Juhu, kein Trockenfleisch mehr“, rief der kleine Nils vergnügt.
    „Dafür gibt es dann Trockenobst, freu dich schon mal auf eine angeregte Verdauung“, sagte Ragnar sarkastisch.
    Der Verkäufer schräg gegenüber hatte aufgehört zu rufen.
    „He ihr“, wurden sie plötzlich von einem Soldaten angesprochen.
    Der Held und Skip drehten sich herum. Die anderen witterten Ärger und machten, dass sie schnell fortkamen. Der Soldat trug eine blauweiße Uniform, ein dunkelblaues Halstuch und ein einfaches Rapier am Gürtel. Daneben trug er eine stabil wirkende schwarze Ledertasche.
    „Wer bist du?“ fragte der Held, noch bevor der Mann dazu ansetzen konnte erneut etwas zu sagen.
    Der Soldat runzelte zwar die Stirn, sagte aber: „Ich bin Brayan und bin Marinesoldat. Ich kam nicht umhin zu bemerken wie scharf deine Klinge ist.“
    Er zeigte auf Skip, der gar nicht nervös wurde, sondern sich sogar in dem Kompliment sonnte.
    „Ja, gut, oder? Guter myrtanischer Stahl, verrichtet immer wieder solide Dienste.“
    Der Held warf Skip einen warnenden Blick zu und offensichtlich merkte dieser erst jetzt, dass er zu viel redete.
    „Myrtanischer Stahl?“ fragte Brayan sofort hellhörig geworden. „Wo habt ihr den denn her? Ich dachte es wird nicht mehr mit Myrtana gehandelt, da die Orks es besetzt halten.“
    „Wir haben es selbst von einem anderen Händler gekauft“, beeilte sich der Held zu lügen. „Wir handeln mit allem Möglichen. Vulkanglas, Riesenhaifleisch, Eisengrunder Gärfisch…“
    Als Brayan das hörte verzog er sofort angewidert das Gesicht. Offenbar war der Stinkefisch auch hier legendär.
    „Und deswegen kommen wir ganz schön viel herum. Mein Freund war ganz begeistert von diesem Säbel, dem ihm der Verkäufer auf den südlichen Inseln sogar vorgeführt hat“, endete der Held und Skip beeilte sich hinzuzufügen: „Ja, war nicht billig das gute Stück, aber seither will ich es echt nicht mehr missen.“
    „Verkaufst du es?“ fragte Brayan aufgeregt.
    Der Held hatte noch nie jemanden gesehen, der ein derartiges Interesse an einem alten Säbel hatte. Er wusste zwar, dass Skip seinen Säbel immer gut pflegte, damit er scharf blieb, aber dennoch hielt er das Interesse des Marinesoldaten für deutlich übertrieben. Doch nun machte auch der Waffenhändler zwei Stände weiter einen langen Hals und lauschte angestrengt.
    „Ich … eigentlich hatte ich das nicht vor“, sagte Skip, der nun immer nervöser wurde.
    „Ich gebe dir dreihundert Goldstücke dafür“, ging der Marinesoldat sofort in die Vollen und der Obsthändler neben ihnen riss schon wieder die Augen auf.
    Skip und der Held tauschten einen verwunderten Blick. Das war viel mehr als sie in Myrtana für ein ganzes Dutzend Säbel bekommen würden. Was war nur in diesen Typen gefahren? Der Held entschied, dass es das Risiko wert sein könnte weiter nachzubohren.
    „Warum willst du diesen Säbel denn so unbedingt haben?“
    Jetzt war es an Brayan die Augen aufzureißen.
    „Myrtanischer Stahl ist bekannt für seine Robustheit und Schärfe, wisst ihr das denn nicht?“
    „Oh, du meinst wegen dem magischen Erz“, vermutete der Held, dem langsam ein Licht aufging.
    Auch wenn er nicht mehr in den Zuständen lebte wie zu Zeiten der Barriere, gehörte es für ihn zur Normalität, dass alle Waffen aus dem blauen magischen Erz bestanden, aber andere Länder hatten vermutlich kein magisches Erz. Er wusste von Bennett, dass Waffen aus magischem Erz selbst ohne die Schmelzöfen von Nordmar herkömmlichen Waffen überlegen waren.
    „Ja, das magische Erz. Könnt ihr euch das vorstellen? Blaues Erz mit magischen Kräften. Wie mystisch. Ich frage mich welche Geheimnisse es birgt.“
    „Aber mein Säbel ist nicht magisch“, gab Skip zu bedenken.
    „Das habe ich auch nicht gedacht. In den Legenden heißt es, nur mächtige Könige und epochale Helden tragen magische Erzwaffen.“
    Skip warf dem Helden einen vielsagenden Blick zu, der ihn zu ignorieren versuchte, während der Marinesoldat hinzufügte: „Trotzdem sind Klingen aus blauem Erz besser als andere, auch wenn sie normal geschmiedet wurden.“
    Der Held dachte schnell nach.
    „Du als Marinesoldat hast doch bestimmt immer den Hafen im Auge und kennst dich hier aus. Wir suchen nach einem Schiff.“
    Brayans Augen verengten sich und er fragte: „Und warum sollte ich für euch die Auskunft spielen?“
    „Mein Freund will zwar seinen Säbel nicht hergeben, aber ich habe hier einen myrtanischen Orkschlächter, natürlich auch aus blauem Erz. Wenn du mir dreihundert Goldstücke gibst und mir die Information zu dem Schiff geben kannst, dann verkauf ich ihn dir.“
    Nun riss Brayan die Augen auf und sein Blick huschte interessiert zum Orkschlächter am Gürtel des Helden.
    Es wurde einen Moment still.
    „Warum sucht ihr denn nach dem Schiff?“ fragte der Marinesoldat skeptisch.
    „Das sind Fr…“
    „Feinde von uns“, unterbrach der Held Skip schnell und setzte fort: „Sie haben unser Schiff geklaut.“
    „Und warum kauft ihr nicht einfach ein neues? Das ist doch einfacher als dem anderen durch alle Weltmeere nachzujagen.“
    „Das ist das Schiff mit dem ich damals mit meinen Freunden zur See gefahren bin. Es hat einen sentimentalen Wert für mich“, antwortete der Held ohne eine Miene zu verziehen.
    Skips Stirn furchte sich. Er hatte wohl nicht gedacht, dass seinem Entertruppführer die Bedeutung dieses Wortes bekannt war.
    Der Marinesoldat nickte.
    „Ist zwar Gefühlsduselei, aber ich verstehs. Manchmal trauere ich auch noch dem allerersten Schiff nach, auf dem ich gedient habe. Die Tiefseespalter. Mann, was für ein mächtiges und prächtiges Schiff. Aber weil ich befördert wurde, bekam ich dann einen höheren Posten auf einem kleineren Schiff. Naja … was soll ich sagen … ich habs vermasselt und jetzt stehe ich hier und schiebe Patrouillendienst in der Stadt. Ich würde echt gerne wieder zur See fahren.“
    Der Held hatte dieser Lebensgeschichte ungeduldig zugehört und fragte nun unverfroren: „Schließe dich doch uns an. Wir brauchen noch Leute.“
    Der Marinesoldat schaute überrascht.
    „Nein, lass mal. Ich habe keine Lust auf einem Handelsschiff Dienst zu tun. Ich brauche meinen Militärdienst. Mir gefällt es zu wissen wo jeder seinen Platz hat. Danke für das Angebot, aber hier rappele ich mich schon wieder hoch.“
    Wieder klebten die Augen des Marinesoldaten am Orkschlächter.
    „Ist das Schwert wirklich aus blauem Erz?“
    Der Held nickte.
    „Darf ich es mal sehen?“
    Der Held reichte es ihm und überlegte, dass es wohl besser gewesen wäre, es ebenso gut zu pflegen wie Skip seinen Säbel. Es zeigte zwar noch keine Anzeichen von Verschleiß, war aber nicht gerade sauber. An einer Stelle sah er sogar noch einen Faden untotes Orkfleisch hängen.
    Ohne sich um das Geschrei des Obsthändlers zu kümmern schlug Brayan nach einem der Stäbe, die das Vordach oben hielten. Das Holz wurde glatt durchtrennt und sofort hing der blaue Stoff auf einer Seite herunter und verdeckte den Obststand halb.
    „Oh nein, nein, muss denn das sein?“ jammerte der Obstverkäufer, traute sich aber offensichtlich nicht, sich mit dem Marinesoldaten anzulegen.
    „Hervorragend“, kommentierte Brayan und musterte den Orkschlächter begeistert, ohne auf das Gewimmer des Obsthändlers zu achten.
    „Was ist jetzt mit der Esmeralda? Einem so tüchtigen Marinesoldaten wie dir entgeht doch nichts“, schmierte der Held ihm ziemlich platt Honig ums Maul, doch es funktionierte.
    „Die Esmeralda? Sie legte vor zwei Monaten hier an. Das Schiff hatte ganz schön gelitten. Lag bestimmt an der unerfahrenen Crew. Lagen hier sicher drei Wochen vor Anker, um ihre Schäden zu reparieren. Das hat bestimmt ganz schön viel gekostet, wenn ich‘s recht bedenke.“
    Der Held verzog verärgert sein Gesicht. Immerhin war das sein Drachengold was da verpulvert wurden war. Doch er sagte nichts und hörte weiter zu.
    „Einer von ihnen hat Stunk gemacht und wurde von uns eingebuchtet. Zunächst hatte er nur geklaut, aber im Gefängnis hat er letztens auch noch zwei umgebracht, weil er sich provozieren ließ. Unangenehmer Mensch. Völlig verroht. Wenn ihn morgen beim Sklavenmarkt keiner kauft wird er aufgehängt.“
    „Ihr verkauft Sklaven?“ fragte der Held skeptisch.
    „Wir bieten unseren Bürgern zwar viele Freiheiten, aber wer sich daneben benimmt wird von uns Marinern eingesperrt, damit er seine Strafe verbüßt. Wer arg über die Stränge schlägt…“, fing er an und zählte an seinen Fingern ab. „mit Piraterie, Mord, Vergewaltigung, Hochverrat, oder Einbruch in den Palast des Königs, wird normalerweise mit dem Tod bestraft. Unsere Regierung bietet aber einen Ausweg. Wenn jemand den Verurteilten als Sklaven kauft, kann er ihn mitnehmen. Ob das jetzt besser ist als der Tod, ist wohl je nach Fall unterschiedlich. Jedenfalls bringt es dem Archipel-Königreich ein hübsches Sümmchen ein, denn wir verkaufen unsere Sklaven zu einem so hohen Preis, dass irgendwelche dahergelaufenen Halunken ihre alten Kumpane nicht einfach freikaufen können. Außerdem findet die Auktion in unserer Marinebasis ab, da kommt keiner rein oder raus, ohne das wir das wollen.“
    Während er redete schaute er immer noch auf den Orschlächter und drehte ihn in alle Richtungen.
    „Die Mannschaft der Esmeralda hat den Typen jedenfalls einfach zurückgelassen. Sie sind Richtung Süden gesegelt. Mehr weiß ich nicht.“
    Der Held nickte.
    „Du hast uns damit weitergeholfen.“
    „Gut, also kriege ich das Schwert für dreihundert Goldmünzen?“
    „Abgemacht“, sagte der Held und streckte die Hand aus.
    Brayan schlug ein und kramte dann aus seiner schwarzen Ledertasche dreihundert Goldstücke hervor.
    „So, ich bin blank. Aber das ist es mir Wert. Wenn ich das Schwert hege und pflege, dann wird es mich mein Leben lang begleiten.“
    Tatsächlich sah Brayan äußerst zufrieden aus und befestigte den Orkschlächter sofort an seinem Gürtel. Nachdem er sich verabschiedete, ging er an ihnen vorbei, um seine Patrouille fortzusetzen. Als er außer Hörweite war, atmete Skip angestrengt aus.
    „Lief doch gut“, meinte der Held und zog Uriziel aus der Hosentasche, um es als neues Schwert auszurüsten.
    Der Waffenhändler gab einen halb erstickten Schrei von sich. Skip sah sich nach Brayan um, der bereits ein gutes Stück weit gekommen war, sich nun aber noch mal umsah, den Helden mit dem blau schimmernden Zweihänder sah und stutzte. Skip schlug die Hand vor die Stirn und legte sie dann an die Schulter seines Entertruppführers, um ihn zum Gehen zu bewegen.
    „Oh Mann, komm! Gehen wir besser und berichten dem Käpt’n was wir herausgefunden haben.“
    „Ja, gut, Vorräte haben wir ja geholt“, sagte der Held, dem gar nicht bewusst war, dass er alle Blicke auf sich zog.
    Der Waffenhändler hing halb über seinem Tresen, um ihnen so lange wie möglich nachsehen zu können.
    „Wenn das blaue Erz hier von den Leuten schon als so selten und mächtig angesehen wird, was ist dann erst mit dem schwarzen Erz?“ überlegte der Held laut.
    „Was denn für schwarzes Erz?“ fragte Skip verwundert.
    „Bei den Drachen fand ich schwarzes Erz im Hort, da lag ein mächtiger Zeitblasenzauber drauf. Ich frag mich was für ein Schwert dabei rauskommt, wenn man schwarzes Erz zum schmieden nimmt. Ob die Klaue Beliars aus schwarzem Erz geschmiedet wurde? Möglich wäre es. Schwarz ist immer stärker.“
    Skip stöhnte.
    „Fängst du schon wieder damit an.“
    Der Held schwieg.
    Skip atmete laut ein und aus und begann dann dem Helden Fragen zu stellen: „Glaubst du denn wirklich, dass die Klaue Beliars besser ist als Uriziel? Denn das kommt mir extrem mächtig vor.“
    Skips Augen flackerten ehrfürchtig zum legendären Schwert, das nun an einer Halterung am Rücken des Helden befestigt war.
    Der Held überlegte. Auf Anhieb konnte er gar nicht sagen welches Schwert er mächtiger fand.
    „Schwer zu sagen. Uriziel war schwach, als ich es fand. Seine magischen Kräfte mussten erst aufgeladen werden und dazu war ein riesiger Haufen magisches Erz nötig, aber Beliars Klaue war auch noch nicht übermäßig stark, als es mir in die Hände fiel. Erst nachdem ich etwas von meiner eigenen Lebenskraft geopfert hatte und Beliar sie damit verstärkte wurde sie übermächtig.“
    „Du hast was?“ fragte Skip halb erstickt.
    Der Held blieb verwundert stehen und ihm ging erst jetzt so wirklich auf, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Er war so vertieft gewesen, dass er alles um sich her vergessen hatte. War ihm das überhaupt schon einmal passiert? Obwohl er versuchte die Gedanken an die Klaue zu verdrängen, jetzt wo er doch mal wieder über das Schwert grübelte, wurden sie wie magisch davon angezogen.
    „Vergiss es!“ sagte der Held düster.
    „Als wenn ich das könnte“, sagte Skip aufgeregt und weil der Held sich wieder in Bewegung setzte und nun deutlich schneller ging, musste er sich beeilen mit ihm Schritt zu halten. „Warum bei Beliar hast du das getan? Wer gibt denn freiwillig seine Lebenskraft her?“
    „Ich brauchte das Schwert um die Drachen zu töten“, erinnerte der Held ihn knapp.
    „Hätte das eben jemand anders tun sollen, hättest du es eben nicht gekonnt. Dazu sind doch die aufgeblasenen Paladine da“, sagte Skip scharf und ging nun ebenfalls schneller, um nicht den Anschluss zu verlieren.
    „Die es ja aber offensichtlich nicht geschafft haben“, kam es gereizt vom Helden zurück.
    „Aber das hätte dir doch egal sein können. Du hättest Khorinis und Myrtana doch einfach verlassen können“, sagte Skip, der sich nun beeilen musste hinter dem Helden herzukommen und beinahe in ihn hineingelaufen wäre, als der abrupt stehen blieb und sich wütend umdrehte: „Hätte ich das? Und alle einfach sterben lassen?“
    Skip sah seinem Entertruppführer an wie aufgewühlt er war. So kannte er ihn sonst gar nicht. Das verwirrte ihn.
    „Aber jetzt bist du doch auch gegangen“, sagte er leise und musterte ihn verwundert.
    Der Held atmete schwer und sah weg. Er fragte sich was plötzlich mit ihm los war. Warum verhielt er sich so seltsam? Skip hatte Recht. Es sollte ihm egal sein, aber das war es nicht. Normalerweise zweifelte er nicht an seinen Entscheidungen, doch Myrtana verlassen zu haben, das lag ihm ungewohnt schwer auf der Seele. Er war davongelaufen.
    „Vielleicht … hätte ich das nicht tun sollen“, sagte der Held ungewohnt leise und stierte auf das helle blendende Pflaster der Straße.
    Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und sah in Skips besorgtes Gesicht.
    „He, du bist den Leuten in Myrtana und Khorinis doch nichts mehr schuldig. Überleg doch mal, nach allem was du erzähltest, hast du die Drachen besiegt und ihnen beim Kampf gegen die Orks geholfen. Du bist auch nur ein Mensch und hast deine eigenen Lebensziele.“
    Noch einmal atmete der Held tief durch und sein rasender Herzschlag, den er erst jetzt so richtig bemerkte, fing langsam an sich zu beruhigen.
    „Ja, du hast sicher Recht.“
    Skip war wohl auf der Suche nach einem Themenwechsel, denn er kam wieder auf das schwarze Erz zu sprechen.
    „Wenn es schwarzes und blaues Erz gibt, gibt es dann auch rotes Erz? Du weißt schon wegen der drei Götter. Blau für Adanos, Schwarz für Beliar und Rot für Innos.“
    Der Held runzelte die Stirn und fuhr sich mit der rechten Hand durch die Haare.
    „So habe ich das noch nie gesehen, aber es gibt im alten Tempel im Minental rotes Erz. Ich weiß aber nicht, warum es was mit Innos zu tun haben sollte, immerhin hat ja Beliars Avatar dort unten gehaust. Der Zeitblasenzauber würde beim schwarzen Erz auch eher auf Adanos schließen, aber vielleicht gibt es auch Beliar Magie, die mit der Zeit herumspielt. Vielleicht waren das rote und das schwarze Erz früher mal blau, bevor es sich verändert hat. Vielleicht war es aber auch schon vornherein schwarz und rot. Ich weiß zu wenig darüber, aber das gilt es herauszufinden.“
    Entschlossen schritt der Held aus und Skip folgte ihm, ganz offensichtlich zufrieden mit sich, weil er seinen Entertruppführer von den Zweifeln abgebracht hatte.
    Sie brauchten nicht lange, um zur „Murietta“ zurückzukommen. Skeptisch sah der Held, dass sein Trupp nicht wie befohlen aufs Schiff gegangen war, sondern immer noch mit den Kisten auf der Kaimauer stand. Ein im Gesicht hochrot angelaufener Offizier schimpfte empört: „Hinfort damit! Das ist Obstruktion!“
    „Was meint er?“ fragte Ragnar ruhig.
    „Irgendwas mit Obst…“, kam es vom kleinen Nils zurück.
    „Ja, hier ist Obst drin“, bestätigte Ragnar und zeigte auf die Kisten.
    Der Offizier wurde noch dunkler im Gesicht und bekam einen Schreikrampf.
    Alejandro atmete tief durch und klärte auf: „Obstruktion bedeutet Verstopfung.“
    Nils und Ragnar tauschten einen verwunderten Blick.
    „Aber die löst das Obst doch, dachte ich“, sagte Ragnar und kratzte sich verwirrt am Kopf.
    „Naja, aber der Obsthändler hat doch gesagt, das kann passieren, wenn man zu viele ungeschälte Bananen frisst“, gab der kleine Nils zurück.
    „Hast du gehört?“ rief Ragnar laut zum Offizier hinüber. „Du sollst weniger ungeschälte Bananen fressen, oder du kaufst dir Schisstapps, mir eigentlich egal, aber hör auf hier so rumzuschreien! Wir sind froh, dass unser Käpt’n gerade mal nicht da ist. Wir haben doch auch mal etwas Ruhe und Frieden verdient.“
    „Was ist hier eigentlich los?“ fragte der Held, den die Gespräche mehr verwunderten als erhellten.
    Der Offizier hatte wohl entschieden, dass er seine Sprache anpassen musste, wenn er verstanden werden wollte, denn er sagte: „Dieser Anlegeplatz muss sofort freigemacht werden! Hier soll gleich die Tiefseespalter anlegen, ein Schiff der Marine.“
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Können die nicht woanders anlegen?“
    „Hast du den Verstand verloren? Dieser Anlegeplatz ist für die Marine reserviert. Siehst du denn die Markierungen nicht? Ich dachte eigentlich ihr Händler seid gescheit.“
    Die Piraten starrten auf blaue sich kreuzende Linien, die entlang der Kaimauer aufgemalt waren.
    „Blaue Linien“, kommentierte der Held.
    Der Offizier schlug sich genervt an die Stirn.
    „Ich revidiere, …“, sagte er leise, seufzte tief und sagte dann mit deutlicher, aber genervter Stimme: „Ja, genau, blaue Linien und laut der Hafenordnung ist klar geregelt, dass dies das Zeichen dafür ist, das hier nur die Marine anlegen darf und nicht irgendwelche Händler, die auf der Fischsuppe hergerudert sind.“
    „Verstehe“, kam es vom Helden.
    „Na endlich“, kam es leise vom Offizier, der tief ausatmete.
    „Aber woher soll man das wissen, wenn man noch nie hier war und die Hafenordnung daher nicht kennt?“ wollte der Held wissen.
    Der Offizier holte tief Luft und sagte dann: „Das sich kreuzende Linien ein Verbotszeichen sind, sagt doch schon der gesunde Menschenverstand. Man hätte sich zumindest fragen können was das soll und sich beim Hafenpersonal erkundigen können.“
    „Hätte man …“, sagte nun Skip.
    „Jetzt schafft euren verdammten Kahn endlich hier weg! Die Marine trifft in einer halben Stunde hier ein. Bis dahin muss hier alles frei sein“, schnauzte der Offizier wütend.
    „Dann haben wir doch noch ewig Zeit“, meinte der Held.
    Doch diese Worte ließen den Offizier die Augen aufreißen.
    „Ich bin für diesen Hafenabschnitt verantwortlich und wenn hier was nicht läuft, dann ist das mein Problem und das bedeutet, dass ihr Probleme bekommt. Zum Beispiel könnte ich mir ja mal einen Durchsuchungsbeschluss für euer Schiff holen.“
    „Bleib mal locker! Wir fahren es ja gleich weg“, meinte der Held.
    „Tun wir?“ fragte Skip. „Glaubst du echt der Käpt‘n findet es toll, wenn wir einfach so, ohne ihm was zu sagen sein Schiff wegfahren?“
    „Meinst du, er mag die Alternative?“ fragte der Held.
    Skip schaute gequält.
    „Wo ist denn noch ein Platz frei?“ fragte der Held nun den Offizier.
    „Am anderen Ende des Hafens neben der „Hosianna“, einem gelbroten Holk.“
    „War ja klar“, knurrte der Held und rief dann laut seinen Leuten zu: „Alle Mann an Bord und vergesst das Obst nicht!“
    Der Marineoffizier staunte nicht schlecht wie schnell der Held seine Leute dazu motiviert hatte abzulegen, den Anker einzuholen und das Schiff langsam umzusetzen. Als sie den Anker setzten und das Schiff gerade wieder am neuen Platz vertäuten sahen sie die Tiefseespalter einfahren.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Sklavenauktion

    Greg war zuerst sehr aufgebracht, als er merkte, dass die „Murietta“ nicht mehr da war, wo er sie zurückgelassen hatte. Er schimpfte wüst und es war nicht einfach für den Helden ihm die Lage zu erklären. Erst als er berichtete, dass er jemanden von der Mannschaft der „Esmeralda“ gefunden hatte, hörte der Piratenkapitän auf herumzubrüllen. Der Held schlug vor sich das hiesige Gefängnis genauer anzusehen. Vielleicht könnte er den Mann ja befreien, so dass sie ihn ausführlich über seine Reise auf der „Esmeralda“ befragen könnten. Greg gab mürrisch seine Zustimmung und so ging der Held mit seinem Trupp durch die Stadt auf der Suche nach dem Gefängnis. Es befand sich direkt in der mächtigen Marinebasis und die Wachen am Tor wollten sie nicht durchlassen, deswegen setzten sie sich in einiger Entfernung an den Straßenrand und der Held nutzte wieder seinen Seelenwanderungszauber. Ihm war nicht wohl dabei die Kontrolle über seinen Körper zu vernachlässigen, aber mittlerweile vertraute er seinem Trupp, insbesondere Skip, Ragnar und dem kleinen Nils die versprachen ein wachsames Auge auf die Umgebung zu haben.
    Die Marinebasis befand sich in einem hoch ummauerten extra Stadtteil, den nur Marineangehörige betreten durften. Die Weite und die Größe der Anlage beeindruckten selbst den Helden. Das Inselkönigreich hielt ganz offensichtlich große Stücke auf seine Marine und ließ viel Gold in deren Ausstattung fließen. Der Held brauchte viel Zeit, um sich in seiner ungewohnten Form zurecht zu finden. Als er endlich das Gefängnis erreichte, erwarteten ihn mehrere Stockwerke voller Zellen. Er hatte noch nie so ein großes Gefängnis gesehen. Auf jeder Etage gab es ein dutzend stationäre Wachen und noch dazu eine Patrouille. Da er nicht wusste wie der gesuchte Pirat aussah, konnte er nicht genau sagen wo er ihn finden sollte. Wenn dann müsste er alle Gefangenen befreien. Das hatte sich der Held einfacher vorgestellt. In Khorinis gab es nur zwei Zellen und einer der beiden Insassen würde schon der sein, den man suchte. Hier war schier unmöglich herauszufinden welcher der vielen heruntergekommenen Männer von der „Esmeralda“ kam. Nach dieser enttäuschenden Erkenntnis kehrte der Held in seinen Körper zurück und berichtete seinem Trupp was er gesehen hatte. Sie wirkten beeindruckt von der geschilderten Größe und Macht der Marine, doch waren sie nicht wirklich überrascht, dass es hier ein großes Gefängnis gab.
    Mit den gesammelten Informationen ging der Held zurück zu Greg, denn er dachte sich, nach allem was bisher passiert war, wollte der Piratenkapitän lieber zuerst wissen womit sie es zu tun hatten, bevor der Held eigenmächtig etwas versuchte. Gregs Verhalten nach zu urteilen hatte er Goldrichtig entschieden. Aufmerksam hörte sich der Piratenkapitän an was der Held zu berichten hatte und entschied dann morgen an der Sklavenauktion teilzunehmen. Sein Plan sah vor in Erfahrung zu bringen wer der Pirat von der „Esmeralda“ war und ihn aufzukaufen, um so an neue Informationen zu gelangen. Alligator Jack gab zu bedenken, dass sie Ronja und ihre Piratenbande weiter im Auge behalten sollten. Auch Ronjas Leute kauften Vorräte für lange Seereisen, was wohl darauf schließen ließ, dass sie etwas Großes planten. Falls etwas schiefgehen sollte, hätten sie noch genug Vorräte auch ohne in den nächsten Wochen irgendwo im Inselkönigreich anlanden zu müssen. Greg fand das zu wage und beharrte darauf, dass Alligator Jack und seine Leute Ronja weiter überwachen sollten. Da sich die Schiffe nun dicht beieinander befanden konnten sie das recht offen erledigen und natürlich wurden sie auch von Ronjas Piraten beäugt. Auch deswegen waren Greg, Henry und sein Trupp recht verschwiegen vorgegangen, als sie in der Stadt Informationen über die „Esmeralda“ erfragt hatten. Auch sie hatten herausgefunden, dass sich die „Esmeralda“ in südliche Richtung abgesetzt hatte. Henry schlug sogar vor den Gefangenen einfach im Kerker verrotten zu lassen und lieber gleich der „Esmeralda“ nachzujagen, doch Greg fand, da sie nun schon einmal zu so einem günstigen Zeitpunkt hier angekommen waren, würde es sich lohnen die Gelegenheit zu nutzen. Sollte ihr Plan fehlschlagen könnten sie der „Esmeralda“ immer noch folgen.

    Greg, Henry und der Held gingen am nächsten Morgen zum Hauptquartier der Marine. Heute war der Eingang sogar noch stärker bewacht als am Vortag. Es gab drei mit Speeren bewaffnete Wachen auf jeder Seite des robusten Eisentores, dazu noch ein halbes Dutzend auf dem massiven Wehrgang. Einer von Ihnen war beinahe so groß wie Ragnar und trug eine gewaltige Armbrust, deren Bolzen vermutlich selbst die harten Schuppen eines Drachen durchschlagen konnten. Es gab eine lange Schlange vor dem Tor, denn es wollten erstaunlich viele Leute in die Marinebasis. Die meisten wurden allerdings weggeschickt, kaum, dass sie das Tor erreichten. Dem Helden fiel auf, dass es vor allem funktional ausgerüstete Männer waren, Männer wie sie selbst. Nun bemerkte er auch die vielen abschätzigen Blicke, mit welchen die besser betuchten Gäste sie bedachten. Erst jetzt ging dem Helden auf, dass ihre Chancen hereinzukommen vermutlich besser stehen würden, wenn sie sich verkleidet hätten. Die Leute, die eingelassen wurden waren beinahe ausnahmslos in edle Gewänder und Kleider gehüllt. Fast jeder trug Schmuck und wenn sie Waffen trugen so waren sie mit kunstvollen Ornamenten verziert. Auch die ernst dreinblickenden Diener der feinen Herrschaften waren ordentlich gekleidet und frisiert und selbst die Leibwachen gaben sich mit ihrem Äußeren Mühe. Ihre Stiefel waren geputzt, der Bart gestutzt und Waffen und Rüstungen penibel poliert. Den Piraten sah man dagegen deutlich an, dass sie nicht von adeliger Herkunft waren, oder in einen Sack voll Gold gefallen waren. Würden sie auch weggeschickt werden? Wie sollten sie dann an den Gefangenen herankommen?
    Um sie herum wurde munter geschwatzt.
    „Irgendwie gruselig zu so einer Auktion zu gehen. Man stelle sich nur vor, wer nicht gekauft wird muss hängen“, sagte eine in lila gekleidete Dame, während sie sich Luft zufächelte.
    „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“, sagte daraufhin ihr in Rot und Schwarz gekleideter Begleiter und hinter den beiden sagte jemand: „Gestorben wird immer.“
    Von vorne drang: „Aber wer weiß, vielleicht kann der eine oder andere heute noch mal dem Totengräber von der Schippe springen.“
    Um auf seine Meinung zu beharren antwortete der Schwarz Rot gekleidete Herr: „Wie man sich bettet so liegt man.“
    „Die kleinen Diebe hängt man, die großen lässt man laufen“, kam es brummend von einem kräftigen bärtigen Mann in schwarzer Kluft von weiter hinten, woraufhin die Edelleute ihm einen vernichtenden Blick zuwarfen.
    Der Held kannte solcherlei Gespräche aus der Heimat. Für ihn war es nicht leicht einfach ruhig abzuwarten, bis sie endlich vor zum großen Tor gehen durften. Scheinbar endlos mussten sie in der langen Reihe warten. Er fing an sich zu langweilen und begann stehend in seinem Tagebuch zu schreiben. Als sie endlich vorne angekommen waren, sahen die Marinesoldaten die Piraten wegen ihren abgewetzten Klamotten skeptisch an.
    „Ihr wollt hier wirklich rein?“ fragte eine der Wachen skeptisch.
    Es war ein schlaksiger Kerl mit rotem Schnurrbart.
    „Haha, vielleicht haben sie was ausgefressen und wollen sich stellen“, lachte ein breitschultriger Marinesoldat mit blondem Vollbart.
    Grübelnd dachte der Held darüber nach, dass sie vielleicht als Diener von irgendwem hätten hereingehen sollen, doch Greg fand eine Erklärung: „Wi sünd seefohrende Hannelsmänner. Joa, dat Wedder hett uns Klamotten slecht mitspielt, aver wenn wi eerst wohlhabend sünd, köönt wi uns ja neu inkleden. Man de, de woll hebben will, mutt eerst mal wat investeern un darüm sünd wi hier.“
    Die Wachen glotzten blöde. Hatten sie Greg vielleicht nicht verstanden? Oder kauften Sie Greg seine Geschichte einfach nur nicht ab?
    Doch dann grinsten sich der Blonde und der Rothaarige an und der Blonde sagte: „Na dann fällt es euch sicher nicht schwer die fünfhundert Goldstücke zu bezahlen, die jeder entrichten muss, der hier an der Auktion teilnehmen will.“
    Greg hätte beinahe laut losgeschimpft, doch er konnte es sich gerade noch verkneifen. Die Piraten tauschten einen vielsagenden Blick. Wenn Sie weiterkommen wollten, dann mussten sie da rein. Der Held und Greg hatten genug dabei, doch Henry nicht, also schmissen sie ihr Gold zusammen, um die fällige Summe für Henry auszulegen, der selbst nur zweihundert Goldstücke beitragen konnte. Wieder staunten die Wachen, als sie ihnen das Gold tatsächlich überreichten und sie wurden eingelassen. Der Held fand, dass der Ort für eine Sklavenauktion gut gewählt war. Rundherum gesichert würde es schwierig werden die Gefangenen mit Waffengewalt zu befreien. Wachsam gingen sie über den mit Kopfstein gepflasterten Weg durch den Torbogen hindurch in den großen eindrucksvollen Hof auf dem bereits die Holzkonstruktion stand, auf der alle, die keinen Käufer fanden hingerichtet werden würden. Dementsprechend beunruhigt sahen die Gefangenen aus, die in einer ordentlichen Reihe aufgestellt waren. Es waren zweiundzwanzig Gefangene und jeder war an Händen und Füßen an seine Nebengefangenen gekettet. Hinter Ihnen standen die Marinesoldaten mit ihren Spießen bereit, um sie notfalls zu töten, sollten sie einen verzweifelten Ausbruchsversuch wagen. Der Held konnte nicht sagen welcher von ihnen der Pirat von der Esmeralda sein sollte.
    „Was ist, wenn auch der letzte verkauft wird, oder stirbt und wir bis dahin immer noch nicht rausgefunden haben welcher unser Mann ist?“ fragte der Held den Piratenkapitän leise.
    „Maak di keen Sorgen. Lüüd vun de Marine bringen ihre Gefangenen to’n snacken, so dat se rutfinnen, wat man so allens verbrochen hett. Veranstaltungen as de hier wurrn ümmer geern genutzt, üm de Schlagkraft vun de Streitmacht vörtoföhren. Denn sünd de Börgers rohig, wiel se sich in ee seker Land wahnt un kriggt to glieker Tiet to sehn, as en paar Verbreker ophängt wurn.“
    Greg schien sich da sehr sicher zu sein und der Held fragte sich wie viele solcher Hinrichtungen er schon miterlebt hatte. Der Held war aber immer noch besorgt und er war erst beruhigt, als ein auffällig in hellblau, gelb und hellgrün Gekleideter Herold vortrat, ein Pergament entrollte und der versammelten Menge laut und deutlich vorlas: „Der erste Gefangene ist ein Vergewaltiger. Sein Name ist Fridolin. Er ist ungefähr zwanzig Jahre alt und ist weder krank noch verletzt, aber nur durchschnittlich fit. Laut eigener Aussage ist er handwerklich begabt, kann bohren, hämmern und nageln, aber er ist bei keinem Handwerksmeister in die Lehre gegangen, daher ist fraglich, ob seiner Aussage Glauben geschenkt werden sollte.“
    Der Gefangene, der also Fridolin hieß, wurde von seinem Nachbarn abgekoppelt, trug aber weiterhin Ketten an Händen und Füßen. Er wurde auf ein Podest gestellt, welches der Held erst jetzt bemerkte, da all die Leute vor ihm die Sicht darauf versperrt hatten.
    „Das Startgebot sind wie immer eintausend Goldstücke“, rief der Herold und sah danach erwartungsvoll in die Runde der potentiellen Bieter.
    Keiner rührte sich. Die Leute schauten ernst und starrten den Gefangenen nieder, der mit jeder Minute, die verstrich nervöser wurde. Der Herold schnalzte missbilligend mit der Zunge und erklärte: „Für alle, die noch nie bei so einer Auktion waren, erkläre ich noch mal schnell die Regeln. Die Gefangenen werden vorgestellt, dann wird geboten. Das Startgebot ist der Betrag, der mindestens für den Gefangenen in Gold bezahlt werden muss, damit er als Sklave in den Besitz seines neuen Herren übergeht. Bietet jemand mehr als das Startgebot, muss sich der vorherige Teilnehmer entscheiden, ob er mitzieht, oder nicht. Das höchste Gebot gewinnt. Beim Kauf erhält der Käufer eine beglaubigte Kaufurkunde.“
    Der Herold hielt kurz inne und sah in die gelangweilten und starren Gesichter der Zuschauer und setzte dann fort: „Sollte sich niemand finden, der den Gefangenen kauft, wird er am Galgen aufgehängt.“
    Als er zum Galgen wies begann Fridolin der Schweiß deutlich sichtbar übers Gesicht zu laufen.
    „Also“, sagte der Herold nun noch etwas lauter: „Wer bietet eintausend Goldstücke?“
    Niemand hob seinen Arm, oder rief ein Gebot. Die vermutlich vierzig jährige Frau mit aufgesteckten schwarzen Haaren in lila Rüschen in der Nähe des Helden wedelte sich immer noch mit einem kunstvoll gestalteten lavendelfarbenen Fächer Luft zu und starrte aus ausdruckslosen braunen Augen zu Fridolin, dann ließ sie ihren Blick über die lange Reihe der Gefangenen weiter wandern. Ihrem Blick entnahm der Held, dass sie schon bieten wollte, nur nicht auf Fridolin.
    „Wie viel Gold haben wir denn noch dabei?“ wollte der Held von seinem Kapitän wissen.
    „Also ik heff hier noch eendusenddehunnertveer Goldstücken. Dat ist allens, wat uns noch vun Samsons Gold bleven is. Disse gierigen Waken! Un wat hast du noch?“
    Der Held kramte in seinen Taschen.
    „Knapp zweitausend.“
    „Hm…“, kam es mürrisch von Greg.
    „Will denn wirklich niemand bieten?“ fragte der Herold enttäuscht, doch das war wohl nichts gegen die Enttäuschung von Fridolin.
    Mit weinerlicher Stimme bettelte er: „Bitte, tausend Goldstücke. Ihr kriegt die auch von mir wieder. Ich werde doch für euch arbeiten, egal was. Ich putz auch die Latrinen, oder hüte die Schweine, oder was immer ihr wollt.“
    Einige Männer rümpften angewidert die Nase. Offenbar wollten sie keinen weinerlichen Sklaven. Manche schauten auch angestrengt die Mauern empor in den Himmel, weil sie Fridolins verzweifelten Blick nicht sehen wollten.
    Einer der Marinesoldaten trat vor. Da er das gleiche Abzeichen hatte wie der Offizier vom Hafen, den er am Vortag gesehen hatte, vermutete der Held, dass auch er ein Offizier war.
    „Das war’s, die Zeit ist um. Den will keiner. Weg mit dem Schmutz!“
    „Nein!“ schrie Fridolin.
    „Schluss jetzt!“ brüllte der Offizier, pfiff zwei seiner Soldaten herbei und die beiden trugen den sich windenden Fridolin zum Galgen, wo ihm eine Schlinge um den Hals gelegt wurde. Der Offizier nickte einem älteren ernst dreinblickenden schnauzbärtigen Mann zu, der neben einem Hebel stand. Er nickte zurück und zog den Hebel, so dass sich eine Falltür senkte und Fridolin ruckartig nach unten gerissen wurde.
    „Immerhin gings schnell“, murmelte Greg leise und Henry fügte hinzu: „Ist ein guter Knoten, sein Genick brach sofort. Vermutlich wollen sie den feinen Pinkeln nicht zumuten wie sich die Gefangenen noch ewig winden und blau anlaufen.“
    Offenbar hing er in seiner Vorstellung fest, denn ein Ausdruck von Belustigung huschte über sein Gesicht.
    „Nächster!“ rief der Offizier und ein weiterer Gefangener wurde von dem Marinesoldaten hinter ihm von seinem Nachbarn losgemacht und grob zum Podest geschuppst.
    „Werner, ein langjähriger Unruhestifter hat im Streit einen Marinesoldaten erschlagen. Wir schätzen ihn auf Anfang zwanzig. Er kann … hm…“
    Der Herold sah auf das Pergament, von dem er ablas und runzelte die Stirn.
    „Er hat ein gewisses Talent darin seine Mitmenschen zu unterhalten. Offenbar hat er mit seinen Possen den halben Gefängnistrakt erheitert. Braucht noch jemand einen Narren?“
    Offenbar nicht, denn trotz einiger Bemühungen des Herolds fand auch Werner sein Ende am Strick. Als der nächste Gefangene vortrat, schnalzte der Herold erneut missbilligend mit der Zunge.
    „Na was ist denn los Leute? Seid ihr nur zum Zuschauen gekommen? Wie wäre es mit dem hier? Der sieht deutlich besser aus als die anderen beiden. Seht doch mal! Durchtrainiert und fit“, versuchte der Herold die Stimmung anzuheizen im Versuch die Staatskasse zu füllen und nicht den Gefängnisfriedhof.
    Tatsächlich sah der nächste junge Kerl deutlich stärker und agiler aus, als die vorherigen Verurteilten. Er war eher klein, aber drahtig. Seine kurzen braunen Haare wirkten nicht so verzottelt wie die der anderen. Offenbar hatte er versucht sich so gut wie möglich herzurichten, um eine bessere Überlebenschance zu haben. Er trug ein offenes ausgewaschenes blassrotes Hemd, das einen freien Blick auf seine trainierten Bauchmuskeln freigab und eine graue zerlumpte Hose. Schuhe trug er nicht. Als die Wache ihn grob das Podest hinauf schob verkündete der Herold: „Pirmin wurde verhaftet, als er einen erheblichen Goldbetrag aus dem Palast von König Kunibert entwenden wollte. Natürlich hätten die Palastwachen ihn schon vorher längst gefasst, aber dieser Bursche ist ein junger Magier. Nach Aussage der Wachen …“
    Wieder runzelte der Herold die Stirn und schaute dann kurz überrascht, als er weiterlas.
    „… kann er sich in ein kleines Frettchen verwandeln. Da keine magischen Hilfsmittel bei ihm gefunden wurden, wäre es möglich, dass er der hohen Magie mächtig ist.“
    Aufgeregtes Gerede brach aus.
    „Ja, das stimmt“, sagte Pirmin eifrig und sah aufgeregt in die Menge, dann flackerte sein unruhiger Blick zum Galgen. „Ich kann mich ohne Hilfsmittel verwandeln. Ist oft echt praktisch und auch sonst bin ich gescheit. Ich kann Lesen und Schreiben und kenn mich mit Kräutern aus.“
    Die Wachen schauten Pirmin scheel an, ließen ihn aber reden. Offenbar war es gestattet sich selbst anzupreisen, um einen Käufer zu finden und den Preis wohlmöglich noch in die Höhe zu treiben. So brauchte der Herold sich weniger Mühe geben. Tatsächlich waren schon ein dutzend Hände in der Luft.
    „Eintausend Goldstücke“, sagte ein Mann mit leuchtend blauem Hut.
    „Eintausendfünfhundert Goldstücke“, bot die Frau mit den lilanen Rüschen in der Nähe des Helden.
    „Zweitausend!“ rief ein grün gekleideter Herr vom anderen Ende des Hofes.
    „Zweitausendzweihundert.“
    „Zweittausendzweihundertzwei.“
    Die Gebote fielen immer höher aus. Der Herold wirkte nun zufrieden und Pirmin sichtlich erleichtert. Es war fast sicher, dass er nun nicht mehr sterben musste, doch für ihn wurde natürlich interessant wer ihn kaufen würde. Wer würde sein neuer Herr?
    „Dreitausendsieben!“ rief der grün gekleidete Herr laut vom anderen Ende des Hofes.
    Der Held bemerkte eine ausufernde Diskussion zwischen der lila gewandeten Frau und ihrem rot gekleideten Begleiter.
    „Dreitausendsieben, bietet jemand mehr?“ fragte der Herold eifrig, der nun völlig in seiner Arbeit aufging.
    „Dreitausenddreihundert“, rief die lila Frau dann kräftig und ihr Begleiter hielt sich den schüttelnden Kopf.
    Einen so hohen Betrag wollte offenbar niemand überbieten und so erhielt die lilane Frau den Zuschlag.
    „Verkauft an Lady Hanja von den Morgenblüten“, rief der Herold und es gab verhaltenen Applaus.
    Pirmin atmete erleichtert aus. Anders als seine zwei Vorgänger wurde er nicht zum Galgen geführt, sondern zur anderen Seite wo er sich neben einem Schreiber aufstellen sollte, der seinen Kaufvertrag erstellte. Die ihn umgebenden Marinesoldaten beobachteten Pirmin misstrauisch. Ihre Blicke verrieten, dass sie ihn erst vom Haken lassen würden, wenn er mit seiner neuen Herrin das Marinehauptquartier verlassen würde.
    „Der nächste Gefangene heißt Haru und dem Bericht nach zu urteilen hat er das Sprichwort „Eine Axt im Hause ersetzt den Scheidungsrichter“ zu wörtlich genommen.“
    Der Mann war zwar schon über vierzig, aber groß und kräftig, weswegen er wohl Zustimmung bei den Bietenden fand, denn für ihn wurden bis zu zweitausendzweihundert Goldstücke geboten. Misstrauisch stieg Haru vom Podest hinunter und nahm seinen Platz neben Pirmin ein. Die Gefangenen nach ihm waren Diebe, Mörder, Vergewaltiger, oder auch alles zusammen. Einer nach dem anderen wurde entweder verkauft, oder hingerichtet. Immer weniger Gefangene blieben noch übrig und die Sorge des Helden den Matrosen von der „Esmeralda“ zu finden wurde immer größer.
    „Als nächstes haben wir Hein. Er wurde wegen Diebstahl aufgegriffen, erschlug im Zorn aber zwei andere Gefangene weswegen er jetzt hier steht.“
    Hein sah überhaupt nicht beeindruckend aus. Er war weder groß noch kräftig. Genau genommen war er sehr schmal. Seine Haare waren schwarz und kurz. Auf der linken Seite seines Halses, auf Höhe des Kiefers trug er das blaue Tattoo eines Ankers.
    „Ich denke das ist unser Mann!“ sagte der Held, als er sich zu Greg neigte.
    Der Piratenkapitän brummte und sagte dann: „So abgerissen un half verhungert as he utsütt würrn wi woll nich hooch bieten mööt.“
    „Laut eigener Aussage war Hein ein paar Monate lang Seemann und kann daher Arbeiten auf einem Schiff verrichten. Er kann aber auch Fische fangen und passabel kämpfen“, informierte der Herold und sah erwartungsvoll in die Menge.
    „Dusend Goldstücke för em!“ rief Greg.
    „Tausend Goldstücke von dem Herrn mit dem Kapitänshut, bietet jemand mehr?“ fragte der Herold und sah erwartungsvoll in die Menge.
    Niemand rührte sich und daher freute sich der Held schon, dass sie so unkompliziert an den Gefangenen herangekommen waren, doch dann hörten sie eine energische bekannte Frauenstimme rufen: „Ich biete Eintausendzweihundert Goldstücke.“
    Greg, Henry und der Held sahen sich verwundert um und erblickten Kapitän Ronja in der Menge. Sie trug nicht ihre übliche Piratenkleidung, sondern ein eindrucksvolles rotes Kleid, dass sie noch viel attraktiver erscheinen ließ als ohnehin schon und einen großen weinroten Spitzhut mit einer prächtigen leuchtend roten Feder darauf. Neben ihr stand eine junge Frau mit Schulterlangen braunen Haaren, die in ein weniger auffälliges ockerfarbenes Kleid gehüllt war und ein herausgeputzter durchtrainierter Mann mit Spitzbart. Alle drei waren dem Helden wohlbekannt.
    „Verdammich nochemal. Dat Hellhag!“ schimpfte Greg.
    „Eintausendzweihundert Goldstücke von der Lady mit dem Roten Federhut“, sagte der Herold, der ganz offensichtlich einfach davon ausging, dass Ronja eine Adelige war.
    „Dausendreehunnert!“ überstimmte Greg sie.
    „Eintausendvierhundert!“ rief Ronja zurück.
    „Dusendföffhunnert“, gab Greg zurück und so schaukelte sich der Preis langsam, aber stetig immer weiter in die Höhe.
    „Wir könnten sie gewinnen lassen und ihr Hein später abjagen“, schlug der Held vor.
    Greg schnaubte und sagte dann: „Wat di in de Klauen krigt, gifft se nich wedder her.“
    „Eintausendsiebenhundert“, mischte sich plötzlich der rot schwarz gekleidete Begleiter der lila Dame ein.
    Vielleicht vermutete er, dass an diesem jämmerlich aussehenden Mann mehr dran sein musste, wenn so entschlossen um ihn gerungen wurde.
    „Zweitausend!“ rief Ronja, wohl im Versuch ihn damit zu verschrecken, doch das führte nur dazu, dass der Mann die Augen aufriss und sich in seinem Verdacht bestätigt fühlte.
    „Zweitausendfünfhundert!“ rief er laut.
    Nicht nur Hein, sondern auch die Wachen schauten irritiert.
    „Hast du Gold gefressen, oder was?“ fragte eine der Wachen deutlich hörbar den Gefangenen, doch der schüttelte nur verwundert den Kopf.
    „Tweedusendsiebenhunnerd!“ brüllte Greg.
    Der Herold rieb sich ungeniert die Hände und heizte die Stimmung weiter an.
    „Zweitausendsiebenhundert von dem Mann mit dem Kapitänshut. Ja, genau so will ich das hier sehen. Ein erbitterter Kampf um das Leben dieses Mannes. Wird er den Rest seines Lebens auf einem Schiff verbringen, oder als Knecht eines Guts? Ihr entscheidet.“
    Ronja warf Greg einen verbiesterten Blick zu, dann schrie sie: „Dreitausend Goldstücke“
    Sofort zogen Greg und der andere Bieter nach.
    „Dreedusendtweehunnerd.“
    „Dreitausenddreihundert.“
    „Viertausend!“ rief Ronja, der offenbar der Geduldsfaden riss.
    Greg biss die Zähne angestrengt zusammen. Ihm fehlte nun das Gold um weiter mitbieten zu können.
    „Dann müssen wir doch versuchen ihnen Hein abzujagen“, sagte der Held bestimmt.
    Greg brummte nur missfallend.
    „Viertausendvierhundert!“ rief der rotschwarz gekleidete Mann, obwohl seine Frau anfing mit ihm zu schimpfen.
    „Viertausendfünfhundert“, rief Ronja und blitzte den Mann wütend an.
    Endlich verstummte er. Vielleicht hatte er auch nur den Preis hochtreiben wollen.
    „Viertausendfünfhundert. Bietet jemand mehr?“ fragte der Herold.
    Niemand rührte sich mehr und nach einiger Wartezeit, fügte er hinzu: „Viertausendfünfhundert zum ersten …“
    Er setzte eine Pause um zu sehen, ob doch noch jemand nachsetzen würde.
    „zum zweiten…“
    Wieder schaute er wachsam in die Menge, doch niemand bot mehr.
    „und zum dritten. Verkauft an die hübsche Dame mit dem roten Federhut.“
    Er wirkte sehr zufrieden mit sich, denn Hein hatte bisher den deutlich höchsten Preis erzielt.
    Nach ihm kamen die übrig gebliebenen Gefangenen, doch Greg, Henry und der Held beachteten die Auktion gar nicht mehr, sondern drängelten sich bereits zum Ausgang. Greg hatte den kühnen Plan gefasst sich in einer Seitengasse auf die Lauer zu legen und Ronja und ihre Crew zu überfallen. Es war gewagt. Es musste schnell gehen und nicht zu viel Aufsehen erregen. Henry meinte, das könnte nur schief gehen, doch der Held versicherte, es würde funktionieren.
    Dort standen sie nun, in einer kleinen unscheinbaren Gasse und warteten darauf, dass sich etwas tun würde. Der Held verwendete wieder die Seelenwanderung, um nach Ronja und ihrer Crew auszuspähen, ohne sich verdächtig zu machen. Körperlos schwebte er zurück zur Auktion wo gerade der letzte Gefangene gehängt wurde. Die Käufer erhielten die beglaubigten Kaufurkunden. Der ziegenbärtige Mann, den der Held für Ronjas ersten Offizier hielt, nahm die Kettenschlaufe entgegen, an der Hein geführt werden konnte und Ronja erhielt die Schlüssel, damit sie ihrem Sklaven die Fesseln später abnehmen könnte, wenn es ihr gefiel. Als sie das Hauptquartier verließen, hatte sich ein Großteil der Menge bereits zerstreut. Der Held verfolgte die kleine Truppe um Hein und war gerade auf dem Weg zurück zu seinem Körper, um den anderen Bescheid zu geben, dass sie sich näherten, als Unruhe die Menschen erfasste. Links und rechts stürmten ein halbes Dutzend Halunken aus den Gassen, ganz so wie Greg das auch geplant hatte und versuchten einen der frisch gekauften Sklaven von dem grün gekleideten Edelmann zu befreien. Kurz war der erschrocken, gab seinen zwei bulligen Leibwachen dann aber ein Zeichen und griff sogar selbst zum Schwert. Im aufkommenden Gewühl wurde es unübersichtlich. Der Held sah noch wie Ronja und die anderen kurz stehen geblieben waren und sich dann in eine Seitengasse verdrückten, um nicht in die Probleme anderer Leute hineingezogen zu werden. Kurz zögerte der Held. Sollte er ihnen folgen, oder lieber zu seinem Körper zurückkehren und die anderen alarmieren? Er entschied sich für letzteres, denn er vermutete, dass Ronja zu ihrem Schiff zurückwollte. Kurz sah der Held noch wie ein gutes Dutzend Marinesoldaten herbeigeilt kamen, um dem Edelmann und seinen Leibwächtern beizustehen.
    „Da hinten ist die Kacke am Dampfen. Jemand hatte die gleiche Idee wie wir und hat jetzt alles aufgescheucht. Ronja hat mit ihren Leuten einen anderen Weg genommen, aber ich bin sicher sie wollen zum Schiff zurück.“
    „Verdammt!“ fluchte Greg und grummelte noch etwas Unverständliches in seinen schwarzen Bart hinein.
    „Was sollen wir jetzt machen Käpt’n?“ fragte Henry besorgt.
    Kurz war Greg still. Seine Stirn war stark zerfurcht, dann sagte er mies gelaunt: „Planänderung. Wi gehn torück zur „Murietta“ un verfolgen de „Hosianna“. Wenn Hein wat weet, denn sett Ronja en Kurs, den wi eenfach folgen werden. Wi werden an ihnen kleben blieven as de Seepocken an‘n Schippsrump.“
    „Aye!“ riefen Henry und der Held und verließen dann zusammen mit ihrem Kapitän die Gasse.
    Am Ende der breiten Hauptstraße sahen sie noch die letzten Überbleibsel des Kampfes. Fünf Männer wehrten sich noch verbissen, vier lagen ausblutend auf dem Pflaster, der Rest war bereits gefangen genommen wurden. Jetzt war sich der Held selbst nicht mehr sicher, ob Gregs Plan funktioniert hätte.
    Der Piratenkapitän sah jedenfalls nur kurz hinüber und schritt dann zielstrebig in Richtung seines Schiffes aus. Dem Helden fiel ein kleines braunes Tier mit weißer Schnauze auf, das eilig vor ihnen über die Straße flitzte. Er machte einen Satz und griff zielsicher ins fellige Genick. Das Frettchen quietschte ängstlich, aber auch empört und versuchte sich panisch strampelnd zu befreien. Der Held war erstaunt wie biegsam der kleine Körper war, doch aus seinem festen Griff konnte sich das Tier nicht befreien.
    „Was willst du damit?“ fragte Henry verständnislos.
    „Ich denke wir können jemanden wie ihn in der Crew gebrauchen“, sagte der Held sachlich und brach kurz ab, weil das Frettchen laut quietschte: „Und hier kommt er eh nicht mehr allein von der Insel weg, wenn alle nach ihm suchen werden.“
    „Joa, hör op so rumzuflennen! Du kriggst immerhin en gratis Schiffsreise vun hier weg!“ schnarrte Greg, der verstanden hatte, was der Held sich dabei gedacht hatte.
    Henry verstand es wohl erst, als sie zurück auf der „Murietta“ waren und der Held das braune Frettchen aufs Deck fallen ließ, wo es sich in einen kleinen, aber fitten jungen Mann mit braunen Haaren verwandelte.
    „Was soll das? Ich wäre auch allein klar gekommen, immerhin konnte ich mich befreien.“
    Der Held grinste und sagte dann: „Hast nur darauf gewartet, dass dich jemand kauft und kaum warst du aus dem Hauptquartier raus hast du dich verwandelt und bist aus den viel zu großen Ketten geschlüpft. Das will ich auch können. Zeig mir wie man sich in so ein Tier verwandelt!“
    Pirmin schaute den Helden irritiert an.
    „Ich wüsste nicht wie ich dir das zeigen soll.“
    „Na du hast es ja auch irgendwie gelernt und ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Verwandlung auf Raubzügen und um zu fliehen ungeheuer praktisch ist.“
    Langsam hatte sich ein Großteil der neugierigen Crew um sie her versammelt, während Greg sich knurrig abwandte und zur „Hosianna“ herüberspähte um rasch Befehle zum Ablegen geben zu können, sobald sich Ronjas Crew in Bewegung setzte. Sie hatten ihr Schiff aber noch gar nicht erreicht. Offenbar nahmen sie einen größeren Umweg in Kauf, um in keine Schwierigkeiten hineingezogen zu werden.
    „Ich … äh… hab diesen Zauber von unserer Schamanin gelernt. Ich komme von einer kleinen Insel hier im Archipel. Dort leben meine Leute in einfachen Hütten und leben als Jäger und Sammler. Manche sind magisch begabt, so wie ich und haben das Potential sich in Tiere zu verwandeln, aber das geht nicht einfach so. Es ist ein langer Lernprozess und es braucht ein Ritual, um diese alte Magie anwenden zu können.“
    „Hm… verstehe. Vielleicht kommen wir dort ja mal vorbei“, sagte der Held hoffnungsvoll und schaute dann zu Greg, der nur ein unleidliches Grollen von sich gab.
    „Willkommen auf der Murietta“, sagte Henry und grinste Pirmin breit an. „Ich hoffe, du genießt es Teil unserer Piratencrew zu sein.“
    Pirmins aufgerissenen Augen nach war dies wohl nicht der Fall.
    „Dor kamt se. Maakt allens klaar üm aftoleggen!“ befahl Greg.
    Wie immer wurden seine Befehle schnell und ohne Nachfragen befolgt und schon bald folgten sie der „Hosianna“ von der Insel weg, die Kurs nach Süden gesetzt hatte.

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    Die Schwärze der Nacht

    „Tut dat Not, dat hier so en Wuhling is?“ schimpfte Greg als er über herumliegende Leinen fiel, die er in der mondlosen Nacht schlecht hatte sehen können.
    Henry kam eilig herbeigerannt, um zu sehen was passiert war.
    „Tut mir Leid Käpt’n, da hat Pirmin wohl seine Arbeit nicht richtig gemacht. Ich nehm ihn mir gleich vor.“
    „Dat will ik ook schwer hoffen, oder ik schmeiß dieset Frettchen inne See“, keifte Greg und machte sich weiter auf den Weg zum Steuer, das er übernehmen wollte.
    Henry rauchte vor Zorn. Er hasste es wenn jemand seine Arbeit nicht richtig tat, aber ganz besonders schlimm fand er es, wenn derjenige in seinem Trupp war, denn er fand, dass dies auch ein schlechtes Bild auf ihn warf. Henry ging deswegen schnellen und entschlossenen Schrittes zum jungen Pirmin und zerrte ihn unter dessen Gejammer zum Leinenhaufen.
    „Was soll das sein?“
    „Leinen, was sonst? Ist zwar dunkel, aber das solltest du noch sehen können“, sagte Pirmin keck.
    Wütend griff Henry ihm hart ins Genick, so dass der junge Mann aufschrie.
    „Das seh ich selbst. Ich will wissen, warum du nicht richtig arbeiten kannst. Selbst eine Landratte wie du sollte das können, nachdem ich es dir gezeigt habe, oder willst du etwa behaupten ich sei ein schlechter Lehrer?“
    „Nein“, brachte der Neuzugang eilig hervor und ging immer weiter in die Knie im verzweifelten Versuch Henrys eisernem Griff irgendwie zu entkommen.
    „Dann lern schnell und mach keine Fehler mehr!“
    „Aber…“, wollte Pirmin etwas erwidern.
    „Nichts aber. Noch so‘n Ding, Augenring!“
    Mehr Zeit wollte Henry wohl nicht mit seinem Neuzugang verschwenden, denn er ließ ihn stehen, so dass Pirmin allein damit zurechtkommen musste die Leinen zu entwirren und ordentlich aufzuschießen.
    „Francis, siehst du die Hosianna noch?“ brüllte Henry den Hauptmast hoch, dessen Segel im abfallenden Wind nur leicht gebläht waren.
    Es kam keine Antwort.
    „Pennst du da oben etwa?“ brüllte Henry kurz darauf noch lauter.
    „Nein“, kam es recht schwächlich und wenig überzeugend von Oben zurück.
    „Soll ich hochkommen und dich runterprügeln?“ fragte Henry gereizt.
    Die anderen von seinem Entertrupp merkten sofort, dass dies nicht Henrys beste Nacht war. Sollte den anderen auch nur der kleinste Fehltritt unterlaufen, würde er mit ihnen das Deck wischen.
    „Scheiße!“ rief Francis plötzlich panisch von oben herunter. „Die Hosianna! Backbord querab!“
    Schockstarr standen die Piraten auf Deck zuerst nur da und warfen sich einen verwirrten Blick zu.
    „Shiet! Hotz mit de Motz! Makt euch bereit förn Kampf!“ brüllte Greg so laut, dass die ganze Mannschaft ihn hören konnte und damit aus ihrer Starre riss.
    Kaum hatte er das geschrien, sah auch der Held wie die „Hosianna“ aus der Schwärze der Nacht auftauchte, begleitet vom Donner ihrer rauchenden Geschütze, deren Kugeln kurz darauf schwer auf ihrer Backbordseite einschlugen. Von unter Deck hörten sie Schreie. Ob aus Panik, oder weil jemand verletzt, oder getötet wurde, wusste der Held nicht. Er achtete auch nicht darauf, obwohl es sein Trupp war, der bis eben noch ahnungslos in den Hängematten geschlafen hatte. Stattdessen lief er auf die Kanonen zu. Sie hatten es Gregs Misstrauen zu verdanken, dass sie geladen waren, so dass er jetzt einen Schuss abgeben konnte. Unglücklicherweise fuhr die „Hosianna“ mit voll geblähten Segeln im Wind und so schrammte seine Kugel nur über den letzten Meter des Hecks, ohne viel Schaden anzurichten. Dafür kam schon die nächste Salve von Ronjas Schiff zurück, die nun den Heckspiegel der „Murietta“ ins Visier genommen hatte. Die Erschütterung, die das Schiff traf riss die meisten Piraten von den Füßen. Mehrere Kugeln waren in die Kapitänkajüte eingeschlagen. Hätte Greg dort noch geschlafen wäre er sicher von den Kugeln, oder den umherfliegenden Splittern getötet wurden. Doch selbst auf der Brücke war der Piratenkapitän nicht sicher. Das Holz barst unter seinen Füßen und er musste vom Steuer wegspringen, um sich zu retten. Dadurch gab es nun aber keine Gegenkraft, die das Ruder stabilisierte. Die „Murietta“ drehte sich im Wind, so dass ihre Steuerbordseite nun in Richtung der „Hosianna“ driftete, deren Männer eifrig dabei waren ihre Kanonen neu zu beladen.
    „Schiett gefälligst trügg, ihr Torfköppe!“ brüllte Greg, der sich erst wieder aufrappeln musste.
    Längst war der Held auf die Steuerbordseite gehastet, doch nur ein Teil der Crew stand ihm bei. Henry schoss, verfehlte aber den Hauptmast, so dass die Kugel nur etwas Holz der Backbordreling mitnahm. Anstatt zu warten bis Brandon die Kanone neu lud, rannte Henry zur nächsten Kanone, um auch diese abzufeuern. Diesmal traf er immerhin ein Stück von der Brücke, so dass sich der Steuermann wegducken musste, um nicht als Sieb zu enden.
    „Dat is murks!“ rief Greg wütend. „Strengt euch gefälligst mehr an!“
    Nun landete der Held einen Treffer in den Rumpf. Leider war die Kugel zu hoch eingeschlagen, um wirklich schweren Schaden anzurichten. Parviz und Jürgen schossen ebenfalls. Sie verwendeten Brandkugeln und wie erhofft fing die „Hosianna“ mittschiffs an zu brennen. Sie konnten wütendes Brüllen herüberwehen hören, dann mussten sich alle Piraten der „Murietta“ aufs Deck schmeißen, um nicht von den Kanonen der „Hosianna“ getroffen zu werden. Das Pfeifen der Kanonen hörte sich äußerst bedrohlich an und auch wenn nicht jede traf, so hatte es die „Murietta“ doch übel erwischt. Der Besanmast war zersplittert und hing als einziges Trauerspiel nutzlos herab. Mehrere Kanonenkugeln hatten nun auch Steuerbords den Rumpf durchlöchert. Noch einmal schossen Gregs Piraten die Geschütze ab, doch da die Umrisse der „Hosianna“ bereits wieder mit der Schwärze der Nacht verschmolzen war es schwer sie zu treffen. Sie hörten noch ein Splittern und Parviz behauptete später steif und fest es sei seine Kugel gewesen, die die „Hosianna“ noch getroffen hatte, doch weiterschießen hatte keinen Sinn mehr. Noch blieben Henry, Brandon, Parviz, Jürgen, Greg und der Held an Deck, denn sie dachten Ronja und ihre Crew würden zurückkommen, um ihnen den Gar auszumachen.
    „Die sind weg!“ rief Francis vom Masttop herunter.
    „Du bewegst deinen Arsch jetzt sofort hier runter!“ schrie Henry ihn an. „Und du gehst rauf!“
    Jürgen, der nun ins Krähennest sollte, seufzte tief auf. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er Höhenangst hatte, doch wagte er es nicht zu wiedersprechen. Sie hörten eilige Schritte und als der Held den Kopf wandte, sah er Kettenklaus, Merik und Ludwig Eimerweise Wasser von unter Deck hochtragen und ins Meer kippen. Wenig später folgte ihnen der kleine Nils eilig, der ein ganzes Fass in die See ausleerte.
    „Hebbt ihr dat Leck bereits gestopft?“ wollte Greg wissen.
    „Sind noch dabei“, antwortete Ludwig schnell atmend und hielt einen Moment vor dem Piratenkapitän an, um ihm Meldung zu machen.
    „Na worauf töövst du denn noch? Weiterarbeiden, oder schöölt wi afsupen?“ herrschte Greg ihn an.
    Ludwig schreckte zusammen und rannte wieder unter Deck, um den anderen dabei zu helfen das Leck, das wohl beim ersten Angriff entstanden war notdürftig abzudichten.
    Währenddessen wartete Henry griesgrämig darauf, dass Francis vom Hauptmast herunterkam. Kaum hatte er Planken unter seinen Füßen machte sich Jürgen daran eilig hinaufzukommen, um außer Henrys Reichweite zu sein. Er wollte keinesfalls, dass sich dessen Zorn unglücklicherweise an ihm entlud.
    „Das ist alles deine schuld!“ raunzte Henry Francis auch sofort an und bohrte seinen Zeigefinger in dessen Brust. „Wenn du im Krähennest nicht gepennt hättest und wie befohlen Ausschau gehalten hättest, dann hättest du die Hosianna kommen sehen und wir wären vorbereitet gewesen.“
    „Ich war müde, verdammt!“ schnauzte Francis zurück.
    „Ist mir scheißegal! Nur wegen dir haben wir die einzige gute Spur, die wir seit Monaten hatten verloren!“ brüllte Henry noch lauter.
    „Jetzt schieb nicht alles auf mich!“ entgegnete Francis wütend.
    Henry kam Francis jetzt gefährlich nah.
    „Noch ein Wort und ich reiß dir die Zunge raus, um damit meine Stiefel zu putzen.“
    Francis holte Luft, überlegte es sich dann aber anders. Er sagte nichts mehr, doch starrte er seinen Entertruppführer hasserfüllt an. Sein Blick änderte sich erst, als Käpt’n Greg sich hinkend näherte. Sein linkes Bein blutete. Offenbar hatte er einige größere Splitter abbekommen. Jetzt war deutliche Angst in Francis Augen zu sehen. Greg blieb direkt vor ihm stehen und sah ihn abschätzig an, als wäre er ein Tiefseewurm.
    "Kaum to glöven, dat du een mal een vun mien Entertruppführer weerst. Du taugst zu nix, du Armleuchteralge!"
    "Du hast steifborstige vergessen“, erinnerte ihn der Held geflissentlich.
    "Dat wär für den ja noch een Kompliment“, brüllte Greg und sah Francis finster an. „Hätt ik mehr Männer, tät ik di vun Bug to Achtern Kielhol’n. Aver so werd ik dien Lohn einbehalt’n bis du allet abbetahlt hest.“
    Wieder sah es aus, als würde Francis etwas entgegnen wollen. Die Röte, die ihm beim Streit mit Henry ins Gesicht geschossen war, war längst gewichen, so dass er nun blass wie ein Gespenst aussah. Mehrmals öffnete und schloss er den Mund, wie ein Karpfen an Land, dann nickte er nur schwächlich. Greg spuckte ihm vor die Füße.
    „So a Shietkeerl!“ knurrte er, als er davonging, um sich die Arbeiten des Notausbesserungstrupps anzusehen.
    Da er unten wohl dringender gebraucht werden würde folgte der Held ihm, um sich den Schaden unter Deck anzusehen. Als er die Treppe in den Mannschaftsraum hinunterkam konnte er geradewegs durch zwei Löcher in die dunkle Nacht hinaussehen. Eine große Kerze brannte in der Ecke auf einem Fass und verbreitete schwaches Licht. Es sah übel aus. Überall lagen Holztrümmer. Die Habseligkeiten der Piraten lagen verstreut, weil wohl alle in Panik davongestoben waren. Mehrere Blutlachen bedeckten den Boden, doch die flinken Augen des Helden sahen keine Leiche. Skip richtete sich gerade schwankend vom Boden auf. Er war Käseweiß im Gesicht. Alejandro lag übel zugerichtet auf den Holzplanken, während Samuel ihm einen großen Heiltrank einflößte, um sein Leben zu retten. Der Held sah kurz zu den dreien hin, dann folgte er dem Kapitän noch weiter nach unten. Auch wenn die Löcher hier nicht schön anzusehen waren, so hatten sie nicht so hohe Priorität, wie die unterhalb der Wassergrenze. Nur mit einer Funzel als Leuchte arbeitete der Großteil der Crew hier, im knöcheltief stehenden Wasser, um den Untergang der „Murietta“ zu verhindern. Mirko und Rolf waren eifrig dabei Pech vorzubereiten, um die beiden Lecks abzudichten. Ragnar und Nils hatten die Löcher bereits mit Holzlatten zugenagelt, doch natürlich drang weiterhin Wasser durch die so entstandenen Ritzen. Kettenklaus, Merik und Ludwig schöpften immer weiter Wasser, doch Greg befahl: „Lasst dat! Bildt beter een Eimarkette!“
    Die übrige Mannschaft wurde sofort aufgestellt und alles was als Gefäß herhalten konnte wurde genutzt, um das Meerwasser so schnell wie möglich loszuwerden.
    „Wer soll denn bei diesem Scheißlicht richtig arbeiten können?“ schnauzte der ehemalige Zimmermann Rolf, der sichtlich mit den Nerven am Ende war.
    Um ihm zu helfen beschwor der Held ein magisches Licht herauf und stellte sich neben ihn und half bei der Arbeit mit. Mit roten Augen sah Rolf zu ihm hoch und murmelte: „Danke.“
    Da Mirko früher von Beruf Pechsieder gewesen war, geriet das Pech gut. Es dickte gut ein und dichtete gut ab.
    „Goot“, war das einzige was Greg zu ihrer Arbeit sagte und hinkte dann wieder die Treppe hinauf.
    Vielleicht, um sich bei Samuel verarzten zu lassen. Vielleicht, um das Schiff abzugehen und nachzusehen welche Schäden die nächsthöhere Priorität hatten.
    „So eine Scheiße!“ knurrte der kleine Nils und atmete tief aus, was sich anhörte, als würde ein Nashorn durchatmen.
    „Ich hab gehört wir haben diesen ganzen Schlamassel Francis zu verdanken“, knurrte Ragnar schlecht gelaunt.
    "Schade, dass du nicht gesehen hast wie der Käpt‘n ihn rundgemacht hat. Hat geguckt als hätte man ihm sein linkes Ei mit Glitschinese an die oberste Rah des Fockmastes geklebt“, sagte Parviz mit Galgenhumor, der nun ebenfalls hier unten stand, um in der Eimerkette mitzuschöpfen.
    „Ist doch eine gute Idee. Wäre sicher lustig zu sehen wie er da kopfüber hängen würde. Hätten wir alle mal was zu lachen“, meinte Ragnar trocken.
    Die anwesenden Piraten, die immer noch dafür sorgten, dass die von den Kanonen geschlagenen Löcher notdürftig abgedichtet wurden lachten laut und derbe los.
    „Ja, warum hat der Käpt’n das nicht wirklich gemacht?“ lachte auch der kleine Nils.
    „Wahrscheinlich hatte er keine Lust da hochzuklettern“, mutmaßte Parviz.
    „Ich kann‘s ja machen“, meinte der kleine Nils schmunzelnd.
    „Ne lass mal“, winkte der Held ab. „Greg mag es nicht, wenn man eigenmächtig seine Männer bestraft.“
    Nils gab einen tiefen dumpfen Ton, ähnlichen einem Grunzen, von sich und drückte weiter gegen die angenagelte Planken, um sicherzugehen, dass alles gut abdichtete.
    „Was meinst du? Was machen wir jetzt?“ fragte Ragnar leise.
    „Wir werden wohl den nächsten Hafen anlaufen“, mutmaßte Parviz.
    „Dich hat keiner gefragt“, knurrte der kleine Nils bösartig.
    Sie wechselten einen giftigen Blick.
    „Ich sehe das so wie Parviz“, sagte der Held und löste so die angespannte Situation. „Wir müssen große Reparaturarbeiten durchführen. Das wird mühsam und wohl lange dauern.“
    „Mal gut, dass ihr Mirko und mich habt“, sagte Rolf und wischte sich mit dem linken Ärmel den Schweiß von der Stirn.
    „Ja, gut, dass wir euch haben“, stimmte der Held zu und schlug Rolf kumpelhaft auf die rechte Schulter, im Versuch die angeschlagene Moral zu heben.
    „Das wirft uns weit zurück“, murrte der kleine Nils.
    „Leider schon“, antwortete der Held knapp.
    Während er weiter dabei half einige Notarbeiten durchzuführen dachte der Held darüber nach, ob es noch sinnvoll war weiterhin Teil von Gregs Crew zu sein. Sie hatten die „Hosianna“ verloren und damit auch Hein, das alte Crewmitglied der „Esmeralda“. Henry hatte Recht gehabt, durch diese verhängnisvolle Nacht hatten sie die beste Spur seit Monaten verloren. Es hatte sich alles verändert. Sollte der Held bleiben und darauf hoffen, dass sie diese Spur wiederfinden würden? Oder sollte er wieder auf eigene Faust losziehen und versuchen allein die Spur des Drachengoldes wiederzufinden? Der Held war sich unschlüssig. Zum einen fühlte er sich eigentlich recht wohl Teil der Crew zu sein und als er das dachte überraschte es ihn selbst, denn früher hatte er sich nie als Teil von irgendetwas gefühlt. Er war vielen Fraktionen beigetreten, doch nie für lang und immer war es Mittel zum Zweck gewesen. Nun, das war auch dieses Mal der Fall. Er war Gregs Crew beigetreten, um die „Esmeralda“ und damit auch das Drachengold wiederzufinden, doch vielleicht war er mittlerweile zu lange hier. Er sehnte sich danach wieder sein eigener Herr zu sein. Doch auch wenn es viele Streitereien in der Mannschaft gab, so gab es doch auch einen gewissen Zusammenhalt, gerade dann, wenn es hart auf hart kam. Sollte er das wirklich aufgeben? Allerdings musste er sich auch oft um die Männer in seinem Trupp kümmern. Er musste Verantwortung übernehmen und auch wenn ihm das mittlerweile nicht mehr so schwer fiel wie zu Beginn seiner Abenteuerreise, so war es ihm doch noch lästig. Allein würde er allerdings niemals über den Seeweg weiterkommen. Er brauchte eine Crew, die ein Schiff steuerte. Doch er konnte immer noch nicht navigieren. Er brauchte Greg. Er vermisste auch den Freiraum, den er als allein umherziehender Abenteurer gehabt hatte. Er hatte immer selbst entscheiden können was er wann und wie tun wollte. Als Teil der Crew musste er zumindest meistens auch auf die Befehle von Greg achten. Als die Morgensonne zwischen den Wolken hervorblinzelte hatte er sich entschieden. Er würde bleiben, doch gegen einen kurzen Alleingang würde er auch nichts einzuwenden haben.
    Geändert von Eispfötchen (20.02.2024 um 12:55 Uhr)

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    Greg humpelte in den nächsten Tagen mürrisch auf dem notdürftig geflickten Schiff herum und hing jedem im Nacken, der sich seiner Meinung nach nicht ausreichend mit seiner Arbeit beeilte. Samuel bot ihm einen Heiltrank an, doch der Piratenkapitän erwiderte, dass sie die Heiltränke aufsparen sollten und die Verletzung überhaupt kaum der Rede wert sei. Nichts was ein paar Nächte Schlaf und ein steifer Grog nicht wieder hinkriegen würden.
    Um die Moral der Crew aufrechtzuerhalten wies Käpt’n Greg Samuel an, jedem eine höhere Alkoholration zuzugestehen. Da Samuel schon sehr lange auf einem Piratenschiff arbeitete und wusste, dass die Crew niemals völlig nüchtern sein sollte, hielt er immer einen Vorrat an Maische vor, um jederzeit neuen Alkohol herstellen zu können. Eine Erhöhung der Ration bedeutete aber auch mehr Arbeit. Damit sie ihm beim Schnapsbrennen halfen, nahm der Smutje Merik und Alejandro zu sich in die Kombüse, weil er wohl der Meinung war, dass die beiden Jungen sich nicht trauen würden übermäßig davon zu naschen, anders als die älteren Piraten, die andauernd vorbei kamen, Witze rissen, um Kostproben bettelten, oder sogar versuchten die eine oder andere frisch abgefüllte Flasche zu mopsen. Samuel erwischte sie alle und auch wenn viele versuchten sich damit herauszureden, dass Greg ja versprochen hatte, es würde mehr Alkohol geben, ließ er sie damit nicht durchkommen. Die Arbeit war wohl ziemlich anstrengend, denn nach dem ersten Tag fiel Alejendro erschöpft in die Hängematte, sobald seine Schicht vorbei war und schwadronierte irgendetwas Undeutliches über schädliche Dämpfe.
    Als der Held ihnen am nächsten Tag eine große Kiste überreifen Obstnachschub in die Kombüse brachte, damit Samuel mit einem neuen Vergärungsprozess beginnen konnte, traf er auf Morgan. Der beschwerte sich melodramatisch, sein eigener Sohn hätte sich gegen ihn gestellt, weil er ihm nichts zu trinken überließ. Samuel erklärte, dass er eisern bleiben müsse, denn Nachlässigkeit könnte die ganze Crew in Gefahr bringen. Der Held hielt das zwar für übertrieben, doch er erinnerte sich daran wie genervt Samuel immer war, wenn sich Manuel und Miguel beim Alkohol bedient hatten und allen an Bord ein Klotz am Bein gewesen waren. Morgan schimpfte, dass er seinem Sohn die Ohren lang ziehen würde, sollte der Schnaps nicht gut gelingen. Das schüchterte den Jungen ein. Samuel merkte das und schickte Morgan aus seiner Kombüse. Samuel und die beiden Jungs verwerteten einen Großteil des verbliebenen Obstes, machten daraus Maische, aus der später Schnaps und Likör werden sollte, oder dörrten das Obst, damit es länger haltbar blieb.
    Jeder Pirat durfte sich jetzt einmal am Tag, immer nach der Schicht, eine Flasche Alkohol aussuchen und da Samuel bereits so viele Sorten vorbereitetet hatte, stieg die Laune der Piraten ganz beträchtlich. Es gab Mirabellenlikör, Bananenschnaps, Zitrusschnaps, Kokosrum, aber auch bewährtes wie Grog und schnellen Hering. Aufgeregt tauschten sich die Piraten über den Alkohol aus und überlegten was sie am nächsten Tag ausprobieren sollten. Meist steckte sich der Held seine Rationen nur ein, denn er sah keinen Grund sich ständig zu betrinken und man konnte ja nie wissen wann man mal noch etwas Alkohol brauchen könnte.
    Als Parviz eines Mittags beim Essen den Piratenkapitän fragte welchen Hafen sie anlaufen würden, reagierte Greg unwirsch mit Beschimpfungen. Er würde nicht haufenweise Gold an Hafensteuer und Dockmiete versenken, nur damit sie das Schiff reparieren konnten. Das würde sie ein Vermögen kosten. Gold, das sie, wie er sie schmerzhaft erinnerte, nicht mehr hatten. Außerdem würden sie sich verdächtig machen. Umso länger sie in einem Hafen blieben, umso höher war die Gefahr, dass ihnen jemand auf die Schliche käme und sie als Piraten entlarvte. Daher setzte Greg sie nun darüber in Kenntnis, dass er ein riskantes Manöver vorhatte. Er würde die „Murietta“ in einer Bucht der Insel der schroffen Klippen trockenfallen lassen. Dem Helden und vielen anderen Piraten, die noch nicht so lange dabei waren, sagte dies nichts, doch die Veteranen rissen erstaunt die Augen auf, oder holten hörbar Atem, woraus der Held schloss, dass dieses Vorgehen sehr risikobehaftet war. Immerhin war Greg zugute zu halten, dass er nun endlich alle in sein Vorhaben einweihte und von dem was er ihnen sagte, stieg er noch einmal deutlich in der Achtung des Helden. Er hätte sicher nicht daran gedacht all die Faktoren zu berücksichtigen, die für dieses Vorhaben wichtig waren.

    Als es dann so weit war, musste die ganze Crew gut zusammen arbeiten, um die „Murietta“ heil an Land zu bringen. Die Insel der Schroffen Klippen war nicht leicht zu erreichen. Wie Greg berichtete, gab es viele Untiefen, die aber auf den Schiffskarten eingezeichnet waren, so dass sich fast alle Schiffe von Ihnen fern hielten und nur den sicheren südlichen Teil der Insel anliefen, wo sie durch tieferes Wasser fahren konnten. Da der Wind hier meist von Norden wehte, bestand im südlichen Teil auch nicht die Gefahr plötzlich an die Insel gedrückt zu werden. Gerade darauf spekulierte nun aber der Piratenkapitän. Nach tagelangem mürrischem Verhalten sahen sie ihn endlich mal wieder einigermaßen zufrieden, wenn auch angespannt wegen des bevorstehenden heiklen Manövers.
    Eine steife Brise wehte und sie lagen gut im Zeitplan. Es war ein Tag nach Neumond und die Springtide hatte eingesetzt. Sie näherten sich mit auflandigem Wind rasch der nördlichen Küste. Anders als erwartet gab es im Norden keine schroffen Felsklippen. Die der Insel ihren Namen gebenden Felsen befanden sich im Süden, wo der Hafen lag, dort also wo die meisten Reisenden anlandeten und sich daher dieses Bild der Insel durchgesetzt hatte. Hier im Norden war die Küste flach. Fast mittig befand sich ihr Ziel, eine stark gekrümmte sandige Bucht. Der Weg dorthin war tückisch. Käpt’n Greg ließ Henry und den Helden vorne am Klüverbaum stehen und die Tiefe überwachen, doch die der Küste auflaufenden Wellen änderten immer wieder Größe und Form, was es ihnen erschwerte die wirkliche Tiefe festzustellen. Immer wieder mussten sie kreuzen, um den Untiefen auszuweichen. Durch den stark beschädigten und daher nutzlosen Besanmast erschwerte sich ihre Fahrt ungemein. Einmal gerieten sie in Gefahr auf einer vorgelagerten Sandbank aufzulaufen, doch durch Henrys rechtzeitige Sichtung und Gregs schnelle Reaktion ließ sich ein Unglück verhindern, denn durch den auflandigen Wind und die Tide wären sie mit großer Wucht aufgeschlagen und hätten dadurch das ohnehin malträtierte Schiff weiter beschädigt. Greg gab Befehl abzufallen und die Schoten aufzufieren, damit sie wieder auf Kurs kamen, gerade noch rechtzeitig, denn nun gerieten sie auf Legerwall, was bedeutete, dass sie sich schon relativ nah an der Küste befanden und ihren Kurs durch freikreuzen nicht mehr ausreichend verändern konnten, um noch von der Insel wegzukommen. Es gab nur noch zwei Möglichkeiten, entweder ihr Vorhaben gelang und sie würden die „Murietta“ sicher aufs Land bringen, oder sie würden verunglücken.
    Die Strömung wurde nun immer stärker und zog sie in Richtung der Insel. Die funktionstüchtigen Segel der „Murietta“ waren voll gebläht. Dem Helden war es als wäre die „Murietta“ trotz des zerstörten Besanmasts noch nie so schnell vorangekommen. Ihm kam es vor, als würden sie sich sehr schnell auf die Insel zubewegen. Schon konnte er den einladenden Palmstrand und den dahinter liegenden Dschungel der Insel erkennen. Möwen und ihm unbekannte farbenfrohe Vögel flogen über der Insel und schrien lautstark, vielleicht, weil sie sich durch das heranbrausende Schiff bedroht fühlten, doch möglicherweise herrschte hier auch immer dieser Trubel. Der Piratenkapitän gab Befehl die Segel zu reffen, um ihre Geschwindigkeit deutlich zu drosseln. Obwohl der Wind nun kaum noch Fläche hatte, um sie voranzutreiben, genügte seine Kraft vollauf, damit sie in die Bucht gelangten. Das Wasser war hier klar und von einem geradezu unwirklichen azurblau. Fische tummelten sich und stoben hektisch vom Schiff weg, als es sich näherte. Das Springhochwasser trug die „Murietta“ ungewöhnlich weit in die Bucht. Nun ließ Greg die Segel einholen, so dass sie nur noch vom Hochwasser langsam weiter getrieben wurden. Der Held fragte sich wie lange sie noch fahren würden. Bewegten sie sich überhaupt noch? Das Ufer war noch einige Meter entfernt, so dass der Held überrascht war, als der Kapitän Befehl gab den Anker fallen zu lassen. Wollten sie etwa doch nicht anlanden?
    „Ich dachte wir wollten stranden? Bringen wir die Murietta doch nicht ans Ufer?“ fragte er laut, indem er sich halb herumdrehte, um Greg sehen zu können, der immer noch am Steuer stand.
    Henry und Alligator Jack begannen laut zu lachen. Selbst Gregs Mundwinkel umzuckte ein Lächeln.
    „De Över kummt to uns“, gab er zurück.
    Was das bedeuten sollte erfuhr der Held erst später. Greg gab Befehl das Beiboot auszusetzen und einen Teil der Mannschaft an Land zu bringen.
    „Fällt so viele Palmen wie möglich! Die gibt es hier ja genug. Wir brauchen viel Holz für die Sicherung der Murietta, aber auch für die Reparaturen und als Feuerholz. Los bewegt euch!“ befahl Henry barsch.
    Daraufhin war aus fast jedem Piratenmund ein unmotiviertes abfallendes Ah zu hören. Keiner sah danach aus, als wenn er Lust hätte heute noch mit der Arbeit anzufangen.
    „Wenn ihr die Palmen fällt und die Stämme danach aushöhlt wird sich Saft bilden aus dem ich dann Palmwein machen kann. Aber nur wer mitgemacht hat, kriegt auch was ab“, setzte Samuel hinzu und hatte sofort die Aufmerksamkeit der meisten Piraten gewonnen, die nun ein interessiertes aufsteigendes Ah hören ließen und sich sofort an die Arbeit machten.
    Henry sah Samuel anerkennend an, der ihm dann verschmitzt zuzwinkerte.
    Damit die Arbeit schneller voranging beschwor der Held seinen Steingolem herauf. Bob, der Golem war gut darin die Palmen aus dem Sandboden zu reißen, zu schultern und dann unter Anweisung des Helden ins Wasser zu stapfen und unter den Kiel der „Murietta“ festzuklemmen. Die Arbeit war langwierig und wie dem Helden am nächsten Morgen auffiel war der Wasserspiegel bereits leicht gefallen, so dass vorne nur noch eine Handbreit Wasser unter dem Kiel war. Die inneren Palmstämme lagen bereits auf und die neuen abgeholzten Stämme konnten nun festgeklemmt werden, ohne, dass sie nach oben weg trieben. So arbeiteten sie sich weiter bis die Zeit des Springhochwassers abgelaufen war und sich das Wasser weiter zurückzog. Da die „Murietta“ ein vergleichsweise flaches Schiff war und durch die Palmstämme stabilisiert wurde lag sie beinahe gerade auf dem nun breiten, wenn auch noch nassen Sandstrand auf. Zufrieden legte ein Teil der Mannschaft die Arbeit nieder und besah sich das Schiff in dieser ungewohnten Position.
    „Wie viel Zeit haben wir, um die Reparaturen durchzuführen?“ fragte der Held, weil er beabsichtigte sich weiter auf der Insel umzusehen.
    „Zehn Tage, dann setzt die Springzeit erneut ein und wir sollten hier wegkommen, wenn wir nicht weitere vierzehn Tage hier liegen wollen“, informierte Alligator Jack ihn.
    „Was spricht dagegen?“ wollte Ludwig wissen.
    „Ach ich weiß nicht …“, sagte Parviz scheinbar in fröhlichem Ton, nur um dann plötzlich umzuschwenken und biestig zu brüllen: „Vielleicht die Paladine, die uns verfolgen und aufknüpfen wollen? Oder die Piratenbraut, die sich in der Zeit das Gold unter den Nagel reißen könnte?“
    Ludwig zuckte selbst unter diesem Gebrüll nicht zusammen. Der Held musste zugeben, dass dieser Mann Nerven aus Stahl hatte. Einen Moment war es still.
    „Eigentlich hatten wir doch Glück“, meinte Brandon dann gut gelaunt.
    „Glück? Das nennst du Glück?“ polterte Parviz los. „Dann will ich nicht wissen wie Pech bei dir aussieht.“
    „So, dass wir alle Tot sind zum Beispiel“, gab Brandon in verbissenem und beleidigtem Ton zurück.
    Erneut breitete sich Stille aus, dann sagte Alligator Jack: „Wo er Recht hat. Wir sind in dieser Bucht gelandet wie ein Pirat auf Landgang im Schoß einer Hure …“
    „Eben!“, sagte Brandon energisch. „Und alles weil wir nicht mehr dreizehn Mann im Trupp sind. Ich habe es euch doch gesagt, aber wollte einer auf mich hören? Glück hatten wir, unverschämtes Glück.“
    Er hielt kurz inne, weil Greg an ihnen vorbeigehumpelt kam und ihm einen düsteren Blick zuwarf. Ganz offensichtlich empfand er ein halb kaputtes Schiff und ein verletztes Bein nicht als Glück. Doch der Piratenkapitän hatte ganz offensichtlich anderes zu tun, als sich mit seiner Mannschaft zum Thema Glück auseinanderzusetzen. Doch Brandon hielt an seiner Überzeugung fest.
    „Nicht einer ist bei diesem Angriff gestorben und das obwohl wir völlig überrascht waren, obwohl wir überhaupt keine Chance hatten uns vorzubereiten und obwohl ein Großteil der Crew geschlafen hat. Stellt euch nur vor was passiert wäre, wenn nicht nur eine, sondern mehrere Kugeln mitten durch unseren Schlafplatz geschlagen wären. Wir hätten sicher einen Großteil der Mannschaft verloren. Und was wäre passiert, wenn der Käpt’n nicht kurz vorher aufgestanden und ans Steuer gegangen wäre? Was würden wir ohne ihn tun? Ohne ihn kann uns doch keiner übers offene Meer führen.“
    „Kann keiner der Entertruppführer navigieren?“ wollte Ludwig überrascht wissen.
    „Nein“, kam es fast schon empört von Alligator Jack, Parviz und dem Helden zurück.
    „Navigieren ist eine hohe Kunst, da muss man sich erst reinfinden, außerdem ist es unglaublich kompliziert“, meinte Alligator Jack etwas schwammig.
    „Aha“, kam es wenig überzeugt von Ludwig zurück.
    „Oder kennst du etwa jemanden, der das kann?“ fragte Parviz garstig.
    „Ich … äh… nein“, gab Ludwig stammelnd zu.
    Er wurde vor Nervosität leicht rot im Gesicht und blickte rasch zu Boden, was den Helden überlegen ließ, ob er sich in ihm geirrt hatte.
    „Ich hätte gedacht, dass Henry das vielleicht kann“, sagte der Held.
    „Ach Henry tut gerne so, als könnte er den Käpt’n vertreten, wenn’s drauf ankommt, aber auch wenn er viel vom Führen eines Schiffes weiß, navigieren kann er nicht. Das kann nur der Käpt’n, was heißt, dass wir ohne ihn aufgeschmissen sind“, erklärte Alligator Jack.
    „Ist aber reichlich leichtsinnig alles von einem einzelnen Mann abhängig zu machen“, meinte der Held, der eine Chance witterte. „Wir sollten ihn dazu überreden, dass er zumindest uns Entertruppführern beibringt zu navigieren, so dass wir ihn zur Not vertreten können.“
    Alligator Jack und Parviz lachten laut los.
    „Das glaubst du doch selber nicht. Der Käpt’n bringt uns das mit voller Absicht nicht bei, damit wir auf ihn angewiesen sind. So lange er unersetzlich für uns ist fangen wir nicht an zu meutern“, knurrte Parviz.
    Alligator Jack kniff sein gesundes Auge zusammen und sagte: „Klingt fast so, als hättest du wieder daran gedacht es zu versuchen.“
    Als der Held das hörte verstand er endlich warum Greg Parviz in Sturmkap zunächst nicht an Bord hatte nehmen wollen, obwohl sie unbedingt Männer gebraucht hatten.
    „Deswegen ist er dir gegenüber also so misstrauisch. Du hast mal versucht gegen ihn zu meutern.“
    Parviz schnaubte wütend und warf Alligator Jack einen vernichtenden Blick zu. Ganz offensichtlich hasste er ihn dafür, dass er es laut ausgesprochen hatte. Auch Ludwig riss erstaunt die Augen auf. Brandon nahm es dagegen gelassen hin. Offensichtlich war er damals dabei gewesen. Parviz sah man an, dass er nicht gern daran zurückdachte.
    „Ja, hat nur nicht geklappt. Ich dachte ich könnte ihn im Schlaf mit meinen Zaubern überwältigen, aber der Typ ist so aufmerksam wie eine khorinische Muräne. Hat mich und alle die mit drin hingen mitten in der Nacht über Bord werfen lassen. Nur mit Glück und eisernem Willen hat ein Teil von uns es zur nächsten Insel geschafft. Enrico, Edgar und ich sind der klägliche Rest, der keinen anderen Weg sah als sich euch viele Jahre später wieder anzuschließen.“
    Jetzt wo der Katzenhai aus dem Sack war, schien Parviz das unbedingt hatte erklären zu wollen. Es war ganz offensichtlich, dass er mit der Gesamtsituation unzufrieden war.
    „Hätte mir mein Leben auch anders vorgestellt.“
    „Wieso bist du mit Greg unzufrieden?“ fragte der Held gerade heraus.
    Alligator Jack pfiff nur abschätzig und guckte in den Himmel, was Parviz dazu bewog ihm wieder einen giftigen Blick zuzuwerfen.
    „Wo soll ich anfangen? Er ist ständig nur am Schimpfen und meckern, obwohl wir uns für ihn halb tot schuften, dann versteht man ihn oft nur halb, er behält das meiste der Beute für sich und ich glaub er zweigt sich noch mal kräftig was ab, denn so viele Hafengebühren und was weiß ich kann es doch gar nicht geben, dass am Ende von all den Raubzügen nur so wenig übrigbleibt.“
    „Und damit zeigst du, dass du überhaupt keine Ahnung hast wie ein Schiff geführt werden muss und was alles mit dran hängt“, sagte Alligator Jack ungewohnt barsch. „Es geht um mehr als nur Befehle zu erteilen. Du willst gern jemand sein, der von allen respektiert wird, aber das muss man sich erst verdienen. Als Käpt’n muss man allerhand Wissen und auch Erfahrung mitbringen und das hast du alles nicht. Mit dir als Käpt’n kämen wir nicht weit.“
    „Vor allem da er nicht navigieren kann“, fing der Held wieder damit an. „Meint ihr nicht auch, dass es irgendeine Möglichkeit gäbe ihn zu überreden es uns beizubringen? Wir haben ihm doch oft gezeigt, dass er sich auf uns verlassen kann.“
    „Ach?“, fragte Alligator Jack und verzog das Gesicht. „Meinst du als du die Paladinfestung angezündet hast, oder als du Dämonen auf die Pirateninsel losgelassen hast, oder …“
    „Jetzt fang doch nicht wieder mit diesen alten Geschichten an…“, wollte der Held ihn unterbrechen.
    „Alt? Höchstens ein paar Monate“, meinte Alligator Jack unbeeindruckt.
    „Ich hab doch auch viel für die Crew getan. Denk nur an den Unterwasserschatz den ich mit Alejandro geborgen habe, oder wie ich den Reichsapfel geklaut habe, oder wie ich den untoten Orkschamanen tötete.“
    „Ja, aber wenn deine guten Taten zählen, dann auch die schlechten,“, gab Alligator Jack zu bedenken.
    „Gute Taten?“ platzte es ungläubig aus Ludwig heraus.
    Alligator Jack achtete nicht weiter auf ihn, sondern fügte seinen eigenen Worten hinzu: „und die Fahrt mit dir hat gezeigt, dass du jemand bist bei dem man nicht wissen kann was passiert. Was ist wenn du auf einmal keine Lust mehr hast bei uns zu sein und abhaust, so wie das letzte Mal? Oder was ist, wenn du wieder eine Mission vermasselst, weil du meinst es besser zu wissen, oder du zu schnell zum Schwert greifst? Der Käpt’n wird nur demjenigen das Navigieren beibringen von dem er glaubt, dass er es wert ist seinen Platz im Notfall einzunehmen. Jemanden der Ahnung von der Seefahrt hat, der die Crew anführen kann, auf den Verlass ist und am vielleicht wichtigsten, dem er voll und ganz vertrauen kann. Und all das trifft auf keinen von uns zu. Einzelne Punkte schon, aber nie alles. Jeder von uns versteht es seinen Trupp zum Arbeiten zu bringen, auf seine Weise, aber es funktioniert. Henry weiß am meisten über die Seefahrt, aber der Käpt’n vertraut ihm nicht ganz. Ich bin nicht gut im Anführen. Mein Trupp tut was er soll, weil ich mich mit allen ganz gut verstehe, aber als Käpt’n ein ganzes Schiff zu führen, das ist nichts für mich. Und Parviz… na da brauchen wir ja nicht mehr drüber reden“, winkte Alligator Jack zum Ende hin ab.
    „Dieses Manöver heute hat mich beeindruckt“, gab der Held zu. „Ich frage mich immer noch woher er gewusst hat, dass wir so hier anlanden können.“
    „Ich weiß, dass die Gebiete, die besonders stark von den Gezeiten betroffen sind in den Seekarten eingezeichnet sind“, sagte Ludwig.
    „Und was ist mit dem Wasser? Noch gestern hätten wir bis zur Hüfte im Wasser gestanden. Wieso sind die Gezeiten hier so stark?“ fragte der Held.
    „Das hängt mit dem Zusammenwirken von Mond und Sonne zusammen“, erklärte Ludwig, was alle staunend zu ihm sehen ließ. „Bei Neu- und Vollmond bilden Sonne, Erde und Mond eine Linie. Dadurch wird die Wirkung von Sonne und Mond verstärkt. Aller vierzehn Tage haben wir einen halben Mondumlauf. Da es jetzt Ende Februar ist, wäre die nächste Springzeit Mitte März.“
    Alle sahen ihn stumm und erstaunt an. Parviz rechte Augenbraue hatte sich weit gehoben und sein Gesicht sah aus, als hätte er eine Lähmung. Brandon war der Unterkiefer heruntegeklappt und Alligator Jack und er Held schauten ihn einfach nur mit großen Augen an. Der Held war der erste, der die Stimme wiederfand.
    „Woher kennst du dich so gut aus?“
    Wieder wurde Ludwig leicht rot, sagte aber schnell: „Bevor ich ein paar schlimme Fehler begangen habe war ich lange Teil der Crew eines Handelsschiffs.“
    „Was denn für Fehler?“ bohrte der Held weiter nach.
    „Zu viel Alkohol im Dienst und .. naja ein paar Frauengeschichten“, gab Ludwig zu und starrte zu Boden.
    Brandon, Alligator Jack und Parviz lachten. Parviz legte ihm sogar kumpelhaft eine Hand auf die linke Schulter.
    „Dann bist du bei uns genau richtig. Weiber in jedem Hafen und Alkohol so viel wie geht. Wie hat dir eigentlich dieser Kokosrum geschmeckt?“
    „Koin rumpalavern mehr! Knojen!“ hörten sie plötzlich die barsche Stimme des Piratenkapitäns hinter sich.
    Wer eben noch so beredt zusammengestanden hatte, schreckte nun auf. Alligator Jack wurde mit dem größten Teil seines Trupps zur Jagd und dem Aufspüren einer Frischwasserquelle ausgeschickt, während die anderen Piraten das Schiff instand setzen sollten. Diejenigen, die den Kapitän besonders enttäuscht hatten mussten die Seepocken von der Unterseite des Schiffes lösen was eine furchtbare Arbeit war.
    Für den Helden hatte Greg eine besondere Aufgabe. Vielleicht hatte sich der Piratenkapitän schon gedacht, dass sein ganz besonderer Entertruppführer stiften gehen könnte und wollte ihn von sich aus losschicken, damit es nachher nicht hieß hier würde niemand auf Befehle hören.
    „Ik bruuk een, de de Insel utforst. Een, de op sik oppassen kann un den ik nich wedder hinterherrennen mutt. Is en half Leven her, sietdem ik toletzt hier weer un ik will geern weten, wat hier noch allens is. Wenn ik mi recht besinn, is na Süden en Stadt, aver en zerklüfteter Felsgrat versperrt den Weg dar hen. Mutt sehn, wo du hochkummst.“
    „Kann ich auch mitgehen Käpt’n? Vier Augen sind besser als zwei“, mischte sich Ludwig ein.
    Greg brummte kurz, wusste aber wohl nicht warum er diese Bitte ablehnen sollte.
    „Von mi ut.“
    „Ich möchte auch noch gerne jemanden aus meinem Trupp mitnehmen“, sagte der Held.
    „In Ordnung, aver denn reckt dat ok, de Rest schall hier blieven un arbeiden un sik keen schöön Dag maken“, sagte der Kapitän und ging davon.
    Der Held wusste schon genau, wen er aus seinem Trupp mitnehmen wollte: Alejandro. Es war gar nicht anders gegangen, als zu merken wie unglücklich der Junge in letzter Zeit war. Zuerst dachte er noch, er hätte sich über das Schnapsbrennen gefreut, denn als der Held die erste Fuhre Obst in die Kombüse brachte war er ganz angetan vom Alchemietisch und hatte Samuel aufmerksam zugehört. Doch je länger er dort hatte arbeiten müssen, umso mehr hatte sich seine Freude in Frust gewandelt. Er fand den Jungen bei Skip. Sie waren dabei eine Palme in Stücke zu hacken, um für heute Abend Feuerholz vorzbereiten.
    „Hast du Lust auf ein Inselabenteuer?“ fragte der Held Alejandro.
    Der schaute erstaunt und verwundert. Ganz offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet so schnell hier wegzukommen. Der Held meinte Angst in den Augen des Jungen zu erkennen, aber auch eine gewissen Sehnsucht. Doch wonach? Sehnsucht danach die Insel zu erkunden, oder einfach nur vom Schiff wegzukommen?
    „Wer ist denn noch dabei?“ fragte Alejandro.
    „Ludwig“, gab der Held knapp zurück und wies mit dem Daumen hinter sich.
    Der schwarzhaarige durchtrainierte Mann kam gerade angetrabt und schlug vor: „Wenn da wirklich ein hoher Felsgrat zwischen uns und der Stadt ist, wäre es sinnvoll ein Kletterseil mitzunehmen.“
    „Gute Idee“, lobte der Held und da er davon ausging, dass Alejandro mitkommen würde, ging er nun zum Schiff zurück.
    Über Strickleitern kamen sie die „Murietta“ hinauf und gingen übers Deck bis zur Treppe, die sie hinunter in den Lagerraum steigen. Alle Ersatztrossen, -seile und -bändsel waren ordentlich verstaut. Sie suchten ein möglichst langes Seil, das noch nie gerissen war und auch keine Anzeichen von Abnutzung oder Ausfransung aufwies. Immerhin ging es darum, ob das Seil während ihres Klettereinsatzes reißen könnte. Ludwig und Alejandro nahmen noch etwas Proviant mit und dann konnte es schon losgehen.
    Geändert von Eispfötchen (16.03.2024 um 14:34 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Insel der schroffen Klippen

    Der Weg durch den Dschungel war sehr mühsam. Der Held ging voran und nutzte ein Bastardschwert, um sich durchs Gestrüpp zu hacken. Um Uriziel zu schwingen wäre nicht ausreichend Platz gewesen. Die Bäume waren so umwuchert, dass sie sich selbst kaum durch Lücken zwängen konnten. Lästige fliegende Insekten schwirrten in großen Wolken umher und die Luftfeuchtigkeit war hier viel höher als in der Bucht, wo noch eine leichte Brise geweht hatte. Ludwig ertrug die mühsame Wanderung ohne Murren, doch Alejandro ächzte und stöhnte immer mal wieder, traute sich aber wohl nicht wirklich zu jammern. Tiere sahen sie kaum, weil sie so viel Lärm veranstalteten. Der Held stieß auf Spuren von Molerats und hörte hin und wieder das Geräusch schnell schlagender Flügel, wie von Blutfliegen, doch es kam ihnen nichts gefährliches aus dem Dschungel entgegen gesprungen oder geflogen. Ein wenig skeptisch dachte der Held darüber nach. Auf Khorinis und in Myrtana kamen die meisten gefährlichen Tiere heran, wenn sie Lärm hörten, weil sie auf gute Beute hofften. Entweder war hier also nur nichts was einem Menschen gefährlich werden könnte, oder es wartete ab. Als sie einmal eine kleine Lichtung erreicht hatten, glaubte der Held flüchtig einen Schatten über ihnen gesehen zu haben, doch als er hinaufschaute sah er nichts, doch die Abendsonne blendete ihn auch. Wachsam sah er sich weiter um, doch als er nichts weiter finden konnte trieb er seine kleine Gruppe weiter.
    „Können wir nicht mal eine Pause machen?“ fragte Alejandro jammernd.
    „Ja, wir können keine Pause machen“, antwortete der Held, der ihn wohl nicht ganz verstanden hatte, oder nur nicht richtig verstehen wollte.
    „Nein, ich meine … lass uns doch kurz ausruhen.“
    „Wenn wir noch bis zu den Klippen kommen von denen Greg erzählt hat, können wir da übernachten. Nachts werden wir eh nicht übers Gebirge klettern“, gab der Held zurück.
    „Und wie weit ist es noch bis dahin?“ fragte Alejandro bang, weil er diese Berge noch nicht einmal sehen konnte.
    „Irgendwo in diese Richtung“, zeigte der Held und wedelte mit der rechten Hand vor sich herum.
    Alejandro stöhnte leise und murmelte sarkastisch: „Toll.“
    So gingen sie weiter. Von Alejandro hatte der Held erwartet, dass er sich schwertun würde, doch er war positiv überrascht von Ludwig. Auch in den kommenden Stunden hörte er kein Klagen von ihm, kein Stöhnen, oder Schimpfen, während Alejandro irgendwann so frustriert war, dass er gefühlt jede Liane und Wurzel beschimpfte, die ihn behinderte. Erst als die Nacht hereinbrach erhob Ludwig die Stimme: „Wenn wir weiter im Dunkeln umhergehen, könnten wir uns verirren.“
    „Ach was, es ist recht hell“, gab der Held zurück und zeigte hoch ins Sternenfirmament.
    Der Mond war heute nicht zu sehen, so dass es gar nicht so hell war wie der Held vorgab und da sie sich die meiste Zeit unterhalb des Blätterdaches befanden, drang nicht allzu viel des wenigen Lichts herunter.
    „Au! So ein Scheiß!“ murrte Alejandro erneut, als er mal wieder über eine Wurzel gestürzt war, die er im Dunkeln nicht hatte sehen können.
    Ludwig half ihm hoch und rief dem Helden zu, der einfach weiter gegangen war: „Wenn wir weiter so machen bricht sich der Junge noch etwas und dann sind wir aufgeschmissen.“
    „Wenn sich Alejandro so ungeschickt anstellt, dass er sich etwas bricht, dann kann er sich selbst mit Magie heilen“, gab der Held kühl zurück.
    „Hast es nicht einfach mit ihm“, flüsterte Ludwig dem Jungen zu.
    „Wem sagst du das. Oft wünschte ich, ich wäre nie zum Hafen gegangen. Ich hätte ja auch nie gedacht, dass die „Murietta“ ein Piratenschiff ist“, sagte Alejandro jammernd.
    Ludwigs Gesicht verzerrte sich mitleidig und er nickte.
    Sie stöhnten einmal kollektiv und gingen dann dem Helden nach, der gar nicht auf sie gewartet hatte, sondern scheinbar unermüdlich einen Weg freischlug. In seinen Augen trödelten seine Weggefährten unnötig herum und er hasste es auf sie warten zu müssen.
    Endlich schlug er die letzten großen breiten Blätter weg, die ihn behinderten und gelangte auf eine Lichtung. Dort sah er eine Gestalt stehen, die ihn wohl bemerkt hatte, denn sie kam auf ihn zu. Neugierig ging der Held auf den Unbekannten zu und behielt sein Bastardschwert fest in der Hand. Als Ludwig und Alejandro ihn einholten, konnte der Held die Gestalt deutlicher sehen. Im schwachen Licht war es schwer zu sagen, aber der Held schätzte ihn auf über Vierzig. Er sah fit aus, hatte lange elegant gelockte blonde Haare, die ihm weit über die Schultern fielen und einen gepflegten dünnen Bart, dessen beide Enden bogenförmig leicht nach oben gerichtet waren. Er trug ein adrettes dunkelblaues Hemd und eine noch dunklere Hose. Ein azurblauer Umhang, der an ebenso gefärbten Schulterpolstern befestigt war, ließ ihn noch edler wirken, vermittelte aber gleichzeitig auch Abenteuerlust, so wie der hochwertige Meisterdegen, der in einer Lederscheide mit Metallbeschlag an seinem schwarzen Gürtel befestigt war. Er fiel durch seine silberne Schnalle auf, auf der ein Wellenmuster eingraviert war. Er trug eine blau gefärbte lederne Umhängetasche. Sein Äußeres ließ diesen Mann fehl am Platz erscheinen, doch durch sein Auftreten passte er wieder in diese raue Umgebung. Dieser Mann strahlte mit jeder Faser Selbstvertrauen aus und er bewegte sich auf eine Art, die deutlich werden ließ, dass er sich oft in der wilden Natur zurechtfinden musste.
    „Adanos zum Gruß Reisende. Habt ihr zufällig einen schlaksigen Jungen gesehen? Ein rechtes Milchgesicht. Kaum Muskeln am Körper, läuft meist etwas krumm.“
    „Nein, haben wir nicht gesehen“, antwortete der Held und Ludwig und Alejandro schüttelten unterstützend die Köpfe.
    Der Mann stöhnte theatralisch und sagte dann: „Ich muss ihn unbedingt wiederfinden. Ich will mir gar nicht vorstellen was ich mir vom hohen Rat der Aquatischen Akademie anhören werden muss, wenn ich schon wieder einen Lehrling verloren melde.“
    „Was ist die Aquatische Akademie?“ wollte der Held sofort wissen.
    „Oh, das wisst ihr nicht?“ fragte der Mann und zwirbelte verwundert seinen dünnen Bart zwischen seinen Fingern. „Es ist der Ausbildungsort und Hauptsitz der Wassermagier vom Archipelkönigreich.“
    „Dann bist du ein Wassermagier?“ fragte der Held und musterte den Mann erneut von Kopf bis Fuß.
    „Ja, ich heiße Tareskaides“, kam es knapp zurück.
    Der Held kratzte sich am Kopf.
    „Einen Wassermagier wie dich habe ich noch nie gesehen. Sonst tragen Magier doch immer weite Roben und so.“
    „Das ist aber recht unpraktisch bei Feldstudien. Außerdem sieht es furchtbar aus, findest du nicht? Etwas mehr Stil macht auch viel mehr Eindruck bei der Damenwelt.“
    Der Mann lächelte schneidig und erklärte dann weiter: „Es gibt so viele Inseln im Archipelkönigreich, dass nicht jede Insel eine Kirche oder einen Tempel mit einem Wassermagier bereitstellen kann. Daher gibt es fahrende Wassermagier wie mich, die von Insel zu Insel reisen, den Menschen helfen und dabei ihren Studien nachgehen. Ich bin derzeit in eigener Sache unterwegs und nun stehe ich da, ohne Lehrling, der sich wer weiß wo in diesem Dschungel verirrt hat. Dabei wollte er doch nur kurz seine Notdurft verrichten.“
    Er seufzte.
    „Nicht mal das kriegen die Novizen heutzutage hin.“
    Er blieb kurz still, dann fragte er: „Und wohin seit ihr unterwegs?“
    „Wir wollen in die Stadt. Die liegt doch dort hinter den Felsklippen, oder?“
    „Ja, genau.“
    Der Held überlegte, ob er dem Wassermagier helfen sollte, denn es könnte nützlich sein sich mit ihm gut zu stellen und auch wenn die Suchaufgabe nur ein kleines Abenteuer versprach, so war es doch immerhin ein Abenteuer.
    „Wir helfen dir deinen Novizen zu finden“, beschloss der Held und ohne zu fragen hatte er so für Ludwig und Alejandro mitbestimmt.
    Die widersprachen ihm aber auch nicht, also hielt er es für Zustimmung.
    „Das hör ich gern, doch wie wollt ihr mir helfen? Der Dschungel ist groß. Es wird lange dauern ihn zu finden, falls er nicht schon auf Schwierigkeiten gestoßen ist, denn die Dschungel können gefährlich werden.“
    Bei diesen Worten sah Alejandro unglücklich aus.
    „Was denn für Gefahren?“ wollte der Junge mit dünner Stimme wissen.
    „Ach, Ungeheuer, gefährliche Pflanzen, giftige Pilze, Räuber, Piraten, wer weiß was sich hier alles herumtreibt."
    Während Tareskaides dies sagte und abwertend mit der rechten Hand in der Luft herumwedelte, hatte der Held seine magische Hosentasche nach dem Amulett des suchenden Irrlichts durchwühlt. Als er es fand und anlegte, erschien das hellblau leuchtende Irrlicht sofort und sirrte vergnügt, da es endlich wieder aus seinem Amulett kam.
    „Oh, ein Amulett des suchenden Irrlichts. Die sind selten. Wie bist du da herangekommen?“ fragte der Wassermagier skeptisch.
    „Ich war selbst mal für eine kurze Zeit ein Wassermagier und habe auch später noch für sie gearbeitet. Einer von Ihnen gab mir dieses Amulett und ein anderer bildete es für mich aus, damit es mir half Dinge zu finden. Ich hab damals für die Wassermagier uralte Tempel erforscht.“
    „Das hört sich nach einem schönen Abenteuer an“, sagte Tareskaides und seine blauen Augen leuchteten förmlich bei dem Gedanken an versunkene Tempel. „Warum wurdest du aus dem Kreis der Wassermagier ausgeschlossen?“
    „Äußere Umstände“, antwortete der Held knapp und Tareskaides bohrte nicht weiter nach.
    Er hielt das vielleicht für indiskret.
    „Hat dein Novize Spruchrollen, oder magische Tränke bei sich? Die kann das Irrlicht leicht aufspüren.“
    „In der Tat. Andreas trägt all unsere Sachen und natürlich sind da neben unserer Ausrüstung und Proviant auch magische Tränke und Spruchrollen dabei. Das ist ein weiterer Grund warum ich ihn finden muss.“
    Ohne weitere Verzögerung wandte sich der Held an das suchende Irrlicht und befahl ihm nach magischen Tränken zu suchen. Das Irrlicht sirrte einmal laut und machte sich dann sofort auf die Suche. Zuerst flog es einmal im Kreis auf der Lichtung herum, bis es wohl eine Spur gefunden hatte und bog dann geradewegs in das Dickicht des Dschungels ein. Der Held und seine Begleiter hatten Schwierigkeiten dem Irrlicht zu folgen. Das magische Lichtwesen konnte einfach durch das Gebüsch fliegen, doch die Männer kamen nur schlecht voran. Wieder hieb der Held mit seinem Schwert den Weg frei, doch das brauchte Zeit. Immer wieder flimmerte das Irrlicht ein Stück weit entfernt aufgeregt, oder flog hektisch hin und her, oder auf und ab, weil es wollte, dass sie sich beeilten.
    „Sehr ungeduldig, nicht wahr?“ fragte Tareskaides.
    Der Held zuckte nur mit den Schultern.
    „Ich kenn nur das. Ich weiß nicht wie andere suchende Irrlichter sind. Wilde Irrlichter sind selten und meist greifen sie an, wenn man sich zu weit nähert, deswegen habe ich nicht viel Zeit mit ihnen verbracht.“
    „In der Tat selten…“, begann Tareskaides und verstummte dann.
    Es war ihm anzusehen, dass er nachdachte. Im Dunkel der Nacht war nur das beständige Schlagen des Bastardschwerts auf Holz und Blätter zu hören und hin und wieder das aufgeregte Sirren des unruhigen Irrlichts. Jetzt wo noch jemand dabei war, hielt Alejandro sich mit seinem Gejammer etwas zurück.
    „Du kommst aus Myrtana, nicht wahr?“ fragte der fahrende Wassermagier plötzlich wie aus dem Nichts heraus.
    Der Held runzelte die Stirn.
    „Wieso denkst du das?“
    „Wegen dem Irrlicht. Irrlichter sind an magisches Erz gebunden und das ist selten. Zumindest in den meisten Teilen der Welt. Es gibt violette Irrlichter, die an schwarzes Erz gebunden sind. Ich habe nur gehört, dass sie manchmal in Schwarzmoor auftreten, wo sie Reisende in die Irre führen, so dass diese im Moor feststecken bleiben und schließlich untergehen. Goldene Irrlichter sind nur in den heiligen Bergen in Adloka zu finden, dort wo es das äußerst seltene weiße Erz gibt. Da der Morgrad die Sphäre von Adanos ist, gibt es am häufigsten von allen magischen Erzen blaues Erz und Irrlichter, die es bewohnen sind blau, so wie deins. Die meisten Vorkommen von blauem Erz liegen in Myrtana und der vorgelagerten Insel Khorinis, daher glaube ich, dass du von dort kommst“, erklärte Tareskaides seine Herleitung.
    „Gibt es sonst nirgendwo blaues Erz?“ fragte der Held staunend, denn auch wenn er eigentlich wusste, dass blaues Erz besonders war, so hatte er das nie so empfunden, weil es das am häufigsten anzutreffende Erz in Myrtana war.
    „Doch, vereinzelt kommt es auch in anderen Ländern vor, doch die größten erschlossenen Vorkommen liegen in Myrtana und Khorinis. Ist die Bedrohung durch die Orks abgewendet wurden?“ wollte der Wassermagier wissen.
    Der Held hielt es für dumm noch weiter so zu tun, als wäre er von woanders her, denn diesem gewieften Wassermagier würde er nichts vormachen können.
    „Ja, es war ein harter Kampf gegen sie, aber sie wurden zurückgeschlagen.“
    Um das Thema wieder auf das magische Erz zurückzulenken fragte er: „Woher weißt du so viel von magischem Erz?“
    „Es war das Fachgebiet meines alten Lehrmeisters Umanorn, der dieses Wissen an mich weitergegeben hat. Ich hätte gerne auch ein suchendes Irrlicht, das mir bei meinen Studien hilft. Verkaufst du es mir? Ich gebe dir siebentausend Goldstücke dafür.“
    Er hörte sich hoffnungsvoll an. Der Held dachte tatsächlich über dieses Angebot nach, doch dann entschied er, dass das Irrlicht mehr wert war als Gold, da es viel seltener war. Gold ließ sich überall beschaffen, ein suchendes Irrlicht nicht.
    „Nein. Es ist mir ein nützlicher Begleiter geworden.“
    „Schade, aber ich verstehe natürlich, dass so ein nützlicher kleiner Helfer schwer herzugeben ist, sobald man sich an ihn gewöhnt hat.“
    Die nächste Zeit gingen sie schweigend, bis sie in einen besonders dichten und dunklen Teil des Dschungels vorgedrungen waren. Ein schwacher Lichtschein drang zu ihnen durch und malte scharfe Kontraste ins Unterholz des Dschungels. Das Irrlicht strebte zielsicher darauf zu. Je weiter sie sich näherten, desto lauter wurden auch die Geräusche. Ein Gackern und Knurren drang an ihre Ohren.
    „Was ist das denn?“ fragte Alejandro leise und verängstigt.
    „Hört sich nach Goblins an“, flüsterte der Held zurück, um sie nicht zu verraten.
    Er hieb nun nicht mehr mit seinem Bastardschwert aus, sondern schlüpfte durch Lücken im Unterholz. So kamen sie noch langsamer voran, doch wollte er nicht, dass sie gehört wurden. Hier im dichten Dschungel von den kleinen Goblins eingekreist zu werden könnte fatal sein. Sie könnten angreifen und sich dann rasch zwischen die Pflanzen zurückziehen und von anderer Stelle erneut angreifen. Es würde schwer sein sie zu fassen zu bekommen. So schlichen sie sich leise weiter vor. Der Held sah prüfend in Tareskaides Gesicht. Er sah äußerst konzentriert und kampfbereit aus. Die letzten Meter schlichen sie nur noch. Doch da sie groß waren und außer dem Helden keiner passabel schleichen konnten knackte es überall im Gebüsch und Blätter raschelten. Das hörten bald auch die Goblins und es kam so wie der Held befürchtete hatte. Auf Hüfthöhe hörten sie es knurren und schnattern. Die Goblins waren herbeigeeilt. Sie sahen schmächtig aus, doch ihre kleinen Augen funkelten Mordlustig und ihre spitzen Zähnchen waren angriffslustig gefletscht. Ihre runden Köpfe waren haarlos, so dass die langen fledermausartigen Ohren deutlich zu sehen waren. Sie trugen nicht nur Knüppel und Nagelkeulen, einige hatten auch primitive Messer aus Knochen oder Stein in den Händen, mit denen sie nach ihnen schlugen. Mit ihren langen Waffen war es schwer sie anzugreifen, da immer etwas oder jemand im Weg war. Ein wenig half es, dass das suchende Irrlicht sich in den Kampf stürzte, sobald es bemerkte, dass der Träger seines Amuletts angegriffen wurde. Das helle Licht des Irrlichts zog bald die Aufmerksamkeit der Goblins auf sich und lockte sie von den anderen weg.
    „Los in ihr Lager, dort können wir besser gegen sie kämpfen!“ rief der Held und sprang voran durchs Gebüsch.
    Das Lager der Goblins befand sich bei einem umgestürzten Baum, der den kleinen Zweibeinern Schutz bieten konnte. Simple Unterschlupfe waren zu sehen. Primitive Werkzeuge lagen verstreut im Lager. Vermutlich hatten sie gerade etwas vor gehabt, bevor sie die Menschen gehört hatten.
    „Hilfe“, hörten sie die panische Stimme eines Jungen rufen.
    Ein flüchtiger Blick in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, reichte dem Helden um zu sehen, dass er gefesselt neben einem Feuer lag, um das sich einige Knochen befanden. Sofort richtete der Held seine Konzentration aber wieder auf die Goblins, die nun gleichzeitig von verschiedenen Orten aus dem Dschungel kamen und versuchten die Menschen zu überrumpeln. Mit links warf der Held eine Eislanze, die den auf Alejandro zustürmenden Goblin sofort tötete. Auch Tareskaides setzte einen Zauber ein. Eispfeil. Weil sein zweiter Angriff verfehlte, musste Ludwig den Goblin der gefährlich nah gekommen war, mit seinem Langschwert den Rest geben. Der Magier revanchierte sich, indem er einen weiteren Goblin mit seinem Eispfeil angriff, der zurückstolperte und sich ein leichteres Ziel suchte und das war Alejandro. Auch der Junge versuchte einen Zauber auszusprechen. Der erfahrene Blick des Helden verriet ihm, dass er eine Eispfeil Rune ausgerüstet hatte, doch gerade als er sich für den Zauber konzentrieren wollte, schlug der Goblin mit seiner Nagelkeule auf seinen Fuß und der Junge schrie Schmerzgeplagt auf und wich zurück. Ludwig half dem Jungen aus der Miesere, indem er sich um den Goblin kümmerte. Währenddessen hatte der Held drei Goblins mit seinem Bastardschwert erschlagen und sah sich nun aufmerksam um. Er konnte keine weiteren Goblins mehr sehen.
    „Das waren wohl alle“, bemerkte der Wassermagier und lobend setzte er hinzu: „Du hast mit deiner Eislanze gut gezielt.“
    „Hab Übung“, kam es vom Helden zurück.
    „Wo ist das Irrlicht? Wurde es von den Goblins vernichtet?“ fragte der Wassermagier.
    „Nein, nur besiegt. Es flackert da im Gebüsch. Ich rufe es zurück, dann kann es sich im Amulett ausruhen“, sagte der Held und wechselte wieder zum Krieger Amulett zurück, dass ihm Schutz versprach.
    „He, könntet ihr euch auch mal um mich kümmern?“ fragte der immer noch gefesselte Junge mit zitternder Stimme.
    Tareskaides ging zu ihm und schnitt das Seil, das den Jungen fesselte mit einem kunstvollen Dolch entzwei. Der Held analysierte die Lage und stellte fest, dass der vielleicht dreizehnjährige Junge sich nicht weit vom knisternden Lagerfeuer entfernt befand und schloss daraus, dass die Goblins den Jungen vermutlich töten, braten und essen wollten. Der Junge zitterte heftig und sein teigiges Gesicht verriet deutlich die Angst, die er zuletzt hatte ausstehen müssen.
    „Warum musste ich ausgerechnet dir zugeteilt werden?“ stöhnte der Novize, als er befreit war.
    Er blieb zitternd am Boden sitzen, unfähig aufzustehen.
    „Ich weiß nicht warum du dich beschwerst. Würdest du etwa lieber in einem alten modrigen staubigen Turm vergammeln, umgeben von muffigen uralten Büchern?“
    „Ja!“, sagte der Junge nachdrücklich.
    „Ach komm. Solche Abenteuer bilden den Charakter“, sagte Tareskaides.
    Bei dieser Aussage seines Meisters gewann das Gesicht des Jungen wieder etwas an Farbe und mit nun vor Empörung zitternder Stimme sagte er: „Wenn das so ist, dann habe ich den am stärksten ausgebildeten Charakter in meiner ganzen Familie. Ich dachte schon die Höhle des Grauens mit den untoten Schattenläufern wäre das Schlimmste, was ich in meinem Leben je erleiden musste, aber da waren wir auch noch nicht auf die Tyrannenranke im Deliriumdschungel gestoßen.“
    „Was ist denn eine Tyrannenranke?“ wollte der interessierte Held wissen.
    „Ach, das ist ein recht umfangreiches unerfreuliches Gewächs, das auf Berührungen reagiert und dann versucht einen mit seinen dornigen Ranken wahlweise aufzuspießen, oder zu erwürgen“, sagte der Wassermagier lapidar.
    „Unangenehm“, kommentierte der Held.
    Der Novize verdrehte die Augen und sagte: „Ich weiß, als Lehrling habe ich nichts zu melden und Magie zu lernen habe ich mir immer gewünscht, aber ich muss sagen, dass es mir schwer fällt noch an meinem Vorhaben festzuhalten, wenn ich dabei ziemlich sicher sterben werde.“
    „Sterben? Wer redet denn hier von Sterben? Ist doch alles gut“, sagte der Wassermagier und lachte.
    Sein Novize warf ihm einen fassungslosen Blick zu und rief empört: „Diese Goblins hätten mich beinahe getötet und gefressen!“
    „Exakt, beinahe, aber wir sind ja noch rechtzeitig gekommen und haben dich gerettet“, antwortete Tareskaides mit unerschütterlicher Zuversicht in der Stimme.
    Er zog seinen Lehrling auf die Füße, griff ihm mit seinem großen, kräftigen rechten Arm um die schmalen Schultern und zeigte enthusiastisch in den sternklaren Himmel hinauf.
    „Nur nicht aufgeben Ameliar. Wenn wir erst die heiligen Adanosartefakte gefunden haben, werden unsere Namen in die Geschichte der Aquatischen Universität eingehen.“
    „Ich heiße Aycan“, sagte der Junge mürrisch.
    „Sag ich doch“, ließ sich sein Mentor gar nicht aus dem Konzept bringen. „Und jetzt komm! Wir nehmen diese Herren mit zur nächsten Stadt. Dort können wir unsere Vorräte aufstocken, bevor wir uns wieder auf die Suche begeben. Ich bin mir sicher, dass ein Hinweis auf Adanos Atem hier auf dieser Insel zu finden sein wird.“
    „Wetten wir stoßen nur wieder auf irgendein Scheusal?“, beschwerte sich Aycan.
    „Wer nichts erlebt hat nichts zu erzählen“, sagte sein Mentor weise.
    „Und wer tot ist, ist tot“, gab sein gestresster Lehrling pragmatisch zurück.
    Tareskaides überhörte seine Antwort geflissentlich und fragte: „Wo ist unsere Ausrüstung?“
    Der Junge seufzte und sah sich um.
    „Muss hier irgendwo sein. Die Goblins waren ganz aufgeregt als sie all unser Zeug gesehen haben. Glaube sie haben einen unserer Manatränke kaputt gemacht und die Flüssigkeit aufgeleckt.“
    Der fahrende Wassermagier schürzte verstimmt die Lippen, sagte aber nur: „Schade drum.“
    „Hier, ist das eure Ausrüstung?“ fragte Ludwig hilfsbereit und hielt einen recht großen ledernen Rucksack hoch.
    Es klapperte im Inneren.
    „Ja, genau das ist er. Adreano, schau nach, ob nach alles da ist!“ wies der Magier seinen Lehrling an.
    „Aycan, ich heiße Aycan“, wiederholte der Novize genervt, ging aber trotzdem zu Ludwig, bedankte sich bei ihm und sah den Inhalt durch.
    „Außer dem einen Manatrank haben wir bei den Tränken keinen Schwund. Unser Proviant fehlt komplett. Die Zauberspruchrollen sind noch alle da, es fehlt aber Tinte und eine Socke. Die andere Kleidung ist noch da. Es fehlt das Notizbuch und die Federkiele.“
    „Na dann such sie!“, sagte Tareskaides in einem Ton, der klar sagte, dass der Junge auch selbst darauf hätte kommen können.
    Unter erneutem Seufzen machte sich der Junge auf die Suche. Nach kurzem Zögern schloss sich ihm Alejandro an und bald hatten sie alles was fehlte gefunden. Sie brachen nun auf, um zu den Bergen zu kommen, die zwischen ihnen und der nächsten Stadt kamen. Wieder übernahmen Tareskaides und der Held die Spitze der kleinen Gruppe, während die beiden Jungen hinten gingen und sich nun leise unterhielten. Der Held konnte nur hin und wieder Gesprächsfetzen aufschnappen und schloss aus dem was er hörte, dass Alejandro Aycan nach seiner Lehrlingszeit bei Tareskaides ausfragte. Der Novize hatte nicht viel Positives zu berichten.
    Der Weg zu den Klippen war noch weit und als sie endlich ankamen war es schon sehr spät in der Nacht. Es war sehr kalt geworden und daher beschloss der Held ein Feuer zu entzünden. Normalerweise nutzte er dafür einen Feuerzauber, doch er wollte das Bild, das Tareskaides von ihm hatte nicht zerstören, indem er jetzt auch noch Feuerzauber benutzte. Er wollte, dass er weiterhin glaubte, er sei ein ehemaliger Wassermagier, der auf Abenteuerreise war. So ganz falsch war das ja nicht. Nachdem er genug Holz zusammengetragen hatte versuchte er daher es ohne Magie zu entzünden. Er hatte genug Zunder und kleine Stöcke, um das Feuer die erste Nahrung zu reichen, doch alles hier im Dschungel war recht feucht, so dass er sich wirklich mühen musste und schließlich ein Stück altes Papier aus seiner Hosentasche nutzte, um das Feuer in Gang zu bringen.
    „Soll ich die erste Wache übernehmen?“ fragte Ludwig den Helden, denn die anderen hatten sich bereits zum Schlafen hingelegt.
    „Nein. Ich mach das“, sagte der Held und holte sein Tagebuch heraus, um im Schein des Feuers zu schreiben zu beginnen.
    In letzter Zeit hatte er es vernachlässigt und hatte nun einiges aufzuholen.

    Als Ludwig am frühen Morgen aufwachte, fragte er verschlafen: „Warum hast du mich nicht geweckt?“
    „Ich war nicht müde und du sahst aus, als könntest du den Schlaf gut gebrauchen“, antwortete der Held und stimmte Ludwig nachdenklich.
    „Danke“, kam es nach kurzem Zögern zurück.
    Der Held hatte bereits ein gut abgelagertes Stück Fleisch aus seiner Hosentasche gefrühstückt und war bereit aufzubrechen.
    „Jetzt schon? Was ist mit Frühstück?“ fragte der Wassermagier, dessen Gesicht leicht zerknautsch aussah, weil er wohl unbequem geschlafen hatte.
    „Haben die Goblins gefressen“, erinnerte Aycan seinen Meister.
    „Ah ja richtig. Na gut, dann werden wir das auf später verschieben, wenn wir in der Stadt sind“, sagte Tareskaides und nichts schien seine gute Laune verderben zu können. „Wollen wir dann?“
    Er klopfte sich den Dreck von den Händen, stand auf und sah erwartungsvoll die Felswand hinauf. Er schnippte mit den Fingern in die Richtung seines Lehrlings und fragte: „Wo hast du das Seil Azimof?“
    Der Junge seufzte und anstatt ihn erneut zu verbessern sagte er: „Damit haben mich die Goblins gefesselt. Du hast es bei meiner Rettung zerschnitten.“
    „Oh“, entfuhr es dem fahrenden Wassermagier betroffen.
    Er ließ sich aber nur kurz aus der Fassung bringen, denn er sagte: „Kein Problem, dann werde ich eben ein magisches Seil beschwören.“
    Der Held runzelte die Stirn, davon hatte er noch nicht gehört und war nun interessiert. Aycan stöhnte laut und jammert: „Aber Meister, ihr wisst doch noch was letztes Mal passiert ist, als du ein Seil beschworen hast.“
    „Ach, das war doch eine völlig andere Situation. Diesmal bin ich ausgeruht. Also wird der Zauber nicht mittendrin versagen“, sagte Tareskaides voller Selbstbewusstsein.
    Wieder stöhnte Aycan.
    „Und wenn wir uns doch was brechen sollten kann ich uns doch ganz einfach mit meiner Magie heilen. Mach dir also keine Sorgen“, wollte der Wassermagier seinem Schützling Mut zusprechen.
    Er wandte sich an seine Mitreisenden und sein blauer Umhang, der in der morgendlichen Sonne besonders schön erstrahlte ließ seine Bewegung sehr fließend wirken.
    „Braucht ihr auch ein magisches Seil?“
    „Wir haben selbst ein Seil dabei“, beeilte sich Ludwig zu sagen und hielt es hoch.
    „Sehr gut. Aber Vorsicht beim Aufstieg. In den Felsen nisten Harpyien“, warnte Tareskaides.
    „Wie nisten Harpyien denn? Bisher habe ich nur weibliche Harpyien gesehen“, sagte Ludwig.
    „Glaub mir das willst du nicht wissen“, sagte der Wassermagier und strich sich etwas Schmutz von seinem wunderschönen blauen Umhang.
    Ludwig und Alejandro wurden sehr blass.
    „Keine Sorge, wenn wir welchen Begegnen schießen der Kollege und ich sie einfach mit Eislanze vom Himmel“, sagte Tareskaides und setzte einen Beschwörungszauber ein.
    Kurz darauf hielt er in der Tat ein magisches Seil in der Hand.
    „Der Aufstieg ist das Schwerste“, sagte er und seine Zuversicht bekam einen leichten Riss.
    Der Held wusste was er meinte. Sie hatten keinen Wurfanker dabei mit dem Sie das Seil hinaufbringen könnten, das hieß jemand vorklettern musste, um das Seil oben zu befestigen.
    „Ich mach das“, sagte der Held entschlossen.
    Er nahm Tareskaides und Ludwig die Enden ihrer Seile aus den Händen und band sie an seinem Gürtel fest, dann begann er den Aufstieg. Unten war es noch vergleichsweise leicht, denn die Felsen waren sehr zerklüftet und er fand mit der Dreipunkttechnik leicht halt. Er war schon vier Meter hinaufgekommen da wurde es schwieriger. Er musste länger suchen, um gute Punkte zu finden, um sich hochzustemmen. Wäre er allein hätte er sich einfach in eine Blutfliege verwandeln und hinauffliegen können, doch als Blutfliege hätte er die Seile nicht greifen können. Er war vielleicht zehn Meter weit gekommen, als Ludwig zu ihm heraufrief: „Stop! Das Seil endet. Wir müssen erst heraufkommen. Mach es irgendwo gut fest!“
    Der Held sah sich um und entdeckte ein Stück weiter rechts unten einen vielversprechenden Absatz in den sich ein hartnäckiger halbwüchsiger Baum verwurzelt hatte. Dort kletterte er hin und band die beiden Seilenden mit Sicherheitsknoten fest.
    „Ihr könnt jetzt rauf!“ rief er hinunter.
    Es dauerte viel länger, als der Held erwartet hatte. Ludwig und Tareskaides wagten den Aufstieg zuerst. Sie hatten ihre Seile mit zwei Sicherheitsknoten an ihre Gürtel befestigt, so dass sie einen Schutz hatten, falls sie doch mal mit den Händen oder Füßen abrutschen sollten. Während der Held ungeduldig wartete schaute er in die Baumkronen des Dschungels. Sie wiegten sich leicht im Licht der Morgensonne. Als ein Schatten auf ihn fiel, sah er hinauf. Dort oben flog eine Harpyie, die ihn beobachtete. Als seine beiden Weggefährten endlich schwer atmend den Absatz erreichten, wies er sie darauf hin. Ludwig sah beunruhigt aus, doch Tareskaides tat seine Bemerkung mit einer lässigen Handbewegung ab, löste seinen Knoten und rief dann seinen Lehrling herauf. Die beiden Jungen taten sich mit dem Aufstieg sehr schwer. Es fehlte ihnen an Kraft und Geschick und hätten sie keine Sicherung gehabt wären sie mehr als einmal gestürzt. Die letzten Meter mussten Ludwig und der Held Aycan hinaufziehen. Endlich waren alle angekommen. Das bedeutete, dass der Held sich nun wieder auf den nächsten Abschnitt des Aufstiegs konzentrieren konnte. Wieder kletterte er voraus und als er den nächsten Absatz erreichte, musste er wieder warten bis alle oben angelangt war. Der Aufstieg dauerte wirklich lange und wurde für die meisten Teilnehmer der Reisegruppe mühsam.
    „Es muss doch einen leichteren Weg über die Berge geben“, nörgelte Alejandro, als der Held sich zu einem neuen Abschnitt aufmachte.
    „Nein, wozu? Hier gibt es doch eigentlich nichts von Interesse? Die Leute aus der Stadt sehen einfach keine Notwendigkeit sich hier in diesem Teil der Insel aufzuhalten. Deswegen kann sich die Natur hier voll und ganz entfalten. Das ist doch auch schön“, meinte der reisende Wassermagier, der offenbar überall etwas Positives sehen konnte.
    Als der Held den nächsten Abschnitt erreicht hatte und Ludwig und Tareskaides auch oben angekommen waren und sie auf die Jungen warten mussten, fragte der Held: „Du hast gestern Adanos Atem erwähnt. Was ist das? Ein magisches Artefakt?“
    „Das kennst du nicht?“ fragte Tareskaides ehrlich erstaunt. „Es ist ein berühmtes göttliches Artefakt.“
    „Nein, kenne ich nicht“, sagte der Held und schüttelte den Kopf.
    „Dabei ist es doch allgemein bekannt“, sagte der Wassermagier fassungslos.
    Auch Ludwig zuckte nur mit den Schultern. Tareskaides schnalzte missbilligend mit der Zunge und erklärte: „Adanos Atem ist ein magischer Helm, mit dem man unter Wasser atmen kann. Er findet in vielen alten Sagen und Legenden Erwähnung, doch sein Verbleib ist unklar. Ich bin bereits vielen Spuren nachgegangen, aber bisher ohne Erfolg. Wenn ich dieses göttliche Artefakt finde ist mir ewiger Ruhm gewiss.“
    „Verstehe“, kam es vom Helden.
    Sie hörten es Schnaufen und Keuchen und wussten, dass die Jungen in ihre Nähe kamen. Mit hochroten Köpfen zogen sie die beiden schließlich hinauf. Alejandro kam bei dieser Kletterpartie noch besser weg, da er auf der „Murietta“ in den Wanten arbeiten musste, doch Aycan war zu untrainiert um mit diesem schweren Aufstieg zurechtzukommen.
    „Ich kann nicht mehr“, sprach er das Offensichtliche aus.
    Seine Hände hatten sich verkrampft und seine Muskeln zitterten. Sein Lehrmeister erkannte sein Problem und schlug eine Pause vor. Der Held stöhnte. Noch mehr Verzögerungen. Er war sich sicher, allein hätte er den Weg zur Stadt schon längst zurückgelegt. Vielleicht sollte er nächstes Mal darauf bestehen doch wieder allein loszuziehen.
    Nach der Mittagspause konnte es endlich weiter gehen und je weiter sie kamen, desto deutlicher war die drohende Anwesenheit der Harpyien zu sehen. Zuerst stießen sie auf weißlichen Kot, der überall auf den Felsen verspritzt war. Tareskaides entschied nun mit dem Helden zusammen hinaufzuklettern. Eine gute Entscheidung, die von viel Erfahrung kündete, wie sich herausstellte. Sie kamen tatsächlich an einem Harpyiennest vorbei und hörten ein aufgebrachtes Kreischen. Sie blickten der wütenden Harpyie direkt ins hässliche Gesicht. Ihre Federn sträubten sich und sie machte sich bereit für den Angriff. Der Held wollte einen Zauber schleudern, doch Tareskaides war diesmal schneller. Schon hatte er zwei Eislanzen auf die Harpyie geworfen, die nun kreischend zu Boden trudelte. Sie hörten es wieder kreischen und eine Zweite Harpyie, die sie nicht hatten sehen können, weil sie auf einer Felsnadel in ihrem toten Winkel nistete, flog auf sie zu, ganz eindeutig wütend darüber, dass sie ihre Nachbarin getötet hatten. Nun konnte der Held seinen Eisblockzauber doch noch einsetzen. Die Harpyie gefror mitten im Flug und stürzte dann hinunter in die mittlerweile beachtliche Tiefe. Die beiden Abenteurer sahen ihr nach und sahen wie sie den Tod fand.
    „Das wär erledigt“, sagte Tareskaides und kletterte nun auf das Nest der einen Harpyie zu.
    Dort fand er menschliche Überreste, die wohl als Futter gedacht waren und zwei Eier.
    „Die kann man gut für magische Tränke brauchen“, informierte der unerschrockene Wassermagier und steckte die beiden Eier in seine Umhängetasche.
    Ihr Zwischenlager errichteten sie unweit der beiden Nester, was ihre Reisegefährten gar nicht erfreute. Tareskaides und der Held waren schon wieder aufgebrochen, als sie es erneut wild kreischen hörten und drei Harpyien herangeflogen kamen. Diese hatten es aber nicht auf die beiden Kletterer abgesehen, sondern auf Ludwig und die beiden Jungen, die nun zusehen mussten, wie sie die Harpyien abwehren könnten. Entschlossen stellte sich Ludwig schützend vor die beiden und als die erste Harpyie mit aufgerissenen Klauen auf sie zugeflogen kam, konnte er sie abwehren, indem er nach ihr schlug. Um dem Hieb zu entgehen hatte sie abdrehen müssen. Sie flog einen Kreis während ihre Mitstreiterinnen nun am Zug waren. Alejandro nahm seinen ganzen Mut zusammen und schleuderte einen Eispfeil auf eine der heranfliegenden Harpyien, doch er verfehlte sie. Doch sein Angriff hatte Aycan wohl ermutigt, denn nun beschwor er eine kleine Windhose herauf, die zwei der Harpyien erfasste und davonwirbelte. Sie schlingerten in ihrem unkontrollierten Flug und als sie sich endlich aus der Windhose befreien konnten, kreischten sie verbittert und zogen ihres Weges. Die dritte Harpyie sah ihnen nach, verharrte dann flügelschlagend in der Luft, offenbar unschlüssig, ob sie allein weiter angreifen, oder ihnen folgen sollte. Noch ein Eispfeil schwirrte an ihrem rechten Flügel knapp vorbei. Diesmal war es der Held gewesen, der sie beschossen hatte. Obwohl sie nicht getroffen wurde, erleichterte dieser Angriff der Harpyie die Entscheidung und sie flog ihren Artgenossinnen nach.
    „Es geht doch nichts über ein aufregendes Abenteuer“, freute sich Tareskaides. „Oh, übrigens sollten wir uns beeilen. Ich muss meinen Seilzauber demnächst erneuern, damit ich nicht abstürze.“
    „Verstehe“, sagte der Held und kletterte weiter.
    „Ist der Junge dein Lehrling? Ich dachte, du bist kein Wassermagier mehr?“ fragte Tareskaides neugierig.
    „Er hat magisches Talent und ich wollte es nicht verkommen lassen“, antwortete der Held knapp.
    Als der Wassermagier das hörte legte sich seine Stirn in Falten, doch er sagte nichts weiter dazu.
    Erst am späten Nachmittag hatten sie die Felswand erklommen. Da sie das Seil nun nicht mehr brauchten, begann Ludwig es aufzurollen, damit es leichter zu transportieren war. Er hielt ein Ende in der rechten Hand und wickelte es mit der linken Hand um den rechten Ellbogen und dann um die rechte Hand. Als ihm das Seil ausging, griff er mit der linken Hand die Schlaufen in der Mitte zusammen, faltete sie und nutzte das lose Ende, um das so entstandene Bündel fest zu umwickeln. Zuletzt steckte er das Ende unter die letzte Schlaufe, zog es fest und band beide Enden um seinen Gürtel, so dass das Seil nicht verloren gehen konnte. Das Seil des Wassermagiers musste nicht weiter beachtete werden. Es hatte sich kurz nach dem Ende ihres Aufstiegs im Nichts aufgelöst.
    „Ich bin fix und fertig“, stöhnte Alejandro und streckte sich erschöpft auf den Felsen aus.
    Aycan war so erschöpft, dass er gar nichts mehr sagen konnte.
    „Siehst du, da ist die Stadt“, sagte Tareskaides, der stolz und unverrückbar da stand und nicht so aussah, als wäre er gerade eine immense Felswand hinaufgeklettert.
    „Ja, ich sehe sie“, sagte der Held, der in die angewiesene Richtung blickte.
    Die Stadt war deutlich zwischen dem Dschungel zu sehen. Eine große Fläche war gerodet wurden und die Häuser aus Stein und Holz stachen deutlich hervor. Wäre er allein wäre er vielleicht in zwei Stunden dort. Er sah sich nach seinen Gefährten um. So allerdings konnte er gar nicht sagen wie lange sie brauchen würden. Auch Tareskaides sah sich um und trieb seinen Lehrling zum Aufbruch: „Ach Aidan, jetzt lieg hier doch nicht so faul herum. Du konntest dich lang genug ausruhen. Jetzt wollen wir doch auch mal weiter. Oder willst du noch eine Nacht hier draußen im Dschungel verbringen?“
    Stöhnend richtete sich der Junge auf. Es war wohl die Angst, die ihn auf die Füße trieb. Die Aussicht auf ein sicheres und halbwegs gemütliches Bett machte ihm Beine.
    Geändert von Eispfötchen (24.03.2024 um 09:21 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Eisenbach, die Stadt im Dschungel

    Es hatte begonnen zu regnen. Der Boden wurde matschig und rutschig. Bald waren sie völlig durchnässt. Weil die Berge auf dieser Seite langsam flach abfielen, war der Weg zur Stadt im Vergleich zur Steilwand aber viel einfacher zu bewältigen. Jedenfalls sah der Held es so. Trotzdem jammerte Alejandro wieder mehr, dabei hatte er ihn doch eigentlich mitgenommen, damit er mal vom Piratenschiff wegkam und was von dieser Insel sah. Der Held hatte es gut gemeint, doch er fand, dass Alejandro, die Chance, die er ihm bot überhaupt nicht zu schätzen wusste. Zuerst hatte er fragen wollen, ob er doch lieber beim Piratenschiff geblieben wäre, besann sich dann aber eines besseren, weil der Wassermagier und sein Novize davon besser nichts wissen sollte. Stattdessen schaute er also über die Schulter zu Alejandro und fragte ihn: „Wärst du lieber doch nicht mitgekommen?“
    Alejandro schaute verdutzt zu ihm hin. Offenbar war er überrascht vom Helden nach seiner Meinung gefragt zu werden. Er runzelte die Stirn und dachte wohl intensiv über die Frage nach, bevor er antwortete: „Doch. Ich habe viel gelernt. Zum Beispiel wie schwierig es ist im Dschungel voranzukommen und was ich besser machen kann um gegen Goblins zu kämpfen. Ich bin auch sehr froh, dass wir auf Tareskaides und Aycan gestoßen sind. So konnte ich mehr über die Aquatische Akademie erfahren. Im Großen und Ganzen bin ich froh mitgekommen zu sein.“
    „Warum beschwerst du dich dann andauernd?“ wollte der Held wissen.
    Alejandro zog einen Flunsch.
    „Weil alles so mühsam ist.“
    „Wenn es leicht wäre, dann wäre es kein Abenteuer mehr“, entgegnete der Held.
    Über diese Worte musste Alejandro wohl nachgrübeln, denn er sagte nichts mehr dazu. Er nörgelte nun auch nicht mehr so viel. Vielleicht weil sie auf einen Wildpfad trafen, dem sie folgen konnten, so dass der Weg einfacher zu gehen wurde. Der Regen verzog sich, doch die dunklen Wolken blieben, so dass es leicht diesig wurde. Es sah aus, als würde der Dschungel dampfen. Die Luftfeuchtigkeit war sehr hoch und nun da sie langsam wieder hinunter in den Dschungel stiegen tropfte unablässig Wasser von den breiten Blättern der Bäume. Das Wasser bildete feine Rinnsale, die sich bald zu kleinen wilden Bächen vereinigten und ihnen nasse Füße bescherten. Nun, da sie nur noch Bäume sahen, fiel es dem Helden nicht mehr so leicht sich zu orientieren. Durch die vielen Hindernisse hatten sie oft nicht geradeaus gehen können. Einmal blieb er kurz stehen, um zu überlegen welchem Wildpfad sie folgen sollten.
    „Da entlang“, wies Tareskaides ihn nach links.
    „Bist du sicher?“ fragte der Held.
    „Ja, siehst du?“
    Zuerst wusste der Held nicht was er meinte, doch dann sah er auf die ausgestreckte Hand des Wassermagiers. Dort befand sich eine Art Kompass. Er war aus Kupfer und eine blaue Pfeilspitze zeigte in etwa in die Richtung, in die auch der Wildpfad ging. Der Held beugte sich näher über den Kompass und bemerkte, dass die Pfeilspitze aus Aquamarin bestand.
    „Ist das ein magischer Kompass? Wohin zeigt er?“
    „Dieser Kompass führt mich zum nächsten Adanosschrein und der liegt auf dem Weg zur Stadt. So wissen wir auch wo in etwa die Stadt liegt“, informierte der Wassermagier.
    „Praktisch“, kommentierte der Held und folgte dem Magier, der nun die Führung übernommen hatte.
    Der Berg führte sie in eine kleine Schlucht. Farne wucherten an den Felswänden und auf dem Boden neben Flachen Steinen und Brocken, die aussahen, als hätte sie ein Golem hierhergeworfen. In der Mitte befand sich ein langsam fließender Bach. Über ihnen wuchsen die Bäume auf den Hängen. Sie waren mit Moos bedeckt und lange Lianen baumelten herunter. Er meinte oben kurz einen dunklen Schatten gesehen zu haben. War es ein schwarzer Panther? Der Held war sich nicht sicher. Vermutlich würde das Tier aber davon absehen eine so große Gruppe anzugreifen. Sie folgten dem Bach, der sie an einer Miene vorbei führte. Sie war noch in Betrieb und einige Männer standen draußen und verluden mattes rotbraunes Erz auf einen von Ochsen gezogenen Wagen.
    „Adanos zum Gruße ehrwürdiger Wassermagier“, grüßten die Männer auch gleich.
    Sie sahen sehr kräftig aus. Vermutlich könnten sie mit einem Faustschlag einen Zweikampf gewinnen, doch dem Magier gegenüber verhielten sie sich unterwürfig. Tareskaides war kurz stehen geblieben und erwiderte den Gruß: „Adanos zum Gruße. Möge das Wasser des Lebens euch stärken.“
    Die Männer wirkten von seinen Worten beindruckt und sahen ihm noch lange nach, als die Gruppe vorbeigelaufen war. Von der Miene führte nun eine gepflasterte Straße durch die Schlucht. Vermutlich, damit die Ochsenkarren mit dem Erz besser vorankamen. Der Bach hatte nun einen festen Platz auf der rechten Seite der Straße und floss schneller. Vor einer Wegbiegung sahen sie einen Wegschrein, der in den Fels gehauen war. Farne wuchsen links und rechts neben dem blauen Schrein, der Adanos geweiht war, doch an ihm selbst wuchs nichts. Vermutlich wurde er regelmäßig gepflegt. Neben der Straße befand sich hier eine kleine Plattform für die Pilger, die am Schrein vorbeikam, damit sie sich am Bach vor dem Adanosschrein niederknien und beten konnten. Tareskaides klappte seinen magischen Kompass zu und der Held konnte sehen, dass in die äußere Klappe ein Bergkristall eingearbeitet war. Der Wassermagier kniete sich auf den kalten Stein nieder und begann zu Adanos zu beten. Der Held tat es ihm gleich und kurz darauf knieten sich auch Alejandro und Aycan hin. Nur Ludwig blieb stehen, sah ihnen aber aufmerksam zu. Es war ein Moment der Ruhe. Sie hörten nur das langsame Tropfen von den Blättern und den schnell fließenden Bach vor sich. Natürlich wollte der Held wissen, ob Adanos ihm neue Zauber gewähren würde, aber es sah nicht danach aus. Er war nicht enttäuscht. Er nahm es einfach so hin.
    „Du betest ja gar nicht“, hörte der Held den Wassermagier sagen und blickte auf.
    Tareskaides war bereits wieder aufgestanden und schaute Ludwig neugierig an. Das Gesicht des Piraten bekam eine zarte rosa Färbung, denn offenbar fühlte er sich ertappt.
    „Äh… nein.“
    „Wenn du nicht zu Adanos betest, hast du dich stattdessen Beliar, oder Innos zugewandt?“
    Er klang neugierig, nicht streng, doch Ludwig hatte wohl Angst, dass der Wassermagier glauben könnte, er würde den Gott des Chaos verehren, weswegen er sich beeilte zu sagen: „Zu Innos. Zu Innos bete ich.“
    „Es gibt nicht viele Innosschreine oder Tempel im Archipelkönigreich. Du kommst also von weiter her?“ fragte der Wassermagier mit ruhiger Stimme weiter nach.
    „Aus dem Norden. Kam mit dem Schiff“, sagte Ludwig knapp.
    Er hatte wohl Angst zu viel zu verraten und der Held fand das sehr lobenswert. Das jemand ausplauderte, dass sie Piraten waren, das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen.
    „Immer wieder nett fremde Leute zu treffen“, sagte Tareskaides. „Bist du zufrieden zu Innos zu beten? Was erhoffst du dir von ihm?“
    Er klang ehrlich interessiert, doch auch hier sah Ludwig so aus, als hätte er das Gefühl er müsse sich vor dem Magier rechtfertigen, denn er sagte hastig: „Ja, ich bin zufrieden. Ich bete zu ihm, weil … weil…“
    Er sah nach unten, seine Augen huschten über den Boden. Dachte er sich gerade etwas aus, oder wusste er nur nicht wie er seine Antwort formulieren sollte?
    „weil mir das Struktur gibt. Ich bete regelmäßig, auch ohne Schrein, das ist so ein Ritual, das mir halt gibt und bei Innos fühle ich mich beschützt.“
    Tareskaides merkte wohl, dass er Ludwig mit seinen Fragen nervös werden ließ, denn er nickte nur und fragte nicht weiter nach.
    „Es ist nicht mehr weit zur Stadt“, sagte er und der Held verstand es als Zeichen aufzubrechen.
    Sie liefen weiter die Straße entlang und endlich ließ auch das Tropfen von den Blättern immer weiter nach.
    „Wie heißt die Stadt?“ fragte der Held kurz und bündig.
    „Eisenbach“, kam es ebenso knapp zurück.
    Es war kurz still, dann setzte der fahrende Wassermagier hinzu: „Die Menschen hier sind etwas rau. Die meisten leben vom Handwerk. In den umliegenden Mienen wird Erz und Silber gewonnen und rund um die Stadt im Dschungel gibt es Meiler, um Holzkohle zu gewinnen. Zur Hafenstadt gibt es eine gute Verbindung, denn das Erz und die geschmiedeten Waren werden zum Hafen weitertransportiert, wo sie dann auf Schiffe verladen werden. Die Stadt ist aber auch berühmt für ihren Zucker und ihren Kakao.“
    „Was ist das?“ wollte der Held wissen.
    „Bei Adanos, das kennst du nicht?“ fragte Tareskaides und begann zu lachen.
    Der Held begann diese Seite von ihm nicht mehr zu mögen. Er mochte es nicht, wenn man darauf herumritt, wenn er etwas nicht wusste.
    „Man kann damit allerhand Speisen verfeinern. Zum Beispiel lassen sich damit leckere Backwaren zubereiten, oder man tut es in heiße Milch. Ein wahrer Genuss.“
    So wie der Wassermagier davon schwärmte wurde der Held nun doch neugierig.
    „Ich hoffe nur, dass ist nicht wieder so eine Spezialität wie der Eisengrunder Gärfisch“, brummte der Held.
    „Bei Adanos! Das kann man nun wirklich nicht vergleichen. Ich habe nie verstanden was manche Menschen an diesem Stinkefisch finden. Vielleicht ist er gut um die wilden Tiere von bewohnten Orten fern zu halten, aber zum Essen taugt das doch nun wirklich nicht“, sagte der Wassermagier kopfschüttelnd und schüttelte sich allein beim Gedanken daran.
    Allmählich lichtete sich der Dschungel und gab den Blick frei auf weite Felder, die eifrig von Bauern bearbeitete wurde. Der Held sah aber auch Frauen und Kinder arbeiten, etwas, das für ihn zu einem ungewohnten Anblick geworden war. Auf den meisten Feldern wuchsen Pflanzen, die für ihn wie lange dünne Bäumchen mit harter glatter Rinde aussahen. Oben wuchsen büschelweise lange hellgrüne Blätter aus den Halmen.
    „Was ist das?“
    „Zuckerrohr“, antwortete Tareskaides knapp.
    „Ich kenn nur Zuckerrüben“, kam es vom Helden zurück.
    „Ja, die sind auch süß, aber durch die guten klimatischen Bedingungen wächst Zuckerrohr hier wie verrückt.“
    Der Held sah während des Laufens dabei zu wie eine Bäuerin einen großen Packen Stängel vom Boden hochhob und auf eine Karre lud, die von zwei geduldig wartenden Rindern gezogen wurde.
    „Reis kennst du aber, oder?“ fragte der Wassermagier und zeigte auf die anderen Felder.
    Der Held nickte.
    „Das kenne ich schon.“
    „Dann wird dir bestimmt auch der Reisschnaps schmecken. Wenn man Rohrzucker drangibt, dann haut er richtig rein“, sagte Tareskaides, der sich damit wohl erstaunlich gut auskannte.
    Der Held musste grinsen. Er mochte diesen Wassermagier. Er war abenteuerlich und bodenständig. Durch seine vielen Abenteuer hatte er vielleicht etwas den Sinn für Gefahr verloren, aber er mochte, dass er nicht so abgehoben war wie viele andere Magier.
    „Kennst du die Leute hier gut?“ fragte der Held.
    „Ein bisschen. Bevor wir aufgebrochen sind haben wir hier gerastet und mit den Leuten erzählt. Ich denke, es ist immer gut sich mit den Einheimischen bekannt zu machen, um eine gute gegenseitige Beziehung aufzubauen“, sagte der fahrende Wassermagier.
    Die ersten Einheimischen, denen sie so wirklich begegneten waren die beiden Wachen am schon etwas mitgenommen aussehenden Stadttor. Sie trugen Rüstungen aus gekochtem Leder mit aufgenähten Metallteilchen. So waren sie recht beweglich, waren aber auch kaum gegen schwere Angriffe geschützt. Sie trugen einen genieteten Waffenrock. Der Held schloss daraus, dass dieser Ort wohl selten angegriffen wurde, denn sowie er in Katikelajos gesehen hatte, ließ der König viel Geld für seine Armee springen. Als Waffen trug jeder eine Helmbarte. Mit diesen Stangenwaffen könnten sie viele Angreifer auf Distanz halten, so dass die leichte Rüstung nicht sofort zum Nachteil wurde. Fernkämpfern, oder Magiern wären sie aber deutlich unterlegen.
    „Adanos zum Gruße ehrwürdiger Wassermagier. Wen hast du da mitgebracht?“ fragte einer der Wachen skeptisch.
    Die andere Wache musterte die Fremden nicht weniger misstrauisch.
    „Ein paar Abenteurer, die mir bei meiner Expedition geholfen haben. Sie wollen sich in der Stadt mit Vorräten eindecken“, verkündete Tareskaides.
    Seine aufrechte selbstbewusste Haltung sorgte wohl dafür, dass die Wachen sich gar nicht trauten weiter nachzufragen. Sie wurden einfach nach Eisenbach eingelassen und der Held war froh, dass er sich dazu entschlossen hatte Tareskaides bei seiner Suche nach seinem Lehrling zu helfen, denn ohne ihn wären sie vermutlich nicht so einfach in die Stadt gelangt. Man sah Eisenbach an, dass die Stadt dem Dschungel und dem Wetter ausgesetzt war. Sie wirkte etwas schmuddelig, weil der ständige Regen immer wieder neuen Dreck hereinbrachte. Das Pflaster wirkte ausgewaschen und der allgegenwärtige Matsch ließ alles etwas schmierig aussehen. Die Menschen trugen einfache funktionale Kleidung, bei der klar zu sehen war, dass sie schwere Arbeit zu verrichten hatten. Die tief stehende Sonne ließ ihre Strahlen auf eine belebte Straße fallen. Verkäuferinnen und Verkäufer hatten Buden aufgebaut, in denen sie nützliches oder essbares anboten. Kinder flitzten umher, spielten, kreischten und lachten. Männer und Frauen schoben einander hin und her, um sich einen Weg zu bahnen. Auch die Neuankömmlinge gingen nun zu den Buden und der Wassermagier schlug vor, dass sie alle Süßgebäck und Kakao probieren sollten. Alejandro und Ludwig sah man an ihren aufgerissenen funkelnden Augen an, dass sie nie etwas Besseres gegessen hatten. Der Held, der sich wie gewohnt alles zügig einverleibte, fand, dass es gut schmeckte, aber nicht wirklich satt machte. Deswegen holte er sich am Verkaufsstand nebenan noch ein gebratenes Huhn. In der Ladenstraße gab es viel zu sehen und Alejandro und Ludwig hatten sichtlich Freude daran ihren Lohn für verschiedene Speisen auszugeben. Der Held zog die Liste hervor, die Greg ihm gegeben hatte und sah nach was er alles brauchte. Er fand alles bis auf Nägel.
    „Weißt du wo ich Nägel herbekomme?“ fragte er eine Frau, die Reisbällchen verkaufte.
    Sie machte große Augen. So etwas wurde sie wohl nicht oft gefragt.
    „Bestimmt von Medelger, dem Schmied.“
    „Wo finde ich den?“
    „Am Rand der Stadt.“
    Sie wies den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er überlegte gerade, ob er allein gehen sollte, denn Ludwig und Alejandro redeten gerade darüber, dass es gut wäre einen Platz für die Nacht zu finden. Vermutlich würden sie also lieber an der Matratze horchen wollen, anstatt mit ihm die Stadt zu erkunden.
    „Ich geh mal eben zum Schmied. Wir treffen uns in der Herberg.“
    „Welcher Herberge?“ fragte Ludwig.
    „Meinst du es gibt hier mehrere? In irgendeiner werde ich euch schon finden.“
    Der Held wollte losgehen, aber durch die vielen Menschen war es schwer sich einen Weg zu bahnen. Eine Gruppe Männer stand dem Helden im Weg und unterhielt sich. Er bekam das Gefühl, dass es darum ging besonders wenig zu leisten.
    „Gestern hab ich mich mit Michael, Bertram und Rüdiger erstmal so richtig abgeschossen. Man war das ein Gelage. Aber man wird schließlich nur einmal vierzig.“
    „Hättest du was gesagt ich wär auch gekommen“, sprach ein rothaariger besonders großer Kerl.
    „Na, du meintest doch, du hättest deiner Frau versprochen ihr ein Kind zu machen“, sagte einer der schwarzhaarigen Männer, der seine langen Haare zu einem Dutt aufgesteckt hatte und lächelte anzüglich.
    „Hab ich auch“, sagte der rothaarige Mann mit seiner tiefen Stimme. „Die ganze Nacht und als ich heute Morgen aufgewacht bin, hab ich sie wachgeküsst und es ging gleich wieder los. Also ich habe meine Aufgabe heute erledigt.“
    Er grinste breit und die anderen Männer lachten.
    „Mehr kannst du nicht?“ spottete der Held, dem es gegen den Strich ging, dass ihm unnütze Leute im Weg herumstanden.
    Er war ohnehin schon sehr genervt und jetzt auch noch das. Er sah den großen Rothaarigen von oben bis unten an und sagte abschätzig: „Das ist beschämend, aber ich glaube dir.“
    Der Rothaarige fühlte sich tief beleidigt und forderte: „Nimm das zurück! Kommt einfach des Weges und wirft mit Beleidigungen um sich. Verspotten kannst du andere aber nicht mich. Ich bin Bernd, der Berg aus dem Bergwerk. Wer sich mit mir anlegt kriegt einen zertrümmerten Schädel.“
    Er ließ seine Muskeln spielen, die gut zu sehen waren, da er nur ein kurzärmeliges Hemd trug.
    „Kann ja jeder sagen“, sagte der Held, der sich nicht schrecken ließ.
    „Was machst du da?“ zischte ihm Tareskaides ins Ohr. „Du musst doch nicht gleich für Unruhe sorgen kaum, dass du in der Stadt bist.“
    „Ich mach mich mit den Einheimischen bekannt, so wie du geraten hast“, sagte der Held kühl.
    Währenddessen spuckte Bernd aus, zeigte mit dem Finger auf ihn und rief: „Ich fordere dich zu einem Duell!“
    Die Menschen um sie her waren stehen geblieben, fingen an zu tuscheln und starrten mit geweiteten Augen auf die beiden Männer.
    „Angenommen“, sagte der Held knapp und zog sein Bastardschwert.
    Die umstehenden Menschen riefen durcheinander und wichen dann hastig zurück.
    Bernd und seine Kumpel sahen kurz baff aus, dann sagte der rothaarige: „Moment, ich muss meine Axt erst holen gehen.“
    Der Held zuckte mit den Schultern. Was sollte das nun wieder? Wer ließ seine Waffe denn zu Hause?
    Bernd verschwand im gegenüberliegenden Haus.
    „Zurück! Zurück!“ rief ein älterer Mann währenddessen, der einen aufgeregten Jungen beim Schlafittchen packte und außerhalb der Reichweiter des improvisierten Kampfplatztes brachte. Als Bernd wieder aus dem Haus kam, nun dankenswerterweise mit seiner Axt sagte der Held ungeduldig und um zu provozieren: „Eh das hier mal losgeht…“
    „Du willst, dass es losgeht? Ich zeig dir wie das losgeht!“ brüllte Bernd und stürmte wütend mit seiner zweihändigen mittelgroßen Axt auf ihn los.
    Eigentlich hatte der Held den ersten Angriff blocken wollen, aber die Gelegenheit war zu gut. Indem Bernd die Axt hochriss, um all seinen Schwung in den ersten Angriff zu legen, lag sein ungepanzerter Bauch ungeschützt bloß. Der Held nutzte die Chance und schlug zu. Mit seinem Bastardschwert schlug er einmal von links nach rechts und schlitzte Bernd dem Berg aus dem Bergwerk den Bauch auf. Schwer verletzt ging der große Mann zu Boden und schrie. Seine Freunde sahen fassungslos auf ihn hinunter. So hatten sie sich das offensichtlich nicht vorgestellt. Auch die Zuschauer fanden diese Sache wohl nicht angenehm, denn sie tuschelten, schimpften oder schrien durcheinander. Manche buhten.
    „Enttäuschend“, kommentierte der Held den viel zu kurzen Kampf, bevor er zum am Boden liegenden Bernd ging und ihn ungeachtet seines Schreiens durchsuchte.
    „Dein Gold gehört jetzt mir“, sagte der Held und steckte sich Bernds Lederbeutel ein.
    Ohne den stark blutenden Bernd noch weiter zu beachten ging der Held seines Weges. Die anderen Anwesenden starrten ihm nach.
    Der Held war nun schon ein paar Häuser weit gekommen, als er die hohe schrille Stimme einer Frau hörte: „Bernd! Was machst du nur wieder für Blödsinn? Willst du mich mit unseren Kindern allein lassen? Wehe du stirbst!“
    „Keine Sorge liebe Leute, alles wird gut“, hörten sie eine Stimme im Gedränge. „Lasst mich durch, ich bin Wassermagier, lasst mich durch!“
    Die Leute machten hastig Platz und mit etwas Brimborium heilte er Bernd.
    „Vielen Dank ehrwürdiger Wassermagier. Wie kann ich mich bei dir für deine gute Tat erkenntlich zeigen?“, fragte Bernds Frau.
    „Gegen ein gutes Abendessen und einen Aufenthalt bei euch für die Nacht für meinen Lehrling und mich hätte ich nichts einzuwenden“, hörte der Held noch Tareskaides Stimme sagen, bevor er außer Hörweite war.
    Schnell wurde ihm klar, warum die Schmiede ihm nicht aufgefallen war. Sie lag in einer Seitenstraße an der Stadtmauer. Schwarzer Rauch stieg aus dem Schornstein. Trotz der späten Stunde wurde hier noch gearbeitet. Als der Held eintrat holte Medelger, dessen Oberkörper breit und stahlhart wirkte, gerade die Rohluppe aus dem Hochofen, schreckte sie ab, damit die Schlackenreste absprengten und begann dann daraus einen Eisenbarren zu schmelzen, den er zusammen mit all den anderen bereits gefertigten Barren letztendlich weiterverkaufen würde. Wie der Held inzwischen wusste, wurde in den Bergen, die sich zwischen der Stadt und der Bucht in der die „Murietta“ lag, Eisen und Silber abgebaut. Das Erz wurde dann hierher gebracht wo es von Madelger verhüttet und weiterverarbeitet wurde. Aus dem umliegenden Dschungel erhielt er die dringend benötigte Holzkohle, die in Meilern gebrannt wurde. Dem Helden war bereits aufgefallen, dass das Erz hier nicht blau, sondern braun war. Es erinnerte aber weder an das Erz aus dem Schläfertempel noch an das aus den Drachenhorten. Etwas verwundert teilte ihm Madelger auf Nachfrage auch mit, dass dieses Erz natürlich keine magischen Eigenschaften hatte und klärte ihn darüber auf, dass es Spateisenstein genannt wurde. Ein bisschen enttäuscht war der Held schon. Ob dieser Spateisenstein überhaupt für Waffen taugte? Als er sich weiter in der Schmiede umsah bemerkte er auch einige Schwerter an der Wand hängen und fragte Madelger danach aus.
    „Natürlich kann man aus Spateisenstein auch Waffen schmieden. Das geht sogar sehr gut.“
    „Und sind die Waffen denn auch gut?“
    Madelger wog seinen Kopf nachdenklich hin und her.
    „Kommt drauf an was du unter gut verstehst. Leider gibt es oft Verunreinigungen, die das Endprodukt schwächen. Natürlich hängt es auch vom Schmied ab, aber man kann schon ganz brauchbare Waffen daraus herstellen, indem man es weiterbearbeitet und die Verunreinigungen dadurch entfernt. Aber wenn du ein besonders wertvolles einzigartiges Schwert mit magischen Eigenschaften willst, bist du hier definitiv falsch.“
    Madelger lachte, weil er dachte einen Scherz gemacht zu haben. Der Held fand das gar nicht lustig. Der Schmied merkte wohl nichts, denn er erzählte weiter: „Selbst zweigeschmolzene Eisen können da nicht mithalten. Außerdem wird es nicht oft gemacht, weil es aufwendig ist und ein Drittel des Roheisens durch den Prozess verloren geht. Aber es ist sehr flexibel, weil es schnell schmilzt und man es daher in viele Formen bringen kann. Man muss eben wissen was man mit dem Eisen anfangen will. Was willst du denn kaufen?“
    „Nägel und Schrauben“, antwortete der Held knapp.
    Es war kein Problem bei ihm reichlich neue Nägel und Schrauben für den Vorrat der „Murietta“ zu erwerben. Die Reparaturarbeiten hatten ihren Bestand deutlich einschrumpfen lassen.
    „Kannst du mir zeigen, wie man dieses Eisen schmilzt und schmiedet?“ fragte der Held nach dem Geschäft.
    „Willst du etwa bei mir in die Lehre gehen?“ fragte Medelger verwundert.
    „Dafür fehlt mir die Zeit, aber ich könnte als Tagelöhner bei dir arbeiten.“
    Medelger grübelte über dieses Angebot nach.
    „Arbeit hätte ich genug. Mein letzter Lehrling hat es geschafft sich von einer Harpyie fressen zu lassen. Aber ich kann niemanden brauchen, dem ich alles hinterhertragen muss. Ich nehme dich nur, wenn du schnell lernst.“
    „Ich habe bereits Erfahrung im Schmieden. Ich kenn mich nur mit diesem Spatenstein nicht aus.“
    „Spateisenstein“, verbesserte Medelger. „Hm… na gut. Ich lasse es auf einen Versuch ankommen. Komm morgen früh bei Sonnenaufgang vorbei und ich sehe mal wie lange du hier durchhältst.“
    Der Held nickte knapp, sagte: „Bis morgen“ und verließ die Schmiede.
    Er lief durch die vielen verwinkelten Straßen und als er auf die Marktstraße zurückkam traf er auch schon wieder auf Ludwig und Alejandro, die noch gar nicht weit gekommen waren. Jeder von ihnen hielt schon wieder eins dieser Gebäcke in den Händen. Sie leckten sich die Münder und schauten äußerst zufrieden.
    „Habt ihr noch nicht genug gefuttert?“ fragte der Held leicht amüsiert.
    „Das schmeckt echt gut“, sagte Ludwig und leckte sich die letzten Reste vom Finger, nachdem er alles aufgegessen hat.
    „Willst du etwa all deinen Lohn in Backwaren anlegen?“ scherzte der Held.
    Ludwig sah aus, als würde er ernsthaft darüber nachdenken.
    „Kannst du ja morgen machen. Ich arbeite morgen als Tagelöhner beim Schmied. In der Zeit könnt ihr euch hier ja mal umsehen und versuchen möglichst viel über diese Insel hier herauszufinden.“
    Alejandro und Ludwig schauten überrascht.
    „Was willst du denn als Tagelöhner beim Schmied?“ fragte Ludwig schließlich und seine Stimme ließ deutlich werden, das er das für verschwendete Zeit hielt.
    „Ich will lernen wie man mit diesem braunen Erz schmiedet. Wir haben Glück, dass wir auf einer bewohnten Insel gelandet sind, aber im Notfall will ich Materialen zur Reparatur des Schiffs auch selbstständig anfertigen können.“
    „Na da hast du dir ja was vorgenommen. Die Murietta hat doch gar keine Schmiede“, gab Ludwig zu bedenken.
    „Wenn es so weit ist, wird mir da schon was einfallen“, sagte der Held zuversichtlich.
    Ludwig zuckte nur noch mit den Schultern. Vielleicht fiel ihm nichts mehr dazu zu sagen ein, oder es war ihm egal. Alejandro wunderte sich beim Helden wohl über gar nichts mehr, denn er nahm das gesagte einfach so hin. Zusammen gingen sie weiter durch die Stadt.
    Ludwig sah eine Taverne und schlug vor dort zum Abschluss des Tages etwas zu trinken. Er war wohl sehr durstig. Ob der Zucker daran schuld war? Der Held stimmte zu. Mehr als für die Getränke interessierte er sich für die Informationen des Wirtes. Sie hatten sich schon weiter genähert, da sagte der Held: „Seht mal! Steckbriefe.“
    „Ohje“, kam es ängstlich von Alejandro.
    Sie gingen ans vollgehängte schwarze Brett. Neben einer Meldung über Gesetzesänderung und einer allgemeinen Bekanntmachung über die Landesweite Erhöhung von Steuern hingen auch viele unterschiedliche Steckbriefe am Brett. Der Held erkannte Ronja die Piratenbraut, Samson den schlimmen Sünder und Kapitän Stachelbart. Es gab einen uralten bereits vergilbten Steckbrief von Andreas Aasgeier, der aussah, als würde er hier schon viele Jahre hängen, einen recht neuen von Käpt‘n Huk, einen ausgefransten von Gregs Vetter Frank, aber auch Greg war auf einem Steckbrief zu sehen. Einer sollte wohl ihn selbst zeigen. Hätte der Held nicht gewusst wonach er Ausschau halten sollte, hätte er sich wohl selbst nicht erkannt. Seine Nase war viel zu groß gezeichnet und sein Bart ließ nicht mehr viel vom Gesicht erkennen. Der Held riss seinen Steckbrief vom Brett und sah ihn sich genauer an.
    „Oh nein“, sagte Alejandro schrill und sah fast schon panisch nach links und rechts, wohl, weil er fürchtete jeden Moment könnte jemand ihn erkennen und festnehmen wollen.
    „Und gerade jetzt musstest du diesen Aufruhr veranstalten“, sagte der Junge bang.
    „Welchen Aufruhr?“ fragte der Held, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Er erwartete keine Antwort, blieb einfach stehen wo er war und las stumm was auf seinem Steckbrief geschrieben stand:
    „König Ulffried der Große, der Bewahrer von Handel und Reichtum, der Verteidiger der Schwachen, der Retter vor dem Verderben, der Überbringer der Zukunft, der Kämpfer gegen die Sklaverei, der Streiter für Recht und Ordnung, König von Ustet fordert die Ergreifung dieses Mannes wegen versuchtem Mordes an seinem Sohn. Zehntausend Goldstücke Belohnung.“
    „Du hast versucht einen Prinzen zu ermorden?“ fragte Ludwig alarmiert.
    Er hatte dem Helden über die Schulter gesehen und wohl mitgelesen.
    „Völlig übertrieben“, wehrte der Held ab und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sein Schiff war untergegangen. Wir haben ihn rausgefischt. Der Käpt’n hatte eigentlich vor ihn gegen Lösegeld nach Ustet zu bringen, aber der kleine Goldjunge hat einfach zu sehr genervt. Deswegen habe ich dem Kapitän Tausend Goldstücke geboten, wenn ich die Nervensäge bei der nächsten Insel rausschmeißen darf und das hab ich dann gemacht.“
    „Und wieso dann versuchter Mord?“
    „Er hat eben ein bisschen bis zur Insel schwimmen müssen.“
    „Jetzt versteh ich‘s…“, sagte Ludwig und seufzte tief.
    Eine Zeit lang war es still, dann setzte er hinzu: „Ihr hättet ihn besser wirklich nach Ustet gebracht.“
    Der Held schnaubte.
    „Oder einfach im Wasser lassen sollen, oder ihn töten sollen. Wird mir eine Lehre sein. Tote erzählen keine Geschichten.“
    Ludwig verzog wegen den kalten hartherzigen Worten des Helden das Gesicht. Alejandro sah immer noch wie ein verschrecktes Frettchen nach links und rechts. Der Held steckte seinen Steckbrief ein und nahm sich nun den von Greg vor. „Piratenkapitän Greg wird gesucht wegen: Piraterie, Schmuggel, Plünderung, Brandschatzung, schwerer Raub und Mord in unzähligen Fällen. Bei seiner Ergreifung und Auslieferung an die Marine von König Ulffried dem großen, dem Bewahrer von Handel und Reichtum, dem Verteidiger der Schwachen, dem Retter vor dem Verderben, dem Überbringer der Zukunft, dem Kämpfer gegen die Sklaverei, Streiter für Recht und Ordnung, König von Ustet winkt eine Belohnung von sechstausend Goldstücken.“
    Wieder runzelte der Held die Stirn. Dass es für die Ergreifung des Kapitäns weniger Gold geben sollte als für ihn wunderte ihn. Ob der Kapitän es ihm übelnehmen würde? Oder würde er sich vielleicht sogar freuen, weil auf ihn weniger Gold ausgesetzt war? Er konnte das schlecht vorhersagen.
    „Hm… ob es dem Käpt’n gefallen wird, dass es für mich mehr Gold gibt?“ fragte der Held spöttisch.
    „Immerhin hat er nicht beinahe einen Prinzen getötet. Schätze König Ulffried ist auf dich besonders sauer. So ein hohes Kopfgeld habe ich noch nie gesehen“, sagte Ludwig staunend.
    Den Helden beunruhigte nicht, dass nun wer weiß wie viele Leute ihn tot oder gefangen sehen wollten. Nein, das sah er sogar als eine Art Herausforderung. Ihn beunruhigte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Greg, ihn und die anderen von der Crew erkennen könnte. Wenn diese Steckbriefe nicht nur hier, sondern auf vielen Inseln verteilt wurden sein sollten würde es schwer werden überhaupt noch einen Hafen anzulaufen. Das würde die Suche nach der „Esmeralda“ und dem Drachengold deutlich erschweren.
    Sie gingen in die Taverne und bestellten sich den Reisschnaps mit Rohrzucker von dem Tareskaides gesprochen hatte. Wie gewohnt kippte der Held ihn sich in einem Zug hinunter, während Ludwig sich Zeit ließ und Alejandro nach einem kurzen Schluck überhaupt nicht mehr weitertrinken wollte. Er schob die Flasche seinem Entertruppführer zu, der sie gleich leerte.
    „Nichts verschwenden“, sagte er knapp.
    Tatsächlich redeten sie an diesem Abend nicht mehr viel. Nachdem er seinen Steckbrief gesehen hatte wollte der Held beim Wirt nicht zusätzlich auffallen und fragte ihn deswegen nicht aus. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Für dreißig Goldstücke konnten sie sich ein Zimmer teilen. Es war deutlich zu sehen, dass dieses Zimmer für durchreisende Arbeiter gedacht war. Die Betten standen dich beisammen, damit mehr ins Zimmer passten und es gab nur noch eine Truhe für die Ausrüstung. Ein kleines Fenster ließ nur etwas Licht ins Zimmer, so dass es dunkel und trostlos wirkte. Den Helden störte das nicht. Er war nicht zum Wohnen in diese Stadt gekommen, doch er fühlte das Unbehagen von Alejandro, der sich rasch ins hinterste Bett verzog und von allem nichts mehr wissen wollte.
    Geändert von Eispfötchen (24.03.2024 um 23:35 Uhr)

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    Als Tagelöhner in Medelgers Schmiede

    Gleich am nächsten Morgen wurde der Held von der Stadtwache angehalten, als er auf dem Weg zur Schmiede war. Der augenscheinlich ranghöchste Mann sprach mit strenger Stimme: „Gestern haben viele Bürger der Stadt gesehen wie du Bernd schwer verletzt hast.“
    „Er hat mich zu einem Duell gefordert. Ich hab angenommen“, sagte der Held knapp.
    Er fragte sich, ob das hier zu einer weiteren Auseinandersetzung führen würde. Was sollte er tun, wenn sie ihn ergreifen wollten? Wenn er sie seinerseits angriff, würde das nur zu mehr Problemen führen. Wenn er sich abführen ließ, müsste er erst wieder umständlich aus dem Gefängnis ausbrechen. Das er frei käme, daran hatte der Held keinen Zweifel, aber schwierig würde es werden. Er hatte die Kaserne gesehen. Zwei Arbeitstrupps waren damit beschäftig sie weiter zu vergrößern. Der König hatte wohl viel Gold locker gemacht, um seine Inseln besser zu schützen. Vermutlich würden diese Männer demnächst auch Verstärkung erhalten. All das würde sein Vorhaben nur weiter verkomplizieren. Doch überraschenderweise entspannte sich das Gesicht der Stadtwache.
    „Das heißt, dass nicht du das Duell begonnen hast, sondern er?“
    „Ja, er hat auch zuerst angegriffen. Er war nur sehr schnell besiegt“, antwortete der Held knapp.
    Die Stadtwache strich beiläufig über ihren Waffenrock und sagte: „Nun gut, dann scheint alles rechtens. Wer zu einem Duell gefordert wird und darauf eingehen muss, um seine Ehre zu verteidigen, macht sich keiner Straftat schuldig. Doch denk daran dich nicht zu oft provozieren zu lassen, sonst giltst du als Unruhestifter.“
    Bei diesen Worten legte eine der Wachen den Kopf schräg und sagte: „Hm… irgendwie hab ich das Gefühl den Mann schon irgendwo gesehen zu haben.“
    Sein Vorgesetzter drehte sich zu ihm um und fragte: „Und wo?“
    Nun rieb sich die andere Stadtwache das Kinn und legte die Stirn in Falten: „Weiß nicht mehr.“
    „Nächstes Mal behältst du deine vagen Verdächtigungen für dich! Sprich mich nur noch an, wenn du dir sicher bist“, sagte der Vorgesetzte verärgert und drehte sich wieder zum Helden um.
    „Lasst ihr mich jetzt zur Arbeit gehen?“ fragte der Held, weil er sich dachte, dass sie ihm wohlgesonnen wären, wenn sie erfuhren, dass er sich bereits nützlich gemacht hatte.
    „Arbeit? Was für Arbeit?“ fragte der Anführer der Stadtwache.
    „Ich arbeite beim Schmied Medelger.“
    „Medelger? Der ist vertrauensvoll. Gut, kannst weitergehen. Die Arbeit wartete ja nicht.“
    Der Held nickte knapp und ging an der getadelten Stadtwache vorbei, die nun gekränkt die Schultern hochgezogen hatte.
    Schon am ersten Tage lernte der Held viel bei Medelger, denn zunächst führte der kräftige Mann ihn in die Grundlagen der Schmiedekunst ein, etwas das der Held bisher einfach übersprungen hatte. Ihm war allein wichtig gewesen wie er Klingen schmieden konnte, um noch bessere und tödlichere Schwerter zur Verfügung zu haben. Doch Medelger schmiedete hauptsächlich Werkzeuge und Materialen zur Weiterverwendung. So lernte der Held Nägel, Schrauben, Sägen, Zangen, Meißel, Sensen, Hacken, Spaten, Ösen, Scharniere, Ketten und andere Eisenwaren des Alltags herzustellen. Früher hätte ihm vermutlich die Geduld für so etwas gefehlt, da er sich als Krieger und Abenteurer sah und er in seinem bisherigen Leben keinen Nutzen im Erlernen dieser Fähigkeiten gesehen hatte. Doch nun, da die Reparaturarbeiten der „Murietta“ so präsent waren, hatte er seine Meinung geändert. Sie hatten Glück, dass sie hier auf dieser bewohnten Insel angelandet waren, doch der Held wollte die Materialen, die sie für Reparaturen gebrauchen konnten auch selbst herstellen können. Wie üblich lernte der Held schnell und Medelger war äußerst zufrieden mit seinem neuen Tagelöhner, so dass er ihm am Abend begann zu zeigen wie er mit Spateisenstein Waffen schmieden konnte.
    Da der Held nun von Tareskaides wusste, dass außerhalb von Myrtana und Khorinis fast kein magisches Erz verwendet wurde, hielt der Held es für wichtig die Verarbeitung der anderen Erze zu beherrschen. Wie er feststellte, war es tatsächlich ein enormer Unterschied, ob er mit blauem Erz schmiedete oder nicht. Bisher hatte er Rohlinge einfach nur ins Feuer gehalten, sie dann auf einem Amboss zu Klingen geschmiedet, anschließend im Wasser abgeschreckt und dann am Schleifstein in Form gebracht. Dann musste nur noch ein Griff angebracht werden und fertig war das Schwert. Magisches Erz war leicht und schnell zu verarbeiten. Anders war die Arbeit mit dem Spateisenstein.
    Der Held staunte nicht schlecht als Medelger auf einmal in den Ofen pullerte. Nachdem er den verwunderten Blick des Helden sah, erklärte er: „Das Salz in der Pisse ist wichtig, damit die Oberfläche hart wird. Wir mengen da jetzt noch geraspelte Hornspäne und Holzasche rein und lassen es länger durchglühen.“
    „Hätte nicht gedacht, dass Waffen hier aus Pisse entstehen.“
    „Man kann auch hochwertiges Salz nehmen, wenn man die Goldscheiße hat“, murrte Medelger.
    Der Held verstand den Wink und hörte auf zu kritisieren. Viele andere Männer hätten am Abend viel gestöhnt und gemurrt und sich überlegt, ob sie am nächsten Tag überhaupt wieder zur Arbeit gehen sollten, da sie so anstrengend und hart war, doch der Held sah keinen Sinn darin herumzujammern. Erst am nächsten Tag konnten sie ihre Arbeit fortsetzen.
    „Was wir jetzt hergestellt haben wird Brennstahl genannt. Pass genau auf, denn ich erkläre es nur einmal. Wir werden jetzt einen Degen schmieden.“
    Medelger zeigte ihm wie er den Brennstahl zu dünnen Stahlstäbchen verarbeitete und diese dann auf beiden Seiten einer schmiedeeisernen Angel aufschmiedete.
    „Du musst Sorgfältig arbeiten, denn der Stahl muss gleichmäßig verteilt sein. Wenn er zu heiß wird vermurkst du die Klinge. Das erkennst du am Glühen. Siehst du, so wie jetzt sollte es aussehen. Es muss dunkelblau anlaufen. Wenn du fast blind wirst ist es zu viel. Einfach zu merken, oder? Du brauchst aber viel Geschick und Erfahrung und vor allem Geduld. Viel Geduld.“
    Der Held verzog missmutig das Gesicht. Tatsächlich dauerte die Arbeit sehr viel länger als er es gewohnt war. Während sie immer noch mit der ersten Klinge beschäftigt waren, hätte er aus magischem Erz sicher schon zehn schmieden können.
    Medelger übergab dem Helden regelmäßig die Arbeit und leitete ihn an. Doch sobald sie einen Arbeitsabschnitt geschafft hatten übernahm er wieder, um dem Helden zu zeigen was zu tun war. Nach dem Härten der Klinge wurde sie erneut erwärmt.
    „Sonst wird die Klinge zu hart und spröde“, erklärte der Schmied.
    „Verstehe ich nicht.“
    „Sie bricht sonst zu schnell, ein Degen soll biegsam sein“, erklärte Medelger knapp.
    Diese Worte ließen den Helden die Stirn runzeln. Er hatte gelernt, dass es gut war, wenn Klingen hart waren. Vermutlich hatte magisches Erz die Eigenschaft gar nicht spröde zu sein. Zum ersten Mal wünschte er sich, er hätte genauer bei seinen früheren Lehrern nachgefragt. Zum ersten Mal schien es ihm nicht genug einen Schnellkurs einzulegen und so langsam erkannte er den wahren Wert des magischen Erzes. Selbst wenn es nicht in der Vulkanschmiede im Hammerklan verwendet wurde, so war das magische Erz wesentlich einfacher schmiedbar, formbarer, aber auch härter als dieses Erz. Während der weiteren Verarbeitung fragte der Held also Medelger weiter nach anderen Erzen aus und der Schmied erklärte ihm geduldig, dass es viele Möglichkeiten zur Erhitzung und Verarbeitung gab, je nachdem welches Erz man als Rohstoff zur Verfügung hatte und was man damit erreichen wollte. Als der Held ihn fragte, ob er jemals mit magischem Erz gearbeitete hatte, lachte Medelger und meinte, dass das was er über magisches Erz gehört hatte für ihn völlig übertrieben klang. Es könne kein Erz geben das alles könnte und auch noch so leicht und schnell zu verarbeiten sei. Kurz überlegte der Held, ob er etwas blaues Erz hervorholen und ihm zeigen sollte wie man damit schmieden konnte, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Er kannte Medelger nicht gut genug und wer weiß wem er diese Fähigkeiten beibringen könnte. Außerdem wollte er Fragen über die Herkunft des Erzes vermeiden, denn so könnte der Schmied weiter nachbohren und wissen wollen wo er selbst hergekommen war und was er jetzt hier machte. Dem Helden reichte schon, dass Tareskaides über seine Herkunft Bescheid wusste. Umso weniger Menschen sich über Myrtana Gedanken machten, umso besser, fand der Held.
    Die Arbeit bei Medelger war körperlich anstrengend und geistig fordernd. Der Schmied war beeindruckt von der raschen Auffassungsgabe seines neuen Tagelöhners, der seine Arbeit schnell nachahmte und den er bald gar nicht mehr verbessern brauchte. Schon am dritten Tag hatten sie all seine Vorräte an Eisenerz aufgebraucht.
    „Ich hab noch niemanden gesehen, der so schnell lernt wie du. Noch eine Woche und du könntest meine Schmiede übernehmen“, brummte Medelger.
    „Wieso? Willst du nicht mehr Schmied sein?“ fragte der Held.
    „Doch, aber langsam werde ich alt und brauche einen Nachfolger.“
    „Mich hält nichts an diesem Ort“, sagte der Held knapp.
    Medelger seufzte. Er hatte wohl zu hoffen begonnen, dass aus dieser flüchtigen Bekanntschaft ein festes Arbeitsteam werden könnte.
    „Kann ich verstehen. Außer Kakao und Zucker, was hat Eisenbach schon groß zu bieten? Du bist in der Blüte deiner Jahre, dir steht die Welt noch offen.“
    Er hörte sich schwermütig an. Der Held sagte nichts dazu, denn wenn der Schmied nicht wusste was Eisenbach zu bieten hatte, woher sollte er es dann wissen? Vermutlich war es Zeit sich mehr in der Stadt umzusehen.
    In den nächsten Tagen fragte er die Bewohner von Eisenbach aus und nahm kleine Aufträge und Botengänge an. Ihm fiel auf, dass er sich dabei anders fühlte als früher. Meist hatte er bisher Aufträge angenommen, weil er weiter kommen wollte, um die Gegend zu erkunden, um neue Erfahrungen zu sammeln und etwas zu lernen, oder auch schlicht an der Freude etwas zu tun zu haben. Dass er anderen Leuten damit half, hatte zwar auch meist eine Rolle gespielt, aber oft nur eine untergeordnete. Heute kamen ihm viele Anliegen der Bürger recht uninteressant vor. Er nahm nicht mehr alle Aufträge an, sondern lehnte sogar die ab, die ihn nicht ansprachen, auf die er keine Lust hatte, oder die zu lange dauern würden. Immerhin würde er nur ein paar Tage in der Stadt sein und er wollte seine Zeit bestmöglich nutzen. Er freute sich auf oft gar nicht mehr, wenn er einen kleinen Auftrag erfüllt hatte, weil es für ihn keine Herausforderung dargestellt hatte. Er brauchte etwas Abenteuerliches und so kam es ihm ganz recht, dass er von einem Bürger angesprochen wurde, dem das rechte Bein fehlte und der sich deswegen auf eine Krücke stützen musste um nicht hinzufallen.
    „He, du bist doch ein reisender Abenteurer, richtig? Ich hätte einen Auftrag für jemanden wie dich. Ich brauche jemand mutigen, der sich durch den Verwunschenen Dschungel wagt. Seitdem ich mein Bein wegen eines Unfalls im Bergewerk verloren habe, komme ich kaum voran. Es ist wirklich mühsam, weißt du? Früher, da wäre ich die Strecke sicher in sechs Stunden gelaufen, doch heute wäre ich vermutlich eine Woche unterwegs, wenn ich es aufgrund des beschwerlichen Geländes überhaupt schaffen würde. Ach war das schön damals, als ich noch unbeschwert herumlaufen konnte. Ich habe meine besten Jahre mit der Arbeit in der Mine vertan. Hätte ich doch mehr aus meinem Leben gemacht und nun…“
    „Kann mich nicht erinnern, dass ich dich nach deiner Lebensgeschichte gefragt hätte“, unterbrach ihn der Held, dem dieses Gespräch zu lange dauerte.
    Der Bürger knurrte missmutig und verzog verärgert das Gesicht, doch er wagte es nicht laut zu murren, denn offensichtlich brauchte er die Hilfe des Helden wirklich.
    „Ich will einfach nur, dass du dieses Paket zur Schwesternschaft der Sieben bringst.“
    „Was ist die Schwesternschaft der Sieben?“ fragte der Held, der davon noch nie gehört hatte.
    „Du kennst doch eine Bruderschaft, oder? Im Prinzip ist das hier genauso, nur, dass es eben eine Gemeinschaft von Frauen ist.“
    „Hm, gibt es im verwunschenen Dschungel gefährliche Viecher?“ fragte der Held erwartungsvoll.
    Der verkrüppelte Bürger sah ihn skeptisch an. Offensichtlich wusste er nicht, ob er lügen sollte, oder nicht. Die meisten Leute schreckte es völlig ab, wenn überall hungrige Biester auf einen lauerten, doch der Held hatte aufgeregt geklungen.
    „Ein paar. Nichts Besonderes, vermutlich.“
    „Na gut, gib mir das Päckchen. Ich werde es überbringen.“
    „Schön, wenn du zurück kommst, wartet ein Beutel Gold mit gutem Gewicht auf dich“, sagte der Bürger und lächelte ihm zu.
    „Wie komme ich zur Schwesternschaft der Sieben?“ fragte der Held.
    „Du gehst zum südlichen Stadttor hinaus, folgst der Straße zur Hafenstadt etwa einen Kilometer, biegst dann aber bei einer Wegbiegung in den Wald ab. Dort gibt es einen großen Felsen auf dem ein großer Pfefferbaum wächst. Du kletterst den Felsen hinauf und gehst dann immer weiter geradeaus, bis du zu einer Hochebene gelangst. Die Überquerst du. Dann kommst du in den verwunschenen Dschungel und dort wirst du die Schwesternschaft der Sieben finden. Wenn du Glück hast, triffst du auf den Jäger Elano, der kann dir weiterhelfen.“
    „Gut“, sagte der Held, nahm das Päckchen und machte sich umgehend auf den Weg.

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