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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Post [Story] Auf der Jagd nach der Esmeralda

    Kurzbeschreibung:
    Was ist eigentlich aus der Esmeralda geworden, nachdem die Piraten sie vor Ardea gekapert hatten? Das will der Held herausfinden. Es verheißt ein neues aufregendes Abenteuer zu werden und so heuert er bei Piratenkapitän Greg an, der ein neues Schiff klar gemacht hat, um gemeinsam die Esmeralda zu suchen. Ihre aufregende Reise führt sie von Myrtana in neue Länder, mit fremden Sitten und ungewöhnlichen Gefahren. Diese Geschichte ist eine Fortsetzung von „Neue Abenteuer braucht der Held", allerdings ist es nicht zwingend erforderlich diese Geschichte gelesen zu haben. Im Grunde reicht es zu wissen, dass
    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    der moralisch flexible Held nach neuen Abenteuern lechzt, da es ihm in Myrtana bald zu langweilig geworden ist und viele hungernde Bewohner auf die Idee kamen ihn zum König krönen zu wollen. Trotz seiner Kein-König-Kampagne konnte er es ihnen nicht ausreden, weshalb er lieber zu neuen Abenteuern aufbrach.
    Geändert von Eispfötchen (20.10.2022 um 20:06 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Murietta

    Kaum war der Held an Bord des großen Dreimasters geklettert, versammelte sich auch schon die verwunderte Mannschaft um ihn.
    „Wat makst ‘n du hier op mien Schipp?“ fragte Piratenkapitän Greg verblüfft, weil einfach so auf offener See ein Mann an Bord kletterte.
    „Ich hatte Lust auf ein neues Abenteuer und hab dein Schiff gesehen“, erklärte der Held.
    „Ach un da dachtest du, schwimmst einfach mal hin un guckst et dir an? Ik bin doch keen Reiseveranstalter hier!“ schnarrte Greg mit seinem typischen Seemannsdialekt. „Woher wusstest du överhaupt, dat et mien Schipp is?“
    „Entweder du, oder die Piraten, die mir die Esmeralda unterm Arsch weggeklaut haben, als ich mit meinen Jungs in Ardea war. Wäre mir beides recht gewesen. Dich kenne ich ja, die anderen hätte ich umgebracht und hätte dann mein Gold wieder“, erklärte der Held trocken.
    „Gold?“ wurde Greg sofort hellhörig und sein verbliebenes Auge weitete sich.
    Der Held grinste. Er hatte sich schon gedacht, dass Greg bei diesen Worten anbeißen würde.
    „Ja Gold. Drachengold, wenn du es genau wissen willst. In Irdorath lag davon so viel herum, dass beinahe das Schiff von der Last gekentert wäre. Einige meiner Männer wollten schon was über Bord schmeißen, weil sie fürchteten wir würden untergehen, aber das hab ich nicht zugelassen.“
    „Natürlich nich“, sagte Greg und sah dabei so aus, als wüsste er nicht warum man das auch nur in Erwägung ziehen sollte.
    „Wie wär’s, wir ziehen los und suchen die Esmeralda und wenn wir sie finden, dann gebe ich dir dreißig Prozent des Goldes“, schlug der Held vor.
    „Du hast wohln Sprung in der Schüssel? Ik hab hier mien Schipp und miene Mannschaft un wat hast du? Ik sollte siebzig Prozent bekommen, oder ik schmeiß dich gleich wieder über Bord!“
    „Versuchs doch!“ sagte der Held keck und grinste herausfordernd.
    Greg sah ihn finster an und der Held entschied etwas einzulenken.
    „Aber weil ich dich kenne, bin ich bereit dir vierzig Prozent zu geben. Überleg doch mal, nur ich weiß wie die Esmeralda aussieht.“
    „Dat vertelle man een, dei en Heot ohne Krempe up hät. Ne, ne, nich mit mir. Ik hab dat Schipp damals in Khorinis im Hafen gesehen, als noch diese arroganten Schnösel da herumstolziert sin.“
    Der Held besah sich den schwarzen Kapitänshut von Greg genauer, um herauszufinden was genau er mit seiner Aussage meinte. Er entschied, dass das vermutlich nicht so wichtig war.
    „Hm… aber ich kann dich unterstützen. Früher habe ich dir doch auch schon geholfen. Ich bin gut im Training.“
    „Ja, aber unzuverlässig bist’e ook. Bist damals einfach abgehauen“, sagte Greg und taxierte den Helden mit seinem zusammengekniffenen verbliebenen linken Auge, so dass dieser sich genötigt sah ihm mehr anzubieten.
    „Na schön, ich geb dir fünfzig Prozent, aber das reicht dann auch. Das ist dann so viel Gold, dass dieser Kahn fast untergeht.“
    „Einverstanden, ook wenn ik dir sagen muss, dat de Murietta en gootes zuverlässiges Schipp is. Du wirst staunen wie veel Beute hier reinpasst.“
    „Wo hast du es überhaupt her?“ fragte der Held neugierig.
    „Bin doch nich op‘n Kopf gefallen. Konnte doch nich länger mit miener Crew an Land herumlungern, sonst wär‘n wir noch zu Landradden geworden.“
    Er zeigte auf seine Crew, die immer noch verwundert über diese seltsame Situation um sie herumstand und glotzte. Der Held erkannte Francis, Morgan, Henry, Samuel, Garett, Alligator Jack, Bill, Bones, Brandon und Owen, aber auch ein paar neue Gesichter.
    „Weißt‘e denn in welche Richtung de Esmeralda verschwunnen is?“ wollte Greg wissen.
    „Nein, das nicht. Es ist schon eine ganze Weile her. Ich denke, wir finden sie eher durch Zufall und herumfragen. Fahren wir einfach irgendwohin und gucken was es so zu holen gibt“, sagte der Held voller Abenteuerlust.
    „Hatte ik sowieso vor. Wollte nur mal kneistern wie et hier mittlerweile aussieht, aber da reicht ja schon een Blick durchs Fernrohr, um zu sehen, dat bei diesen abgehungerten Gestalten op‘n Festland nix zu holen is“, sagte Greg mit seinem breiten Dialekt.
    Sie standen einen Moment herum, in dem der Piratenkapitän tief Luft holte und noch mal seine Umgebung ganz genau ansah, bevor er eine Entscheidung traf.
    „Na goot, denn segeln wir ma los, aber nich, dat du denkst, dat du dir hier nen schönen Tach machen kannst. Ne ne, gefährliche Leute muss man beschäftigt halten, damit se sich nich irgendwelche Katastrophen ausdenken und weil ik weiß, wat für‘n schlimmer Bagalut du bist, kriegst‘e gleich wieder een eigenen Entertrupp, für den du dann verantwortlich bist.“
    Der Held zog eine Grimasse.
    „Verantwortung wollte ich keine.“
    „Tjoa, ik wollt auch kenen Typen, der mir auf offener See aufs Schipp springt, aber siehe da …“
    Greg machte eine ausholende Handbewegung die den Helden und das Schiff umfasste.
    „Ik hab een paar neue Männer, die wir auf den südlichen Inseln aufgegabelt haben. Dat hier is ihr erstes Abenteuer op‘n Piratenschiff. Noch ganz staubige Landradden, so wie du und daher kommen sie in deinen Entertrupp. Dann könnt ihr zusammen sehn wie die Makrele schwimmt. Vergiss nich, du bist für sie verantwortlich! Nimm sie unter deine Fittiche, wie ein Scavanger sein Aas! Pass immer auf, dat sie Arbeit haben, wat lernen und niemandem hier im Weg stehen! Die beiden Älteren heißen Miguel un Manuel un die saufen uns bald den ganzen Rum wech, wenn wir nich aufpassen. Sorg dafür, dat se zu wat nütze sin un lern ook den erst kürzlich aus‘m Ei geschlüpften Stint an.“
    Greg hatte zuerst auf zwei ältere Männer um die vierzig gezeigt, die verfilzte schwarze Haare und einen Sechstagebart hatten. Sie rochen in ihren abgerissenen ausgewaschenen roten Piratenklamotten, als wären sie in ein Schnapsfass gefallen. Dann zeigte der Kapitän auf einen schüchtern aussehenden Jungen, der nicht älter als sechszehn sein konnte. Er hatte nur einen leichten Pflaum am Kinn. Seine Augen waren wach und aufmerksam, sein schwarzes Haar kurz und sein graues Hemd unter der roten Piratenkluft hing zwar etwas schludrig an ihm herunter, aber es war größtenteils sauber.
    „Krieg ich auch jemanden in den Entertrupp, der was von seiner Arbeit versteht?“ fragte der Held den Kapitän, weil er nicht einsah nur lauter Nulpen in seinem Team zu haben.
    „Klar. Ik teil dir Skip zu. Der versteht wat vun seiner Arbeit un kam zuletzt immer gut mir dir aus. So un jetzt haben wir hier genug palavert. Alle wieder ran an die Arbeit!“
    Die Mannschaft beeilte sich der Aufforderung ihres Kapitäns nach zu kommen, doch die Neuen und der Held blieben stehen und beäugten sich skeptisch. Der Held fragte sich, was er mit ihnen anfangen sollte. Er war zwar schon mal Pirat und er war auch schon mal auf einem Schiff, aber er war noch nie auf einem Piratenschiff. Offenbar war dem jungen Kerl die angespannte Stille unangenehm, denn er trat einen Schritt auf den Helden zu und stellte sich vor: „Ich heiße Alejandro und du?“
    „Ich nicht“, antwortete der Held trocken.
    Alejandro zuckte zusammen und ließ verwirrt den Blick und seine Hand sinken. Miguel trat auch einen Schritt vor, allerdings herausfordernd.
    „Warum sollten wir uns eigentlich von dir herumkommandieren lassen? Bist doch gerade erst aufs Schiff gekommen.“
    „Weil Käpt’n Greg es gesagt hat“, antwortete der Held in einem Ton, der verriet, dass die Diskussion seiner Meinung nach damit beendet war.
    „Ja, der Käpt’n ist in Ordnung. Bei dem haben wir ja auch angeheuert, aber du bist nur irgendein Großkotz, den das Meer an Bord gespült hat. Weiß nicht, warum wir uns von dir was sagen lassen sollten. Pass lieber auf deinen Rücken auf! Könnt ja sein, dass wir dich eines Nachts einfach über Bord werfen.“
    Die Augen des Helden verengten sich.
    „Hältst dich wohl für ne harte Sau, was?“
    Er zog Uriziel und machte sich bereit für einen Kampf.
    „Na dann komm her!“ forderte er seinen neuen Herausforderer auf, doch der trat eilig einige Schritte zurück und sagte nervös: „Steck die Waffe weg Mann! So habe ich es nicht gemeint. War nur ein Spaß.“
    Er lachte aufgesetzt und nervös. Der Held steckte Uriziel wieder weg und sagte: „Gut und weil es gerade so schön lustig ist, suchen wir jetzt Skip, damit er uns zeigt was wir hier auf diesem Kahn als erstes machen sollen.“
    Sie gingen zu Skip und der Held fragte ihn: „He, kannst du mich hier auf dem Schiff mal rumführen und alles zeigen?“
    „Klar, ihr anderen macht auch noch mal mit. Ich hab den Eindruck ihr habt beim ersten Mal nicht alles verstanden.“
    Alejandro wurde tiefrot im Gesicht. Manuel und Miguel sahen eher verärgert aus.
    „Damit ihr die Sprache hier auf dem Schiff versteht, geb ich euch mal einen kleinen Einstiegskurs. Der Bug ist vorne, das Heck ist hinten, Backbord ist links, Steuerbord ist rechts. Wer damit Probleme hat, kann die kleine Eselsbrücke nutzen, dass Steuerbord zwei r hat und damit rechts gemeint ist.“
    Skip sammelte drei unterschiedliche dicke Seile ein und zeigte sie vor. Sie waren ordentlich zu Päckchen zusammengelegt, damit sie bei Bedarf sofort genutzt werden konnten.
    „Das hier ist Tauwerk“, fing Skip an, aber der Held unterbrach ihn gleich vorlaut: „Was du nicht sagst, ich hätte es für Seile gehalten.“
    Skip warf ihm einen finsteren Blick zu.
    „Sprüche klopfen kannst du zuhause, willst du die Einführung jetzt, oder nicht?“
    „Ist ja gut, reg dich nicht gleich auf“, antwortete der Held.
    Der erfahrenere Pirat hielt jetzt die drei verschiedenen Stücke hoch und erklärte: „Das dicke hier nennt sich Trosse und die nehmen wir zum Beispiel zum Festmachen, als Schleppseil, als Abspannung zum Versteifen der Masten und natürlich um die Segel zu bewegen. Das Mittlere hier sind die Leinen. Die haben ebenfalls sehr vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, die ich euch im Genauen nachher weiter erklären werde und das dünne hier nennt sich Bändsel und wird für allgemeine Befestigungsarbeiten genommen. Ihr müsst mit all dem umgehen können, was von Knoten verstehen und alles später wieder aufschießen, das heißt ordentlich zusammenlegen, so wie es jetzt im Moment ist. Der Käpt’n kriegt nen Anfall, wenn er nachts wieder über verstreut herumliegendes Tauwerk stolpert.“
    Miguel und Maunuel grinsten sich schelmisch an. Offenbar waren sie es, die Greg so zur Weißglut gebracht hatten.
    „Das da vorne links und rechts neben dem Bug, sind, wie ihr sehen könnt, die Harpunen.“
    Er zeigte auf zwei Halterungen in denen die mit Widerhaken versehenen Spitzen lagen und mittels eines Seils verbunden waren.
    „Mittig vom Heck ist auch eine. Die nehmen wir natürlich, um etwas zu erwischen was hinter uns ist. Wir nutzen die Harpunen aber auch zusätzlich zu den Enterhaken, wenn wir andere Schiffe angreifen. Alligator Jack nutzt sie sogar um Zeug aufzusammeln, das auf dem Meer rumtreibt. Ich hab mal gesehen wie er mit einer Harpune ein Fass aufgefischt hat, das an uns vorbeitrieb. Leider war der darin enthaltene Grog nur noch zum Putzen gut.“
    Skip ging jetzt zu einem Anker und zeigte darauf.
    „Das ist hier ist der Reserveanker. Hat jeder von euch schon mal gesehen. Der andere hängt natürlich hier unten dran.“
    Skip klopfte auf ein schmales Ding fast so groß wie ein Mann mit vier langen Hölzern daran, die etwa jeweils einen Meter lang waren.
    „Das hier ist das Gangspill, damit wird der Anker wieder raufgeholt. Dazu klemmt sich jeder hinter einen Spillspaken und läuft dann einfach im Kreis. Zurück zum Anker. Wie ihr seht hängt in diesem Loch, dass wir Seefahrer als Auge bezeichnen, die Kette. Der Schaft endet im Kreuz, wo dann die Flunken abgehen.“
    Er zeigte auf die schaufelartigen Enden. Jetzt griff er auf eine Querstrebe, die im Schaft eingehakt war.
    „Das hier ist der Stock. Wenn der Anker auf den Grund gelassen wird, dreht sich der Anker durch den Stock immer so, dass sich eine Flunke in den Boden graben kann. Bevor man vor Anker geht, sollte man prüfen, ob der Platz sich gut dafür eignet. Er sollte möglichst gegen Wind und Seegang geschützt sein, damit man keine Scherereien bekommt. Außerdem muss man vorher auf die Gezeiten achten. Ist gerade Ebbe oder Flut? Nicht, dass man aufläuft, weil das Wasser sich davongemacht hat. Es muss immer genug Wasser unterm Kiel sein.“
    „Und wozu müssen wir das wissen?“ fragte Miguel genervt.
    „Weil ihr hier aufm Schiff arbeiten sollt, deswegen“, antwortete Skip mit harter Stimme. „Das ist keine Vergnügungsfahrt hier. Zum Anfang wird euch so eine wichtige Aufgabe nicht anvertraut, aber später, bekommt ihr solche Jobs vielleicht doch mal zugeteilt. Der Posten im Ausguck muss auch einen guten Ankerplatz finden können. Der Steuermann sieht durch die Segel nicht wohin er fährt, deshalb müssen die anderen von der Crew seine Augen sein und er muss sich darauf verlassen können, dass sie ihm keinen Scheiß erzählen.“
    Er sah den neuen Mitgliedern der Crew wachsam in die Augen.
    „Am besten man dreht das Schiff in den Wind und wartet bis es Fahrt achteraus macht, bevor man den Anker rauswirft.“
    „Was bedeutet nochmal achteraus?“ fragte Alejandro leise.
    Skip verdrehte etwas genervt die Augen.
    „Das hab ich dir schon mal gesagt. Achtern bedeutet hinten.“
    Der Pirat zeigte zum Heck.
    „Das heißt also, wenn das Schiff ein Stück rückwärtsfährt, dann könnt ihr den Anker rauswerfen.“
    „Und wenn man den Anker einfach so rausschmeißt?“ wollte der Held wissen.
    „Dann reißt es das Schiff wild herum und im schlimmsten Fall knallen wir irgendwo dagegen“, schnarrte Skip, der ihm solche brutalen Haltemanöver am besten gleich ausreden wollte. „Und wenn man später wieder losfahren will, sollte man darauf achten, dass nicht zu viel Druck auf der Ankerkette liegt, falls doch versucht man den durch eine langsame Fahrt voraus zu verringern. Das bringt uns zu den Segeln. Zuerst ist es wichtig zu wissen was Luv und Lee bedeuten. Luv ist die Seite, die dem Wind zugewandt ist und Lee die dem Wind abgewandt ist. In einem Seegefecht ist es von großer Wichtigkeit das eigene Schiff gut zu positionieren. Man versucht immer die Luvstellung zu bekommen, denn so fährt man dem Wind zugewandt und kann beliebig manövrieren und das Gefecht erzwingen. Das andere Schiff müsste dann gegen den Wind ankreuzen und wäre viel langsamer. Die Leeseite ist gut, um sich zu verpissen, denn von dieser Seite her ist man schneller. Noch Fragen?“
    Die Neuen sahen ihn an wie die Ölgötzen, woraufhin der erfahrenere Pirat eine abwehrende Handbewegung machte: „Ach, das kommt später noch…“
    Er zeigte jetzt nach vorne zum Bug.
    „Das spitze Ding was aufs Meer rauszeigt ist der Klüverbaum, darunter klebt unsere Gallionsfigur, die Murietta, dessen Namen dieses Schiff trägt.
    „Und wer war das?“ fragte Alejandro neugierig.
    Der erfahrenere Pirat zuckte nur mit den Schultern.
    „Keine Ahnung. Vielleicht die Frau, oder die Tochter von dem Typen, den das Schiff früher gehört hat. Mir egal. Jetzt ist der Kerl jedenfalls Futter für die Fische.“
    Er zeigte nun auf einige dreieckige Segel, die zwischen dem Klüverbaum und dem ersten Mast aufgespannt waren.
    „Diese Segel heißen Klüver. Sie sind dazu da den Wendevorgang zu beschleunigen. Gerade in Seeschlachten ist das ungemein wichtig. Wir können froh sein so ein schnelles und agiles Schiff zu haben. Sie heißen von vorne nach hinten hin Jager, Außenklüver, Innenklüver und Vorstengestagsegel. Dahinter kommt dann der erste Mast, der Fockmast und dahinter, der in der Mitte, ist der Großmast und ganz hinten der Besanmast.“
    Skip zeigte zuletzt auf einen Mast an dem die Segel den Helden ein bisschen an einen Drachenflügel erinnerten, denn anders als die anderen Segel hingen sie nicht mittig vom Mast sondern nach hinten weg. Skip erklärte ihnen wie all die verschiedenen Segel hießen und wann welches wie gesetzt oder korrigiert werden sollte, damit sie nicht dumm da standen, wenn Kapitän Greg die Befehle brüllte. Skip ging nun über Deck und zeigte auf ein Ding aus Holz, das an der Reling befestigt war. Es war unten Schmal und hatte oben zwei hornartig geformte Auswüchse.
    „Das Teil hier nennt sich Klampe. Wie ihr seht, ist da eine Leine dran befestigt.“
    „Ja, kennen wir schon“, grummelte Miguel.
    „Aber die letzten Male habt ihr die Leine falsch festgemacht und deswegen erkläre ich es euch noch mal. Alejandro komm her!“
    Schüchtern ging der Schiffsjunge zu Skip, der nun die Leine löste und ihm in die Hand drückte.
    „Also, das Ende der Leine legst du achtförmig um die Klampe, dabei beginnst du mit einem Rundtörn, der sich aber nicht selbst bekneifen darf, damit das Ende der Leine gefiert werden kann. Den letzten Kreuzschlag zur Sicherung versiehst du mit einem Kopfschlag.“
    Alejandro war ganz blass geworden und schaute verständnislos.
    „Äh… ähh… waaas?“
    Skip seufzte und winkte dann dem Helden.
    „Hier, zeig du wie es geht!“
    Der Held nahm die Leine in die Hand und legte los. Er brauchte ein bisschen, aber dann war sie an der Klampe befestigt. Miguel, Manuel und Alejandro staunten.
    „Wieso kannst du das?“ fragte Alejandro eingeschüchtert.
    „Na, er hat doch gesagt, was wir tun sollen“, sagte der Held nur und zuckte mit den Schultern.
    Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht. Es war ja nicht das erste Mal, dass er auf einem Schiff war, aber er musste sagen, der kleine Auffrischungskurs tat ihm ganz gut und auch er hatte noch einiges zu lernen.
    „Wenn sich da so eine Schlaufe bildet, heißt das Törn“, erklärte der Held jetzt, denn der Schiffsjunge tat ihm irgendwie leid, wie er so dastand und mit dieser kleinen Situation schon völlig überfordert war.
    Skip nickte dem Helden anerkennend zu.
    „Gut, bist nicht völlig blöde. Das Fieren ist das Nachlassen einer Leine. Kopfschlag bedeutet einfach nur, dass man die Leine festmachen soll, damit sie nicht rutscht und sich wieder löst. Es braucht etwas Übung, bis man die Knoten draufhat. Ihr werdet das üben, bis ihr es könnt! Eigentlich dachte ich, ihr hättet schon geübt“, sagte Skip jetzt.
    „Naja, einen Achterknoten und einen Palstek kann ich jetzt“, versuchte der Schiffsjunge nicht ganz hilflos dazustehen.
    „Na immerhin was.“
    Skip zeigte auf die Klampe.
    „Also, wenn euer Vorgesetzter euch zuruft, dass ihr die Klampen belegen sollt, dann heißt das, dass ihr die Leinen an den Klampen festmachen sollt, verstanden?“
    „Verstanden“, sagten die anderen.
    „Das heißt hier Aye, Aye, klar?“
    „Aye, Aye.“
    „Gut, ich zeig euch jetzt den Ausguck und wie ihr raufkommt.“
    Alejandro und Manuel wurden bei Skips Worten ganz weiß im Gesicht. Der Held fragte sich warum. Er kletterte gerne. Gut, es waren vermutlich vierzig Meter bis da hoch, aber dann würde immerhin die Aussicht sehr schön sein. Skip kletterte zügig am Großmast hoch, ihm folgte der Held, in deutlichem Abstand kamen der vorsichtige Alejandro und dann Miguel und Manuel, die sich reichlich ungeschickt anstellten. Skip und der Held mussten lange warten, bis die anderen oben im Krähennest ankamen. Einmal hielt Manuel ganz an, weil er meinte, seine Höhenangst wäre so furchtbar, er könnte nicht weiterklettern.
    „Schwing deinen faulen Arsch jetzt hier hoch, oder ich schmeiß dich gleich runter ins Meer!“ blaffte Skip ihn an.
    Käseweiß kam dann endlich Manuel als letzter in den Ausguck geklettert, der aussah wie eine halbe Tonne. Es wurde ganz schön eng mit ihnen zu viert hier oben. Skip grollte immer noch.
    „Jede Fleischwanze klettert schneller als ihr“, schimpfte er. „Ich hatte heute auch noch was anderes vor, als euch Versagern alles vorzukauen.“
    Er sah finster in ihre Augen. Der Held war sich keiner Schuld bewusst, aber Skips Blick streifte ihn auch nur. Alejandro schaute verlegen zu Boden und Manuel versuchte sich nicht zu übergeben und atmete tief durch und versuchte angesichts der Höhe nicht in Panik zu verfallen. Miguel lehnte stattdessen betont lässig auf dem Rand des Krähennestes und schaute den Leuten unten bei der Arbeit zu. Skip holte tief Luft für seine weiteren Erklärungen.
    „Wenn ihr hier oben im Ausguck seid, ist es wichtig, dass ihr gute Augen und eine kräftige Stimme habt. Meist hängt auch noch irgendwer bei Arbeiten in der Takelage, der eure Botschaft weiter nach unten schreit, denn gerade wenn der Wind ordentlich weht, versteht sonst kein Mensch was ihr hier oben herumkrakeelt. Wenn ihr etwas entdeckt, müsst ihr das möglichst laut und deutlich nach unten rufen, damit die anderen Bescheid wissen und ich will nicht hören, dass hier irgendwer schreit, dass da vorne rechts irgendwo eine Insel ist. Es gibt ganz bestimmte Begriffe dafür, die wir hier für alle Volltrottel auch noch mal ins Krähennest reingekratzt haben.“
    Skip zeigte auf die hölzerne Umfassung und tatsächlich. Jemand hatte dort etwas eingekerbt. Skip zeigte jetzt nach vorne und erklärte: „Wenn ihr etwas vor uns seht, zum Beispiel ein anderes Schiff, dann ruft ihr: Schiff voraus. Richtig toll wäre natürlich, wenn ihr auch gleich noch seht was für ein Schiff es ist. Wenn etwas rechts vorne von uns ist, dann heißt das hier Steuerbord voraus, ganz rechts, Steuerbord querab, hinten rechts, Steuerbord achteraus, hinten, achteraus oder achterlich, hinten links, Backbord achteraus, links, Backbord querab, und vorne links Backbord voraus.“
    Skip zeigte jeweils zackig in die von ihm benannte Richtung.
    „Jetzt sollte es wirklich Idiotensicher sein. Ich hab euch alle Richtungen genannt und es ist sogar beschriftet, ich hoffe, dass es jetzt keine bösen Überraschungen mehr gibt.“
    „Hört sich ganz so an, als wäre das schon öfter passiert?“ sagte der Held und schmunzelte.
    Wieder verdrehte Skip genervt die Augen.
    „Ach, hör bloß auf. Jeder der mal Pirat spielen will, kommt bei uns angekrochen und da wir so eine kleine Crew sind, weil unser alter Kahn mit allen außer dem Käpt’n darauf abgesoffen ist, brauchen wir immer Männer und die meisten haben keine Ahnung von der Seefahrt. Nehmt das als Warnung! Wer hier nicht lernt und unfähig ist, bleibt nicht lange an Bord. Manche gehen drauf, weil sie nicht hören wollen, oder wir schmeißen sie beim nächsten Hafen vom Schiff. Es kam aber auch schon vor, dass Greg so sauer war, dass er einen einfach auf offener See von Bord geschmissen hat.“
    Alejandro schluckte nervös und sah käseweiß aus. Skip war das geistige Wohlbefinden des Schiffsjungen wohl egal, denn er machte einfach weiter und zeigte nun auf eine Glocke.
    „Hier bimmelt ihr, wenn ihr ein anderes Schiff seht, damit das auch wirklich alle kapiert haben, verstanden?“
    „Aye, Aye“, kam es zurück.
    Skip öffnete nun die Flaggentruhe im Krähenmast und zeigte den Inhalt. Der Held staunte, weil es so viele verschiedene Flaggen gab, sagte aber nichts dazu.
    „Also, es läuft so: Normalerweise haben wir keine Flagge gehisst. Sieht ja eh kein Mensch. Erst wenn wir am Horizont ein anderes Schiff sehen, entscheiden wir welche wir nutzen. Wie ihr seht, haben wir hier eine ganze Sammlung vorrätig. Hier ist zum Beispiel auch eine myrtanische Flagge.“
    Skip holte sie hervor. Es war eine ziemlich ramponierte alte Flagge. Sie zeigte zwei ausgebreitete Flügel, zwischen deren Spitzen vier Sterne zu sehen waren und darüber eine Sonne auf rotem Grund.
    „Bringt jetzt wohl eh nichts mehr. Hier ist ja nichts mehr zu holen.“
    Er legte die alte Flagge zurück und zeigte auf eine andere. Sie war gelb und zeigte Fische in einem Netz, das an einem kleinen Schiff hing.
    „Diese hier wird zum Beispiel von einer kleinen Inselnation im Osten genutzt. Nehmen wir also mal an der Ausguckposten sieht so ein Schiff. Dann bimmelt er mit der Glocke und ruft laut runter: „Schiff in Sicht. Und dann natürlich wo es sich befindet und was für eins es ist und von welcher Nation. Dann hisst er die entsprechende Flagge. Hier in der Kiste ist ein kleines Buch auf dem steht welche Flagge was bedeutet. So können wir uns dem anderen Schiff nähern, ohne, dass es Verdacht schöpft. Die denken doch dann, dass wir mit denen verbündet sind. Erst wenn wir schon sehr nah sind, also kurz vor dem Entern, wechselt ihr auf unsere Totenkopfflagge. Das ist diese hier.“
    Skip hielt eine schwarze Flagge hoch, auf der ein Totenkopf im rechten Profil zu sehen war. Der Totenkopf trug ein Piratenkopftuch und das dem Betrachter zugewandte Auge war rot. Unter dem Schädel waren zwei gekreuzte Säbel zu sehen.
    „Aber wozu das?“ fragte der Held. „Warum überrascht man die Anderen nicht einfach? Die schauen bestimmt richtig blöd aus der Wäsche, wenn man sie auf einmal entert.“
    „Na um Angst und Schrecken zu verbreiten“, antwortete Skip kalt, so als sollte man das als angehender Pirat doch eigentlich wissen. „Manche werden richtig panisch, wenn sie eine Piratenflagge sehen. Käpt’n Greg ist ein berüchtigter Pirat, die meisten machen sich schon beim Anblick seiner Flagge in die Hose. Du musst dir das nicht wie hier in Myrtana vorstellen, wo man sich einfach mal aufs Maul haut und alle Nase lang irgendwen absticht, in anderen Teilen der Welt leben viele brave Bürger, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen und wenn dann da so ein paar brutale Seeräuber kommen, sterben sie fast vor Angst.“
    „Und was passiert, wenn man die Flagge des anderen Schiffes gar nicht hat?“ wollte Alejandro wissen.
    „Dann hissen wir einfach irgendeine. Käpt’n Greg weiß aber auch gut darüber Bescheid, wer mit wem verbündet ist oder gerade im Clinch liegt. Er befiehlt dann eine verbündete Flagge zu hissen, so dass sie sich in Sicherheit wiegen.“
    „Ist bestimmt lustig, wenn zwei Piratenschiffe sich verkleidet haben und erst kurz vorm Entern sich enttarnen. Jeder hat ein reich gefülltes Handelsschiff erwartet und stattdessen setzt es nur Hiebe“, sagte der Held belustigt.
    „He, das ist nicht lustig“, knurrte Skip. „Das passiert öfter als du glaubst und solche Kämpfe sind echt übel. Seemänner von Handelsschiffen ergeben sich meist, wenn sie merken, dass sie geentert werden. Sie rücken lieber die Ladung raus, als ihr Leben zu riskieren, doch Piraten kämpfen oft bis zum bitteren Ende, denn wer weiß, ob die anderen einen mit dem Leben davonkommen lassen. Natürlich sehen die erfahrenen Kapitäne meist schon aus der Ferne welches Schiff sie da vor sich haben und erkennen ihre Kollegen, doch je nachdem wie weit man herumkommt, trifft man auch auf viele unbekannte Piratenschiffe und wer weiß, manche haben sich auch ein neues Schiff geholt, so wie wir. Die neuste Mode sind Kanonen.“
    „In Khorinis am Hafen stehen auch welche“, unterbrach der Held ihn.
    „Ja, weiß Beliar warum die sich die geholt haben. Da kam doch ewig kein Schiff mehr vorbei“, sagte Skip zweifelnd. „Wir haben leider keine.“
    „Nicht?“ fragte der Held verwundert. „Damals im Piratenlager standen doch welche herum.“
    „Nun ja … die konnten wir nicht einfach so mitnehmen. Das hängt alles mit dem Überfall auf dieses Schiff hier zusammen, aber das erzähle ich ein anderes Mal. … Jedenfalls ist es gar nicht so einfach an die Dinger ran zu kommen, weil alle welche wollen und die Verkäufer rücken nicht leichtfertig damit raus, weil sie sonst ihren Vorteil aufgeben würden. Viele Hersteller von Kanonen haben nämlich auch eine Handelsflotte, oder gute Beziehungen zu welchen und die wollen sie natürlich nicht gefährden, indem sie irgendwelchen Piraten Kanonen verkaufen.“
    „Warum klaut ihr nicht einfach welche, wenn ihr ein Handelsschiff ausraubt?“ stellte es sich der Held ganz einfach vor.
    „Mann, was du wieder denkst“, sagte Skip genervt. „Solche Kanonen sind natürlich auch für Händler kostspielig und sie sind auf den Schiffen noch nicht sehr verbreitet. Die Anschaffung ist teuer, dann braucht man jemanden, der weiß wie man sie bedient, außerdem muss das Schießpulver gemischt werden. Das kann auch nicht jeder. Es muss richtig gelagert werden und darf nicht nass werden. Wenn es sich entzündet fliegt einem das ganze Schiff um die Ohren.“
    Alejandro zuckte erschrocken zusammen.
    „Hört sich umständlich an“, kommentierte der Held.
    „Aber es lohnt sich. Worauf ich hinauswollte ist: Irgendwelche einzelnen Händler mit einem Schiff haben selten Kanonen an Bord. Hier waren ja auch keine. Wenn dann sind es diejenigen, die in einer großen Handelsflotte sind. Die stehen unter dem Schutz eines wichtigen Königs, oder eines mächtigen Handelsimperiums, oder reiche Kaufleute, die seit vielen Generationen im Geschäft sind und viele Schiffe haben. Es ist sehr gefährlich solche Schiffe anzugreifen. Manchmal haben sie gut ausgebildete Wachen an Bord und selbst wenn nicht, werden sie einem beim nächsten Mal jagen, wenn sie das eigene Schiff durchs Fernrohr erspähen. Und wie gesagt: Die haben Kanonen und wir nicht.“
    „Hm… hört sich so an, als bräuchten wir auch Kanonen, damit wir erfolgreich auf Kaperfahrt gehen können“, überlegte der Held laut.
    „Ja Mann, Käpt’n Greg ist ja schon an der Sache dran, aber wie ich bereits sagte: Es ist nicht so einfach …“.
    Er wechselte das Thema und sagte: „Wenn ihr gute Bogenschützen seid, dann ist hier auch ein guter Platz, um auf ein zu enterndes Schiff zu schießen. Hinter dem Holz könnt ihr euch auch ganz gut vor feindlichem Beschuss schützen.
    „Können wir jetzt endlich wieder runter?“ fragte Manuel wimmernd.
    „Ja, können wir“, knurrte Skip.
    Da das Herunterklettern noch schwieriger war als das Hochklettern dauerte es sehr lange. Manuel und Alejandro war ihre Angst deutlich anzusehen und es half nicht, dass sie immer wieder wimmernd nach unten auf die weit entfernten Planken sahen. Der Held ließ sie vorgehen und nutzte den Moment, um die Aussicht zu genießen. Vor ihm lag weit und unergründlich der Ozean. Eine mächtige Briese ließ sein Haar im Wind wehen und er atmete tief durch. Für einen Moment schloss der Held die Augen und genoss das aufkommende Glücksgefühl. Es war als würde all die alte Verantwortung die drohend über ihm hing vom Wind davongetragen. Er hörte einen tierischen Schrei und öffnete die Augen. Er kam von einer Möwe, die auf die Segel zuflog und dann leicht abdrehte, um von den Winden, die um das Schiff wehten zu profitieren. Es sah aus, als würde sie fast ohne Anstrengung neben ihm in der Luft segeln. Sie rief noch einmal, so als würde sie ihm eine gute Fahrt wünschen und drehte dann ab, um schlussendlich auf dem weiten Meer zu landen und sich von den wilden Wellen schaukeln zu lassen. Unten krachten die Wellen gegen das Schiff, die Gischt spritzte so weit, dass leichter Niesel selbst zu ihm hochwehte, doch der Held fand das nicht unangenehm. Die frische und salzige Luft war belebend. Er fühlte sich frei und konnte es gar nicht erwarten in die weite Welt hinauszusegeln. Auf zu neuen Abenteuern.
    Ein panischer Schrei kam von unten und der Held senkte den Blick. Alejandro hatte ungeschickt danebengetreten und wäre fast runtergefallen. Nun klammerte er sich panisch ans Tauwerk und war nicht dazu zu bewegen weiterzugehen. Skip fluchte laut und von weiter unten wehte leicht das Lachen der anderen Piraten herauf, die sich über den Schiffsjungen lustig machten. Vermutlich hätte der Held sich normalerweise geärgert, weil er aufgehalten wurde, doch heute fühlte er sich damit wohl einfach mal innezuhalten und das Gefühl von Freiheit und neuen Möglichkeiten zu genießen. Der Held veränderte seine Position, so dass er nun nach Westen sehen konnte, wo Myrtana dem Horizont entgegenrückte. Jetzt wo die Sonne langsam unterging, ließ sich der Held dieses beindruckende Schauspiel nicht entgehen. Wenn er den Kopf in den Nacken legte konnte er noch den sich langsam verdunkelnden adanosblauen Himmel sehen, doch tief über dem myrtanischen Festland hingen dicke finstere Wolken, die aussahen, als hätte Beliar selbst sie geschickt. Sie verdeckten die Sonne, so als würden sie Innos selbst unterdrücken wollen. Unter ihnen schimmerte es orange hervor. Es war wie ein stummer Kampf. Die Sonne lugte endlich unter der dunklen Wolkendecke hervor und erstrahlte in so kräftigem Orangerot, als wollte sie sich noch einmal aufbäumen und erneut die Strahlkraft des Tages erreichen. Unterhalb der Wolken schien der Himmel in Flammen zu stehen. Der starke Kontrast zwischen dem hellen Licht und den dunklen Wolken ließ einen Anblick fast überirdischer Schönheit entstehen. Selbst die Wellen schimmerten in scharfen Rottönen und das Licht schien die imaginären Finger nach ihnen auszustrecken. Der Himmel brannte nun in tiefem Rot. Die dunklen Wolken wurden von unten wunderschön beschienen, doch die Zeit der Sonne währte nur kurz. Sie sank herab, rutschte Stück für Stück hinter den Horizont, hinterließ erst ein diffuses Glühen und dann nur noch Dunkelheit über dem Festland von Myrtana. Die tiefstehenden Wolken wirkten nun so finster wie nie zuvor.
    Der Wind frischte weiter auf und es wurde jetzt recht ungemütlich. Unten hörte der Held Skip schimpfen und er wandte den Blick. Manuel setzte endlich seine Füße auf die Planken so, dass der Weg nun frei war. Der Held kletterte rasch hinunter, so dass Skip sagte: „Seht ihr? So sollt ihr klettern!“
    Als der Held unten angekommen war sah er, dass zumindest Manuel und Alejandro sichtlich froh waren wieder Planken unter ihren Füßen zu spüren. Dem Helden hatte die kleine Kletterpartie gut gefallen und er freute sich schon darauf bald wieder dort oben herumzukraxeln. Ihr Führer zeigte ihnen jetzt die Räume unter Deck. Da das Schiff so groß war, gab es erstaunlich viel Platz. Es gab einen großen Raum voller Hängematten wo die Mannschaft schlief. Direkt darunter war der große Lagerraum wo sie ihre Beute verstauen würden, doch im Moment lagerte hier nur der Proviant. Sie gingen wieder eine Etage höher, durch den Schlafraum und an den im Seegang schaukelnden Hängematten vorbei in die Messe, ein Raum der sowohl zum Essen diente, als auch um einfach seine freie Zeit hier zu verbringen. Es gab einen großen Tisch und Bänke, alles gut gesichert, damit es bei heftigen Seegang nicht verrückte. Skip zeigte ihnen die daneben liegende Kombüse, wo Samuel gerade dabei war einen Eintopf zu kochen.
    „Du erinnerst dich doch noch an Samuel, oder?“ fragte Skip den Helden.
    „Klar, brennst du noch Lous Doppelhammer?“ fragte der Held.
    Samuel lächelte fröhlich.
    „Klar, die beiden Landratten da sind ganz verrückt danach, mittlerweile muss ich mein Zeug verstecken, damit sie mir nicht alles wegsaufen.“
    Samuel zeigte auf Miguel und Manuel, die sich offenbar keiner Schuld bewusst waren.
    „Was hast du denn sonst noch im Vorrat?“ fragte der Held neugierig.
    Samuel grinste breit.
    „Wein, Wachholder, Reisschnaps, Weißer Rum, Grog und natürlich den schnellen Hering. Schade, dass wir nicht kurz in Nordmar angehalten haben. Dann hätte ich meine Bestände mit Nordmarer Nebelgeist und Stollengrollen auffüllen können.“
    Der Held beobachtete aufmerksam wie Miguel und Manuel bei Samuels Aufzählung unruhig von einem Bein aufs andere traten. Sie sahen ganz so aus, als würden sie es nicht abwarten können etwas von diesen Getränken in die Finger zu bekommen und sich dann damit in eine stille Ecke zu verdrücken. Samuel hatte währenddessen alle Küchenabfälle zusammengeschoben und in einen Eimer gefüllt, den er dem Helden jetzt hinhielt.
    „He, du könntest mir mal zur Hand gehen. Nimm hier diese Küchenabfälle und geh runter und füttere damit das Bilgenschwein!“ wies Samuel ihn an und konnte sein schelmisches Grinsen nicht ganz verbergen.
    Der Held zog eine Augenbraue hoch und antwortete: „Komm, verarsch mich nicht! Wenn ihr hier ein Schwein hättet, dann würdet ihr doch keinen Eintopf mehr machen, das hättet ihr doch schon längst selbst gefressen.“
    Samuel sah aus, als hätte er ihm damit den ganzen Spaß verdorben, weil er nicht auf seinen kleinen Jux hereingefallen war. Skip lachte aber und klopfte dem Schnapsbrenner auf die Schulter.
    „Tja, fällt eben nicht jeder drauf rein.“
    „Bei dem Kleinen und den beiden Schnapsköppen da hat‘s aber funktioniert“, sagte Samuel und grinste jetzt die anderen an.
    Alejandro wurde bei seinen Worten tiefrot im Gesicht. Offenbar war es ihm sehr peinlich, dass er sich hatte veräppeln lassen.
    „Ist ja mal wieder typisch, dass du gerade jetzt hier auftauchst Skip. Das Essen ist fertig. Geh los und läute die Essensglocke!“
    „Aye“, sagte Skip und verließ eilig die Kombüse.
    „Und ihr, steht da nicht rum wie ein paar frisch gerupfte Scavanger und backt auf!“
    „Du meinst Brot?“ fragte der Held verwundert, der das auch noch nicht gehört hatte.
    „Quatsch, den Tisch decken sollt ihr, der heißt hier Back. Los jetzt! Nicht rumstehen, machen!“ sagte Samuel schroff und drückte jedem von ihnen Schälchen und Löffel in die Hand und schickte sie in die Messe.
    Um den großen Holztisch war auf den Bänken mehr als genug Platz. Zusammen mit Greg und dem Helden bestand die Crew aus nur sechzehn Mitgliedern und es würden nicht alle hier sein, denn jemand musste die Fahrt überwachen und weiter arbeiten, während die anderen von der Mannschaft eine kleine Pause einlegten und etwas aßen. Kapitän Greg, Henry, Francis, Garett, Brandon und Skip kamen die Treppe herunter. Auch Samuel setzte sich zu ihnen an den Tisch, so dass sie zu elft waren. Alle griffen das Besteck und zunächst hörten sie nur gefräßiges Schweigen. Es war Kapitän Greg, der zuerst die Stimme erhob. Er sah den Helden, der seinen Eintopf bereits hinuntergespült hatte, streng an, als er sagte: „Wie mir Skip vertellte, hat‘er schon begonnen dich in allet einzuweisen. Ik erwarte, dat du dich schnell mit allen Aufgaben hier an Bord vertraut makst. Als Entertruppführer musst du nich nur meine Befehle verstehen, sondern ook selbst welche geben können. Zunächst werde ik dat noch anneren überlassen, aver früher oder später wirst du nich drum herumkommen, verstanden?“
    Der Held schaute zuerst etwas genervt, denn immerhin mochte er es nicht, ständig Befehle herumzubrüllen, doch er wusste, wenn er hier auf diesem Schiff mitfahren wollte, sollte er sich Gregs Anweisungen besser beugen.
    „Aye, Aye, Käpt’n.“
    „Goot. Da wi nur sone kleene Mannschup sin, muss jeder für mindestens zwee knojen. Et gifft feste Schichten. Da du un deene Leute noch neu op der Murietta seid, überschneiden sich de Schichten mit denen vun Henry un Alligator Jack, damit se euch anlernen un bei euren Aufgaben überwachen können.“
    „Alligator Jack führt jetzt einen Entertrupp? Ich dachte Morgan würde das machen“, fragte der Held neugierig.
    Greg grollte. Er mochte es nicht unterbrochen zu werden. Francis sah den Kapitän derweil bewusst nicht an, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Eintopf. Dass er damals als Zahlmeister hauptsächlich gut zu sich selbst war, hatte seinem Ansehen nachhaltig geschadet.
    „Francis un Morgan haben gezeigt, dat se nich als Entertruppführer taugen. Ik brok fähige Leute un keene Döspaddel, de bloß saufen un schlafen un ihre Arbeiten vernachlässigen. Alligator Jack hat dagegen gezeigt, dat er dat Zeug zu einem fähigen Entertruppführer hat. Er mag so viel Verantwortung zwar nich besonders, aber da mut er jetzt durch.“
    Der Held nickte. Da fühlte er mit Alligator Jack mit.
    „In seinem Trupp sin Bill, Bones, Morgan un Owen. Er hat de Schicht von Mittag bis Mitternacht. In Henrys Trupp sin Francis, Garett, Samuel un Brandon. Se arbeiten von Mitternacht bis Mittag. Jedenfalls vorläufig. Wenn du un deine Leute gezeigt haben, dat se et ook ohne Amme schaffen, dann können de anneren endlich ook ma wieder richtig schlafen. Also beeilt euch un lernt wat! Natürlich is et ganz klar, egal welche Schicht und welche Urzeit, wenn‘s nen Sturm gifft, oder een Schipp optaucht, denn heßt et Hotz mit de motz!“
    „Aye, Aye Käpt‘n“, sagte die Crew fast wie im Chor.
    Greg nickte zufrieden. Dann wurde es wieder still. Kleine Gespräche zwischen einzelnen Crewmitgliedern wurden geführt. Miguel und Manuel löcherten Samuel über dessen gebunkerten Alkohol, doch der wollte nichts rausrücken. Francis, Garett und Brandon verabredeten sich für später zum Würfelspiel. Alejandro schaute immer mal wieder zu seinem neuen Vorgesetzten und zum Kapitän. Offenbar war da schon länger etwas, das er unbedingt wissen wollte und er hielt es wohl mit seiner Neugier nicht mehr aus, denn er fand den Mut zu fragen: „Du und der Käpt’n, woher kennt ihr euch eigentlich?“
    Greg und der Held warfen sich einen langen Blick zu. Jeder dachte, der andere würde zuerst etwas sagen, doch es war Greg der schließlich mit einer Erklärung ansetzte: „Et war zu eener Zeit wo eigentlich allet recht goot für mich lief. Ik hatte mien Crew aufgeteilt. Eene Hälfte war in Jharkendar, dem nördlichen Teil vun Khorinis, geblieben, um Geschäfte mit ehemaligen Sträflingen aus der Minenkolonie zu maken, der andere Teil blieb mit mir an Bord meines damaligen Schippes un wir gingen op Kaperfahrt. Wi hatten fette Beute gemacht. Kistenweise magisches Erz, dat wi zu Wucherpreisen ans Festland verhökern wollten. Daraus wurde allerdings nix. Een Schipp voller Paladine kreuzte unser‘n Weg un in eenem harten Seegefecht unterlagen wi der Esmeralda. Mien Crew war doot, mien Schipp gesunken, dat Erz ebenso un ik schaffte et als eenziger Überlebender op die Insel, wo ik dann diesen Rumtreiber traf, der mir half in die Hafenstadt zu kommen.“
    „Ist die Esmeralda das Schiff was wir jetzt suchen?“ fragte Alejandro aufgeregt.
    „Joa, genau“, antwortete Greg und wandte sich dem Helden zu. „Wie bist’e eigentlich da rann gekommen?“
    „Na was glaubst du?“, fragte der Held und warf Greg einen verschlagenen Blick zu von dem er glaubte, der würde alles erklären.
    Greg brummte nur. Vermutlich hatte er es wirklich verstanden.
    „Ich möchte aber auch mal wissen, warum dieser Typ gleich ein Kommando bekommt, kaum dass er einen Fuß aufs Schiff gesetzt hat“, sagte Miguel jetzt vorlaut.
    „Weil er nich so‘n Dröggel is wie du, der den ganzen Tach bloß säuft un faul in‘er Sonne gammelt. Damals hat‘er sich een paar vun de Crew geschnappt un den Canyon vun Viechern gesäubert, außerdem hat‘er ganz alleen dat Banditenlager im Sumpf vorgelukt un Raven über de Klinge springen lassen. Raven un ik hatten een paar unnerschiedliche Vorstellungen davon wat unner eenem fairen Geschäft zu verstehen is, wenn du verstehst du wat ik mein.“
    Greg sah den Helden streng an.
    „Dat heißt aver nich, dat du dich hier auf deinen Lorbeeren ausruhen kannst. Ik erwarte von dir, dat du auch jetzt wieder kräftig mit morachst! Umsonst is hier nix! Also halt dich rann un sei nützlich!“
    Der Held grinste bei den ruppigen Worten des Kapitäns.
    „Aye, Aye, Käptn.“
    „So un nu genug gefuddert ihr Rumpelpumpel, zurück an die Arbeit!“ wies Greg sie barsch an.
    Die Mannschaft löste Alligator Jack und seine Leute ab, so dass die nun ebenfalls essen konnten. Miguel, Manuel und Alejandro durften sich nun in ihre Hängematten verziehen. Der Held hätte das auch tun können, aber er hatte erst gut geschlafen und wollte bloß nichts verpassen. Er wechselte jetzt seine Klamotten und trug nun wieder die alte braune Entertrupprüstung, die er in Jharkendar von Greg bekommen hatte. Uriziel steckte er schweren Herzens in die Tasche. Es war hier auf dem Schiff aufgrund seiner Größe eher hinderlich. Würde es einen Kampf auf dem Schiff geben, konnte er es aufgrund des begrenzten Platzes nicht effektiv nutzen, daher wählte der Held stattdessen das Rapier aus, das er damals in Khorinis beim Troll in der Nähe von Onars Hof gefunden hatte und ihm lange gute Dienste geleistet hatte. Jetzt fühlte er sich gleich mehr als Pirat. Die ganze Nacht sah er den anderen Seeräubern bei der Arbeit zu, machte es ihnen dann nach und fragte nach, wenn er etwas nicht verstand. Wie es so oft bei ihm war, lernte er das was er wissen wollte und brauchte schnell und die Arbeit ging ihm bald flott von der Hand. Tatsächlich fühlte sich Skip bald schon von seinem Eifer genervt und verzog sich nach ein paar Stunden ebenfalls unter Deck, um zu schlafen. Den Helden störte das nicht. Immerhin waren da noch Henry und seine Piraten, denen er mit seinen Fragen in den Ohren liegen konnte. Die konnten schlecht was dagegen sagen, denn immerhin hatte der Kapitän angeordnet, dass der Held und seine Leute sich schnell alle Fähigkeiten aneignen sollten, die sie hier brauchten.

    Am Morgen ging der Held unter Deck, um seine Truppe zu wecken. Manuel und Miguel grummelten, als er sie weckte. Alejandros Hängematte war leer. Er fand den Jungen am Tisch in der Messe sitzend und schreibend.
    „Was schreibst du da?“ fragte der Held neugierig.
    Alejandro schreckte zusammen, offenbar war er ganz versunken gewesen.
    „Ich … schreibe ein Tagebuch. Ich hab hier angeheuert, weil ich die Welt sehen will und ich möchte festhalten was auf meiner Reise passiert.“
    Der Held nickte. Es erinnerte ihn daran wie er als junger Mann durch die Welt gezogen war, um Abenteuer zu erleben. Nun, im Grunde war es immer noch so. Alejandro kam ihm viel ängstlicher und nervöser vor, als er damals gewesen war, doch er freute sich, dass der Junge es gewagt hatte und ebenfalls das Abenteuer suchte.
    „Na dann, schreib schnell deinen Absatz zu Ende und hoch ans Deck! Das Abenteuer wartet nicht darauf, dass du mit Schreiben fertig wirst.“
    „Ist etwas passiert?“ fragte Alejandro aufgeregt.
    „Noch nicht, aber das kann ja noch kommen.“
    Der Held wandte sich ab und ging zurück zu Miguel und Manuel, die immer noch in ihren Hängematten lagen, obwohl er sie vorhin schon mal geweckt hatte. Kurzerhand warf er sie aus ihren Matten.
    Geändert von Eispfötchen (15.01.2023 um 17:34 Uhr)

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    Alejandros Tagebuch

    19. Oktober
    Den Morgen über sind wir bis nach Nordmar hochgefahren. Kapitän Greg hat die meiste Zeit durchs Fernglas geschaut. Ich weiß nicht, wonach er gesucht hat. Der Wind war sehr kalt. Ich hoffe, wir fahren zukünftig irgendwohin wo es wärmer ist. Als wir oben in Nordmar waren, hat er den Befehl zum Wenden gegeben. Die Crew wollte natürlich wissen wie er sich weiter entscheiden wollte, aber er sagte nur der Krieg mit den Orks sei wohl vorbei, aber es gäbe nicht viel zu holen. Deshalb bräuchten wir gar nicht erst anlanden und weiter nachsehen. Seltsam, aber er als Kapitän wird vermutlich so seine Erfahrungen haben und das besser beurteilen können, als jemand wie ich, der das erste Mal von Zuhause weg ist. Ich hätte gerne mehr von Myrtana gesehen, denn immerhin bin ich mit dem Ziel auf dieses Schiff gekommen die Welt zu erkunden und etwas zu erleben. Allerdings hege ich große Zweifel, ob ich mich richtig entschieden habe. Die Crew macht mir immer noch Angst. Manchmal hab ich das Gefühl, eine Prügelei wäre nur einen kleinen Streit entfernt. Skip ist, denke ich, nicht ganz so schlimm. Vermutlich wäre ich gar nicht erst mit an Bord gekommen, wenn er mich nicht am Hafen angesprochen hätte, weil ich so sehnsüchtig auf die Murietta geguckt habe. Hier herrscht ein rauer Ton. Die Seeräuber grölen sich ständig Beschimpfungen zu. Oft beleidigen sie auch mich, weil ich noch nicht viel von dieser Arbeit verstehe. All diese Seefahrerbegriffe verwirren mich. Warum heißt das nur alles so kompliziert? Wozu all diese seltsamen Wörter? Der Kapitän brüllt dauernd Befehle und wenn man nicht sofort weiß, was gemeint ist, setzt er Gemeinheiten nach. Leider verstehe ich ihn oft einfach nicht und muss mir deswegen viel Spott und Hohn anhören. Er nennt mich Stint. Ich habe mittlerweile herausgefunden, dass das ein ganz kleiner Fisch ist. Nun, … vermutlich bin ich das in seinen Augen wirklich.
    Wir sind gerade von Myrtana weggefahren, als ganz plötzlich ein Mann aufs Deck kam. Er muss vom Festland zu uns geschwommen sein. Wer macht denn sowas? Und wie hat er das so schnell geschafft? Der Kapitän kennt ihn wohl ganz gut, denn er bekam gleich einen Kommandoposten. Miguel, Manuel, Skip und ich sind jetzt in seinem Entertrupp. Ich weiß noch nicht was ich davon halten soll. Dieser Mann kommt mir sehr selbstsicher vor. Er hat sich einfach so auf ein Piratenschiff gewagt. Immerhin hätte ihn die Crew ja auch einfach wieder über Bord werfen können, oder? Ich habe das Gefühl, dass er ein rauer Kerl ist und es übel wäre sich mit ihm anzulegen. Als Miguel ihm blöd kam, hat er gleich ein riesen Schwert gezogen. Ein großer, eindrucksvoller Zweihänder. Miguel hat gleich den Schwanz eingezogen, naja, wer hätte das nicht bei so einem Schwert? Wie er da wohl rann gekommen ist? Vielleicht hat er im Orkkrieg gekämpft und ist desertiert? Er scheint etwas von Seefahrt zu verstehen, jedenfalls stand er nicht ganz so blöd da wie Miguel, Manuel und ich, als Skip uns nochmal unsere zukünftige Arbeit erklärt hat. Ich werde versuchen ihm nicht dumm zu kommen. Hoffentlich lerne ich schnell genug, so dass er mich nicht auch noch zur Schnecke macht. Ich schreibe morgen weiter. Jetzt muss ich mir noch mal angucken wie ich so eine Klampe belege … mit so einem doppelt gezwiebeltem Dingsbums, ach verdammt, ich hab schon wieder vergessen wie das heißt.

    20. Oktober
    Ich konnte nicht gut schlafen. Ob ich mich jemals an dieses Schaukeln gewöhnen werde? Mit diesen Knoten bin ich nicht viel weiter gekommen. Ich werde nachher jemanden bitten müssen, dass er mir das noch mal zeigt, aber die machen das oft so fix, dass ich gar nicht so schnell gucken kann. Ob Skip sauer ist, wenn er mir das zum dritten Mal zeigen muss? Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll. Miguel und Manuel können das selber nicht. Ich will aber auch nicht meinen neuen Vorgesetzten fragen … ich … schreibe nachher weiter, er kam gerade zu mir und sagte ich soll ans Deck kommen …

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    Auf Schatzsuche

    Der Held löcherte immer noch alle Piraten auf dem Schiff mit Fragen, um herauszufinden was es für normale Arbeiten auf dem Schiff gab, aber auch was so für Spezialaufgaben warteten. Alligator Jack erzählte ihm, dass er sehr gut im Umgang mit der Harpune war und gerne auch mal ein größeres Tier damit erlegen wollte, zum Beispiel einen großen Hai. Henry meinte wohl, dass er das nicht schaffen würde und daher hatten sie gewettet. Der Held wusste noch nicht wie er irgendein großes Biest aus dem Meer auftreiben sollte, damit Jack seine Treffsicherheit mit der Harpune unter Beweis stellen könnte, doch er sagte sich, dass früher oder später vermutlich von selbst irgendein Mistvieh vors Schiff schwimmen würde und dann bräuchte er nur dafür sorgen, dass der Platz an der Harpune unbesetzt war. Alejandro fand er am Tauwerk wo er sich schwer damit tat neue Knoten zu lernen. Der Held zeigte ihm wie es gemacht wurde, denn er hatte noch die Aufgabenanweisung von Greg im Ohr. Nach dieser Aufgabe lernte der Held von Morgan wie er am besten durch die Wanten kletterte. Kaum hatte er es gelernt, musste er es gleich wieder übertreiben und versuchte möglichst schnell herumzukraxeln und wagte sogar einige tollkühne Sprünge. Einmal wäre er dabei beinahe über Bord gegangen, konnte sich dann aber durch seine Akrobatikfähigkeiten doch noch gerade so an einer Trosse festhalten. Seine Muskeln beschwerten sich über den plötzlichen Ruck, doch er achtete gar nicht darauf, sondern suchte lieber einen Weg wie er weiter kam. Er sah gar nicht ein aufzugeben und eine Pause einzulegen und wollte dann sogar noch eine Schicht im Krähennest verbringen. Anschließend redete der Held mit Garett der auf der Murietta der Lagerverwalter war, doch im Moment gab es gar nicht so viel zu verwalten. Nur das Proviant, wozu auch der Rum gehörte und Garetts größte Sorge war im Moment, dass Miguel und Manuel ihnen alles wegsaufen könnten. Der Held versprach sich darum zu kümmern, dass die beiden nicht mehr als ihren üblichen Anteil bekamen, oder zumindest bei Samuel kräftig für den extra Alkohol zahlen mussten. Brandon war leicht abergläubisch und sagte dem Helden, dass er irgendwo seinen Glücksbringer verloren hatte, eine Kette mit einem Anhänger aus Walknochen. Er fragte ihn, ob er ihm helfen könnte es wiederzufinden. Der Held sagte ohne lange nachzudenken zu und hielt jetzt nebenbei überall die Augen danach auf. Samuel hatte er einige Flaschen Stollengrollen und Nordmarer Nebelgeist verkauft. Der alte Spezialist für allerhand alkoholische Flüssigkeiten freute sich darüber sehr und begrüßte es auch, dass er ihm die Getränke nicht vor den Augen von Miguel und Manuel verkauft hatte, denn die würden ihn wohl so lange löchern, bis er es an sie weiterverkaufte. Samuel klärte ihn auch darüber auf, dass dem Wasser auf dem Schiff eigentlich immer auch etwas Alkohol zugesetzt wurde, zum einen damit das manchmal nicht mehr ganz so frische Wasser noch zu gebrauchen war, aber auch damit die Crew zu etwas zu gebrauchen war und sich nicht nur über die schwere Arbeit beklagte. Tatsächlich war es wirklich eine ganz schöne Schinderei. Bei diesem großen Schiff sollten viel mehr Seemänner mitanpacken. Der Held merkte den Piraten hin und wieder an, dass sie unkonzentriert und übermüdet waren. Er selbst hatte bisher noch keine Probleme, dabei arbeitete er für Miguel und Manuel mit, die sich lieber vor der Arbeit drückten und auch Alejandro war bisher nicht sehr hilfreich. Meist stand er nur herum und wusste nicht was er tun sollte, so dass er den anderen lieber erstmal bei der Arbeit zusah. Wenn er es sich dann doch mal zutraute mit anzufassen brauchte er wirklich lange und versicherte sich lieber zweimal, ob das was er getan hatte richtig war.
    „Nein, doch nicht so!“, herrschte Skip den Schiffsjungen an. „Die Leine darf sich nicht plötzlich durch einen scharfen Ruck lösen. Muss ich es dir etwa noch mal zeigen?“
    „Ich … ich dachte, ich hätte es richtig gemacht“, sagte Alejandro zögerlich.
    „Jaja, du dachtest …“murrte Skip. „Hast du wohl falsch gedacht.“
    „He, immerhin versuch ich es zu lernen, im Gegensatz zu Manuel und Miguel“, versuchte sich Alejandro zu wehren.
    „Wenn man von diesen Nichtsnutzen spricht …“ sagte Skip und sah zu Miguel, der gerade von unter Deck kam.
    Offenbar hatte er bisher geschlafen, denn er streckte sich und gähnte. Dann kratzte er sich im Schritt und sah sich um, als würde er das Schiff zum ersten Mal sehen.
    "Hm… Irgendwas stimmt hier nicht."
    Er sah sich weiter um und brummte dann: "Es dreht sich nichts … das heißt wohl, dass ich nüchtern bin. Das kann so natürlich nicht bleiben, ich muss schnell wieder auf Pegel kommen."
    Er stolperte unter Deck, wohl um nach den Rumvorräten zu suchen und Owen wieder einmal zu bequatschen, der ab Mittag Lagerdienst hatte. Vielleicht würde er auch Ärger machen.
    „Willst du sie immer damit davonkommen lassen?“ fragte Skip den Helden.
    Der zuckte bloß mit den Schultern.
    „Was geht es mich an?“
    „Du bist der Entertruppführer und wenn deine Leute faulenzen, solltest du dich darum kümmern.“
    „Ach, sollte ich? Wir schaffen doch die Arbeit, oder etwa nicht?“ fragte der Held.
    Skip stöhnte nur, was wohl eigentlich Antwort genug war. Er sah nun zum Masttop hoch, denn vom Krähennest kam es leise heruntergeweht: „Land in Sicht! Backbord voraus!“
    „Was denn für Land?“ fragte Alejandro verwundert, sah über die Reling und vergaß dabei die Leine festzuhalten, die er eigentlich festmachen sollte.
    Sie glitt ihm aus den Fingern und Skip musste sich beeilen, um sie noch zu erwischen.
    „Pass doch auf du Trottel!“
    Alejandro drehte sich zu ihm um und sein Gesicht wurde tiefrot.
    „Tut mir Leid.“
    Skip stöhnte noch einmal.
    „Ja, tut dir Leid, tut dir leid und was kann ich mir jetzt dafür kaufen? Pass gefälligst besser auf!“
    Henry hatte das Steuer übernommen, so dass Kapitän Greg jetzt Zeit hatte zu ihnen an die Reling zu kommen und mit einem Fernrohr zum kleinen Fleckchen Land hinüber zu spähen. Leichter Nieselregen fiel nun auf sie herab und die Wellen ließen die Murietta stärker schaukeln, doch Greg stand da, als wäre er mit dem Schiff verwachsen.
    „Was gibt es denn auf der Insel?“ wollte der Held wissen.
    „Gold natürlich“, antwortete Greg. „Hab’s vor’n paar Jahr’n dort verbuddelt, für den Fall, dat ma schwere Zeiten bevorstehn.“
    Er erhob die Stimme und befahl: „Klar machen zum Anker setzen!“
    Seine Crew reagierte schnell und kümmerte sich zügig um den gebrüllten Befehl, denn immerhin hatte ihr Kapitän etwas von Gold gesagt. Alejandro hatte allerdings Mühe sich auf dem schaukelnden Schiff gerade zu halten. Er stolperte unbeholfen übers Deck wie eine besoffene Lachmöwe und versuchte nicht zu fallen. Greg kam an ihm vorbei. Er ging ganz normal, so als wenn nicht gerade ein ordentlicher Seegang wäre.
    „Bist noch dwatschig Stint, hm? Dat verwassst“, sagte Greg und klopfte dem jungen Alejandro im Vorbeigehen aufmunternd auf die Schultern.
    Doch der sah nur verwirrt aus, weil er kaum etwas verstanden hatte.
    „Wird es Sturm geben?“ fragte der Schiffsjunge den Kapitän und schaute beklommen auf die dunklen Wolken am Himmel.
    „Ne, dat drüppelt blos“, sagte Greg im Vorbeigehen und winkte ab.
    „Und was ist mit diesen dunklen Wolken da?“ traute sich Alejandro weiter nachzufragen.
    „Mach dir keene Sorgen Stint, dat treggt wech“, sagte Greg über den Rücken zum Schiffsjungen.
    Greg ging jetzt zum Neuzugang seiner Crew, der gerade den Anker gesetzt hatte und sagte zu ihm: „Also, wir gehen jetz‘ an Land un suchen nach dem Schatz un wehe, wenn du dir wat davon unter’n Nagel reißt!“
    „Ich soll zur Insel rüber?“ fragte der Held noch mal nach und sah zu dem kleinen Eiland.
    „Du Dreumel, biste doof op de Ohrn?“ schalt Greg ihn. „Dat hab ik doch gerade gesacht.“
    „Gut.“
    Der Held nickte, sprang über Bord und schwamm zur Insel rüber. Er hörte leise wie jemand etwas rief, aber das war ihm im Moment egal. Das Wasser war sehr kalt und die Wellen erschwerten das Vorankommen, aber der Held ließ sich nicht beirren und bald hatte er die Küste der kleinen Insel erreicht. Kaum war er an Land peilte er die Lage. Die Insel war kaum größer als Onars Hof. Es gab nur ein paar mickrige Bäume, Büsche und Felsen. Der Boden bestand aus schmutzigem Sand und etwas dünner Erde. Da er nicht wusste wo genau der Schatz versteckt war, holte er das Amulett des suchenden Irrlichts aus seiner Hosentasche und aktivierte es. Sofort erschien ein helles bläuliches Licht in der Luft und sirrte zufrieden.
    „Hier soll ein Schatz vergraben sein. Such danach!“
    Das Irrlicht summte und machte sich dann davon, um nach dem Gold zu suchen. Es war ihm anzusehen, dass es richtig aufgeregt war, vielleicht hatte es sich schon im Amulett gelangweilt und war froh nun endlich mal wieder raus zu dürfen, jedenfalls steckte es voller Energie. Rasch hatte es den Schatz entdeckt und kreiste wirr flimmernd über den Boden, dann kam es dem Helden entgegen um eindringlich zu leuchten und schwirrte zurück zum Versteck, wo es aufgeregt in der Luft hin und hersprang. Der Held kramte einen Spaten aus seiner Hosentasche und begann zu graben. Er hatte bereits ein zwei Meter tiefes Loch gebuddelt, als er Besuch bekam. Es waren Greg, Skip, Bones und Brandon, die nun am Rande des Lochs standen und zu ihm hinunter starrten.
    „Wat hast’e dir eigentlich dabei gedacht?“ schnarrte Greg.
    „Na du hast doch gesagt, du willst den Schatz, der hier vergraben liegt, oder nicht?“ fragte der Held ohne in seiner Arbeit inne zu halten.
    „Aber doch nich so!“ raunzte der Kapitän. „Ik hab dir nich gesagt, dat du über Bord springen un wie so‘n bekloppter Delphin zur Insel schwimmen sollst.“
    „Aber so ging es schneller“, erwiderte der Held.
    „Ach, un wie hättste dann den Schatz zum Schiff zurück gebracht?“
    „Da wär mir schon was eingefallen“, entgegnete der Held.
    „Dumm Tüch!“, gab Greg zurück. „Wir nehmen dat Beiboot, wenn wir zu einer Insel fahren, um eenen Schatz zu bergen, verstanden?“
    „Aye, Aye Käpt’n.“
    „Un wie hast‘e den Schatz überhaupt so schnell gefunden?“ wollte Greg jetzt wissen.
    „Mein Irrlicht hat ihn gefunden“, erklärte der Held und zeigte zu seinen Füßen auf das kleine magische Wesen, das wie verrückt immer wieder aufleuchtete, wohl weil es nicht verstand, warum der Held das versteckte Zeug nicht endlich an sich nahm.
    „Ach, un dat findet Schätze?“ fragte Greg gierig nach und sah zu ihm in die Grube hinunter.
    „Unter anderem, ja“, antwortete der Held und warf einen großen Haufen nährstoffarmer Erde nach oben.
    „Wat kann et denn sonst noch?“ wollte der Kapitän wissen.
    „Es kann Feinde im Kampf ablenken“, erklärte der Held leicht genervt.
    „Un wat noch?“
    „Es leuchtet blau.“
    „Wie lange hast‘e dat denn schon?“, fragte Greg misstrauisch.
    Der Held konnte sich denken warum er danach fragte. Er hatte einige seiner Verstecke in Jharkendar geplündert.
    „Ach, noch gar nicht so lang“, versuchte sich der Held herauszuquatschen.
    Es knirschte, weil er auf etwas gestoßen war. Der Held barg eine Schiffstruhe, grub sie aus und reichte sie zu den anderen nach oben. Sofort sah Greg nach, ob alle seine Schätze noch drin waren. Die anderen Piraten schauten ihm neugierig über die Schultern.
    „Goot, allet noch da un nu lugt nich so gierig! Dat is all mien!“
    Greg sah sie grimmig an und sie zogen rasch die Köpfe ein und taten so, als wären die Schätze in der Kiste gar nicht weiter interessant. Der Held kletterte etwas mühsam aus der Grube. Das Irrlicht sirrte an ihm vorbei und vollführte dann einen aufgeregten Tanz.
    „Wat is los mit dat naddelige Ding?“ fragte Greg und folgte dem Irrlicht mit dem Blick, was dann so aussah, als wäre er selbst ein wenig verrückt im Kopf.
    „Es hat noch was anderes entdeckt“, erklärte der Held und ging dem Irrlicht nach, das aufgeregt immer wieder gegen einen Felsen klatschte, dann wild drumherum kreiste und wie bekloppt flackerte.
    Die anderen Piraten schauten entgeistert zu.
    „Wat steht ihr Torfköppe so nutzlos rum? Eure Schaufeln sin nich nur zur Dekoration da, an die Arbeit!“ rüffelte Greg sie.
    Die Männer strafften sich und gingen zum Helden, der bereits damit begonnen hatte ein Loch zu graben. Auch hier fanden sie eine Kiste, in der sich Gold, Geschmeide, kostbarer Stoff und ein wirklich großer Diamant befand.
    „A Funkelsteen. Da lacht dat Herz“, rief Greg glücklich und besah sich den Fund. „Wirklich nützlich deen kleenet Licht. Wo hast’n dat her?“
    „Hab ich von einem Wassermagier bekommen“, antwortete der Held, weil er das Gefühl hatte, dass Greg nicht eher Ruhe geben würde, bevor er eine Antwort erhalten hatte.
    Das Irrlicht war nun ruhig und schwebte nur noch in der Luft herum, so dass er es wieder zurückrief und das Amulett zurück in seiner Tasche verschwinden ließ.
    „Na dann … Truhen aufs Beiboot un zurück zum Schiff!“ kommandierte Greg.
    Der Held fühlte sich nicht ausgelastet und ruderte. Kaum auf dem Schiff platzte dem Kapitän fast der Kragen, als ihn ein durcheinander begrüßte. Offenbar hatte Alejandro die falschen Leinen gelöst. Das Großuntermarssegel hing seltsam herab und ein ganzes Durcheinander an Tauwerk hatte sich übers Deck ergossen.
    „Tut dat not, dat hier so ein Wuling is?“ fragte Greg verärgert und sah auf das unordentlich verknäulte Tauwerk zu seinen Füßen.
    „Tut mir Leid Käpt’n. Ich wollte eigentlich nur alles für die Abfahrt vorbereiten“, wollte sich Alejandro bei ihm entschuldigen.
    „Na, dat is dir Döskopp aber nich gelungen“, schnarrte Greg und sah ihn finster an. „Du kümmerst dich gefälligst darum, dat hier allet wieder in Ordnung kommt!“
    „Aye, Aye Käpt’n.“
    Der Kapitän ging derweil mit dem Helden und Bones, die nun die Truhen schleppten, unter Deck, um sie dort in der Brig abzustellen. Eigentlich war es das Gefängnis des Schiffes, doch Greg traute seiner Crew nicht soweit über den Weg, dass er die Kisten einfach so im Lagerraum abstellte.
    „Wir kriegen doch unseren Anteil, oder?“ fragte Bones misstrauisch.
    „Natürlich, wenn wir den nächsten Hafen anlaufen“, antwortete Greg.
    „Nein, jetzt! Wir haben schon ewig keine Beute mehr gemacht. Die Crew ist schon ganz unruhig“, wagte sich Bones aufzulehnen.
    Greg warf ihm einen giftigen Blick zu, beugte sich dann aber nochmal zu der ungeplant gefundenen Truhe hinunter und holte einen großen Teil des Goldes hervor. Offenbar wollte er eine Meuterei in jedem Fall vermeiden.
    „Na schön, aber denn erwarte ik ook, dat ihr faules Pack euch mehr anstrengt! Ruf alle zusammen, jeder soll seinen Anteil haben.“
    Tatsächlich bekam jeder Pirat seinen Anteil. Die Entertruppführer etwas mehr als die anderen, doch niemand maulte. Sie lichteten den Anker und korrigierten leicht den Kurs und nahmen wieder Fahrt auf. Es war wieder ein langer sehr arbeitsreicher Tag, der für die meisten Piraten bis Mitternacht ging. Dann löste Henrys Trupp den von Alligator Jack ab. Seine Männer wollten aber noch ein bisschen Spaß, bevor sie sich in ihre Hängematten hauen würden. Sie kauften bei Samuel Grog und machten es sich in der Messe gemütlich um zu würfeln. Fischöllampen erleuchteten nun den Raum.
    „He, macht doch mit“, schlug Alligator Jack dem Helden und seiner Truppe vor. „Du hast jetzt sicher mehr als dreißig Stunden durchgeackert, da steht dir doch auch mal eine Pause zu. Sowas hab ich ja noch nie gesehen. Bist du besessen, oder was?“
    Jack lachte. Er wusste wohl nicht, dass es das wirklich gab und man durch Besessenheit nicht schlafen konnte, oder er war so abgebrüht, dass er darüber lachen konnte.
    „Na gut“, sagte der Held, der sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal bei irgendwelchen Würfelspielen mitgemacht hatte.
    „He, gilt das nur für ihn, oder dürfen wir auch mitmachen?“ fragte Miguel, während Manuel zum Grog schielte.
    „Na schön, macht mit“, wollte Jack mal nicht so sein.
    Vielleicht hoffte er so auch die Neuen mehr in die Crew zu integrieren, denn er sagte auch zu Alejandro: „Du auch Kleiner, wenn du willst.“
    Der Schiffsjunge hatte sich wohl eigentlich wieder an sein Tagebuch setzen wollen. Er hielt es in den Händen, wirkte unsicher, sah darauf hinunter, aber dann legte er es doch weg und setzte sich zu den anderen Seeräubern an den Tisch, vielleicht, weil er auch das Gefühl hatte, dass sie ihn eher akzeptieren würden, als wenn er in seiner freien Zeit ständig für sich blieb.
    „Was für ein Tag“, sagte Alligator Jack.
    „Jo, tolle Sache mit dem zweiten Schatz, das hat sich gelohnt“, sagte Bill.
    „Und wenn unser neuer Freund sein Irrlicht auch weiterhin auf Schatzsuche mitnimmt werden wir bestimmt noch mehr finden“, sagte Bones, grinste breit und schlug dem Helden, der sich neben ihn setzte kameradschaftlich auf die Schulter.
    Sie prosteten sich zu und tranken.
    „Wie läuft das denn wenn ein Schiff kommt und wir das entern sollen?“ fragte Alejandro in die Runde und begann etwas anzusprechen was ihm wohl schon länger auf der Seele lastete. „Müssen wir die Leute dort dann bedrohen?“
    Bones lachte laut und ein paar der anderen Piraten stimmten mit ein.
    „Haste Schiss Kleiner? Das gehört nun mal dazu. Meist haben die Matrosen schon Bammel wenn wir sie entern, wer doch aufmuckt wird umgebracht.“
    „Aber ... Mörder werden doch verfolgt und meist gehängt“, sagte Alejandro zögerlich und auch etwas verschreckt.
    „Stimmt“, raunte Alligator Jack nur und Bill fügte hinzu: „So ist das eben. Sieh es ein Junge, jetzt segelst du mit Piraten, das ist was anderes als eine Reise mit nem Handelsschiff.“
    Er nahm noch einen kräftigen Schlug Grog.
    „Aber … ich müsste ja nicht für immer Pirat sein“, sagte Alejandro zögerlich und auch etwas verlegen. „Irgendwann könnte ich ja auch von Bord gehen und was anderes machen.“
    „Einmal ein Straftäter, immer ein Straftäter“, meinte Bones nur und kramte einige Würfel und einen Becher hervor.
    „Meinst du? Es gibt doch auch welche, die sich wieder in die Gesellschaft einfügen“, sagte Alejandro.
    Er schwitzte und sah nervös aus. Bill und Owen tauschten einen Blick und lachten bei den Worten des Schiffsjungen. Auch Alligator Jack und Bones fielen nach einer kurzen Verzögerung mit ein.
    Der Held ahnte, was in Alejandros Kopf vorging. Vielleicht hatte er gar nicht gewusst, dass er auf einem Piratenschiff anheuerte und jetzt hing er hier mit drin, zwischen all den anderen Kriminellen. Ob er es wollte oder nicht, würden sie in irgendeinem Hafen als Piraten erkannt, würden sie entweder im Kampf getötet oder als Verbrecher verurteilt werden.
    „Ach Kleiner, du bist ja sowas von naiv“, meinte Bones und grinste. „Vielleicht tun sie so, als wären sie Handwerker, Bauern, Fischer, oder was weiß ich was, aber tief innen drin, sind sie immer noch Verbrecher.“
    „Ja, weißt du, das Leben als Gesetzloser verändert einen“, erklärte Alligator Jack. „Man kann tun und lassen was man will. Wenn irgendwem das nicht passt haust du ihm aufs Maul, bevor er es tut. Wenn du einmal jemanden abgestochen hast, dann verändert dich das, ganz besonders wenn es Mord war und nicht einfach nur, weil du nicht selbst draufgehen wolltest. So bin ich zum Piraten geworden. Ich hab das freie Leben gekostet und wollte mehr. Schwer sich dann wieder in das alte Korsett von Anstand und Regeln zwängen zu lassen.“
    „He, genau wie bei uns“, sagte Miguel grinsend. „Mein Bruder und ich, wir haben auch einen umgelegt. War eigentlich recht harmlos. Wir brauchten Geld, aber der Typ wollte uns sein Bares nicht geben. Deswegen haben wir ihn niedergemacht und dann war die Stadtwache hinter uns her. Euer Schiff kam uns genau recht.“
    Von allen Fragen, die er dazu hätte stellen können fragte Bones: „Ihr seid Brüder?“
    „Klar, sieht man das nicht?“ fragte Miguel und hielt seinen Kopf dicht neben den seines Bruders.
    „Ah jetzt wo du es sagst …“ begann Morgan. „… ihr seid beide gleich hässlich.“
    Miguel schnappte sich die Würfel vom Tisch und bewarf Morgan damit. Der aber lachte nur.
    „He immer ruhig, ich fang ja schon an. Ihr wisst wie das Spiel geht?“
    „Welches?“ wollte Manuel wissen.
    „Lügen-Max. Falls nicht, es ist ganz einfach. Du musst immer nur höher würfeln als dein Vorgänger und wenn du keine höhere Punktzahl hast, dann musst du eben lügen und hoffen, dass der Typ nach dir es dir abkauft. Wenn er es tut muss er würfeln. Wenn nicht und er sehen will, dann musst du den Würfelbecher anheben, hast du gelogen und er hat es gemerkt, hast du verloren. War es doch die Wahrheit ist er der Angeschissene. Der höhere Wert zählt. Also sagen wir, du hast eine fünf und eine vier, dann ist das eine vierundfünfzig. Pasch ist höher als eine sechsundfünfzig, die höchste einzelne Zahl. Der höchste Pasch ist natürlich der Sechser Pasch, der kann nur von der niedrigsten Zahl im Spiel übertroffen werden, der einundzwanzig, dem Max. Der kann nicht gelogen werden. Wer einen Max hat, muss den Becher hochheben und hat automatisch gewonnen“, erklärte Morgan.
    „Hört sich einfach an“, meinte Alejandro, der offenbar gleich alles verstanden hatte.
    „Was? Kannst du das noch mal erklären?“ fragte jedoch Miguel, der gerade einen ordentlichen Schluck Grog genommen hatte.
    Bones lachte und sagte dann: „Das Spiel wird immer besonders lustig, wenn alle halb betrunken sind.“
    Morgan erklärte das Spiel noch mal und dann spielten sie. Sie setzten Gold auf ihren Erfolg. Bill war richtig gut. Er war bisher noch nicht einmal entlarvt wurden. Entweder man glaubte ihm, oder er bekam es irgendwie hin, dass seine Würfel immer die Wahrheit sagten. Der Held sah aber, dass er geschickt ablenkte, um hin und wieder seinen Würfeln etwas auf die Sprünge zu helfen. Alejandro war da ganz anders. Er kam bisher immer nur eine Runde weiter, wenn seine Würfel das gleiche sagten wie er. Das sah ihm dann aber auch gleich jeder an. Er wirkte dann spürbar erleichtert. Musste er lügen wurde er sofort nervös.
    „Junge, bleib ruhig, du stehst hier nicht vor Gericht“, sagte der Held aufmunternd, der neben ihm saß, als er mal wieder lügen musste, weil Miguel neben ihm schon einen zweier Pasch gewürfelt hatte, den er wohl nicht übertreffen konnte.
    Alejandro sah seinen Vorgesetzten nervös an und konnte ihm kaum in die Augen sehen.
    „Du musst dich mal ein bisschen anstrengen! Dir sieht doch jeder gleich an, wenn du lügst, das wird dich mal noch in eine üble Lage bringen. Pass auf, ich weiß zwar, dass du keinen dreier Pasch hast, aber ich mach jetzt einfach mal weiter, sonst endet die Runde ja immer bei dir.“
    Bones, der neben dem Helden saß, lachte wieder. Seine Wangen waren schon etwas rot vom Grog.
    „Da nimmst du aber ein ordentliches Risiko in Kauf.“
    „Fünferpasch“, behauptete der Held und spähte unter den Würfelbecher.
    Eigentlich hatte er nur eine fünf und eine drei, aber das musste Bones ja nicht wissen.
    „Haha, ja ganz bestimmt“, meinte Bones und grinste breit.
    „He, sieh mich an und sag mir, dass ich Lüge!“ forderte der Held.
    Bones sah ihm aufmerksam ins Gesicht und forschte, ob er verräterische Anzeichen einer Lüge erkennen würde. Immerhin ging es hier um viel Geld. In dieser Runde lagen zweihundert Goldstücke im Pott.
    „Ich habe einen Fünferpasch“, behauptete der Held steif und fest.
    Bones sah fast überzeugt aus, sagte aber: „Und wenn schon. Wie sollte ich denn noch einen sechserpasch oder einen Max werfen?“
    „Aber die Chance besteht, nicht wahr? Wenn ich dagegen den Würfelbecher hoch nehme, hast du verloren und all das Gold gehört mir“, sagte der Held und grinste selbstsicher.
    Es war diese völlige Selbstsicherheit, die Bones überzeugte, dass er die Wahrheit sagen musste.
    „Na gut, schieb rüber, ich versuche mein Glück.“
    Der Held schob Bones den Becher zu, der legte seine rechte Hand drauf und schob die Würfel mit dem Becher vom Tisch in seine linke Hand so wie es die Regeln des Spiels verlangten.
    „Komm schon!“ befahl Bones den Würfeln und knallte den Becher auf den Tisch.
    Die Würfel klirrten. Im Schein der flackernden Lampe schmulte Bones auf die Würfel und sagte in recht überzeugenden Ton.
    „Ha! Secherspasch.“
    Dann grinste er Alligator Jack breit an, um ihm das besser zu verkaufen.
    „Nein“, sagte der nur und schüttelte den Kopf. „Hoch!“
    Das Grinsen fiel Bones aus dem Gesicht und er hob den Würfelbecher, der zwar einen Pasch, aber nur einen Einerpasch zeigte.“
    Alligator Jack lachte und verleibte sich all das Gold ein.
    „Oh Mann“, murrte Bones. „Ich hätte das Gold gut gebrauchen können.“
    Er wandte sich an den Helden, der auch schon einen im Tee hatte und fragte: „Hattest du wirklich einen Fünferpasch?“
    Der Held und er sahen sich lange an, bis der Held lachen musste und sagte: „Na was glaubst du denn? Wie wahrscheinlich wäre das denn gewesen? Du hättest dein Gesicht sehen sollen.“
    Bill, Alligator Jack, Morgan, Miguel und Manuel fingen an schallend zu lachen. Bei den beiden Brüdern war es vielleicht auch nur, weil sie schon sturzbesoffen waren, denn sie hatten schon mindestens die doppelte Ladung der anderen geschluckt.
    „Was ist mit dir Kleiner, warum bist du jetzt hier?“ fragte Alligator Jack Alejandro und reichte Skip die Würfel, damit er mit einer neuen Runde beginnen konnte.
    Die Würfel rollten und Skip rief eine zweiunddreißig aus. Morgan glaubte ihm und setzte zehn mickrige Goldstücke. Darüber beschwerte sich Bill, weil es kaum einen Gewinn verhieß. Er nahm daher den einer Pasch von ihm einfach so hin, legte zwanzig Goldstücke in den Pott und sagte er hätte einen zweier Pasch. Owen war bei ihm bisher immer nur auf die Nase gefallen und reichte die Würfel mit einem dreier Pasch weiter, nachdem Manuel zwanzig Goldstücke auf den Tisch legte. Manuel musste sich wohl erst sammeln, denn er brauchte lange um die offenbar sehr schwierige Aufgabe, die Würfel in den Becher zu werfen, zu schütteln und auf den Tisch zu stellen motorisch in die Reihe zu bekommen. Es war nun schon das zweite Mal, dass er die Würfel verlor und sie ziellos über den halben Tisch kullerten. Diese lange Pause nutzte Alejandro um zu sagen: „Ich lebte bei meinem Großvater. Er war Bibliothekar in der Hafenstadt und brachte mir lesen und schreiben bei. Als Kind habe ich viele Abenteuerbücher gelesen und als er … starb … nahm ich mir vor die Chance zu nutzen und selbst ein Abenteuer zu erleben. Dort hielt mich nun nichts mehr.“
    Manuel hatte es jetzt endlich geschafft, lallte einen vierer Pasch und schob den Becher einfach seinem Bruder zu, nachdem der den derzeit geforderten Mindesteinsatz von zwanzig Goldstücken in die Mitte gelegt hat.
    „Ein noch unbeschriebenes Blatt also. Kannst du kämpfen?“ fragte Bones.
    „Ich … äh… weiß es nicht“, stammelte Alejandro, der wohl mit Furcht auf seinen ersten Kampf auf einem Piratenschiff dachte.
    „Also nicht“, meinte Bones. „Ich kann dir helfen und dir das Kämpfen beibringen.“
    Morgan schnaubte.
    „Das arme Würstchen willst du doch nicht etwa gleich mit dem Zweihandkampf konfrontieren?“ fragte der Ausbilder für Einhandwaffen. „Einhandwaffen sind sowieso viel besser für den Schiffskampf geeignet.“
    Morgan sah Alejandro fest an und sagte: „Hör auf mich! Zweihandwaffen behindern dich bei einem Schiffskampf nur. Einhandwaffen sind hier das Wahre. Brutal in der Nähe, aber du bleibst schnell und wendig. Das kann ich dir beibringen.“
    Er zeigte mit dem Daumen auf sich selbst.
    „Wird das heut noch was?“ schnarrte Bones und sah Miguel genervt an.
    Der schaffte es nun endlich auch, allerdings hatte er den Becher gleich ganz abgehoben, unter dem ein sechserpasch war.
    „Nein! Nur bei einem Max, bist du denn verrückt, du hättest gewonnen …“, sagte Morgan und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    „Äh… was is?“ fragte Miguel und schielte.
    „Würfel einfach nochmal! Und dann hebst du es nur bei einer einundzwanzig an, klar?“ fragte Morgan.
    „Klar.“
    Miguel würfelte erneut, legte sich dann mit dem Kinn fast auf den Tisch, um unter den Würfelbecher gucken zu können.
    „Äh… was hattest du noch mal?“ fragte er seinen Bruder.
    Bill lachte und auch Bones schlug sich jetzt eine Hand an den Kopf.
    „Was?“ fragte Manuel und sah ihn verwundert an.
    „Deine Zahl … was … was hattest du für eine?“ fragte sein Bruder und musste zwischendrin rülpsen.
    „Äh…“
    Offenbar konnte sich Manuel nicht mehr dran erinnern.
    „Mann, er hatte eine vierundvierzig, jetzt mach endlich!“ raunzte Skip, dem das alles zu langsam ging.
    Miguel schaute noch mal auf seine Würfel, zog dann die Stirn kraus.
    „Äh… tschuldigung, aber wie ging noch mal das Spiel?“
    Alle in der Runde außer sein Bruder stöhnten laut auf.
    Skip sah ihn aus wilden Augen an.
    „Du sollst ganz einfach nur eine höhere Zahl sagen, das kann doch nicht so schwer sein.“
    „Achso … na dann … siebenundvierzig.“
    Wieder ein Stöhnen.
    „Mann! Wie willst du denn eine sieben gewürfelt haben, wenn das Ding nur sechs Seiten hat?“ fragte Skip genervt.
    Die meisten der Seeräuber am Tisch lachten.
    „Los Junge, sag ihm, er soll den Becher hochnehmen“, sagte Alligator Jack zu Alejandro und schmunzelte.
    Der wurde rot, sagte dann aber wirklich: „Nimm den Becher hoch!“
    Miguel offenbarte eine vierundsechzig. Alejandro bekam die neunzig Goldstücke und der Held startete in die neue Runde. Eigentlich hatte er eine einundzwanzig und hätte gewonnen, aber da nichts im Pott war und er wollte, dass es eine lange Runde wurde, damit er eine Chance auf den Gewinn hatte, sagte er, er hätte eine einunddreißig. Bones nahm die Würfel entgegen und würfelte eine vierundfünfzig.
    „Was ist mit dir?“ wagte Alejandro den Helden zu fragen. „Was hast du gemacht, bevor du hierhergekommen bist?“
    „Ja, genau, lass aus dem Bart fallen!“ wollte es auch Bones wissen.
    Der Held ließ sich Zeit mit einer Antwort. Er plauderte nicht gerne aus dem Nähkästchen und er wollte es möglichst kurz halten.
    „Ich war Sträfling in der Minenkolonie auf Khorinis.“
    „Weswegen wurdest du da reingeworfen?“ unterbrach Bill ihn gleich neugierig.
    Der Held verzog das Gesicht und versuchte sich zu erinnern.
    „Puh… keine Ahnung mehr.“
    „Wie bitte?“ fragte Alejandro verwundert.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Es ist nicht immer ganz leicht zu ahnen, was andere Leute so von einem wissen.“
    Bill lachte laut, denn er hatte verstanden was er sagen wollte.
    „Ah ja, verstehe.“
    Bill zwinkerte ihm schelmisch zu.
    „Wie lange hast du gesessen?“ wollte nun Bones wissen.
    Der Held hob eine Augenbraue.
    „Gesessen? Die Minenkolonie war kein Kerker. Mehr eine Art Freiluftknast. Innerhalb der Barriere konnte man sich recht frei bewegen. Wo man hingehen sollte oder nicht hing eher von den eigenen Fähigkeiten ab, als damit was einem irgendwer sagte. Wärter gab es nicht mehr, nur Sträflinge und ein paar Magier, die bei der Erschaffung der Barriere mit hineingeraten waren.“
    „Hört sich gar nicht mal so schlecht an“, meinte Alligator Jack.
    Owen nickte.
    „Immerhin besser als zwanzig Jahre in einer Zelle zu verrotten.“
    „Ach, ich war nur etwa einen Monat dort, dann ist die Barriere zusammengefallen und ich hab mich auf dem Rest der Insel rumgetrieben.“
    Die Würfel waren jetzt bei Skip der einen Max würfelte, den Becher hob und so automatisch gewann.
    „Und dann?“ wollte Bones wissen und beobachtete den Helden genau.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Weißt du doch, dann bin ich bei euch aufgeschlagen und später haben meine Kumpels aus der Barriere und ich uns das Schiff der Paladine geschnappt und sind damit aufs Festland gefahren. Dort haben wir gegen die Orks gekämpft und dabei wurde uns das Schiff geklaut“, fasste der Held seine Abenteuer möglichst nüchtern und kurz zusammen.
    „Mit all dem Gold drauf?“ fragte Morgan.
    Der Held nickte.
    „Scheißpech“, meinte Owen und nahm jetzt den Würfelbecher von Bill, der einen zweierpasch gewürfelt hatte.
    Irgendwie waren sie aber gar nicht mehr so richtig beim Spiel. Sie dachten wohl alle an das Gold der Esmeralda.
    „Du hast an deinem ersten Tag hier erzählt, dass es um Drachengold geht. Wie bist du da ran gekommen?“ wollte nun Alligator Jack wissen.
    „Ja los! Erzähl!“ forderte Bill.
    „Die Drachen sind über Myrtana hergefallen. Eigentlich sollten die Ritter und Paladine sich drum kümmern, aber die haben das natürlich mal wieder nicht hinbekommen“, sagte der Held mit bitterem Ton.
    Die Piraten lachten schallend.
    „Von den Drachenjägern haben mir ein paar immerhin geholfen die Drachen zu töten und ich hatte ein wichtiges Artefakt bei mir, das Auge Innos“, setzte der Held hinzu.
    Alligator Jack pfiff anerkennend.
    „Wow, du hast echt Drachen getötet?“
    Der Held nickte.
    „Meine Fresse, du hast echt was drauf“, sagte Bones und klopfte dem Helden kameradschaftlich auf die Schulter.
    Abgesehen von Miguel und Manuel, die zu besoffen waren, um noch viel mitzukriegen starrten alle ehrfürchtig zum Helden. Es war klar zu sehen, dass sie seine Worte nicht anzweifelten.
    „Hast du für den König von Myrtana gekämpft?“ fragte Alejandro plötzlich.
    Der Held sah ihn an und seine Stirn furchte sich.
    „Nein, wie kommst du darauf? Ich hab mein eigenes Ding durchgezogen.“
    „Ja, so kennen wir dich“, sagte Bones grinsend und klopfte ihm wieder kumpelhaft auf die Schulter.
    „Ich dachte nur, weil du ganz gut ausgerüstet bist …“, meinte Alejandro nur ausweichend.
    Dem Helden gefiel nicht wie sich das Gespräch entwickelte. Er wünschte sich, dass sie ein anderes Gesprächsthema finden würden.
    „Wie ist denn die Lage in Myrtana?“ ließ Alejandro nicht locker, der gleichzeitig neugierig, aber auch besorgt aussah.
    „Wie soll‘s schon sein? Es war ewig Krieg. Gibt nicht mehr viele Leute dort und wer noch da ist hat nichts und hungert.“
    „Hört sich ja schrecklich an“, sagte Alejandro betroffen. „Meinst du sie schaffen es den Winter zu überstehen?“
    Der Held sah auf den halb gefüllten Krug in seiner rechten Hand und seine Finger schlossen sich fester darum. Er hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen und er fragte sich, ob sie es wirklich schaffen würden. Lee meinte, sie würden sterben ohne ihn. Nun, er war gegangen, hatte sie mal wieder einfach zurückgelassen.
    „Ach Lee schafft das schon“, sagte er dann betont lässig, zum einen um den Jungen zu beruhigen, aber auch, um sich selbst einzureden, dass es schon nicht so schlimm werden würde.
    „Wer ist Lee?“ fragte Bones.
    „War damals auch in der Barriere und hat das Neue Lager geführt“, antworte der Held knapp und nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Krug.
    Alligator Jack pfiff, während Alejandro würfelte und einen Dreierpasch verkündete. Der Held glaubte ihm, denn er sah keine Anzeichen für eine Lüge.
    „Hui, ein ehemaliger Knasti als Herrscher, das ist ja mal ein Höhenflug.“
    „Ach, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Weißt du, er war ein hochrangiger General, bevor sie ihn in die Barriere geworfen hatten. Irgendwas mit einer Intrige des Hofstaats und so“, erklärte der Held.
    „Achso“, brummte Jack.
    Der Held behauptete, er hätte einen Viererpasch, aber diesmal glaubte Bones ihm nicht und sackte das Gold in der Mitte ein. Dieses Gespräch wühlte den Helden mehr auf, als er sich selbst eingestehen wollte. Vielleicht ahnte Skip so etwas, wenn vielleicht auch nicht aus den tatsächlichen Gründen, denn er fragte in die Runde: „He, was wollt ihr im nächsten Hafen mit eurem Gold anstellen?“
    Sofort gab es ein neues Gesprächsthema wofür der Held sehr dankbar war. Wie er heraushörte würde das meiste Gold für Saufen und Huren draufgehen, aber der eine oder andere wollte sich auch nach einer besseren Ausrüstung umsehen. Sie spielten noch eine Weile und redeten über Gold, Getränke und Weibergeschichten. Es war schon spät in der Nacht, als sie sich endlich in ihre Hängematten verkrümelten und leicht schwankend in den Schlaf entschwanden
    Geändert von Eispfötchen (20.07.2023 um 10:25 Uhr)

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    Auf Kaperfahrt

    In der Nacht waren sie nördlich an der Insel Khorinis vorbei gesegelt. Der nächste Morgen brachte wieder einen ordentlichen Seegang und durch das Gelage in der Nacht ließen sich die meisten Piraten etwas schwerfällig aus den Hängematten fallen. Miguel und Manuel brauchten eine extra Einladung vom Helden und auch später lief es nicht besser. Statt wie befohlen das Deck zu schrubben kotzten sie es voll. Die anderen Piraten warfen den beiden Brüdern böse Blicke zu. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie ihren Unmut darüber sehr klar ausdrücken würden. Bevor es so weit kam, winkte Greg den Helden zu sich ans Steuer.
    „Dat is doch allns Schiet! De beiden sin ma wieder ramduun“, sagte Greg genervt. „Wat willst‘e deswegen machen?“
    Der Held sah noch mal kurz zu Miguel und Manuel, die nur neben ihrer Kotze lagen und aussahen, als hätten sie damit schon genug zu tun.
    „Ich glaub mit denen kann ich nicht viel anfangen. Die taugen zu nichts.“
    Greg seufzte.
    „Da sachste nix Neues. Ham nich mehr Grips als ne Möwe Fleisch anner Kniescheibe. Für einfache Arbeiten bruken wir aber ook Leute. Wat mutt dat mutt! Bring se zum werken, Vergnügungsfahrt giff‘t neet!“
    Auch wenn er seinen Kapitän nicht voll und ganz verstanden hatte, ahnte der Held was er ihm damit sagen wollte.
    „Ich denke es geht schneller, wenn ich einfach ihre Arbeit übernehme.“
    „Sei nich dwerig!“ mahnte Greg. „Die annern aus de Mannschaft fühlen sich ungerecht behandelt, wenn se knojen müssen un de beeden Suffköppe nur vor sich hinbuseln. Dat gifft‘n Aufstand, wenn du nich bald wat dagegen machst, dat ward ik di flüstern.“
    Der Held nickte. Er hatte den Befehl verstanden. Auch Garetts Auftrag beinhaltete, dass Miguel und Manuel zukünftig beim Alkohol kürzer traten. Er überlegte kurz was er tun könnte, doch ihm fiel nur eine Lösung ein. Greg riss ihn aus seinen Gedanken, indem er fragte: „Wie läuft’s mit‘em Stint?“
    „Alejandro bemüht sich zu lernen, aber er hat einfach kein Selbstvertrauen. Ständig hat er vor allem Angst und das hindert ihn Fortschritte zu machen“, sagte der Held zu Greg, doch der winkte ab. „Dat is Jungheit, dat verwassst.“
    Der Held ging zu Miguel und Manuel, die sich nun immerhin in eine sitzende Position aufgerichtet hatten und fragte sie: „Arbeitet ihr jetzt, oder braucht ihr `ne Schelle?“
    Sie lachten. Er verprügelte sie. Sie lachten nicht mehr.
    „Schrubbt das Deck! Und ordentlich, oder es gibt noch mal aufs Maul, verstanden?“ drohte der Held.
    „Aye“, murrten Miguel und Manuel im Chor und stöhnten dann leidgeplagt.
    Der Held sah sie noch einmal drohend an, dann kletterte er in die Wanten, um seinen Dienst im Krähennest abzuleisten. Er hatte auch noch gar nicht lange dort gestanden, als er etwas durch das Fernrohr erspähte.
    „Schiff Backbord voraus!“ grölte er nach unten und läutete die Glocke.
    Er sah hinunter und staunte, dass Greg das Steuer rasch an Henry abtrat, um selbst zum Mastkorb hinaufzuklettern. Vielleicht vertraute Greg ihm nicht, oder er hielt sich streng an das Motto: Wenn du willst, dass etwas richtig gemacht wird, dann mach es selbst!
    „Hast‘e schon rausgefunnen wat et für een Schiff is?“ fragte Greg, als er oben war.
    Natürlich war der Held nicht untätig gewesen und hatte ausführlich das Buch mit den Flaggen studiert.
    „Es trägt eine grüne Tanne mit drei Schneekristallen drumherum auf blauem Grund. Also wird es wohl aus den Eiswüstenlanden kommen.“
    „Warst‘e schon mal dort?“ wollte der Kapitän wissen.
    Der Held schüttelte den Kopf.
    „Een kleenes recht unbedeutendes Königreich. Liecht weit im Norden. Dort giff‘t et nich veel zu holen. Hauptsächlich Felsen un scharfe Klippen an‘ner Küste. Im Land selbst giff‘t im Summer weite Grasflächen un im Winter nur Schnee un Eis. Et wächst dort nur wenig. De Leute leeven mehr vun de Jagd als vun de Arren, aber gute Handwerker un Schmuckhersteller sin et. Dat Land is riek an Bodenschätzen. Damit hanneln se mit anneren Königreichen. Wäre goot, wenn dat Schiff gerade vun dort kommt un wir uns ihre Ware unner‘n Nagel reißen könnten. Als ik zuletzt wat von dem Land hörte, hat gerade een neuer König dee Nachfolge angetreten, König Einhard.“
    „Ich hab keine passende Flagge gefunden“, informierte der Held den Kapitän.
    „Wirst’e ook nich. Wir hett keen Flagg von det Königreich, aber dat wird sich hoffentlich bald ännern.“
    Greg grinste breit. Er bemühte sich jetzt sehr deutlich zu sprechen, damit der Held sich später bloß nicht irgendwie herausreden könnte, falls etwas schief lief.
    „Also, du hisst jetz‘ dee orangerote Flagg, de mit de goldenen Sonne. So weit ik noch informiert bin, hanneln König Fion und König Einhard miteinander. Oder zumindest war et so als ik mich zuletzt darüber informierte. Wär‘ mal goot an neue Informationen zu kommen. Wäre echt detsch, wenn mir etwas entgangen is.“
    „Wer ist denn dieser König Fion?“ fragte der Held, während er die Flagge mit der goldenen Sonne hisste.
    „Er herrscht über een kleenes Inselkönigreich. Im Grunde nich veel grooter als Khorinis. Sie leeven vom Fischfang und hanneln sehr geschickt mit Baumwolle. Een grooter Teil dreht sich bei ihnen um de Seefahrt. Riek sin se nich, aber se können sich immerhin behaupten. Dat Schiff hier is von dort. Dat macht et noch echter. Selbst wenn wer a Flagg von de Eiswüstenlanden hätt‘n, wäre et doof gewesen se zu nutzen. De hett dort flache, schnelle Schiffe. So eens wie unseret giffet dort garantiert nich. Diesen Bluff hätt‘n de uns nie abgekauft. Na dann … hoffen‘wer ma, dat et klappt. Wir müssen sehr nah an se herankommen, damit wir se entern können.“
    Greg kletterte wieder nach unten und weil der Held sich dieses Abenteuer natürlich nicht entgehen lassen wollte, folgte er ihm und schickte stattdessen den ohnehin ängstlichen Alejandro nach oben in den Ausguck. Der Wind war ihnen gewogen und sie machten gute Fahrt.
    „Was ist, wenn die gesehen haben, dass wir diese Fahne erst gesetzt haben?“ fragte der Held, doch Greg winkte ab. „Unwahrscheinlich. Da ihr Schiff so flach is, hebben se nich so gute Sicht im Ausguck. Du hast ihr Schiff außerdem schnell entdeckt. De Chancen stehen goot.“
    Greg hob jetzt die Stimme und befahl: „Alle Mann an Deck! Wir werden een Schiff aus‘n Eiswüstenlanden entern! Wenn wir Glück haben, giffet veel Gold, Edelsteine und annern wertvollen Kram."
    Die Männer hoben motiviert je einen Arm und grölten. Offenbar konnten sie es kaum erwarten auf Beutezug zu gehen.
    „Un damit dat klar is, wir wollen dat Schiff erobern, nich versenken“, erinnerte Käpt’n Greg seine Mannschaft.
    Sie fuhren am Wind und das Piratenschiff schlich sich an das nichtsahnende Nordlandschiff an. Vielleicht dachten sie, dass sie mit ihnen handeln wollten. Sie sahen jemanden auf dem flachen Schiff der Eiswüstenländer winken. Kapitän Greg winkte dreist zurück. Sie näherten sich weiter.
    „Beidrehen!“ brüllte Greg. „Flagg hissen!“
    Alejandro schaffte es offenbar die richtige Fahne zu hissen, denn gleich darauf zierte nicht mehr die goldene Sonne die Murietta, sondern der Totenkopf im Profil. Die Anspannung und die hochkochenden Gefühle waren jetzt deutlich auf dem Schiff zu spüren und von drüben erschollen die ersten Angstschreie, als die Matrosen der Piratenflagge gewahr wurden. Zu spät, denn schon wurden die Enterhaken geworfen. Und Alligator Jack feuerte eine Harpune, damit das andere Schiff ihnen nicht so leicht entkommen konnte. Der Held hatte einen Geschwindigkeitstrank aus seiner Hosentasche geholt und getrunken und schwang sich nun kühn mit einem Seil auf das niedrigere Schiff. Die fremde Crew sah ihn nur verwundert an. Sie waren ganz offensichtlich völlig überrumpelt. Einige griffen jetzt nach Prügeln und wer eine Stichwaffe hatte, zog diese, doch bevor sie sich dem Helden in den Weg stellen konnten, war er schon an ihnen vorbei zu dem Mann gerannt, den er für den Kapitän hielt. Er trug das prächtige Fell eines Eiswolfes und hatte einen großen Helm mit Hörnern auf dem Kopf. Der Kapitän reagierte zu spät und so hielt der Held ihm schon sein Rapier an die Kehle, bevor er seine Waffe, eine eindrucksvolle Schiffsaxt, hatte ziehen können.
    „Sag deinen Männern, dass sie keinen Ärger machen sollen. Wir holen uns nur eure Waren, es braucht niemand sterben.“
    Er sprach mit solcher Selbstsicherheit und Entschlossenheit, dass der Kapitän einsah, dass es überaus dumm wäre etwas Heldenhaftes zu versuchen.
    „Sag es deinen Männern!“ befahl der Held.
    Die Mannschaft stellte sich nun gegen die anderen Piraten, die sich einer nach dem anderen auf das Eiswüstenlandschiff schwangen.
    „Legt die Waffen nieder! Sie sind in der Überzahl!“ rief ihr Kapitän laut.
    Die Mannschaft grummelte und sah unwohl zu ihrem Kapitän, der in der Klemme steckte. Sie zögerten, doch dann warfen sie ihre Waffen doch aufs Deck.
    „Holt de Beute an Bord!“ befahl Greg, der zum Helden und dem anderen Kapitän spähte und sich versicherte, dass von dort keine Scherereien zu erwarten waren.
    Es war viel einfacher, als der Held vermutet hatte. Es hatte nicht mal zwei Minuten gebraucht, um das Schiff zu erobern.
    „Da sind nur Kisten mit Essen, keine Schätze“, meldete Henry dem Piratenkapitän.
    „Wir haben unsere Waren gerade erst gegen die Nahrung eingetauscht. Bitte lasst uns den Proviant. Im Sommer gab es Missernten bei uns und nun droht im Winter eine Hungersnot“, appellierte der fremde Kapitän an ihr Mitgefühl.
    „Tjoa det enen Pech is det annern Glück. Wir bruken ook wat zu freten. Nix für ungut.“
    „Bitte, so habt doch ein Herz!“ versuchte der fremde Kapitän Greg zu erweichen.
    Der Held sah den fremden Kapitän schief an. Dem Aussehen nach hatte er gedacht, diese Leute wären harte Kerle. Wie konnten sie da einen Kapitän dulden, der bettelte? Vielleicht würde es ja einen Kommandowechsel geben, wenn sie wieder verschwunden waren. Er hielt den Kapitän weiter in Schach während die Piraten munter eine Ladungskiste nach der anderen auf die Murietta schafften. Skip war auf den Masttop geklettert und hatte sich ihre Fahne gekrallt, die er jetzt wie eine Trophäe auf die Murietta brachte.
    „Alle zurück an Bord!“ befahl Greg. „Überlasst diese braven Männer Adanos Schicksal.“
    Der Held stieß den Kapitän kräftig nach vorne, damit der keine Gelegenheit für einen Gegenangriff hatte und rannte dann flink zur Reling um sich eilig zurück auf die Murietta zu hangeln. Kaum war er an Bord drehte die Murietta ab.
    „Großsegel ausreffen! Traveller nach Luv nehmen!“ brüllte Greg und die Piraten, die gerade erst die Kisten unter Deck gebracht hatten und nun zurück nach oben kamen wuselten sofort los, um die Befehle ihres Kapitäns auszuführen.
    Durch die Neuausrichtung der Segel zog der Wind sie nun rasch vom Eiswüstenlandschiff weg.
    „Na dat lief ganz goot“, sagte Käpitän Greg und fuhr sich nachdenklich über seinen braunen Bart.
    „Wann kriegen wir unseren Anteil?“ fragte Francis gierig.
    „Ihr habt erst was bekommen, ihr gierigen Raffsäcke!“ wies Greg sie barsch zurecht.
    „Das ist nicht fair!“, wagte Morgan aufzumucken.
    „Ach, is es nich? Dann willst du also die Liegegebühren un all den annern Kram im nächsten Hafen allein bezahlen?“ konterte Greg.
    Keiner wagte mehr etwas zu sagen.
    „Dacht ichs mir un nu genug palavert ihr Plärrpötte, zurück an die Arbeit!“, rief Greg laut und jeder Pirat beeilte sich rasch sich nützlich zu machen.
    Auch der Held wollte sich schon wieder in die Wanten schwingen, doch Greg hielt ihn zurück.
    „Du nich! Komm ma hier rüber!“
    Der Held ging zu Greg und fragte sich, was er wohl wollte.
    "Du bist jetz‘ op mienem Schiff, da musst‘e mit den annern von der Crew zusammenarbeiten. Alleingänge bringen da nicht veel. Wir müssen zusammenhalten, damit uns dat Meer nich verschlingt un uns annere Piraten nich unnerbuddern."
    „Aber es hat doch alles funktioniert“, entgegnete der Held.
    Gregs grimmigen Gesichtsausdruck nach zu urteilen schätzte er die Widerworte gar nicht.
    „Et hat schon eenen Grund warum et Entertrupp heeßt, oder glaubst‘e dat nennen wir nur so zum Spaß? Du bist für deene Leude verantwortlich un eben, da hast du se einfach stehen lassen. Wir broken koordinierte Angriffe. Alles mut laufen wie am Schnürchen, da broken wir keenen, der nur im Weg rumsteht. Miguel und Manuel haben gar nich kapiert wat se überhaupt maken sollen un de Stint hat sich immer noch nich wieder aus‘m Krähennest herunter getraut.“
    Der Held zuckte mit den Schultern. Er sah das Problem immer noch nicht.
    „Aber war doch gar nicht nötig. Bevor es überhaupt zu einem Kampf kommen konnte, hatte ich ihnen schon den Wind aus den Segeln genommen.“
    „Glaubst‘e etwa wir haben et jedetmal mit solchen Dröggeln zu tun? Dat war nur een kleenes Schiff, kaum der Rede wert, aber wat glaubst‘e passiert, wenn sich de anneren wehren? Oder wenn se Kanonen haben? Ne, du musst dafür sorgen, dat jeder in deinem Entertrupp weeß wat er wie wann zu maken hat, damit allet glatt läuft, verstanden?“
    Der Held grollte. Es nervte ihn für seinen Trupp verantwortlich zu sein. Am liebsten wollte er etwas erwidern, doch so wie er Greg kannte, würde er ihn am nächsten Hafen einfach rauswerfen, wenn er ihm zu unbequem wurde und das wollte er nun auch nicht.
    „Ob du dat verstanden hast, will ik wissen!“ bohrte Greg nach, weil der Held nicht antwortete.
    „Aye Aye Käpt‘n.“
    „Na also, dann scher dich jetz‘ wech und knoje gefällichst weiter!“

    Nachdem dieser Tag so vielversprechend angefangen hatte, ging es mit den üblichen Aufgaben weiter. Abends würfelten die Piraten wieder und setzten Samuels Alkoholvorrat ordentlich zu. Der Held hatte gedacht, dass Miguel und Manuel sich nach seinen Schlägen zurückhalten würden, doch offenbar hatte es nicht ausreichend Eindruck auf sie gemacht, denn auch am nächsten Tag waren sie schon morgens sturzbesoffen.
    „Jetzt reicht’s“, knurrte der Held und schnappte sich Miguel, der ihm am nächsten war, am Kragen und schleifte ihn übers Deck.
    „He, was los?“ lallte der Säufer und sah benebelt zu ihm hoch.
    Der Held antwortete nicht und nahm stattdessen eine derzeit ungenutzte Leine von einer Klampe, knotete eine Schlinge und legte sie um Miguels Oberkörper.
    „Ich schmeiß dich jetzt ins Meer und wenn du bereit bist, viel weniger zu Saufen und endlich den Arsch hochkriegst, um zu arbeiten, hol ich dich wieder an Bord.“
    „Wahh?!“ kam es nur verdutzt von Miguel, doch bevor der noch richtig verstand wie ihm geschah, warf der Held ihn tatsächlich über Bord und er landete in den Schaumkronen einer großen Welle, die gleich darauf gegen das Schiff schlug.
    Der Held ließ die Leine locker, so dass sein Schützling aufgrund der Fahrtgeschwindigkeit unter Wasser mitgeschleift wurde. Er stand ein paar Minuten einfach nur an der Reling und sah aufs glitzernde Meer, bis er der Meinung war, jetzt könnte er die Leine mal wieder etwas einholen, um dem Arbeitsmuffel die Gelegenheit für einen lebensverlängernden Atemzug zu gönnen. Kaum tauchte Miguels Kopf aus den Wellen auf, sah der Held dessen aufgerissene Augen und konnte hören wie tief er nach Atem rang. Eine große Welle klatschte ihm ins Gesicht und ließ ihn Wasser schlucken. Miguel hustete und prustete und strampelte wild bei dem Versuch nicht unter zu gehen. Der Held ließ die Leine wieder locker und so zog ihn der Sog des Schiffes wieder unter die Wasseroberfläche. Diesmal wartete er nicht so lange damit ihn wieder hochzuholen.
    „Na, wie sieht’s aus? Lässt du ab sofort die Finger vom Alkohol?“
    Miguel spuckte Wasser und sah zornig zu ihm hoch.
    „Niemals!“ krächzte er.
    „Na gut, hat ja Zeit“, sagte der Held und ließ ihn zurück unter Wasser tauchen.
    Mitleidslos wiederholte er das Lockern und anziehen der Leine immer wieder, doch er gab Miguel zunächst keine Gelegenheit mehr seine Meinung zu ändern.
    „Na spendierste dem vermuckten Suffkopp een Bad? Machste richtig, der Quappenkopp hat schon wieder so muchtig gestunken“, sagte Greg und sah dem Helden in aller Ruhe dabei zu wie er die Leine gerade mal wieder fierte und Miguel so zurück ins Wasser tauchte. „Wo is denn der annere? Den kannst‘e ook gleich reinwerfen.“
    „Mach ich noch, erstmal ist der hier dran“, sagte der Held sachlich.
    „Wenn du nich willst, dat er absäuft, solltest‘e ihn vielleicht noch ma hochholen.“
    „Stimmt, hab ich fast vergessen“, witzelte der Held und grinste.
    Für Miguel war die Situation alles andere als lustig. Er wäre schon mehrfach beinahe ertrunken und alles zappeln und spucken half ihm nichts. Sobald sein Entertruppführer die Leine entspannte, strömte wildes Wasser um ihn herum.
    „Lass dir ruhich Zeit. Dat sollte ihn zur Besinnung bringen“, meinte Greg und ging weiter sein Schiff ab, um nachzusehen, ob auch alle ihre Arbeit taten.
    Allerdings sammelten sich immer mehr Schaulustige um den Helden. Morgan und Bones lachten höhnisch und zeigten schamlos auf den hilflosen Miguel, der jederzeit glaubte jämmerlich im Wasser zu ersaufen. Alejandro sah bang vom Großmast herüber, während er einige Leinen aufschoss und schließlich als Bunsch ordentlich verstaute.
    „Hol ihn mal hoch, vielleicht ist er ja jetzt bereit zu arbeiten!“ sagte Skip und reckte seinen Daumen nach oben, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Der Held zog an der Leine und ließ Miguel jetzt mehr Zeit, um wieder zu Atem zu kommen.
    „Hast du genug, oder willst du noch länger im Wasser rumplanschen? Wer weiß wie lange ich noch Lust habe hier zu stehen. Könnt ja sein, ich lass dich einfach hängen.“
    „Nein, bloß nicht! Ich arbeite ja, aber hol mich aus diesem Scheißwasser raus“, japste Miguel.
    „Und der Alkohol?“ bohrte der Held nach.
    „Rühr ich nie wieder an!“ versprach Miguel vollmundig.
    Der Held glaubte ihm nicht so recht, doch er wollte es auf einen weiteren Versuch ankommen lassen und zog den scheinbar geläuterten Säufer aus den Fluten. Er zitterte wegen der Kälte der See ganz erbärmlich und war schon leicht bläulich angelaufen.
    „Na los! An die Arbeit! Samuel braucht Hilfe in der Küche. Da kannst du nasser Sack dich gleich trocknen“, spottete der Held.
    Miguel wagte nichts zu entgegnen. Zähne klappernd ging er unter Deck, um in der Kombüse auszuhelfen.
    „Werd ich mir mal seinen Bruder holen“, sagte der Held.
    „Schläft seinen Rausch am Fockmast aus“, feixte Skip, der es toll fand, dass sein Entertruppführer endlich was gegen die Arbeitsverweigerer unternahm.
    „Nicht mehr lange.“
    Auch Manuel musste durch die harte Schule des Helden gehen. Er war viel panischer als sein Bruder und strampelte wie verrückt, aber das half ihm nichts. Sie waren auf Brassfahrt und selbst ein guter Schwimmer hätte sich da nicht halten können. Einmal glaubte der Held sogar er hätte es übertrieben, denn Manuel brauchte länger als erwartet, um das Wasser, das ihm in die Lungen geraten war hervorzuwürgen. Hätte der Held ihn gelassen, er hätte wohl schon viel früher beteuert sich zu bessern. Endlich zog er auch Manuel ziemlich grob aus dem Meer heraus und schickte ihn ebenfalls in die Kombüse. Die anderen Piraten grinsten. Sie sahen ganz danach aus, als gefiele ihnen, dass Miguel und Manuel nun endlich eine Strafe für ihre Faulheit und vor allem dafür bekommen hatten, dass sie ihnen die ganze Zeit den Rum wegsoffen.
    „Gut gemacht“, sagte Bones und klopfte ihm auf die Schulter.
    „Ja, endlich zeigt ihnen mal jemand ihre Grenzen auf“, kam es auch von Alligator Jack. „Schön, dass du deine Pflichten als Entertruppführer endlich annimmst.“
    Der pragmatische Held war der Meinung einfach nur getan zu haben, was getan werden musste. Nach diesem Ereignis, das gleichzeitig Strafe für die einen und Unterhaltungsprogramm für die anderen war, setzten alle ihre Arbeit fort.
    Nachts entschied der Held sich mal wieder zum Schlafen hinzulegen. Es gab sowieso nicht so viel zu tun. Henry und sein Trupp hatten übernommen und die See war ruhig und friedlich geworden, fast so als wären die beiden Trunkenbolde eine Art Opfer gewesen, um das Meer zu beruhigen. Der Held schlief ruhig, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als verdächtig leise aufgesetzte Schritte ihn weckten. Seitdem ihm die Klaue Beliars im Schlaf gestohlen wurden war, hatte er nur noch einen leichten Schlaf, was ihm jetzt das Leben rettete. Denn als er hochfuhr, sah er Miguel und Manuel, die fast schon vor ihm standen und jeder hatte ein Fischmesser zum tödlichen Angriff auf seine Halsschlagader erhoben. Miguel hieb ohne zu zögern zu. Rasch hob der Held den linken Arm um seinen Angriff abzuwehren. Er konnte ihn aufhalten, doch das Messer ritzte ihn. Keine schwere Wunde, aber ärgerlich. Der Held stieß Miguel grob zurück und setzte einen Eisblockzauber ein, damit er sich erstmal nicht mehr um ihn kümmern brauchte und sich mit Manuel befassen konnte, der jetzt ebenfalls auf ihn zustürmte. Kurzerhand eiste der Held auch ihn ein und atmete erstmal kurz durch. Der Kampf hatte nicht mal eine Minute gedauert, doch war er so intensiv gewesen, dass sein Herz wild hämmerte.
    „Was ist denn hier los?“ fragte Skip erstaunt, der vom Kampfeslärm aufgewacht war und sich verdattert umsah.
    Auch Alligator Jack, Morgan, Bones, Bill, Garett und Alejandro waren aufgewacht.
    „Die beiden Arschlöcher wollten mir im Schlaf die Kehle durchschneiden“, erklärte der Held hart.
    „Da haben sie sich offensichtlich mit dem falschen angelegt“, sagte Skip, grinste und besah sich die beiden erstarrten Säufer.
    „Du kannst ja Magie“, sagte Morgan erstaunt.
    Der Held fand, dass die beiden Eisblöcke Antwort genug waren. Bill sprach die beiden direkt an.
    „Hehe, wolltet euch dafür rächen, dass er euch ins Wasser getunkt hat, was? Tja, da seht ihr jetzt was ihr davon habt. Haha!“
    „Und das wird nicht alles sein“, sagte Alligator Jack unheilschwanger. „Dem Käpt’n wird das gar nicht gefallen. Das wird großen Ärger geben. Ich würde ja gerne sagen, dass es nett mit euch war, aber das wäre wohl eine Lüge.“
    „Er wird sie töten?“ fragte Alejandro erschrocken.
    Er hatte bisher noch gar nichts sagen können, so bestürzt war er über den nächtlichen Angriff und den magischen Konter gewesen. Alligator Jack musterte den Jungen befremdet und sagte dann: „Vermutlich. Sie haben ihren Vorgesetzten angegriffen in der Absicht ihn zu töten. Darauf steht die Todesstrafe.“
    Alligator Jack hatte Recht. Greg wurde wütend wie ein schnaubender Drachensnapper, als er von dem Angriff hörte. Miguel und Manuel wurden gut verschnürt als Paket zum Kapitän vorgestoßen und Alligator Jack berichtete dem Piratenkapitän von dem Vorfall. Auch Henry und sein Trupp ließen die Arbeit Arbeit sein und gesellten sich zu den anderen Piraten. Das wollten sie keinesfalls verpassen. Der Mond beschien die Murietta mit seinem silbrigen Licht und vermischte sich mit dem orangenen Schein der wenigen Öllampen an Deck und alles schien im Moment bedeutsam. Eine leichte frische Brise wehte. Es roch stark nach Salz. Die Männer an Deck starrten abwechselnd den Kapitän, den Helden und die beiden Brüder an, die panisch umher blickten, in der Hoffnung doch noch irgendwie einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden.
    „Is dat so gewesen?“ fragte Greg hart und sein verbliebenes Auge suchte den Helden.
    „Ja. Stimmt. Hat ihnen wohl nicht gefallen wie ich sie gebadet habe. Die Wassertemperatur war ihnen wohl nicht genehm“, scherzte er.
    „Wenn du noch drüber lachen kannst, hat et dich wohl nich groot mitgenommen wah? Aber dat wird den beiden Torfköppen nich helfen. Ach, bin ich hier denn nur von Queesebüdel un Jesemännken umgeben? Ich brok eene Crew, die wat taucht. Wir sin eh schon so wenige un jetz‘ so een Schiet!“
    Miguel und Manuel wimmerten und winselten. Sie konnten nichts sagen, denn die anderen Piraten hatten ihnen Knebel in die Münder gestopft. Die beiden wussten sehr wohl, dass jetzt möglicherweise ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Greg lief unruhig auf und ab und sah immer wieder auf die beiden Aufwiegler. Sie konnten sehen wie der Zorn in ihm wühlte.
    „Dafür sollte ik eure stinkenden Gedärme an‘ Hauptmast nageln!“ knurrte Greg und Manuel und Miguel erbleichten und wimmerten noch lauter, denn sie sahen dem Kapitän an, dass er es ernst meinte.
    Die Mannschaft war ganz ruhig. Jeder wollte wissen, ob Miguel und Manuel nun wirklich für ihre Tat mit dem Tod bezahlen mussten.
    „Nee, dat is nich abschreckend genuch“, meinte Greg und rieb sich über seinen braunen Bart.
    „Nicht?“ fragte Henry und ein fieses Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „Du könntest die Beiden noch oben ins Krähennest bringen, ihnen dort die Bäuche aufschlitzen und ihre Eingeweide an den Mastkorb nageln. Dann schmeißt du sie runter. Mal sehen, ob ihre Gedärme den Sturz aushalten oder sie reißen und ihre ausgeweideten Körper dann aufs Deck klatschen.“
    Manuel und Miguel rissen schockiert die Augen auf und vergaßen vor lauter Schreck ganz zu jammern.
    „Un wer makt de Sauerei dann wech, wenn de beeden doot sin, du etwa?“ fragte Greg ungerührt.
    „Naja … wir könnten drum Würfeln“, schlug Henry vor.
    Während der Kapitän sich diesen Vorschlag durch den Kopf gehen ließ, warteten die anderen Piraten weiterhin gespannt. Manche sahen geradezu erwartungsvoll aus, andere wirkten, als würde ihnen das Schicksal der beiden Übeltäter ganz egal sein und Alejandro war ganz offensichtlich völlig verstört. Er mochte Miguel und Manuel nicht wirklich, doch würde er wohl jedem Menschen dieses grausige Schicksal ersparen wollen.
    „Nee, nee, ik hab‘ne annere Idee. Wir werden se Kielholen! Einmal von Steuerbord nach Backbord. De Seepocken unten am Schiff werden ihnen de Leiber aufreißen. Ha! Sie waren nich zufrieden mit ihrem Bad? Mal sehen wie ihnen dat hier gefallen wird.“
    Die meisten Piraten lachten. Der Held wartete einfach nur ab was passieren würde. An und für sich war es ihm egal, wenn die beiden starben, denn immerhin hatten sie ihn angegriffen, doch auf der anderen Seite gehörten sie zu seinem Entertrupp und Greg hatte gesagt er wäre daher für sie verantwortlich. Galt das jetzt noch? Oder nicht mehr? Wenn sie tot waren, wären nur noch drei Mann in seinem Entertrupp, ihn eingeschlossen. Während der Morgen graute, waren die Piraten emsig dabei eine Leine unter dem Schiff durchzuziehen. Zuerst war Manuel an der Reihe. Greg zog den winselnden Piraten auf die Füße und warf ihn dem hämisch lachenden Bones und den fies drein schauenden Henry zu, die ihm rasch eine Leine um den Oberkörper banden und dann ins stahlblaue Meer warfen. Die anderen Piraten hielten auf Anweisung des Kapitäns schon die Leine gepackt, die Manuel unter dem Kiel der Murietta durchziehen würden.
    „Zieht! Zieht! Zieht!“ rief Greg ihnen immer wieder zu und sie zogen.
    Hatten sie auf der einen Seite einen mehr oder minder gesunden Menschen ins Wasser geworfen, zogen sie nun auf der anderen Seite ein zerschundenes vor Blut triefendes Bündel hoch. Manuels Kleidung hing in Fetzen, Haut und Fleisch waren zerrissen, Blut rann unaufhörlich über seinen Leib und die Bezeichnung offener Rücken war in diesem Fall sehr wörtlich zu verstehen.
    „Werft diese schleimige Qualle auf’s Deck!“ befahl Greg seiner Mannschaft.
    Der zerschundene Körper zuckte hin und wieder krampfhaft vor grauenvollem Schmerz. Dunkles und helles Blut tränkte die Planken der Murietta, doch Manuel lebte noch. Er würgte Wasser und jeder gepeinigte Atemzug, der danach kam wurde von einem tiefen Röcheln begleitet, das die unglaublichen Qualen erahnen ließ, die er durchlitt.
    „Jetz‘ der annere!“ befahl Greg ungerührt und Miguel, der seine schreckgeweiteten Augen nicht von seinem zerfetzten Bruder abwenden konnte, versuchte sich mit allen Mitteln zu wehren, doch es half ihm nichts.
    Auch er wurde in die See geworfen und unbarmherzig unter dem Schiff durchgezogen. Während die Crew fest an der Leine zog, sickerte das Leben unaufhörlich aus dem immer noch krampfhaft zuckenden und jämmerlich stöhnenden Manuel heraus. Er bekam bald Gesellschaft von seinem nun ebenfalls übel zugerichteten Bruder.
    „Tjoa, ma sehen wie lange se es noch maken“, sagte Greg und sah den beiden beim Sterben zu.
    Der Held hob eine Hand, doch Greg hatte es gesehen und packte ihn am Arm.
    „Was willst‘e maken? Irgendein magischer Spruch?“
    „Sie heilen“, erklärte der Held. „Oder wer soll zukünftig das Deck schrubben und andere beschissene Aufgaben an Bord machen?“
    Er sah wie Greg nachdachte und nochmal zu den zitternden blutigen Körpern blickte, die sich in ihrer großen Qual auf Deck wanden und trotz der Schmerzen bald keine Kraft mehr dafür haben würden.
    „Du bist ihr Entertruppführer, du wirst entscheiden!“ erklärte Greg.
    Die anderen Piraten sahen gespannt dabei zu, wie der Held Fernheilung auf Miguel und Manuel anwendete. Er brauchte jeweils zwei Anläufe um sie vollständig zu heilen. Staunend sah die Crew dabei zu wie das zerfetzte Fleisch erstaunlich schnell zusammenwuchs und abheilte. Die Bestraften hörten auf zu zucken, zu stöhnen und zu bluten.
    Greg musterte den Helden während seiner Arbeit und sagte schließlich: „Wird noch nützlich sein jemanden an Bord zu haben, der sich mit son Magiekram auskennt.“
    Dann wandte er sich an Manuel und Miguel, die noch verängstigt zitterten, aber erstaunt und ungläubig auf ihre unversehrte Haut unter ihrer zerrissenen Kleidung schauten und sich betasteten, weil sie es einfach nicht glauben konnten. Dann sahen sie völlig verängstigt zu Greg hoch. Der Kapitän wandte sich ihnen zu und sagte eisig: „Ihr Supköppe habt Mordsglück, dat euer Entertruppführer euch vor dem Doot gerettet hat und dat obwohl ihr ihn abstechen wolltet. Habt ihr eigentlich nich verdient! Steht jetz‘ in seiner Schuld. Dat solltet ihr nich vergessen. Un jetz‘ nehmt de Euschammer ausm Kabäuschen un schöpft de Kieljauche aus‘m Schiff!“ befahl Greg mit harter Stimme.
    Zuerst rührten sich Miguel und Manuel nicht und alle konnten ihnen ansehen, dass sie noch gar nicht verarbeitet hatten was zuletzt geschehen war.
    „Na wird’s bald, oder wollt ihr noch ne Runde unterm Schiff drehen?!“ brüllte der Piratenkapitän sie an und die Brüder beeilten sich auf die Füße zu kommen und zu verschwinden.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Gorn lässt die Fetzen fliegen

    Gorn konnte immer noch nicht glauben, dass sein Freund einfach abgehauen war und sie hier in ihrem Elend zurückgelassen hatte. Er fühlte in sich so eine innere Leere, so als wenn jetzt alles bedeutungslos geworden wäre. Was brachte es, dass sie die Orks bezwungen hatten, wozu all die Anstrengung, das Blut und das Leid, wenn sie jetzt verhungern mussten?
    Gorns Magen war leer. Gestern hatte es nur eine kleine Sardine gegeben und er wusste, es würde noch schlimmer werden. Viel schlimmer. Der Winter stand erst noch bevor. Hatten sie ihn verärgert? Gorn wünschte sich, er hätte einfach nur das Maul gehalten. Hätten sie ihm dieses blöde Schwert doch einfach gelassen, dann wäre er bestimmt nicht so wütend geworden und wäre bei ihnen geblieben. Der Held hatte so viel für sie getan und sie hätten mit ihm eine gute Chance gehabt. Doch jetzt? Letztes Mal waren die Orks zurückgekommen und es war schwer sich ihnen zu erwehren. Hoffentlich würden sie dieses Mal nicht wieder angegriffen, denn Kraft zum Kämpfen hatte kaum noch jemand. Gorn würde natürlich kämpfen, bis zum letzten Atemzug. Doch wie lange würden sie durchhalten? Es brauchte noch nicht mal einen physischen Feind. Die Hungersnot war schlimm genug. Gorn versuchte sich aus seinen Gedanken zu reißen. Nicht nur, dass sie ihn deprimierten, er sollte eigentlich auch darauf achten was um ihn gesagt wurde. Er saß wieder neben Lee am großen Tisch im Thronsaal und sie hielten Rat. Es war das dritte Mal, dass sie zusammengekommen waren und der alte Feuermagier aus dem Kloster in Nordmar schlug gerade vor: „Wie wäre es, wenn wir diesen Rat permanent belassen, bis der neue König gewählt wird?“
    „Und wie soll das aussehen?“ wollte Gorn wissen, denn er wollte den Anschein geben, als hätte er die ganze Zeit zugehört.
    „So wie jetzt. Wir sitzen hier und beratschlagen. So können wir das doch zukünftig bei allen Problemen machen. Dann brauchen wir vielleicht gar nicht zwingend einen König“, meinte Altus.
    Die anderen am Tisch sahen sich verwundert an.
    „Hört sich gut an“, meinte Merdarion.
    „Ich bin dabei“, stimmte auch Myxir zu.
    Gorn suchte Lees Blick und als dieser zufrieden nickte, stimmte auch er zu.
    „Versuchen wir es“, sagte nun auch Lord Hagen.
    „Wir Wassermagier können aber nicht ewig hier bleiben“, gab Saturas zu bedenken. „Wir haben auch noch in Varant zu tun. Die Nomaden brauchen uns als geistige Führer.“
    „Ich habe eigentlich auch meine Aufgaben auf Khorinis“, sagte Pyrokar mit fester Stimme. „Aber im Augenblick ist es sicher das Beste für Myrtana, wenn ich auf dem Festland bleibe.“
    „Ähm… gut, dann mach ich auch mit“, sagte Karras, nachdem Pyrokar seine Zustimmung gegeben hatte.
    Milten wollte gerade den Mund aufmachen, doch Pyrokar sah ihn prüfend an und sagte dann: „Du bist eigentlich noch zu jung und unerfahren, um Mitglied in so einem wichtigen Rat zu sein. Karras hat immerhin viel Erfahrung und Wissen, auch wenn er kein Mitglied im hohen Rat der Feuermagier ist.“
    Milten sah genervt aus. Er war noch nicht einmal dazu gekommen etwas zu sagen und schon fuhr ihm Pyrokar in die Parade. Doch Meister Altus setzte sich für ihn ein, indem er sagte: „Pyrokar. Milten mag noch jung sein, aber für sein Alter hat er schon außerordentlich viel geleistet und erlebt. Gib ihm doch eine Chance.“
    Pyrokar sah den gutmütigen Altus einen Moment mit zusammengekniffenen Augen an und schnarrte dann: „Also schön. Du bekommst deine Chance Milten.“
    „Und wie soll dieser Rat heißen?“ fragte Lord Garond.
    „Der hohe Rat von Vengard“, schlug Lord Hagen vor.
    „Ja, ich denke, darunter kann sich jeder etwas vorstellen“, meinte Lee. „Wir sollten aber trotzdem die Idee mit der Königswahl im Hinterkopf behalten. Ein Rat ist gut und schön, doch auf Dauer sehe ich das nicht als Lösung. Der Rat sollte den König beraten, aber Myrtana braucht trotzdem einen Anführer.“
    Lord Garond, Lord Hagen und Gorn nickten. Die Magier sahen nicht ganz so überzeugt aus, doch immerhin hatten sie wohl auch nichts dagegen. Sie wirkten unentschlossen.
    „Ich weiß nicht genau wer in Myrtana als König in Frage kommt“, gab Merdarion zu.
    „Wir sollten das Volk entscheiden lassen“, meinte nun Altus.
    Pyrokar schnaubte.
    „Das Thema hatten wir doch schon.“
    „Bitte, Myrtana braucht diese Chance“, bat der alte Feuermagier.
    „Es ist wichtig, dass wir die Bevölkerung von der Wahl unterrichten“, sagte Lee.
    „Ich hätte da eine Idee“, sagte Milten eifrig.
    Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an.
    „Der Feuermagier Sebastian hat mir gestern oben in der Bibliothek von seinem neuen Projekt erzählt. Die Chronik von Myrtana wurde seit der Besatzung der Orks nicht mehr fortgeführt. Diese Arbeit möchte er nun wieder aufnehmen und dazu wird er durch Myrtana reisen und mit den Überlebenden sprechen. Da er sowieso durch jede Ortschaft muss, kann er die Menschen auch über die Wahl unterrichten.“
    „Hört sich gut an“, stimmte Myxir zu.
    „Ja, eine gute Idee Milten“, sagte Altus bestärkend.
    Die anderen stimmten dieser Idee ebenfalls zu.
    „Es sollte aber nicht nur an diesem einen Feuermagier liegen, jeder, der durch Myrtana reist, sollte den Plan von der Königswahl verbreiten“, befand Lee.
    „Und wann soll die Wahl stattfinden?“ fragte Myxir.
    „Wie wär’s mit der Wintersonnenwende?“ schlug Milten vor.
    „Ja, das ist noch lang genug hin, so dass sich bis dahin sicher jeder überlegt hat, wen er wählen möchte“, meinte Lee.
    „Gut, schön, dass wir weiter gekommen sind“, freute sich Altus.
    „Gibt es noch andere Themen über die wir Rat halten sollten?“ fragte Pyrokar.
    „Unser Bündnis mit Nordmar bröckelt weiter“, sagte Lee mit schwerer Stimme. „Die Erzlieferung ist gut im Hammerclan angekommen, doch dort wollen sie natürlich auch für ihre Arbeit entlohnt werden. Durch das Gold des Befreiers können wir sie bezahlen, aber sie möchten auch einen Teil des Erzes für sich.“
    „Sie haben doch selbst genug Erz in Nordmar“, stellte Gorn fest.
    „Ja, aber wenn sie welches von uns nehmen, können sie ihre eigenen Reserven schonen“, erklärte Lee, obwohl er fand, dass Gorn das eigentlich selbst wissen sollte.
    Der Regent seufzte.
    „Seit dem Orkkrieg ist Myrtana voll und ganz auf das Erz aus Khorinis angewiesen. Es wäre natürlich schön, wenn es wie früher wäre und wir mit Nordmar zusammen arbeiten würden. Dann wären wir nicht zwingend auf den Seeweg angewiesen. Doch die Nordmarer fragen sich natürlich was sie von einer Zusammenarbeit mit Myrtana haben. Bei ihnen gibt es noch Wild. Sie haben Erz. Aber was können wir ihnen bieten? Nichts, fürchte ich. Wir müssen uns überlegen wie wir eine dauerhafte Kooperation anstreben können, die beiden Seiten nutzt.“
    Die anderen am Tisch nickten.
    „Wenn wir Schiffe hätten, könnten wir ihnen anbieten die von ihnen geschaffenen Waffen und Rüstungen in anderen Ländern verkaufen zu können“, schlug Lord Hagen vor.
    „Wie du weißt, haben wir aber keine Schiffe“, sagte Lee knurrig. „Nur einen alten Klapperkahn.“
    Bedeutsame Stille lag in der Luft. Jeder wusste, dass sie im Moment wirklich nichts hatten, was die Nordmarer interessieren könnte.
    „Denkt über die Problematik nach, vielleicht fällt euch bis zur nächsten Ratssitzung etwas ein“, sagte Lee und wollte die Zusammenkunft damit auflösen.
    „Und wann wird diese sein?“ fragte Saturas, denn er und die anderen Wassermagier hatten vor nach Varant zurück zu kehren.
    „Ich schlage vor, dass wir alle zehn Tage eine Versammlung abhalten. Es sei denn es passiert etwas überaus wichtiges, dass eine Notfallsitzung rechtfertigt. Ihr Magier könnt euch doch schnell hierherteleportieren. Daher sollte das doch kein großes Problem sein“, meinte Lee.
    „Nun ja, im Grunde hast du Recht“, meinte Myxir.
    „Ich kann mich aber nicht teleportieren“, sagte Gorn. „Und ich will nach Gotha zurück. Ich kann nicht garantieren, dass ich hier immer alle zehn Tage aufkreuzen werde.“
    „Dann brauchst du jemanden, der dich in deiner Abwesenheit vertritt“, urteilte Lee.
    „Wie wär’s mit Cord?“ fragte Saturas freundlich. „Er ist vertrauenswürdig und wird die Interessen der Söldner sicher gut vertreten.“
    Gorn überlegte kurz und nickte dann. Cord war in der Tat in Ordnung.
    „Wir Paladine werden nach Faring gehen und erst zur nächsten Ratssitzung nach Vengard zurück kommen“, informierte Lord Hagen den Rat.
    Damit war alles gesagt und die Runde wurde aufgelöst. Gorn ging noch einmal kurz zu Milten.
    „Bleibst du denn hier?“
    „Nein, Meister Altus und ich werden im Kloster in Nordmar gebraucht. Ich hoffe, wir finden im Gespräch mit den Nordmarern auch eine Möglichkeit wie Nordmar und Myrtana langfristig gut zusammenarbeiten können.“
    Gorn nickte und sagte dann: „Ich halt‘s hier nicht mehr aus. Ich muss sehen wie es meinen Männern in Gotha geht. War schon zu lange weg. Vermutlich saufen die den ganzen Tag und gammeln nur herum.“
    „Ich bin sicher du bringst sie auf Vordermann“, sagte Milten und lächelte, doch es wirkte nicht so optimistisch wie sonst.
    „Also dann. Bis bald“, verabschiedete sich Gorn und verließ den Thronsaal.
    Draußen sprach er kurz mit Cord und teilte ihm mit, dass er seine Vertretung im Rat war. Der Hauptmann der Wache sah etwas verwundert aus.
    „Aber was soll ich denn da sagen?“
    „Vertritt einfach die Interessen von uns Söldnern“, machte Gorn ihm klar und ließ ihn dann stehen.
    Es drängte ihn alles zum Aufbruch. Er wollte sehen wie es um Gotha stand. Was machten seine Leute? Außerdem rumorte sein Magen laut und hier gab es nichts mehr zu Essen. Der Hunger trieb ihn zur Eile und so verließ er Vengard und stapfte schnellen Schrittes Richtung Faring. An der Kreuzung angekommen, zögerte er kurz. Er könnte den Weg jetzt weitergehen und wäre sicher in nicht einmal einer halben Stunde in Gotha, doch vermutlich würde es da nichts zu essen geben und die Söldner hatten bestimmt auch schon alles weggesoffen. Also entschied er sich einen kurzen Abstecher nach Faring zu machen, um dort sein Glück zu versuchen. Gorns Schritte klangen dumpf, als er über die steinerne Brücke ging und er sah zum beeindruckenden Wasserfall von Faring. Obwohl er ihn nun schon oft gesehen hatte, war er immer wieder schön anzuschauen. Die große Burg von Faring erhob sich auf dem Berg und sah wie immer sehr imposant aus. Die Steigung zum Dorf hatte er schnell bewältigt und die drei Häuser am Wasserfall kamen in Sicht. Die dürren Männer ließen Gorn ahnen, dass es auch hier nicht gut um die Essensvorräte bestellt war, doch sein laut knurrender Magen zwang ihn es trotz allem im Wirtshaus zu versuchen. Er trat durch die Tür, über der im Inneren ein Wildschweinkopf hing und ging geradezu zur Theke.
    „Na auf der Durchreise nach Gotha?“ fragte Flint, der Wirt von Faring.
    „Richtig. Hast du was zu essen im Angebot?“
    Flint schüttelte nur traurig den Kopf. Gorn seufzte enttäuscht.
    „Dann reich mal einen Nordmarer Nebelgeist rüber“, sagte Gorn brummig.
    Er sah sich wachsam um. Die Taverne war gut gefüllt. Offenbar gab es noch mehr Männer, die gehofft hatten hier noch ein Krümelchen zu bekommen und sich dann enttäuscht mit Alkohol zuschütteten, um überhaupt irgendwas im Magen zu haben. Die zwei Tische der Taverne waren gut gefüllt. Gorn sah drei Ritter, die im Gespräch mit zwei ehemaligen Rebellinnen waren. Faring war von jeher ein wichtiger Militärstützpunkt gewesen.
    „Hier, dein Nordmarer Nebelgeist“, sagte Flint und schob Gorn das Getränk zu.
    Gorn trank den Krug in einem Zug aus und bestellte gleich einen Neuen. Immerhin, zu saufen gab es noch was, aber sein Magen knurrte schmerzhaft und wenn er Hunger hatte wurde er leicht ungemütlich. Es war eindeutig der falsche Tag für Rocko, Tom und Wilson, die neben ihm an der Theke standen und schon ein paar Schnaps mehr intus hatten und angeregt erzählten: „Dieser Arsch … lässt uns einfach im Stich.“
    „Wette wir verrecken noch in diesem Winter“, sagte Tom und kippte noch einen Schnaps hinter.
    „Ich hab von einem Paladin gehört, Roland heißt er, der sagte mir, dass unser sogenannter Erlöser die Ritter und Paladine voll verarscht hat. Sagte, er hätte das Burgtor im Minental geöffnet, so dass die Orks eindringen konnten.“
    „Was für ne Schweinerei“, sagte Rocko und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, weil der Schnaps nicht mehr ganz einfach in den Mund zu kippen war.
    „Wisst ihr, ich hab früher mal zu ihm aufgesehen, weil er uns allen die Hintern vor den Orks gerettet hat“, fing Wilson an. „… aber je mehr ich über ihn höre, desto unsympathischer wird er mir. Diese Sache mit den Orks und dem Tor, dann haut er einfach mit diesem Xardas ab und wirft uns so den Orks zum Fraß vor und jetzt ist er auch wieder abgehauen und wir müssen hier Hunger schieben. Der Erlöser! Pah! Am Arsch“, höhnte Wilson weiter.
    Gorn reichte es. Er drehte sich zu ihnen herum und baute sich vor den dreien auf. Schon allein das machte Eindruck, weil er noch gut in Form war, ganz im Gegensatz zu den dreien.
    „Wie hast du meinen Kumpel gerade genannt?“ fragte Gorn laut und drohend.
    Die drei Männer neben ihm erschraken. Offenbar hatten sie vergessen, dass er neben ihnen gestanden hatte. Doch Wilson war entweder schon zu betrunken, um zu merken was er da sagte, oder in seinem Getränk war eine Portion Mut.
    „Ich hab gesagt, dass er ein Arsch ist!“ wiederholte er betont laut und deutlich.
    Gorn atmete tief ein und aus. Er versuchte ruhig zu bleiben.
    „Jetzt hört mal gut zu, ihr Pisser! Wenn er nicht gewesen wäre, dann wären wir alle vermutlich schon längst verreckt, also zeigt mal ein bisschen mehr Respekt und Dankbarkeit.“
    „Respekt für so ein egoistisches Arschloch?“ fragte Tom herausfordernd.
    „Dankbarkeit? Für was? Dafür, dass wir hier jetzt verhungern dürfen?“ setzte Rocko noch eins drauf.
    „Das reicht! Nun werdet ihr mich mal so richtig kennen lernen! Ich werde euch jetzt so tief in eure undankbaren Ärsche treten, dass ihr mir die Fußnägel abkauen könnt!“
    Er nahm Wilson bei den Schultern und warf ihn kurzerhand über die Theke, wo all die guten alkoholischen Getränke in einem Regal standen, die nun leider zu Bruch gingen. Flint schrie verärgert, aber auch ängstlich auf und warf sich auf den Boden, um nicht in diese Schlägerei hineingezogen zu werden. Währenddessen schlug Rocko einen Stuhl auf Gorns Rücken, doch der schlug ihm einfach nur einmal mit seiner Faust mitten auf den Schädel und Rocko brach zusammen. Jetzt hätte es eigentlich fast vorbei sein können, doch die anderen in der Taverne hatten gesehen, dass es eine Schlägerei gab, genau das richtige, wenn man vor lauter Hunger nur Wut im Bauch hatte. Flaschen wurden zu Waffen und Geschossen, Stühle wurden zu Prügeln. Tische wurden zum untertauchen und draufspringen genutzt, außer einer, auf den Gorn einen ehemaligen Rebellen warf, der es gewagt hatte ihn mit einer abgeschlagenen Flasche anzugreifen. Im chaotischen Gewusel konnte aber niemand mehr sagen, wer nun eigentlich gegen wen und warum kämpfte. Ohne Sinn und Verstand ging es drunter und drüber und selbst die Ritter und ehemaligen Rebellinnen mischten tüchtig mit. Die Schlägerei war sehr intensiv und trug maßgeblich zur Baufälligkeit der Taverne bei. Gleich fünf Raufbolde warfen sich gerade gegen Gorn, doch der, trotz des Hungers immer noch stark wie ein Stier, drängte sie einfach zurück und verpasste ihnen dann einige ordentliche Schellen. Als sie zu Boden gingen, stand niemand mehr. Gorn sah sich um. Die Taverne war schlimm verwüstet. Er seufzte und ging aus der Tür hinaus ins Freie.

    Immer noch mit einer gewaltigen Wut im Bauch kam Gorn in Gotha an, was zweifellos nicht die besten Voraussetzungen waren, um in ein Gespräch mit den dort stationierten Paladinen und Rittern zu gehen. Gotha war von je her eine Feste der Paladine gewesen, doch weil Gorn die Stadt zusammen mit dem Helden befreite und auch in dessen Abwesenheit alles daran gesetzt hatte die Stadt zu halten, während die Paladine und die meisten der Ritter lieber Vengard und Faring beschützten, sah Gorn die Stadt als seine neue Heimat an. Wie es der unglückliche Zufall so wollte, standen gerade Roland und Shawn am Eingang und berieten sich. Gorn hörte nur das Ende des Gesprächs.
    „… müssen wir sehen wie wir die dringend benötigte Versorgung der Männer sicherstellen“, sagte gerade der Paladin Roland.
    „Die Felder sind gepflügt. Die Saat ist ausgebracht. Doch wenn hier auf diesem ehemals verfluchten Boden überhaupt was wächst, werden wir das erst im nächsten Jahr sehen“, sagte Shawn und wiegte den Kopf hin und her.
    „Das weiß ich selbst“, sagte Roland genervt.
    Er sah zu Gorn, der zu ihnen kam und begrüßte ihn.
    „Hallo Gorn. Auch mal wieder hier?“
    Gorn hörte den Vorwurf deutlich heraus.
    „Ja, hast du ein Problem damit?“ fragte er aggressiver, als er eigentlich wollte.
    „Ich hab mich nur gewundert, wo du so lange warst“, sagte der Paladin schneidend.
    „Du erinnerst dich doch bestimmt wie der …“
    Er hatte Erlöser sagen wollen, doch Wilson aus der Taverne hatte diese Bezeichnung irgendwie vergiftet. Gorn wusste, dass es Blödsinn war. Nur weil sich jemand abfällig geäußert hatte, sollte ihn das doch nicht bekümmern, doch dass der Held abgehauen war, traf ihn mehr als er zugeben wollte.
    „… Befreier Myrtanas zu uns nach Gotha kam? Zusammen haben wir alle Orks niedergemetzelt. Du wirst jetzt keinen Ork mehr finden. Nicht in Myrtana, nicht in Nordmar und auch nicht in Varant.“
    „Hab gehört ihr wart ganz schön lange in Khorinis. Was habt ihr da gemacht?“ wollte Roland wissen.
    Gorn knurrte. Er wusste nicht, was es diesen Mann anging, aber obwohl er immer noch angespannt war, wollte er sich am Riemen reißen.
    „Wir waren im alten Tempel des Schläfers und haben dort das sagenhafte Schwert Uriziel und eine Rüstung aus magischem Erz geborgen. Außerdem haben wir nachgesehen wie es mit der Versorgung mit Erz aussieht. Die Arbeit geht gut voran. Die ersten Lieferungen hat Lee schon erhalten. Das Erz wird gerade im Hammerclan zu Waffen und Rüstungen geschmiedet, so dass wir gerüstet sind, wenn wieder irgendjemand der Meinung ist, er müsste Myrtana angreifen.“
    Roland sah Gorn verkniffen an.
    „Steht denn im Raum, dass ein neuer Angriff bevorsteht? Wieder die Orks?“
    „Den Orks haben wir so sehr in ihre dicken Hintern getreten, die wagen sich ganz bestimmt nicht mehr nach Myrtana“, sagte Gorn grimmig. „Aber Lee meint, jetzt wo wir so geschwächt sind, könnten andere Länder unsere Lage ausnutzen und uns angreifen.“
    „Bei Innos, hoffen wir, dass dieser Fall nicht so bald eintritt“, sagte Roland. „Die Versorgung der Stadt ist eingebrochen. Die Männer hungern.“
    „Dann müssen wir uns etwas überlegen, damit wir unsere Stadt langfristig am Laufen halten. Ohne Mampf keinen Kampf“, kam es von Gorn.
    „Unsere Stadt?“ fragte Roland ungläubig und sah Gorn skeptisch an.
    Der blickte finster zurück.
    „Ja, unsere Stadt“, wiederholte Gorn und baute sich vor Roland auf.
    „Gotha gehörte schon immer den Paladinen. Sie ist der Hauptsitzt unseres Ordens“, sagte Roland mit fester Stimme.
    „Aber als hier dieser Dämon wütete, habt ihr die Stadt aufgegeben“, erinnerte Gorn ihn scharf. „Und wer weiß, wenn der Befreier und ich nicht hier aufgeräumt hätten, dann wärt ihr vermutlich immer noch nicht zurückgekommen. Ich hab diese Stadt durch diesen Orkkrieg gebracht. Ich habe sie auch durch den erneuten Angriff der Orks geführt. Ich denke, ich habe ein Recht darauf hier mitentscheiden zu dürfen.“
    Er verschränkte die Arme und sah jetzt so unverrückbar aus wie ein Fels. Rolands Augen verengten sich.
    „Nur weil du im letzten Jahr hier warst, heißt das nicht, dass die Stadt gleich dir gehört. Wir Paladine haben jahrzehntelang für Gotha gekämpft. Ich bin dankbar für deine Taten, aber wir brauchen deine Hilfe jetzt nicht mehr.“
    Gorn schnaubte wie ein wütender Stier. Shawn der bisher nur nervös neben ihnen gestanden hatte, um bang zu beobachten wie sich die Situation immer weiter hochschaukelte, ergriff das Wort: „Äh … hehehe … ich weiß … Hunger macht böse, aber können wir nicht einen gemeinsamen Weg suchen? Gorn hat wirklich viel für die Stadt getan.“
    Als Roland ihm einen finsteren Blick zuwarf, beeilte er sich zu sagen: „Natürlich ist es auch für die Paladine und Ritter ihr gutes Recht hier zu sein. Vielleicht könntet ihr gemeinsam die Stadt leiten?“
    Shawn, der sowohl für Gorn gekämpft, als auch in Rolands Dienst stand, saß ganz eindeutig zwischen den Stühlen und versuchte es beiden Recht zu machen, weil er wusste, wenn ihm das nicht gelang würden hier die Fetzen fliegen.
    „Mit dem zusammen?“ fragten beide Krieger fast gleichzeitig und sahen aus, als wäre es das Letzte was ihnen einfiele.
    Roland taxierte Gorn weiter und meinte dann: „Na gut, ich will mal meinen guten Willen zeigen. Wenn du willst, kannst du unter meinem Kommando weiter für Gotha kämpfen.“
    „Unter deinem Kommando?“ fragte Gorn und jedes Wort troff vor Aggressivität. „Einen Scheiß werde ich unter deinem Kommando tun! Ich bin mein eigener Herr. Ich führe die Söldner an.“
    „Söldner? Ha!“
    Roland lachte laut auf.
    „Ein verlaustes Pack aus ehemaligen Strafgefangenen, Herumtreibern und ein paar mehr oder minder anständigen ehemaligen Rebellen, das kann man wohl kaum eine annehmbare Streitmacht nennen.“
    „Meine Männer haben sich erfolgreich gegen die Orks gestellt, also hör auf hier laue Reden zu schwingen!“
    „Deine Männer sind nicht würdig hier in Gotha stationiert zu sein! Ich habe sie rausgeworfen. Sollen sie in die ehemaligen Rebellenlager ziehen! Das ist gut genug für die.“
    Gorn riss bei diesen Worten die Augen auf und verengte sie dann gleich wieder, um mit beißender Stimme zu knurren: „Willst du, dass ich dich mit meiner Axt rasiere?“
    „Das würde dich den Kopf kosten“, konterte Roland.
    Shawn sah mittlerweile so aus, als wünschte er, die Orks würden in diesem Moment Gotha angreifen, damit sich die beiden nicht gegenseitig zerfleischten. Mit ungeheurem Mut stellte er sich zwischen die beiden Streithähne, streckte jedem einen Arm hin und sagte: „Beruhigt euch! Es hilft keinem, wenn ihr euch auch noch gegenseitig niedermetzelt. Wir finden bestimmt eine Möglichkeit, wie wir beide Seiten zufrieden stellen.“
    Die beiden Krieger knurrten sich an wie zwei Wölfe kurz vor dem entscheidenden Kampf um die Obermacht im Rudel. Es sah so aus, als würden die beiden jeden Moment aufeinander losgehen, doch der Augenblick verstrich und Gorn löste seine verschränkten Arme und sagte: „Ich werde mich hier erst einmal umsehen und dann entscheiden, was ich weiter tun werde.“
    „Ich werde dich im Auge behalten“, versprach Roland und sah dem großen Krieger nach, als er weiter über den Hof ging.
    Der erfahrene Paladin wandte sich daraufhin zu Shawn um und sagte: „Damit meine ich natürlich, dass du mir alles berichten sollst was er hier treibt.“
    Shawn sah bei diesen Worten ganz unglücklich aus, nickte aber und folgte dann Gorn, der in den Burghof ging.

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    Alejandros Tagebuch: 05. November

    Ich weiß, es sind schon einige Tage seitdem vergangen, aber ich muss immer noch an das grausame Kielholen denken. Wie kann man sowas nur befehlen? Und ich habe auch noch dabei mitgemacht. Ich fühle mich schuldig. Zu meiner eigenen Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich wahrscheinlich auch bestraft worden wäre, wenn ich mich geweigert hätte dem Befehl des Kapitäns Folge zu leisten. Macht es das jetzt besser? Ich glaube nicht. Meine Selbstzweifel wollen mich einfach nicht in Ruhe lassen. Ja, Miguel und Manuel sind bestimmt keine Unschuldslämmer, aber nicht einmal sie hatten diese barbarische Strafe verdient. Und wie sich einige Piraten sogar richtig gefreut haben sie leiden zu sehen. Das war so widerlich und ich bin hier zusammen mit ihnen an Bord gefangen. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, aber ich denke, alle wissen, dass ich kein harter Kerl bin. Vermutlich bin ich der schlechteste Pirat, den es gibt. Die Männer hier an Bord sind grausam und verrucht. Sie haben längst alle Moral über Bord geworfen. Vielleicht wissen sie nicht mal was das ist. Ich möchte meine Menschlichkeit nicht aufgeben, doch was, wenn mich meine Einstellung in Schwierigkeiten bringt? Vor unserem Entertruppführer habe ich immer noch große Angst. Er ist ein harter äußerst brutaler Mann, der offenbar keine Moral kennt. Miguel und Manuel lehnen sich nicht mehr gegen ihn auf. Wenn er an ihnen vorbei geht kuschen sie. Nicht verwunderlich nachdem was passiert ist. Immerhin hat er sie nicht sterben lassen. Vielleicht steckt ja doch noch ein Funken Mitgefühl in ihm? Und wer hat ihm das mit der Magie beigebracht? Er hat mir befohlen mich im Kampf zu üben. Morgan hat mir angeboten es mir beizubringen. Entweder stelle ich mich ganz schlecht an, oder er ist wirklich ungeduldig. Vielleicht sollte ich seine Kreativität schätzen, denn er erfindet immer wieder neue Schimpfnamen für mich, aber wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich einfach nur fürchterlich beim Training. Ich hab Angst, dass mich Morgan irgendwann zu einem richtigen Kampf herausfordert. Es gibt hier an Bord keine Übungswaffen, was heißt, dass so ein Kampf mit scharfen Waffen geführt werden würde. Ich fürchte mich aber auch vor vielen anderen Piraten. Henry hat mich mit seinen Äußerungen besonders erschreckt. Welches kranke Hirn kommt denn auf solche Ideen für Strafen? Ich sehe mich immer noch vor ihm vor, genauso wie vor den meisten hier an Bord. Manchmal habe ich das Gefühl, ich leide unter Verfolgungswahn. Ich schlafe schlecht und Miguels und Manuels lebhafte Albträume lassen mich auch oft hochschrecken. Ich kann mir schon denken was sie da träumen. Seltsamerweise sehe ich meinen Entertruppführer fast nie schlafen. Ich kann natürlich verstehen, dass es nach seinem Erlebnis nicht mehr einfach ist in den Schlaf zu finden, wenn man damit fürchten muss, dass einem jemand im Schlaf abstechen will, doch irgendwann muss man doch auch mal schlafen, oder? Ich hab den Eindruck, dass er oft die Nächte durcharbeitet, oder er zumindest als letztes schlafen geht und als erstes aufwacht. Er arbeitet sicher für vier Leute. Das beeindruckt mich schon, obwohl er Manuel und Miguel überhaupt erst Anlass zu ihrer Tat gegeben hat, indem er sie ins Meer geworfen hat. Jedenfalls schrecken sie immer noch bei jedem Geräusch von Wasser zusammen. Bisher haben sie möglichst alle Aufgaben unter Deck erledigt, selbst wenn sie widerlich und mühsam waren, doch heute sollten sie das Deck schrubben. Hätten sie schon längst gemusst, doch sie hatten immer andere unliebsame Arbeiten unter Deck aufgeführt, die noch erledigt werden sollten. Da die sonst keiner machen will, hat unser Entertruppführer sie bisher gewähren lassen, aber heute nicht. Er sagte, dass es endlich mal an der Zeit wäre. Letztes Mal habe ich das ja allein gemacht und es hat ewig gedauert. Als ich aber Miguels und Manuels total verängstigten Blick gesehen habe, hätte ich es gern wieder allein getan. Würde mich nicht wundern, wenn das Kielholen sie tief traumatisiert hat. Sie wollen sich einfach nicht mehr dem Wasser nähern. Kann ich gut verstehen. Ich wäre wahrscheinlich auch wahnsinnig geworden, wenn ich das hätte durchstehen müssen. Unserem Entertruppführer ist das aber offensichtlich egal. Als sie vor Angst schlotternd darum baten nicht auf Deck zu müssen, hat er sie brutal zusammengeschlagen und aufs Deck geschleift. Dort haben sie dann auch wirklich gründlich gearbeitet. Sie hatten den Blick stur auf die Planken gerichtet und die ganze Zeit gezittert. Ich weiß nicht, ob wegen der Angst, oder weil sie nur noch wenig Alkohol bekommen. Sie tun mir Leid. Wenn wir den nächsten Hafen anlaufen, sollte ich dann abhauen? Aber wohin? Würden die Piraten mich suchen und umbringen, wegen dem Verrat? Und würde jemand merken, dass ich mit Piraten unterwegs war? Ich fürchte mich davor am Galgen zu baumeln. Ich weiß wirklich nicht wie ich mich entscheiden soll, denn alle Wege, die sich vor mir auftun wirken sehr gefährlich.

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    Schiffskampf

    Obwohl Manuel und Miguel sich beim Trinken zurückhielten, meinte Samuel, dass immer noch Alkohol verschwand, was aber eigentlich nicht sein konnte, weil Garett der Lagerverwalter war und der im Ruf stand sehr gründlich aufzupassen. Doch Garett musste zugeben, dass er bei einem Schichtantritt weniger Flaschen vorgefunden hatte, als er verlassen hatte, doch glaubte Samuel hätte sie geholt. Also entweder log einer, oder jemand hatte heimlich einige Flaschen gemopst. Der Held dachte sich, dass Garett auch mal schlafen musste. Seine Vertretung war Owen. Vielleicht konnte der Held den etwas bequatschen, um sich umzusehen.
    „Ich hasse diese Arbeit“, sagte Owen auch gleich.
    „Warum machst du sie dann?“ wollte der Held wissen.
    „Weils sonst keiner aus meinem Trupp machen will und ich denke mir, es ist immer noch besser hier rumzustehen und Löcher in die Luft zu starren, als sich den Buckel krumm zu schuften. Aber ein Nickerchen könnte ich schon gut gebrauchen. Es ist echt anstrengend mit diesem Scheiß Schichtsystem. Sonst waren wir entweder mehr Männer, oder hatten ein kleineres Schiff. So ist das doch Scheiße.“
    „Wie wär’s damit, du gibst mir fünfundzwanzig Goldstücke, legst dich da in die Ecke und pennst und ich pass hier mal auf“, sagte der Held listig.
    Wenn man etwas wollte, dann war es manchmal gut so tun, als wenn dem gar nicht so war und sogar noch etwas dafür zu fordern.
    „Hm…“
    Owen überlegte angestrengt.
    „Aber sag’s nicht Garett und verarsch mich nicht! Wenn nachher was fehlt, dann … dann…“
    Vermutlich hatte Owen sagen wollen, dass er ihm sonst das Fell über die Ohren zog, doch Owen schaute den Helden nur lange an und ihm wurde wohl klar, dass er diesen Kampf wohl nicht so einfach gewinnen würde.
    „Jetzt gib schon das Gold her!“, machte der Held es ihm leicht.
    Das Gold tauschte den Besitzer und Owen suchte sich eine gemütliche Ecke auf einem alten Wolfsfell aus dem die Schiffsmäuse schon ein paar Haarstrünke gerissen hatten und lümmelte sich dort hin. Es dauerte nicht lang und der Held hörte wie Owen Planken sägte. Das war die Gelegenheit, um nachzusehen, ob wirklich noch alles da war. Laut Samuel sollten es im Moment noch drei Fässer Rum und vierunddreißig Flaschen mit verschiedenem Alkoholischem Inhalt sein. Die Fässer Rum waren auch da, aber es fehlten zwei Flaschen. Der Held kratzte sich nachdenklich im Genick. Vielleicht hatte jemand die Chance genutzt, wenn der Kapitän alle an Deck befahl? Aber wie würde er herausbekommen wer es war? Er glaubte nicht, dass es Miguel und Manuel waren, denn die wagten nicht mehr aufzumucken. Und abgesehen von den beiden Wachen durfte nur Samuel hier rann. Eifersüchtig wachte er darauf, dass nur er höchstpersönlich den Rum wohldosiert ans Trinkwasser und die Crew gab. Der Held sah sich weiter um, verschob ein paar Flaschen und achtete sogar darauf, es leise zu tun, damit nicht noch Owen aufwachte. Es konnte nicht schaden sich Ärger zu ersparen. Zwischen einigen Flaschen Stollengrollen, die er selbst Samuel gegeben hatte, fand der Held schließlich etwas Sonderbares. Einen Anhänger aus Walknochen. Der war doch von Brandon, oder? Damit wäre diese Aufgabe gelöst und wie es aussah, hing sie mit der des auf ominöser Weise verschwindenden Alkohols zusammen. Er würde Brandon zur Rede stellen und ihm seinen Anhänger nur zurückgeben, wenn er ihm dafür sagte wie er an den Alkohol gekommen war. Somit war der Held bei seinen kleinen Nebenaufträgen wieder ein gutes Stück weiter. Es gab jetzt nur ein Problem: Er musste hier jetzt gelangweilt herumstehen, bis es an der Zeit war Owen zu wecken, damit es vor Garett nicht so aussah, als hätte der Held den Rest seiner Schicht übernommen. Die Zeit vertrieb sich der Held, indem er sein Tagebuch weiterführte. Leider waren die neuen Zusätze über Brandons Amulett und den Alkohol viel zu schnell geschrieben. Er überlegte und entschied sich etwas mehr zu seinem neuen Abenteuer zu schreiben. Er schrieb, dass es ihm sehr auf See gefiel und er gespannt war wohin das neue Abenteuer ihn führte. Überhaupt genoss er sehr diese Freiheit, auch wenn er die Verantwortung als Entertruppführer nicht mochte. Dann schrieb er noch welchen Eindruck er vom Schiff und seiner Mannschaft hatte. Als er auch das geschrieben hatte, ging er noch mal seinen Bestand in seiner Hosentasche durch. Es konnte nicht schaden sich immer mal wieder in Erinnerung zu rufen was er so alles dabei hatte. Endlich war es an der Zeit und der Held weckte Owen mit einem leichten Tritt. Der stöhnte leise und knurrte dann wie ein junger Schattenläufer, dem man eine Ameise in die Nase gesteckt hatte.
    „Was’n los?“
    „Es wird Zeit. Garett taucht hier sicher gleich auf und dann willst du doch bestimmt, dass er denkt du hättest hier brav Wache gestanden.“
    Owen erhob sich mühsam, reckte und streckte sich, gähnte und ging dann gemächlich zu seinem Posten zurück. Misstrauisch lugte er zur Ladung.
    „Ist doch noch alles da, oder?“
    „Natürlich“, log der Held, denn den Anhänger hatte er eingesteckt. „Du kannst es selbst nachprüfen.“
    Owen ging den Proviant und den Alkohol durch, knurrte ein wenig und murmelte und sagte dann schließlich: „Sieht alles in Ordnung aus.“
    Der Held hatte den Eindruck, dass Owen gar nicht so genau wusste wie viel Ladung er da eigentlich bewachen sollte, aber ihm sollte es recht sein. Er verließ den Lagerraum und suchte nach Brandon. Da der in der gleichen Schicht wie Garett war, sollte er gerade vom Mitternachtsessen kommen, das den Schichtwechsel markierte. Der Held ging hinunter in die Messe und da erhoben sich wirklich gerade Henry und sein Trupp vom Tisch. Möglichst unauffällig winkte er Brandon beiseite, der ihn neugierig ansah. Sie warteten bis Henry und die anderen verschwunden waren, dann zog der Held den Walknochenanhänger aus seiner Hosentasche.
    „Du hast ihn gefunden“, sagte Brandon erfreut.
    „Ja und es war sehr interessant wo ich ihn gefunden habe“, kam es vom Helden. „Nämlich beim Alkohol. Samuel und Garett vermissen ein paar Flaschen. Sag! Wie bist du da ran gekommen?“
    Brandon seufzte und ließ die Schultern hängen.
    „Ist doch nicht so wichtig.“
    „Doch! Sag es mir, oder du bekommst deinen Anhänger nicht zurück!“ forderte der Held.
    Brandon biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Offenbar hing er wirklich an seinem Talisman, denn er antwortete: „Als wir vom Kapitän alle an Deck gerufen wurden, um das Eiswüstenlandschiff anzugreifen, hab ich mich schnell verdrückt und ein paar Flaschen beiseitegelegt.“
    „Wenn du das noch mal machst, verpfeife ich dich an Garett und Samuel“, sagte der Held hart.
    „Ich mach’s nicht wieder“, versprach Brandon und streckte seine Hand nach seinem Anhänger aus.
    „Hier“, sagte der Held und reichte ihm den Fund.
    Wortlos verließ Brandon die Messe und die Mittagsschicht und der Entertrupp des Helden betraten den Raum, um sich ihre nächtliche Ration abzuholen. Der Held setzte sich zu ihnen, sah aufmerksam in die Runde und stürzte seinen Eintopf in gewohnter Manier hinunter. Miguel und Manuel sahen in ihrer vielfach geflickten Piratenkleidung sehr erbärmlich aus. Sie schauten deprimiert und mieden jeden Blick auf den Helden. Stumm löffelten sie ihren Eintopf.
    „Wie macht sich Alejandro im Einhandkampf?“ fragte der Held Morgan und ihm fiel auf, wie der Schiffsjunge den Kopf einzog, als er seinen Namen hörte.
    Morgan verzog das Gesicht.
    „Er kämpft wie eine dreibeinige Sumpfratte, der man einen Knochen in die Pfoten gedrückt hat.“
    „Seh ich mir morgen mal an“, sagte der Held knapp und wusste nicht, dass er Alejandro vor lauter Nervosität um den Schlaf bringen würde.
    Wenn er es gewusst hätte, wäre es ihm aber wohl auch egal gewesen.

    Am nächsten Morgen sah Alejandro sehr verschlafen und unkonzentriert aus, als er backbord zwischen Großmast und Reling stand und bang dabei zusah wie sich der Held näherte.
    „Zeig mal was du gelernt hast!“ forderte der Held ihn auf.
    Alejandro zitterte und vollführte einige Bewegungen mit einem Knüppel in der Luft. Es sah wirklich sehr unkoordiniert aus.
    „Wie sieht es mit einem richtigen Kampf aus?“ fragte der Held und Alejandros kreidebleiches Gesicht war eigentlich Antwort genug, doch der Held ließ nicht locker.
    Er zog einen Degen aus seiner Hosentasche und warf ihn Alejandro zu. Aus Angst sich zu verletzen, fing ihn der Schiffsjunge aber nicht auf, sondern sprang zur Seite und hob ihn dann mit hochrotem Kopf von den Planken.
    „Ich werde jetzt ein Goblinskelett beschwören. Mal sehen wie du dich dagegen schlägst“, warnte der Held ihn kurz vor.
    „Nein“, rief Alejandro verschreckt, doch zu spät, schon stand vor ihm ein Goblinskelett und hatte ihn als Feind ausgemacht.
    Panisch wich der Schiffsjunge zurück und wich ängstlich den wütenden Knüppelschlägen aus. Manchmal war er zu langsam und bekam den gammligen Ast zu spüren, den das kleine Skelett schwang. Morgan, der herangekommen war, sah beim Kampf zu und lachte sich scheckig.
    „Du musst angreifen Junge!“ befahl ihm der Held, doch entweder hatte Alejandro ihn nicht verstanden, oder er war zu ängstlich.
    Er tänzelte nur herum, fiel einmal sogar über seine eigenen Füße und es sah nicht so aus, als würde er es noch zu irgendetwas bringen. Der Held seufzte und rief das Goblin Skelett dann zu sich, wo es warten sollte. Gobbo war gnatzig und schwang missmutig seinen Knüppel. Alejandro lag schwer atmend auf dem Boden und sah furchtsam zum Untoten herüber.
    „Vielleicht solltest du dich unseren Feinden vor die Füße werfen, damit sie über dich stolpern“, rief Morgan gut gelaunt und wischte sich eine Lachträne aus dem Gesicht.
    „Besser er geht einem Kampf erstmal aus dem Weg“, hörten sie Skip, der in der Nähe an der Reling stand und dort einige Leinen fierte, um das Großsegel weiter auszureffen, um sich dem Wind anzupassen.
    „Der Ärger wird kommen und er sollte nicht unvorbereitet in ihn hineingeraten“, meinte der Held.
    „Hast du überhaupt schon mal einen Schwertkampf gesehen Junge?“ fragte Skip.
    Schüchtern schüttelte Alejandro den Kopf. Verwundert riss der Held die Augen auf.
    „Haben sie dich all die Jahre im Haus eingesperrt, oder was? Los Skip, zeigen wir ihm mal wie ein Kampf überhaupt aussieht.“
    Skip sah gar nicht danach aus, als hätte er große Lust auf einen potential schmerzhaften Zweikampf mit dem Helden.
    „Ich bin ein friedliebender Mensch, wenn ich nicht muss, dann vermeide ich jeden Kampf“, behauptete er.
    „Was ist mit dir Morgan, du wirst als Lehrer für den Einhandkampf doch sicher nicht kneifen, oder?“ fragte der Held ihn.
    Morgan grunzte und zog seine gefährliche Doppelaxt, der Held sein Rapier. Sie brachten sich in Stellung und dann griff Morgan als erster an. Gekonnt blockte der Held und hieb dann seinerseits aus. Schon hatte Morgan einen blutigen Schnitt am Arm. Er knurrte und hieb dann wieder zu. Wieder blockte der Held, doch seinem erneuten Angriff wich Morgan aus. Jetzt tänzelte er geschickt herum. Dem Helden kam das sinnlos vor, doch er hatte Morgans Plan noch nicht durchschaut, denn als der wieder angriff, blockte Morgan und hieb dann seinerseits aus. Der Held wollte ausweichen, hatte aber nicht ausreichend auf seine Umgebung geachtet und zwei Leinen übersehen, die an einer Klampe am Boden befestigt waren und ein Segel hielten. Er stürzte, was Morgans Chance war ihm seine Doppelaxt auf den Pelz zu brennen. Der Held revanchierte sich, indem er Morgan mit seinem Rapier in die Beinsehnen schnitt. Morgan heulte auf und stürzte. Schnell hatte sich der Held aufgerappelt und hielt Morgan nun sein Rapier an die Kehle.
    „Schätze, ich habe gewonnen.“
    „Sieht so aus“, sagte Morgan zerknirscht. „Aber du wirst zugeben müssen, dass auch du noch Verbesserungspotential hast. Du magst ein guter Kämpfer sein, aber du hast noch nicht kapiert, dass du beim Schiffskampf auf die Umgebung achten musst. Bei stärkerem Seegang musst du auch das Schwanken des Schiffes ausgleichen. Das kann dir auch zum Verhängnis werden.“
    „Da hast du wohl Recht. Muss ich drauf achten“, gab der Held zu, der aus diesem Kampf auch etwas gelernt hatte.
    Der Held wirkte erst einen Heilzauber auf sich und dann auf Morgan.
    „Danke“, sagte sein Gegner, weil er gar nicht mit Heilung gerechnet hatte.
    „Siehst du Alejandro, so kann ein Kampf aussehen. … Alejandro?“
    Der Held sah sich suchend nach ihm um. Der Schiffsjunge sah ängstlich hinter der Treppe hervor, die zur Brücke hoch führte. Offenbar hatte er von dort aus den Kampf beobachtet. Noch jetzt klebte sein Blick auf dem vergossenen Blut, das die Planken besudelte. Der Held folgte seinem Blick und rief dann laut: „Miguel, Manuel, es gibt wieder was zu schrubben!“
    Die beiden Piraten kamen eilig angerannt, die Wischeimer schon in der Hand. Zufrieden stellte der Held fest, dass sie nun endlich spurten, denn sie fingen sofort mit ihrer Arbeit an.
    „Adlokanisches Handelsschiff voraus!“ rief Francis vom Krähennest herunter und kurz darauf hörten sie ihn auch aufgeregt an der Glocke bimmeln.
    „Alle Mann an Deck!“, brüllte Greg. „Adlokanische Flagg hissen!“
    Brandon, der in den Wanten hing, brüllte den Befehl zu Francis nach oben weiter und wenig später flatterte eine rote Flagge im Wind, auf der ein silbernes Schwert, umgeben von goldenen Flammen zu sehen war. Alle an Bord waren jetzt eilig damit beschäftigt Gregs unaufhörlich gebrüllten Befehle zu befolgen. Henry hatte das Steuer übernommen, damit Greg mit dem Fernrohr zum anderen Schiff rüberspähen konnte.
    „Sie haben Kanonen“, teilte Greg seiner Mannschaft mit. „Aber wenn wir sie überraschen, können wir es trotzdem schaffen.“
    Während der Held sich wie Befohlen an den Leinen zu schaffen machte, sah auch er immer mal wieder zum Schiff hinüber. Das andere Schiff hatte sie gesehen, seinen Kurs abgeändert und kam nun direkt auf sie zu. Sie fuhren hart am Wind und ihr Schiff war dadurch einer starken Krängung unterworfen. Es war ein Holk, ein Schiffstyp der vorwiegend von Händlern genutzt wurde, da es in seinem breiten Rumpf viel Stauraum bot. Das Schiff sah sehr schön aus. Die Fassade war mit einem satten rot bemalt, wobei Luken und vorstehende Absätze mit einem herrlichen Gelborange, das an die Morgensonne erinnerte, gestrichen waren. Das Holz der Gallionsfigur war mit Goldfarbe bestrichen und zeigte einen edlen Löwen, der sich mit den Pranken auf einer verlockenden Schatztruhe abstützte. Das Schiff hatte zwei Masten, an denen wundervolle rote Segel hingen.
    „Das wird fette Beute geben“, sagte Greg, legte das Fernrohr beiseite und rieb sich in freudiger Erwartung die Hände.
    Die beiden Schiffe rückten rasch aufeinander zu. Die Entertruppführer scharten ihre Männer um sich und auch der Held nahm sich dieses Mal fest vor, seine Leute wie ein Kommandeur in die Schlacht zu schicken. Eine große Herausforderung, zitterten doch zwei von ihnen aufgrund des Alkoholentzugs wie Segel im Sturm und einer vor lauter Angst wie ein verschrecktes Kaninchen. Die Anspannung kam auf die Murietta zurück und Greg rief seiner Mannschaft zu: „Haltet alle eure Shitbüttel fest, jetz‘ geht’s gleich ans Entern! Flagg hissen!“
    Francis, der für diesen Zweck noch im Mastkorb geblieben war, hatte gerade erst ihre Piratenflagge gehisst, als sie seine aufgeregte Stimme zu ihnen herunterwehen hörten.
    „Käpt’n“.
    Die Piraten sahen zu ihm hoch und folgten dann mit dem Blick, der Richtung, in die er zeigte. Erstaunt sahen sie, dass auch auf dem Mast des Holks eine andere Flagge im Wind flatterte. Sie war ebenfalls schwarz, zeigte einen Schädel in der Mitte, ein von einem Dolch durchbohrtes blutendes Herz auf der linken und eine prall gefüllte Schatztruhe auf der rechten Seite.
    „Verdammich, de Piratenbraut, dat hat uns grade noch gefehlt, klar maken zur harten Wende!“ brüllte Greg aus voller Kehle und rannte zum Steuer hinüber, wo ihm Henry eilig Platz machen musste.
    Alligator Jack war schon zur Stelle, nahm die Fockschot von der Winsch und brüllte dann zurück: „Ist klar!“
    Greg luvte an und schrie dann laut: „Ree! Fock über!“
    Alligator Jacks Trupp beeilte sich jetzt das Focksegel auf die Leeseite zu ziehen und auch das Großsegel fasste jetzt neuen Wind. Dank der Klüver ging die Wende erstaunlich schnell, doch gerade als sie sich seitlich zum fremden Piratenschiff befanden hörten sie wie die Kanonen losdonnerten. Durch die starke Krängung des Holks schlugen die Kanonen nicht in der Bordwand ein, was den Wert des Schiffs gemindert und die Ladung gefährdet hätte, sondern in die Segel und die Takelage. Klüver und Großsegel wurden schwer beschädigt, so dass der geplante Wendevorgang beinahe zur Gänze zum Erliegen kam. Das rotgelbe Piratenschiff befand sich nun beinahe direkt neben ihnen und schon flogen die Enterhacken zu ihnen herüber, doch Gregs Mannschaft war darauf vorbereitet.
    „Greif sie an!“ befahl der Held seinem Goblinskelett und Gobbo rannte ohne jede Furcht auf die Entertruppe zu, schlug einem gerade erst angelandeten Piraten auf den Fuß, so dass der aufschrie und wild herumhopste und so Alligator Jacks Harpunenangriff zu spät kommen sah.
    Er wurde gnadenlos aufgespießt und war auf der Stelle tot. Die fremden Piraten, die alle ganz individuell gekleidet waren, waren aber offensichtlich beinahe ebenso furchtlos wie das Goblin Skelett, das sie mit wenigen Hieben zerlegten, denn sie liefen einfach nur an ihrem gefallenen Kameraden vorbei und stürzten sich in den brutalen Kampf. Beinahe zwanzig Piraten waren nun auf die Murietta eingefallen und lieferten sich einen erbitterten Kampf mit Gregs Mannschaft. Ohne zu zögern schleuderte der Held zwei Blitze und streckte damit zwei fremde Piraten nieder, dann hob er sein Rapier, um den Angriff eines großen drahtigen Kerls, der aus dem Hals stark nach Fusel stank abzuwehren, fetzte ihm dann sein Knie auf und als der aufgrund der Verletzung nach unten sackte schlitzte er ihm mit einem schnellen Streich die Kehle auf. Er sah sich zu seinem Trupp um. Skip schlug sich wacker gegen einen viel größeren Piraten mit einer Schiffsaxt, doch Miguel und Manuel sahen aus, als könnten sie Hilfe gebrauchen. Sie blockten mit vom Entzug zitternden Händen die Hiebe von zwei Säbelschwingenden Piraten und kamen gar nicht aus ihrer Defensive heraus. Der Held nutzte den Umstand, dass ihm diese beiden Piraten den Rücken kehrten und durchbohrte den ersten mit seinem Rapier, woraufhin sich der zweite eilig zur neuen Gefahr umwandte, dann aber von Miguel und Manuel erledigt wurde.
    „Hilfe!“ hörte der Held Alejandros panischen Schrei, denn er wurde von zwei fies lachenden Piraten bedrängt, die belustigt dabei zusahen wie der Schiffsjunge versuchte hinter dem Großmast zurückzuweichen.
    Rasch nahm der Held seine Eisblock-Rune zur Hand und gefror die beiden Angreifer, dann schlug er erbarmungslos auf sie ein, bis das Eis zerfiel und die beiden blutüberströmten Piraten tot auf Deck zusammenbrachen. Während der Held weiter kämpfte, beobachtete er aus den Augenwinkeln immer seinen Trupp, um notfalls eingreifen zu können, wenn sie seine Hilfe brauchten, so wurde seine Aufmerksamkeit stark gefordert und ihm entging, dass sein Kapitän selbst in Schwierigkeiten war. Eine hübsche Frau mit lockigen schwarzen Haaren und harten Zügen kämpfte mit ihrem kostbaren Degen auf der Brücke gegen ihn, wobei sie sich lieber auf ihr Geschick, als ihre Kraft verließ. Sie bog sich wie ein Grashalm im Wind und wich so Gregs Säbel ein ums andere Mal aus. Das musste sie auch, denn sie trug keine schwere Rüstung, die einen tödlichen Angriff abwehren könnte, sondern nur einen leichten Lederschutz unter dem roten aufreizenden Gewand, der ihre Rundungen betonte. Vielleicht diente ihr Aufzug auch der Ablenkung, doch Greg war gegen solche Manöver offenbar gefeit, denn er kämpfte hochkonzentriert. Obwohl er ein sehr erfahrener Kämpfer war, war sie ihm in Agilität deutlich überlegen und nutzte sehr geschickt seinen toten Winkel aus. So hatte sie ihm schon viele kleine Schnitte beigebracht, weil er ihre Angriffe nicht immer parieren konnte. Er holte zu einem tödlichen Schlag aus, aber sie sprang leichtfüßig zurück und brachte sich aus seiner Reichweite. Das Licht der Sonne glänzte auf ihren goldenen Ohrringen und auch in ihren Augen schien ein Leuchten zu glimmen, als sie ihre linke Hand hob und einen Zauber sprach. Plötzliches, gleißendes Licht blendete Greg und er wandte kurz den Blick ab, was sie sofort ausnutze, um ihm den Degen an die Kehle zu halten.
    „Schön, mal wieder gegen dich zu kämpfen Greg. Ich dachte schon du wärst irgendwo abgesoffen.“
    „Hat ik ook vun dir gehofft Ronja“, knurrte der Piratenkapitän der Murietta.
    „Sag deinen Männern, dass sie aufhören sollen zu kämpfen, oder ich schneide dir die Kehle durch!“ befahl sie triumphierend.
    Ihre eigentlich recht angenehme Stimme war schneidend. Greg schwieg. Um sie herum tobte immer noch der Kampf und Metall, das auf Metall schlug war deutlich zu hören.
    „Na los!“ zischte Ronja.
    „Alle Mann hergehört! Legt de Waffen nieder!“ brüllte Greg und endlich sahen alle zu ihm und die Crew der Murietta erkannte endlich in welcher Notlage ihr Kapitän steckte.
    Alle hörten auf zu kämpfen, alle außer der Held, der noch einen Blitz warf, wodurch mit viel Geschrei ein weiterer Pirat sein Leben aushauchte. Ronja sah mit zusammengekniffenen Augen zu ihm und es war ihr anzusehen, dass eine innere Unruhe sie ergriff.
    „Hör auf!“ befahl jetzt auch Greg und sein Ton duldete keine Widerrede, doch der Held sah nicht so aus, als würde er die Waffen strecken, schon flackerte der nächste Zauber in seiner Hand auf.
    „Aufhören!“ rief die Piratenkapitänin laut und fügte noch drohend hinzu: „Oder willst du, dass ich deinen Kapitän töte?!“
    Der Held dachte schnell nach. Wenn Greg tot war, wer sollte dann die Verantwortung übernehmen? Henry und Alligator Jack waren fähige Piraten, doch er traute ihnen kein Kommando über ein ganzes Schiff zu. Vielleicht würde es sogar an ihm hängen bleiben. Demonstrativ warf der Held sein Rapier zu Boden und ließ das magische Flackern in seiner linken Hand ersterben.
    „Na endlich“, knurrte Ronja. „Eine hitzköpfige Crew hast du da, Greg.“
    „Kann ik zurückgeben“, raunte ihr Gegner und sah ihr finster ins Gesicht.
    Ronja erhob ihre Stimme und rief dann ihren Männern zu: „Geht unter Deck und bringt all die Ladung auf die Hosianna!“
    Während ihre Piraten gehorchten und einige unter Deck gingen, hielten die anderen Gregs entwaffnete Männer, viele davon bereits schwer verletzt, in Schach und versorgten einige von ihren verletzten Kameraden. Damit die Wartezeit nicht so lang war, begann die Siegerin ein Gespräch.
    „Hübsches neues Schiff hast du da, Greg“, sagte Ronja schmunzelnd und ritzte Gregs Hals leicht mit ihrem hübschen Degen. „Wenn ich mehr Männer hätte, würde ich euch alle über Bord werfen und es zu meinem Zweitschiff machen, aber zu deinem Glück haben wir gerade genug für unser eigenes Schiff. Hübsch nicht wahr? Königin Leandras Marine sollte wohl besser auf ihre Schiffe aufpassen.“
    Greg hatte offensichtlich keine große Lust zu plaudern und schaute nur grimmig. Schneller als gedacht, kam der letzte fremde Pirat, ein athletischer dunkelhaariger Mann mit Kinnbart zurück an Deck und rief: „Die haben nur zwei Kisten mit Gold in der Brigg. Wir brauchen einen Schlüssel. Den Proviant haben wir schon rüber gebracht.“
    „Wirf ihm den Schlüssel zu!“ befahl Ronja und Greg tat es.
    Nachdem dann auch diese Kisten auf dem rotgelben Schiff verschwanden, sagte sie: „Arme Wurst, naja vielleicht hast du beim nächsten Mal mehr, was du mir übergeben kannst.“
    Sie zeigte ihm ein süffisantes Grinsen und nahm dann ihren Degen von seiner Kehle. Zusammen mit ihrem Gefolge schwang sich die Piratin auf die Hossiana zurück und sie nahmen rasch Fahrt auf.
    „Wir können sie uns noch schnappen und unser Zeug zurückholen“, rief der Held, der sein Rapier schon wieder ergriffen hatte.
    „Dumm Tüch! Unser Schiff is beschädigt, so holen wir die nie ein, außerdem haben die Kanonen un wir nich“, rief Greg wütend. „Un jetzt hilf gefälligst Samuel dabei de Verletzten zu heilen, du Dummsnuut! Wir brauchen jeden Mann!“
    Der Held sah zum Schnapsbrenner, der gerade Morgan einen Heiltrank einflößte, doch es gelang ihm nicht so recht, denn da der immer wieder anfing seine Lunge auszukotzen gelang nicht genug von der heilenden Wirkung in seinen Körper. Der Held trat zu ihm und heilte ihn mit einem Fernheilzauber, dann kramte er in seiner Tasche nach einem großen Manatrank, denn wie er sich Francis so ansah würde auch bei dessen herausquellenden Eingeweiden ein Heiltrank Probleme haben. Sie hatten Glück im Unglück. Keiner war schon tot, aber elf trugen potentiell tödliche Verletzungen, was unter normalen Umständen eine Katastrophe wäre, doch dank der Heiltränke und der Magie des Helden kein weitreichendes Problem mehr war. Bei dieser Gelegenheit überreichte der Held Samuel zwanzig Heiltränke, damit zukünftig genug als Vorrat verfügbar war. Genervt musste sich der Held eingestehen, dass er das schon früher hätte tun sollen. Nachdem die Verletzten geheilt waren, begutachteten sie ausgiebig den Schaden. Zwei Spieren waren zerlegt, das Großsegel nicht mehr wirklich zu gebrauche. Zwei der Klüver ließen sich wieder herrichten. Der Rest musste ersetzt werden. Sie hatten überhaupt keinen Proviant mehr und das hieß, dass es auch keinerlei Alkohol mehr gab, was für die meisten in der Crew wahrscheinlich noch schwerer schmerzte.
    „Welchen Kurs sollen wir einschlagen?“ fragte Henry den Piratenkapitän.
    „Nach Stahlstern. Wir müssen de Schäden reparieren un da de so schwer sin broken wir eenen Hafen.“
    „Stahlstern ist gefährlich. Wir könnten leicht als Piraten enttarnt werden“, gab Henry zu bedenken.
    „Die kennen unser neues Schiff noch nich un wenn wi uns bedeckt halten, haben wi nix zu befürchten. Zweifle meine Befehle nich an, oder et setzt wat!“ knurrte Greg und Henry beeilte sich zum Steuer zu kommen.
    Der Held sah sich nach seinen Leuten um. Miguel und Manuel schickte er mit der Aufgabe los das Deck auf Vordermann zu bringen, denn für irgendwelche kleineren Reparaturarbeiten hatten sie zu wenig Ahnung von der Materie. Skip half Brandon eifrig dabei die Klüver flicken. Der Held hörte ihn knurren: „Na da hat uns dein ach so toller Talisman aber nicht beschützt.“
    „He, ich hab ihn gerade erst zurück bekommen“, entgegnete Brandon brummig.
    Der Held musste kurz grinsen. Als er sich weiter umsah, entdeckte er Alejandro, der mit zitternden Fingern dabei war einige Leinen aufzuschießen. Er wirkte so nervös, dass sein Vorhaben nicht sehr erfolgversprechend aussah. Offenbar hatte sein erster richtiger Kampf den Jungen tief erschüttert. Zuerst wollte der Held weg gehen, doch dann dachte er sich, dass vielleicht ein kurzes Gespräch helfen könnte.
    „He, alles klar bei dir?“
    Alejandro sah den Helden unsicher an.
    „Ich … weiß nicht.“
    Der Held hob eine Augenbraue, weil er wohl eine klare Antwort wie ja oder nein erwartet hatte. Alejandro sah eingeschüchtert auf das Tauwerk in den Händen und sagte zu den Leinen: "Danke, dass du mich gerettet hast. Ohne dich hätten mich die anderen Piraten bestimmt längst getötet.“
    „Ich werde nicht immer da sein, um auf dich aufzupassen, besser du lernst schnell mit Waffen umzugehen“, riet ihm der Held.
    „Ja“, sagte Alejandro nur und er schien etwas aufzutauen. „Aber so gut wie du werde ich wohl nie werden. Du warst so mutig. Hattest du überhaupt keine Angst?"
    Der Held sah ihn skeptisch an.
    "Was bringt es Angst zu haben?"
    Alejandro sah verwirrt aus.
    "Naja, das ist ja keine willkürliche Entscheidung. Sie kommt halt einfach."
    "Angst lässt einem im Kampf zögern und wer im Kampf zögert, ist schnell tot, merk dir das!"
    Alejandro zog den Kopf ein. Er wirkte wieder eingeschüchtert.
    "Ich hätte das nicht gekonnt. Das war vorhin so eine kritische Situation. Ich hab sprichwörtlich schon den Tod gesehen wie er mir zuwinkt und wusste vor Schreck nicht was ich machen sollte."
    "Du sagst ihm einfach, er soll sich verpissen und machst dann dein Ding", gab der Held ruppig zurück und ging weg.
    Alejandro sah ihm verwundert hinterher.

    Aufgrund der Beschädigungen kamen sie nur langsam voran. Die Crew war dabei das Schiff wie einen verwundeten Patienten zu stabilisieren. Jeder sah so aus, als wollte er sich möglichst lange beschäftigt halten, um nicht an die soeben erlittene schwere Niederlage zu denken. Da sie nun so langsam vor sich hin trödelten, begann Samuel von der Reling aus zu angeln, damit sie zumindest etwas fürs Abendbrot hatten. Die Fischsuppe war dünn, aber es hatte später ohnehin kaum jemand Appetit.
    „War wirklich Pech, dat wir denen übern Wech gefahren sin, aber die klabustern ja überall herum“, sagte Greg, als sie alle in gedrückter Stimmung in der Messe saßen.
    „So wie wir“, sagte Henry trübselig.
    „Hätte nicht gedacht, dass die dir über ist“, stichelte der Held auch noch.
    Greg wirkte ehrlich verlegen.
    „Vör de Hellhaak nehmt euch in acht, sach ik euch, dat is verdammt flink op de Beine un Magie kann se ook“, murrte der Kapitän.
    „Hat wohl deinen toten Winkel bestens ausgenutzt“, bohrte der Held weiter in der Wunde.
    Greg brummte knurrig, sagte dazu aber nichts.
    „Warum heilst du dein Auge nicht?“
    „Hab ik schon versucht. Et funktioniert nich“, brummte Greg.
    „Als du am Auge verletzt wurdest, hattest du aber keinen Heiltrank da, oder?“ vermutete der Held, der sich mit Verletzungen und Heilungen gut auskannte.
    „Nee, war damals nich de beste Zeit, aber wat willst‘e mir jetz‘ damit eigentlich vertelln?“ fragte Greg und wurde gnatzig.
    „Der Heiltrank wirkt nicht, weil es bereits vernarbt ist. Wunden werden nur geheilt, wenn sie frisch sind. Um dein Auge wieder herzustellen, müsste jemand eine frische Wunde schaffen und dann einen Heilzauber wirken, oder dir einen Heiltrank geben.“
    „Mit annern Worten, du willst, dat jemand in miener Oogenhöhle rumstochert?“ knurrte Greg und sprach besonders laut und deutlich.
    „Genau. Ich kann das machen. Klar ist es nicht angenehm, aber du hast dann keine Sichteinschränkungen mehr.“
    Dem Helden ging durch den Kopf, wie er sich hin und wieder mal selbst verletzen musste, um sich wieder heilen zu können. Am schlimmsten war es definitiv die Rüstung abzulegen, nachdem er gegen die Drachen gekämpft hatte, denn seine Haut klebte durch das Drachenfeuer an der Rüstung. Bei Pandrodor hatte er es gleich nach dem Kampf gemacht, was er wirklich bereute. Damals hatte er noch nicht geahnt was das für Schmerzen sein würden. Die anderen drei Drachen im Minental hatte er dann hintereinander durchgezogen, so dass er diese furchtbare Prozedur erst bei Finkregh wiederholen musste. Hier und da hatte er immer noch ein paar alte Wunden, die nicht gerade schön aussahen, aber auch nicht störten, so wie zum Beispiel sein verätzter rechter Unterarm wo ihn mal eine Sumpfgasdrohne mit ihrer Säure erwischt hatte. So etwas beeinträchtigte nicht und es reichte ihm, wenn er das mal irgendwann heilen würde, wenn er da sowieso verletzt sein würde. Ein Auge hatte er bisher noch nicht geheilt, aber das konnte ja auch nicht schwerer sein, als das andere.
    „Nee!“ weigerte sich Greg, nachdem er einige Zeit darüber nachgedacht hatte.
    „Wieso nicht? Vertraust du mir nicht?“ fragte der Held.
    „Nee, tu ik nich. Du bist nich nur unzuverlässig, du bist auch verdächtig eifrig dabei hier so schnell wie der Nordwind allet zu lernen, so als wenn du nur op eene Gelegenheit wartest mich als Fischfutter über Bord zu kippen un hier selbst das Kommando zu übernehmen.“
    Die Crew schaute erschrocken zum Helden, der war aber mindestens genauso überrascht wie sie.
    „Nein! Bloß nicht! Das will ich nicht“, wehrte der Held ab. „Du hast doch gesagt, ich soll mich schnell mit allem vertraut machen und jetzt wird das für dich zum Problem?“
    Greg sah ihn mit zusammengekniffenem Auge an und musterte ihn eindringlich, wohl um herauszufinden, ob er die Wahrheit sprach. Letztendlich knurrte er nur: „Et is schon allet goot so wie et is. Brokst dir um mien Oog keene Gedanken zu maken, ik brok keene Amme.“
    Der Held hatte daran Zweifel. Es ärgerte ihn, dass sie sich hatten ergeben müssen und er schwor sich künftig besser auf den Kapitän aufzupassen, denn er sah nicht ein noch mehr Verantwortung zu übernehmen.
    „Wer ist diese Ronja eigentlich?“ wollte Bill wissen.
    „Ne berüchtigte Frau, in veelen Ländern gesucht. Et heeßt se lernte ihren Mann kennen, als der ihre Stadt mit seenen Piraaten überfiel. Se wurde geraubt, verliebte sich aber in ihn. Se heirateten, doch kurz darauf starb er in eenem Seegefecht un se übernahm dat Schiff. War wohl nich leicht, eene Frau an Bord un dann ook noch als Käp’tn, aber se konnte sich blutigen Respekt verschaff‘n un se hat eene Nase für Schätze un günstige Gelegenheiten un is goot Pläne auszuklamüsern, dadurch is se bei ihrer Crew beliebt.“
    „Hoffentlich begegnen wir der nicht noch einmal“, sagte Bill und niemand wollte etwas dazu sagen.
    Als die anderen von der Crew entweder erschöpft in die Nachtschicht gingen, oder erschöpft in ihre Hängematten fielen, ging der Held noch mal zu Greg, um allein mit ihm zu sprechen.
    Der Kapitän stand am Steuerruder und sah zu den funkelnden Sternen am klaren Nachthimmel hinauf. Der Held stellte sich neben ihn und sah auch kurz nach oben. Einen Moment schwiegen sie, dann begann der Held ein Gespräch: „Solltest aufpassen, dass die Crew nicht meutert. Immerhin haben alle genau gesehen wie du den Kampf gegen diese Ronja verloren hast.“
    „Dat weeß ik selber, da brok ik keenen Gnadderkop, der mir dat sacht“, knurrte Greg. „Wunnert mich ja, dat du nich Käpt’n sein willst.“
    „Zu viel Verantwortung“, sagte der Held schulterzuckend.
    „Goot, denn dazu tauchste nich, du waaghalsiger Bagalut.“
    „Ist es weit zu diesem Hafen?“ fragte der Held.
    „Zu weit. Wir broken schietenhild neues Fudder. An de leddige Krippen slot sik de Peer.“
    „Was?“ fragte der Held, weil er den Kapitän nicht verstanden hat.
    Greg verdrehte genervt sein Auge und erklärte: „Ohne Freten gibt’s aufs Maul.“
    „Achso“, sagte der Held und nickte, denn das verstand er.
    „Aber wat noch veel schlimmer is: Der Rum is wech, uns droht de Gefahr der absoluten Nüchternheit. Du bist noch ne kleene Sprotte op See, du weeßt nich wat es heeßt mit ner Mannshup herumzuschippern, de komplett op’n Trockenen sitzt. Deswegen mutten wi so schnell wie möchlich in nen Hafen. Ik hoffe Adanos is gnädig mit uns un wi kommen ohne weitere Katastrophen schnell an.“

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Flaute

    Vielleicht dachte Adanos, sie hätten in letzter Zeit genug Aufregung gehabt, oder er wollte sie möglichst lange auf See behalten und langsam wahnsinnig werden lassen, jedenfalls war die See fast spiegelglatt und kaum ein Wind zerzauste ein Haar. Die Segel hingen schlaff herunter und die Murietta dümpelte durchs Meer. Für die Crew gab es nicht viel zu tun. Die meisten gammelten herum und im Moment war das Lied „Wasser, Wasser, Wasser überall, doch wir haben nichts zu trinken“ sehr beliebt. Offenbar hatte Greg Recht und die Mannschaft wurde ohne Alkohol schnell unruhig. Es waren kaum zwei Tage vergangen und die Stimmung an Bord wurde noch rauer und gereizter als ohnehin schon, daher entschied sich der Held seine Alkoholvorräte, die ihm noch geblieben waren an Samuel zu geben, damit der die möglichst gerecht an die Crew aufteilen konnte.
    „Wir hätten uns mit dem Proviant des Beuteschiffes so richtig den Wanst vollschlagen sollen“, murrte Francis.
    „Nächstes Mal“, meinte Morgan.
    „Wenn’s denn ein nächstes Mal gibt“, knurrte Francis zurück.
    „Du kannst ja mithelfen zu angeln“, schlug der Held vor, doch Francis verdrehte nur die Augen und spie aus: „Pah! Seh ich aus wie ein blöder Fischer? Ich hau mich aufs Ohr.“
    „Ja, das kannst du gut“, sagte der Held spöttisch.
    Francis blieb ruckartig stehen, funkelte den Helden böse an, doch er kam nicht zurück, um eine Schlägerei anzufangen. Der Held, der nicht lange untätig sein konnte, hatte sich Samuel angeschlossen und angelte mit einer improvisierten Angel. Grundlage war ein Knüppel und eine tote Schiffsmaus hatte er am Ende des Bändsels befestigt, das er als Schnur nutzte. Seiner Meinung nach war kein Unterschied im Fangerfolg zwischen Samuels richtiger Angel und seiner improvisierten. Skip neben ihm hatte ebenfalls eine richtige Angel und Alejandro hatte erstaunlicherweise Geschick dabei bewiesen sich selbst eine improvisierte Angel zu bauen. Nun standen also vier Piraten an der Reling und angelten. Es war wirklich öde und damit ihm die Zeit nicht ganz so lang vorkam, fragte der Held Skip: „An meinem ersten Tag hier sagtest du, du würdest die Geschichte wie ihr an die Murietta kamt mal irgendwann erzählen. Wie wär’s mit jetzt?“
    Skip knurrte ein wenig, sagte aber dann: „Von mir aus. Also, ich hatte eine kleine Schaluppe aus Khorinis gekapert …“
    „Uh… was für ein hochtrabender Begriff für so ein kleines Ding“, spottete der Held.
    „Willst du die Geschichte nun hören, oder nicht?“ fragte Skip und schaute grimmig.
    „Ja, ist ja gut, reg dich doch nicht gleich so auf“, sagte der Held und lächelte schelmisch.
    „Also, ich hab die Schaluppe nach Jharkendar gebracht. Kannte ja den Seeweg gut genug. Dort sind dann alle Piraten an Bord gegangen und in See gestochen.“
    „War ne total verzweifelte Tat“, meinte Samuel. „Aber viel länger hätte ich es auch nicht mehr an Land ausgehalten.“
    „Einen Tag und eine Nacht sind wir unterwegs gewesen. Es war so voll auf dem Ding, dass die meisten nur wie Vieh herumstehen konnten. Dann endlich sahen wir dieses Schiff hier und Gregs Plan wurde umgesetzt. Wir hissten die Notflagge, um anzuzeigen, dass wir in Seenot waren und Hilfe brauchten. Diese Trottel sind mit der Murietta dann auch wirklich zu uns hingefahren. Greg erzählte die dreiste Lüge wie unser Schiff angeblich an den Klippen vor Jharkendar zerschellte. Sie glaubten uns, nahmen uns an Bord und versprachen uns beim nächsten Hafen abzusetzen. Das war ihr Untergang. Die Typen waren echt miese Kämpfer und daher hatten sie vier extra dafür ausgebildete Krieger an Bord. Die waren für Henry, Bones, Morgan und Alligator Jack aber auch kein Problem. Tja, anschließend hatten wir ein neues Schiff und warfen die Leichen über Bord.“
    „Hm… war doch gar keine so lange Geschichte“, meinte der Held.
    Skip knurrte nur.
    „Ich glaube ja immer noch, wir hätten vorher mit ihnen reden sollen“, meinte Samuel.
    „Ach?“ schnarrte Skip.
    „Ja, rausfinden wer diese Typen waren. Die Murietta ist ein wirklich großes beeindruckendes Schiff und König Fion hat nur ein kleines Königreich. Auch wenn sie sich auf die Seefahrt verlegt haben, ist es doch erstaunlich, dass sie sich die Murietta geleistet haben.“
    „Meinst du, wir haben irgendwelche wichtigen Adligen zu den Fischen geschickt?“ fragte Skip und feixte.
    Samuel zuckte mit den Schultern.
    „Vermutlich.“
    Sie hörten schlurfende Schritte und wenig später kamen Miguel und Manuel zu ihnen. Sie sahen furchtbar aus. Ihre geflickten Klamotten starrten vor Dreck und unter den Augen lagen tiefe Schatten.
    „Wir haben das Deck geschrubbt“, sagte Miguel zu seinem Entertruppführer und hielt beim Sprechen den Blick gesenkt.
    Der Held drehte den Kopf, um das Deck zu inspizieren.
    „Sieht ganz gut aus.“
    „Was sollen wir jetzt machen?“ fragte Miguel und seiner Stimme war anzuhören, dass er mit Grauen an die nächste unangenehme Arbeit dachte.
    Das bemerkte auch der Held, denn er sagte: „Was ihr wollt. Im Moment gibt es nicht viel zu tun.“
    „Ihr könntet beim Angeln helfen“, schlug Skip vor.
    Miguel und Manuel stöhnten.
    „Müsst ihr aber nicht“, meinte der Held, denn er wollte ihnen auch Freiheit lassen.
    „Gut“, sagte Miguel und klang schwer erleichtert. „Ehrlich gesagt sind das hier bisher die schlimmsten Wochen meines Lebens.“
    „Jo“, kam es von seinem Bruder.
    „He, gibt viel Schlimmeres“, wehrte Skip ab. „Und wenn ihr nicht so versoffene Trantüten wärt, die ihrem Chef ans Bein pissen wollen, wäre es auch nicht so schlimm.“
    „Ach ja?“ fragte Manuel nach. „Im Kampf wären wir beinahe umgekommen, es gibt nichts mehr zu fressen und nichts zu saufen, aber das dürfen wir ja auch eh nicht mehr.“
    „Es ist zum Heulen“, stimmte sein Bruder zu.
    Der Held verdrehte die Augen, kramte dann aber in seiner Hosentasche und reichte den Beiden eine grüne Flasche.
    „Hier nehmt, aber hört auf rumzujammern, das nervt! Kippt es euch hinter, ist mein letzter Schnaps.“
    Die beiden Brüder bekamen große Augen und nahmen die Flasche mit zitternden Fingern wie eine heilige Kostbarkeit entgegen. Es gab ein kleines Gerangel wer als erster Trinken durfte. Miguel gewann und trank in gierigen Schlucken.
    „Lass mir auch was über“, jammerte sein Bruder und tatsächlich reichte der ihm die Flasche weiter.
    „Die schlimmste Zeit meines Lebens war, als wir mal bei einem Landgang geschnappt wurden und an den Strang sollten. Viele von dem damaligen Entertrupp, in dem ich war, sind beim Kampf um unsere Freiheit umgekommen und die wenigen, die es überlebten, mussten sich ergeben, weil die Lage aussichtslos war“, erzählte Skip.
    „Hört sich so an, als wäre der Entertrupp damals größer gewesen“, sagte der Held.
    „Oh ja, viel größer. Wir waren zu zwölft. In einem Trupp! Kannst du dir das vorstellen? Jetzt ist das fast die ganze Mannschaft.“
    Skip schüttelte beim Gedanken daran den Kopf.
    „Ich erinnere mich“, sagte Samuel mit knarzender Stimme. „Ist schon etliche Jahre her. Gut, dass Greg euch da mit seinem Fluchtplan raushauen konnte.“
    „Ja, es hat schon seine Gründe warum er unser Käpt’n ist.“, stimmte Skip zu. „Damals, als es an den Galgen gehen sollte, das war meine schlimmste Zeit. Da hab ich mich schon baumeln sehen. Passiert aber immer mal, dass man mal erwischt wird. Bin wohl ein echter Glückspilz, dass ich bisher immer wieder meinen Hals aus der Schlinge ziehen konnte.“
    Der Held sah aus dem Augenwinkel wie sich Alejandro unruhig mit der linken Hand, um den Hals fuhr, so als würde er da einen Galgenstrick spüren.
    „Meine schlimmste Zeit ist jetzt. Ich hab nichts zum mischen“, sagte Samuel und grinste sie an.
    Der Held wusste nicht, ob er ihm glauben sollte, oder ob es nur vorgeschoben war, um ihnen seine schlimmste Zeit im Leben nicht erzählen zu müssen.
    „Ich weiß gar nicht was meine schlimmste Zeit war“, gab Alejandro zu und sah sehr unsicher aus.
    Der Held merkte, dass er so aussah wie beim Würfeln, wenn er lügen musste. Vermutlich war das hier also auch die schlimmste Zeit für ihn. Das fand der Held ein bisschen traurig, denn immerhin war es das erste Abenteuer des Jungen. So ein Abenteuer war doch etwas Aufregendes und schönes. Er müsste nur mehr Selbstvertrauen sammeln, dachte sich der Held. Um seinem Trupp etwas näher zu kommen, erzählte er auch von seinen düstersten Stunden, obwohl er gar nicht gern von sich erzählte.
    „Meine schlimmste Zeit war, kurz bevor ich in die Barriere geworfen wurde.“
    „Davor? Nicht in der Barriere drin?“ fragte Alejandro skeptisch.
    „Nein, davor“, sagte der Held hartnäckig. „Zwei Wochen in einer kleinen, langweiligen Zelle. Es gab überhaupt nichts zu tun. Den ganzen Tag nur rumliegen, rumsitzen und rumstehen und eine Mahlzeit aus Getreidepamps und gammliges Wasser. Es war so öde. Wenn ich zu lange nichts zu tun habe, werde ich dumm im Kopf. Ich hasse das. Als ich da endlich rauskam, fühlte ich mich wie neugeboren.“
    Skip grinste und fing an seinen Entertruppführer zu triezen: „Und jetzt stell dir vor sie würden dich für zwanzig Jahre einsperren.“
    Unwillkürlich musste sich der Held schütteln.
    „Was für ein Albtraum. Lebendig begraben unter Steinen. Gut, das hatte ich auch schon mal, aber immerhin war ich da nicht bei Bewusstsein. Es war also nicht ganz so schlimm. Vergesslich wurde ich trotzdem.“
    „Du warst mal unter Steinen begraben?“ fragte Skip verwundert.
    „Ja, zwei Wochen.“
    „Was ist passiert?“ fragte Alejandro aufgeregt.
    „Höhle eingestürzt“, antwortete der Held knapp. „Aber stellt euch mal vor, ihr wärt zwanzig Jahre im Gefängnis. So ein richtiges, nur mit Zellen, kein Freilauf, nichts zu tun, jeden Tag die gleiche Scheiße und man weiß, man hängt noch so lange da fest und spürt wie die eigenen Lebenszeit verschwendet wird. Ist doch furchtbar.“
    „Naja, aber immerhin wäre man nicht am Galgen“, meinte Alejandro.
    „Das ist doch viel Schlimmer als der Tod“, meinte der Held und daraufhin sagte der Schiffsjunge nichts mehr zu diesem Thema.
    Diese Gedanken deprimierten den Helden und er suchte nach einem Ausweg. Er wäre nicht er, wenn er ihn nicht schnell finden würde und ein hoffnungsvolles Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
    „Zum Glück habe ich mir mittlerweile genug Fähigkeiten angeeignet, um solch einem grauenvollen Schicksal zu entgehen.“
    Er dachte nicht nur ans Schlösser knacken, sondern auch an seine magischen Fähigkeiten, die in einem solchen Ernstfall sehr hilfreich werden würde.
    „Na da bin ich ja mal gespannt, wenn wir in Schwierigkeiten geraten“, sagte Skip.
    „Oh, da beißt was“, rief Samuel alarmiert und zog an seiner Angel.
    Die anderen Piraten sahen gespannt dabei zu wie er mit dem Fisch rang, schritten aber nicht ein. Das war sein Kampf. Der Fisch versuchte sich loszureißen, doch Samuel hielt mit der Angel dagegen und ließ ihn sich müde schwimmen. Dann holte er die Schnur ein, doch bevor er den Fisch an Bord ziehen konnte, hatte der noch einmal Kraft für einen letzten verzweifelten Befreiungsversuch gesammelt. Samuel blieb hartnäckig und gewann den Kampf. Es war ein riesiger Brocken, grau, kugelrund und mit langen scharfen Zähne an der Schnauze.
    „Oh, ein Wrackschnapper“, sagte er zufrieden.
    „Und was für ein Vieh“, lobte Skip anerkennend, denn der Fisch war knapp über einen Meter lang.
    „Wrackschnapper?“ fragte der Held. „Wenn der so heißt, dann ist hier vielleicht ein Schiffswrack in der Nähe?“
    Samuel zuckte mit den Schultern.
    „Weiß nicht. Vermutlich. Es heißt die Wrackschnapper schwimmen nur zwischen Wracks herum.“
    „Hier, halt mal kurz!“ sagte der Held und drückte Manuel seine improvisierte Angel in die Hand, dann lief er eilig zum Kapitän, der trotz der langsamen Fahrt am Steuer stand.
    „Käpt’n“, rief der Held, noch bevor er richtig vor ihm stand. „Samuel hat gerade einen Wrackschnapper gefangen und meint hier könnte irgendwo eins in der Nähe sein.“
    „Richtig. Hier liggen veele Wracks, denn hier treffen de Hoheitsgewässer verschiedener Länder upnanner. Dat letzte groote Seegefecht mit mehreren Schiffen war mienes Wissens vor dree Jahren an dieser Stelle. De Marine vun Königin Leandra hat de Schiffe von König Einhard op‘n Grund det Meeres geschickt.“
    „Der mit den vielen Bodenschätzen? Sehr gut.“
    „Goot? Wat heeßt hier goot? Kommen wi doch nich ran. Dat Meer is hier sicher über veertig Meter tief.“
    „Lass das meine Sorge sein. Wenn wir Glück haben warten da unten unentdeckte Schätze auf uns“, sagte der Held uns seine Augen funkelten bei der Aussicht auf ein neues kleines Abenteuer.
    Greg musterte den Helden und sah dessen Zuversicht.
    „Na goot, is ja nich so, als hätten wir veel zu verlieren. Ik lass de Segel reffen un den Anker setzen un denn bin ik ma gespannt wat du maken willst.“

    Wenig später hielt das Schiff an und trieb nur leicht im Meer. Alle Piraten waren zur Steuerbord Seite gekommen, wo der Held ihnen seinen Plan erklärte.
    „Ich seh mich da unten mal um. Wenn da wirklich noch Wracks liegen, dann gibt es da bestimmt auch noch was zu holen. Schätze, die mit den Schiffen gesunken sind zum Beispiel.“
    „Sucht dein Irrlicht wieder Schätze für dich?“ fragte Bones neugierig.
    „Nein, diesmal nicht. Es ist an sein Amulett gebunden und diesmal werde ich es nicht einsetzen können“, erklärte der Held.
    „Un wie willst‘e da runner kommen? Der Druck is schon schlimm genuch, aber wie willst‘e unner Water atmen?“ fragte der Kapitän.
    „Ich werde mich ganz einfach in einen Lurker verwandeln, die haben damit keine Probleme und können so lange unter Wasser bleiben wie sie wollen.“
    Die Crew starrte ihn verdattert an und sagte kein Wort. Ohne darauf weiter zu achten, zog der Held den Druidenstein des myrtanischen Lurkers aus der Hosentasche und verwandelte sich. Kaum hatte er dies getan, sprang er von Bord ins Wasser und mit einem leisen Plitsch war er untergetaucht. Die See war grau. Eigentlich war es kalt und die Sicht trüb, doch auch das war für einen Lurker kein Problem. Von der Kälte wurde er etwas träge, doch er spürte sie kaum und die Lurkeraugen waren für die Sicht unter Wasser gemacht. Rasch tauchte er immer tiefer hinab, bis er selbst als Lurker einen leichten Druck auf den Ohren verspürte. Auch die Stille drückte schwer auf seine Ohren. Bisher sah er nichts von Bedeutung, dann kam unter ihm der leere Meeresgrund zum Vorschein. Er wirkte kahl und leer. Nur einige Felsen lagen herum, aber es gab keine Seepflanzen. Gab es hier vielleicht doch keine Wracks? Hatte er die Murietta umsonst anhalten lassen? Greg würde es gar nicht gefallen, wenn er mit leeren Händen zurückkehrte. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung war. Da! Ein Fisch. Sah der nicht genauso aus wie der von Samuel? Der Held schwamm im flotten Lurkerschwimmstil auf ihn zu, doch der Fisch flüchtete und führte ihn so geradewegs zum gesuchten Schiffswrack. Wie die Knochen eines uralten Leviathans schälte sich das verbliebene Grundgerüst des gesunkenen Schiffes aus der Dunkelheit der Tiefe. Um sie herum schwammen überall Wrackschnapper und machten Jagd auf kleinere silberne Fischchen, die um die Trümmer herumschwärmten und Algen vom Holz fraßen. Mutig tauchte der Held ins düstere Wrack hinein. Das Schiff war lang und schmal und der Held musste mit seinen dürren Lurkerhänden ein wenig zwischen den Planken graben, um sich einen Weg zu bahnen. Von den kleineren Schwierigkeiten mal abgesehen schaffte er es in den zerstörten Laderaum. Dort lag viel alter Krempel, der mittlerweile unbrauchbar war. Zerschlagene leere Kisten, Fässer und Truhen mit undefinierbarem Inhalt. Der Held stutze, als er etwas im schwachen Licht glänzen sah. Er schwamm näher und ließ seine langen, krallenbewehrten Hände im Schlick graben. Es waren Goldmünzen, die offenbar aus einer der zerstörten Truhen gefallen waren. Diese Stelle merkte er sich. Der Held sah sich weiter um und schwamm zu einer großen Truhe. Mit seinen langen Fingern war es schwer sie zu öffnen, doch die Mühe lohnte. Sie war randvoll mit Münzen, goldenen Vasen und silbernen Kelchen. Er musste es irgendwie schaffen diese Truhe zur Murietta zu bringen. Zuerst häufte er die zuvor gefundenen Münzen in die Truhe, dann schloss er diese wieder und versuchte sie anzuheben. In dieser Gestalt und noch dazu unter Wasser war es ihm jedoch unmöglich. Er versuchte sie zu schieben, doch die dünnen Hände waren nicht für so eine große Belastung gemacht und er ahnte, dass die dürren Knochen brechen würden, wenn er es übertrieb. So beschloss er sich erstmal weiter umzusehen. Er fand noch weiteres lose herumliegendes Gold im Schlick des Wracks liegen, so viel, dass es nicht mehr in die Truhe passen würde. Er bräuchte noch eine zweite, oder zumindest ein anderes Gefäß. Einige Minuten schwamm er unschlüssig herum und dachte nach. Es tat gut mal wieder vor ein neues Problem gestellt zu werden und dafür eine Lösung zu suchen. Er hatte einen Plan, schnappte sich eine goldene Vase, die er mit seinen dürren Lurkerkrallen gut tragen konnte und schwamm an die Oberfläche zurück. Er tauchte auf und sah sich nach der Murietta um. Die lag ein gutes Stück östlich und dümpelte vor sich hin. Als der Held sich in einen Menschen zurückverwandelte wäre ihm beinahe die Vase entglitten und zurück in die Tiefe entschwunden, doch er bekam sie noch rechtzeitig zu packen. Er steckte sie in seine Tasche und holte stattdessen einen einfachen alten Holzschild hervor, den er aufs Wasser legte. Da die See so ruhig war, würde er kaum wegtreiben und als Markierung dienen. Nun schwamm der Held zur Murietta zurück und kletterte die Strickleiter hinauf, um der erstaunten Mannschaft zu verkünden: „Dort unten liegt jede Menge Gold. Eine Kiste ist randvoll und es ist noch genug für eine zweite. Ich krieg sie nur nicht angehoben. Vielleicht kriege ich es als khorinischer Lurker etwas geschoben. Die haben kräftigere Arme und Hände, aber mit den Truhen hochschwimmen wird trotzdem nichts, deswegen habe ich mir gedacht, wir könnten mit der Murietta zum Wrack fahren. Ich habe die Stelle mit einem Holzschild markiert.“
    Der Held zeigte mit der rechten ausgestreckten Hand auf die Stelle.
    „Dann lassen wir Tauwerk mit Gewichten runter und binden die Truhen daran fest und ihr zieht sie an Bord.“
    Erwartungsvoll sah der Held auf die Mannschaft, doch die glotzte nur blöde.
    „Was ist?“ wollte der Held wissen.
    „Du hast dich gerade wirklich in einen Lurker verwandelt“, sagte Alligator Jack perplex.
    Der Held verdrehte die Augen.
    „Ja doch. Ist doch nichts weiter dabei.“
    Offenbar schon, denn die Piraten hatten sowas wohl noch nicht gesehen.
    „Holen wir jetzt das Gold oder nicht?“ fragte der Held ungeduldig.
    Das Wort Gold rüttelte sie offenbar auf, denn Greg brüllte laut Befehl den Anker zu lichten und neuen Kurs zu setzen. Der Held dirigierte den Kapitän zum leicht auf der See treibenden Holzschild.
    „Zu zweit wäre es einfacher. Wer kommt als Lurker mit nach unten?“ fragte der Held, doch die Piraten blieben seltsam stumm.
    Die Aussicht sich in ein seltsames Wasservieh zu verwandeln und in die unbekannten Tiefen des Meeres zu schwimmen, wo er weiß was auf einen lauerte, lockte offenbar keinen so richtig.
    „Na los! Was seid ihr denn für Seehasen?“ spottete der Held.
    „Ich … versuch es mal“, wagte sich überraschend Alejandro vor.
    „Gut so, Junge, hier nimm diesen Verwandlungstrank eines myrtanischen Lurkers“, sagte der Held gut gelaunt und reichte Alejandro die orangene Flasche. „Ich werde mich mithilfe einer magischen Spruchrolle in einen khorinischen Lurker verwandeln. Als Team sollten wir es schaffen. Ich erledige die grobe Arbeit und du die feine, wie zum Beispiel die Taue an den Kisten fest zu binden.“
    Alejandro nickte und er wirkte zum ersten Mal wirklich entschlossen.
    „Gut, na dann los.“
    Alejandro guckte erschrocken, offenbar hatte er sich noch eine kleine Einführung gewünscht wie man sich so als Lurker verhielt oder überhaupt bewegte, doch der Held hatte schon die Lurkerschriftrolle aus seiner Hosentasche gefischt und sich in einen bläulich grünen Lurker verwandelt. Auf allen vieren stand er an Bord und kletterte leicht unbeholfen mit den breiten Lurkerklauen auf die Reling und mit einem Platsch landete er im Wasser. Er durchstieß die ruhige Wasseroberfläche und sah an der Murietta hinauf. Auffordernd gluckerte er mit seiner Lurkerstimme, um Alejandro zu ermuntern sich endlich zu beeilen. Offenbar hatte der Schiffsjunge nun den Trank getrunken, denn ein myrtanischer weiß roter Lurker sprang neben ihm ins Wasser. Der Held knurrte zufrieden, tauchte dann unter und schwamm voran. Er sah sich nach Alejandro um, der sich noch recht unbeholfen als Lurker bewegte. Der Held zeigte ihm, wie er schwimmen sollte und tauchte dann hinab zum Meeresgrund. Er schwamm nicht zu schnell, weil er sich dachte, dass Alejandro sich vermutlich erst an diesen ungewohnten Körper gewöhnen musste, doch plötzlich sah der Held ihn regelrecht an sich vorbeizischen. Verwundert sah er ihm erst nach und dann nach hinten wo ein etwa zwei Meter langer schlanker graublauer Hai in einiger Entfernung seine Kreise zog. Er sah eigentlich nicht besonders gefährlich aus, doch der Held behielt ihn wachsam im Auge für den Fall, dass er Ärger machen würde. Nun musste er sich ganz schön beeilen, um Alejandro noch einzuholen, der mit einem Affanzahn durchs Wasser zischte und kaum noch in der Tiefe zu sehen war. Er fand Alejandro im Schiffswrack, wo er sich hinter einigen gammligen Fässern versteckte. Unsanft zog der Held ihn mit seinen Lurkerklauen hervor. Alejandro sah zu ihm hoch und zuckte erschrocken zusammen. Es war wohl noch sehr ungewohnt sich selbst und seinen Vorgesetzten als Lurker zu sehen. Der Held wies mit einer kräftigen Klaue zur Truhe und versuchte sie zu schieben. Schlick schmatzte und wirbelte auf, als er mit seinen Klauen kräftig dagegen drückte. Es ging sehr schwer, aber die Truhe bewegte sich. Alejandro kam zu ihm und wollte ihm helfen. Er legte seine dünnen Finger in die Trageringe der Truhe und begann kräftig zu ziehen. Gleich darauf ließ er jedoch wieder los und besah sich seine wohl stark schmerzenden Finger. Nun hatte auch er die Erfahrung gemacht, dass diese schmalen, zerbrechlichen Finger nicht für diese Art von Arbeit taugten. Der Held schüttelte nachdrücklich mit dem Kopf und führte Alejandro zu der Stelle wo er die verborgenen Schätze gefunden hatte. Dort grub er ein wenig im Schlamm und legte einige Münzen frei. Nachdem Alejandro begriffen hatte, was er hier tun sollte, suchte der Held nach einer Truhe, die noch zu gebrauchen war. Nachdem er viele links liegen lassen musste, weil sie zu beschädigt waren, fand er noch eine brauchbare und schob sie ungestüm zu Alejandro. Da die hier leer war, ging es einfacher. Alejandro hatte aufgehört zu graben und sah mit geweiteten Lurkeraugen aus dem Schiffswrack hinaus. Dort kreiste der graublaue Hai und musterte sie. Anspannung lag im Wasser. Der Held stieß Alejandro an und erinnerte ihn an seine Aufgabe. Um es ihm vorzumachen, grub er selbst im Schlamm, siebte mit seinen Krallen die Goldmünzen heraus und ließ sie dann in die vermoderte Truhe gleiten. Mit einem auffordernden Blick sah er Alejandro eindringlich an und er machte sich an die Arbeit. Zufrieden kehrte der Held zur bereits vollen Truhe zurück und mühte sich damit ab sie vom Wrack wegzuschieben. Die harte Arbeit ritzte seine verschrumpelte dicke Lurkerhaut auf, doch aufgeben kam gar nicht in Frage. Er hatte sich das so überlegt, also hatte das gefälligst auch zu funktionieren. Endlich hatte die Truhe das Schiffswrack verlassen und wurde mühsam durch den Sand des Meeresbodens geschoben. Er ließ kurz von seiner Schinderei ab und suchte nach einem Anzeichen der Murietta. Die Crew sollte doch die Taue hinab lassen. Ungeduldig suchte er mit seinen Lurkeraugen das Wasser ab, fand den Anker und dort, etwa noch zwanzig Meter entfernt, kamen jetzt vier Trossen herab, die mit gelochten Steinplatten, ähnlich einem Mühlenstein beschwert waren. Sie dienten dem Schiffe eigentlich als Ballast, der bei Manövern und Stürmen wichtig war und je nach Bedarf im Schiff verteilt werden konnte, doch offenbar hatten sie eine gute anderweitige Verwendungsmöglichkeit für die Steine gefunden. Der Held wünschte sich, sie hätten die Murietta nicht so weit weg geparkt, musste sich dann aber eingestehen, dass es im Grunde ja seine Schuld war, denn immerhin hatte er dem Kapitän die Stelle gezeigt an der ankern sollte. Vielleicht war die Murietta doch ein Stück weggetrieben, oder er war beim letzten Auftauchen leicht vom Kurs abgekommen, denn immerhin war er nicht völlig gerade nach oben getaucht. Nun musste er sich weiter abmühen und war froh, als er die Truhe endlich an Ort und Stelle hatte. Zuerst versuchte er die Gewichte selbst von einer der Trossen zu lösen, doch mit den ungelenken Fingern eines khorinischen Lurkers war da nicht viel zu machen, also schwamm er zu Alejandro zurück, der immer noch damit beschäftigt war die Goldmünzen in die mittlerweile gut gefüllte Truhe zu packen. Staunend sah sich Alejandro immer wieder nach allen Seiten um. Er konnte sich an der wundersamen Unterwasserwelt offensichtlich gar nicht satt sehen. Der Held stupste ihn und sein Schwimmkumpel folgte ihm zur Goldtruhe. Der Hai war wieder da und schwamm in einiger Entfernung neben ihnen her. Er sah immer noch nicht aggressiv aus. Eher neugierig. Vermutlich hatte er noch nie einen Lurker gesehen und wusste nicht wie er sich verhalten sollte. Er blieb vorsichtig, begann aber unaufhörlich seine Kreise um sie zu ziehen, während sie um die Truhe herumstanden und sich mit den Trossen mühten. Alejandros schlanke Finger schafften es die Knoten zu lösen. Der Held hoffte, er würde sich beeilen, denn er wusste nicht wie lange der Verwandlungstrank noch anhalten würde. Es wäre schon unangenehm, wenn er sich mitten in dieser Tiefe plötzlich zurück verwandeln würde. Vielleicht hätte er dem Schiffsjungen vorwarnen sollen, dass die Zauberkraft zeitlich gebunden war. Doch vielleicht war es auch besser so, denn Alejandro sah angesichts des um sie bedrohlich herum kreisenden Hais schon nervös genug aus. Unter Zeitdruck würde er wohl erst recht panisch werden. Endlich war die Truhe sicher verschnürt und der Held zog zweimal kräftig am Seil als Zeichen dafür, dass sie hinaufgezogen werden konnte. Das Seil straffte sich und langsam hob sich die gammelige Truhe vom sandigen Boden des Ozeans. Der Held drängte Alejandro zur anderen Truhe zurück zu schwimmen und diese fertig zu befüllen. Der Hai folgte ihnen interessiert und schwamm wieder um das Wrack herum, dichter dieses Mal, wie es dem Helden vorkam. Sie hatten die letzten Münzen rasch verstaut und nun musste auch diese Truhe zum Abholplatz geschoben werden. Zum Glück war sie nicht ganz so schwer, weil sie nur halb voll war. Während sich der Held abmühte, erkundete Alejandro staunend die Umgebung. Interessiert beobachtete er eine Krabbe, die sich unter einer morschen Planke versteckt hatte und drohend mit ihrer größeren Kneifzange aushieb. Doch das schreckte Alejandro wohl nicht. Aufgeregt kam er mit der sich wehrenden Krabbe in den langen Lurkerkrallen zum Helden und zeigte sie begeistert vor. Der Held hielt kurz in seiner Arbeit inne, fragte sich was Alejandro ihm damit sagen wollte, öffnete dann die Truhe, warf die Krabbe kurzerhand hinein und schloss den Deckel wieder. Alejandro sah den Helden perplex an, dann neigte er leicht den Kopf und schwamm davon. Plötzlich kam der Hai auf ihn zu und kreiste eng um ihn herum. Der Held sah skeptisch zu den beiden und entschied, dass diese Angelegenheit wichtiger war als die Truhe und schwamm in ihre Richtung. Währenddessen drehte sich Alejandro erschrocken um sich selbst, im Versuch den gefährlichen Kopf mit den mehrreihigen spitzen Zähnen nicht aus den Augen zu lassen. Vielleicht fragte sich der Hai wie Lurkerfleisch schmeckte, denn er öffnete das Maul, um prüfend zu schnappen. Alejandro schreckte zurück und versuchte zu entkommen, doch wäre der Held nicht gewesen, hätte er wohl eine ordentliche Wunde davongetragen. Mit seiner Lurkerklaue verpasste der Held dem Hai einen kräftigen Schwinger gegen die Kiemen, der das Tier erschrocken flüchten ließ. Der Held sah ihm nach, bis seine Konturen mit der Weite der Unterwassersee verschmolzen und wandte sich dann zum erschrockenen Alejandro um. Der Held ließ ihm die Zeit, die er brauchte und schwamm zur Truhe zurück, um sie auch noch den restlichen Weg zu den sich gerade erneut herabsenkenden Tauen zu schieben. Alejandro schwamm um ihn herum und beobachtete seine Umgebung jetzt argwöhnischer. Er fand noch einige Krabben und sperrte sie zur der einen in die Truhe. Die Trossen um die Truhe zu wickeln, gestaltete sich erneut recht fummelig und kaum war sie fest zog der Held, damit die Crew auch diese Truhe nach oben holte. Der Held schwamm schnell nach oben und achtete darauf, dass Alejandro ihm folgte. In der Tat wich er ihm nicht mehr von der Seite und blickte ständig um sich, wohl aus Angst, der Hai könnte zurückkommen. Sie konnten die helle Oberfläche über sich sehen und waren gar nicht mehr so weit entfernt, als sich Alejandro von jetzt auf gleich plötzlich zurück verwandelte. Der Schiffsjunge tat einen überraschten Schrei, der sich hier unten seltsam verzerrt anhörte und schluckte jede Menge Wasser. Vermutlich hätte es übel mit ihm enden können, doch der Held reagierte schnell, packte ihn mit einem langen Lurkerarm und schwamm schnell mit ihm an die Oberfläche. Dort schubste er den wasserhustenden Alejandro zur Murietta, bevor er sich selbst zurück verwandelte. Während Alejandro sich noch prustend an der Strickleiter festhielt, kletterte der Held sie schon hinauf.
    „Hau Ruck! Hau Ruck!“ hörte er Alligator Jacke seinen Entertrupp kommandieren, der die Schatztruhe an Bord zog.
    Doch das Erste was der Held sah, als er das Deck der Murietta erblickte, war die erste muffige Schatztruhe, die mit aufgeklappten Deckel da stand und alle übrigen Piraten drumherum.
    „Dat wird uns dat Fell retten Jungens. Damit können wir de Reparaturarbeiten bezahlen, Proviant kaufen un haben vielleicht sogar noch een kleenes Startkapital für de Kanonen“, sagte Greg und wühlte in der Kiste, um zu sehen was sie alles für Schätze bereithielt.
    Der gierig grinsende Francis sah über die linke Schulter des Kapitäns, Henry mit einem hungrigen Funkeln in den Augen über die Rechte Schulter.
    „Wir kriegen doch bestimmt aber auch etwas ab, oder?“ fragte Garett lauernd.
    Greg knurrte.
    „Ja, natürlich ihr Raffsäcke, natürlich kriegt ihr wat. Im nächsten Hafen! Verstanden?“
    „Aye“, kam es von mehreren Piraten.
    Der Held sah wie Alejandro immer noch hustend und etwas blass im Gesicht mühselig die Strickleiter hinaufkletterte. Er wirkte sehr erschöpft und der Held fand, dass er sehr lange herumtrödelte, ehe er endlich oben war, also nahm er ihn einfach am Schlafittchen und zog ihn wie einen nassen Sack an Bord.
    „Na, da sin ja unsre beiden Tieftauchgrundeln“, sagte Greg schmunzelnd. „Et hat wirklich funktioniert. Da hög ick mi över.“
    Der Held grinste zufrieden. Alejandro sah so aus, als wenn er alles um sich her noch nicht so ganz mitbekam. Morgan und Bill schnauften erschöpft, als sie die mit Wasser vollgesogene modrige Truhe an Bord hievten.
    „Zweite Lieferung“, sagte Alligator Jack zufrieden.
    „Ausgezeichnet, stellt se da hin. Mal sehn wat da allet für Kostbarkeiten drin sin“, sagte Greg und rieb sich die Hände.
    Skip kam breit grinsend zum Helden gelaufen und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter.
    „Hast du ja den richtigen Riecher gehabt, aber ist ja auch kein Wunder bei der Riesenrübe, die du im Gesicht hast“, stichelte Skip und sah auf den Schatz.
    Der Held schmunzelte und freute sich ebenfalls über die erfolgreiche Mission.
    „Wieso hab ich mich vor dir zurückverwandelt?“ fragte Alejandro skeptisch den Helden. „Hab ich was falsch gemacht?“
    Der Held hatte tatsächlich einen leichten Anflug eines schlechten Gewissens, als er erklärte: „Ich hab vergessen dir zu sagen, dass die Verwandlungstränke nur für eine bestimmte Zeit vorhalten.“
    „Und das sagst du erst jetzt? Ich hätte ertrinken können!“ platzte es aus Alejandro heraus, bevor er sich so richtig gewahr wurde was er da in welchem Ton zu wem sagte.
    Als es ihm dann wieder einfiel, wurde er im Gesicht grau wie Stein und guckte auf die Planken zu seinen Füßen.
    „Aber bist du ja nicht. Wir haben es doch gut gepackt“, sagte der Held, klopfte ihm auf die nasse Schulter und ging dann zu den anderen Piraten, die gerade die zweite Truhe öffneten und verdutzt guckten, als ihnen ein paar Krabben mit drohend schnappenden Scheren entgegen kamen.
    „Die hat Alejandro gleich fürs Abendbrot gefangen“, sagte der Held.
    „Goot“, sagte Greg nur und aus seinem Mund war das ein großes Lob.
    Schon war Samuel mit einem Netz zur Stelle, um die Krabben mit einem Knüppel dort reinzustoßen. Manche klammerten sich mit ihren Scheren daran fest und wollten partout nicht mehr loslassen, so als wüssten sie, dass der Kochtopf auf sie wartete.

    Mit den neuen Schätzen an Bord und einem auffrischenden Wind, der sie gemächlich Richtung Stahlstern trieb, setzten sie ihre Reise mit deutlich besserer Laune fort. Am Abend saßen sie in fast schon gemütlicher Runde in der Messe zusammen. Aus den Krabben, dem Wrackschnapper und einigen Resten in der Kombüse hatte Samuel einen faden Eintopf gekocht, aber wer wollte konnte sich auch einfach eine gekochte Krabbe von einem großen Teller in der Mitte des Tisches nehmen. Der Held machte sich mit dem Essen wie so oft überhaupt keine Umstände und aß seine Krabbe mit allem Drum und Dran, dass es nur so knirschte.
    „Klingt, als ob du ne hart gekochte Erzrüstung frisst“, scherzte Alligator Jack, der neben ihm saß. „Versuchs mal ohne Schale.“
    Der Held zuckte nur mit den Schultern. Alejandro hatte den schlimmsten Schrecken des heutigen Tages wohl gut überstanden, denn er redete ganz aufgeregt von ihrem Unterwasserabenteuer. Er war noch nie so offen gewesen und hatte seitdem er an Bord war noch nie so viel auf einmal geredet.
    „Ich hab mir schon immer gewünscht mal zu sehen wie es so unter Wasser ist, wisst ihr. Wie es da aussieht und was da so alles herumschwimmt. Es war so spannend und dann auch noch als Lurker. Hätte ich mir ja nie gedacht, dass ich mich mal in einen Lurker verwandeln würde. Es ist so komisch, wenn man an sich herunter sieht und dann diese gruseligen riesigen Schlachtklauen sieht.“
    Er schüttelte sich.
    „Aber dann fällt einem wieder ein, dass es ja die eigenen Krallen sind. Das war so seltsam. Aber so herumzuschwimmen, das war richtig toll. Ich denke, ich bin eigentlich ein ganz guter Schwimmer, aber so als Lurker, da ist man richtig fix unterwegs. Der Wahnsinn. Und dann all die Fische, wie sie vor einem davonstieben. Unter Wasser glitzern ihre Schuppen irgendwie mehr hab ich das Gefühl. Und dieses Wrack, das war so geheimnisvoll und mysteriös, wie sich das so aus dem Dunkel der Tiefe herausgeschält hat. Ich krieg jetzt noch eine Gänsehaut. Es war so richtig spannend da durch dieses Wrack zu tauchen und nach den Schätzen zu suchen, was für ein Abenteuer. Es war so unheimlich da unten. Am gruseligsten war natürlich der Hai.“
    „Wat denn für’n Hai?“ wollte Greg wissen und auch einige der anderen Piraten, von denen einige gespannt, andere belustigt waren, weil Alejandro ganz aus dem Häuschen war, sahen jetzt ein wenig erschrocken aus.
    „Oh, das war ein riesen Vieh, sag ich euch“, sagte Alejandro aufgeregt.
    „Ja, bestimmt fast zwei Meter lang“, amüsierte sich der Held.
    „Über zwei Meter. Grau und blau war er und hatte ganz viele scharfe Zähne. Der wollte mich fressen, sag ich euch, aber dann hat er ihm eins mit seinen Lurkerklauen auf die Kiemen geknallt“, sagte Alejandro aufgeregt und zeigte zum Helden.
    „Hättest du auch gekonnt, du hättest es eben nur machen müssen mit deinen Schlachtklauen“, sagte der Held und schmunzelte.
    „Ich hatte eben Angst, dieser Hai war richtig erschreckend“, entgegnete Alejandro.
    „So wie du ihn beschreibst, war dat bestimmt een Stöberhai“, sagte Greg.
    „Ein was?“ fragte Alejandro aufgeregt.
    „Tominnst nenn ik de so. Schwimmen neeisgierig herum, komen oft ans Schiff, wenn blödderige Abfälle ins Meer gekippt werden.“
    Für einen Moment hatte jeder Pirat ein anderes Bild davon was für blutige Abfälle der Kapitän damit genau meinte.
    „Dann schwimmen se herum und stöbern halt wat zu freten op. Ik glob nich, dat de ne groote Gefahr sin, aber könnten vielleicht gefährlichere Viecher anlocken.“
    „Also dieser Hai war wirklich schon gefährlich genug“, sagte Alejandro. „Was für ein aufregendes Abenteuer.“
    Der Held lächelte zufrieden. Ihm hatte es auch gefallen. Nicht, dass es jetzt wirklich nervenzerfetzend war und irgendwelche Nahtoderlebnisse gab es auch nicht, aber es war ein durchaus zufriedenstellendes kleines Abenteuer gewesen. Ihm gefiel, wie aufgeregt Alejandro war und wie sehr er sich über ihr Erlebnis freute. Er war noch so unverbraucht und sah mit frischen Augen auf die Welt, die noch nicht viel erlebt hatten und so konnte er sich gut vorstellen, dass es für ihn das wohl größte Abenteuer seines noch jungen Lebens war.
    „Tjoa, bei uns erlebste wat. Will noch eener ´nen Dwarslöper?“ fragte Greg und hielt eine schöne große Krabbe hoch.
    Die meisten schüttelten die Köpfe, denn sie wollten dem Kapitän aus Respekt die letzte Krabbe lassen.
    „Nein, ich hab noch mit meiner Moppelkotze zu tun“, antwortete Henry, der mit wenig Appetit seinen Eintopf löffelte.
    „In Ordnung, denn is dat wohl mien.“
    Er nahm sich die Krabbe und fing an sie aufzuknacken.
    „Wenn wir Glück hebben, werden wir übermorgen in Stahlstern sein. Wir sollten dort bloß nich upffallen. Wir broken een Büdelneiher, damit wir neue Segel für den Großmast kriegen un een paar neue Klüver. Wäre auch goot, wenn wir een Ersatz hätten, damit wir nich wieder in so eine Miesere geraten. Außerdem sollten wir versuchen Leute für die Mannschup anzuheuern. Wir broken unbedingt neue Männer, oder wir mütten weiterhin in so langen Schichten knojen“, sagte Greg.
    „Mehr Männer bedeuten aber auch mehr Leute, mit denen die Beute geteilt werden muss“, warf der Held ein.
    „Stimmt, aber ik will ook mal länger als veer Stunden slapen“, wandte Greg ein, der tatsächlich dunkle Ringe unter den Augen hatte.
    Ein Raunen ging durch die Crew. Die Aussicht auf weniger Gold war zwar ein unangenehmer Stich, doch wie der Held in den meisten Augen sah, waren viele erschöpft und sehnten sich nach weniger Arbeit.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Piratencharme

    Es war herrliches Wetter. Ein schier endloser blauer Himmel besprenkelt mit nur einigen wenigen heiteren Wolken, die wie weiße Segel über den Himmel trieben, überspannte die See, die von einem tiefen dunklen Blau war. Sanft schlugen die Wellen gegen das Schiff, so als wollten sie es liebkosen und dazu einladen immer weiter durch das herrliche Wasser zu fahren. Die Gischt spritzte leicht an die Reling und versprühte einen salzigen Geruch. Doch der Held stand nicht an der Reling. Er hing in der Takelage und hatte gerade ein Seil neu verknotet, weil es gerissen war. Er hatte schnell gelernt geschickt herumzuklettern und ging dabei viel waghalsiger vor, als es nötig gewesen wäre, denn hin und wieder sprang er auch einfach mal ein paar Meter nach unten und hielt sich dann wieder an den Seilen fest. Es machte ihm einfach Spaß. Jetzt stand er aber einfach nur in der Takelage und schaute glücklich auf das herrliche Meer hinaus, das so glitzernd und einladend vor ihm lag und ihm sagte, dass er sich mitten in einem neuen Abenteuer befand, völlig frei und ohne Sorgen. Leicht wehte ihm der frische Wind die Haare aus der Stirn und der Held sog tief die frische Seeluft ein. An Bord gab es im Moment wenig zu tun und so blieb ihm auch nicht viel anderes, als das Meer zu beobachten. Angestrengt sah er zum Horizont wo sich nun ein Umriss aus dem Morgendunst schälte.
    „Land in Sicht! Steuerbord voraus!“ rief er laut zu seinen Kameraden hinunter.
    Sofort brach unten ein Gewusel los. Der Kurs wurde leicht korrigiert und zum Hafen von Stahlstern ausgerichtet. Es dauerte allerdings noch, bis sie die Stadt gut sehen konnten. Sie war sehr groß, viel größer als jede Stadt in Myrtana. Stahlstern war offenbar in sehr gutem Zustand. Die Häuser sahen gepflegt aus. Offenbar hatte in den letzten Jahren niemand gewagt diese Stadt auch nur anzugreifen, geschweige denn zu beschädigen. Diesem Umstand verdankte die Stadt wohl ihrer riesigen grauen Festung, die noch viel größer als die von Faring war und auf einer Klippe über der Stadt thronte. Die Zinnen ragten leicht aufs Meer hinaus und durch ein Fernrohr konnte der Held sehen, dass die Wehre mit vielen Kanonen bestückt waren und Ritter in glänzenden Rüstungen dort oben patrouillierten. Wer auch immer diese Festung erbaute, hatte sehr viel Wert auf Winkel und Maße gelegt, so dass die glatt abfallenden Mauern fast wie aus einem Guss wirkten. Aber auch Stahlsterns Hafen war im Vergleich zu dem von Khorinis gewaltig. Im Moment ankerten hier nicht weniger als neun Schiffe und den leeren Flächen nach zu urteilen, wäre noch einmal Platz für die gleiche Anzahl. Es gab also mehr als genug Freiraum. Zunächst brachten sie die Murietta auf Halbwindkurs in Richtung der Anlegestelle, dann wurde sie mit einem Aufschießmanöver gegen den Wind Kai-Parallel zum Stillstand gebracht. Die Segel flatterten und das Schiff bekam keinen Vortrieb mehr. Die angeschlagenen Spiere des Großmasts knarzten im Wind und die beschädigten Segel sahen besonders traurig aus, wie sie da sinnlos herumflatterten. Es dauerte recht lang bis sie die Murietta genau dort hatten wo sie hin wollten, doch es war ganz erstaunlich wie präzise Greg so ein riesiges Schiff steuern konnte.
    Aus vollem Halse brüllte der Piratenkapitän immerfort Befehle, welche die Crew rasch durchführen sollte und wenn es ihm nicht schnell genug ging, warf er wie üblich mit Beleidigungen um sich.
    „Los ihr Dröggel, drömelt nich rum! Zack zack! Fertich werden! Segel vollständig reffen! Fallen Anker! Festmachen!“
    Kaum hatte der Held die Trossen an den Pollern festgemacht, sah er damit seine Arbeit als erfüllt und zog los, um diese fremde Stadt zu erkunden. Ein anderes Schiff kleiner als die Murietta hatte offenbar auch gerade erst angelegt, denn die Matrosen waren emsig dabei die Ladung zu löschen. Wie er bereits vom Meer aus gesehen hatte, war diese Stadt sehr ordentlich, sogar das Hafenviertel sah recht manierlich aus. Die Straßen waren breit und sogar mit Kopfsteinpflaster befestigt. Es war ganz erstaunlich was es alles für Häuser allein im Hafenviertel gab. Kartenmacher, Kesselflicker, Abdecker, Besenbinder, Segelmacher, Gerber und mindestens drei Tavernen gab es hier, wovon eine gleich in der Nähe der Murietta war, die zweite gegenüber einer Baracke der Stadtwache lag und die dritte am Rand zum Handwerkerviertel wo es noch viel mehr zu sehen gab. Der Held sah gleich zwei Schmiede, mehrere Kaufläden, Buchbinder, Schreibwarenläden, drei Gastwirtschaften, Schuhmacher, Weber, Zimmerer, Maurer, Fliesenleger, Maler, Dackdecker, Metzger, Schneider, Tuchmacher, Kürschner, ein Goldschmied und vier Bäcker. Dazu gab es noch einige Einrichtungen, die der Held aus Myrtana gar nicht kannte. So zum Beispiel gab es ein Badehaus, ein Theater, eine Bibliothek und ein Stadtmuseum. Mehrere Brunnen schmückten die Innenstadt und es lag erstaunlich wenig Unrat herum. Mindestens genauso sehr wie die Häuser unterschieden sich die Menschen von denen in Myrtana. Männer und Frauen gingen gleichermaßen durch die ordentlichen Straßen. Greise humpelten, Kinder sprangen fröhlich herum. Auch wenn der Held das eine oder andere sorgenvolle Gesicht sah, so war die Grundstimmung doch eine gänzlich andere als dort wo er herkam. Es herrschte geschäftlicher, lärmender Trubel, hier und da hörte er ein heiteres Lachen und sah lächelnde Gesichter. Ähnlich wie in Khorinis trugen die Menschen hier statt Waffen und Rüstungen Kleidung, die bei einem Angriff fast gar nicht schützen würden, unter anderem Tuniken, Mäntel, Hemden, Röcke und Kittel. Auf den Köpfen trugen manche Schleier, Hüte, Mützen und Hauben. Der Held bemerkte, je farbenfroher die Menschen gekleidet waren, umso mehr waren sie mit Geschmeide geschmückt. Wie immer sprach er fast jeden an und stellte dabei fest, dass diese Menschen hier unerwartet unaufmerksam waren. Es war ein Kinderspiel ihre Goldbeutel zu rauben. Er brauchte nur etwas beim Reden gestikulieren und schon waren sie abgelenkt. Er wurde sogar waghalsig und beklaute die Leute mitten auf der Straße im größten Getümmel. Fiel den Mitmenschen denn nicht auf, dass ein Dieb unter ihnen war? Nachdem der Held wieder einen prallen Goldbeutel von einem Bürger eingesackt hatte, kratzte er sich am Kopf. Er fragte sich was mit den Leuten hier los war. Warum waren sie so gutgläubig? In Myrtana hatten die Menschen zu viele schreckliche Dinge erlebt, so dass sie jetzt sehr wachsam waren, damit, wenn ihnen das Schicksal das nächste Mal ins Gesicht kotzen wollte, sie noch rechtzeitig ausweichen konnten. Gut, gerade in Khorinis war es auch nicht schwer gewesen manche Bürger zu berauben, doch selbst dort waren sie viel aufmerksamer gewesen als die Menschen in Stahlstern. Was auch auffiel, waren die Tiere. Es gab zahme Wölfe, also Hunde, die Häuser bewachten, oder mit einer Lederleine an ihren Herren gebunden waren. Außerdem zogen Ochsen schwere Karren durch die Stadt.
    Im Handwerkerviertel begegnete der Held einem beeindruckend großen Kerl. Musste fast zwei Meter groß sein und sah aus, als würde er jemand mit bloßen Händen den Schädel zerdrücken können. Er sah aber schon recht alt aus. Vermutlich wären seine Reflexe nicht mehr so gut. Im Ernstfall würde der Held sich einen Kampf natürlich zutrauen. Der Mann trug hochwertige Kleidung, so wie man es eher bei reichen Kaufleuten sah. Bei ihm wäre bestimmt was zu holen.
    „He du“, verwickelte der Held ihn gleich in ein Gespräch.
    „Ja, was ist?“ fragte der Typ und sah zu ihm herunter.
    „Kennst du dich hier gut in der Stadt aus?“
    „Das will ich wohl meinen. Ich kenn hier alles, jede Ecke, jedes Haus, sogar die Kanalisation“, sagte der Mann wichtigtuerisch.
    „Oh, eine Kanalisation gibt es hier auch?“ fragte der Held, der zuletzt eine in Khorinis gesehen hatte.
    „Ja. Stahlstern ist eine fortschrittliche Stadt. Deswegen sieht es hier auch so sauber aus. Man kann über die Königin sagen was man will, aber sie glaubt an den Fortschritt. Mit extrem viel Aufwand hat sie vor zwanzig Jahren mit dem riesigen Projekt angefangen und vor fünf Jahren wurde es beendet. Deswegen sehen die Straßen hier auch alle so neu aus. Und die Ritter in der Festung beschützen den Hafen mit Kanonen und Schießpulver vor Piraten.“
    „Wer ist denn diese Königin von der du sprichst?“ wollte der Pirat wissen, der sich von den Worten seines Gesprächspartners überhaupt nicht beunruhigen ließ.
    „Du kennst sie nicht? Musst ja von weit her kommen. Also, falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Dieses große Königreich heißt Adloka und Königin Leandra herrscht hier nun seit fast zwanzig Jahren. Böse Zungen behaupten sie hätte ihren Gemahl frühzeitig durch eine Portion Gift im Essen erledigt, doch das sind nur Gerüchte. Sie herrscht mit viel Weitsicht und Erfolg. Das Reich wächst und gedeiht. Es herrscht Ordnung und Disziplin. Banditen trauen sich selten hierher, denn die Strafen sind hart aber fair. Die Bürger dieses Königreichs können sich sehr sicher fühlen und deshalb maulen sie auch nicht über die hohen Steuern.“
    „Verstehe“, sagte der Held und sah auf das hochwertige Schwert am Gürtel des älteren Mannes. „Gutes Schwert, das du da hast.“
    „Ja, nicht wahr? Das hab ich noch von meiner aktiven Zeit bei der Stadtwache“, erklärte der Mann.
    „Ach und warum bist du da nicht mehr?“ wollte der Held wissen.
    Der Mann kniff die Augen zusammen und sagte barsch: „Guck mich doch mal an! Ich bin jetzt fünfundsechzig Jahre alt, da arbeite ich doch nicht mehr. Ich genieße meine wohlverdiente Pension.“
    „Pension? Was ist das?“ wollte der Held wissen, der von so etwas noch nie gehört hatte.
    „Bist wohl aus Myrtana wie?“ fragte der Typ und wieherte los.
    Er lachte, als hätte er einen Witz gerissen, so als würde er ihn fragen, ob er vom Mond käme.
    „Ja“, sagte der Held nur.
    Dem Mann fielen fast die Augen raus.
    „Wirklich? Ist ja’n Ding. Dachte die wären im Krieg mit den Orks?“
    „Der Krieg ist vorbei“, erklärte der Held kurz angebunden.
    „Hab schon ewig nichts mehr aus Myrtana gehört.“
    Er kratzte sich am Kopf.
    „Kann mir vorstellen, dass es da nicht mehr besonders viele alte Menschen gibt, wenn der Krieg wirklich so hart war, wie es heißt.“
    „Nein, aber es gibt viele starke unbeugsame Krieger“, sagte der Held, damit der Typ nicht überall herumtratschte, dass es vielleicht lohnte mal nach Myrtana zu segeln und es anzugreifen.
    Der Typ rieb sich nun grübelnd übers Kinn.
    „Ja, kann mir vorstellen, dass so ein langer Krieg zur Verrohung führt. Da gibt es bestimmt keinen Ruhestand. Und du bist selbst von da? Na dann mach hier bloß keinen Ärger, hörst du?“
    „Na was dachtest du denn? Ich hatte mir vorgenommen die ganze Stadt auseinanderzunehmen“, spottete der Held.
    „He, über sowas macht man keine Witze“, grollte der ältere Mann. „Behalte deine Finger einfach bei dir und mach keinen Krawall!“
    Der Mann ließ ihn stehen und der Held setzte seinen Weg gut gelaunt mit einem weiteren prall gefüllten Goldbeutel fort. Nun da dieser Mann von der Stadtwache gesprochen hatte, fiel dem Helden auf, dass es kaum welche gab. Hier und da hielten sie an einem Torweg Wache, oder patrouillierten durch die Straßen, doch bisher hatten sie ihn nie dabei beobachtet wie er jemanden bestahl. Vielleicht gab es hier so wenig Kriminalität, dass sie in ihrer Wachsamkeit nachließen? Sie waren eigentlich leicht zu erkennen. Von den Bürgern hatte er bisher immer noch keinen in Rüstung gesehen. Sie trugen dem Stand angepasste Kleidung. Lumpen für das Gesindel vom Hafen und feiner Zwirn für die Leute vom oberen Viertel. Die einzigen Männer, die er bisher in Rüstung gesehen hatte, waren von der Stadtwache und der Ritter, der jetzt vor ihm stand.
    „Guten Morgen, ein neues Gesicht in der Stadt. Was führt dich hierher?“ fragte der Ritter und beobachtete den Helden.
    „Geschäfte“, antwortete der Pirat wahrheitsgemäß. „Ich suche den Marktplatz.“
    Der Ritter schätzte es wohl nicht, dass er so unverbindlich gefragt wurde und antwortete barsch: „Ich bin hier nicht die Auskunft.“
    „Verstehe, also weißt du nicht wo der Markt ist?“ fragte der Held spöttisch.
    „Natürlich. Hier die Straße rauf, dann nach links, durch einen Torbogen, eine Treppe hoch, wieder links, durch einen breiten Durchgang, dann nach rechts, wieder eine Treppe hoch und du bist schon da.“
    „Vielen Dank für diese schnelle Auskunft“, sagte der Held und lächelte, weil sich der Ritter nun doch zur Stadtinformation hatte machen lassen.
    „Bin gerne für die Gäste unserer schönen Stadt da, aber lass es nicht zur Gewohnheit werden. Ich hab viele wichtigere Aufgaben und meine Zeit ist wertvoll“, sagte der Ritter, der sich übertölpelt fühlte.
    Der Held nickte und ging weiter seines Weges. Als er um eine Ecke bog, holte er noch einmal den prall gefüllten Goldbeutel des Ritters hervor und besah ihn sich grinsend. Selbst der war einfacher zu beklauen gewesen als gedacht. Stahlstern stellte sich als Schlaraffenland für Langfinger heraus.
    „He, warte doch mal!“ hörte er einen Ruf hinter sich.
    Er blieb stehen und wandte sich um. Es war Skip und ihm folgten die anderen drei aus seinem Entertrupp. Der Held wunderte sich etwas, denn er hatte gedacht, dass Miguel und Manuel abhauen würden, sobald sie festen Boden unter den Füßen spüren würden. Offenbar ahnte Skip was durch seinen Kopf ging, denn er sagte mit einem finsteren Blick auf die beiden Brüder: „Die beiden wollten abhauen, aber ich hab sie an ihre Spielschulden erinnerte. Sie sind so schlecht im Würfelspiel, dass sie fast jedem auf der Murietta Gold schulden. Bis sie das nicht abgearbeitete haben, lassen wir sie nicht weg und ich hab ihnen gesagt, dass wir ihnen zur Not die Innereien rausprügeln und sie zum Schiff zurückschleifen werden.“
    Dem Helden war es im Grunde egal. Er schätzte die Freiheit, aber was Skip sagte hörte sich logisch an, also machte er sich nicht weiter darüber Gedanken. Das war das Problem der beiden Brüder.
    „Greg hat uns aufgetragen Proviant einzukaufen und es aufs Schiff zu bringen. Du kannst nicht einfach abhauen, wenn es dir passt“, sagte Skip jetzt.
    „Offenbar ging es ja doch“, antwortete der Held und grinste.
    Skip sah ihn finster an.
    „Greg wird sauer auf uns alle sein, wenn wir unsere Arbeit nicht machen, also komm, gehen wir zum Markt und holen die Waren für das Schiff.“
    Er kam näher zum Helden und flüsterte ihm zu: „Hast du gerade eben wirklich einen Ritter ausgeraubt? Mach keinen Scheiß Mann, die hängen dich sonst.“
    „Ach was, ich kann machen was ich will, so lange sie mich nicht erwischen“, sagte der Held leichthin. „Und bisher hat überhaupt niemand was gemerkt. Ich hab schon dutzende Leute ausgeraubt und es war das reinste Kinderspiel.“
    Skip schaute ungläubig. Dann faste er sich, räusperte sich und sagte: „Tja, das ist hier eben nicht Myrtana. Die Leute rechnen nicht damit, dass sie am laufenden Band ausgeraubt werden. Klar geschieht das auch hier, aber das sind dann eher Ausnahmefälle. Es ist nur so, wir laufen Stahlstern häufiger an, um unser Zeug zu verkaufen. Wenn die mitkriegen, dass wir … nun … nicht unbedingt die rechtmäßigen Eigentümer dieser Sachen sind, dann wollen sie uns hier bestimmt nicht mehr haben. Die Festung soll eigentlich als Abschreckung dienen und normalerweise klappt es auch. Greg ist schon ein harter Hund, dass er es riskiert hier anzulegen.“
    „Verstehe“, sagte der Held und nickte. „Der Ritter, der hier auch die Auskunft ist, hat mir den Weg zum Markt beschrieben. Mir nach.“
    Beim Markt kauften sie ihre Waren bei einem älteren Mann, der nicht einfach nur dick, sondern fett wie ein Mastschwein war. Den Leuten hier ging es schon fast zu gut. Kein Hunger, keine Bedrohung durch Orks, oder Banditen. Die Ritter machten ihre Aufgabe wohl gut, oder es war hier grundsätzlich ein ruhiges Fleckchen. Der Held bezahlte freigiebig mit dem Gold, dass er eben in Stahlstern eingesammelt hatte. Ihm fiel auf, dass die Münzen hier nicht so dick waren wie in Myrtana, eher platt und reich verziert. Sie brachten die Kisten mit dem Proviant zurück zum Hafen. Da es fünf Kisten waren, ging es genau auf, doch Miguel und Manuel jammerten den ganzen Weg zurück zum Schiff über das Gewicht und Alejandro wäre unter der Last fast mehrfach zusammengebrochen. Der Held musste ihm aufhelfen und jedes Mal sah der Junge sehr beschämt aus, weil er seine Arbeit nicht richtig machte. Er sah ihm an, dass er sich bemühte, aber mit der Kraft war es bei ihm wohl noch nicht weit her. Sie brachten die Kisten an Bord wo Greg den Helden rüffelte, weil er einfach so abgehauen war.
    „Nächstes Mal wartest du, bis ik dir de Erlaubnis gebe an Land zu gehen!“
    „Hätte ich etwa neue Segel kaufen sollen?“ fragte der Held.
    „Ne, davon haste doch keene Ahnung. Diese Aufgabe habe ich Henry überlassen. Er sollte bald mit Ersatz zurück sein“, antwortete der Kapitän.
    „Verstehe“, kam nur vom Helden.
    „So und jetz‘ makt, dat ihr dat Zeug nach unten bringt, dann könnt ihr von mir aus abhauen!“
    Nachdem sie die Kisten abgeladen hatten, reckten und streckten sie sich und Miguel fragte: „Habt ihr auch Lust in einer Taverne einen saufen zu gehen?“
    „Klar“, sagte Manuel sofort.
    „Bin dabei“, kam es auch von Skip.
    „Also schön“, sagte auch der Held, weil er sich dachte, dass in einem Wirtshaus immer viel aufzuschnappen war.
    „Ich … ich komme auch mit“, sagte Alejandro und versuchte großspurig zu klingen, was ihm gründlich misslang.
    Sie mussten nicht weit gehen. In der Hafenklause „Zum springenden Fisch“ ließen sie sich an der Bar nieder.
    "Willst du auch nen Happen pappen?" fragte Skip den Schiffsjungen.
    „Gern“, sagte Alejandro, dem wohl nicht der Sinn danach stand sich mit Alkohol zuzuschütten.
    Skip bestellte zwei Mal das Tagesgericht. Rechts vom Helden saß Alejandro, links Skip. Miguel und Manuel saßen neben Skip an der Theke und soffen, wodurch sie merklich entspannten und Hemmungen abbauten. Die beiden Brüder sahen sich dabei nach Frauen um.
    „Was hältst du von der?“ fragte Miguel und zeigte auf eine hübsch frisierte, aber plumpe steifbeinig gehende Frau mittleren Alters.
    „Nee, Figur wie ein Sack voll Schrauben und zwei Holzbeine“, kommentiert sein Bruder und sah sich nach anderen Frauen um.
    Sie bestellten ein neues Starkbier und tranken es in einem Zug aus. Es sah so aus, als wäre es bei ihnen so eine Art Wettbewerb.
    „He, wie wär’s mit der?“ fragte jetzt Manuel und zeigte auf eine zierliche Brünette, die gerade an ihnen vorbei ging und einen Korb mit Fressalien zum Wirt brachte.
    „Weißt du nicht mehr? Die war vorhin auch auf dem Markt. Ne, die brauchen wir nicht. Die hat doch schon gekalbt. Hab ihr Balg gesehen. Lieber was knackiges.“
    Miguel sah ihr nach.
    „Ach, zum durchschlumpern reicht‘s.“
    Skip verdrehte die Augen und schnarrte: „Ihr seid mal wieder charmant wie eine Jauchegrube.“
    Der Held kippte ebenfalls ein Bier und hörte den einheimischen Leuten bei ihren Gesprächen zu. Vielleicht war ja was Nützliches dabei, das zu einem kleinen Abenteuer führen könnte. Doch bisher hörte er nur wie sie über Kleinigkeiten maulten oder miteinander den neusten Klatsch austauschten wie alte Waschweiber. Der Wirt reichte Skip und Alejandro ihre bestellten Gerichte.
    „Was soll das denn sein?“ fragte Alejandro und wurde grün im Gesicht.
    „Sieht so aus, als hätte der Chefkoch auf deinen Teller gekotzt“, sagte der Held lachend.
    „Das ist Lapskaus“, erklärte Skip geduldig.
    „Und was ist das genau?“ fragte jetzt Alejandro.
    „Das ist zusammengemengtes gepökeltes Rindfleisch, gehäckselter Salzhering, Steckrüben, Gewürzgurken und Zwiebeln alles zusammen gedünstet in Schweineschmalz und gekocht in Gurkenwasser und was da drauf liegt ist natürlich der Salzhering und das Spiegelei, die rote Beete und die eingelegten Gurken“, erklärte Skip detailliert.
    „Na“, sagte der Held lächelnd und legte dem Schiffsjungen kameradschaftlich eine Hand auf die Schulter. „Die Leute in Myrtana würden sich jetzt wohl die Finger danach lecken. Nur immer rein damit!“
    Sehr zaghaft begann Alejandro zu essen. Es schmeckte offenbar besser, als es aussah, denn er aß immer weiter.
    „He du“, hörten sie eine laute Stimme von hinten, doch sie fühlten sich nicht angesprochen und drehten sich nicht um. „He, ich rede mit dir, du Hafenratte!“
    Der Held wurde grob an der Schulter gestoßen. Er war überrascht, aber auch belustigt, denn so hatte ihn schon lange niemand mehr genannt.
    „Was ist los?“ fragte er und versuchte arglos in dieses bekannte Gesicht zu sehen.
    „Du hast mich beklaut!“ beschuldigte ihn der große, muskulöse Pensionär mit dem dicken Gesicht, der früher mal bei der Stadtwache war.
    „Ich? Dich? Muss ein Irrtum sein“, versuchte sich der Held herauszureden.
    Skip grinste und wandte sich schnell seinem Essen zu, damit der Bestohlene es nicht sah.
    „Nein, ich hab heute nicht mit vielen Leuten geredet, nur mit meinen Nachbarn, meiner Frau und dir und als ich eben bezahlen wollte, musste ich feststellen, dass mein Geldbeutel weg ist.“
    „Vielleicht wollte deine Frau einkaufen gehen“, scherzte der Held.
    „Vorlaut, was? Mal sehen, ob du noch so vorlaut bist, wenn ich dir die Scheiße rausgeprügelt habe“, sagte der Mann und baute sich vor dem Helden auf, wobei er seine Arme weit ausbreitete, um noch größer zu erscheinen.
    „Wenn du weiter so redest, überlebst du das Ende dieses Tages nicht“, warnte der Held ihn und nahm noch einen großen Schluck von seinem Bier.
    „Große Klappe hast du ja“, sagte der Riesenkerl zu ihm. „Aber bellende Hunde beißen nicht.“
    „Ach ja?“
    Der Held sah ihn schief an und stand auf. In Myrtana war es üblich sich zuerst ein Wortgefecht zu liefern und wenn das weiter eskalierte sprachen die Waffen. So war das nun mal.
    „Du hast dabei nur eins übersehen …“
    Metall klirrte, als der Held rasch sein Rapier zog und es dem Kerl, der gerade noch Zeit hatte fassungslos zu schauen, in die Gedärme stieß.
    „Ich bin kein Hund.“
    Der Abgestochene fiel stark blutend auf den Boden, röchelte und erstickte an seinem Blut. Sofort brach ein Aufruhr los. Einige schrien. Dann wurde es ganz plötzlich Totenstill. Die Leute schienen kollektiv den Atem anzuhalten und abzuwarten was der Mörder nun tun würde. Der Held sah sich skeptisch um. In Myrtana war es nichts weiter besonderes mehr, wenn sich zwei abstachen, man schaute mal kurz hin und hielt ansonsten die Schnauze, um nicht auch noch in den Streit hineingezogen zu werden, oder, wenn der Abgestochene ein Freund war, versuchte man sein Glück ihn zu rächen, doch hier taten alle gerade so, als wäre etwas Undenkbares geschehen. Die meisten wichen vor ihm zurück, sahen ihn sprachlos und ganz blass an, andere stürmten bereits voller Hast nach draußen, so als wäre Beliar selbst hinter ihnen her. Auch Alejandro sah aus, als würde er sich gleich in seinen Bierkrug übergeben. Miguel und Manuel waren untypisch ruhig und widmeten sich ganz ihren Getränken.
    „Was haben die denn?“ fragte der Held Skip, der gelassen auf seinem Hocker sitzen geblieben war.
    Der trank noch in Ruhe sein Bier aus, bevor er antwortete: „Die Leute hier sind es nicht gewohnt, dass einer so schnell zieht.“
    „Sollte ich etwa warten, bis er mir zuvorkommt?“ fragte der Held verwundert.
    Skip schüttelte den Kopf.
    „Nein, er hätte sein Schwert nicht gezogen. Das ist hier nicht üblich, es sei denn man wird gerade überfallen.“
    „Komische Leute“, kommentierte der Held, steckte sein Rapier von dem noch das Blut seines Opfers tropfte, zurück an den Gürtel und setzte sich wieder auf seinen Schemel.
    „He, Wirt noch ein Bier!“
    Der Wirt, blass wie ein Gespenst, beeilte sich der Aufforderung nachzukommen. Seine Hände zitterten und er versuchte seine Arbeit möglichst schnell zu erledigen. Vor lauter Aufregung verschüttete er etwas von dem Bier, so dass der Krug klebrig wurde. Den Helden störte das nicht, wohl aber die fassungslosen Blicke in seinem Genick. Er drehte sich noch mal zu den anderen Leuten um und fragte drohend: „Was ist? Hat sonst noch einer ein Problem mit mir?“
    Die Stille löste sich auf, als sich die Leute nun geschäftig damit beeilten dem Blick des Mörders auszuweichen. Wenig später waren nur noch der Wirt, Skip, der Held, Alejandro und die beiden anderen angetrunkenen Piraten anwesend.
    „Normalerweise sage ich einfach nur so, dass ich ein friedliebender Mensch bin, damit die Leute denken, dass das stimmt, aber im Vergleich zu dir, bin ich das wahrscheinlich wirklich. Ich hab bisher etwa neunzehn Leute umgelegt und du?“
    „Glaubst du wirklich ich zähle da mit?“ fragte der Held erstaunt.
    Skip runzelte kurz die Stirn und antwortete dann: „Nein, wohl eher nicht, da bist du nicht der Typ für.“
    „Sollten wir … sollten wir nicht vielleicht besser gehen?“ fragte Alejandro nervös.
    „Der Junge hat Recht, lasst uns abhauen.“
    Sie legten ein paar Goldmünzen, vermutlich zu wenige, auf den Tresen und gingen für Alejandros Geschmack etwas zu gemächlich zurück zur Murietta. Dort stand Greg am Pier und diskutierte mit ausholenden Bewegungen mit einer jungen Frau, die vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt war. Sie hatte ein ovales Gesicht, volle Lippen, aber tiefe Schatten unter den Augen. Ihre braunen Haare, die in der Nachmittagssonne leicht bronzen schimmerten, gingen ihr bis über den Nacken. Sie trug ein weißes, ordentliches Hemd und darüber ein Mieder aus Büffelleder. Anders als die meisten Frauen trug sie eine Hose. Sie war rostrot und wurde von einem langen, schmalen Gürtel gehalten.
    „Ich will aber aufs Schiff“, sagte sie energisch.
    „Aber ik will dat nich“, hielt Greg hartnäckig dagegen.
    Offensichtlich lief dieses Gespräch schon länger, aber die junge Frau wollte sich partout nicht abwimmeln lassen.
    „Ich kann hart arbeiten und ich kann kämpfen“, behauptete sie.
    „So? Ik sehe gar keene Waffe“, entgegnete Greg.
    „Die Stadtwachen haben sie mir abgenommen“, erklärte sie. „Lass mich einfach mit. Ich will weg von diesem prüden Ort wo es langweilig und beengt ist. Ich will raus in die Welt und Abenteuer erleben.“
    Greg verdrehte nur sein Auge.
    „Gibt es ein Problem?“ fragte der Held, während Skip, Miguel, Manuel und Alejandro neben ihm stehen blieben.
    Alejandro schaute interessiert, Miguel und Manuel unverhohlen lüstern.
    „Dat vermuckde Deern hier will unbedingt bei uns anheuern.“
    „Und?“ fragte der Held. „Lass sie doch. Du sagtest doch wir brauchen mehr Leute.“
    Greg warf ihm einen Blick zu, als wünschte er sich den Helden auf den Mond.
    „Nee, ik sagte, wir broken mehr Männer un sie is keen Mann, sie sieht aus, als hätt ihre Meume sie heute früh noch betüdelt.“
    „Alejandro ist auch noch nicht so alt und er darf mit“, setzte sich der Held für die junge Frau ein, weil er ihren Drang nach Abenteuern gut verstehen konnte.
    „Ja, lass sie doch mit“, kam es jetzt auch von Miguel. „Wir werden viel Spaß zusammen haben.“
    Greg warf dem Helden einen vielsagenden Blick in Richtung Miguel und Manuel zu, die so aussahen, als könnten sie es gar nicht abwarten diese junge Frau zu begrapschen. Das Gesicht des Mädchens wurde blass und sie sah angewidert zu den beiden angetrunkenen Männern.
    „Der kleene Muunskenkloon is aber ook nich so a lütt Schick. Ik kann keenen Backfisch op‘n Schiff gebroken, der all miene Männer verrückt makt un et is ook beter für se, wenn se hier an Land bleibt. Dat hier is eene ordentliche Stadt mit vielen braven Bürgern. De Paladine passen goot op de Leute hier op. Aber de Murietta is keen Schiff mit ehrbaren Rittern, sondern nur mit einfachen Seemännern. Willst‘e immer um se herum sein, um zu verhindern, dat de anneren nachts über se herfallen? Ne, dat is entschieden zu veel Aufwand für eene zusätzliche Arbeitskraft. Dat siehst‘e doch wohl ook een, oder?“ wandte er sich zuletzt an die junge Frau.
    Die seufzte schwer und sagte dann: „Na schön, dann eben nicht.“
    Sie ging betrübt den Kai entlang.
    „Och, schade“, sagte Manuel enttäuscht und sah ihr noch lange nach, bis sie im Gewühl der Menschenmassen verschwunden war.
    „Beter für se. Für so a jung Deern is een Piratenschiff einfach nich das Richtige“, sagte Greg und ging zurück an Bord.
    „Äh… Käpt’n wir sollten da mal über was sprechen“, sagte Skip nervös und warf einen kurzen Blick zum Helden, der gleich wieder an die Arbeit ging.
    „Wat is los?“ wollte Greg wissen.
    Skip warf ihm einen verkniffenen Blick zu. Greg ahnte schreckliches.
    „Jetzt sach nich et is irgendeene Katastrophe passiert.“
    „Nun, also …“, wollte Skip nicht so richtig mit der Sprache rausrücken und warf abermals einen Blick zum Helden, diesmal einen längeren.
    „Wat is? Is er dördreit?“ fragte Greg nach.
    „Naja … auf einmal lag ne Leiche aufm Boden, weil der Typ ne andere Meinung hatte als er. Meinte, er wäre bestohlen wurden.“
    „Dei bitt seck mit tahn Ratten dör 'n Tiun“, sagte Greg und seufzte.
    „Ja, er muss immer seinen Kopf durchsetzen“, gab Skip dem Kapitän Recht.
    „Was für Ratten?“ fragte Miguel, der wohl gelauscht hatte.
    „Na du, du Schiffsratte!“, rief Skip laut und lachte dann leise, als er erschrocken weglief.
    „Beter wir verschwinden recht schnell, bevor de ollen Drömel vun der Stadtwache hier anrücken“, sagte der Kapitän zu Skip und rief dann laut zu seiner Crew. „Alle Mann an Bord! Hotz mit de motz, makt de Murietta seeklar! Alle Leinen los un ein! Anker ein!“
    Die gesamte Crew war jetzt schwer beschäftigt, doch dem Kapitän ging es wohl nicht schnell genug.
    „Makt ma hinne Kinners! Wir wollen hier noch ablegen, bevor die örtliche Stadtwache uns verhaftet“, rief Greg und ging zu seinem Platz am Steuer, als Henry brüllte: „Klar zum Ablegen!“
    „Achterleine ein!“ rief Alligator Jack. „Vorleine ein!“
    „Aufklaren!“ befahl Henry.
    Die Festmacherleinen wurden von der Pier vom Poller genommen und an Bord eingeholt.
    Jeder Befehl der Vorgesetzten wurde von ihren Männern wiederholt, sobald sie den Befehl ausgeführt hatten. Am Gangspiel waren der Held und sein Trupp schon dabei den Anker hochzuholen. Die Abfahrt zog sich hin, denn damit sie nirgendwo dagegen schrammten, mussten sie langsam fahren.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Halbmondbucht

    Adloka musste riesig sein. Sie fuhren nun schon drei Tage an der Küste entlang und es nahm einfach kein Ende. Greg suchte anscheinend irgendetwas. Der Held brannte darauf das Land zu erkunden und sich in neue Abenteuer zu stürzen und so war er froh zu hören, als der Kapitän eines Nachts Befehl gab eine geschützte Bucht anzusteuern und dort zu ankern. Die Bucht war wie ein Halbmond geformt, weswegen sie auch Halbmondbucht hieß. Das Ufer bestand aus Kies und Sand, dann folgte eine kleine Wiese und anschließend ein hübsch verfärbter Mischwald. Auf der rechten Seite lagen die hoch aufragenden Schnarcherklippen.
    „Warum heißen die denn so? Pennen da welche und fallen dabei ins Meer?“ spottete der Held.
    „Ne, du Quatschkopp, wenn de Wind durch de Felsritzen pfeift, hört et sich so an, als würde jemand snuurken“, erklärte Greg, der seit Stahlstern nicht so gut auf den Helden zu sprechen war. „So, genuch gesnakt. Wegen unsrem flotten Abgang vun Stahlstern, mütten wir de grooten Reperaturarbeiten nu hier maken un nach eenem Dag wollen wir hier wieder wech sein. An de Arbeit! Henry, du un deen Trupp, ihr nutzt de Zeit, um mit den Ausbesserungsarbeiten weiter zu maken un de olden Segel gegen de neuen auszutauschen. Alligator Jack, du un deene Leute holt Water, da is `ne Quelle im Noorden. Geht einfach op de Barg un ihr werdet et schon finden. Miguel un Manuel, ihr nehmt de Euschammer un sammelt in de Bucht Muscheln un Krebse un wascht euch endlich ma wieder, ihr beiden Puttfarken! Water giffet in de Bucht genuch.“
    Die beiden Brüder sahen beklommen auf das ruhig wogende Wasser der Bucht.
    „Stint, du kletterst op de Schnarcherklippen un hältst Ausschau. Wenn du een anneres Piraatenschiff, oder eens voller Paladine siehst, schlägst du Alarm, verstanden?“
    „Aye“, rief Alejandro und schaute bang zu den hohen Felsklippen auf.
    Vielleicht fragte er sich wie er da hochklettern sollte.
    „Un du“, sagte Greg und war aufgrund der namenlosigkeit des Helden gezwungen ihn direkt anzusprechen, „du gehst innen Wald un holst wat zu freten. Am besten een Wildschwein, oder nen Hirsch.“
    „Aye. Was ist mit dir? Hast hier auch was verbuddelt, was?“ fragte der Held und sah Greg grinsend an, der sich gerade eine Schaufel auf die Schulter legte.
    Greg grollte.
    „Jo, hab ik, aber damit ihrs gleich wisst, davon kriegt ihr nix zum versaufen un zum verhuren. Dat is all für dee Kanonen, klar?!“
    „Aye“, kam es von der Mannschaft.
    Die Crew bereitete sich für die heutige Aufgabe vor, aber der Held war der einzige, der gleich von Bord sprang und zum Strand schwamm, ohne sich um das Beiboot zu kümmern.

    Es war mal wieder so richtig angenehm zu laufen. Auf der Murietta war dafür natürlich nicht genügend Platz. Natürlich hatte er auch dort durch die Takelage klettern und springen können und auch an Arbeit mangelte es auf dem Schiff nicht, aber er hatte seinen Auslauf vermisst und so lief er einige Zeit einfach nur durch den nächtlichen Herbstwald bis er zu einer neuen Bucht kam. Auch hier war das Ufer mit im Mondschein schimmernden Sand und kleinen Kieseln bedeckt. Die Wellen schlugen sacht gegen das Ufer. Es war ein Moment der Ruhe und des Friedens. Doch dann hörte der Held einen gellenden Schrei und lief los, um nachzusehen was da passiert war. Er erblickte eine Frau mit langen schwarzen Haaren am Strand, die vielleicht um die dreißig Jahre alt sein mochte, doch so genau konnte er das im Dunkeln nicht erkennen. Im Moment lief sie um ihr Leben. Der Held fand, dass sie sich irgendwie sehr ungeschickt anstellte. Eigentlich waren Lurker nicht besonders schnell, doch sie machte es ihnen leicht, verfiel in Panik, stolperte über einen Stein, verletzte sich dabei und hatte Schwierigkeiten aufzustehen. Ohne zu zögern rannte der Held los, stellte sich zwischen die Lurker, die so ähnlich aussahen wie in Myrtana, nur hier von blaugrüner Farbe waren, vermutlich, um sich besser im flachen Wasser tarnen zu können. Der Held zog sein Rapier und verpasste dem ersten Lurker links und rechts einen Hieb. Kaum brach das Tier zusammen, kam auch schon das zweite Tier auf ihn zu und griff an. Mit einem heftigen Stich durchbohrte der Pirat auch dieses Exemplar und es brach auf dem Boden zusammen.
    „Adanos sei Dank. Du hast mich gerettet“, sagte die Frau hinter ihm.
    Der Held sah sich zu ihr um und lächelte sie an.
    „Kein Problem. Sag mal, handelt ihr bei euch im Dorf mit Lurkerklauen?“
    „Was?“ fragte sie perplex.
    Sie hatte wohl mit allem möglichen gerechnet, so was wie eine Vorstellung, vielleicht sogar einen Rüffel warum sie sich so weit vom Dorf weg traute ganz ohne Schutz, aber mit dieser Frage hatte sie wohl nicht gerechnet.
    „Die Händler bei euch, kaufen die Lurkerklauen? Wenn nicht brauch ich mir gar nicht die Mühe machen und sie abschlagen“, erklärte der Held, der schon dabei war die Tiere zu häuten.
    Das ließ die Frau den Mund vor Ekel verziehen.
    „Bist du Jäger?“
    „Ja, das auch. Was hast du hier gemacht?“
    Diese Frage hatte sie wohl kommen sehen, denn diesmal wusste sie sofort eine Antwort.
    „Ich habe Muscheln gesucht. Jetzt in der Nacht kommen sie näher ans Ufer und sind viel leichter einzusammeln. Ich hatte schon viele gefunden. Da hinten muss mein Beutel sein. Ich habe ihn vor Schreck fallen lassen. Vermutlich waren die Lurker auch deswegen hinter mir her.“
    „Oder um dich zu fressen“, sagte der Held, ohne darüber nachzudenken was diese Worte in seiner neuen Bekanntschaft vielleicht auslösen mochten.
    Die Muschelsammlerin schluckte.
    „Ja, gut möglich“, sagte sie mit fast erstickter Stimme.
    „Soll ich dich zurück zu deinem Dorf begleiten, damit du nicht wieder von irgendwelchen Viechern angegriffen wirst?“ bot der Held an.
    „Sehr gerne. Ich hole nur schnell meinen Beutel.“
    Sie lief eilig los und als sie zurückkam, fragte der Held: „Hast du keine Waffe?“
    Die Frau sah ihn erstaunt an.
    „Nur ein Messer, um die Muscheln aufzustemmen.“
    „Verstehe“, kam es vom Helden. „Ich kann dir ein Schwert geben, wenn du eins brauchst.“
    Das ließ die Frau nur noch verwunderter schauen.
    „Du würdest mir einfach so ein Schwert geben?“
    „Wenn du was zum Tauschen hast, wäre das natürlich nicht schlecht“, antwortete der Held.
    „Ich … kann nicht mit einem Schwert umgehen, aber als Dank für meine Rettung, könnte ich dir eine Muschelsuppe machen, wenn du magst.“
    Sie schluckte und kam sich wohl reichlich dumm vor. Doch der Held sah sie nur an und antwortete: „Sehr gerne. Brauchst du noch etwas, oder sollen wir zurück zu deinem Dorf gehen?“
    „Für eine Nacht war mir das wirklich genug Aufregung“, erklärte die schwarzhaarige Frau.
    Der Held nickte und lief los. Die Muschelsammlerin sah ihm verwundert hinterher, bis ihr endlich auffiel, dass sie ihm nachrennen musste, wenn sie nicht ganz allein zurück bleiben wollte. Sie beeilte sich den Anschluss nicht zu verlieren, doch holte erst auf, als ihr Begleitschutz am Waldrand einen Keiler entdeckt hatte und ihm mit wenigen Hieben den Gar ausmachte.
    „So wie du jagst, hab ich es noch nicht gesehen. So … einfach auf die Biester zu rennen und umhauen. Das ist doch riskant. Die Jäger bei uns in Kiesstrand benutzen Pfeil und Bogen und schießen aus sicherer Distanz.“
    „Ja, das geht natürlich auch. Vielleicht sollte ich es mir mal angewöhnen. Ich brauche da nämlich noch Training“, gab der Jäger zu.
    Er lud sich das schwere Wildschwein einfach auf die Schultern und ging jetzt im Schritttempo weiter.
    „Schätze du hast nichts dagegen, wenn es bei dir die nächsten Tage Wildschweinbraten gibt?“
    Sie machte große Augen.
    „Willst du mir etwa das ganze Ding überlassen?“ fragte sie fassungslos.
    „Naja nicht das Ganze. Ich würde gerne auch einen Anteil davon haben. Bei euch im Dorf gibt es doch bestimmt einen Metzger, oder?“ fragte der Held.
    „Ich dachte du bist Jäger? Weißt du da nicht selbst wie man Tiere ausnimmt?“
    Sie biss sich auf die Zunge, nachdem sie gesprochen hatte, weil sie sich frech vorkam, doch der Held merkte gar nicht, dass sie etwas freches gesagt hatte und antwortete: „Doch, aber meist schneid ich mir nur die besten Stücke raus. Das Zerlegen dauert so lange und ich bin meist zu ungeduldig, um mich damit zu befassen. Meist schneide ich nur die wertvollen Stücke raus. Krallen, Zähne, und das beste Fleisch. Dann ziehe ich die Haut, oder das Fell ab und lasse den Rest liegen. In letzter Zeit fand ich aber, dass das recht verschwenderisch ist. Klar würde sich das Fleisch in der Wildnis schon irgendein wildes Tier holen, aber ich kann es ja auch gut gebrauchen. Deswegen kann mir das ja ruhig mal ein Metzger zerlegen. Wenn der sich einen Anteil nimmt, habe ich natürlich nichts dagegen.“
    Sie gingen schweigend durch die Dunkelheit. Die junge Frau sah sich immer wieder ängstlich in der Dunkelheit um, so als fürchtete sie, dass noch irgendein Biest aus dem Wald auf sie zugesprungen käme.
    „Ich heiße übrigens Magdalena“, stellte sie sich vor und schalt sich, weil es ihr erst jetzt einfiel sich vorzustellen.
    Sie erwartete wohl, dass er sich nun ebenfalls vorstellte, doch das tat er nicht, sondern fragte: „Verkaufst du auch Suppe?“
    „Nein, dafür hab ich zu wenig gesammelt, aber es gibt viele Fischer in meinem Dorf, dort kannst du auch etwas einkaufen.“
    Er nickte. Dann gingen sie wieder schweigend durch die Nacht. Ein zarter Morgenschimmer kündigte den neuen Tag an. Mit einem mulmigen Gefühl ging Magdalena auf die Kate ihrer Mutter zu. Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie früh am Morgen mit einem fremden Mann aufkreuzte? Kaum hatte Magda knarrend die morsche Tür geöffnet und war eingetreten, sah sie auch schon, wie sich ihr ein Licht näherte. Ihre verhärmte Mutter hatte eine Bienenwachskerze entzündet, sich eine braune Strickdecke übergeworfen und sah missbilligend zu ihr hoch. Ihre Mutter war zwar kleiner als sie, aber trotzdem kuschte Magda immer noch vor ihr.
    „Wo warst du so spät noch?“ fragte ihre Mutter forsch.
    „Muscheln sammeln“, sagte Magda leise, weil sie eingeschüchtert war.
    „Und wer ist das?“
    Die Mutter sah den Fremden nur undeutlich vor der Hütte stehen und durch das Wildschwein auf den Schultern, sahen seine Umrisse unförmig aus.
    „Er hat mich vor den Lurkern am Strand beschützt“, beeilte sich Magda zu erklären. „Ich hatte sie in der Dunkelheit zu spät gesehen und als ich weglaufen wollte, bin ich gestolpert und hingefallen.“
    „Dummes Ding!“ schalt ihre Mutter sie und warf ihr einen finsteren Blick zu. „Was streunst du auch draußen in der Nacht herum?“
    „Ich habe viele Muscheln gefunden“, sagte Magda zurückhaltend.
    Sie hatte sich eigentlich gegen ihre Mutter behaupten wollen, doch die hatte ihre zarte Entgegnung wohl gar nicht gehört.
    „Ich … ich habe meinem Retter zum Dank eine Muschelsuppe versprochen. Und … auf dem Weg hierher hat er noch ein Wildschwein gejagt. Er sagt, wir können auch etwas davon abhaben.“
    Ihre Mutter gab ein nicht zu verstehendes Grummeln von sich und sagte dann unwirsch: „Na dann stell die Muscheln hier ab und führ ihn zum Metzger!“
    „Ja, natürlich“, sagte Magda eilig, legte die gesammelten Muscheln in einen Eimer und verschwand rasch wieder aus der Kate.
    Es war schon fast eine Flucht. Draußen wagte sie dem Jäger nicht in die Augen zu sehen. Ihr Gesicht glühte rot. Sie dachte sich vermutlich, dass er bestimmt ein großer Jäger war, vielleicht sogar ein Krieger, aber sie kuschte selbst vor ihrer eigenen Mutter.
    „Ich zeige dir den Weg zum Metzger“, versuchte sie mit möglichst fester Stimme zu sagen, doch es klang wohl nicht sehr überzeugend, sondern etwas zittrig.
    „Gut“, sagte der Held bloß und folgte ihr, das schwere Wildschwein auf den Schultern, als würde es nichts wiegen.
    Die Kate lag außerhalb vom Dorf Kiesstrand. Magdalena erzählte, dass ihre Mutter als Kräuterhexe verschrien war und deswegen wollten die Dorfbewohner nicht, dass sie in ihrer Nähe wohnten. Gab es allerdings kleine und große Wehwehchen, oder es sollte ein Kind auf die Welt geholt werden, gingen die Dörfler trotzdem zu ihr, murrend und mit einem finsteren Blick im Gesicht, aber sie kamen und sie brachten Gold oder Tauschgegenstände für ihre Dienste. Magdalena überlegte sich was sie zu ihrem Retter sagen könnte. Irgendwie wollte sie ein Gespräch beginnen, aber sie wusste wohl nicht wie. Alles was ihr einfiel, kam ihr so belanglos vor. Das würde ihn bestimmt nur langweilen. Schließlich fragte sie: „Bist du weit herumgekommen?“
    „Ja“, antwortete er knapp.
    Sie wartete, doch er sagte nichts weiter. Wieder wurde sie rot. Da er hinter ihr lief, konnte er das bestimmt nicht sehen, doch sie fühlte sich trotzdem mies. Sie dachte sich, dass er wohl nicht darüber reden wollte, oder zumindest nicht mit ihr. Vermutlich war sie zu unwichtig für große Gespräche. Bis sie das Dorf erreichten, fiel ihr nichts mehr zu sagen ein. Die Dämmerung trieb die ersten Bewohner aus ihren Häusern und zur Arbeit. Gähnend schlurften die Bauern auf die Felder, die Handwerker in ihre Handwerksstuben, die Verkäufer an ihre Stände und auch der Metzger Makor schloss seinen Laden auf. Er war ein großer, vierschrötiger Mann mit roten Haaren und pockennarbigem Gesicht, einem breiten Schnurrbart und finsteren Augen, die meist argwöhnisch starrten. Verwundert sah er ihnen entgegen, als Magdalene dem Jäger die Tür aufhielt, damit er mit dem Wildschwein auf den Schultern leichter eintreten konnte.
    „Nanu? So früh schon Kundschaft? Du warst wohl nachts jagen?“ fragte der Metzger den Fremden.
    Magda beachtete er überhaupt nicht. Das wertete ihr Selbstvertrauen ganz sicher nicht weiter auf.
    „Klatsch es da auf die Theke!“ wies der Metzger den Fremden an.
    Der Held lud das Wildschwein auf die Theke und fragte: „Was möchtest du im Austausch dafür, dass du es möglichst gut zerlegst?“
    „Die Hälfte vom Wildschwein“, antwortete Makor prompt.
    „Die Hälfte? Du willst mich wohl verarschen?“ kam es rüde vom Helden zurück.
    Magdalena zuckte bei diesen harschen Worten zurück, denn sie mochte nicht, wenn sich Menschen anschrien und beschimpften.
    „Du kannst das Wildschwein ja wieder mitnehmen“, meinte Makor.
    „So? Sehe nicht, dass du heute schon viel Fleisch für deine Kundschaft anzubieten hast“, ließ sich der Jäger nicht beirren.
    Magdalena staunte wie selbstsicher er war. So als ob er nichts zu verlieren hätte und er notfalls das Schwein wirklich einfach wieder mitnehmen würde. Makor wurde rot und schnaubte.
    „Na schön, gib mir den Kopf, den Nacken und eine Keule und den Rest portioniere ich dir.“
    „Hört sich schon besser an“, sagte der Abenteurer und lächelte gewinnend. „Gibt es hier in der Nähe irgendwas Interessantes zu tun?“
    Makor sah den Jäger aus zusammengekniffenen Augen misstrauisch an.
    „Wüsste nicht was dich das angeht.“
    Der Held zuckte nur mit den Schultern. Er nahm Makors barsche Art einfach so hin. Der Metzger verlagerte sein Gewicht aufs andere Bein und raunzte dann: „Na schön … das Zerlegen dauert seine Zeit. Komm später wieder!“
    Der Jäger nickte und wandte sich einfach um und ging aus der Metzgerei.
    „Auf … wiedersehen“, beeilte sich Magdalena zu sagen und ging ihm nach.
    Sie sah wie der Jäger draußen auf der Straße stand und sich umsah. Natürlich könnten sie ab hier jetzt einfach verschiedene Wege gehen, doch es kam ihr undankbar vor, wenn sie ihm nicht wie versprochen die Muschelsuppe anbot.
    „Wenn du möchtest, kann ich dir zuhause jetzt die Muschelsuppe kochen“, sagte sie schüchtern.
    „Gerne.“
    Er ging jetzt neben ihr her und während sie noch überlegte, was sie zu ihm sagen könnte, fragte er bereits: „Was ist denn hier so los?“
    Sie war mit der Frage überfordert. Was sollte sie denn darauf nur antworten?
    „Hier? Das ist nur ein kleines Dorf. Hier ist nicht viel los.“
    Ihr Retter hob überrascht eine Augenbraue. Was hatte er denn erwartet?
    „Vor zwei Wochen feierten wir im Dorf Schlachtfest“, erzählte Magdalena.
    „Nein, sowas meine ich nicht. Mir geht es eher um irgendetwas Abenteuerliches. Gibt es hier verfluchte Gräber, mit Harpien verseuchte Türme, irgendwelche Bestien in den Wäldern?“
    Magdalena sah ihn erschrocken an und ihre Stimme brach, als sie schließlich hervorbrachte: „Ich … ich hoffe doch nicht, dass es hier in der Nähe so etwas gibt.“
    „Schade“, sagte der Held, der geradezu enttäuscht aussah.
    „Moment … es gibt da eine Höhle.“
    „Ja?“ fragte ihr Begleiter und horchte auf. „Wo ist diese Höhle?“
    „Ich weiß nicht genau, aber meine Mutter weiß wo sie ist. Sie hat dort früher Kräuter gesammelt. Sie kennt sich ein bisschen mit Alchemie aus und braut Heiltees und fertigt Salben und Verbände. Doch irgendwann sind dort Zombies aufgetaucht und sie hielt sich von da an von der Höhle fern.“
    „Hört sich gut an. Ich werde sie danach fragen.“
    Magdalena schaute überrascht, wagte aber nicht weiter etwas zu fragen. Zurück in der Kate stellte Magda erstaunt fest, dass ihre Mutter bereits begonnen hatte die Muscheln zu putzen. Das Wasser im Topf kochte schon.
    „Ah, da seid ihr ja. Schneid das Gemüse Magda!“, sagte ihre Mutter befehlsgewohnt und gab die Muscheln jetzt ins kochende Wasser.
    Magda beeilte sich ein scharfes Messer zur Hand zu nehmen und dann Lauch, Zwiebeln und Möhren auf dem Schneidbrett klein zu schnippeln. Währenddessen hatte der Held auf einem Stuhl am kleinen Tisch des Hauses Platz genommen und fragte die Kräuterfrau: „Deine Tochter hat mir von einer Höhle voller Zombies erzählt. Wo ist die?“
    Magdalena schaute besorgt zu ihrer Mutter, denn die hielt mitten in der Bewegung inne, so als wäre sie erstarrt. Zuerst glaubte Magda, ihre Mutter würde nicht mehr auf die Frage des Jägers antworten, doch dann sagte sie doch: „Sie liegt tief im Wald. Wenn du dich von hier aus nördlich hältst, kommst du an einem großen Findling vorbei, dort gehst du dann nach links. Dichtes Moos wächst zwischen den Bäumen und dämpft die Schritte wie eine dicke Decke. Es gefällt mir immer dort entlang zu gehen, weil der Boden so schön weich ist und es gibt dort viele Kräuter zu finden. Dann kommt ein Hünengrab, das so alt ist, dass hier niemand mehr weiß, wer dort begraben liegt und gleich darunter ist die Höhle. Früher bin ich dort oft gewesen, um Dunkelpilze, Dämonenpilze, Krötenwurz, Felsnesseln, Feuernesseln, Herrscherkraut und Steinkletten zu sammeln.“
    Der Held hob eine Augenbraue und fragte: „Steinkletten? Wie sehen die aus?“
    „Ach, das willst du wissen? Die anderen Sachen kennst du wohl schon?“
    Die Alte lachte heiser.
    „Wenn sie nicht blüht, ist es eine unscheinbare, schmale Pflanze mit langem Stängel, hoch nach oben ragenden dünnen hellgrünen Blättern und einem leichten süßlichen Geruch, wenn man ein Blatt zwischen den Fingern zerreibt.“
    Der Held nickt, das war damit abgehakt und fragte nun weiter: „Wie viele Zombies sind da drin?“
    Die Kräuterfrau zuckte mit den Schultern.
    „Was weiß ich. Ich habe nicht nachgezählt. Sonst war ich dort unten immer ungestört, doch auf einmal schlurften mir diese Dinger stöhnend entgegen. Ich habe mich so erschreckt, dass ich mein Kräuterbuch fallen ließ.“
    Sie hielt kurz inne und seufzte schwer.
    „Weil ich eine neue Pflanze gefunden hatte, wollte ich sie abmalen und im Buch beschreiben. Dieses Buch war mein ein und alles. Seit Jahrzehnten habe ich darin alle mir bekannten Heilpflanzen beschrieben. Diese neue Pflanze war sehr klein, kaum größer als ein Finger, leicht zu übersehen, mit robusten, dicken Blättern in der Form von Pfeilspitzen und lila Blüten. Ich war gerade dabei diese Pflanze abzumalen, als diese Zombies ankamen. Vor Schreck ließ ich alles fallen und hab mich dann nur noch drum gekümmert dort so schnell wie möglich zu verschwinden.“
    Wieder hielt Magdas Mutter inne und fuhr dann mit bitterer Stimme fort: „Die Dorfbewohner glauben, ich hätte diese Zombies in diese Höhle gebracht.“
    „Und hast du?“
    Es klang nicht wie eine Drohung, sondern einfach nur nach einer Frage.
    „Nein! Natürlich nicht!“ empörte sich die ältere Frau.
    Ruppiger als nötig stellte sie den Topf mit den inzwischen gekochten Muscheln auf der Arbeitsfläche ab. Sie schnaubte. Dann fasste sie sich wieder und goss den Sud in einen kleineren Topf. Sie sah nach ob die Arbeit ihrer Tochter beendet war.
    „Rein damit!“ befahl sie dann.
    Magda schob mit dem Messer all das geschnittene Gemüse vom Brettchen in den Topf mit dem Muschelsud und half ihrer Mutter dann dabei das Fleisch aus den Schalen zu holen und ebenfalls in den kleineren Topf zu geben, der nun wieder aufs Feuer kam. Während sie darauf warteten, dass die Suppe fertig wurde, setzten sich nun auch die beiden Frauen an den Tisch. Magda, die das Gefühl hatte dieses Gespräch gehörte eindeutig ihrer Mutter, überließ ihr das Reden.
    „Früher habe ich auch Sonnenaloe und Trollwurz gesammelt.“
    „Wie sieht Trollwurz aus?“ unterbrach der neugierige Abenteurer die Kräuterfrau.
    Sie verzog missbilligend den Mund, weil er sie unterbrochen hatte, zog ihre braune Strickdecke enger um sich und erklärte: „Das ist ein zähes Gewächs. Sieht aus wie niedriges Schilfgras, doch es ist braun und wächst meist in der Nähe von Trollen. Früher war ich so verwegen es zu sammeln. Einmal wäre ich dabei fast von einem Troll getötet wurden. Ein Jäger aus dem Dorf hörte meine Rufe und wollte mich retten. Er hatte seinen Sohn dabei, den er anlernte. War zu der Zeit vielleicht zehn Jahre alt. Sie schossen mit Pfeilen auf den Troll, doch das machte ihn nur wütend und er tötete den Jäger. Durch die Ablenkung habe ich fliehen können, doch ich fühle mich noch heute schuldig für seinen Tod.“
    Das Wasser brodelte und die Suppe drohte überzulaufen. Magdalena stand auf und nahm den Topf vom Herd. Sie goss drei Schalen mit der Suppe voll und stellte jedem eine Portion auf den Tisch und legte Holzlöffel daneben. Ihre Mutter begann sofort zu essen. Magdalena setzte sich ebenfalls und nahm den alten Holzlöffel zur Hand.
    „Lebt der Troll noch? Weißt du wo er ist?“ bohrte der Held weiter nach.
    Die Alte schlürfte die Suppe geräuschvoll und sagte dann ohne aufzusehen: „Ich weiß nicht. Ich habe mich nie wieder in seine Nähe gewagt und ich werde auch niemandem sagen wo das Unglück damals geschehen ist. Ich will nicht schuld an noch einem toten Jäger sein.“
    Das nahm der Held so hin, ignorierte den Löffel, nahm die Suppenschale zur Hand und trank sie ungeachtet der Hitze in einem Zug leer. Magdalena ließ erstaunt den Löffel fallen. Ihre Mutter bewahrte mehr Fassung und fragte lediglich: „Du bist wohl sehr hungrig was?“
    „Ich esse immer so“, erklärte der Held kurz angebunden. „Spart Zeit. Ich will gleich los und diese Zombiehöhle suchen. Die Suppe schmeckt genauso lecker wie versprochen.“
    Er war eindeutig kein Mann der unnötigen Worte. Offenbar war jetzt alles gesagt, denn er stellte die Schale auf dem Tisch ab, stand auf und verließ die Kate.
    „Komischer Vogel“, bemerkte die alte Kräuterfrau und sah wieder auf ihre Suppe hinab.
    „Immerhin hat er mich vor den Lurkern gerettet“, sagte Magda leise, weil sie das Gefühl hatte sich verteidigen zu müssen.
    „Lurker, ja, aber Zombies sind noch einmal etwas ganz Anderes. Ich habe das untrügliche Gefühl, dass wir diesen Mann das letzte Mal gesehen haben.“

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    Schlucht und Hünengrab

    Der Held lief zunächst zurück zum Metzger Makor, um das Wildschweinfleisch abzuholen. Erstaunt musste er von ihm hören, dass er noch lange nicht fertig sei.
    „Ich habe auch noch andere Kunden“, knurrte Makor, während er gerade etwas Wildschweinfleisch an eine Dorfbewohnerin verkaufte.
    Wildschweinfleisch, das wohl seiner Hälfte der Beute entstammte. Dafür hatte er also bereits Zeit gefunden, um es schnell verkaufen zu können. Der Held überlegte, ob er ihm aufs Maul hauen sollte. Die Tür klappte und ein junger Jäger trat in die Metzgerei. Er war recht klein und drahtig, hatte ein kantiges Gesicht, braunes Haar und graue Augen, trug eine braune Kluft aus Leder und Wolfsfellen, die ihn im Wald gut ab tarnte, aber nur einen leichten Schutz bot. Nach ihm kamen noch zwei weitere kräftigere Männer in Handwerkerkleidung, die angeregt darüber diskutierten was sie sich für Fleisch kaufen sollten.
    „Ich hab zwei Hasen anzubieten“, sagte der Jäger und hielt die zwei toten Tiere hoch.
    „Gut, ich gebe dir dafür fünfzig Goldstücke“, antwortete Makor.
    Ein Grummeln kam vom jungen Jäger.
    „Das reicht mir nicht. Sechzig.“
    „Du kannst ja gehen, wenn du willst.“
    Was beim Helden nicht gezogen hatte, funktionierte beim jungen Jäger. Er nörgelte, doch schließlich gab er sich mit fünfzig Goldstücken zufrieden.
    „He du“, suchte der Held das Gespräch mit dem jungen Jäger. „Ich hab gehört, du weißt wo sich hier ein Troll befindet.“
    Im ersten Moment huschte ein verschreckter Ausdruck über das Gesicht des jungen Jägers, doch schnell wurde er hart wie Stein.
    „Und? Was geht es dich an?“ raunzte er.
    „Der hat vorhin ein Wildschwein angeschleppt und glaubt jetzt bestimmt, dass er auch einen Troll jagen kann“, mischte sich Makor ein und lachte laut und schallend.
    Auch die beiden Handwerker brachen in rohes Gelächter aus, während die Frau, die Wildschweinfleisch gekauft hatte, sich beeilte die Metzgerei zu verlassen, denn wenn Männer über einen anderen Mann lachten, der aber anwesend war, bedeutete das meist eine Schlägerei.
    „Siehst mir eher aus wie ein Seemann“, sagte der Jäger und musterte den Helden.
    „Und?“ fragte der.
    „Was will ein Seemann mit einem Troll?“
    „Na jagen“, sagte der Held, als wäre das selbstverständlich.
    Makor und die beiden Handwerker lachten noch lauter.
    „Hör mal zu, du Schiffsratte. Einen Troll jagt man nicht mal so eben wie einen Thunfisch. Sie haben eine sehr dicke Haut und zotteliges Fell, dass sie schützt. Mein Vater ist damals bei dem Versuch umgekommen ihn zu töten. Seine Pfeile haben den Troll nur wütend gemacht.“
    „Ich hab noch nicht versucht einen Troll mit Pfeil und Bogen zu erlegen. Mal sehen ob es stimmt was du sagst“, sagte der Held leichthin.
    Der junge Jäger sah verärgert zum Helden.
    „Hast du ne Fleischwanze im Horchlappen? Ich hab dir eben gesagt, dass das nichts bringt. Verzieh dich zurück auf dein Schiff!“
    „Sonst was? Jetzt lass endlich aus dem Gesicht fallen wo dieser Troll ist, oder soll ich dir erst die Fresse polieren?“ drohte der Held.
    Sofort hörte das Gelächter im Hintergrund auf und es machte sich eine angespannte Stille breit. Ein wütendes Schnauben verließ die Nase des Jägers.
    „Na schön, wenn du unbedingt draufgehen willst … Der Troll lebt in einer Schlucht, eine halbe Tagesreise nördlich von hier. Sie ist leicht zu finden, denn am Eingang sind viele umgestürzte Bäume, die der Troll umgehauen hat.“
    „Gut“, sagte der Held nur und wandte sich dann noch mal kurz zu Makor: „Und wenn ich später wiederkomme ist es besser für dich, wenn das Wildschweinfleisch zerlegt ist.“
    Er verließ die Metzgerei und hörte noch wie Makor brummte: „So ein Idiot, aber mir soll‘s recht sein, wenn er krepiert, dann hab ich das ganze Wildschwein für mich.“

    Den entspannten Lauf durch den auch hier wunderschön verfärbten Herbstwald genoss der Held. Wie so oft waren seine Gedanken auf das wesentliche Konzentriert. Den Troll finden und töten, nach Hinterlassenschaften früherer Jäger suchen, die Sonnenaloe und das Trollwurz für die Kräuterfrau suchen. Später war dann die Höhle der Untoten an der Reihe.
    Die Morgensonne schien hell und sogar ein wenig wärmend auf ihn herab. Gelbe, orangene und rote Blätter wiegten sich leicht im frischen Wind und ein herber Geruch nach Regen und Laub lag in der Luft. Er folgte einem schmalen Wildpfad eine Senke hinab. Hier lagen überall Bucheckern und er sah Wildschweinspuren auf dem Boden. Er könnte Wildschweine jagen, doch der Metzger brauchte zu lange, um eins zu zerlegen. Vielleicht würde er später noch eins jagen und dann aufs Schiff mitnehmen. Jetzt wollte er sich aber nicht von der Trolljagd ablenken lassen. In den Bäumen hörte er Vögel und rostrote buschige Eichhörnchen sprangen durchs Geäst und auf den Boden, um Nüsse für den Winter zu sammeln. Der Held fand, dass es ein ungewöhnlich friedlicher Wald war. Weit und breit keine gefährlichen Viecher zu sehen.
    Es war Mittag als er den Eingang zur Schlucht erreichte. Der Held blieb stehen und sah sich die Umgebung an. Wie der junge Jäger gesagt hatte, waren hier überall zerbrochene Äste und zerstörte Bäume. Einen davon hatte der Troll wohl kürzlich als Keule genutzt, denn ein toter Schattenläufer lag mit zertrümmerten Knochen auf dem Boden. Der Held besah sich den Kadaver, entschied dann aber, dass er schon zu beschädigt war, um noch das Fell abzuziehen. Doch das Horn war noch zu gebrauchen. Dieser Schattenläufer sah anders aus als die von Khorinis oder Myrtana. Er war schmal, hatte einen geschmeidigeren Körperbau und nur ein schmales, aber spitzes Horn auf dem Kopf. Die Fänge waren ebenso schmal und spitz. Vermutlich griff diese Art eher mit schnellen, geschickten Angriffen an, als auf rohe Rammangriffe zu setzen. Der Held hatte das Horn gerade vom Schädel gelöst und in seine Tasche gesteckt, als er ein fernes Grollen hörte. Das musste der Troll sein. Vielleicht war es eine Art Gähnen, oder Stöhnen, so genau konnte der Held das nicht einordnen, doch es sagte ihm, dass der Troll nicht weit entfernt sein konnte. Der Canyon war zerklüftet und von dürren Gebüschen und braunen Gräsern geprägt. Bäume hatten es hier schwer. Die Spuren, die der Troll hinterlassen hatte, waren nicht zu übersehen. Weil der Held ausprobieren wollte, wie er sich im Bogenschießen gegen den Troll schlagen würde, zog er einen Kampfbogen aus der Tasche und legte auch einige Pfeile parat. Natürlich ahnte er, dass die Pfeile in der dicken Haut des Trolls stecken bleiben würden und er wusste von seinen Schwächen im Bogenschießen. Natürlich könnte er auch einfach Uriziel ziehen und damit gegen den Troll kämpfen, aber das wäre ja keine so spannende Herausforderung. Vorsichtshalber rüstete er sich aber mit dem magischen Erzschwert aus. Zielstrebig folgte er den Spuren des Trolls und konnte ihn auch immer deutlicher hören. Er hörte ihn schnaufen und grollen. Als der Held dann um eine Kehre bog, sah er ihn schließlich. Vielleicht war es schon ein alter Troll, oder die Trolle in Adloka waren immer grau. Sein Fell war dichter, als das der Trolle von Khorinis. In Myrtana waren die Trolle sogar völlig frei von Fell. Dieser hier hatte eine Art Bart und dichte Zotteln am Bauch. Er saß in einer Felsnische und hantierte ungelenk mit zwei Steinen. Immer wieder schlug er sie gegeneinander und hielt dann inne. Vielleicht versuchte er etwas daraus zu machen, oder er erfreute sich einfach nur an dem Geräusch, das dabei entstand und dann den Canyon hochhallte. Für eine gute Schießposition kletterte der Held auf einen Felsen. Mit geübten Griffen legte er einen Pfeil an und schoss ihn auf den arglosen Troll. Er traf ihn mitten ins linke Auge. Ein Glückstreffer. Der Troll heulte auf und schlug dann um sich, weil er noch nicht wusste woher das Unglück kam, das ihn ereilt hatte. Das nutzte der Held gnadenlos aus, um weitere Pfeile auf den Troll zu schießen, doch jetzt hatte er nicht mehr so viel Erfolg. Die meisten Pfeile blieben noch im Fell stecken, ohne das Fleisch auch nur zu berühren. Seine Angriffe führten nur dazu, dass der Troll nun wusste wo die Plage war, die ihn piesackte. Er kam auf ihn zu und versuchte ihn zu greifen, doch der Held rutschte am Felsen hinunter, achtete darauf, dass der Felsen immer zwischen sich und den Troll war und schoss weiter. Der Troll heulte auf, doch diesmal mehr aus Frustration, als aus Schmerz. Mit seinem verbliebenen Auge suchte er nach seinem Gegner und neigte den Kopf, um ihn hinter dem Felsen zu entdecken. Emsig schoss der Held weiter Pfeile in der Hoffnung auch noch das andere Auge zu erwischen, doch ihm dämmerte, dass es so nichts werden würde und er zu althergebrachten Methoden zurückkehren müsste. Er steckte gerade den Kampfbogen weg, als eine große Hand zwischen die Felsen griff und ihn ins Freie schupste, weil der Troll ihn noch nicht richtig zu fassen bekam. Gleich darauf kam eine andere Hand und fegte ihn weg. Der Held flog einige Meter und knallte dann hart gegen einen Felsen. Obwohl der Held ein zäher Kämpfer war, ließ ihn dieser Angriff benommen zurück. Während er noch versuchte wieder auf die Füße zu kommen, kam der Troll erneut bedrohlich auf ihn zu, diesmal um den Helden mit der rechten Hand zu greifen und zu zerquetschen. Vielleicht wäre dies sein Ende gewesen, hätte er nicht noch im letzten Moment Uriziel vom Rücken gerissen und in die nach ihm ausgestreckte Hand gestoßen. Ohrenbetäubend hallte das schmerzgeplagte Brüllen des Trolls in der Schlucht. Seine Hand blutete heftig und hatte auch noch durch Uriziels magischen Angriff Feuer gefangen. Vor Wut rasend schüttelte der Troll seine verletzte Hand, doch das Feuer ging nicht aus, fachte sich nur noch mehr durch die Luft an. Der Held nutzte die Ablenkung des Trolls, indem er um ihn herumrannte und ihm mit Uriziel die Beinsehnen durtrennte. Als der Troll dann zu Boden ging, stieß der Held ihm das Schwert wuchtig in den Kopf. Der Trollschädel knirschte und das große Wesen starb. Mit wild hämmerndem Herzen stand der Held einen Moment nur da, um wieder zu Atem zu kommen. Dieser Kampf hatte ihm wirklich gefallen. Er sollte öfter mit dem Bogen schießen. Um Uriziel wieder aus dem harten Schädel zu bekommen, musste der Held viel Kraft aufwenden. Zufrieden ging er um den toten Troll herum und musterte ihn. Ein herrliches Fell und kaum beschädigt. Schon begann er dem Troll das Fell abzuziehen und er schlug auch dessen Hauer heraus, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass sie sich gut verkaufen ließen. Nun hatte er genug Zeit, um sich seine Umgebung genauer anzusehen. Die Nische, in welcher der Troll gesessen hatte, war wohl sein Unterstand. Hier lagen Knochen und Reste von Ästen und Büschen, an denen früher Beeren und Früchte gehangen hatten. Er fand das von der Kräuterfrau begehrte Trollwurz in Massen und sammelte es Büschelweise ein. Auch zwei Sonnenaloe nahm er mit. Ansonsten gab es nichts von Bedeutung. Unverzagt suchte der Held die Schlucht weiter ab und fand weiter hinten ein Schutzamulett im Gras, das den Träger leicht vor Nahkampfangriffen schützte. Es gehört vermutlich dem Jäger, der vor einigen Jahren ebenfalls versucht hatte den Troll mit Pfeilen zu töten. Der Held dachte sich, dass sein Sohn bestimmt daran interessiert war und steckte es ein. Der Jäger war wohl nicht der einzige, der versucht hatte den Troll zu töten. Er fand noch einige rostige Rüstungen und Schwerter, Äxte und Hämmer, Bögen und Armbrüste. Was noch einigermaßen zu gebrauchen war, sammelte er ein, den Rest ließ er liegen. Sonst gab es nichts zu holen. Die Trolljagd war für ihn damit abgeschlossen und er verließ die Schlucht, um sich der zweiten Aufgabe zuzuwenden. Dem Hünengrab mit den Zombies. Nachdem er einige Zeit durch den nachmittäglichen bunten Herbstwald gelaufen war, fand er die von der Krätuerhexe beschriebene Stelle. Ein großer Findling wies ihm den Weg. Dichtes, weiches Moos bedeckte hier den Waldboden wie ein dickes warmes Kissen. Leise ging er jedoch nicht, denn die über dem Moos liegenden Blätter raschelten vernehmlich. Wie die alte Frau gesagt hatte, gab es hier einige Kräuter zu finden, darunter Eisenhalm, Harnischkraut, Ogerblatt, Snapperkraut und Wolfskraut. Es wuchsen auch viele Beeren, aus denen Samuel bestimmt guten Schnaps brennen konnte und so pflückte der Held, bis er der Meinung war, dass es reichte. Dann setzte er seinen Weg fort und fand auch bald das Hünengrab. Oben gab es nicht viel zu sehen. Dicht mit Moos bewachsene Megalithen standen und lagen übereinander. Der Held sah sich das kurz an und suchte dann den Eingang zur Höhle. Fast hätte er ihn übersehen, denn mittlerweile hatte das Dickicht den Eingang verdeckt. Vorsichtshalber setzte der Held einen Lichtzauber ein, zog dann sein Rapier und ging ins Dunkel. Drinnen war es kalt, feucht und roch durchdringend nach Moder. Grüne Pilze gediehen prächtig und auch verschiedene Kräuter wuchsen hier, ganz wie die Kräuterfrau gesagt hatte. Doch viel Zeit zum Gucken blieben ihm nicht, denn die Zombies ließen nicht lange auf sich warten. Ein beherzter Streich nach links und rechts und schon fiel der erste zusammen. Es drängten jedoch gleich drei weitere nach. Unermüdlich ließ der Held sein Rapier durch die Luft fliegen. Natürlich könnte er auch den Zauber Untote Vernichten einsetzen, doch der Held hatte Lust mit seiner Einhandwaffe zu kämpfen. Er hatte sich die erste Kreuzung in der unterirdischen Höhle nun freigeschlagen, doch brachte dies auch neue Probleme mit sich, denn nun drängten von beiden Seiten wandelnde Untote auf ihn ein. Der Held wich also zum Eingang zurück, um Elmo das Skelett zu beschwören, während die Untoten recht langsam auf ihn zu wankten. Erneut stürmte der Held verwegen vor und durchbohrte einen Zombie, bevor dieser überhaupt seinen gammligen Arm heben konnte. Während er sich weiter durchmetzelte, hielt Elmo ihm den Rücken frei. Es war nicht wirklich eine nervenzerfetzende Schlacht, doch trotzdem genoss der Held sie, denn endlich konnte er mal wieder nach Herzenslust kämpfen, ohne sich Gedanken um andere Leute um sich herum machen zu müssen. Er hatte bestimmt schon über zwanzig Zombies getötet, als sich ein Skelettmagier zeigte. Zu spät hatte der Held ihn gesehen und wurde von seinem Eisblockzauber eingefroren. Glücklicherweise war Elmo zur Stelle, um gegen den Skelettmagier zu kämpfen. Zur Untätigkeit verdammt konnte der Held nichts machen und musste darauf warten, dass der Zauber nachließ. Elmo schlug sich recht gut, wich sogar einem Blitzzauber aus und verpasste mit seinem rostigen Zweihänder so empfindliche Hiebe, dass Knochenstückchen durch die Luft flogen. Allerdings kam für Elmo dann doch das Ende in Form eines Kugelblitzzaubers. Das Skelett zerfiel und nun war der gefangene Held allein mit dem untoten Magier. Dieser schwebte einen Moment einfach nur in der Luft herum und erfüllte gleich zwei am Boden liegende Zombies mit neuem Unleben. Das wiederholte er gleich drei Mal. So dass acht Zombies bereit standen, als der Held sich endlich wieder rühren konnte. Die Zombies bildeten nun eine schützende Wand vor ihrem Meister und während sich der Held noch durch sie durchzukämpfen versuchte konnte der Magier immer mal wieder Kugelblitze nach ihm werfen, die empfindlich schmerzten. Die Piratenrüstung war nämlich nicht so gut gegen Magie geschützt. Natürlich hätte er auch eine andere Rüstung anlegen können, doch war ihm das zum einen zu umständlich gewesen und zum anderen wollte der Held mit dieser Rüstung besser umzugehen wissen. Sie hatte nämlich auch Vorteile. So waren schnelle Bewegungen mit ihr leichter und er setzte mehr aufs Ausweichen, als darauf, dass sie ihn schon vor allem Schaden bewahren würde. Nachdem er wieder einmal zurückgewichen war, sammelte er seine magische Kraft für einen Feuersturm und als er ihn losließ lag das vielstimmige Schreien der verbrennenden Zombies in der Luft. Um auch den Skelettmagier loszuwerden schickte er gleich noch einen zweiten Feuersturm hinterher. Der Haufen von Knochen und Lumpenfetzen fiel brennend zu Boden und regte sich nicht mehr. Der Held sah enttäuscht von sich selbst auf die Zombies und den Knochenhaufen herab. Eigentlich hatte er ohne Magie gewinnen wollen, doch die Ungeduld hatte dann doch wieder die Oberhand errungen. Rasch zog er einen großen Manatrank aus seiner Hosentasche und kippte sich die Flüssigkeit in den Hals. Bei den Überresten des untoten Magiers fand er ein seltsam schwarz schimmerndes Amulett mit einem eingelassenen Opal. Es verstärkte Magie, aber nicht so sehr, als dass es sich lohnen würde es statt seines derzeitigen Amuletts anzulegen. Anschließend suchte er die Höhle ab, sammelte jeden einzelnen Pilz ein und all die Kräuter, die er finden konnte. Schließlich nahm er auch das Buch der Kräuterhexe mit, das recht weit am Eingang lag. Im Grunde hätte er es auch einfach nur holen und zurückbringen können. Doch wenn der Held etwas tat, dann richtig und er wüsste einfach nicht, warum er die Höhle nicht von den Untoten hätte säubern sollen. Draußen stellte er sich in die Sonnenstrahlen, die durch die lichter werdenden Baumkronen drang und blätterte ihm Kräuterbuch der alten Frau. Sehr gewissenhaft beschrieb sie verschiedene Heilkräuter, aber auch Giftpflanzen. Auf der linken Seite gab es jeweils eine ausführliche Beschreibung, wann die Pflanze geerntet werden sollten und zu was sie zu gebrauchen war, dazu noch Anweisungen für die Herstellung diverser Mittelchen, die aus der Pflanze gewonnen werden konnten. Rechts hatte sie jedes Mal ein Bild gezeichnet. Dabei bewies sie sehr viel Können. Auf der letzten bemalten Seite fand er die kleine Pflanze mit den dreieckigen Blättern, die er auch in der Höhle gesammelt hatte. Die Lektüre dieses Buches war seinem Wissen über Alchemie sehr zuträglich gewesen und er hatte einige Kniffe, die ihm besonders wichtig erschienen sogar in sein Tagebuch übertragen. Zufrieden steckte der Held das Kräuterbuch ein und ging Richtung Süden. Er hoffte noch etwas Interessantes zu finden, doch dem war leider nicht so. Am späten Nachmittag gelangte er lediglich zum Haus der Kräuterfrau. Als er eintrat hörte er Geschirr zerschellen.
    „Du?“ fragte Magdalena und auch ihre Mutter sah verwundert aus.
    „Hattet ihr wen anders erwartet?“ fragte der Held.
    „Nun … nicht direkt“, sagte Magda schüchtern.
    „Hier“, sagte der Held kurz angebunden und gab der Kräuterfrau ihr Buch zurück.
    „Du hast es tatsächlich gefunden. Wie hast du das gemacht?“
    „Wie wohl? Zum Hünengrab gegangen, die Zombies und den untoten Magier getötet und … ach ja…“
    Der Held kramte noch die Hälfte der Kräuter hervor.
    „Hier, das hab ich unter dem Hünengrab gefunden. Kannst du bestimmt gut gebrauchen. Weißt du schon wofür die kleinen Pflanzen mit den dreieckigen Blättern sind?“
    „Nein, hatte keine Zeit das herauszufinden, aber ich werde es untersuchen.“
    Die alte Frau sah ungläubig auf all die Pflanzen, die der Held auf dem Tisch abgelegt hatte.
    „Sagtest du gerade untoter Magier?“ fragte Magda.
    „Ja, schwebte hinten in der Höhle rum. Der war es vermutlich, der all die Zombies beschworen hat, aber wo er selbst her kam kann ich nicht sagen. Jedenfalls sollte es jetzt wieder sicher sein und du kannst dort wieder Kräuter sammeln“, erklärte der Held und sah seine Aufgabe damit als abgeschlossen an.
    „Hier, nimm dieses Gold als Dank für deine Mühen“, sagte die alte Frau und reichte ihm einen leidlich gefüllten Goldbeutel, doch der Held war nicht enttäuscht.
    Er wusste, dass jeder das gab was er für angemessen hielt und entbehren konnte.
    „Es steht noch eine Fischsuppe auf dem Herd, wenn du etwas essen möchtest“, bot Magda an.
    Der Held nickte und sie beeilte sich rasch drei Schüsseln zu füllen und zu den drei Löffeln auf den Tisch zu stellen, indem sie die Kräuter sacht beiseiteschob. Sie setzten sich und Magda und ihre Mutter ergriffen die Löffel. Der Held wollte gerade zur Schüssel greifen, als er von Magda gefragt wurde: „Hattest du überhaupt keine Angst dort unter dem Hünengrab?“
    „Nein“, antwortete der Held knapp.
    Die Mutter schluckte ihren Löffel Suppe hinunter und sagte dann: „Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal zu sehen. Wie viele Zombies waren es denn?“
    „So genau hab ich nicht gezählt. Vielleicht zwanzig oder so“, sagte der Held und zuckte mit den Schultern, dann nahm er die Schüssel und stürzte seine Suppe wieder schnell hinunter.
    „Hast du es wieder eilig?“ fragte Magda verwundert. „Wo willst du denn hin?“
    „In die Stadt“, sagte der Held und stand wieder auf. „Das Wildschwein ist jetzt bestimmt zerlegt und ich möchte dem Jäger das Amulett seines Vaters zurückgeben.“
    Die Alte ließ vor Schreck ihren Löffel fallen. Suppe spritzte auf ihre Hände und den Tisch. Ihre Augäpfel hüpften erschrocken.
    „Sag nicht, du warst in der Trollschlucht“, stieß sie atemlos hervor.
    „Doch. Der Jäger hatte Recht. Pfeile bringen wirklich nicht viel. Es ist nicht nur wegen der zähen Haut. Diese Trolle hier haben auch noch so dickes Fell da gehen sie einfach nicht gut durch. Egal. Mit meinem Schwert ging es auch. Du wolltest doch auch etwas von dem Wildschwein abhaben, richtig? Dann kommst du am besten mit“, sagte der Held zu Magda, die bereits die Augen aufgerissen hatte und nun alles stehen und liegen ließ, um mit dem Helden mitzugehen.
    „Einen Jäger wie dich habe ich wirklich noch nicht getroffen“, versuchte Magda ein Gespräch in Gang zu bringen, doch der Held antwortete nicht, da er dies nicht als Frage auffasste.
    Sie fasste das als Desinteresse auf und traute sich nicht mehr etwas zu sagen. Auf dem Dorfplatz fanden sie den Jäger, der auf einer Bank saß und sich ausruhte.
    „Na, hast du den Troll erlegt?“ fragte der junge Jäger und feixte.
    „Ja, hier, das hab ich dort gefunden. Ich schätze es gehörte deinem Vater“, sagte der Held kurz angebunden und holte das magische Amulett aus der Hosentasche.
    Wie versteinert blickte der junge Jäger auf das Amulett, dass der Held ihm hinhielt.
    „Das ist wirklich das Amulett meines Vaters“, sagte er leise und wurde ganz blass.
    „Willst du es jetzt, oder nicht?“ fragte der Held, der langsam ungeduldig wurde, weil der Jäger es nicht sofort an sich genommen hatte.
    „Na…natürlich. Dan… äh… Vielen Dank“, stammelte der Jäger und wusste nicht wie er sich ausdrücken sollte.
    „Hast du wirklich den Troll getötet?“ fragte einer der Arbeiter, der am Morgen in der Metzgerei war.
    „Den Troll?“ fragte ein Bauer und wandte sich um.
    „Den in der Schlucht?“ fragte ein anderer.
    „Kann nicht sein“, sagte ein Handwerker.
    Rasch bildete sich eine große Traube um den Helden und den Jäger.
    „Wo ist der Beweis, dass du den Troll wirklich getötet hast?“ fragte Makor, der Metzger ruppig, der nun auch herbei gekommen war.
    Der Held zog das große Trollfell aus seiner Hosentasche. Die Augen der Bürger wurden immer größer. Schon allein, dass dieser Mann ein riesengroßes Fell aus seiner kleinen Hosentasche zog war eine Sensation, aber dann war es auch noch das Fell des Trolls aus der Schlucht, jenes sagenhafte und erschreckende Geschöpf vor dem sich die Bewohner des Dorfes schon seit Jahrzehnten fürchteten.
    „Ihr könnt es gerne kaufen, aber dafür möchte ich fünfhundert Goldstücke haben“, sagte der Held, der eilig überschlagen hatte was er dafür verlangen konnte.
    Ein Raunen und Tuscheln ging durch die Dorfbewohner.
    „Wir könnten es am Dorfplatz aufhängen“, schlug ein Bauer vor.
    „Da wird es doch nur nass“, gab ein anderer zu bedenken.
    „Wenn wir ein Rathaus hätten, könnten wir es dort aufhängen“, sagte ein Handwerker.
    „Haben wir aber nicht. Wir sind nur eine kleine Siedlung“, gab ein Fischer zurück.
    „Dann eben in die Taverne damit“, schlug der Schmied vor. „Dort sehen es alle und es wird vielleicht sogar Leute aus anderen Dörfern anziehen, die es sich mal ansehen wollen.“
    „In Ordnung“, kam es sofort vom Wirt. „Ich werde meine Taverne umbenennen, vom „zum schwimmenden Hecht“ in „zum weißen Troll“.“
    „Ich hab auch noch seine Hauer, wenn du willst“, bot der Held an.
    Die Dorfbewohner machten immer noch große Augen, als er auch diese aus der Tasche zog.
    „Aber wer bezahlt das?“ wollte der Wirt wissen.
    „Na du, ist doch deine Taverne“, meinte ein Bauer.
    „So viel Gold hab ich nicht“, sagte der Wirt zerknirscht.
    „Was hast du denn zum Tauschen da?“ fragte der Held. „Bestimmt viel zu Essen und reichlich Schnaps, oder?“
    „Natürlich, hab doch eine Taverne“, stimmte der Wirt zu.
    „Gut, dann gehen wir mal zu dir und tauschen.“
    Der Held ging los und nachdem der Wirt einen Moment ihm einfach nur nachgeglotzt hatte, ging er mit ihm mit und eine aufgeregt schnatternde Schaar von Dorfbewohnern folgte ihnen. Freigiebig zeigte der Wirt dem Trolljäger seine volle Speisekammer. Der Held hatte es vor allem auf haltbare Lebensmittel und Alkohol abgesehen. Für das Trollfell und die Hauer forderte er zwanzig Schinken, zehn Töpfe Honig, einen großen Packen Bauchspeck, drei Säcke Zwiebeln, zehn Packen Zwieback, dreiundzwanzig Knoblauchknollen, siebenundvierzig Rüben, fünfundzwanzig geräucherte Buntbarsche, dreiunddreißig eingelegte Heringe, fünfunddreißig Beerenschnäpse, dreiundfünfzig Bierflaschen und siebzehn Flaschen Kräuterschnaps, der hier flotter Frank genannt wurde. Erstaunt sahen alle Bürger dabei zu wie ein Lebensmittel nach dem anderen in der unergründlichen Tasche des Abenteurers verschwand. Zu fragen wie das mit rechten Dingen zugehen konnte, wagte aber keiner. Vermutlich würde dieser Tag noch wochenlang das Gespräch im ganzen Dorf sein. Nachdem der Held alles eingesteckt hatte, drehte er sich zum Metzger um und sagte: „Was ist mit meinem Wildschwein? Hast du es endlich zerlegt?“
    „Ich … ja, natürlich.“
    Der Metzger wurde blass im Gesicht. Mit jemandem, der ganz offensichtlich einen Troll zur Strecke bringen konnte, wollte er keinen Streit. Sie gingen zur Metzgerei, wo Makor ihm seinen Anteil gab.
    „Das ist aber weniger, als wir ausgemacht haben“, knurrte der Held, der sich schon denken konnte, dass der Metzger etwas von seinem Teil an seine Kundschaft verkauft hatte.
    „Tut mir leid“, sagte der Metzger und senkte unterwürfig den Kopf. „Ich geb dir noch diese Zwei Hasen dazu.“
    „Reicht nicht“, sagte der Held knapp.
    „Dann noch hundert Goldmünzen?“ fragte Makor und wurde nervös.
    „Abgemacht“, sagte der Held und mit einem Handschlag besiegelten sie die Übergabe.
    Nachdem Fleisch und Gold den Besitzer gewechselt hatten, wandte sich der Held Magdalena zu.
    „Und wie versprochen bekommst auch du deinen Anteil vom Fleisch.“
    Er reichte ihr einen großen Haufen fein säuberlich filetiertes Wildschweinfleisch.
    „Danke“, war Magdas zartes Stimmchen fast nicht zu hören.
    Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, verließ der Held erst die Metzgerei und dann das in Aufregung geratene Dorf.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Fleisch im Überfluss

    Der Abend senkte sich über den bunten Mischwald hinab und auf seinem Weg zurück zur Halbmondbucht freute sich der Held über den erfolgreichen Tag. Im dämmernden Dunkel knackte es plötzlich laut im Unterholz und zwei blutrünstige Ripper brachen aus den Büschen. Was für eine Freude. Der Held schmiss rasch einen Blitzschlag auf das eine Tier, das daraufhin gequält aufquickte und zurückschreckte und griff dann das andere an. Voller Aggressivität schnappte der Ripper nach ihm, doch der Held wich nach rechts und stach ihm dann sein Rapier ins linke Auge. Gequält riss sich das Tier los und vergrößerte die stark blutende Wunde damit ungemein. Jetzt kam der andere Ripper angeprescht und wollte den Helden wegschubsen, doch der hatte das kommen sehen und wich behände aus. Er ritzte dem Ripper die Haut auf, so dass dieser zurückzuckte. Die beiden Tiere waren nun vorsichtiger und griffen nicht mehr so stürmisch an. Bestialisch schnaubend scharrten sie mit den Klauen und wühlten so den Waldboden auf. Der Held sah ein, dass er jetzt selbst angreifen musste. Mit einem gut gesetzten Hieb, hatte er die Kehle des einen Rippers aufgeschlitzt und dem anderen ins weit aufgerissene Maul gestoßen, wobei ein Hauer seine rechte Hand verletzte. Die beiden Ripper brachen tot zusammen. Der Held heilte sich mit einem Zauber und entschied dann die beiden Tiere nicht hier auszunehmen, sondern auf dem Schiff. Greg hatte doch gesagt, er sollte etwas zu Essen ranschaffen und die beiden Ripper, der Proviant vom Wirtshaus und das angefangene Wildschwein sollten doch wirklich mehr als ausreichend sein, oder? Doch wie sollte er die beiden großen Tiere zum Schiff bringen? Eins allein wog vermutlich mehr als doppelt so viel, wie er selbst. Doch wie so oft wusste sich der Held zu helfen, kramte in seiner Hosentasche nach einer bestimmten Rune und wenig später erschien Bob der Steingolem.
    „Schleif die beiden Ripper hinter mehr her aufs Schiff!“ befahl der Held in entschlossenem Tonfall.
    Bob zögerte nicht und packte die beiden Ripper bei den dicken Schenkeln und als der Held sich in Bewegung setzte, folgte der ihm. Der Held freute sich über seinen Einfall, denn es war noch ein gutes Stück bis zum Schiff. Als er den Wald schließlich verließ und über die Wiese zu seinen Piratenkameraden lief, sah er wie Alligator Jacks Entertrupp durchdrehte. Eigentlich rollten sie Wasserfässer zum Schiff, doch jetzt ließen sie alles stehen und liegen und zeigten immer wieder aufgeregt hinter den Helden.
    „Hinter dir!“ hörte er dann auch schon Alligator Jack rufen.
    Der Held runzelte die Stirn, blieb stehen und sah sich um. Doch da war nichts weiter, nur Bob, der die beiden Ripper durchs vom Mondlicht silbern gesprenkelte Gras schleifte und nun folgsam stehen blieb, weil sein Herr angehalten hatte.
    „Was ist?“ fragte der Held und zuckte mit den Schultern.
    „Na … der Golem“, sagte Alligator Jack, aber seine Stimme wurde leiser.
    „Ach, der gehört zu mir. Die Ripper waren mir zu schwer“, erklärte der Held abwinkend und setzte seinen Weg unter den verwunderten Blicken der anderen Piraten fort.
    Erstaunt sah der Held, dass die Segel des Großmasts und zwei Klüver nun schwarz waren. Das war wohl der Ersatz aus Stahlstern.
    „Wo bei Beliar bist‘e denn jetz‘ schon wieder rumgebutschert?“ fragte Greg anklagend.
    „War jagen, siehst du doch. Du hast doch gesagt, dass wir einen Tag lang hier sein würden“, sagte der Held, der sich keiner Schuld bewusst war.
    „Haste schon ma dran gedacht schnellstmöglich zurück zu kommen, weil vielleicht noch annere Aufgaben op dich warten könnten?“
    „Nein“, kam es trocken zurück.
    Greg verdrehte genervt sein Auge und knurrte: „Du bist wie dat verdammte Klöterbüx meiner Nichte, ik werd noch blöde mit dir op’m Schiff.“
    Der Held sah ihn verwundert an, sagte aber nichts.
    „Lat deenen Steinhaufen an Land, der makt mir noch dat Schiff kaputt. Hol dir’n paar Männer rann un zerlecht dee Schweinerei. Denn lat dir vun Samuel zeigen wie man dat Fleisch pökelt un räuchert, damit et für de lange Fahrt haltbar bleibt.“
    „Aye Aye, Käpt‘n“, nahm der Held auch diesen Auftrag an.
    Für das Zerlegen brauchten sie einige Stunden. Alligator Jack kannte sich sehr gut aus, so dass kaum etwas verschwendet wurde. Allerdings zerlegten sie das Fleisch in nicht so handliche Stücke wie der Metzger im Dorf. Zunächst reichte es wohl, die Tiere in tragbare Stücke zu zerteilen und in den Vorratsraum neben der Kombüse zu bringen. Dort wurde alles Verderbliche aufbewahrt, das nicht in Truhen oder Fässern beim restlichen Proviant gelagert wurde. Als der Held Samuel auch noch die Tauschwaren von der Wirtstube unter die Nase hielt, wurden dessen Augen so groß, dass es aussah, als würden sie ihm gleich aus den Höhlen hüpfen.
    „Meine Fresse, was hast du denn alles gemacht an einem Tag? Hast du das Wirtshaus ausgeraubt?“
    „Nein, hab was getauscht“, erklärte der Held.
    „So schnell müssen wir nirgendwo mehr anhalten um Proviant nachzufüllen. Das reicht bestimmt nen Monat, vielleicht sogar noch länger“, sagte Samuel zufrieden. „Bist schwer in Ordnung. Wusste schon immer, dass du was taugst. Ich mach dir gleich eine extra große Portion fertig.“
    „Was ist mit dem Pökeln und Räuchern?“ fragte der Held.
    „Zeig ich dir nach dem Mitternachtsimbiss. Erstmal muss ich die hungrige Meute füttern, verstehste?“
    Die ließ auch nicht lange auf sich warten. Die Crew stürzte sich regelrecht auf das Ripperfleisch und jeder schlemmte bis er nicht mehr konnte. Auch einige Flaschen vom Alkohol wurden gleich genutzt. Wie sich herausstellte regte der Flotte Frank in gemäßigten Mengen die Verdauung an, ließ bei übermäßigem Konsum die Männer aber auf den Donnerbalken rennen. Eigentlich hätte sich der Held nach dem Essen in seine Hängematte legen und schlafen können, denn seine Schicht war jetzt regulär vorbei, doch wie so oft machte er die Nacht durch und schmorte, pökelte und räucherte zusammen mit Samuel das Ripperfleisch, während Henry und sein Trupp die Murietta aus der Halbmondbucht auslaufen ließ und sie einen neuen Kurs setzten, weg von Adloka und hin zu einer Inselgruppe, die im Süden lag. Als der Held mal wieder einen Eimer mit Fleischabfällen ins Meer kippte, dämmerte es bereits. Aufmerksam sah der Held ins Wasser hinab, um zu sehen, ob sein Plan aufging. Um das Schiff tummelten sich die von Greg benannten Stöberhaie, die aufgrund der nur leichten kalten Briese mit dem Schiff mithalten konnten. Sie stürzten sich gleich auf die Abfälle und schlossen dann wieder mit der Murietta auf, wohl in der Hoffnung auf eine weitere Portion.
    „Was gibt’s denn da zu sehen?“ fragte der noch müde Skip und kam zu ihm an die Reling.
    „Stöberhaie“, antwortete der Held knapp.
    Skip zuckte mit den Schultern.
    „Und? Sollte doch kein Proble…“
    Noch während er sprach tauchte hinter ihnen ein grauer Riesenhai aus dem Wasser und verschlang gleich zwei der kleinen Stöberhaie. Skip klappte erschrocken der Mund auf. Der Held freute sich.
    „Sehr gut, ich sag gleich Alligator Jack Bescheid. Jetzt hat er ein Ziel für die Harpunen.“
    Skip sah ihn mit großem Augen nach und sah dann auf die Stelle, wo der große Hai soeben wieder in den Fluten verschwunden war. Der Held rannte währenddessen unter Deck und schüttelte Alligator Jack beherzt aus der Hängematte.
    „Wasn los?“ grummelte der unwillig.
    „Deine Wette mit Henry“, erklärte der Held. „Uns verfolgt ein bestimmt zehn Meter langer Hai.“
    „Wie lang?“ fragte Alligator Jack und bekam große Augen.
    „Ist nur eine Schätzung“, meinte der Held schulterzuckend.
    „Erzähl kein Seemannsgarn“, knurrte Alligator Jack.
    Das Schiff erzitterte unter einem kräftigen Stoß, der alle noch schlafenden Piraten weckte.
    „Was war das?“ fragte Alligator Jack nun erschrocken.
    „Na bestimmt der Hai. Los zur Harpune! Den holst du dir!“
    Bill, Bones und Morgan rannten hinter Alligator Jack und dem Helden die Treppe zum Deck hinauf. Miguel und Manuel sahen so aus, als würden sie sich keinesfalls nach oben trauen, doch bei Alejandro war die Neugier wohl stärker als die Angst, zumindest vorerst, dann als der Hai vor ihnen aus dem Wasser tauchte und mit weit aufgerissenem Maul auf sie zuschwamm, bekam er es doch mit der Angst zu tun und hielt sich aus Furcht, das Ungeheuer könnte das Schiff erneut rammen, eilig am Großmast fest. Der Held warf dem Hai unerschrocken einen Feuersturm ins Maul, der dann seinen Angriff vorerst abbrach und unter das Schiff tauchte.
    „Auf die andere Seite!“ rief Alligator Jack eilig und rannte zur Backbordseite und zur Backbordharpunen am Bug.
    „Schafft uns dat Vieh vom Hals!“ befahl Greg, der in dem Hai einfach nur eine Gefahr für die Murietta sah.
    „Aye“, rief Alligator Jack und nahm hinter der Backbordharpune Platz und zielte mit ihr aufs Wasser, doch weil von dem Hai nichts zu sehen war, hatte er kein Ziel.
    „Da!“ rief er dann, als eine graue Haiflosse das Wasser durchschnitt.
    Mit einem lauten Sirren flog die Harpune durch die Luft, verfehlte die Flosse aber und landete im Wasser.
    „Verdammt!“ rief Alligator Jack und aktivierte einen Hebel, der die Harpune schnell zurückholte, dann nutzte er einen zweiten Hebel, um die Feder zu spannen, welche die Harpune unter Hochdruck hielt.
    „Und jetzt?“ fragte der Held, denn auch nach einigen Minuten ließ sich der Megahai nicht mehr blicken.
    „Vielleicht ist er weg“, überlegte Alligator Jack und klang dabei gleichzeitig enttäuscht und erleichtert.
    „Oder er wartet auf eine gute Gelegenheit“, vermutete der Held und lief zum Klüverbaum, auf den er nun entlangbalancierte und hinunter ins Wasser starrte.
    „Im Moment sehe ich ihn nicht.“
    „Was bei Beliar treibst du da? Komm da weg!“ rief jetzt Henry, der das Geschehen bisher aus der Takelage beobachtet hatte und nun herunterkam.
    „Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut“, meinte der Held und blieb wo er war.
    Wachsam beobachtete er das tiefe dunkle Wasser unter sich und lud einen weiteren Feuersturm auf. Die Wellen stießen immerfort gegen die Murietta und erschwerten eine klare Sicht. Trotz der gewaltigen Ausmaße des Hais war es nicht leicht ihn zu sehen. Seine dunkle Farbe verschmolz beinahe mit dem Wasser.
    „Da! Er kommt hoch!“ rief der Held, als er eine Bewegung bemerkte.
    Er sah einen spitz zulaufenden Kopf, der sich rasch aus der Tiefe näherte, dann die Wasseroberfläche kraftvoll durchstieß und auf ihn zu schnellte. Unerschrocken warf der Held dem Hai abermals einen Feuersturm ins mit spitzen Zähnen bewährte Maul und warf sich dann zurück aufs Schiff, gerade noch rechtzeitig, denn wenige Sekunden später schnappten die gewaltigen Kiefer wie mächtige Stahlfallen genau dort zusammen wo er gerade eben noch gestanden hatte. Holz vom Klüverbaum splitterte, Leinen rissen entzwei wodurch die vorderen Klüver nun kaum noch Halt hatten und wild im Wind flatterten und das Schiff zum Schaukeln brachten. Wieder sirrte die Harpune durch die Luft und diesmal traf sie den Hai direkt in die Kiemen auf der linken Seite. Als das gewaltige Tier ins Meer zurückkippte, platschte es laut, eine Welle schwappte gegen das Schiff und die Leine, welches die Harpune hielt, rollte sich rasend schnell ab.
    „Er wird uns in die Tiefe ziehen!“ befürchtete Henry.
    „Nein! Wir lassen ihn sich müde kämpfen, das Schiff hält das schon aus“, meinte Alligator Jack, der offenbar vollstes Vertrauen in die Murietta hatte.
    Der Held nickte. Samuel hatte es mit seinem Wrackschnapper ja auch so gemacht. Gut, der war kleiner gewesen, aber die Harpune war als Angel ja auch größer. Er bekam allerdings doch Zweifel an Alligator Jacks Zuversicht, als das Ende des Seils erreicht war und es einen gewaltigen Ruck nach unten gab.
    „Wat treibt ihr da vorne egentlik?!“ hörten sie Gregs wütende Stimme nach vorne wehen.
    „Wir bringen den Hai zur Strecke“, rief Alligator Jack zurück.
    „Na denn ma los! Oder ik werf euch dem Vieh persönlich zum Fraß vor!“
    Alligator Jack, Henry und der Held warfen sich einen kurzen Blick zu, dann sahen sie sich wieder eilig nach dem Hai um. Nichts zu sehen, doch die Leine der Harpune hatte wieder Spiel. Der Megahai hatte seinen Versuch davon zu schwimmen offenbar aufgegeben.
    „Da!“ rief Henry und zeigte auf eine Flosse, die von backbord aus direkt auf sie zuhielt.
    Alligator Jack klemmte sich hinter die freie Steuerbord Harpune, um ihm auch diese in den Leib zu jagen. Sie erwarteten hoch angespannt den Angriff des Megahais, doch der kam nicht. Die Flosse tauchte ins Meer zurück und es wurde wieder still, fast friedlich. Wenn sie nicht wüssten, dass der Hai da war, könnten sie glauben alles wäre wie immer.
    „Brandon, Francis, repariert die Leinen am Klüverbaum!“ befahl Henry den beiden, die aufgeregt zu ihnen kamen.
    „Ich bin doch nicht blöd und kletter da rauf!“ rief Francis zurück. „Das Vieh springt doch aus dem Wasser und frisst mich auf.“
    „Das Schiff muss stabilisiert werden!“ hielt Henry dagegen.
    „Das können wir auch noch machen, wenn das Mistvieh weg ist“, meinte Francis.
    Brandon war wohl mutiger, denn er wagte sich zum Bug vor, wo einige der gerissenen Taue lagen. Er bückte sich gerade um einige von ihnen aufzuheben, als der Riesenhai abermals aus dem Wasser schoss und zuschnappte.
    „Pass auf!“ rief der Held und riss Brandon rasch zurück, so dass die Zähne nur einen Teil der Reling zermalmten.
    Zack! Wieder schoss Alligator Jack mit der Harpune und traf den Hai diesmal direkt in den Kopf. Die Wucht des Geschosses war so immens, dass der große Schädel des Tieres nach hinten ruckte und es zurück ins Wasser fiel.
    „Ha! Geschafft! Das wars für dich du Mistvieh!“ rief Alligator Jack siegessicher.
    „Sicher?“ fragte Francis skeptisch.
    Die fünf Piraten wagten einen Blick über das zerstörte Stück der Reling hinweg in die See. Sie sahen nur eine Flosse des Hais, doch Drumherum hatte sich das Wasser blutig verfärbt und offenbar schwamm der Hai nicht mehr aus eigenem Antrieb, sondern wurde nur noch von der Murietta mitgezogen. Ein starker Geruch nach Fisch, Blut und natürlich Salz hing in der Luft. Endlich trieb der Körper des Hais nach oben. Er regte sich nicht mehr.
    „Und jetzt?“ fragte Francis. „Lassen wir das Vieh neben unserem Schiff treiben, oder kappen wir die Taue einfach?“
    „Bist du verrückt?“ fragte Alligator Jack. „Die Harpunen sind wertvoll, die lass ich nicht einfach so zurück.“
    „Wenn wir das Vieh am Schiff lassen, dann locken wir noch mehr Viehzeug an“, vermutete Henry.
    Der Held nickte.
    „Bestimmt. Durch die Küchenabfälle kamen die Stöberhaie und durch die Stöberhaie kam dieser Megahai.“
    „Und was kommt dann durch diesen Megahai?“ fragte Brandon bang und rieb eifrig über seinen Glücksbringer, den er um den Hals trug.
    „Ziehen wir den Hai doch an Bord und nehmen ihn aus“, schlug der Held vor.
    „He! Halloooooho! Jemand zuhause?“ fragte Francis laut den Helden und sah ihn schief an. „Wir sind uns doch gerade eben einig geworden, dass dieses Vieh noch mehr üble Kreaturen anlocken könnte.“
    „Und?“ fragte der Held und zuckte mit den Schultern. „Macht euch keine Sorgen. Ist doch auch jetzt alles gut geworden.“
    Die anderen Piraten sahen sich zweifelnd an.
    „Allerdings wäre es schon schade, wenn wir so einen Brocken einfach vom Haken lassen müssten. Die Trophäen bringen bestimmt gutes Geld und das Fleisch können wir bestimmt auch verwerten“, meinte Alligator Jack.
    „Die Speisekammer ist noch voller Fleisch“, erinnerte Francis ihn daran.
    „Trotzdem, nichts verschwenden“, meinte auch der Held und überlegte wie sie den Hai am besten an Bord ziehen sollten. „Wir brauchen einen Flaschenzug.“
    „Ach und wer legt dem Hai dort unten im Wasser ne Leine um? Ich kletter da bestimmt nicht runter und werde vom Meer weggespült oder von irgendeinem anderen Vieh gefressen“, knurrte Francis.
    Der Held grinste.
    „Verstehe. Machst dir die Hose voll und hast nur eine mit?“
    Francis sah ihn giftig an.
    „Keine Sorge, ich habe mir schon etwas überlegt. Ich werde etwas Hilfe beschwören“, erklärte der Held und wählte den Zauber, der so einen Dämon beschwor wie er auch damals in Gotha gewütet hatte.
    Die Piraten sahen sich irritiert und etwas ängstlich an, doch wagten sie nicht etwas zu sagen, denn obwohl die Stimmung ohnehin schon angespannt war, wurde sie jetzt durch die schwarze Magie, die in der Luft lag noch drückender. Von jetzt auf gleich stand ein großer, geflügelter und gehörnter Dämon vor ihnen und hob sein Flammenschwert, um es auf die erschrockenen Piraten niederfahren zu lassen.
    „Nein, nein, nicht angreifen! Da! Nimm die Trosse und leg sie dem Hai da unten um den Körper!“ befahl der Held und drückte dem verdutzt schauenden Dämon eine Trosse in die freie Hand.
    Der Held fand es irgendwie lustig, denn er hatte noch nie einen Dämon so dumm gucken sehen. Der starrte einen Moment nur irritiert auf die Trosse in seiner Klauenhand, dann auf den Helden, der ihn entschlossen anblickte und zuletzt auf die anderen Piraten, die nun wirklich so aussahen, als würden sie gleich neue Hosen brauchen. Der Dämon knurrte mit tiefer Stimme, drehte sich dann aber ergeben um und flog über die Reling runter zum Riesenhai, landete auf ihm und band ihm wie befohlen das Tauwerk um. Henry war der erste, der seine Stimme wiederfand. „Was zum … du konntest die ganze Zeit dieses Vieh beschwören und machst es erst jetzt?“
    „Na ihr beiden hattet doch eine Wette laufen, da wollte ich mich nicht zu sehr einmischen. Gut, ich hab den Köder gespielt, aber nur, damit Alligator Jack anständig zielen konnte“, erklärte der Held und sah diesen Auftrag damit als abgeschlossen an.
    „Du willst mich verarschen“, rief Henry fassungslos.
    Er und Alligator Jack tauschten einen Blick, dann meinte Henry: „Aber da du ihm mit dieser Feuermagie geholfen hast, hat Alligator Jack den Hai nicht allein mit den Harpunen bezwungen.“
    „Bei dir ist wohl das Dach eingestürzt? Natürlich hab ich ihn mit meinen Harpunen bezwungen. Hast du doch selbst gesehen!“ knurrte der Großwildjäger.
    „Aber …“ wollte Henry einwenden.
    „Schnauze!“ blaffte Alligator Jack. „Ich hab diesen Riesenhai mit diesen beiden Harpunen bezwungen. Erst ein Schuss in die Kiemen und dann in den Kopf und zack war der Fisch tot! Und wenn dir das nicht passt tragen wir hier und jetzt einen Kampf aus, der unsere Meinungsverschiedenheit klärt!“
    Henry schaute verbissen. Tatsächlich waren sie beide gute Kämpfer und ein Kampf zwischen ihnen würde viel Spannung, aber auch sehr ernste Verletzungen bedeuten.
    „Na, schön, du hast die Wette gewonnen. Hier dein Gewinn.“
    Henry warf Alligator Jack einen kleinen Goldbeutel zu, in dem sicher nur fünfzig Goldmünzen klimperten. Brandon fielen fast die Augen raus.
    „Wegen so einem bisschen Gold setzt ihr uns alle dieser Gefahr aus?“
    „He, wir haben ja nicht gewollt, dass das Biest auftaucht“, sagte Alligator Jack schulterzuckend.
    Der Held schwieg. Indem er die Fleischreste über Bord warf hatte er so etwas in der Art schon bezwecken wollen. Natürlich hatte er nicht gewusst ob und welches Ungeheuer auftauchen würde, aber ein bisschen Spannung gehörte eben mit dazu.
    „What zum Henker makt ihr hier?“ hörten sie eine grimmige Stimme sagen.
    Es war Greg, der das Steuer offenbar höchst wiederwillig Owen überlassen hatte, um hier nach dem Rechten zu sehen.
    „Wir haben den Riesenhai erlegt“, sagte Alligator Jack voller Stolz.
    Greg spähte wachsam in die Wellen hinunter wo sich bereits die ersten Stöberhaie um den Kadaver tummelten.
    „Un de Dämon, what is mit dem?“
    „Gehört zu ihm“, meinte Henry nur, zeigte auf den Helden und versuchte möglichst locker zu klingen.
    „Er soll uns dabei helfen den Hai aufs Schiff zu ziehen“, erklärte der Held.
    „Dat Mordsvieh auf mienem Schiff?“ fragte Greg allarmiert.
    „Naja, die Trophäen bringen bestimmt viel Gold und ordentlich Fleisch hat das Vieh auch. Das spart uns bestimmt den einen oder anderen Landgang, weil wir kein Proviant kaufen müssen“, sagte Alligator Jack, um seinen Kapitän zu überzeugen.
    „Hm…“ kam es nur von Greg und sah mit seinem verbliebenen zusammengekniffenen Auge erst zum Dämon und dann zum Helden.
    Vielleicht überzeugte Alligator Jack ihn wirklich, oder er hatte keine große Lust herauszufinden, ob der Dämon nicht auch Ärger machen würde.
    „Na goot. Aber makt nix kaputt, sonst zieh ik euch dat vom Lohn ab!“
    Als wäre alles wie immer ging Greg langsam übers Deck und beobachtete das Treiben seiner Mannschaft vom Steuer aus. Sie bauten einen Flaschenzug und Brandon holte die anderen Piraten, die von ihrer Arbeit weggerissen werden konnten hinzu. Bald darauf standen Alligator Jack, Samuel, Brandon, Francis, Owen, Garett, Bill, Morgan, Skip, Miguel, Manuel und Alejandro am Flaschenzug und beobachteten unruhig den Dämon, der neben dem Schiff in der Luft flog. Während die Piraten sich am Flaschenzug zu schaffen machten, sah der Held auf den toten Hai hinab, um zu sehen, ob ihr Vorhaben glücken würde. Das tonnenschwere Tier hob sich nur leicht aus dem Wasser, doch nachdem die Crew in ihrer Anstrengung nachließ, sackte es wieder zurück.
    „Es ist einfach zu schwer“, wagte sich Samuel zu sagen.
    „Ach zu schwer, ihr strengt euch einfach nur nicht richtig an“, meinte Alligator Jack, denn er hatte das Gefühl gehabt sich als einziger so richtig ins Zeug zu legen.
    Ohne ein Wort zu verlieren setzte der Held eine weitere Beschwörung in Gang.
    „Oh nein, was kommt jetzt?“ fragte Brandon bang.
    Wie zur Antwort erschien ein schnaubender und grollender Feuerdamon vor ihnen in der Luft. Der Held pfiff laut und winkte auch den schwarzen Dämon heran.
    „Ihr beide zieht an den Leinen der Harpunen mit und helft dabei den Riesenhai aufs Schiff zu ziehen!“ befahl der Held ihnen.
    Die beiden Damonen grollten, fügten sich aber und flogen los, um die ihnen aufgetragene Arbeit zu verrichten. Auch der Held packte nun mit zu. Mit gemeinsamer Kraftanstrengung schafften sie es den Hai aus dem Meer zu hieven. Sie konnten hören wie das Wasser vom großen Körper abfloss.
    „Hau Ruck! Hau Ruck!“ kommandierte Alligator Jack und nach vielen quälenden Minuten sahen sie wie der schwere Körper neben dem Schiff erschien.
    Die Leinen schnitten tief ins Fleisch und immer noch quoll Blut aus den Wunden hervor. Auch einige kleinere Bisswunden waren zu sehen, für die wohl einige Stöberhaie in den letzten Minuten verantwortlich waren. Sie hatten geglaubt, das wäre schon schwer gewesen, doch nun standen sie vor der noch viel schwierigeren Herausforderung den Hai zwischen den aufgespannten Leinen aufs Deck zu bugsieren. Als auch das endlich geschafft war, ließen die meisten aus der Crew das Seil völlig erschöpft los und fielen sofort japsend auf die Planken. Dadurch, dass so viele auf einmal losließen, konnten auch die anderen das Seil nicht mehr halten und der schwere Hai fiel klatschend aufs Deck. Die Murietta erzitterte und ächzte leicht, doch die Planken hielten.
    „Hm… wenn das hält, hätten wir vielleicht auch den Golem einsetzen können“, meinte der Held.
    „Ist nicht dein ernst!“, japste Francis.
    „He, Greg sagte, er wolle ihn nicht auf dem Schiff haben!“ wehrte der Held ab.
    Die beiden Dämonen ließen nun ebenfalls die Leinen los und kreisten in Erwartung neuer Befehle um die Murietta herum.
    „Na dann, nehmen wir das Vieh aus!“ rief Alligator Jack voller Tatendrang.
    Skip, Alejandro, Miguel, Manuel, Owen, Bill, Brandon, Samuel und Morgan seufzten geplagt auf. Henry, Francis und Garett grinsten und machten sich daran die weitaus angenehmere Arbeit das Schiff am Laufen zu halten und die Leinen der Klüversegel auszutauschen zu verrichten.
    „Keine Müdigkeit vorschützen ihr faulen Quallen!“ rief Alligator Jack und trieb sie zur Arbeit.
    Er machte sich gleich am Gebiss des Hais zu schaffen. Anstatt die Zähne einzeln aus dem Kiefer zu stemmen, wollte er gleich das ganze Gebiss herausschneiden. Es war so groß, dass ein Mann hindurchpassen würde. Das herauslösen war eine lange mühselige Arbeit, doch er war voller Eifer bei der Sache. Der Rest der Crew machte sich daran das Fleisch vom Knorpel zu lösen. Es ging nur sehr langsam voran und so entschied der Held, dass die Dämonen mithelfen sollten, so lange sie noch da waren. Der schwarze Dämon schlitzte dem Hai den Bauch auf und holte die Eingeweide heraus. Der Held entschied das Herz und die Leber des Hais zu behalten, doch den Rest kippte er über Bord, was bei einigen seiner Kollegen lautes Stöhnen zur Folge hatte.
    „Lass das doch!“ bat Samuel.
    „Kommt sonst noch so ein Vieh!“ meinte Brandon.
    „Oder was Schlimmeres!“ jammerte Manuel.
    „Noch schlimmer?“ fragte Skip.
    „Bei unserem Glück“, meinte Miguel düster.
    „Was ist eigentlich mit deinem Talisman Brandon, der ist ja mal zu gar nichts nütze“, stichelte Morgan.
    „Wieso denn? Wir leben doch noch, oder? Und so wie es aussieht haben wir demnächst mehr als genug zu essen“, wehrte sich Brandon.
    „Ja, aber vorhin hätte der Megahai dich beinahe mit einem Happs verschlungen, wenn er dich nicht zurückgerissen hätte“, sagte Morgan.
    „Aber er hat mich an meinem Amulett zurück gerissen“, antwortete Brandon grinsend.
    Morgan seufzte nur und entschied sich nicht weiter mit solchen Gesprächen aufzuhalten, sondern diese glitschige, unangenehme und ekelhafte Arbeit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Doch es dauerte sehr lange bis sie fertig werden sollten. Die Sonne kam gerade hinter einigen Wolken hervor, als die beiden Dämonen ein Ende fanden, weil die Zeit ihrer Beschwörung abgelaufen war. Der Held überredete Skip ihm dabei zu helfen sie über Bord zu werfen. Während des späten Vormittags frischte der Wind auf, was die Crew ungemein freute, denn nun fuhren sie schneller und sie hofften, dass sie dadurch etwaige Verfolger unter Wasser abschütteln würden, die Blut geleckt hatten und jetzt nach mehr lechzten. Halb zwölf verschwand Samuel, um das Mittagessen zuzubereiten. Als es zum Essen bimmelte, seufzte die Crew erschöpft, war voller Körperflüssigkeiten des Hais und stank zum Himmel. Hungrig stürzten sich die Männer auf das gebratene Ripperfleisch.
    „Was ist denn mit dem Hai? Essen wir den nicht?“ fragte Alejandro.
    „Nein Junge, das dauert noch. Es ist sehr aufwendig Haifleisch zuzubereiten“, erklärte Samuel und stellte einen zweiten großen Teller mit Ripperrippenstücken auf den Tisch.
    „Zuerst müssen wir alle Knorpel entfernen und das Fleisch säubern. Da es schon so salzig ist brauchen wir es zum Glück nicht noch würzen, denn so viel Gewürz hätten wir nie und nimmer an Bord. Dann legen wir das Fleisch in durchlässige Holzkisten und lassen das dann so ein paar Monate trocknen.“
    „Monate?“ fragte der Held verwundert. „Das dauert ja ewig.“
    „Joa, was dachtest du denn?“ fragte Samuel amüsiert. „Da ist irgendwas Giftiges im Haifleisch und das muss erst raus.“
    Die Crew sah ihn mit großen Augen an und hatte gleich weniger Lust nach dem Mittag die Arbeit fortzusetzen, weswegen Samuel rasch hinzufügte: „Aber macht euch keine Sorgen. Ich krieg das schon hin. Ist gut so, dann haben wir immer noch Reservefleisch in der Rückhand. Durch die Ripper und den Proviant von der Halbmondbucht haben wir ohnehin erstmal mehr als genug zu futtern. Das Haifleisch bleibt dann für später. Ein Glücksfall. Wir haben so ordentlich Gold gespart.“
    „Joa goot gemakt. Hab schon gedacht, dat Mistvieh beschädigt dat Schiff“, sagte Greg, der heute aber recht maulfaul war.
    Vielleicht war er einfach nur erschöpft. Mal abgesehen vom Helden war er derjenige, der am längsten wach war. Auch die Crew war müde und ausgelaugt, doch es half nichts. Nach dem Mittag übernahm Alligator Jacks Trupp die Arbeiten am Schiff und obwohl Henrys Trupp nun eigentlich an der Reihe war sich schlafen zu legen, mussten sie mit dem Trupp des Helden weiter das Fleisch des Hais vom Knorpel lösen. Die Arbeit war mühsam und ermüdend und um sich überhaupt noch ein wenig zu motivieren sangen sie in paar Seefahrerlieder. Damit es wenigstens mal etwas Abwechslung gab, nahm jeder mal eine Kiste mit dem bereits zurechtgeschnittenen Haifleisch und brachte sie in die Kombüse zu Samuel, wo der das Fleisch sorgfältig wusch und dann in durchlässigen Holzkisten einlagerte. Zum Abend hin ließ Henry seine Männer sich mit Meerwasser waschen und schickte sie völlig erschöpft zum Schlafen. Er selbst rang einen Moment mit sich, ob er noch weiterarbeiten sollte, doch bald schon würde er erneut loslegen müssen und da nach diesem anstrengenden Tag Schlaf dringend nötig war, verzog auch er sich schließlich in seine Hängematte. Als sein Trupp beim Mitternachtsessen erschien, sahen sie alle wie gerädert aus. Es gab wieder Ripperfleisch, doch das störte niemanden, denn es schmeckte gut. Alligator Jack hatte nicht so viele Bedenken und schickte seine Leute gleich nach dem Essen zum Schlafen, so wie der Held. Doch die beiden Entertruppführer selbst arbeiteten noch die ganze Nacht hindurch am Hai und als der neue Morgen anbrach, hatten sie mehr als die Hälfte vom Hai abgelöst. Auch Samuel hatte den ganzen letzten Tag und die ganze Nacht durchgeackert. Seine Augen wollten zufallen und mit knarzender Stimme erklärte er müde, dass sie aufhören sollten, da er nicht mehr wusste wohin mit dem Haifleisch. Er hatte bereits viele Kisten angepasst, indem er Latten gelöst hatte, doch nun gab es keine freien Kisten mehr. Er beteuerte, dass sie auch so auf Monate hinaus genug zu essen haben würden. Alligator Jack nickte und entschied, sich noch vier Stunden schlafen zu legen, bevor seine Schicht wieder losgehen würde, doch der Held blieb bei seiner Arbeit. Anstatt das Fleisch nach unten zu Samuel zu bringen arbeitete er jetzt wortwörtlich in die eigene Tasche. Es war so unglaublich viel Fleisch und er hielt es für Verschwendung es einfach über Bord zu schmeißen. Am liebsten würde er dieses Fleisch irgendwie nach Myrtana schicken. So ein Riesenhai würde der Hungersnot in Myrtana wohl einen Dämpfer verpassen. Dann dachte er an Samuels Worte und schüttelte den Kopf. Nein, die Menschen würden das Fleisch, das nach den Worten des Schnappsbrenners zu urteilen in diesem Zustand irgendwie schädlich war, wohl aus lauter Hunger und Verzweiflung trotzdem in sich hineinstopfen, um ihre leeren Mägen zu füllen und sich so vermutlich selbst schaden. Sie würden keine Monate warten können. Der Held seufzte schwer. Er wollte es sich selbst nicht eingestehen, doch die Gedanken an Myrtana lasteten schwer auf ihm und er hatte Mühe die drückenden Gedanken abzuschütteln.
    „Bist du etwa immer noch auf den Beinen?“ fragte Alligator Jack, als er zu seiner Schicht erschien. „Bist einfach unglaublich.“
    Der Haitöter schüttelte fassungslos den Kopf.
    „Hast ordentlich geschuftet wie ich sehe. Da ist ja kaum noch was dran. Los, schicken wir den Kadaver zurück ins Meer.“
    Alligator Jacks Trupp und der des Helden mühten sich den Hai endlich zurück in die See zu schicken. Es platschte laut und dann sahen sie nur noch wie die Murietta an den Überresten des Riesenhais vorüberzog.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Kleinkrieg

    Gorn musste feststellen, dass Roland wirklich ernst gemacht hatte. In Gotha gab es nicht mehr viele von seinem alten Trupp. Die wenigen Bekannten waren ehemalige Rebellen, die damals unter Gorns Führung gekämpft hatten und nun als Waffenknechte unter Rolands Kommando standen. Das war ein empfindlicher Stich für Gorn, denn er hatte sich für sie verantwortlich gefühlt, hatte mit ihnen zusammen erbittert gegen die Orks gekämpft, mit ihnen das Essen geteilt und abends mit ihnen am Feuer gesessen und getrunken. Seine ersten Gefühle, als er diese Entfremdung feststellte, waren Enttäuschung und Wut, doch als er anfing darüber nachzudenken, wandelte sich die Wut in Akzeptanz und die Enttäuschung wurde kleiner, verschwand aber nicht ganz. Der Hunger blieb natürlich, denn auch hier gab es nichts zu essen. Einige Männer waren zum Jagen und Fischen aufgebrochen, doch bisher war keiner mit Beute zurückgekehrt. Gorn nahm es seinen ehemaligen Kameraden nicht übel, dass sie unter der Bedingung sich Roland anzuschließen in Gotha geblieben waren. Die Lage hier mochte nicht rosig sein, doch die ehemaligen Rebellenlager waren noch viel schlechter ausgerüstet und im Grunde nicht mehr als Drecklöcher. Wenn man sich unter das Kommando der Paladine stellte, hatte man immerhin befestigte Mauern um sich und ein Dach über dem Kopf. Gerade jetzt wo es kälter wurde, war es wichtig nicht in einem zugigen Loch zu lungern und hier hatten einige Zimmer immerhin einen Kamin. Holzscheite gab es genug. Sie lagerten ordentlich aufgestapelt im Lager und auch sonst wirkte Gotha aufgeräumt. Die Ritter und Paladine hatten die Stadt auf Vordermann gebracht. Auch das versetzte Gorn einen Stich. Er sagte sich, dass sie damals ganz andere Probleme hatten, als auf das Aussehen von Gotha zu achten, doch jetzt wo er sah wie gepflegt es hier aussah, fragte er sich doch, ob es gerechtfertigt war die Stadt damals so verkommen zu lassen. Gorn überlegte, wie er Gotha zurück erobern könnte, doch ihm fiel nichts anderes ein, als Roland aufs Maul zu hauen. Nachdem Gorn einige Tage in Gotha verbrachte, um zu sehen wie es hier lief, fiel ihm doch noch ein Plan ein und er entschied nach seinen ehemaligen Waffenbrüdern zu suchen, um sie einzuweihen. Er wollte nach Okara gehen, denn dieses ehemalige Rebellenlager lag Gotha am nächsten und er vermutete, dass sie dorthin gegangen waren.
    Der düstere Tag begann mit Regen, der sich im Laufe des Vormittags zu leichtem Niesel wandelte, der unangenehm unter die Sachen kroch. Auf dem Weg durch den Wald traf er überraschend auf Lares. Wäre nicht das flackernde Feuer gewesen, hätte Gorn ihn sicher übersehen. Er trat zwischen den Bäumen auf ihn zu und sobald Lares auf ihn aufmerksam wurde, riss er seinen Bogen vom Rücken, legte einen Pfeil an die Sehne und rief laut: „Halt! Wer da?“
    „Keine Sorge, ich bins“, sagte Gorn beschwichtigend.
    Die Erleichterung stand Lares deutlich ins Gesicht geschrieben. Gorn musterte den alten Gauner eingehend. Er sah erbärmlich aus, furchtbar abgemagert und die tiefen Schatten unter seinen Augen zeigten, dass er wohl nur schlecht schlief. Sein Blick flackerte unruhig umher, anstatt Gorn zu fokussieren.
    „Bist ja ganz schön schreckhaft“, kommentierte Gorn.
    „Bist du zusammen mit ihm hergekommen?“ fragte Lares und Gorn war gleich klar, wen er meinte.
    „Nein. Er ist doch gar nicht mehr auf dem Festland“, wunderte sich Gorn.
    „So? Den Göttern sei Dank, ich dachte schon, er macht Hackfleisch aus mir“, sagte Lares erleichtert und wischte sich den kalten Schweiß vom Gesicht.
    „Hätte er wohl auch, wenn er dich in die Finger gekriegt hätte. Er war verdammt wütend“, knurrte Gorn, der angesichts dieser Erinnerungen auch nicht die beste Laune bekam. „Ich verstehe die Gründe der Wassermagier und ich war ja selbst der Meinung, dass die Klaue Beliars einen schlechten Einfluss auf ihn hat, aber wenn ihr ihm das verdammte Schwert nicht weggenommen hättet, dann wäre er bestimmt nicht abgehauen. Vermutlich wäre er jetzt stattdessen unser König und würde alles in Ordnung bringen.“
    Lares setzte sich wieder auf das klamme Wolfsfell, dass er als Decke vor dem Feuer ausgebreitet hatte und weil er Gorn mit der Hand aufforderte ebenfalls Platz zu nehmen, kam der Krieger diesem Wunsch nach. Eine kleine Pause war bestimmt nicht verkehrt und er war auch neugierig zu hören was Lares zu dieser Geschichte zu sagen hatte. Gorn sah in Lares verkniffenes Gesicht und wartete darauf, dass er das Gespräch fortsetzte.
    „Hast Recht. Ich hätte mich von den Wassermagiern nie zu dieser Schnapsidee überreden lassen sollen. Ständig hab ich das Gefühl, er würde mich verfolgen und mir gleich ein Schwert zwischen die Rippen rammen. Jetzt wo ich weiß, dass er nicht mehr hier ist, werde ich wohl endlich wieder schlafen können. Hab mich seit dem Diebstahl nur in den Wäldern rumgetrieben, hab mich nicht mehr in die Städte und Dörfer getraut, weil ich wusste, dass er viele Teleporterrunen besitzt und bestimmt auf die Idee käme überall mal vorbeizuschauen und mir den Schädel einzuschlagen, wenn er mich finden sollte. Hätte ich ihm dieses bekloppte Schwert nur mal gelassen. Diesen Auftrag anzunehmen war der schlimmste Fehler meines Lebens. Hätte das eben jemand anders machen sollen.“
    Sie schwiegen eine Weile und sahen ins flackernde Lagerfeuer. Gorn ahnte, dass Lares es nicht gerne hörte, doch er musste es einfach sagen: „Das Schlimme ist, dass es wohl niemand außer dir geschafft hätte. Wie hast du das eigentlich hinbekommen?“
    „War nicht leicht. Es war in Geldern. Dort ist er aufgetaucht, wegen irgendeiner Sache mit den Druiden. Hat er wohl auch nicht mehr gemacht, wenn du sagst, dass er nicht mehr hier ist. Jedenfalls hab ich ihn zum gemeinsamen Umtrunk im Wirtshaus eingeladen. Wir haben erzählt und irgendwann war er dann so betrunken, dass er im Obergeschoss in ein Bett gefallen und eingeschlafen ist.“
    „Wundert mich ja, dass du ihn dann noch beklauen konntest, musstest doch auch sturzbesoffen sein“, sagte Gorn und zog verwundert die Stirn kraus.
    „Nein, hatte dem Wirt gesagt, er solle mir nur Wasser geben. Hab da natürlich auch Kohldampf geschoben und wäre wohl schon nach dem zweiten Schnaps hackedicht gewesen. Wir haben erzählt, über alte Zeiten in der Barriere und so und dass er kein König sein will.“
    Diese Worte zu hören bedrückte Gorn. Er wusste ja selbst, dass sein Freund kein König sein wollte, doch er hatte immer gehofft, er würde seine Meinung noch ändern.
    „Er fühlte sich verraten“, sagte Gorn leise.
    „Ja, verdammt! Natürlich!“ schrie Lares und hörte sich dabei gleichzeitig wütend und verzweifelt an.
    Seine Hände zitterten vor Aufregung.
    „Ich habe in der Nacht lange hin und her überlegt, ob ich diesen verdammten Auftrag wirklich durchziehen soll, oder nicht. Ich wusste einfach nicht mehr was noch richtig ist. Alles in mir sagte mir, ich solle es einfach lassen, einfach gehen und alles wäre gut gewesen, aber diese Scheißreden der Wassermagier…, die haben mir da wirklich einen Floh ins Ohr gesetzt. Die Klaue Beliars müsse unbedingt von ihm weg und es würde jeden Tag schlimmer für ihn werden.“
    „Vielleicht hilft es dir zu wissen, dass sie wohl recht damit hatten“, sagte Gorn, denn er konnte die Lage, in der sich Lares befand ein wenig nachvollziehen.
    Natürlich hätte er selbst nie so gehandelt. Er hätte seinen Freund nicht beklauen können. Das hätte er einfach nicht getan, dazu war er ihm viel zu loyal gegenüber, doch er hatte selbst das Gefühl seinen Freund enttäuscht zu haben. Beim Kampf gegen die Drachen hätte er ihm beistehen sollen. Daher kannte er die Schuldgefühle, die nun auch Lares plagten, nur waren sie bei Lares wohl viel Schlimmer und außerdem musste der auch um sein Leben fürchten. Gorn wusste nicht was der Held mit dem Gauner anstellen würde, wenn er ihm das nächste Mal über den Weg lief. Er wusste, dass sie Freunde waren, doch Lares Verrat wog schwer.
    „Die Klaue Beliars hatte wirklich einen schlechten Einfluss auf ihn. Ich weiß noch in Mora Sul hat er sich einfach auf die Orkhorde gestürzt, die auf die Stadt zu kam. Einfach so, ohne zu überlegen oder einen Plan zu machen. Manche sagen, die Klaue will, dass er sich in die größte Gefahr stürzt und dabei draufgeht und die Magier sagten, dass die Klaue ihn vielleicht zu einem Untoten machen könnte und dann würde er Beliars Diener sein. Deshalb ist es wohl ganz gut, dass sie von ihm weg ist.“
    „Hm…“
    Lares rieb sich über seinen stoppeligen Bart und starrte in die Flammen. Er dachte wohl nach, denn nach einigen Minuten fragte er: „Und wenn er jetzt stirbt wird er kein Untoter?“
    „Ich … weiß es nicht“, musste Gorn zugeben.
    Angestrengt dachte er nach und seine Stirn bekam tiefe Falten.
    „Hm… also … Keine Ahnung. Er sagte, er hätte einen Teil seiner Lebenskraft ins Schwert gegeben. Hatte zu Beliar gebetet. Der hat dann im Austausch für Lebenskraft das Schwert verstärkt. Wenn es an dieser Lebenskraft im Schwert liegt, dann könnte er vermutlich immer noch zum Untoten werden“, sagte Gorn und seine eigenen Worte beunruhigten ihn.
    Bevor Lares das ansprach, hatte er gar nicht weiter darüber nachgedacht. Er dachte, nun da das Schwert bei den Magiern war, wäre sein Freund von der Klaue Beliars befreit, aber vielleicht war dem gar nicht so.
    „Vielleicht haben die Magier die Verbindung auch irgendwie aufgelöst. Irgendwelche Magie eingesetzt, was weiß ich.“
    „Milten hätte dir doch bestimmt gesagt, wenn sie das Schwert unschädlich gemacht hätten“, meinte Lares.
    Er kannte Milten nicht sehr gut, nur von der kurzen Zeit damals auf der Esmeralda, aber er wusste, dass Gorn und der Magier gute Freunde waren und deswegen ging er einfach davon aus, dass Milten Gorn erzählen würde, wenn es Fortschritte gab.
    „Hm… hast du wohl Recht. Das heißt vermutlich, dass dieses Drecksschwert immer noch magischen Einfluss hat.“
    „Weiß nicht. Ich hab von so Magiekram keine Ahnung“, gab Lares zu und zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls hoffe ich, dass er mir nicht das Fell über die Ohren zieht, wenn er zurückkommen sollte.“
    „Hoffentlich kommt er überhaupt zurück“, sagte Gorn traurig. „Manchmal hab ich das schlechte Gefühl, er bleibt einfach weg. Will uns vergessen. Diego hat mir erzählt, dass er die Schnauze wohl voll hatte und nur noch aus Myrtana verschwinden wollte. Was ist, wenn er wirklich für immer gegangen ist? Als er Myrtana nach dem Orkkrieg verließ, hatten wir uns im Guten verabschiedet, doch jetzt…“
    Gorn ließ das Ende unausgesprochen.
    „Möglich, Abenteuer gibt es überall“, sagte Lares und verbesserte Gorns Laune damit sicher nicht.
    Der große Krieger knurrte nur.
    „Hast du zufällig was zu essen dabei?“ wechselte Lares das Thema.
    „Nein“, gab Gorn knapp zur Antwort.
    „Dachte ich mir schon, aber einen Versuch war es wert. Hab die letzten Tage nur Fleischwanzen gegessen.“
    „Du Glücklicher. Ich hab die letzten Tage gar nichts gegessen“, kam es von Gorn zurück.
    „Wo willst du überhaupt hin?“ fragte Lares nun.
    „Nach Okara. Roland hat meine Jungs aus Gotha gejagt und meinte, sie wären vielleicht in einem der alten Rebellenlager“, erklärte Gorn, für den das nun das Stichwort war, um aufzubrechen.
    „Na dann, viel Erfolg. Danke fürs Gespräch“, sagte Lares. „Ich werde mich jetzt auch wieder in die Städte trauen. Kann es kaum erwarten endlich mal wieder in einem Bett schlafen zu können, anstatt nur auf dem kalten Boden.“
    Gorn nickte ihm nur zu und verließ dann das wärmende Feuer, um seinen Weg nach Okara fortzusetzen. Der versteckt liegende Eingang zum ehemaligen Rebellenlager wurde von Errol und Gothard bewacht, die beide mit Speeren bewaffnet waren. Sie begrüßten Gorn freundlich, aber auch mit derben Sprüchen.
    „Schön dich auch mal wieder zu sehen“, sagte Errol und fuhr sich mit der freien Hand durch seinen braunen Bart.
    „Hatten schon gedacht, ein Drache hätte dich gefressen und wieder ausgeschissen“, sagte Gothard grinsend.
    „Mich doch nicht“, entgegnete Gorn. „Hab von Roland gehört, dass er euch rausgeworfen hat.“
    Bei Gorns Worten verfinsterten sich die Mienen der beiden Wachen.
    „Dieser Plattenpiepel hat sich furchtbar aufgespielt“, sagte Gothard und spie aus.
    „Ja“, stimmte ihm Errol zu. „Hat getan als wäre er der neue König und würde über alles bestimmen können. Was für’ne Arschnase.“
    Gorn grinste und fühlte sich bei seinen Jungs gleich wieder besser.
    „Wie läuft es hier?“
    Die beiden zuckten mit den Schultern.
    „Geht so, die meiste Zeit schaukeln wir uns einfach nur die Eier, denn es gibt nicht viel zu tun, außer vielleicht Holz schlagen und hier Wache stehen“, erklärte Gothard.
    „Natürlich sind auch viele auf der Jagd. Zuerst wollten alle mit, aber das hat Wolf gestört. Meinte wir wären so laut wie eine Horde Trolle. Wenn er nicht gerade auf der Jagd ist, versucht er uns anderen Jagdfertigkeiten beizubringen, aber naja … nicht jeder hat den Durchblick muss ich sagen“, gab Errol zu.
    „Wolf ist hier?“ fragte Gorn erstaunt.
    „Ja. Er kam vor ein paar Tagen hier an und seitdem gibt es wieder was zu fressen. Bisher kam er nie ohne Beute nach Okara zurück“, erklärte Errol.
    „Sonst noch wer Neues?“ fragte Gorn.
    „Zwei andere ehemalige Söldner aus Khorinis gammeln jetzt hier, du kennst sie bestimmt. Cipher und Rod.“
    Gorn nickte und sagte dann: „Ich hoffe, die haben Gabriel nicht ans Bein gepisst. Lassen sich nicht gern was sagen.“
    „Ach, es gibt hin und wieder mal eine Prügelei, aber nichts Außergewöhnliches. Gabriel lässt sich nicht so schnell einschüchtern, du kennst ihn ja. Harter Kerl, wir haben viel durchgemacht und alle von uns stehen hinter ihm. Da kann Cipher noch sehr sein Maul aufreißen und Rod steht eh meist nur dumm rum und meint, er könnte mit seiner großen Erscheinung andere einschüchtern“, setzte ihn Errol ins Bild.
    „Ja, so kenn ich die beiden. Werde mir das mal näher ansehen“, sagte Gorn und betrat das ehemalige Rebellenlager.
    Wie befürchtet war Okara in keinem guten Zustand, um offen zu sein, es war immer noch ein zugiges Dreckloch. Die Männer saßen um Lagerfeuer herum, um der klammen Kälte zu entfliehen, doch als sie Gorn sahen, begrüßten sie ihn freundlich und der eine oder andere winkte ihm sogar kameradschaftlich zu. Es herrschte eine gelöste Stimmung der Brüderlichkeit. Rod und Cipher saßen um ein gesondertes Lagerfeuer herum. Sie grüßten nicht und sahen Gorn nur aufmerksam nach, als er vorüberging. Die Innos Statue gab es auch noch, nur betete im Moment niemand vor ihr. Gorn fand seinen General in der Hütte, die gegenüber der Schmiede stand. Er führte gerade ein angeregtes Gespräch mit Wolf. Gabriel trug eine braungraue kampferprobte Rüstung und fuhr sich nachdenklich über seine Glatze.
    „Wir sind alle sehr froh, dass du hier bist und möchten nicht, dass du so schnell wieder gehst. Ich wüsste gar nicht was wir ohne dich tun sollten“, hörte Gorn ihn sagen.
    „Eigentlich bin ich ja nur auf der Durchreise“, wandte Wolf ein.
    „Ich weiß, aber ich bitte dich darum hier zu bleiben. Wir brauchen dich. Die meisten hier sind keine guten Jäger.“
    „Hab ich gemerkt. Ich versuche es ihnen ja beizubringen, aber viele von ihnen sind einfach nur große Trampel, die nicht mal verstehen wie die Tiere Witterung aufnehmen. Ich hab Lee gesagt, dass ich mich nur mal in Myrtana umsehen möchte. Es gibt nicht mehr viele Tiere und wenn ich für jemanden jagen soll, dann sollte es für Lee sein.“
    „Ach was, die haben doch ihre Fischer dort. Wir haben hier gar nichts, bitte bleib“, versuchte Gabriel ihn zu überreden.
    Wolf antwortete nicht und begrüßte stattdessen Gorn, der sich nun neben sie stellte.
    „Hallo Gorn, schön dich zu sehen. Wie läuft es in Vengard?“
    „Nicht so besonders. Der Befreier hat Myrtana verlassen.“
    „Scheiße“, kam es von Gabriel. „Das hat uns gerade noch gefehlt.“
    „Ich dachte, er sollte König werden“, sagte Wolf und sein Blick sah fragend aus.
    „Wir hatten zumindest gehofft, dass er sich von uns überreden lässt, doch es lief nicht gut. Die Wassermagier haben ihm die Klaue Beliars abgenommen, weil sie ihn wohl verdirbt. Hat ihm nicht gefallen. Vatras sagt, er hätte ein großes Schiff gesehen, dass an Vengard und Ardea vorbeigefahren ist. Da ist er wohl aufgesprungen. Weiß nicht, ob er noch mal zurückkommt.“
    „Scheiße“, wiederholte Gabriel. „Hätte ja nicht beschissener laufen können.“
    „Oh doch, hätte es“, meinte Gorn und warf seinem General einen viel sagenden Blick zu, der wohl verstand, große Augen bekam und dann zu Boden sah.
    „Und wie ist jetzt Lee’s Plan?“ wollte Wolf wissen.
    „Bevor der Befreier ging, hat er vorgeschlagen, dass es eine Wahl geben sollte, um den nächsten König zu bestimmen. Bis dahin herrscht Lee zusammen mit einem Rat in Vengard“, erklärte Gorn.
    „Eine Wahl? Wen sollten wir denn wählen?“ fragte Gabriel.
    „Dich vielleicht“, versuchte Gorn die Stimmung zu heben und gab Gabriel einen kameradschaftlichen Knuff gegen die Schulter.
    „Hör doch auf. Ich tauge doch nicht zum König“, wehrte Gabriel gleich ab.
    „Aber vom Prinzip her könnte man jeden wählen, oder?“ wollte Wolf wissen.
    Gorn nickte.
    „Genau. Jeder kann gewählt werden und natürlich gewinnt der mit den meisten Stimmen. Die Wahl soll um die Wintersonnenwende herum stattfinden. Die Frage ist, was machen wir bis dahin? Von Roland hab ich gehört, dass er euch aus Gotha rausgeworfen hat. Komme gerade von da.“
    „Hör bloß auf“, meinte Gabriel und schaute verbittert. „Weiß echt nicht was das soll. Die Paladine haben doch schon Faring. Das reicht doch. Wir haben hart für Gotha gekämpft und dann meint Roland wir sollen uns dünnmachen. Kam mit viel Trara mit seinen Männern in Gotha an. Die ersten Tage ließ er uns gewähren, doch dann meinte er, wir würden ständig Ärger machen, nur weil wir uns nicht so brav verhielten wie seine ach so manierlichen Ritter. Nachdem ein paar der Jungs dann eine Prügelei mit ein paar Rittern anfingen, setzte er uns ein Ultimatum. Wir sollten Gotha verlassen, oder würden eingesperrt werden. Wer artig gewesen war, durfte als Waffenknecht bleiben. Pah! Hätte mich nie unter Rolands Kommando gestellt. Da sind wir lieber hierher nach Okara gekommen. Nur gibt es kaum was zu beißen. Wäre Wolf nicht hier, wir würden verhungern.“
    „In Gotha ist es derzeit aber auch nicht besser. Ein paar sind zur Jagd oder zum Fischfang aufgebrochen, doch so lange ich da war, kam nie jemand mit Beute zurück“, erklärte Gorn. „Und ich denke das ist für uns auch die Möglichkeit Gotha zurück zu erobern. Das Essen.“
    „Wie meinst du das?“ fragte Gabriel verwundert.
    „Na, willst du Gotha etwa kampflos aufgeben?“ fragte Gorn lauernd.
    Gabriel trat von einem aufs andere Bein und meinte dann: „Naja nicht wirklich, aber meinst du wir sollten einen Kleinkrieg mit den Rittern anfangen?“
    „Der läuft doch schon längst, oder hat Roland euch etwa nicht rausgeworfen?“ fragte Gorn herb.
    „Hm… so gesehen hast du Recht, aber bisher ist niemand zu Schaden gekommen und ich denke nicht, dass es klug ist, wenn sich das ändert. Wir hängen doch eh schon alle tief in der Scheiße.“
    „Ich hatte auch nicht unbedingt ans gegenseitige Abschlachten gedacht. Ich hab einen Plan“, verkündete Gorn und freute sich über seinen Einfall.
    „Lass hören“, sagte Gabriel.
    „Der Befreier hat erzählt, dass es in Silden eine große Bisonherde gibt.“
    „Die hab ich gesehen“, unterbrach Wolf Gorn. „Gibt auch einige kleine Gruppen von jungen Bullen.“
    „Das Fleisch steht einfach nur so auf der Wiese. Das wird uns über den Winter bringen. Wir werden nach Silden gehen und dort mit den Bewohnern reden. Sehe nicht ein, warum die allein das Anrecht auf die Bisons haben. Wenn alles glatt läuft, können wir uns versorgen, während die Ritter und Paladine in Gotha Kohldampf schieben. Irgendwann werden sie dann so entkräftet sein, dass sie für Verhandlungen zugänglich sind. Ich werde Roland zum Zweikampf fordern. Der Sieger bekommt Gotha.“
    „Klingt nach einem Plan“, stimmte Gabriel zu. „Wir können sofort aufbrechen. Wolf, du kommst am besten auch mit.“
    Wolf nickte.

    Zehn Minuten später brach eine Gruppe hungriger Männer aus Okara nach Silden auf. Sie waren zu siebent. Gorn, Gabriel, Wolf, Ian, Lennard, Linhart und Raik liefen durch den Wald nach Silden und angesichts der Größe ihrer Gruppe kamen schnell einige Bewohner aus dem Dörfchen herbei, um zu hören worum es ging. Hatlod, Inog, Anog, Kent und Pavel sahen ihnen gespannt entgegen. Es war Anog, der Anführer von Silden, der die Neuankömmlinge begrüßte.
    „Seid gegrüßt. Was führt euch nach Silden?“ kam er schnell auf den Punkt.
    „Die Bisons“, gab Gorn ebenso schnell zurück. „Wir werden ab sofort ebenfalls auf sie Jagt machen.“
    Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Anogs Augenbrauen rückten sichtlich zusammen.
    „So, werdet ihr das?“ fragte er mit drohendem Ton.
    „Sehe nicht ein warum wir anderen verhungern sollen, während ihr hier im Fleisch schwimmt“, gab Gorn zurück.
    Inog und Anog wechselten einen Blick und Pavel, der Jäger sagte: „Wir schwimmen nicht im Fleisch. Wir teilen uns die Rationen ganz streng ein. Seitdem der Befreier hier war und uns erklärte wie wir die Bisons jagen sollen, haben wir nur ein weiteres Tier erlegt. Kent hat die beiden Bisons mit dem Zauber Tiere zähmen hergeholt, so dass wir sie für die Feldarbeit nutzen konnten. Als der Zauber sich auflöste haben wir die Tiere getötet und verwertet.“
    Parvel zeigte auf Kent, der eifrig nickte, ansonsten aber nichts sagte. Vielleicht schüchterte ihn der schwer bewaffnete Kriegertrupp ein.
    „Dann erklärt uns doch eure Regeln und wir werden es genauso machen wie ihr“, schlug Gabriel vor.
    „Einen Moment. Wir beraten uns kurz“, sagte Anog mit fester Stimme, warf seinem Bruder einen Blick zu, der daraufhin eilig in Silden herumrannte und alle Dorfbewohner aus ihren Häusern trieb.
    Gorn beobachtete wie sich die Leute um Anog sammelten, der nun rege gestikulierte und einmal auch eine Bewegung in ihre Richtung machte.
    „Was die wohl bereden?“ fragte Ian.
    „Wohl, ob sie es wagen können sich gegen uns zu stellen“, sagte Gorn mürrisch und beobachtete Anog ganz genau, um herauszufinden, ob sie sich auf einen Angriff gefasst machen mussten.
    Sie mussten lange warten, doch dann kam Anog zurück und ihm folgte offenbar das ganze Dorf.
    „Na schön, ihr dürft die Bisons jagen, aber nur eins im Monat, sonst haben wir bald gar keine Tiere mehr. Geldern fordert nämlich auch schon Fleisch. Die bekommen das gleiche wie ihr. Und ihr dürft keine Jungtiere oder Weibchen töten, nur die Bullen und nicht den Leitbullen. Nur die jungen, die sich von der Herde entfernen.“
    „Ganz schön viele Einschränkungen“, bemerkte Raik.
    „Aber es sind gute Gründe. Ich verstehe genau warum ihr es so macht. Hat sich jemand was dabei gedacht“, sagte Wolf und nickte.
    „Es war der Held von Myrtana, der uns sagte, dass wir so jagen sollen“, erklärte Anog.
    Gorn nickte und war wieder einmal von seinem Freund erstaunt, denn er selbst hätte sich wohl gar nicht weiter Gedanken gemacht und einfach Leute auf die Jagd geschickt. Auch die Idee, die Tiere erst zu zähmen und später hier im Dorf zu schlachten, fand er sehr schlau. Zuerst freute sich Gorn, als er an seinen Freund dachte, doch als er wieder daran denken musste, dass er vielleicht nie mehr zurückkehren würde, fühlte es sich an, als hätte sich eine gepanzerte Faust um sein Herz gelegt. Wie sollten sie nur ohne seine Ideen und seine Taten diese schwere Zeit überstehen? Gorn ermahnte sich selbst zu Optimismus. Sie konnten immerhin die Bisons jagen.
    „Wolf, führe uns zu einem Bison und zeig uns wie wir eins jagen sollen!“ forderte Gorn.
    Wolf nickte und trabte voran, an Silden vorbei und auf die großen Wasserfälle zu. Sie rauschten laut und waren wie immer ein atemberaubender Anblick. Wie es Gorn vorkam liefen sie einige Zeit scheinbar ziellos herum, doch dann trafen sie auf eine kleine Gruppe beinahe ausgewachsener Bisons. Wolf koordinierte die Jagd und sagte den Männern, dass sie sich um die Gruppe verteilen sollten. Er nahm sich dann das größte Tier vor und schoss aus einem Versteck mit seinem Bogen auf es. Als der Pfeil ins kräftige Muskelfleisch im rechten Vorderbein eindrang, brüllte der junge Bison laut auf und rannte los. Aufgeschreckt rannten die anderen Tiere mit ihm. Sie donnerten genau auf Gorn und Raik zu, die im Gras lagen und auf den richtigen Augenblick warteten. Als die Bisons kaum mehr zwei Mannslängen von ihnen entfernt waren, sprangen sie rasch auf und zückten ihre Waffen. Erschrocken stoben die Bisons links und rechts an ihnen vorbei, doch das verletzte Tier war in seinem Schmerz zu abgelenkt um noch rechtzeitig reagieren zu können. Gorn schwang seine mächtige Axt und hackte dem anrauschenden Bison mit voller Kraft ins Genick. Das Tier gab einen lauten Klagelaut von sich und brach dann gefällt auf dem aufgewühlten Boden zusammen.
    „Wow, das war beeindruckend“, sagte Raik und steckte sein Schwert weg, das er gar nicht benutzen musste.
    Gorn sagte nichts und untersuchte stattdessen den Bison. Hier lag endlich genug Fleisch um sie alle für ein paar Wochen gut versorgen zu können.
    „Das lief ja ausgezeichnet“, meinte Gabriel, der mit den anderen herbei kam.
    „War in Ordnung“, meinte dagegen Wolf, der den Bison nun auch eingehend inspizierte und sich gleich daran machte dem Tier das Fell abzuziehen.
    „Und … wie kriegen wir das Vieh jetzt nach Okara?“ stellte Linhard die alles entscheidende Frage.
    „Tja…“, kam es von Gorn, der gerade seine Waffe weggesteckt hatte.
    Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Er hatte erstmal nachsehen wollen, ob sie überhaupt an die Bisons herankamen. Er hatte sich gedacht, dass sich alles weitere schon irgendwie ergeben würde.
    „Wenn du ihn mit deiner Axt grob zerhackst, können wir die Einzelteile nach Okara schaffen, ohne etwas zu verschwenden“, sagte Wolf und zeigte auf Gorns Axt.
    Gorn nickte, zog seine Axt erneut und sagte mit seiner tiefen Stimme: „Tretet beiseite!“
    Eilig kamen seine Kameraden diesem Befehl nach und machten ihm Platz. Schon krachte die gewaltige Axt auf ein Bein und riss eine tiefe Kerbe in Fleisch und Knochen. Ruppig zog der große schwarze Krieger seine Axt zurück und holte zum zweiten Schlag aus und als die Axt auf die Knochen krachte wurde der Vorderlauf zerlegt. Jetzt ging es um den Rumpf. Der war viel schwerer zu durchtrennen, denn viele feste Muskeln und starke Knochen behinderten die Axt. Ungeachtet dessen ließ Gorn seine Axt mit einem Kampfschrei auf das Tier herunterfahren. Sein Schlag war so gewaltig, dass Blut, etwas Fleisch und Knochensplitter hochspritzten. Gorn schnaufte. Er musste zugeben, dass es ihn sehr anstrengte. Er brauchte unbedingt was zu beißen und hoffte, dass ihn dieser Gedanke neue Kraft geben würde, denn vor seinen Männern wollte er keinesfalls schwach erscheinen. Wieder zog er seine Axt aus dem Fleischhaufen und setzte zum nächsten Schwung an. Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis der Bison so weit zerlegt war, dass sie ihn gut transportieren konnten. Es war eine gute Entscheidung gewesen zu siebent loszugehen, denn jeder bekam einen großen Brocken Fleisch in die Arme, den er nach Okara schaffen sollte. Dort wurde die Bisonstücke zu einem großen Tisch gebracht und von Wolf fachgerecht weiter zerlegt. Natürlich hatten alle Männer von Okara schnell mitbekommen, dass sie bei ihrer Jagd erfolgreich waren und drängelten sich hungrig um den Tisch herum. Jeder forderte als erster etwas zu bekommen und schnell entbrannte eine wilde Prügelei.
    „Aufhören ihr tollwütigen Wölfe, oder ich misch mich gleich selbst mit ein!“ drohte Gorn.
    Die Männer hielten inne und besahen sich mürrisch gegenseitig, dann ließen sie sich los, oder rappelten sich vom schlammigen Boden hoch und grollten.
    „Jeder bekommt was ab. Und wer ein Problem hat kann sich gerne nachher persönlich an mich wenden“, knurrte Gorn weiter und sah streng in die Runde.
    Die meisten Männer senkten den Blick, manche sahen auch einfach nur begierig aufs Fleisch, lediglich Cipher schaute trotzig in Gorns Augen. Abgesehen vom ersten Tumult wurde es ein fröhlicher geselliger Abend. Sie saßen um die Lagerfeuer herum und jeder briet sein Fleisch. Sie schlugen sich den Bauch voll, lachten und Linhard erzählte wie sie den Bison gejagt hatten. Als er die Geschichte nun schon zum dritten Mal zum Besten geben wollte, unterbrach Gabriel ihn. Linhard sah verbissen aus, doch er wagte nicht sich gegen den General zu stellen.
    „Erzähl doch mal was passiert ist nachdem du Gotha verlassen hast!“ forderte Gabriel Gorn auf.
    „Ja, los erzähl!“ wollte auch Raik davon hören und auch viele andere Männer forderten Gorn zu dieser langen Geschichte auf.
    Der ließ sich nicht lange bitten.
    „Es war wie so oft. Aus heiterem Himmel kam er des Weges, nur dieses Mal kam mein Kumpel Lester mit ihm und sie sagten mir, sie würden gerne mit mir zusammen die Orks aus Nordmar vertreiben. In Myrtana hatte er nämlich schon alle Orks abgeschlachtet.“
    Die Männer lachten laut und schallend und Gorn gab ihnen Zeit, bevor er mit seiner Geschichte fortfuhr. Er erzählte wie sie sich durchs kalte Nordmar kämpften und dort auf Milten trafen und anschließend redete er über ihre Kämpfe in Varant und besonders die Schlacht von Mora Sul wurde von Gorn sehr spannend erzählt. Die Männer hörten gebannt zu und keiner wagte es mehr Gorn zu unterbrechen. Besonders gespannt waren die Zuhörer, als Gorn vom Schläfertempel erzählte. Er konnte die beklemmende, düstere Stimmung des Tempels gut wiedergeben und ein leichter Schauer lief durch die Zuhörer. Die Überfahrt von Khorinis zum Festland dagegen hielt Gorn recht kurz und den Aufruhr in Vengard fertigte er knapp ab und ließ es sich so anhören, als hätte der Held den Paladinen mit dem offenen Tor im Minental nur eine reinwürgen wollen. Was Lee mit ihm selbst besprochen hatte, hielt er meist zurück und beschränkte sich aufs Wesentliche, denn er wusste nicht wie der Herrscher von Myrtana darüber denken würde, wenn er hörte, dass Gorn offen über dessen Pläne redete. Gorn schloss damit ab, dass er vom Vorschlag des Helden erzählte, eine Wahl einzuführen. Das war ein guter Schluss, denn jetzt konnten die Männer gar nicht mehr an sich halten und mussten einfach darüber diskutieren.
    „Eine Wahl?“ fragte Raik. „Was ist das denn?“
    „Du Trottel, das weißt du nicht?“ höhnte Cipher. „Man bestimmt damit einen Anführer.“
    „Ach so.“
    „Und wir dürfen alle bestimmen?“ fragte Linhard ganz aus dem Häuschen.
    „Ui, wen ich wohl wählen soll?“ fragte Ian ratlos.
    „Wie wärs mit Lee?“ meinte Wolf. „Ich finde, er hat uns bisher gut geführt.“
    „Ja“, sagte Lennard sarkastisch. „Sehen wir uns doch nur mal an. Wir sitzen in einem Dreckloch. Super Führung. Pah!“
    „He, Myrtana ist in einer verdammt beschissenen Lage. Gar nicht so einfach da was draus zu machen“, stand Gorn seinem Herrscher bei.
    „Trotzdem“, meinte Lennard störrisch. „Da wähle ich lieber jemand anderen.“
    „Und wen?“ wollte Ian wissen.
    „Den Befreier“, sagte Lennard sofort.
    „Aber Gorn hat doch gesagt, dass nicht sicher ist, ob er überhaupt noch mal nach Myrtana kommt“, sagte Linhard.
    „Er kommt zurück, ich weiß es einfach“, meinte Lennard.
    „Ach und woher?“ wollte Raik wissen.
    „Ich habs eben im Urin.“
    „Hast wohl zu viel Bier gesoffen, was?“ höhnte Cipher und lachte.
    „Ich denke, ich wähle ihn auch“, sagte jetzt Erol ernst ohne auf Cipher zu achten. „Er wäre der Beste für den Job. Gefühlt kennt der doch fast jeden in Myrtana. Er hat was auf dem Kasten, er kann kämpfen. Wenn jemand würdig ist den Titel als Beschützer des Reiches zu tragen, dann ja wohl er. Ihr wisst ja alle, dass er die Drachen getötet hat und den Orkkrieg beendete. Ich hab das Gefühl, er hat für jedes Problem eine Lösung. Außerdem ist er nicht so ein aufgeblasener Wichtigtuer wie sonst so viele am Hof. Ich hab das Gefühl, dass er die normalen Leute auch versteht. Er ist bestimmt der Richtige.“
    Einige Männer nickten.
    „Wen soll man auch sonst wählen?“ meinte Ian.
    „Wie wär’s mit Gabriel?“ fragte Gothard und grinste breit.
    „Lasst mich da raus. Ich wäre wohl kein guter König“, meinte der General abwehrend.
    „Besser als so ein Typ mit Stock im Arsch. Stellt euch nur mal vor, so einer wie Roland wird gewählt“, höhnte Gothard.
    „Oder Hagen“, setzte Linhard hinzu.
    Ian winkte ab.
    „Hört bloß auf. Was für ein Albtraum.“
    „Wen könnten wir denn noch wählen?“ fragte Rod, der ziemlich ratlos aussah.
    „Wie wärs mit mir?“ fragte Cipher kühn.
    „Dir? Ne, dann wähle ich lieber den Typen, der in Vengard die Latrinen putzt“, spottete Gothard.
    Viele Männer lachten und das verfinsterte Ciphers Miene nur noch mehr.
    „Wer putzt denn in Vengard die Latrinen?“ fragte Rod arglos.
    Die Männer lachten noch lauter. Gothard feixte und sagte: „Weiß nicht, aber das finde ich schon noch raus.“
    „Aber wenn man jeden wählen kann und das wie Gorn sagt, aufgeschrieben wird, dann könnte man diese Zettel doch bestimmt irgendwie … naja … sagen wir beeinflussen. Da lässt sich doch bestimmt was drehen“, meinte Cipher tückisch.
    „Nichts wird da gedreht! Wenn ich höre, dass jemand bescheißt, kriegt derjenige meine Axt in die Fresse!“ drohte Gorn.
    Cipher schaute finster, kuschte aber nicht. Gorn dachte sich, dass er wohl noch Ärger mit ihm haben würde und nahm sich vor ihn im Auge zu behalten. Die Männer diskutierten noch lange, laue Reden wurden geschwungen, es wurde geflaxt und gelacht, gedroht und sich aufgeplustert. Manche schlugen Gorn als König vor, doch der sagte gleich, dass er selbst lieber den Helden auf dem Thron sehen würde und damit war er nicht allein. Die meisten hielten den Helden als die ideale Wahl, sofern er denn wirklich nach Myrtana zurückkäme. Gorn konnte ihnen da nur Recht geben. Er wusste jedenfalls ganz genau wen er wählen würde.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Alejandros Tagebuch: 20. November

    Es ist schon lange her, dass ich zuletzt geschrieben habe. Es fehlt mir einfach die Zeit. Im Grunde hat ja jeder seine zwölf Stunden Schicht, aber das ist dann auch nur die Mindestarbeitszeit. Immer wenn etwas Außergewöhnliches passiert, ist das ein Alle-Mann-Manöver, so nennen es die Piraten. Und das kann wirklich alles sein. Wenn wir ein fremdes Schiff sichten, wenn wir irgendwo anlegen, oder auch nur, wenn der Wind uns komisch kommt und wir umständlich segeln müssen. Ich weiß nicht … ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Vorgestern bin ich während der Arbeit erschöpft zusammen gebrochen. Natürlich wurde ich gescholten, aber ich weiß, den anderen geht es nicht viel besser. Das wir neunzehn oder zwanzig Stunden am Tag arbeiten, unterbrochen bestenfalls von den Mahlzeiten, ist keine Seltenheit. Ich sehe in viele müde und erschöpfte Gesichter. Die anderen versuchen es oft zu verbergen, wollen keine Schwäche zeigen, aber mir nimmt es sowieso keiner ab, wenn ich den anderen was vormache. Ich kann einfach nicht mehr. Am liebsten würde ich mich einfach nur noch hinlegen und schlafen, schlafen, schlafen. Das Schaukeln der Hängematte stört mich längst nicht mehr. Sobald ich sie berühre bin ich weg. Deswegen heute nur alles in Kürze, damit ich mich gleich hinlegen kann. Vor drei Tagen haben wir ein kleines Handelsschiff gekapert. Ich hab mich wieder zurück gehalten. Wenn’s irgend geht, will ich mich aus all der Gewalt raushalten. Mein Entertruppführer hat mir einen komischen Blick zugeworfen, als er und die anderen Piraten die Beute auf die Murietta holten, aber gesagt hat er nichts. Ich glaube er weiß, dass ich nicht dazu tauge Menschen zu bedrohen oder gar zu töten. Vielleicht hat er das akzeptiert und verschont mich vor solch niederträchtigen Aufgaben. Kämpfen kann ich eh nicht gut. Ich habe versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen um mir ein besseres Bild von ihm zu machen. Wollte in Erfahrung bringen wer es so ist, was er bisher so in seinem Leben gemacht hat. Er kommt mir wie jemand vor, der viel herumkommt und schon einiges erlebt hat. Doch er ließ sich auf kein großes Gespräch ein und speiste mich nur mit ein paar knappen Worten ab. Die anderen sind nicht so verschlossen. Skip erzählt gerne mal einen Schwank aus seinem Piratenleben. Miguel und Manuel halten viele laue Reden, meist fragwürdige Geschichten von Erlebnissen unter dem Einfluss von viel Alkohol. Auch die anderen Piraten geben hin und wieder ein paar Anekdoten zum Besten, nur eben mein Entertruppführer nicht. Seltsam. Eigentlich kommt er ja nicht wie ein verschlossener Mensch rüber. Was verbirgt er?
    Wir werden wohl bald diese Insel anlaufen von der alle reden. Soll mir nur Recht sein. Nachdem es in Stahlstern keine Gelegenheit gab unbemerkt die Mannschaft zu verlassen, will ich hoffen, dass ich beim nächsten Landgang mehr Glück haben werde. Je besser ich von diesem Piratenschiff runterkomme, umso besser. Hätte ich gewusst was mich erwartet, wäre ich bestimmt nicht auf dieses Schiff gegangen. Ich hoffe nur, dass mich keiner der Piraten erwischt, das würde sonst sicher übel enden. Oder die Stadtwache greift mich auf und erfährt, wo ich mitgesegelt bin. Auch wenn ich mich selbst nicht so sehe, werden sie mich natürlich für einen Piraten halten, einsperren, oder sogar hängen. Ich muss jetzt schlafen, wenn ich flüchten will, muss ich gut ausgeruht sein.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Königin der Kanonen

    Der Held wachte auf, blieb aber noch einen Moment in seiner Hängematte liegen. Auch wenn es viel zu tun gab, er hatte sich auch mal etwas Schlaf gegönnt. Deutlich erinnerte er sich noch an seinen Traum. Er hatte geträumt wie er mit der Klaue Beliars gegen die Drachen gekämpft hatte. Waren das spannende Kämpfe. Auch wenn es hart war, so eine Herausforderung wäre ihm auch mal wieder Recht und er sehnte sich danach die Klaue Beliars erneut in seinen Händen zu halten. In letzter Zeit waren seine Gedanken immer mal wieder zu diesem Schwert zurückgekehrt und immer hatte er es beiseitegeschoben, denn er brauchte einen klaren Kopf für die vielen Aufgaben, die ihn Tagtäglich auf der Murietta erwarteten. Dennoch, immer noch zogen seine Gedanken ihn unaufhörlich zur Klaue zurück und auch jetzt fragte er sich was wohl aus dem Schwert geworden war. Lag es immer noch unter dieser magischen Barriere? Hatten die Magier irgendwelche magischen Banne dagegen ausgesprochen, dem Schwert vielleicht die Kraft entzogen, oder es sogar irgendwie vernichtet? Wenn sie es nur vor Vengard ins Meer geworfen hätten, würde ihm das nicht mal viel ausmachen. Er würde sich in einen Lurker verwandeln und danach tauchen. Das wäre immerhin wieder ein Abenteuer.
    „Alle Mann an Deck!“ polterte die kräftige Stimme von Greg nach unten.
    Ruckartig richtete sich der Held auf und stürmte nach oben. Es gab offensichtlich wieder viel zu tun. Wie er feststellte, befanden sie sich kurz vor der Insel Fischschwanz, die so hieß weil es sich um eine große, aber schmale felsige Insel handelte, die leicht gebogen war, wie ein springender Fisch. Soweit der Held sehen konnte, waren die Berge der Insel mit überwiegend lichtem Wald bedeckt. Wiesen sah er kaum, aber dafür viele karge öde Flecken, wo nicht einmal Bäume wuchsen. In die felsige von zerklüfteten Steilklippen gesäumte Bucht zu gelangen war nicht einfach, denn es gab viele schroffe Felsen und gefährliche Untiefen, welche die Arbeit von Lotsen unersetzlich machte. Es sprach für Greg und seine überwiegend erfahrene Mannschaft, dass sie selbst ein so großes Schiff wie die Murietta sicher durch diese gefährliche Passage fahren konnten. Endlich landete die Murietta an der Kaimauer der Hafenstadt an. Bevor die Männer an Land gingen, versammelte Greg sie um sich, um seine körperlich und geistig erschöpfte Mannschaft über diesen Ort zu informieren.
    „Sturmkap schaut zwar rau aus un de Minschen hier achten harte ehrliche Arbeit. Rover, Piraaten un Herumdriever werden aver nich geern gesehen. Königin Meva is fix bi de Hand sülke Lüü inzusperren, denn sie greift steenhard gegen all un jeden durch, de den Riekdoom vun ihr Inselkönigriek Ogakhta gefährden könnte. Ik war aver scho a Stück wat nich mehr hier un van daar witt ik nich wie de Laag is. Gahn wir aver ma vom Slimmsten aus un vermoden, dat de Stadtwache uns ratzfatz einbuchten wird, wenn se erfahren, dat wr keene ehrlichen Hannelsmänner sin, so wie wi et vorgeben zu sien. Also holtet euch bedeckt, verstanden?“
    Greg sah mit seinem verbliebenen Auge besonders den Helden streng an.
    „Aye“, sagte die Mannschaft im Chor.
    „Henry, du un deen Trupp, ihr werdet de Waren, de wi gekapert hett verkopen. För de Kanonen broken wi jedet Goldstück. Alligator Jack, Morgan, Bones un du …“
    Greg zeigte zuletzt auf den Helden.
    „Ihr komt mit mi. Wi werden dat nahgahn, dat endlich een paar anständige Kanonen op de Murietta kommen. Merkassa isn oll Zeech, aver hat goote Kanonen un im Unnerscheed zu woanners ham wi bi hör ne Chance overhoopt welke kopen zu könne.“
    „Sollen wir die Schatzkisten gleich mitnehmen?“ fragte der Held, der sofort eifrig bei der Sache war.
    Greg winkte ab.
    „Ne, wi falln doch net gleech mit dat Gold ins Haus. Bist immer noch ne staubige Landradde, wat? Ne, ne, erstmal verhanneln wi un denn sehn wi weider. Dat Rest vun de Mannschup blevt hier op de Murietta. so lange wi weg sin hat Skip dat Kommando.“
    Skip grinste breit und sah ganz offensichtlich stolz aus.
    „So, nu denn wolln wer ma“, sagte Greg und wandte sich zur Hafenstadt um.
    Die Planke wurde über die Kluft zwischen Schiff und Kai gelegt, doch überrascht stellten die Piraten fest, dass sie bereits erwartet wurden. Am Kai stand ein großer, kräftiger wohlgenährter Mann mit bereits ergrauten Haaren und ordentlich gestutzten Vollbart, der sie breit grinsend erwartete und um ihn her standen vier ernst dreinschauende Wachen. Sie trugen graue solide Rüstungen und waren mit Hellebarden bewaffnet.
    „Als Hafenmeister freue ich mich euch in Sturmkap willkommen zu heißen. Ist schon eine Weile her, dass wir so ein großes prächtiges Schiff in unserem Hafen liegen hatten.“
    Verschreckt zuckten die Hände einiger Piraten zu ihren Waffen, bereit sie sofort zu ziehen, sollte es nötig werden. Mit einer Handbewegung mahnte Greg seine Mannschaft zur Gelassenheit. Er wusste, wenn es hier und jetzt eskalierte, würden sie so schnell nicht mehr hier wegkommen.
    „Moin. Schön, dat weit gereiste Seelüü wie wi so herzlich in eurer feinen Stadt willkomen geheißen werden. Nehmen se et miener Mannschup nich övel, se sin etwat bibärig vun de lang Fahrt.“
    „Habt wohl schwer was durchmachen müssen?“ fragte der Hafenmeister und sein Grinsen wurde breiter. „Seid wohl Piraten begegnet was?“
    „Joa, leider isses so. Knapp vör Stahlstern ham se uns angrepen un ham binah dat Schiff zerlecht.“
    „Deswegen die schwarzen Segel? Hatten euch schon fast selbst für Piraten gehalten“, sagte der Hafenmeister und dem Helden entging nicht, dass er sie jetzt noch genauer beobachtete.
    „Ne ne, warn nur de eenzigen de för uns beem Büdelnäher vun Stahlstern erschwinglich warn. Allet hat uns dieset Gesocks abgenommen, wär‘n beinahe an Hunger un Dörst zu Grunde gegangen“, spielte Greg weiter die Mitleidstour durch und es sah so aus, als könne er so noch mal das Ruder herumreißen.
    „Na, habt wohl reichlich Verluste gehabt wie?“ fragte der Hafenmeister, nun tatsächlich ein wenig mitleidig und schaute in die reichlich mitgenommenen müden Gesichter der kleinen Mannschaft.
    „Joa, oder menste mit so a paar Männicken wär ik losgefahrn? Mussten knojen bis zum Abwinken, sin heilfroh hier angekommen zu sien. Miene Männer broken nödig Slaap. Glob mi Stunk wolln wi keenen maken. Wolln nur unsere Geschäfte tätigen, uns a bissl op‘s Ohr haun un denn sin wi wieder wech.“
    „Was denn für Geschäfte?“ fragte der Hafenmeister, der bei diesen Worten hellhörig wurde.
    Greg versuchte sich wohl nichts anmerken zu lassen, aber der Held bemerkte, dass er sich ärgerte, weil er sich wohl verplappert hatte.
    „Wi broken Kanonen, damit wi nich noch mal vun so elendem Gesocks angrepen wern“, erklärte Greg.
    „Und wie wollt ihr die bezahlen, wenn ihr doch überfallen wurdet?“ fragte der stutzig gewordene Hafenmeister und bohrte weiter.
    Greg wurde kurz still und sagte dann: „Siehste dat Flagg oben op‘m Masttop? Wir sin nich för irgendwen unnerwegs, sonnern för König Fion, dat sollte doch wat wert sein.“
    Der Held schaute unwillkürlich hoch zum Mast, denn er hatte noch gar nicht bemerkt unter welcher Flagge sie heute fuhren. Unglücklicherweise hatte der Hafenmeister diesen Blick wohl bemerkt.
    „So, seid ihr das? Hm…“
    Der Hafenmeister nahm Greg nun noch genauer in Augenschein.
    „Du kommst mir leicht bekannt vor. Glaub, hab mal ein Bild von dir gesehen. Käpt’n Greg, oder? Wenn ich mich richtig erinnere ein berüchtigter Piratenkapitän.“
    „Wat? Ik un een Piraat?“
    Greg lachte laut und kurz darauf fiel seine Mannschaft mit ein. Sie hofften, es wirkte nicht allzu aufgesetzt.
    „Ne, ne. Wär ik een Piraat hätt ik mir sicher nich all meene Waren abnehmen laten. Käpt’n Derek ist mien Name un dat is de kümmerliche Rest von mien Crew.“
    „Hm…“ sagte der Hafenmeister noch einmal und seine Augen verengten sich, während sie aufmerksam Greg und seine Crew weiter musterten und dann weiter über die Murietta wanderten.
    Greg und seine müde Mannschaft warteten angespannt, während der Hafenmeister sie in Unsicherheit zappeln ließ.
    „Na gut, Käpt’n Derek, dann heiße ich euch noch einmal in unserer schönen Hafenstadt willkommen. Bitte zeigt mir euer Fahrtenbuch vor und entrichtet sofort die fälligen Kosten: Hafensteuer, Liegegebühren, Dockmiete und natürlich die Bezahlung der Lotsen.“
    Greg musste für die Kosten tief in die Tasche greifen. Der Held war heilfroh, dass er sich nicht mit diesem Zeug befassen musste. Allein das mit dem Fahrtenbuch hörte sich kompliziert an. Offenbar wurde in diesem Buch alles dokumentiert. Wer, wo herkam, wo man zwischengelandet war, das Aufladen, bewegen und löschen der Ladung und eben auch, wenn Piraten einen überfallen hatte. Offenbar hatte Greg das Buch gut genug gefälscht, als dass der Hafenmeister nichts auszusetzen fand.
    „Einen schönen Aufenthalt, wünsche ich“, sagte der Hafenmeister, klang dabei aber nicht allzu freundlich.
    Er reichte Greg das Fahrtenbuch zurück und ging mit seinem Gefolge die Kaimauer entlang zu einem großen steinernen Haus, das wohl ihr Arbeitsplatz war.
    „Die wärn wer los“, knurrte Greg leise. „So un nu geht jeder siener Upgaav nach un keen Dumm Tüch verstanden?“
    Er warf jedem von seiner Crew und ganz besonders dem Helden einen scharfen Blick zu und ging dann mit schnellen zielstrebigen Schritten den Kai entlang. Alligator Jack, Morgan, Bones und der Held folgten ihm bis zu einem imposanten großen Holzbau vor dem zu Präsentationszwecken eine Kanone stand. Hölzerne Stufen führten zum Eingang hinauf über dem ein metallenes Schild mit der Aufschrift „Königin der Kanonen“ an einer dicken Eisenkette hing. Greg voran trat die Besatzung der Murietta in den großen, geräumigen Laden ein. Der Boden bestand aus hellen Holzplanken, die Wände waren mit allerhand Gegenständen der Seefahrt dekoriert, darunter einem hölzernen Steuerrad, stabil wirkenden Fischernetzen, einem großen matten Kompass, zwei gekreuzten schmalen Rudern und einer aufgespannten hübschen Flagge, die eine aus der Kanone geschossene Kugel, die auf den Betrachter zuflog, auf rotem Grund zeigte. Mehrere hübsche Holzregale standen an den geschmückten Wänden. In ihnen befanden sich verschiedene Gefäße mit unergründlichem Inhalt, Bücher, Muster von Kanonen und einem kleinen Modellschiff in einer Flasche. Zwei schwer bewaffnete Männer hielten sich neben den Regalen auf. Sie saßen links und rechts in lockerer Haltung in zwei gemütlichen Lehnsesseln, doch so wie sie die Neuankömmlinge anschauten, konnten sie wohl rasch aufspringen und zur Tat schreiten.
    Merkassa saß weit hinten in ihrem Laden, den Blick zur Tür, hinter einem eindrucksvollen Schreibtisch voller Ornamente. Der robuste Tisch war beladen mit Schriftstücken, Tinte und Feder, einem schweren Briefbeschwerer, der aussah wie ein Schiff und einem Haufen Gold. Dass sie letzteren so offen zur Schau stellte, konnte nur bedeuten, dass sie vollstes Vertrauen in ihre Macht hatte. Sie selbst war eine alte Matrone gehüllt in ein rostbraunes Mieder, über das sie sich ein langes goldenes Seidentuch über die Schultern gelegt hatte. Ihre Augen sahen ihnen wach entgegen. Ihr breiter froschartiger Mund verzog sich zu einem gekünstelten Lächeln.
    „Tag Greg, schön, dich mal wieder zu sehen. Ist lange her, seitdem wir uns zuletzt gesehen haben. Wie ich sehe, hast du ein neues Mitglied in der Mannschaft. Hoffe er taugt was.“
    Ihre Stimme war für eine Frau ungewöhnlich tief.
    „Dieser Bagalut brengt zwar veel Gold, aber ook veel Ärger een“, kommentierte Greg mit einem finsteren Seitenblick auf den Helden, der bei diesen Worten leise lachte. „Ik brooke Kanonen för mien neuet Schiff.“
    „Dieses beeindruckende Schiff habe ich schon gesehen. Besser ich frage gar nicht erst wie du da ran gekommen bist. Leider muss ich dich enttäuschen. Ich habe es dir doch schon einmal gesagt, Greg. Ich baue nur Kanonen für meine eigenen Schiffe. Es sind die besten. Wenn ich sie an jeden dahergelaufenen Piraten verkaufen würde, dann wären meine eigenen Schiffe bald nicht mehr sicher“, antwortete Merkassa mit einer festen Stimme, die wohl Verständnis vermitteln, aber trotzdem ihren Standpunkt klarmachen sollte.
    „Aver wi kennen uns doch al lang. Wi sin doch keene Fremden. Ik betahl goot un du brokst ook keene Angst hebben, dat wi deene Schiffe overfallen. Deen Flagg is makelk utmaken“, versuchte sich Greg einzuschmeicheln.
    „Weißt du warum ich so lange im Geschäft geblieben bin?“ fragte Merkassa und lehnte sich lächelnd in ihrem Stuhl zurück. „Trau niemals einem Piraten. Das ist mein Motto. Damit bin ich bisher immer gut gefahren und das bleibt daher auch so.“
    Greg schaute griesgrämig, doch weil er sich so viel Zeit mit einer Antwort ließ, glaubte der Held, dass er gar nichts mehr dazu sagen wollte und mischte sich ein.
    „Wie wär’s, wenn wir uns gegenseitig helfen? So als Vertrauensbeweis. Wir erledigen was für dich und du verkaufst uns die Kanonen.“
    Greg warf ihm einen grimmigen Blick zu und wollte schon losschimpfen, so wie das eben seine Art war, doch bevor es dazu kam, hatte schon Merkassa ihre Stimme erhoben: „Findiges Kerlchen, was? Na gut, ich werde es auf einen Versuch ankommen lassen.“
    Sie holte ein Schuldbuch aus der Schublade ihres Schreibtisches und schrieb ein paar Namen und Summen ab, dann reichte sie Greg die beschriebene Pergamentrolle.
    „Zum einen sollten diese Herren endlich ihre Schulden bezahlen. Sorg dafür, dass ich das Gold bis morgen früh habe und die Leute einsehen, dass sie sich nie wieder mit ihren Zahlungen bei mir verspäten. Zum zweiten … der Richter dieser Stadt hat ein belastendes Dokument gegen mich in der Hand. Ich möchte es haben. Auch das sollte bis morgen früh erledigt sein. Wenn ihr dann beide Aufgaben erfüllt habt und nur dann …“
    Sie hob einen dicken wurstigen Zeigefinger.
    „werde ich Kanonen für euch herstellen.“
    Greg schaute finster drein, doch der Held hatte überhaupt kein Problem damit. Endlich normale Leute, die erst etwas haben wollten, bevor sie was für einen taten. Ganz wie daheim. Greg und seine Mannschaft verließen Merkassas Laden und sofort fauchte der Kapitän den Helden an: „Wat hast du dir egentlik daarbi gedacht eenfach dazwischenzuquatschen? Et is miene Upgaav solche Dinge auszuhanneln. Weil du dat Maul so opgerissen hast, wirst du jetz ook de beeden Upgaaven maken un wenn du et nich schaffst, denn lat ik dich hier op diss verdoomten Insel zurück un du kanst selbst sehen wie du klar komst!“
    „Verstehe“, sagte der Held nur und streckte die Hand aus, damit der Kapitän ihm das Pergament mit den Namen reichte.
    Der warf noch einen weiteren strengen Blick zum Helden, gab ihm das Pergament und erinnerte ihn daran: „Un stich nich wieder eenen ab! De olde Braatsche hat klipp und klar gesacht, dat sich de Lüüd zukünftig nich mehr mit ihren Zahlungen verspäten sollen, dat geht natürlich nich, wenn se doot sin.“
    „Ist klar.“
    „Ik dachte, ik sach et dir Dullbrägen beter noch‘emma un jetz‘ sieh zu, dat du Land gewinnst!“
    Der Held machte sich sofort auf den Weg durch die Stadt, die gedrückt im Schatten der Klippen lag. Er hatte schon einen Plan. Die Dokumente des Richters waren am besten nachts zu ergattern. Jetzt musste er erstmal herausfinden was das für Typen waren, die es sich mit Merkassa verscherzt hatten. Dazu sprach er wie gewohnt alle möglichen Leute in der Stadt an und fragte nach den Namen, die auf dem Pergament standen und weil es sich gerade so schön anbot beklaute er diese Bürger auch noch gleich. Es war nicht ganz so leicht wie in der Hafenstadt Stahlstern. Hier waren die Leute etwas aufmerksamer, aber nicht aufmerksam genug für diesen Piraten. Durch ein Gespräch erhielt er gleich auch noch einen neuen Auftrag. Ein zwar noch junger, aber bereits zur Glatze neigender Typ, namens Erik, fragte ihn, ob er irgendein Kräutermittel kennen würde, das zum Haarwuchs führte. Der Held wusste es nicht, aber er versprach sich mal umzuhören.
    Die drei Schuldner fand der Held im Laufe des Tages. Der erste war ein besonders zäher Brocken. Noch Gregs Worte im Ohr setzte der Held zuerst einen Angstzauber ein, um ihn einzuschüchtern, doch der harte Kerl war zwar verängstigt, rückte das Gold aber immer noch nicht raus. Es kam zu einer blutigen Prügelei, an deren Ende der Schuldner das Gold doch noch übergab und versprach, dass er, sollte er noch einmal Gold bei Merkassa leihen, es rasch zurückzahlen würde. Dem Zweiten genügte es zu sagen, dass er ihm die fauligen Stumpen aus der Kauleiste schlagen würde, sollte er das verlangte Gold nicht zurückzahlen. Der dritte war nicht in seinem Haus und so raubte der Held seine Truhe aus, wo er Zeug fand, dass deutlich den Wert der Schulden überstieg. Er nahm alles an sich und hinterließ einen Zettel auf dem geschrieben stand, dass er nächstes Mal besser gleich zahlen sollte, oder es würden noch ganz andere Sachen verschwinden. Der Held hielt sich dabei bewusst nebulös, denn meist wusste die Fantasie der Leute immer noch am besten wie diese zu ängstigen waren. Auf dem Weg zum Rathaus, kam der Held an einem Tempel für Adanos vorbei und sah überraschend Alejandro, wie er in den Kramladen daneben ging. Neugierig lenkte der Held seine Schritte auf den Laden zu und als er eintrat, fand er einen ertappt guckenden Alejandro vor. Auf dem Boden vor ihm lag ein großer offener Rucksack, gefüllt mit Proviant, einem Seil und einem Heiltrank. Der Krämer reichte dem Heranwachsenden gerade eine Karte der Insel, sah dann den Neuankömmling, blickte rasch zwischen ihm und seinem Kunden hin und her und entschied, dass es wohl besser wäre ein paar Arbeiten im Hintergrund durchzuführen. Der Held sah kurz auf den Rucksack, dann hoch in Alejandros erschrockenes Gesicht und hatte verstanden. Er fände es schade, wenn der Junge die Murietta verließ. Immerhin machte er nun endlich langsam Fortschritte und sie waren sowieso zu wenige in der Mannschaft.
    „Meinst du wirklich du bist schon erfahren genug für ein Soloabenteuer?“ fragte der Held.
    Er klang nicht unfreundlich, aber trotzdem zuckte Alejandro erschrocken zusammen. Sein Blick blieb an den Fingerknöcheln seines Entertruppführers hängen. Sie waren noch von der letzten Prügelei stark gerötet. Er traute sich wohl nichts zu sagen, schluckte mühsam und sah nur noch auf den Boden. Er sah verängstigt aus, doch der Held wusste nicht, ob er vor ihm Angst hatte, oder vor seinem Alleingang.
    „Kämpfen kannst du ja immer noch nicht und was machst du, wenn du von irgendeinem Vieh angegriffen wirst? Ich schätze dich noch nicht so ein, dass du alleine überlebensfähig bist, oder siehst du das anders? Geh besser wieder zurück zum Schiff!“
    Alejandro sagte immer noch nichts, nickte dann aber, schnappte sich seinen Rucksack und verließ zusammen mit seinem Entertruppführer den Kramladen. Der Held sah ihm kurz nach, wie er die Straße hinunter zum Hafen ging und setzte dann seinen Weg zum Rathaus fort. Er sah sich erstmal nur um, doch es dauerte nicht lange und die mit Hellebarden bewaffneten Wachen fragten ihn ob er einen Termin hatte
    „Was ist das?“ wollte der Held wissen.
    Die Wachen sahen sich belustigt an.
    „Kennst du wohl nicht, was? Kommst wohl vom Dorf, was?“ fragte eine der Wachen und grinste breit.
    Der Held wollte gerade antworten, da erklärte auch schon die zweite Wache: „Ein Termin ist ein festgelegter Treffzeitpunkt. Hier kommt man nur mit einem Termin rein. Der Bürgermeister, der Richter und die anderen wichtigen Leute hier haben keine Zeit für sinnlose Gespräche. Ihre Zeit ist sehr kostbar und deswegen passen wir hier draußen auf, dass keiner reinkommt, der keinen Termin hat.“
    „Und wie macht man so einen Termin?“ wollte der Held wissen und war schon genervt, weil wieder alles so umständlich war.
    „Du hast Glück, bei uns bist du genau richtig. Wir führen hier das Terminbuch“, sagte die erste Wache, zog es aus einer breiten Ledertasche, die er bei sich trug, schlug es auf und suchte eine bestimmte Seite. „Mal sehen … oh, da wären wir ja schon im neuen Jahr. Hier, am siebten ersten des neuen Jahres ist was frei, für eine Stunde am Vormittag.“
    „Willst du mich verarschen?“ fragte der Held verwundert. „Was ihr euch alles einfallen lasst. Ein Termin. So ein Quatsch. Ich will doch nur da rein.“
    Die beiden Wachen sahen zuerst erstaunt aus, dann verfinsterten sich ihre Mienen.
    „Jetzt hör mal zu du Kasper! Hier kann nicht einfach jeder kommen und gehen wie er will. Das haben wir dir schon einmal gesagt. Entweder du nimmst den Termin oder nicht.“
    „Vergesst es“, sagte der Held genervt und verzog sich um die nächste Hausecke.
    Dort sah er zum Rathaus hoch, das ihm ungewöhnlich groß vorkam und überlegte wie er ohne einen Termin da reinkam. Die Mauern waren sehr hoch und recht glatt, selbst mit seinen Akrobatikkünsten würde es sehr schwer werden dort hinaufzuklettern und dann dürfte er auch nicht gesehen werden. Er könnte sich in eine Fleischwanze verwandeln. Die kamen mit fast jeder Steigung klar, allerdings würde es ewig dauern, bis er dort oben war. Eine Blutfliegenverwandlung wäre da schon besser. Er entschied noch ein paar Stunden auf den Einbruch der Nacht zu warten. Dann wären wohl weniger Menschen unterwegs und die Schwärze der Nacht würde seine Tarnung sein. So ließ er sich auf eine Bank in der Nähe des Rathauses sinken und aus irgendwelchen Gründen kam ihm Diego in den Sinn. Was er jetzt wohl gerade machte? Hatte er irgendeinen schlauen Plan, den er durchführte, oder hatte er dafür im Moment keinen Nerv, weil auch ihn die Hungersnot plagte? Normalerweise hatte der Held immer etwas zu tun, dafür sorgte er schon, doch jetzt wo er einfach nur auf dieser Bank saß, gingen ihm viele Gedanken durch den Kopf und immer wieder zogen sie ihn nach Myrtana zurück. Der Held versuchte sie abzuschütteln und zog schließlich sein Tagebuch hervor, um es auf den neuesten Stand zu bringen. Endlich wurde es dunkel, doch es war nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Jemand ging herum und zündete die großen Öllampen an, damit sie die Stadt erleuchteten. Der Held fand, dass das recht umständlich aussah. Wenn es nur dieser eine Mann gewesen wäre, dann wäre es wohl nicht so schwer gewesen, doch zahllose Menschen liefen über den Platz, am Rathaus vorbei zum Theater, oder einem gehobenen Wirtshaus zu oder auch einfach nur den Hang hinab nach unten in die anderen Viertel. Der Held wartete noch etwas, bis sich der Großteil des oberen Viertels im Theater eingefunden hatte und der Rest irgendwo saß und aß oder sich besoff. Als es endlich ein wenig ruhiger geworden war, schlich der Held sich an einer Mauer einer großen Villa entlang zu einem relativ uneinsehbarem Fleckchen, um dort seine Blutfliegenverwandlung durchzuführen. Er entschied sich für eine khorinische Blutfliege, denn durch ihre dunklere Färbung würde er so wohl nicht so schnell entdeckt werden, wie durch die auffälligere rötliche myrtanische Variante. Es war wie immer ein seltsames Gefühl plötzlich so viele Beine und Flügel zu haben. Details konnte er nun schlechter erkennen, doch die Nervenreize für Bewegungen gingen in für Menschen unvorstellbarer Geschwindigkeit in sein kleines Blutfliegengehirn. Mit leisem Summen schwirrte er zum Rathaus hinauf und suchte nach einem offenen Fenster. Vorsichtig schwebte er in eine kleine Kammer und verwandelte sich zurück. Rasch sah er sich um und versteckte sich dann erstmal hinter einem großen Regal gleich neben dem Fenster, denn er dachte sich, wenn hier ein Fenster offen stand, dann musste es auch irgendjemanden geben, der es geöffnet hatte. Vorsichtig lugte er aus seinem Versteck hervor. Es war stockdunkel hier drin, doch er glaubte niemanden zu erkennen. Natürlich könnte er einen Lichtzauber sprechen, aber dann könnte er genauso gut aus vollem Halse rufen, dass er hier gerade einbrach. Es blieb also dunkel und der Held schlich sich vorsichtig voran. Wie es aussah, war er in einem Büro gelandet. Trotz der Dunkelheit versuchte der Held etwas auf den Dokumenten zu erkennen, die auf dem dunklen schweren Holzschreibtisch lagen. Es erschloss sich ihm nicht alles. Das meiste war irgendwelcher Verwaltungskram. Nichts was einen Richter wirklich etwas anging. Er war wohl im Büro des Bürgermeisters gelandet. Leise wie ein Schatten schlich der Held deswegen vom Schreibtisch weg und zur Tür. Möglichst sacht versuchte er sie aufzustoßen. Sie knarrte jedoch verräterisch. Der Held wartete kurz und lauschte, doch es hatte ihn wohl niemand gehört. Weiterhin auf der Hut streckte er seinen Kopf in den Flur, um sich umzusehen. Auch er lag größtenteils im Dunkeln, nur weiter hinten im Gang brannten mit Glas geschmückte Öllampen. Sturmkap war wohl eine sehr reiche Stadt, wenn sie sich solchen Firlefanz leisten konnte. Kurz überlegte der Held in welche Richtung er gehen sollte. Geradezu lag eine Treppe im Dunkeln, doch dort ging es sicher nur wieder nach unten, also schlug er den Weg nach links ein, weg vom Licht und hoffte, dass er zum Büro des Richters kam. Leise schlich er sich vorwärts. Er war ohnehin schon leise, doch der dicke graurote gemusterte Teppich schluckte nun auch noch das letzte Geräusch, so dass er nun wirklich lautlos durch den Flur ging. So konnte er seinerseits geschäftige Schritte hören, welche die Treppe hochkamen. Rasch sah sich der Held rechts und links nach einem Versteck um, doch er konnte nichts sehen. Allerdings hatte er es auch bald zur nächsten Tür geschafft. Würde er es noch rechtzeitig dorthin schaffen?
    Sein Herz begann aufgeregt zu pochen. Die Schritte auf der Treppe wurden lauter. Die Person, die diese Schritte verursachte, war gleich oben, schon hörte er die ersten dumpfen Schritte auf dem Teppich. Der Held war nun direkt vor der Tür und drehte am Türknauf, doch die Tür war verschlossen. Er unterdrückte einen wüsten Fluch. Der Held sprach rasch den Schlösser öffnen Zauber der alten Magie. Ohne, dass es eine erkennbare Veränderung gegeben hätte, konnte er die Tür nun einfach öffnen. Rasch schlüpfte der Held ins Zimmer und drückte die Tür möglichst sacht zu. Hatte die Person draußen ihn gehört? Er lauschte. Er konnte die Schritte nicht mehr wahrnehmen. Entweder war die Tür zu dick, oder der Teppich draußen dämpfte die Schritte noch besser, als er vermutet hatte. Es konnte natürlich auch sein, dass die Person gar nicht in diese Richtung wollte, sondern dorthin ging, wo die Öllampen leuchteten. Auch nach einer Minute passierte nichts. Erleichtert atmete der Held aus. Solche Aufgaben, die seine Diebestalente erforderten, fand er immer besonders spannend. Er drehte sich von der Tür weg und sah sich um. Er war wieder in einem Büro. Einem kleineren dieses Mal, doch selbst der Held, der nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten gab, stellte fest, dass es ein überaus schönes war. An der Wand hing ein auffälliges Wappen auf dem ein rostbraunes Stadttor abgebildet war, auf dem ein übergroßer goldener Schlüssel lag. Davor spielten blaue Wellen. An den anderen Wänden hingen aufwändige Landschaftsgemälde und ein sehr großes Portrait. Der kompakte Mann darauf trug feinen rotgoldenen Zwirn, hatte ein altes faltiges Gesicht mit weißem gepflegtem Schnurrbart und seine Haare schimmerten weißlich, fast silbern. Der Held wandte sich von all dem Wandschmuck ab. Ein eleganter Kirschholztisch, der auf einem aufwändig gewebten Teppich stand, beanspruchte seine gesamte Aufmerksamkeit. Er kramte die Rune des Feuerpfeils heraus und ließ die kleine Flamme in seiner rechten Hand flackern, um ein tragbares Licht zu haben. Jede Minute kam dem Helden unglaublich lang vor. So war es immer auf Diebesmissionen. Es galt die Aufgabe schnell zu erledigen und dann zu verschwinden. Jede Minute, die verstrich, vergrößerte die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden. Daher überflog er die Dokumente auf dem Tisch nur, konnte aber nichts finden, das auf Merkassas Geschäfte hindeutete.
    Es ging um Handelsstreitigkeiten, Ärger mit dem Zollamt, Verurteilungen, Begnadigungsersuche, Ausgleichszahlungen, Familienstreitigkeiten, Schadensersatzforderungen und einem ziemlich seltsamen Missbrauchsfall. Doch von Merkassas Dokument war keine Spur. Plötzlich hörte der Held Geräusche an der Tür. Jemand wollte die bereits aufgeschlossene Tür aufschließen. Sein Herzschlag beschleunigte sich sofort. Er packte die Rune weg. Rasch versteckte er sich unter dem Kirchenholzschreibtisch und hoffte, dass ihn hier unten in der Dunkelheit so schnell niemand finden würde. Die Tür öffnete sich, ein goldener schwacher Lichtschein drang ins Zimmer und eine verwunderte Frauenstimme war zu hören: „Seltsam, ich dachte, hier wäre abgeschlossen. Ricardo muss es wohl vergessen haben…“
    Die Stimme klang weiblich und noch recht jung, doch der Held wollte nicht aus seinem Versteck hervorspähen, um Näheres zu erfahren, denn dann würde er natürlich riskieren entdeckt zu werden. Er hörte wie sich die Schritte dem Schreibtisch näherten und sein Herz schlug schneller. Wenn sie ihn fand, würde sie schreien und dann müsste er etwas tun. Sollte er einfach verschwinden, oder sie töten, vielleicht sogar noch bevor sie ihn fand und schreien konnte? Der Held legte eine Hand an den Griff seines Rapiers, bereit es zu ziehen. Trotz seines aufgeregten Herzschlags atmete er flach und so leise, dass es nicht zu hören war. Sein Herz beruhigte sich etwas. Die Schritte hatten währenddessen ihren Kurs geändert, links am Schreibtisch vorbei, zu einem Schrank hin. Es raschelte. Die Frau suchte wohl etwas. Das Licht einer unter Glas verdeckten Öllampe ließ nun erkennen, dass die junge Frau einen braven schwarzen Dienstbotenrock und eine weiße Schürze trug. Ihre dunklen Haare verschlangen sich zu einem einfachen Knoten auf dem Kopf.
    „Wo sind die Unterlagen nur?“ hörte der Held sie flüstern.
    Noch mehr Geraschel, dann hörte er wie ein großer dicker Papierpacken beiseitegelegt wurde.
    „Ah, da ist es ja, endlich“, sagte die Frau erleichtert und der Held hörte laute Schritte, die den Raum verließen und mit ihnen ging auch das Licht.
    Die Tür schloss sich und er hörte wie ein Schlüssel sich im Schloss drehte. Der Held war eingeschlossen. Das war für ihn aber kein Problem. Mit seinen Fähigkeiten konnte er sie natürlich wieder aufschließen. Es bot ihm sogar einen Vorteil, denn so konnte er hören, wenn wieder jemand hinein wollte. Er kroch unter dem Schreibtisch hervor, zückte wieder die Rune des Feuerpfeils und im spärlichen Licht, die das kleine Flämmchen warf, untersuchte er den Schrank an dem diese Frau gerade herumgekramt hatte. Er fand dicke Ordnermappen mit vielen weiteren Fällen. Der Held konnte einen Seufzer nicht unterdrücken und begann sie zu durchsuchen. Das war alles viel langwieriger als er es vermutet hatte. Der dröge Papierkrieg ließ seine Aufmerksamkeit mit jeder verstrichenen Minute weiter sinken. So reagierte er erst sehr spät, als wieder jemand die Tür aufschloss und sie gleich darauf energisch aufgestoßen wurde.
    „… bringt sie wieder nur die Hälfte mit. Alles muss man alleine machen, als wäre ich nicht schon genug damit gestraft so lange arbeiten zu müssen“, polterte der eintretende Mann.
    Auch er trug eine kleine mit Glas geschützte Öllampe und blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen, als er den Helden sah, der nur den halben Weg bis zum Schreibtisch geschafft hatte.
    „Wer bist du denn? Was hast du hier verloren?“ brüllte der Mann, den der Held von seinem Portrait als den Richter Ricardo erkannte.
    Er fürchtete bei dieser Lautstärke würde Ricardo wohl noch jemand anderen herbeilocken, deswegen zog er schnell sein Rapier, trat auf ihn zu und legte es an seinen Hals. Ricardo tat einen Laut der Überraschung und wurde käsebleich. Wie der Held mit einem Blick zu seinem Gürtel sah, war er unbewaffnet. Wie unbedacht von ihm.
    „Ich suche nach einem Dokument über Merkassa. Kennst du sicher, so eine ältere pummlige Frau. Hat ein Geschäft am Hafen.“
    „Ja, natürlich kenn ich die“, schnarrte der Richter, der wohl mutiger war, als der Held zuerst gedacht hatte.
    „Zeig es mir!“ forderte der Held kurz angebunden.
    Ricardo schnaubte laut durch die Nase.
    „Dann nehmen sie dieses Ding von meinem Hals. Danke!“ sagte er in gereiztem deplatziert höfflichen Ton.
    Der Held hielt das Rapier etwas weiter von seinem Hals weg, allerdings in ständiger Bereitschaft zustoßen zu können, um Ricardos Leben ein Ende zu bereiten. Ungeduldig wartete der Held darauf, dass der Richter ihm die Dokumente in die Hand drückte. Er vermutete, dass der Richter Zeit schinden wollte, damit die Frau oder jemand, der sich sonst noch um diese späte Urzeit hier aufhielt, kam, um zu sehen wo er so lange blieb.
    „Beeilung! Ich werde schnell ungeduldig“, knurrte der Held wahrheitsgemäß und ritzte die Haut am Hals des Richters leicht, so dass Blut aus der Schnittwunde quoll.
    Kalter Schweiß stand dem Richter auf der Stirn und er murmelte: „Schon gut, hier. Nimm das und verschwinde!“
    Der Richter gab dem Helden vier Seiten dicht beschriebenes grobes Papier. Rasch überflog der Held die erste Seite. Er las Merkassas Namen. Es war wohl das richtige Dokument.
    „Gut. Jetzt muss ich dich leider töten. Du hast mich gesehen und weißt worum es geht“, erklärte der Held pragmatisch.
    Ricardos Gesicht wurde Totenblass.
    „Ich … du kannst doch nicht …“, stammelte der Richter.
    „Oh doch, ich kann“, sagte der Held und hob sein Rapier.
    „HILF…!“
    Ricardos Schrei verlor ganz plötzlich seine Kraft, als das Rapier seine Lungen durchstieß und er zu Boden ging. Mitleidslos zog der Held die blutige Klinge aus dem sterbenden Körper und ging mit dem üblichen Todesstoß sicher, dass der Richter auch wirklich tot war. Der Held hörte dumpfe Schritte vom Gang her. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis noch jemand hier aufkreuzte. Er steckte sein Rapier weg, ohne es zu säubern, denn dafür war keine Zeit, steckte auch das Dokument ein und ging zum Fenster. Ein seltsamer Riegel war im Weg. Genervt fummelte der Held daran herum. Er war schon kurz davor das verdammte Fenster einfach einzuschlagen, da ging es endlich auf. Gleich darauf verwandelte er sich in eine Blutfliege und kaum war er draußen, hörte er einen überraschten weiblichen Schrei. Vielleicht war er noch zu sehen gewesen, doch möglich, dass das Dienstmädchen Ricardos Leiche entdeckt hatte. Egal. Nun war es ohnehin zu spät. Der Held schwirrte als Blutfliege über die Stadt und bis aufs Deck der Murietta.
    „Was zum Henker…“ hörte der Held Francis laut rufen und er sah noch wie er sein edles Schwert zückte, bevor sich der Held zurück verwandelte.
    Francis atmete erleichtert auf.
    „Adanos sei Dank. Ich dachte schon, ich müsste mich zu dieser späten Stunde mit so’m Gekröse rumärgern.“
    „Du weißt doch, dass ich mich verwandeln kann“, sagte der Held leichtfertig.
    „Ja, aber woher soll ich denn wissen, dass du es bist?“ fragte Francis genervt.
    „Musst du eben den Druck abwarten“, meinte der Held. „Wenn ich‘s bin, verwandle ich mich zurück, wenn nicht und das Vieh greift dich an, dann bin ich es nicht. Ist doch offensichtlich.“
    „Na du hast leicht reden …“ meinte Francis und schaute finster drein.
    „Wo ist der Käpt’n?“ fragte der Held knapp.
    „In seiner Koje. Ich und Henry sind zurzeit die Einzigen, die überhaupt wach sind. Alle anderen nutzen die Gelegnheit, um sich mal so richtig auszuschlafen. Wird eigentlich auch mal Zeit, dass die Wachablösung kommt. Wette, ich muss die erst aus ihren Matten prügeln“, knurrte Francis.
    Der Held hörte ihm gar nicht mehr zu, sondern ging ungeachtet der späten Stunde und der Tatsache, dass Francis ihm sogar noch gesagt hatte, dass Greg schlief, in die Kapitänskajüte und rüttelte ihn wach.
    „Watn los?“ fragte Greg ungehalten.
    „Ich hab alle Aufgaben erfüllt“, erklärte der Held knapp und wartete gar nicht darauf, dass Greg langsam zu sich kam. „Das Geld der Schuldner hab ich dabei. Sie leben noch und werden zukünftig pünktlich ihre Schulden bezahlen. Die belastenden Papiere habe ich auch dabei“, sagte der Held und streckte Greg das Gold und die Papiere hin.
    „Goot, denn können wi gliek mörgen früh zu Merkassa geh‘n“, grummelte Greg.
    Vielleicht hätte er den Helden sogar gelobt, wenn er ihn nicht geweckt hätte.
    „Wir könnten doch gleich zu ihr“, schlug der Held vor.
    „Mitten in de Nacht? Biste blööd? Hau ab un übernimm de Wache vun Henry un Francis, damit de ook ma slapen könen!“
    Greg legte sich wieder in seine Koje und der Held zog ab, um wie befohlen Henry und Francis abzulösen.

    Rastlos verbrachte der Held den Rest der Nacht an Deck. Die Stadt lag scheinbar ruhig da, doch er konnte im oberen Viertel einige Lichter angehen und wieder verlöschen sehen, so als wäre dort hektische Bewegung in Gang. Hätte er Greg vielleicht sagen sollen, dass er den Richter getötet hatte? Vielleicht wäre er dann bereit gewesen sofort zu Merkassa zu gehen. Aber er hatte nicht danach gefragt, also hatte der Held auch nichts weiter gesagt.
    Mit dem gleichen Trupp wie schon zuvor, ging Greg am frühen Morgen zu Merkassas Laden. Der Laden wurde gerade erst aufgeschlossen.
    „So früh schon da? Na, das sieht nach einer erfolgreichen Nacht aus“, bemerkte eine von Merkassas Wachen.
    Die Matrone selbst saß wie schon das letzte Mal hinter ihrem Schreibtisch und sah ihren potentiellen Kunden wachsam entgegen.
    „Wi hebben de Dulten un deene Schüldner werden et nich mehr wagen sich mit ihr‘n Zahlungen an dich zu verspäten“, erklärte Greg und ließ sowohl die Dokumente, als auch die Goldbeutel der Schuldner auf ihren Schreibtisch fallen.
    „Gut“, sagte Merkassa, warf aber nur einen kurzen Blick auf das Gold und sah dann die Dokumente durch.
    Sie hörte sich nicht wirklich zufrieden an und gleich erfuhren sie auch warum.
    „War es denn unbedingt notwendig den Richter umzubringen? Zugegeben, ich konnte ihn auch nicht leiden, aber das könnte mir großen Ärger bereiten. Die Stadtwache weiß zwar nicht wer es war, aber ich kann es nun wirklich nicht gebrauchen, dass sie bei mir herumschnüffeln.“
    „Wat?“
    Gregs verbliebenes Auge weitete sich und zog sich dann vor Wut zu einem schmalen Schlitz zusammen. Wütend fuhr Greg den Helden an: „Ik hab dir doch gesacht, dat du nich schon wieder enen abstechen sollst!“
    Merkassa sah zuerst verwundert von Greg zum Helden, dann ließ sie ein unterdrücktes grunzartiges Glucksen hören.
    „Genau genommen hattest du gesagt, ich soll die Schuldner nicht abstechen, weil die dann nicht mehr bezahlen können und die leben ja noch“, wollte sich der Held herausreden.
    „Ik mente, dat du överhoopt KENEN abstechn sollst, verdammich nochma!“
    „Terminiert“ verbesserte der Held. „Hier nennt sich das terminiert.“
    Greg schaute verdattert.
    „Wat?“
    „Der Richter hatte einen Termin mit dem Tod. Es ging halt nicht anders“, meinte der Held und zuckte mit den Schultern. „Der ganze Raum war voll mit Papieren, weißt du wie schwer es war da überhaupt die Richtigen zu finden? Und als dann der Richter reinkam, war der zwar eine Hilfe, aber der hatte mich ja gesehen und wusste was ich wollte. Hm… gut, ich hätte ihn wohl mit einem Vergessenszauber belegen können … warum ist mir das gestern Nacht nicht eingefallen?“ wunderte sich der Held und fragte sich ernsthaft warum er nicht einfach diesen Zauber genutzt hatte.
    Früher hatte er das doch ständig eingesetzt. Er musste sich wohl erst wieder daran gewöhnen nicht immer sofort zu aggressiven Lösungen zu greifen.
    „Ja, warum?“ fragte Greg ärgerlich. „Wenn du sowat schon kannst, denn mok dat ook!“
    „Magie kann er also auch?“ fragte Merkassa neugierig Greg, so als wäre der Held gar nicht selbst anwesend.
    Der Kapitän nickte und sagte: „Joa, aber wat hilft’s? Dieser Bullerballer makt mich noch wahnsinnig. Haben Dusel, wenn er uns nich ma all so wirklich in Gefahr bringt.“
    „He, immerhin hab ich den Auftrag erfüllt und wir kriegen unsere Kanonen, richtig?“ fragte der Held.
    „Nun“, sagte Merkassa und ließ absichtlich eine lange Pause, um sie für einen Moment im Ungewissen zu lassen. „Ihr habt meine Aufträge erfüllt. Nicht ganz so wie ich es erwartet hätte, aber ich stehe zu meinem Wort. Ich bin bereit für die Murietta Kanonen anzufertigen. Zehntausend Goldstücke für eine Kanone.“
    „Teihndusend?“ fragte Greg baff und sein Auge wurde so groß, als würde es ihm gleich aus der Höhle hüpfen.
    „Du verlangst ja auch nicht unbedingt wenig, Greg“, sagte Merkassa und lächelte Greg gewinnend an. „Und wer sich so ein großes Schiff leisten will, muss auch ganz schön was hinlegen, aber das brauch ich dir doch eigentlich nicht zu sagen, oder?“
    Greg nickte schlecht gelaunt und sagte: „Joa, lange Been, köst lange Büxen.“
    „Kanonen herzustellen ist teuer und du willst ja nicht irgendwelche, sondern die Besten, nicht wahr?“ fuhr die Händlerin fort und ihr Lächeln hatte sich in ein breites Grinsen verwandelt.
    „Worauf willste hinaus?“ fragte der Piratenkapitän.
    „Meine Kanonen sind treffsicher, aber ich muss zugeben, dass es andere Modelle gibt, die eine weitaus größere Reichweite haben. Die aus Stahlstern sind was das angeht unübertroffen. Doch stell dir nur mal vor, was wäre, wenn ich ihre Baupläne in die Finger bekäme. Dann könnte ich Kanonen bauen, die sowohl eine große Reichweite haben, als auch treffsicher sind. Wenn du mir die Baupläne der Kanonen von Stahlstern bringst, dann kriegst du deine Kanonen für den Preis von einer. Ihr werdet diese Waffen auf euren Fahrten für mich testen und mir dann berichten und ich übernehme alle Wartungsarbeiten für die Kanonen. Das ist ein einmaliges Angebot Greg. Wenn ich du wäre, würde ich nicht lange überlegen.“
    Greg dachte wohl schnell nach, denn es dauerte nicht lange, bis er das Wort ergriff: „Ik bin nur a bissl verwunnert, dat du ausgerechnet mi dieset eenmalige Angebood unnerbreitest.“
    Merkassa lachte tief und voll wie eine Tonne.
    „Ach Greg. Wir kennen uns nun schon so lange. Ich habe miterlebt wie du zu dem berüchtigten Piratenkapitän geworden bist, der du nun bist und ganz unter uns, es gibt nur selten einen Piratenkapitän, der so lange über die Meere fährt wie du. Die meisten sterben im Kampf, oder enden als Fischfutter, weil ihre Mannschaft gemeutert hat, aber nicht du. Du bist immer noch da, noch dazu mit einem neuen imposanten Schiff und einer offenbar fähigen Crew.“
    Merkassa ließ ihren Blick über Gregs Männer schweifen und blieb beim Helden hängen.
    „Na goot. Wir breken gliek op, aver dat wird keen Zuckerschlecken. Stahlstern gehört zu den bestgeschützten Häfen Adlokas. Ik hoffe du west wie riskant dieset Manöver för uns wird.“
    Merkassa lächelte wissend und das war Greg wohl Antwort genug.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Der Segen des heiligen Wassers

    Greg beeilte sich wirklich fort zu kommen. Er hatte einen derartigen Scharfschritt drauf, dass die anderen Piraten, mit Ausnahme des Helden, Mühe hatten ihm zu folgen.
    „Du weißt, wir scheuen keinen Kampf Käpt’n“, fing Bones an, doch die Nervosität in seiner Stimme ließ an seinen Worten zweifeln. „aber Stahlstern ist eine äußerst wehrhafte Stadt.“
    „Ja“, stimmte auch sofort Morgan zu. „Ist schon verwegen genug dort überhaupt in den Hafen einzulaufen, aber sich dann auch noch Ärger einhandeln…“
    „Daarum mütten wi daför sorgen, dat et zu kenem Ärger kommt“, sagte Greg und schritt ungebremst voran.
    „Aber Käpt’n, was ist wenn doch? In letzter Zeit lief ja nun wirklich nicht alles glatt“, versuchte nun auch Alligator Jack vorsichtig den Piratenkapitän umzustimmen und er kam nicht umhin dem Helden einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen.
    Der ließ sich davon aber gar nicht weiter stören.
    „Wi broken de Kanonen“, sagte Greg knapp. „Ohne Kanonen kommen wi heute nich mehr weit. Ohne Kanonen werden wi vun de annern Piraaten opgerieben.“
    Damit war von seiner Seite her wohl alles gesagt und Alligator Jack, Bones und Morgan sahen ein, dass mit ihrem sturen Kapitän nicht zu reden war. Greg steuerte die Hafenmeisterei an und verlangte dort nach Lotsen, die sie aus den gefährlichen Untiefen ins offene Meer führen würden. Er knallte einen Beutel Gold in die ausgestreckte Hand des verwundert drein blickenden Hafenmeisters. Der hatte mit so viel Energie und Entschlossenheit am frühen Morgen wohl nicht gerechnet.
    „Habt es wohl eilig wie?“ fragte er. „Aber da muss ich euch gleich den Wind aus den Segeln nehmen. In der Nacht wurde der Richter der Stadt ermordet und es laufen Ermittlungen. Ihr dürft erst in See stechen, wenn sie abgeschlossen sind.“
    „Dat kann doch woll nich wahr sien“, stöhnte Greg und es war nicht sicher, ob er wegen der Verzögerung genervt war, oder so tat, als ob ihm das Ableben des Richters Leid täte. „Un wie lang soll dat dauern?“
    „Schwer zu sagen. Bis der Schuldige gefunden wurde. Kann schon nach ein paar Tagen erledigt sein, oder aber einen Monat dauern“, gab der Hafenmeister die schwammige Auskunft.
    „Wi sin aver ook vom Pech verfolgt“, tat der Piratenkapitän nun wieder mitleidig. „Erst ausgeröverd vun Piraaten, denn hier angekommen, aver Kanonen kriegen wi nich mit lauen Verspreken. Gold hebben wi natürlich ook nich mehr. Hab güstern gerade so nen Updrag an Land gezogen. Solln ne Levern Heiltränke na Stahlstern fahrn un denn mit de verdienten Gold zum Auftraggeber torüggkomen. Ik habn festen Tiedplaan. Wi steh ik denn da, wenn ik gar nich erst opbreke? Wovon soll ik denn miene Crew ernähren? Dat is unser lestes Gold“, sagte Greg und zeigte auf den Beutel in der Hand des Hafenmeisters.
    Greg konnte wirklich sehr überzeugend sein. Der Hafenmeister glaubte ihm wohl, denn er sah betroffen zu Boden und kratzte sich ratlos den Nacken.
    „Tja … ich kann eure Lage verstehn…“
    „Wi haven nix daarmit to doon. Warn nur hier up de Haven, gar nich da boven be de fienen Lüüd“, gab ihm Greg noch einen weiteren Stups.
    „Naja, also … lass mal das Fahrtenbuch sehen“, sagte der Hafenmeister, der versuchte dem scheinbar ehrlichen Kapitän aus der Patsche zu helfen.
    Er blätterte es durch und sah sich die letzte Seite genau durch.
    „Heiltränke von Rudolf dem Alchemisten. Hm… wenn wir zu ihm gehen, kann er dann bezeugen, dass ihr diesen Auftrag von ihm angenommen habt?“
    „Aver klaar. Wi könen gliek hin“, war Greg eifrig dabei kooperativ zu sein. „Un ihr geht zurück op dat Schiff un staht den braven Lüüd hier nich im Wech herum!“
    Während Greg und der Hafenmeister zum Alchemisten des Hafenviertels gingen, kehrte sein Gefolge auf die Murietta zurück und wartete dort auf heißen Kohlen. Sie erzählten den anderen aus der Crew was geschehen war.
    „Das ist aber gewagt“, sagte Skip und sog angespannt Luft zwischen seinen Zähnen ein.
    „Das ist nicht nur gewagt, das ist völlig bescheuert“, wagte Garett zu sagen.
    „Na na, du redest hier immerhin über den Plan des Käptn’s“, rief Henry ihn zur Ordnung.
    „Aber er hat doch Recht“, mischte sich Owen ein. „Wieder nach Stahlstern? Puh! Letztes Mal hatten wir gerade noch mal Glück und sind davon gekommen. Was ist wenn wir dieses Mal wieder vom Pech verfolgt sind?“
    Brandon hörte das und rieb eilig ganz eifrig über seinen angeblich Glück bringenden Talisman.
    „Der Käpt’n meint, es muss sein. Wegen der Kanonen“, sagte Alligator Jack, doch es war ihm anzuhören, dass auch er dachte, dass diese Mission unter keinem guten Stern stand.
    „Ob so ein paar Kanonen es wert sind, dass wir dafür unser Leben lassen?“ sprach Miguel aus, was wohl viele dachten.
    „Du hältst dein Maul!“ fuhr Henry ihn grobschlächtig an.
    Miguel schaute finster, erwiderte jedoch nichts. Das war ihm auf diesem Schiff brutal ausgetrieben wurden.
    „Da kommt der Kapt’n“, sagte Alejandro und zeigte zum Kai.
    Tatsächlich, Greg kam zu ihnen. Allein.
    „So. Könen los. De Havenmeister un de Alchemist hebbe för uns gebörgt. De Lotsen helpen uns beem Utlopen.“
    Viele der Piraten seufzten erleichtert auf, denn sie dachten schon sie wären hier gestrandet. Einige andere dagegen hätten das der Alternative, nämlich nach Stahlstern zu fahren, aber wohl vorgezogen.
    „Dann wollen wir doch nur mal hoffen, dass sie nicht rauskriegen wer den Richter auf dem schlecht ausgeprägten Gewissen hat, sonst kriegen wir hier auch noch Probleme, wenn wir zurück kommen“, sagte Alligator Jack grummelnd.
    „Dat kanste laut seggen“, kam es düster von Greg.

    Das Auslaufen war sehr langwierig und alle waren erleichtert, als die Insel endlich hinter ihnen lag. Es wehte ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich milder Südwind, der sie bei guter Fahrt nach Norden trieb. Der Kapitän ordnete die Rückkehr zum Schichtbetrieb an. Das bedeute für den Helden und seinen Trupp, dass sie jetzt eigentlich schlafen könnten. Doch er hatte keine Lust und sie hatten bereits in der Nacht geschlafen. Daher vertrieben sie sich die Zeit anders. Skip arbeitete vorbildlich weiter, um seine Kameraden zu unterstützen, die unter der vielen Arbeit ächzten, während Miguel und Manuel auf Deck herumgammelten und leise erzählten. Der Held stand an der Reling und sah in Gedanken versunken aufs trübe Meer hinaus. Der Himmel war heute zugezogen und die See lag grau und trostlos da. Alejandro trat überraschend neben ihn. Ihn schien etwas zu belasten und es dauerte auch nicht lang, bis er mit der Sprache rausrückte.
    „Hast du den Richter wirklich umgebracht?“
    Der Held hob eine Augenbraue, weil er den Unglauben in der Stimme des Jungen hörte.
    „Ja“, antwortete er trocken.
    „Warum?“ wollte der Schiffsjunge wissen.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „War im Weg. Vorhin ist mir in den Sinn gekommen, dass ich ihn auch mit einem Vergessen Zauberspruch hätte belegen können, aber das ist mir zum entscheidenden Zeitpunkt nicht eingefallen.“
    „Ohje“, sagte Alejandro und sackte mit dem Oberkörper auf die Reling.
    Der Held sah ihn schief an, weil er nicht wusste was dieses „Ohje“ bedeuten sollte und sagte nichts. Sie standen einen Moment einfach nur da und schauten aufs Meer. Es dauerte einige Zeit bis Alejandro wieder etwas sagte. Es sah so aus, als würde es ihn einiges an Überwindung kosten, er dann aber doch seinen Mut zusammen nahm.
    „Meinst du nicht auch, dass es der falsche Weg sein könnte immer wieder Leute zu töten?“
    Der Held brauchte nicht lange über diese Frage nachdenken, denn er hatte auch darüber gegrübelt, bevor Alejandro zu ihm kam.
    „Hast ja Recht. Der Kapt’n natürlich auch. Bringt nur Ärger ein. Muss mich wieder daran gewöhnen nach anderen Lösungen zu suchen“, gab der Held zu.
    „Ich meinte eigentlich aus ethischen Gründen“, murmelte der Schiffsjunge.
    Der Held ließ nicht erkennen, ob er ihn gehört hatte und sagte nur: „Ich hab nicht nachgedacht. Hab aus Gewohnheit gehandelt.“
    „Gewohnheit? So wie wenn es normal wäre?“ fragte Alejandro schockiert.
    „Naja, hab einiges erlebt …“, sagte der Held schwammig.
    Alejandro musterte seinen Entertruppführer, so als könnte das weitere Einzelheiten aus ihm herauslocken.
    „Vermisst du kein normales Leben?“ fragte er dann.
    Der Held lachte.
    „Was ist schon normal?“ fragte der Held, der keinen Bezug zu einem Leben hatte, das andere als normal betrachten würden.
    „Na so, zur geregelten Zeit aufstehen, arbeiten, essen, sich mit Freunden treffen, zusammensitzen und jeden Tag etwa zur gleichen Zeit schlafen gehen. Alltag eben“, sagte Alejandro, zuckte beiläufig mit den Schultern und fand es seltsam das erklären zu müssen.
    „Das machen wir doch alles hier auf der Murietta“, sagte der Held und für seine Begriffe war das ein geregelter Alltag.
    „Aber …“, stammelte Alejandro. „Das … sehe ich gar nicht so. Normalerweise ermordet man keinen. Normalerweise tauchen keine gruseligen Riesenhaie aus dem Meer auf. Normalerweise wird man nicht von Piraten überfallen. Normalerweise muss man nicht ständig um sein Leben fürchten.“
    Mit jedem Satz hörte sich Alejandro aufgeregter an.
    „Wenn du das sagst …“, meinte der Held völlig ruhig. „Aber gut, dass du es ansprichst. Als ich dich in diesem Laden gesehen hab, dacht ich echt du willst dich verdrücken. So wie du kämpfst, hättest du wohl nicht lange überlebt.“
    „Ich hätte ja in Sturmkap bleiben können“, sagte Alejandro zögerlich.
    „Nach deinen Vorräten zu urteilen sahen deine Ziele aber anders aus“, bemerkte der Held trocken.
    Alejandro wurde rot im Gesicht und das sagte dem Helden, dass er richtig gelegen hatte.
    „Verlangt ja keiner, dass du für immer hier auf diesem Piratenschiff bleibst. Ich bin selbst auch nur überall kurz und hab schon viel ausprobiert.“
    „Ich tauge einfach nicht als Pirat. Ich kann nicht kämpfen und mir liegt gar nichts daran irgendwelches Gold zu horten. Diese Schätze in den Wracks unten im Meer zu finden war aufregend, aber ich wüsste gar nicht was ich mit all dem Zeug soll“, gab Alejandro niedergeschlagen zu.
    "Es geht nicht darum riesige Goldsummen anzuhäufen, sondern, sich Fähigkeiten anzueignen, die man braucht um zu überleben und seine eigenen Ziele verfolgen zu können“, erklärte der Held und er fand, dass dies eine wichtige Lektion für den jungen Alejandro war.
    "Bei dir hört sich das an, als wenn es jeden Tag mit einem vorbei sein könnte“, sagte der Schiffsjunge deprimiert und sah runter in die Wellen.
    "Das könnte es ja auch. Du musst wirklich sehr behütet gelebt haben, wenn du so naiv bist. Los, lass uns den Schwertkampf trainieren, du musst ja mal besser werden!“
    Schon stellte sich der Held kampfbereit auf und zog sein Rapier. Er sah in Alejandros erschrockenes Gesicht. Der sah gar nicht danach aus, als ob er seinen Degen ziehen wollte.
    „Ich … kann das einfach nicht“, würgte der Schiffsjunge mühsam hervor. „Ich kann einfach nicht …“
    Der Junge machte eine zustechende Bewegung.
    „Ich stell mir dann immer vor, wie ich jemanden verletze.“
    „Ja, so soll’s ja auch sein. Das spitze Ende geht in den Anderen rein“, sagte der Held spöttisch.
    „Du verstehst das nicht. Ich kann mich einfach nicht überwinden jemanden zu verletzen, oder sogar … zu töten. Das kann ich einfach nicht.“
    „Hmm… und wie willst du dann überleben wenn es mal eng wird?“ fragte der Held.
    Alejandro zuckte nur ratlos mit den Schultern.
    „Ich werde nicht für immer um dich herum sein und es ist auch nicht meine Aufgabe dich ständig zu retten“, redete ihm der Held zu.
    Alejandro sah unglücklich aus. Doch der Held wollte etwas wagen.
    „Vielleicht kannst du ja besser mit Magie umgehen.“
    „Magie?“ fragte Alejandro und seine Augen weiteten sich neugierig.
    „Ja Magie, stottere ich?“ fragte der Held belustigt.
    „Nein, es ist nur … ich dachte, man muss eine Magierausbildung hinter sich bringen, um Magie einzusetzen.“
    „Ach Quatsch“, winkte der Held ab. „Mit etwas magischem Talent kann jeder Spruchrollen einsetzen und wenn es gut läuft, können wir uns auch bald an den ersten Kreis der Magie wagen.“
    Alejandros Augen wurden noch größer.
    „Wirklich?“
    „Jetzt glotz nicht so, als hätte ich dir einen schnaubenden Drachensnapper vor die Füße gestellt, hier nimm diese Licht Spruchrolle und versuch sie mal anzuwenden!“, sagte der Held und überreichte seinem Schüler eine übrig gebliebene Lichtspruchrolle, die er damals zusammen mit vielem anderem Zeug aus dem Schläfertempel geborgen hatte.
    „Und wie mach ich das?“ fragte Alejandro ahnungslos.
    „Jede Spruchrolle beinhaltet eine Zauberformel. Du aktivierst sie, indem du dich auf deine magische Kraft konzentrierst und den festen Willen hast, diese magische Macht zu entfesseln. Nach jeder Anwendung verlierst du etwas magische Kraft. Wenn du dich ausruhst, oder einen Manatrank trinkst erholst du dich wieder“, erklärte der Held.
    Alejandro sah so aus, als hätte er immer noch nicht genau verstanden was er denn nun eigentlich tun sollte.
    „Ich zeig es dir einfach mal“, sagte der Held und zückte eine Lichtrune.
    Ein kleines Licht schwebte schon in seiner rechten Hand und zeigte den ausgewählten Zauber. Umstandslos führte der Held den Zauber aus und das Licht stieg in die Luft, wurde größer und erstrahlte hell.
    „Jetzt du!“ forderte der Held.
    Alejandro sah zuerst unsicher aus, aber dann schien etwas in ihm eine Veränderung herbeizuführen. Sein Gesichtsausdruck wurde zielstrebiger und sein Körper straffte sich. Er hob die Spruchrolle bedeutungsschwer hoch. Das hätte es an sich zwar nicht gebraucht, aber wenn es dem Jungen half, war es dem Helden nur Recht. Sie zerlegte sich und aus ihr heraus löste sich ein kleines Licht, das größer und heller wurde. Nun strahlten zwei Lichter über ihnen. Alejandro staunte.
    „Wow, das hab ich gemacht?“
    „Siehst du doch, du Wunderblume“, sagte der Held und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Versuch jetzt mal ein Goblinskelett zu beschwören.“
    „Uff, das ist bestimmt viel schwieriger“, stellte es sich Alejandro vor.
    „Quatsch. Du hast bewiesen, dass du mit Spruchrollen umgehen kannst. Egal welche Spruchrolle es ist, du solltest sie alle anwenden können und Teleportersteine und Druidensteine auch.“
    Alejandro sah überfordert aus.
    „Druidensteine waren diese Dinger, mit denen man sich in Tiere verwandeln kann, oder?“
    „Genau. Los, jetzt mach!“ sagte der Held ungeduldig.
    Alejandro sah etwas ängstlich aus, als er auch diese Spruchrolle hochhob und dann etwas hilflos mit dem rechten Arm wedelte.
    „Nein, so doch nicht! Du musst dich konzentrieren!“ sagte der Held, der verwundert dabei zusah, was der Schiffsjunge da trieb.
    „Tu ich ja“, behauptete Alejandro.
    „Aber du willst es nicht wirklich. Du hast Angst vor dem Skelett. Es tut dir nichts. Du bist dann sein Herr. Jedenfalls erinnere ich mich nicht daran, dass jemals ein Magier von seiner eigenen Beschwörung angegriffen wurde, oder doch?“
    Der Held sah nachdenklich aus. War da mal was in Jharkendar gewesen? Naja das mit den Feuerbiestern und Steinwächtern war schon etwas anderes gewesen.
    „Das beruhigt mich gerade überhaupt nicht“, sagte Alejandro mit zittriger Stimme.
    Er sah jetzt noch verängstigter aus als zuvor.
    „He, was treibt ihr denn hier? Was sollen diese Lichter über euren Visagen?“ fragte Skip, der interessiert herbei gekommen war.
    Erst jetzt bemerkte der Held, dass auch Miguel und Manuel neben einer nahen Klampe standen und ihnen zusahen und nicht einfach nur rumlungerten.
    „Magietraining“, erklärte der Held einsilbig.
    Skip stellte das wohl nicht zufrieden, doch der Held war froh nicht mehr gesagt zu haben, denn kaum drei Minuten später kam Bones dazu und sagte: „Der Käpt’n will wissen was ihr hier macht. Er meint, er kann keinen Magiekram gebrauchen, der ihm das Schiff kaputt macht und er meint, du hättest ihm ohnehin schon genug Ärger eingebrockt.“
    Der Held verdrehte die Augen und erklärte dann noch einmal, diesmal ausführlicher: „Ich bringe Alejandro hier Magie bei, damit der auch was nützliches im Kampf beitragen kann.“
    „Im Kampf?“ fragte Alejandro verschreckt. „Aber ich kann doch nicht… ich hab doch gesagt, dass ich niemanden verletzen will.“
    Bones, Skip und die beiden Brüder Miguel und Manuel lachten laut. In süffisantem Ton stichelte Manuel: „Ach, der kleine Milchbart will niemanden verletzen. Wie putzig.“
    „Du bist hier auf einem Piratenschiff Kleiner“, erinnerte Bones den Schiffsjungen.
    „Besser können und nicht brauchen, als nicht können und verrecken“, sagte der Held knapp.
    „Ja, höre auf deinen Entertruppführer Junge!“ setzte Bones noch hinzu und ging dann zu Greg zurück, um ihm zu erzählen was hier vor sich ging.
    „Aber …“, hob Alejandro wieder an, während die magischen Lichter verloschen.
    „Hör mal, es gibt auch andere Zauber, zum Schlösser öffnen, Wunden heilen, oder eben einfach um Licht zu machen. Lern es einfach, okay? Dann kannst du später immer noch entscheiden wie du diese Fähigkeit nutzen willst“, riet ihm der Held.
    Alejandro nickte stumm und versuchte dann wieder ein Goblinskelett zu beschwören. Es wurde nicht dadurch besser, dass Miguel und Manuel beleidigende Anmerkungen machten und Witze rissen.
    „Haltet die Fresse, oder verpisst euch!“ fuhr der Held sie an, als sie nicht damit aufhören wollten.
    Daraufhin schauten Miguel und Manuel verkniffen, wechselten einen Blick, verstummten und blieben wo sie waren. Alejandro atmete erleichtert auf, schloss die Augen und sah jetzt hochkonzentriert aus. Vielleicht hätte er es geschafft, wenn nicht gerade in diesem Moment Bones zurückgekommen wäre und gebrüllt hätte: „Der Käpt’n sagt, wenn ihr was am Schiff kaputt macht, schmeißt er euch über Bord. Sonst hat er aber wohl nichts gegen euer Training. Tatsächlich meint er, dass es ganz praktisch wär noch einen Magier an Bord zu haben.“
    „Haltet doch jetzt alle mal die Fresse, der Junge versucht hier was zu lernen!“ fuhr der Held nun auch Bones an, denn er wollte endlich Fortschritte sehen.
    Geduld war eben nicht seine Stärke. Bei ihm war es immer ganz leicht gegangen und weil er sich selbst als Maßstab nahm, verstand er nicht warum es bei anderen länger dauerte.
    „Tschuldigung“, grummelte Bones und stellte sich nun neben Skip und sagte keinen Ton mehr.
    Alle Augen waren auf den angestrengt dreinschauenden Alejandro gerichtet.
    „Sieht aus, als würde er ein Ei legen“, sagte Manuel leise zu Miguel, doch die anderen konnten sie trotzdem hören.
    Alejandro wohl auch, denn sein Gesicht nahm einen deutlich rosanen Farbton an. Der Held warf ihnen einen Blick zu, der als letzte Warnung gedacht war. Die beiden Brüder sahen ihn kurz unterwürfig an und schauten dann rasch wieder weg. Sie hörten Schritte und Bill stellte sich auf die Backbordseite wo noch kein Zuschauer stand.
    „Was läuft denn hier?“
    „PSSSSSCHHHT!!“ zischten Skip und Bones viel lauter als nötig gewesen wäre.
    Der Held verdrehte noch einmal genervt die Augen. Offenbar fühlte sich auch Alejandro gestört, denn es dauerte wieder etwas, bis er einen konzentrierten Eindruck machte. Dann endlich löste sich auch diese Spruchrolle auf und ein Goblinskelett wurde beschworen.
    „Oh, wow“, sagte Bill beeindruckt, denn mit so etwas hatte er wohl nicht gerechnet.
    Das beschworene Wesen schaute düster aus dunklen Augenhöhlen und schnatterte, dann hob es seinen Ast und lief auf Bill zu, der dem beschworenen Wesen am nächsten stand.
    „Wah!“ stieß er aus und tänzelte von einem Bein aufs andere, damit das Goblinskelett ihm nicht mit dem Ast auf die Füße hieb.
    „Ja, Tanz, Bubi Tanz!“ rief Bones laut und lachte.
    Miguel, Manuel, Skip und der Held lachten auch mit und sie fielen mit ein: „Tanz! Tanz! Tanz!“
    Alejandro sah dagegen gar nicht glücklich aus.
    „Oh entschuldige, das wollte ich wirklich nicht. Ich weiß nicht warum es das gemacht hat. Was soll ich nur tun?“
    „Befiel es zurück zu dir, damit es von ihm ablässt, oder Skip haut es einfach weg“, sagte der Held trocken.
    „Komm hierher, nein nicht kämpfen, hierher!“ forderte Alejandro, doch er hörte sich nicht entschieden genug an und das Goblinskelett sah wohl nicht ein warum es einem willensschwachen Herrn folgen sollte.
    Bill wurde es zu bunt. Er zog seine Enteraxt und stellte sich dem Kampf. Das Goblin Skelett drosch wild geworden immer wieder auf ihn ein, so dass Bill einige blaue Flecken davontrug, doch immerhin konnte er die dünnen kleinen Knochen des Skeletts leicht zerhacken, bis es schließlich in sich zusammenfiel.
    „Gut, ich hab gesehen, dass du es mit Schriftrollen schaffst. Die kleinen Problemchen wirst du schon noch in den Griff kriegen“, sagte der Held optimistisch.
    „Und was heißt das jetzt?“ fragte Alejandro gespannt.
    Auch die anderen Piraten sahen sehr interessiert aus. Mit Magie hatten sie für gewöhnlich nicht viel zu tun und so erschien ihnen das alles fremd und mysteriös. Außerdem kannten auch sie magische Sprüche nur von magischen Priestern und nicht von ihren Kameraden.
    „Ich werde dir zeigen, wie du mit Runen des ersten Kreises zurechtkommst. Die sind am einfachsten. Es gibt auch noch die alte Magie, die kannst du an jedem Schrein lernen, aber das braucht ein tieferes Verständnis der Magie und des alten Wissens“, erklärte der Held.
    Die Piraten schauten baff.
    „Was du alles weißt“, staunte Skip.
    „Ja, ich dachte immer dieses Runenzeug können nur richtige Magier“, sagte Bill, der sich seine schmerzenden Rippen hielt.
    „Ach und ich bin kein richtiger Magier, oder was?“ fragte der Held spöttisch.
    „Nun, du weißt schon. Priester und so“, setzte Bill hinzu, denn er wollte den Helden nicht beleidigen.
    „In der Strafkolonie war ich mal für ein paar Tage ein Wassermagier“, erklärte der Held leichthin.
    „Hä?“ kam es dumpf von Bones, der darüber erstmal nachdenken musste.
    Auch die anderen Piraten schauten verwundert.
    „Wie? Ein paar Tage?“ fragte Skip skeptisch.
    Der Held verstand seine Frage falsch und dachte es ging um die Zeitangabe an sich. Er zuckte mit den Schultern und antwortete: „Was weiß ich, eine Woche oder so, keine Ahnung wie lange es genau war. Ist doch auch egal. Später hab ich noch bei einem Dämonenbeschwörer gelernt und hier und da hab ich immer mal was aufgeschnappt.“
    „Aha“, machte Skip, so als wäre damit alles klar. „Das erklärt die Dämonen.“
    „Sie sind recht nützlich. Auch wenn sie bei einigen Leuten nicht gern gesehen sind, aber im Kampf sind sie eine echt gute Unterstützung“, verdeutlichte der Held seine Entscheidungen.
    „Gut zu wissen, dass man das auch einfach ein paar Tage machen kann. Ich dachte immer das wäre ein Job auf Lebenszeit“, sagte Bill, der sich immer noch die Seite massierte.
    Alejandro war immer noch sehr aufgeregt und wollte nun wissen: „Und welchen magischen Weg willst du mir zeigen? Innos, Adanos, oder … Beliar?“
    „Welchen du willst“, antwortete der Held knapp.
    „Aber da gibt es doch bestimmt Unterschiede“, vermutete Alejandro und sah erstaunt aus.
    „Ist doch Wurst. Für die Praxis ist entscheidend, dass du die Runen der jeweiligen Stufe anwenden kannst. Sagen wir, ich weihe dich in den ersten Kreis der Wassermagie ein, dann kannst du genauso gut die Runen der ersten Stufe der Feuermagie einsetzen“, sagte der Held, obwohl ganz weit entfernt, eine Erinnerung von Milten aufflammte, der sagte, dass es sehr wohl Unterschiede gab und er Lester deswegen nicht in den dritten Kreis der Beliarmagie einführen könnte.
    Der Held dachte sich aber, dass das schon nicht so entscheidend sein würde.
    „Hm… wenn es egal ist … aber meinst du wirklich? Ich denke, das hat schon eine Bedeutung. Immerhin betet man dann zu dem entsprechenden Gott, oder nicht?“ fragte Alejandro, für den diese Entscheidung ganz offensichtlich ein wichtiger Wendepunkt seines Lebens war.
    „Ganz wie du willst“, sagte der Held und zuckte nur mit den Schultern.
    „Nimm Adanos“, riet ihm Skip. „Immerhin sind wir Seefahrer und Innos wird vielleicht nicht so begeistert sein, weil du ein Pirat bist. Beliar kommt mir ehrlich gesagt etwas unheimlich und undurchsichtig vor.“
    Alejandro nickte, offenbar war er der gleichen Meinung.
    „Ja, ich will ein Wassermagier werden.“
    „In Ordnung“, sagte der Held, dem das im Grunde wohl egal war. „Also dann…“
    „Halt! Gibt es keine Prüfung oder so?“ fragte Alejandro, erstaunt, weil es so leicht gehen sollte.
    „Ach egal, das Überspringen wir jetzt einfach“, sagte der Held ungeduldig.
    „Aber gibt es denn einen Schwur oder sowas?“ fragte Alejandro.
    Ihm war klar anzusehen, dass es wohl so etwas brauchte, damit er selbst daran glaubte, jetzt wirklich ein Magier zu sein.
    „Ja doch, natürlich gibt es einen Eid“, sagte der Held leicht genervt und versuchte sich angestrengt an den Wortlaut zu entsinnen.
    Er erinnerte sich noch genau wie er nach der Flucht aus dem Alten Lager vor Saturas stand und der ihn bei den Wassermagiern aufgenommen hatte. Aber was hatte er eigentlich gesagt? Der Held zermarterte sich angestrengt das Hirn. Für ihn war das schon damals nur irgendwelches Gerede gewesen.
    „Ich bin bereit, den Eid abzulegen, um ein Wassermagier zu werden“, sagte Alejandro mit großer Ernsthaftigkeit.
    „Ja, gut, schön, wiederhole den Eid, den ich dir vorsage“, sagte der Held, etwas übertölpelt, denn er war noch dabei in seinen Erinnerungen zu wühlen.
    Die umstehenden Piraten schauten gebannt und sogar ein klein wenig ehrfürchtig bei dieser Zeremonie zu, die mitten auf hoher See auf einem Piratenschiff durchgeführt wurde.
    „Sprich nun die Worte des Eides: Ich schwöre bei den Mächten der Götter ...“ hob der Held an.
    Alejandro sah sehr entschlossen aus, als er die Worte seines Lehrmeisters wiederholte: „Ich schwöre bei den Mächten der Götter ...“
    „... und bei der Kraft des heiligen Wassers ...“, fuhr der Held fort.
    „... und bei der Kraft des heiligen Wassers ...“, wiederholte Alejandro.
    „... dass mein Wissen und Handeln von nun an und auf ewig mit dem Wasser verbunden sei ...“
    Alejandros Augen weiteten sich beim Wort ewig. Er zögerte, doch dann sprach er entschlossen weiter: „... dass mein Wissen und Handeln von nun an und auf ewig mit dem Wasser verbunden sei …“
    „... bis ich einkehre in Beliars Reich und der Quell des Lebens versiegt.“
    „... bis ich einkehre in Beliars Reich und der Quell des Lebens versiegt“, schloss Alejandro beherzt.
    „Mit diesem Schwur hast du nun den Segen des Wassers erhalten und bist ein Wassermagier des ersten Kreises“, erklärte der Held. „Halte deine Verbundenheit zum heiligen Wasser und zu Adanos in Ehren.“
    Alejandro atmete erleichtert auf. Ein aufgeregtes fröhliches Lächeln lag in seinem Gesicht.
    „Uuuuhhhh“, raunten die umstehenden Piraten, die tatsächlich ein klein wenig beeindruckt waren.
    „Musst du ihn nicht mit irgendwas begießen?“ fragte Bill.
    „Was? Was meinst du?“ fragte der Held verwundert.
    „Na, das heilige Wasser. Du hast doch gerade vom heiligen Wasser erzählt“, rief ihm der junge Pirat ins Gedächtnis.
    Der Held sah in Alejandros leuchtende Augen und seufzte. Er dachte sich, dass es ja nicht schaden konnte, kramte tief in seiner Tasche und fand noch eine Flasche mit gesegnetem Weihwasser.
    „Hier drin ist gesegnetes Wasser, das gieße ich dir jetzt über deine Rübe und dann ist aber wirklich gut. Wir wollen hier mal noch Vorwärts kommen“, sagte der Held ungeduldig, öffnete die Flasche und begoss Alejandro mit dem heiligen Weihwasser.
    „Und?“ fragte Bones neugierig und auch Miguel fragte: „Fühlst du dich jetzt irgendwie anders?“
    Tropfnass stand Alejandro da, sein Gesicht schien vor Euphorie fast schon zu leuchten und aufgeregt sagte er: „Ja, es fühlt sich total anders an jetzt ein Wassermagier zu sein.“
    Die Piraten schauten skeptisch. Vielleicht fragten sie sich, ob sie den Jungen jetzt noch schikanieren durften. Vielleicht hätte Adanos nun etwas dagegen.
    „So, nun zum praktischen Teil“, sagte der Held, der nicht viel für feierliche Momente übrig hatte und darauf drängte vorwärts zu kommen. „Mit dem ersten magischen Kreis erlernst du durch den Einsatz deiner eigenen magischen Kraft mit Runen Magie zu wirken. Dieses Wissen ist die Basis deiner weiteren Fähigkeiten. Genau wie bei Schriftrollen wirst du auch nach dem Einsatz von Runen erschöpft sein, aber die Runen lösen sich nicht auf wie die Schriftrollen. Das heißt, du kannst sie so oft einsetzen wie du willst und es dir deine magische Energie erlaubt. Indem du deine magische Kraft trainierst und dir neues magisches Wissen aneignest, steigerst du deine magische Energie. Klar soweit?“
    „Ja. Ich meine … Aye … ähm… wie sagt man eigentlich als Wassermagier?“
    „Brich dir keinen ab“, wiegelte der Held ab, der fortfahren wollte: „Die Magie der Rune befindet sich im magischen Stein. Diese Steine bestehen aus magischem Erz. In den Tempeln der Magier wird an den Runentischen das Erz mit den magischen Formeln verbunden. Irgendwann werde ich dir auch mal zeigen wie man das macht, aber im Moment ist es noch zu früh dafür.“
    Der Held erinnerte sich, dass Saturas auch irgendwas von Verantwortung und dem Sinn vom Einsatz der Magie gefaselt hatte, doch das hielt er für unwichtig, also ließ er es weg.
    „Hier, versuch jetzt mal diese Rune. Es ist wieder ein Lichtzauber, du brauchst also keine Angst haben, dass irgendwas Schlimmes passiert“, sagte der Held und reichte ihm ein Überstück dieser Rune.
    „Aber gehört da nicht noch mehr theoretisches Hintergrundwissen dazu?“ fragte Alejandro skeptisch.
    „Ach, so lange man nicht vorhat aus einer tief unter Felsgestein liegenden verschütteten Höhle zu teleportieren ist das alles nur langweiliges Bla Bla“, meinte der Held lapidar.
    Offenbar gab sich der frisch geweihte Wassermagier mit dieser Erklärung vorerst zufrieden. Erstaunlicherweise konnte Alejandro den Zauber dieses Mal viel schneller durchführen. Er hatte die Rune kaum in der Hand, als auch schon das kleine Licht aufstieg, heller und größer wurde und schließlich gleißend über ihm erstrahlte. Es war kaum zu glauben, dass dies der gleiche Mensch sein sollte, der vorhin noch so lange gebraucht hatte, um ein Goblinskelett zu beschwören.
    „Gut, das reicht dann erstmal für heute. Gleich fängt auch unsere Schicht an“, sagte der Held und prüfte die Zeit am Stand der Sonne.
    Ihre Zuschauer zerstreuten sich, doch Alejandro blieb noch. Mit neu gefundenem Vertrauen und etwas ehrfürchtig sah er zu seinem Lehrmeister und fragte leise: „Was ich nicht verstehe… im Eid heißt es doch, man ist auf ewig gebunden. Wieso warst du dann nur eine Woche ein Wassermagier?“
    „Ich war ein Wassermagier in der magischen Barriere. Da herrschten andere Regeln. Wer in der Kolonie zum Magier wurde, musste von den wichtigen Magiern außerhalb anerkannt werden und bei mir war das nicht der Fall. Oder genauer gesagt, hab ich nie Wert darauf gelegt“, erklärte der Held.
    „Aber hast du damit nicht den Eid gebrochen?“ fragte Alejandro skeptisch.
    „Zerbrich dir darüber mal nicht deinen Kopf. Für dich ist jetzt wichtig, dass du rasch viel lernst. Und wenn dir das Hintergrundwissen wirklich so wichtig ist, lies die hier …“
    Der Held zog ein paar Bücher aus seiner Hosentasche und überreichte sie dem überraschten Alejandro.
    „Das sollte dein Verständnis über Magie vertiefen. Ich kenn die schon und brauch sie deswegen nicht mehr.“
    „Vielen Dank“, sagte Alejandro respektvoll.
    „Aber später, ja? Jetzt sind wir erstmal mit unserer Schicht dran und zum Schiffsbetrieb hast du auch noch jede Menge zu lernen“, erinnerte ihn der Held.
    „Ich weiß“, sagte Alejandro und klang schon wieder etwas kleinlaut.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Nebenquests

    Sie fuhren nicht auf direktem Wege nach Stahlstern. Zum einen mussten sie neue Wasservorräte an Bord holen und zum anderen brauchten sie dringend eine Möglichkeit um sich auszuruhen. Die Mannschaft war ausgelaugt. Es war keine Müdigkeit, wie sie nach einem Tag harter Arbeit auftrat, sondern eine, die das Resultat von vielen Wochen schwerer Schufterei war, die Körper und Seele immer weiter auffraß. Sie brauchten dringend neue Crewmitglieder, um die Arbeit besser verteilen zu können. Aufgrund der permanenten Erschöpfung waren Alejandros Fortschritte in der Magie marginal. Der Held schrieb das ausschließlich der derzeitigen Lage auf der Murietta zu, denn sonst wusste er nicht, warum jemand nicht sofort Fortschritte machte. Er hatte Alejandro mehrere Runen des ersten Kreises zum Üben gegeben, darunter neben der bereits überreichten Lichtrune noch Eispfeil, Blitz, Goblin Skelett erschaffen und Leichte Wunden heilen. Aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf einem Holzschiff befanden, hatte er ihm keine Feuerpfeilrune überlassen wollen und auch so hatte Alejandro für einen Anfänger bereits eine beachtliche Zusammenstellung von Runen in seinem Besitz. Allerdings tat er sich mit der Anwendung schwer. Bei Eispfeil und Blitz fürchtete er, dass er jemanden ausversehen Schaden würde, auch wenn der Held ihm riet einfach aufs Meer hinaus zu zielen. Nachdem Bill von dem Goblin Skelett angegriffen wurde, wollte er auch kein weiteres mehr beschwören. Der Held sprach ihm Mut zu, es wenigstens mit der Wunden heilen Rune zu versuchen. Im Moment gab es aber keine schweren Verletzungen, doch dafür war die Rune auch nicht gedacht. Stattdessen überredete der Held Alejandro es auf Skips Blessuren an den Handflächen anzuwenden. Durch die viele schwere Arbeit hatten sich schmerzhafte Striemen und Schwielen an seinen Handflächen gebildet. Es brauchte viel gutes Zureden und einen kleinen Manatrank, damit dem körperlich und geistig erschöpften Alejandro der Zauber gelang. Der Held schrieb sich in sein Tagebuch, dass er bei nächster Gelegenheit neue Runen für Alejandro kaufen wollte, damit er ihm diese für den zweiten Kreis der Magie überreichen konnte. Eispfeilrunen hatte er noch genug. Doch er würde ihm auch gerne jeweils ein Exemplar der Eislanze, Windfaust, Windhose und Wolf rufen überreichen.
    Sonst gab es für den Helden nicht viele spezielle Aufgaben. Alligator Jack sagte einmal beiläufig, dass er neue Harpunen brauche, denn er habe nur noch eine, die wirklich intakt war. Die anderen waren mittlerweile durch den häufigen Gebrauch beschädigt. Angesichts des Kampfs mit dem Riesenhai und den Überfällen auf andere Schiffe war dies nicht weiter verwunderlich.

    Greg steuerte wieder die Halbmondbucht an. Als sie endlich ankamen blickte der Kapitän in die Gesichter seiner völlig erschöpften Mannschaft und sagte ungewohnt mildtätig: „Goot, wi sin ankamen. Huut jo eerstmals op t Ohr. Wi hollt so lang Waak.“
    Er zeigte auf sich und den Helden. Für den wurde es langweilig. Während die anderen schliefen und Greg das Schiff eingehend nach Schäden inspizierte, erledigte er einige liegen gebliebene Aufgaben und verbrachte dann die Zeit damit im Ausguck zu sitzen und nach feindlichen Schiffen Ausschau zu halten. Doch es war alles ruhig. Nebenbei schrieb er einige Nachträge in sein Tagebuch. Als sich unten endlich wieder etwas rührte, kam er wieder aus dem Krähennest herunter. Alligator Jacks Trupp wurde zum Wasserholen geschickt, während Henry und seine Leute nun Wache halten sollten und der Kapitän sich in seiner Koje schlafen legte. Darauf hatte der Held nur gewartet. Er ging zur Reling und machte Anstalten von Bord zu springen.
    „He, hast du Flöhe oder was? Wo willst du schon wieder hin?“ hörte er Skips Stimme hinter sich.
    „Ich muss mir mal die Beine vertreten“, erklärte der Held kurz angebunden und sprang vom Schiff.
    Das eiskalte salzige Wasser weckte seine Lebensgeister und rasch schwamm er an den Kiesstrand. Es tat gut mal wieder richtig zu laufen. Im Wald war es sehr still. Nur einige Krähen machten über den Bäumen Radau. An den Bäumen hingen nur noch vereinzelt braune schlaffe Blätter. Es war kein Vergleich zu seinem letzten Besuch, als der Wald ihn mit seiner Farbenpracht empfing. Stundenlang lief der Held durch den dunkler werdenden Wald. Mit der Dunkelheit kam die Kälte. Es war deutlich zu spüren, dass der Herbst seinem Ende zuging.
    Ganz plötzlich und unerwartet fand der Held im Wald ein Kind. Es saß auf einem umgestürzten Baumstamm, zitterte und wirkte bleich und verwirrt.
    „Was machst du hier?“ feuerte der Held eine seiner Standartfragen ab, aber das Kind antwortete nicht.
    Verwundert kam er näher. Es war ein Mädchen. Sie hatte braune Haare, die aussahen, als hätte ihr jemand einen Topf über den Kopf gestülpt und dann alle überstehenden Haare abgeschnitten. Er schätzte sie auf sieben oder acht Jahre und er fand es ungewöhnlich ein Kind mitten in der Nacht im Wald zu treffen.
    „Hast du dich verirrt?“
    Das Kind nickte schwach. Als er näherkam, wich es nicht zurück. Vielleicht war es schon zu geschwächt oder hielt ihn grundsätzlich für keine Gefahr. Der Held legte seine Hand auf die Stirn des Kindes. Eiskalt. Vermutlich war es unterkühlt. Wer weiß wie lange das Mädchen schon hier herumsaß und in den Nächten fror längst der Boden.
    „Wo wohnst du?“
    Das Mädchen blieb stumm.
    „Ich will dich nur zurück bringen“, erklärte der Held.
    Jetzt öffnete sie den Mund und sagte etwas, doch war es zu leise, als dass er es verstehen konnte.
    „Was?“ fragte er und horchte genauer.
    „In Kiesstrand. Fulka, meine Mutter“, sagte sie schwach.
    „Aha, gut, da wollte ich eh gerade vorbei gehen. Ich nehm dich mit.“
    Umstandslos hob der Held das eiskalte Kind hoch und trug es auf seinen Armen durch den Wald. Es war erstaunlich leicht. Nun, es sah auch abgemagert aus, aber er hatte in letzter Zeit viele abgemagerte Leute gesehen, so dass er sich daran gewöhnt hatte. Der Morgen brach an und als er den Wald verließ, zogen kalte, graue Nebelfelder über die Wiesen, auf denen ein Schäfer gerade seine Herde trieb. Der Held ging auf ihn zu und fragte: „He du, kennst du eine Frau namens Fulka? Ich hab im Wald ihr Kind gefunden.“
    „Ich … äh…“, stotterte der Schäfer und sah das Kind mit großen Augen an. „Die Kleine wird schon seit Tagen vermisst. Wir haben sie alle gesucht. Wo war sie denn?“
    „Etwa zehn Kilometer von hier, Richtung Halbmondbucht. Vielleicht wollte sie da ja hin, aber es wäre noch ein ganzes Stück gewesen und sie sagte, sie hätte sich verlaufen. Wo wohnt denn nun ihre Mutter? Ich will das Mädel hier nicht ewig herumtragen.“
    „Sie … äh … bewohnt das zweite Haus links neben der Taverne „Zum weißen Troll“, sagte der immer noch verwunderte Schäfer und sah dem Helden verdutzt nach, als er einfach weiterging.
    Der Held klopft an die Tür des beschriebenen Hauses und wartete. Eine Frau, die tiefe, dunkle Augenringe und wirres blondes Haare hatte, öffnete müde die Tür.
    „He du, ich hab dein Kind im Wald gefunden. Meinte, es hat sich verirrt“, sagte der Held trocken.
    „Nina!“ rief die Frau so laut aus, dass der Held überrascht zusammenzuckte. „Bei Adanos! Mein Kind!“
    Der Held übergab der Mutter das Kind. Sie herzte und knuddelte es und es öffnete die Augen und lächelte.
    „Du kannst doch nicht einfach abhauen!“ tadelte die Mutter, aber sie klang nicht so streng wie sie es sich wohl mal vorgenommen hatte, dafür war die Wiedersehensfreude zu groß. „Nur, weil wir uns mal streiten, heißt das doch nicht, dass ich dich nicht mehr lieb habe.“
    Große dicke Tränen rannen jetzt aus beiden Gesichtern. Der Held hatte das Gefühl, er würde hier nur stören. Eine Belohnung wäre nicht schlecht gewesen, aber so war er immerhin um eine Erfahrung reicher. Er ging einfach weg und ließ die beiden allein.
    Im Dorf Kiesstrand hörte er sich nach Aufgaben um. Die meisten Leute schauten ihn aber nur verdutzt an und wussten nicht was sie groß dazu sagen sollten.
    „Wir kennen dich doch gar nicht“, „Es gibt nichts, was es auf die Schnelle zu erledigen gäbe.“, „Tagelöhner brauche ich nicht, höchstens jemand, der dauerhaft bei mir in der Schmiede arbeitet.“
    Doch dauerhaft wollte der Held nicht arbeiten. Er suchte eine kleine Nebenaufgabe. Unverhofft kam er dann doch noch zu etwas, als ihm neben der Schmiede eine ältere Frau, die mühsam ihr Feld umgrub ihr Leid klagte.
    „Mein nichtsnutziger Sohn will mir einfach nicht dabei helfen den Acker umzugraben. Er sitzt den ganzen Tag nur in der Taverne „Zum weißen Troll“ und besäuft sich, er ist ein richtiger Tagedieb geworden, was habe ich nur falsch gemacht?“ klagte die Frau.
    „Wie heißt er denn?“ fragte der Held.
    „Julo, er hat schwarze Haare und … nun … ich denke, ich habe immer gut gekocht.“
    „Ich werde mal mit ihm reden.“
    Der Held ging in die Taverne „Zum weißen Troll“. Das große Fell des Trolls aus der Schlucht hing repräsentativ an der Wand der Taverne und machte mächtig Eindruck. Kurz dachte der Held an dieses vergangene Abenteuer, dann setzte er sich erstmal zum Wirt an den Tresen in die Nähe von Julo, den er nach der Beschreibung seiner Mutter gleich erkannt hatte und hörte den Gesprächen von ihm und seinen Freunden zu. So wie er es heraushörte, drückte sich dieser Typ vor so gut wie jeder Arbeit. Lieber saß er faul herum und schwang hohle Reden. Doch der Held hatte schon eine Idee, wie er diese Aufgabe lösen könnte.
    „He Wirt, gib eine Runde Bier für alle aus!“
    Er klatschte einen kleinen Haufen Gold auf die Theke, so dass der Wirt im Gläser putzen innehielt und es mit großen Augen ansah. Von den anderen Männern in der Taverne kam lauter Jubel. Einige davon hatten ihn gleich erkannt und aufgeregt über ihn geredet. Manche Männer, die er nur vom Sehen kannte, klopften ihm nun kameradschaftlich auf die Schulter. Wie von ihm geplant wurde er auch von Julo und seinen Freunden angesprochen.
    „He Mann, wo hast du denn all das Gold her?“ fragte Julo gierig.
    „Na gefunden. In der alten Zombiehöhle. Die war voller Gold“, behauptete der Held.
    „Uhhhh … wäre ich mal zuerst da reingegangen“, nahm einer von Julos Freunden den Mund sehr voll.
    „Du hast doch bestimmt noch was über?“ fragte einer seiner Freunde.
    „Darauf kannst du wetten, aber ich verrate natürlich nicht wo es ist“, sagte der Held listig.
    „Schade, aber lass uns noch was trinken“, schlug Julo vor.
    Im Laufe der nächsten Stunde spendierten sie dem Helden immer wieder ein Getränk, doch anders als damals bei Lares war der Held wachsamer. Er wusste, was sie vorhatten, außerdem vertraute er ihnen nicht. Als er merkte, dass er langsam locker wurde, lachte er viel und tat übertrieben betrunken. Julo und seine Kumpels lachten mit und schließlich sagte Julo, der offenbar sehr trinkfest war verschwörerisch: „Also, wo ist das Gold? Uns, deinen Kumpeln kannst du es doch verraten.“
    „Also“, sagte der Held, hob den Finger und stolperte ein wenig an der Theke herum, hielt sich dann an Julos Schulter fest und fuhr fort: „Ich hab das Gold unter dem Acker deiner Mutter versteckt. Da …“, er hickste demonstrativ. „…sucht doch keiner. Fiel überhaupt nicht auf, als ich da gegraben habe und nachts kann ich mir einfach immer mehr holen.“
    „Gutes Versteck“, lobte einer von Julos Freunden.
    „Ja, sehr gut“, sagte ein anderer und klopfte dem vorgeblich hicksenden Helden auf die Schulter.
    „Weißt du … es war nett zu plaudern, aber wir müssen jetzt auch los“, sagte Julo und er und seine Kumpels standen rasch auf und verließen die Taverne.
    Der Held sah ihnen grinsend nach, wandte sich dann seinem Starkbier zu und trank es aus. Dann ging auch er aus der Taverne „Zum weißen Troll“ und auf die Kate der alten Kräuterfrau zu, die abseits des Dorfes stand. Kaum hatte er die Tür geöffnet, sahen Magdalena und ihre Mutter erstaunt zu ihm hin. Sie waren offenbar gerade dabei Kräuterverbände herzustellen.
    „Da bist du ja wieder“, sagte Magdalena erfreut. „Wir haben uns schon gefragt was aus dir geworden ist.“
    „Wieso?“ fragte der Held verwundert. „War unterwegs. Sag mal, kennst du ein Mittel gegen Haarausfall?“
    Die alte Kräuterfrau schaute überrumpelt und sagte dann langsam: „Ja. Ein Trank aus Steinkletten, Trollwurz und Kronstöckel. Dir gehen wohl die Haare aus?“
    Die alte Frau sah prüfend zum Schopf des Helden, doch der schüttelte nur den Kopf.
    „Nein, nein. Das ist für einen Typen in Sturmkap.“
    „Bist also wirklich ein Seemann? Aha, hab ich‘s mir doch gedacht.“
    Die Alte warf ihrer Tochter einen bedeutungsschweren Blick zu, den der Held nicht deuten konnte.
    „Für zwanzig Goldstücke kannst du den Trank haben“, bot die Kräuterfrau an.
    „Schreib mir auch das Rezept auf, dann kann der Alchemist von Sturmkap meinem Auftraggeber ab sofort den Trank brauen. Ich kann ja nicht jedes Mal hin und her schippern, nur weil so ein Typ diesen Trank haben will“, erklärte der Held.
    Als sie dies hörte, schürzte die alte Frau die spröden Lippen. Offenbar mochte sie es nicht Rezepte einfach so aus der runzligen Hand zu geben.
    „Hm… das ist gleich etwas anderes. Wenn du das Rezept haben willst, kostet dich das hundertfünfzig Goldstücke.“
    „He, ich hab deine Tochter vor den Lurkern gerettet und die Zombies unter dem Hühnengrab vertrieben. Ist dir das etwa nichts wert?“ versuchte der Held den Preis runterzuhandeln.
    „Mutter!“ empörte sich auch Magdalena.
    Die alte Frau grummelte missmutig, sagte dann aber: „Also schön hundert Goldstücke. Du musst verstehen … wir müssen auch sehen wo wir bleiben. Das ist ein wertvolles Rezept und wenn so ein Alchemist günstig gelegen am Hafen jede Menge Geld mit meinem Rezept verdient, gefällt mir das nicht.“
    „Gibt doch wichtigeres als Geld, findest du nicht auch?“ bohrte der Held weiter.
    „Also schön sechzig Goldstücke, aber weiter gehe ich mit dem Preis nicht runter. Das ist mein letztes Angebot.“
    „In Ordnung“, nahm der Held das Angebot an.
    Für achtzig Goldstücke wechselten Trank und Rezept schließlich den Besitzer. Kaum war der Handel abgeschlossen platzte es aus Magdalena heraus: „Heute Abend gibt es ein Dorffest. Du kommst doch auch, oder?“
    Die Stirn des Helden furchte sich verwundert.
    „Ein Fest? Was denn für ein Fest? Warum?“
    „Zu Ehren unserer Königin natürlich. Königin Leandra hat heute Geburtstag. Das ganze Land feiert diesen Tag.“
    „Aha“, kam es vom Helden, doch er hörte sich sehr überrascht an.
    Nachdenklich kratzte er sich im Genick.
    „Naja, mal sehen. Ich guck es mir vielleicht mal an.“
    Damit drehte er sich um und verließ die Kate.
    „Bis nachher dann“, rief ihm Magdalena noch nach.
    Der Held lief ins Dorf zurück, um nachzusehen, ob der Auftrag der besorgten Mutter wirklich erledigt war. Wie erhofft buddelten ihr Sohn und seine Freunde ganz aufgeregt den Acker um. Die Mutter konnte ihr Glück noch gar nicht fassen und bedankte sich überschwänglich beim Helden.
    „Oh vielen Dank. Was auch immer du ihm gesagt hast, es hat wirklich geholfen. Sogar seine Freunde sind gekommen um mitzuhelfen. Mit so einem Eifer habe ich ihn noch nie arbeiten sehen. Wenn sie so weitermachen, könnte der Acker bis heute Nacht fertig sein. Ich weiß nicht wie ich dir danken soll, ich bin keine vermögende Frau und habe nicht viel.“
    „Ich hab gehört, du bist mit dem Schmied verwandt?“ fragte der bestens informierte Held.
    „Er ist mein Bruder.“
    „Vielleicht kannst du ihn dazu überreden, dass er mir beibringt wie man Harpunen schmiedet.“
    Sie sah ihn verwundert an. Das war offenbar eine sehr spezielle Bitte.
    „Ich … kann ihn ja mal fragen.“
    Sie ging gleich zur Schmiede und er folgte ihr. Bruder und Schwester hatten ein kurzes Gespräch, wobei sie einmal in Richtung ihres Ackers zeigte. Der große, kräftige Schmied lachte und winkte dann gutmütig dem Helden.
    „Komm her, natürlich bring ich dir was bei, dafür, dass du diesen Faulbuckel zur Arbeit bewegt hast ist es mir das allemal wert.“
    Der Schmied zeigte ihm ganz genau wie eine Harpune zu schmieden war. Der Held lernte schnell, so wie alles, was er wissen wollte. Anschließend formte er acht seiner Erzrohlinge zu Harpunen. Die Arbeit dauerte fast den ganzen Tag, doch die genaue Arbeit war der Qualität der Harpunen zuträglich. Alligator Jack würde sehr zufrieden sein. Es dämmerte bereits, als er die Schmiede verließ und Magdalena über den Weg lief.
    „Ah, du bist wirklich gekommen. Komm doch mit zur Taverne. Heute wird gefeiert.“
    Gegen ein Feierabendbier hatte der Held nichts einzuwenden, denn das verstand er unter einer Feier. Gemütlich zusammen sitzen, was trinken und ein wenig erzählen. Dabei konnten sich dann auch wieder neue Aufgaben ergeben. Doch es kam anders. Nachdem er die Taverne „Zum weißen Troll“ erneut betreten hatte, sah er verwundert, dass die Leute nun nicht einfach nur an den Tischen saßen, tranken und lachten, sie klatschten auch zur Musik. Ja, richtige Musik gab es. Fünf Musiker standen am Rand neben dem Tresen und spielten eine Flöte, eine Laute, eine Zimbel, einen Dudelsack und auf Trommeln. Schellen klimperten fröhlich an ihren Schuhen, mit denen sie im Takt der Musik wippten. In der Mitte der Taverne wurde für eine Tanzfläche Platz geschaffen und einige Paare schwangen dort das Tanzbein. So etwas hatte der Held schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen und er war richtig überrumpelt von der ungewohnten Ausgelassenheit der Menschen. Ja, selbst in der Barriere hatte es Musik gegeben. Musiker hatten neben dem Tor zur Burg gespielt. Doch das hier war etwas ganz anderes. Es war wirklich ein richtiges Volksfest mit sorglosen heiteren Menschen.
    „Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?“ holte Magdalena ihn aus seinen Gedanken.
    Dem Helden war gar nicht aufgefallen, dass er wie zur Salzsäule erstarrt dagestanden hatte.
    „Alles in Ordnung“, sagte der Held knapp.
    „Hier, ein Bier“, sagte Magdalena und reichte ihm einen Krug mit Starkbier.
    Der Held stürzte es wie gewohnt in einem Zug hinunter.
    „Du bist aber sehr durstig“, sagte Magdalena erstaunt.
    Sie hatte nur an ihrem genippt, sah jetzt aber ihre Chance gekommen.
    „Du kannst auch noch meins haben, wenn du möchtest.“
    „Wenn du es nicht willst“, sagte der Held und stürzte auch ihres hinunter.
    „Komm! Lass uns tanzen“, sagte sie fröhlich und ihre Augen leuchteten hoffnungsvoll.
    „Mir fehlt die Erfahrung“, gab der Held zu.
    Das ließ Magdalena zuerst ungläubig schauen, doch sie fing sich rasch wieder und sagte: „Ich zeig es dir.“
    Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn auf die Tanzfläche. Dort zeigte sie ihm einen ganz einfachen Tanz, der im Wesentlichen nur beinhaltete, dass man nach links und rechts schritt und im Rhythmus mit den Händen klatschte. Der Held tat sich ungewohnt schwer. Er lernte alles was er wissen wollte und was er für sein Überleben brauchte sehr schnell, doch das hier brauchte er nicht zum Überleben und ihm ging nicht auf wozu es überhaupt gut sein sollte. Er bewegte sich steif.
    „Mach dich mal locker“, riet ihm Magdalena, doch es half nichts.
    Seine Bewegungen waren gekünstelt, es fehlte ihm deutlich am Rhythmusgefühl und überhaupt an der Freude ein Fest zu begehen. Nach einigen Liedern gab es der Held auf und kehrte zum Tresen zurück.
    „Kommt mir so vor, als wenn es seit deinem letzten Fest schon ein Weilchen her ist“, sagte Magda vorsichtig.
    „Ja“, antwortete der Held knapp, der sich nicht erinnern konnte, wann er überhaupt zuletzt ein derartiges Fest besucht hatte.
    „Was machst du denn so, um zu entspannen und dich zu freuen?“ fragte Magda deshalb.
    Der Held dachte einen Moment nach.
    „Abenteuer erleben.“
    „Aber das ist doch gefährlich und keine Entspannung.“
    „Laufen. Es ist schön in der Natur unterwegs zu sein.“
    „Hm…“, machte Magda.
    Ihr ging auf, dass er wohl nicht viel vom leichten Leben wusste. Sie konnte ja nicht wissen, dass es in den letzten Jahren in Myrtana kaum Gelegenheiten für Leichtigkeit gegeben hatte.
    „Ich werde dir das mit dem Tanzen schon noch beibringen“, sagte Magda dann aber optimistisch.
    Die Stirn des Helden zog sich kraus, denn er bekam ein ungutes Gefühl.
    „Ich glaube nicht, dass ich lang genug hier bin um es zu lernen. Ich muss zurück auf mein Schiff. Wir fahren bald nach Stahlstern weiter.“
    „Ach? Und was macht ihr da?“ fragte Magda interessiert.
    „Eine Lieferung Heiltränke von Sturmkap abliefern“, antwortete der Held unverfänglich.
    „Aha, also habt ihr ein Handelsschiff“, schlussfolgerte Magda.
    „Sozusagen“, sagte der Held ausweichend.
    „Und wann kommst du zurück?“ fragte Magda hoffnungsvoll.
    Der Held seufzte. Er merkte, dass sie ein ungesundes Interesse an ihm entwickelt hatte. Er war kein Mann, der länger bei einer Frau blieb und er wollte ihr das möglichst bald klar machen.
    „Hör zu! Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch mal hier anlanden werde. Ich gehe dahin wo mich das Leben hin verschlägt. Ich bin niemand, der an einem bestimmten Ort sesshaft wird und dort bleibt bis er alt und klapprig ist. Ich suche das Abenteuer, verstehst du?“
    Mit diesen Worten hielt die Enttäuschung in Magdas Gesicht Einzug. Sie seufzte traurig. Offenbar brauchte sie einen Moment, um das zu verarbeiten, dann sagte sie: „Verstehe. Warum sollte so ein Held wie du, der den Troll besiegt und all die Zombies unter dem Hünengrab erledigt hat auch hier bei mir bleiben? Du hast bestimmt wichtigeres zu tun.“
    Der Held sah in ihr trauriges Gesicht. Solche Situationen mochte er nicht. Er hatte sie schon zu oft erlebt. Zuletzt seltener, aber das lag vor allem daran, dass es in Myrtana kaum noch Frauen gab, denen er das Herz hätte brechen können.
    „Ich denke, ich gehe besser. Lebwohl“, sagte Held knapp, stand auf und verließt die Taverne „Zum weißen Troll.“

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Ordnungswahn

    „Schaut nich so bang, wenn ihr keenen Stunk makt, denn komen wi hier all weer heil rut“, sprach Kapitän Greg seiner erschöpften Crew Mut zu, als sie bei strahlendem Sonnenschein in den Hafen von Stahlstern einliefen.
    Die Moral an Bord der Murietta war am Boden, doch trotzdem verrichteten die Piraten ihre Arbeit, weil sie wussten, dass ihnen gar nichts anderes übrig blieb.
    „Bill, du weetst, wat du doon hest“, sagte der Piratenkapitän verschwörerisch und sah ihn eindringlich an.
    Die beiden hatten heute Morgen am Steuerrad die Köpfe zusammengesteckt und einen Plan ausbaldowert wie sie an die Dokumente für die Kanonen von Stahlstern kommen könnten. Es sollte wohl geheim bleiben, denn den anderen von der Crew hatten sie nichts erzählt. Für den Helden war es ungewöhnlich nicht im Mittelpunkt einer Aufgabe zu stehen, doch er sah ein, dass Greg im Moment nicht gut auf ihn zu sprechen war und nachdem was er gesehen hatte war Bill wirklich ein guter Dieb. Daher hatte er kein Problem damit, dass der junge Pirat sich dieser gefährliche und schwierigen Aufgaben annahm.
    „Ihr annern ladert de Kassen mit de Heelbuddeln af, aver nehmt nich den Kraan vun n Haven, dat köst bloot weer extra Geld“, wies der Kapitän sie an.
    Die Crew seufzte und beschwerte sich, obwohl sie eigentlich wusste, dass sie jedes Goldstück gebrauchen konnten.
    „Jaja stöhnen is de halve Arbeit, nich lang lamentieren, knojen!“ sagte Greg brummig. „Ik gah so lang na n Havenamt un heff de Gebühren un den Zoll utricht. Dat is denn aver wirklich uns letzt Gold.“
    Die Piraten brummten und knurrten, doch sie taten was ihr Kapitän von ihnen verlangte, denn sie wussten, wenn die Arbeit erledigt war, könnten sie sich endlich etwas amüsieren gehen. Mit Geld anderer Leute versteht sich. Sie bildeten eine Kette und reichten so eine Kiste mit sorgfältig in Tücher gewickelten Heiltränken nach der anderen weiter, bis zu Samuel, der sie am Rande des Kais auf einem freien Platz ablud. Sie waren froh, als endlich die letzte Kiste aus dem Lagerraum kam. Sie sammelten sich bei den Heiltränken, um zu verschnaufen und sich zu unterhalten, während Samuel losging, um dem Gemischtwarenhändler aus dem Hafenviertel Bescheid zu geben, dass seine Tränke angekommen waren.
    „Wieso schippern wir diese Tränke eigentlich übers Meer, wenn es hier doch auch Alchemisten gibt?“ fragte der Held.
    „Wegen der Gebühren“, erklärte Henry, der sich offenbar mit einigen in Stahlstern geltenden Gesetzen auskannte. „Ich kenn das. Wir haben das nun schon oft gemacht. Ich halte es nach wie vor für Quatsch, aber es ist günstiger Tränke über den Ozean anliefern zu lassen, als hier selbst welche herzustellen. Denn es gibt dann zwar den Zoll, aber den müssen wir ja entrichten. Das macht Greg gerade. Wir schlagen das natürlich auf den Preis drauf, aber trotzdem ist das noch günstiger, als für einen Kaufmann, der erst das Studium der Alchemie erlernen muss. Denn wer hier etwas lernen will, muss Lehrgebühren zahlen und das nicht zu knapp. Wer hier etwas werden will, muss mit dem goldenen Löffel im Mund geboren werden. Hocharbeiten ist hier echt schwer. Wer in der Gosse geboren wurde, stirbt in der Regel auch in der Gosse. Die ist hier zwar hübscher als in Khorinis, aber Gosse bleibt Gosse. Und dann gibt es ja auch noch die laufenden Kosten. Nur Alchemisten in einer Gilde dürfen Tränke herstellen. Jede Gilde muss an die Stadt Steuern zahlen und bei jeder gebrauten Charge muss ein Prüfer vorbeikommen und bezahlt werden und das ist noch mal eine ganze Stange Geld, die da weg geht. Der Prüfer soll sichergehen, dass die Heiltränke nicht gepanscht oder schädlich für die Käufer sind. Deswegen ist es für die Kaufleute hier viel lukrativer Tränke über den Seeweg einzukaufen.“
    „Wundert mich, dass sie die nicht auch noch prüfen“, kam es von Brandon.
    „Das ist tatsächlich der Fall“, hörten sie eine laute harte Stimme hinter ihnen.
    Sie sahen sich um und erblickten einen schnauzbärtigen, grimmigen Mann mit kräftigen Muskeln. Er trug eine Rüstung der hiesigen Stadtwache. Rotgrau, doch mit einem breiten kupfernen Streifen auf den Schultern. Neben ihm standen noch zwei weitere Wachen, in schlichteren rotgrauen Rüstungen. Sie alle trugen Schwerter, die in Scheiden steckten, an ihren Seiten.
    „Guten Tag, die Herren. Schön, dass ihr in unserer schönen Stadt Geschäftige tätigen wollt. Ich bin der Hauptmann der Stadtwachen vom Hafenviertel. Wie ich dem Gespräch entnehmen kann, wart ihr schon länger nicht mehr hier. In der Tat werden seit Anfang diesen Jahres auch alle Heiltränke geprüft, die über Handelswege in die Stadt eingeführt werden sollen, so wie es im Paragraphen siebenundachtzig c Abschnitt vier Zeile eins festgelegt wurde. Wenn ihr die Tränke selbst verkaufen wollt, dann stellen wir euch einen Prüfer zur Verfügung. Es wird eine einmalige Gebühr von sechshundert Goldstücken fällig.“
    Die Piraten sahen ihn wie vom Donner gerührt an. Sie wechselten einen Blick, doch keiner wollte wohl etwas sagen. Der Held merkte schon, dass es mal wieder an ihm hängen blieb und daher sagte er: „Nein, wir wollen es nicht selbst unter die Leute bringen. Ein Händler hier aus dem Viertel kauft es auf. Geht uns somit nichts mehr an.“
    „Nun, dann muss er den Prüfer bezahlen.“
    Der Hauptmann der Hafenwache sah prüfend auf den Stapel mit Kisten und sagte dann: „Allerdings habt ihr die Kisten hier widerrechtlich abgeladen. Habt ihr nicht das Schild gesehen?“
    „Schild? Was denn für ein Schild?“ fragte der Held verwundert.
    Er hatte nichts dergleichen gesehen, aber er hatte den Platz auch nicht ausgesucht, sondern Samuel. Er tauschte einen Blick mit seinen Kameraden, aber die sahen auch nur ratlos aus. Der Hauptmann der Stadtwache schaute grimmig und zeigte wortlos hinter die Kisten. Die Piraten gingen um die Kisten herum. Tatsächlich, genau hinter den Kisten stand ein kleines unscheinbares Schild, auf dem stand: „Abladen hier verboten“
    „Aber warum ist das hier verboten?“ wollte der Held wissen, der vermutete, dass der Hauptmann nur Gold einsacken wollte.
    „Wo kämen wir denn hin, wenn hier jeder einfach sein Zeug abladen würde?“ keifte der Hauptmann der Wache. „Wir sind hier doch nicht im Busch! In Stahlstern herrscht Disziplin und Ordnung.“
    „Aber das ist doch ein Kai, irgendwo muss man seine Ladung doch abladen“, wandte nun Henry ein.
    „Seid ihr blind?“ fragte der Hauptmann ungehalten. „Dabei haben wir den Bereich neben den Hafenkränen extra gekennzeichnet. Dort kann die Ladung gegen eine Gebühr für die Kräne abgeladen werden.“
    Die Piraten wechselten untereinander mürrische Blicke. Ihr Kapitän hatte sie ja gerade angewiesen die Kräne nicht zu nutzen. Vielleicht war ihm entfallen, dass die Stadtwachen nur darauf warteten Strafen auszustellen. Der Held sah sich wachsam um.
    „Ich finde es aber seltsam, dass nirgendwo ein Schild steht, nur gerade hier.“
    „Tja, das nenne ich mal dumm gelaufen, dass ihr euer Zeug ausgerechnet hier abgestellt habt“, knurrte der Hauptmann und verengte die Augen als Zeichen der Warnung es nicht weiter zu treiben. „Es wird eine Strafzahlung von zweihundert Goldmünzen fällig, sofort zu entrichten.“
    „Zweihundert?“ fragte Alligator Jack und er war nicht der einzige der erschrocken und empört nach Luft schnappte.
    Der Held wollte das wohl nicht auf sich sitzen lassen. Er versuchte es mit gesundem Menschenverstand und gutem Zureden.
    „Sieh mal Hauptmann, dieses Schild hat unten einen praktischen Ständer. Es ist gar nicht fest im Boden verankert, das heißt, es kann hin und her bewegt werden.“
    Der Held nahm es und versetzte es um eine Schrittlänge. „Vielleicht hat jemand das Schild einfach hier hingestellt, als wir schon dabei waren unsere Kisten abzuladen?“
    „Rühr das Schild nicht an! Das ist unbefugte Bewegung von Staatseigentum. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit fünfzig Goldmünzen bestraft wird“, schnauzte der Hauptmann.
    Die Piraten knurrten verdrossen und warfen sich wieder verdrießliche Blicke zu. Sie überlegten wohl wie sie am besten aus der Sache wieder herauskommen könnten.
    „Seht mal, da ist Samuel, den können wir doch fragen“, sagte Alligator Jack und begrüßte den Smutje, der in Begleitung eines dürren alten Krämers kam, der ein Gespann mit zwei Ochsen führte, mit dem wohl die Heiltränke transportiert werden sollten.
    „He Samuel, hast du das Schild gesehen, dass man hier kein Zeug abladen darf?“ fragte Alligator Jack.
    „Schild?“ fragte Samuel entgeistert. „Ich hab kein Schild gesehen.“
    „Tja, das Alter …“, meinte der Hauptmann der Stadtwache.
    „Für mich sieht das eher so aus, als wenn du uns verarschen willst“, knurrte der Held und funkelte den Hauptmann finster an. „Du hast das Schild doch erst nachträglich hier abgestellt, um uns abzukassieren.“
    „Und wie willst du das beweisen?“ fragte der Hauptmann lauernd.
    „Er hat kein Schild gesehen, hast du doch gehört“, kam es ruppig vom Helden zurück.
    „Er ist ein alter Mann. Er hat eben nicht richtig geguckt. Übrigens habt ihr mir schon einiges an Zeit mit euren Ausflüchten gestohlen, daher wird eine Bearbeitungsgebühr von fünfzig Goldmünzen fällig.“
    Die Piraten stöhnten.
    „Was denn für eine Bearbeitungsgebühr? Was bearbeitest du denn? Du stehst doch nur hier rum und verpestest die Luft!“ wagte der Held zu sagen.
    „Beleidigung eines Staatsdieners! Das macht dann noch zusätzlich zweihundert Goldmünzen.“
    „Das denkst du dir doch gerade aus!“ wurde der Held nun wirklich wütend.
    Er fühlte wie sich eine Hand auf seine linke Schulter legte und drehte sich um. Es war Samuel, der ihm lange ins Gesicht sah, den Kopf schüttelte und dann sagte: „Hör auf, es hat keinen Zweck. Es wird nur schlimmer. Wir wollen doch keinen Ärger machen. Du weißt doch was der Käpt’n gesagt hat.“
    Das ließ den Helden tief aufseufzen. Er hatte doch eigentlich nicht mehr so viel Ärger verursachen wollen. Jetzt hatte er die Crew wieder in was reingeritten.
    „Du hast Recht. Los Jungs, teilen wir die Strafe unter uns auf.“
    „Aber du bezahlst die Beleidungsgebühr allein, wir können ja nichts für deine lose Zunge“ knurrte Henry.
    „Ja, ist ja gut“, knurrte der Held.
    „Das ist keine Gebühr, das ist eine Strafzahlung!“ mahnte der Hauptmann ungehalten.
    Er guckte nun nicht mehr Wütend, sondern schadenfroh.
    „Das wären dann zweihundert Goldmünzen für widerrechtliches Abladen, fünfzig Goldmünzen für das unbefugte Bewegen von Staatseigentum, fünfzig Goldmünzen Bearbeitungsgebühr und nochmal zweihundert Goldmünzen wegen der Beleidung, macht insgesamt fünfhundert Goldmünzen. Lasst euch das eine Lehre sein. Nächstes Mal achtet ihr die Gesetze bestimmt mehr.“
    Die Goldmünzen, die der Hauptmann von den Piraten erhielt waren dicker, als die hiesigen Münzen, doch das schien den Hauptmann nicht im Geringsten zu stören. Sie vermuteten aber, das sähe ganz anders aus, wären die Münzen von minderer Qualität. Jeder Pirat gab seinen Teil und der Held bezahlte die zweihundert Goldmünzen aus seiner Hosentasche. Tatsächlich wurde ihm das Gold knapp. Das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Er hatte damals sein gesamtes Gold bei Lee gelassen und was er neu durch die Abenteuer mit den Piraten bekommen hatte ging nun bald zur Neige. Wenn das hier abgeschlossen war, würde er einen Händler aufsuchen und etwas von seinem Zeug verkaufen. Die Gelegenheit bot sich, nachdem die Piraten die Kisten auf den Karren des Händlers verladen hatten und noch jemand gebraucht wurde, um Samuel und den Händler zu seinem Laden zu begleiten. Die anderen Piraten machten schnell, dass sie weg kamen. Die meisten wollten ihre Zeit wohl lieber mit Alkohol und Huren verbringen, als groß in der Stadt herumzuspazieren. Der Kramladen „zur Schatzkiste“ war vergleichsweise groß, aber vollgerammelt mit Zeug, so dass sie Mühe hatten für die Heiltränke noch ein Plätzchen zu finden.
    „Keine Sorge, die gehen weg wie warme Semmeln“, versicherte der alte Mann.
    „Wir haben gehört, dass du jetzt auch diese Tränke prüfen lassen musst“, gab der Held zu bedenken.
    „Ja, leider, aber hier im Hafenviertel gibt es eine starke Nachfrage nach Tränken und es ist so immer noch günstiger, als wenn ich mir auf meine alten Tage noch selbst das Studium der Alchemie antue, außerdem werden die Gebühren, die anfallen, wenn man einen Laden hat teurer, je nobler das Viertel ist. Deswegen kommen selbst Leute aus den Handwerkervierteln zu mir. Natürlich bin ich daher nicht unbedingt beliebt bei meinen Kollegen aus den anderen Vierteln.“
    „Sieh es doch optimistisch“, versuchte der Held den Krämer aufzuheitern. „Neid muss man sich hart verdienen.“
    Ein schwaches Lächeln umspielte den alten runzligen Mund des Krämers und er fuhr sich durch das dünne weiße Haar, das ihm oben bereits ausgegangen war.
    „Hier das Gold für die Tränke“, sagte er und holte einige Goldsäcke hinter der Ladentheke hervor.
    „Verrechnen wir gleich. Wir brauchen auch noch Lebensmittel“, erklärte Samuel und inspizierte was der Händler im Sortiment hatte.
    „Ich hab hier noch ein paar Sachen zu verkaufen. Wirf doch mal einen Blick darauf“, sagte der Held und schon zog er den ersten Gegenstand aus seiner magischen Hosentasche.
    „Die Orks nennen diese Waffe Krush Varrok. Sie wird meist von Orkjägern verwendet.“
    Der Held hielt ihm die wuchtige Waffe hin. Doch der Kaufmann bekam seinen Mund gar nicht mehr zu.
    „Bei Innos, was für eine Waffe! Und wo hast du die auf einmal hergezaubert? Bist du etwa ein Magier?“
    „Ja, das auch“, sagte der Held beiläufig und kam dann wieder auf die Waffe zu sprechen: „Für sechzig Goldstücke gehört sie dir.“
    Der Krämer nahm dem Helden die Waffe aus der Hand, stöhnte und seine Hände sackten kurz Richtung Boden.
    „Verdammt schwer und sieht wahnsinnig gefährlich aus.“
    Ganz genau nahm er die lange kantige Klinge unter die Lupe.
    „Klebt da etwa noch Blut dran?“
    „Keine Sorge, ist nicht meins. Vielleicht musst du etwas drüberschrubben, aber dann ist das Ding wieder wie neu. Hier, das ist ein Krush Pack, die Waffe der Ork Kämpfer.“
    Er hatte schon die nächste Waffe aus seiner Hosentasche geholt.
    „Ich äh… ich hab gar keine Erlaubnis Waffen zu verkaufen“, sagte der Krämer erschrocken. „Wenn die Wachen die hier bei mir finden, dann wird eine enorme Strafzahlung fällig.“
    „Ach komm, wir sind hier im Hafenviertel. Du wirst doch bestimmt jemanden kennen, der Verwendung für solche Waffen hat“, mutmaßte der Held.
    „Hm…“, dachte der Krämer nach. „Im Hafenviertel nicht direkt. Das hier ist schon sehr ausgefallen, aber im oberen Viertel gibt es einen Mann, der sammelt exotische Waffen.“
    „Exotisch?“ fragte der Held einsilbig.
    Die Stirn des Krämers furchte sich.
    „Naja, solche Waffen hab ich noch nie gesehen, immer nur von den grausamen Angriffen der Orks gehört. Wir leben hier sehr behütet in Stahlstern. Die meisten Menschen hier haben noch nie einen Ork gesehen.“
    Jetzt war es am Helden ungläubig zu schauen. Aus dem Augenwinkel sah er wie Samuel einige Bücher durchblätterte.
    „Wo hast du diese Waffen eigentlich her?“ wollte der Krämer wissen.
    „Na was glaubst du? Die Orks werden mir diese Klopper ja wohl nicht geschenkt haben.“
    Wieder riss der Kaufmann die Augen auf.
    „Du meinst … du hast gegen diese Bestien gekämpft und gewonnen? Ich hab nur Geschichten gehört, aber die Orks sollen hervorragende Krieger sein. Ein Schlag mit so einer Waffe soll einem Ochsen den Schädel spalten.“
    „Ja, kommt hin, aber wäre ja dumm einfach still zu halten. Orks kämpfen mit Kraft, man weicht ihnen lieber aus und tötet sie dann schnell, oder nutzt eben Magie. Was ist nun mit den Waffen? Willst du sie haben?“ ließ der Held nicht locker.
    Doch so schnell wollte sich der Kaufmann wohl nicht festlegen.
    „Ihr kommt doch wohl nicht aus dem umkämpften Myrtana?“
    Samuel und der Held warfen sich einen Blick zu, doch keiner wollte etwas dazu sagen.
    „Bitte, sagt mir wie es um Khorinis steht. Mein Vetter dritten Grades ist da Kartenzeichner im Hafenviertel. Ich hab schon ewig nichts mehr von ihm gehört.“
    „Du meinst Brahim?“ fragte der Held.
    „Du kennst ihn?“
    Auf dem Gesicht des Krämers breitete sich ein erfreutes Lächeln aus.
    „Sag wie geht es ihm? Er lebt doch noch, oder?“
    „Jedenfalls als ich ihn vor einigen Wochen zuletzt gesehen habe. Er wurstelt sich so durch. Der Hafen von Khorinis ist tot. Es legen keine Schiffe mehr an und fast niemand braucht daher noch seine Karten. Er verdient sich ein bisschen was als Schreiber nebenher dazu, hab ich gehört.“
    Der Krämer lächelte und eine kleine Träne lief ihm aus dem linken Auge.
    „Oh Innos, ich hätte nicht gedacht noch mal was von ihm zu hören. All das mit dem Krieg... schrecklich. Ich hab oft an ihn gedacht. Ich wurde selbst in Khorinis geboren, aber meine Eltern zogen mit mir weg, als ich noch ein Junge war, aber früher, da haben wir zusammen im Hafenbecken gespielt und sind nach Muscheln und Krebsen getaucht. Das war ein Spaß. Wir waren so sorglos damals. Khorinis war ein Ort der Freiheit. Die Stadtwachen haben sich im Hafenviertel kaum blicken lassen. Die Leute konnten im Wesentlichen tun und lassen was sie wollten. Es war so ganz anders als hier. Aber ich will nicht klagen, immerhin sind wir hier in Sicherheit und großes Leid gibt es nicht. Die Paladine und Ritter beschützen uns gut.“
    „Verstehe“, sagte der Held kurz angebunden, dem im Grunde nicht viel daran lag die gesamte Lebensgeschichte dieses alten Mannes in Erfahrung zu bringen.
    „Bitte sag mir, ist der Krieg vorbei?“
    Der Held zögerte, doch dann sagte er doch: „Ja, er ist vorbei. Die Orks sind geschlagen und werden so schnell bestimmt auch nicht wieder kommen.“
    „Innos sei Dank.“
    Der alte Mann sah wirklich glücklich aus.
    „Natürlich kaufe ich dir diese Waffen ab, schon allein deswegen, weil du mir diese frohe Kunde gebracht hast.“
    „Erzähl nur nicht überall rum, was ich dir gesagt habe. Könnt ja sein diese Königin hier kriegt sonst Stielaugen und will sich Khorinis unter den Nagel reißen.“
    „Welch schreckliche Vorstellung. Nein, ein Krieg reicht den Leuten dort bestimmt. Ich werde keinem was davon verraten. Versprochen.“
    „Gut“, meinte der Held, der sich allerdings nicht sicher war, ob er dem alten Mann glauben sollte.
    Doch er wollte nicht weiter darüber grübeln und knallte stattdessen noch ein paar Orkwaffen auf die Ladentheke. Von jedem Typ ein Exemplar, denn er dachte sich, wenn es für einen Sammler war, dann könnte der mit zwei gleichen Waffe nicht viel anfangen. Während der Held erklärte wie jede Waffe hieß, schrieb sich der Krämer das alles auf, um seinem Kunden auch Hintergrundinformationen bieten zu können.
    „Krush UrRok, wird von den Kriegern benutzt, die Klankrieger benutzen dagegen dieses gefährliche Teil hier, das Krush Agash, es schlägt besonders üble Wunden. Die Tempelkrieger benutzen das Krush BrokDar und die Wächter eines Tempels diese Axt, die Krush Karrok. Leichter als die anderen, daher sind die Wächter schneller und man muss besonders flink sein, um den Schlägen zu entgehen. Was hab ich denn noch? Ah … ein Kriegsschwert einer Ork Elite.“
    Der Held kramte noch diverse Orkäxte hervor und wollte für alle Waffen siebenhundert Goldstücke haben.
    „Abgemacht“, sagte der Verkäufer und da er gar nicht groß handelte, dachte sich der Held, dass er der Ansicht war ein gutes Geschäft gemacht zu haben.
    Vermutlich waren Waffen hier viel mehr wert als in Myrtana oder auf der Insel Khorinis, dabei war der Held schon ordentlich mit dem Preis nach oben gegangen.
    „Ich mach immer wieder gern mit dir Geschäfte“, sagte der Kaufmann freundlich und nachdem Samuel noch eine Kiste mit verschiedenen Lebensmitteln und ein Buch über Alchemie vom Gold abgezogen hatte, dass sie vom Händler für die Tränke bekamen, verließen die beiden Piraten die „Schatztruhe“ mit einem kleinen Vermögen.
    „Hast ja ein gutes Geschäft gemacht“, sagte Samuel mit seiner knarzigen Stimme.
    „Guck nicht so neidisch, hier genehmige dir einen guten Schluck in der Taverne“, sagte der Held und ließ etwas Gold springen.
    Sie trennten sich. Während Samuel wohl wirklich irgendwo einkehren würde, suchte der Held nach einem Magier. Der Landgang bot eine gute Gelegenheit sich nach Runen und Schriftrollen umzusehen. Eine geradezu übertrieben riesige Kathedrale leitete ihm schon aus weiter Ferne den Weg und richtig, direkt vor der Kirche stand ein alter dicker Feuermagier Wache, damit auch niemand das geheiligte Bauwerk ohne Erlaubnis, oder großzügige Spende betrat. Seine Robe ähnelte nur oberflächlich der seiner Kollegen in Myrtana. Auch sie war rot, doch reich mit goldenen Flammenornamenten verziert. Der Held fand, dass dieser Magier so besonders protzig aussah.
    „He du, verkaufst du auch magisches Zubehör?“ feuerte der Held seinen Standartspruch ab.
    Der Feurmagier wandte sich zu ihm und sah den Helden dann an, als würde der ihm einen stinkenden Kuhfladen unter die lange krumme Nase halten.
    „Was erlaubst du dir? Weißt du nicht wen du hier vor dir hast? Ich bin ein Erwählter Innos. Entschuldige dich sofort, oder du wirst vor Gericht Rechenschaft über deine Unverschämtheit ablegen müssen!“
    „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, ehrenwerte göttlich bevorteilte Eminenz, aber hättest du die Güte mir ein paar Schriftrollen und Runen zu verkaufen?“ sagte der Held in übertrieben höflichen Tonfall.
    „Runen? Wie in der grauen Vorzeit? Wer benutzt denn heute noch Runen?“ fragte der Magier in arrogantem Ton.
    „Wie? Was wird denn hier stattdessen genutzt?“ fragte der Held verwundert.
    „Natürlich magische Kristalle. Viel kleiner und leichter, man spart viel Platz und kann daher mehr davon mit sich führen.“
    „Dann verkauf mir eben die. Da sind bestimmt ein paar Tolle Zauber dabei.“
    „Wofür hältst du dich eigentlich? Natürlich werden Magiekristalle und Schriftrollen nur an andere Feuermagier verkauft und du bist bestimmt keiner.“
    Der Held dachte schnell nach und hatte schon eine Idee wie er trotzdem an die Ware kommen könnte. Er hatte ja noch seine alte Wassermagierrobe.
    „Würdest du die Sachen an einen Wassermagier verkaufen?“
    Für den Helden war es sehr überraschend, aber der Feuermagier sah nun sehr verärgert aus. Er kniff die Augen zusammen und rümpfte die Nase.
    „Ganz bestimmt nicht. Diese Terroristen versuchen die heilige Ordnung in unserem schönen Land zu stören. Der letzte Wassermagier wurde vor sieben Jahren offiziell aus diesem Land verbannt. Seither haben es einige gewagt sich in Adolka einzuschleichen und die öffentliche Ordnung zu stören und ihre gerechte Strafe dafür erhalten. Sag! Was hast du mit diesen Unruhestiftern zu schaffen?“
    Der Feuermagier sah geradezu fanatisch aus, als er dies erzählte. Der Held war sehr erstaunt einen Feuermagier so reden zu hören, doch dann ging ihm auf, dass die Feuermagier und Wassermagier in Myrtana und Khorinis vielleicht nur deshalb einigermaßen miteinander auskamen, weil sie gemeinsam gegen die Mächte Beliars kämpften. In Adloka hingegen war das von den Wassermagiern geschätzte Gleichgewicht völlig aus dem Ruder gelaufen. Innos herrschte hier unangefochten. Daher stellten sich die Wassermagier wohl gegen diese überhandnehmende Ordnung. Doch das waren nur Vermutungen des Helden. Allerdings wäre es wohl spannend mehr darüber zu erfahren.
    „Was ist? Hast du auf einmal deine Zunge verschluckt? Gib Antwort, oder willst du, dass dich ein Erwählter Innos straft?“
    „Ich bin nur ein Seefahrer. Wir handeln mit allem möglichen und Spruchrollen gehen immer besonders gut.“
    Wieder rümpfte der Feuermagier die Nase.
    „Ein gewöhnlicher Krämer also? Und da wagst du es mich anzusprechen? Ich werde wohl ein Wörtchen mit den Wachen aus dem oberen Viertel sprechen müssen, wenn sie hier offenbar jegliches Gesindel hereinlassen. Geh mir aus den heiligen Augen Unwürdiger!“
    Der Held sah, dass hier nicht mehr viel zu machen war. Er wandte sich ab und ging dann ein Stück weg, um sich die Kirche aus einiger Entfernung anzusehen. Sicher konnte er ungesehen als Fleischwanze eindringen. Mit Dietrichen, oder zur Not mit dem Spruch, der Schlösser magisch öffnet könnte er sicher ins Lager eindringen und dort einige dieser Magiekristalle klauen. Es juckte ihn in den Fingern. Er wollte unbedingt wissen was das für magische Kristalle waren und was die wohl für mächtige Zauber beherbergten. Vielleicht brauchte er jemanden, der ihm zeigte wie mit diesen magischen Kristallen umzugehen war, aber da würde er schon jemanden finden, da war er sich sicher. Er stellte sich einfach mitten auf die Straße und schrieb einige Zeilen in sein Tagebuch. Während er dies tat, ging ihm auf, dass er dabei war schon wieder für Ärger zu sorgen. Es würde schwer werden ungesehen hinein und herauszukommen und so wie dieser Magier drauf war, würde er sicher weitere Ermittlungen anstellen lassen, um den Dieb ausfindig zu machen. Das könnte dann auch Scherereien für Greg und seine Mannschaft bedeuten. Der Held klappte sein Tagebuch zu und seufzte enttäuscht. Den Diebstahl würde er wohl vorerst verschieben müssen. Doch diese Sache mit den magischen Kristallen wollte er im Hinterkopf behalten. Er entschied zur Murietta zurückzugehen, um nachzusehen, ob Greg Aufgaben für ihn hatte.

    Der Abendliche orange strahlende Himmel warf ein samtiges Licht auf die kleinen Wellen, die sacht gegen die Kaimauer schlugen.
    „Was ist los? Warum ziehst du so ein langes Gesicht? Hat Bill die Pläne nicht bekommen?“ fragte der Held seinen Kapitän, der vor seinem Schiff stand.
    „Doch. Hitt allens goot klappt.“
    „Was ist es dann?“
    „Een um de anner Dag nix as Stunk. De Dintensupper vom Havenamt hab’n unser Fahrtenbuch einbehalten.“
    „Und?“ fragte der Held unbedarft.
    „Un?!“ kam es aufgebracht von Greg. „Ohne Fahrtenbuch laten de uns hier nich wech. Wat glöövst wie dat hier läuft? Haufen Schriftgedöns. Wenn denen wat nich passt, behalten se dat Fahrtenbuch einfach ein.“
    „Was war denn das Problem?“ fragte der Held weiter nach.
    „Wat mit de Waren an- und entnahme hett nich passt. Dachte, ik hett allet goot gefälscht, aver de sin irgendwie misstrurig wurrn. Meinten da passt wat nich un nu laten se et vun de Wachheinis prüfen.“
    „Und das heißt?“
    „Mensch, weßt’e denn gar nix?“ knurrte Greg. „Se behalten et, bis se entschieden hebben, ob se uns wegen Piraterie inbuchten sollen, oder nich un de finden wat, dat kannste glööven.“
    „Wir könnten doch einfach so wegfahren“, stellte es sich der Held ganz unkompliziert vor.
    Das entlockte Greg ein humorloses Lachen und er zeigte auf die mit Kanonen bestückte Kaimauer.
    „Wenn de Havenmeister Alarm gifft, un dat wird he, dor wi ihm as verdächtig gemeldet wuurn, denn schießen de uns de Murietta in Stücke un selbst wenn wi et hier rausschaffen sollten, würde et im nächst Haven ohne Fahrtenbuch Scherereien geven, wi mööd uns erst watweetikwoher een neuet organiseren.“
    „Heißt wir müssen das Fahrtenbuch zurückbekommen und dem Hafenmeister unter die Nase halten.“
    „Wenn de uns överhoopt abnimmt, dat wi et eenfach so vun de Stadtwache torüggkriegen hebben. Normal gifft de Stadtwache dat bi Havenmeister ab, wenn de wedderwahren entscheeden, dat allet in Örnung is.“
    „Hm…“
    Der Held grübelte nach.
    „Wir brauchen also auch noch eine Rüstung der hiesigen Stadtwache. Mal sehen was sich machen lässt.“
    „Wat willste maken?“ fragte Greg skeptisch, aber auch eine Spur Hoffnung lag in seiner Stimme.
    „Ich weiß noch nicht so recht. Ich muss mir das ganze erstmal ansehen. Weißt du wo genau sie das Buch hingebracht haben?“
    „Vermootlich to Butenstäe vun de Stadtwacht an n Haven. Dor, jüst gegenöver vun de Tavern „zum Schluckspecht“.“
    „Perfekt. Ich kümmere mich darum.“
    Der Held ging an Bord der Murietta und trommelte ein paar Männer zusammen. Miguel, Manuel und Alejandro waren nicht da, aber Skip war sofort mit dabei das Fahrtenbuch zurückzuholen. Auch Bones, Bill und Brandon wollten mitmischen. Eigentlich hatten sie gerade zusammen etwas trinken gehen wollen, um Bills Klaukünste zu feiern, doch natürlich war auch ihnen daran gelegen hier bald verschwinden zu können. Zusammen gingen die fünf Piraten zur Taverne „zum Schluckspecht“, die gegenüber der Baracke der Stadtwache lag. Wohl aus gutem Grund, um schnell beim Ärger zu sein.
    „Gut, dass wir letztes Mal nicht hierhergekommen sind. Hättste den Typen hier kalt gemacht, wären die Bürger vermutlich gleich rüber gelaufen, hätten gesungen wie die Spatzen und dann wären wir Ratzfatz von einem Schwung Wachen umgeben gewesen“, vermutete Skip.
    Der Held brummte nur. Jeder holte sich ein Bier und dann gammelten sie an der Außenwand der Taverne. Von weitem sah es so aus, als wenn sie einfach nur lässig zusammenstanden, erzählten und soffen. Der Held lehnte sich an die Wand der Taverne, so dass er die Baracke der Stadtwache gut beobachten konnte. Auch die wollten offenbar den schönen Abend ausnutzen, denn sie saßen um einen Tisch herum, gingen ein paar Dokumente durch und erzählten gut gelaunt miteinander.
    „Und jetzt?“ fragte Skip lauernd.
    „Wir beobachten was hier so läuft. Haltet die Augen offen, ich bin mal kurz geistig weg. Passt auf mich auf!“ forderte der Held und machte sich bereit für die magische Seelenwanderung, wobei er gar nicht auf die ratlosen Blicke der anderen Piraten achtete.
    Er hatte diesen Zauber noch nicht sehr oft angewendet und es war nicht einfach sich zurechtzufinden. Er brauchte einen Moment, um mit dem neuen Zustand zurechtzukommen. Immateriell schwebte die Seele des Helden zu dem Tisch der Stadtwachen hinüber, um zu sehen was sie da für Dokumente bearbeiteten. Doch sie waren uninteressant. Vielleicht fand er in der Baracke etwas Vielversprechenderes. Er flog durchs Fenster und sah sich um. Über einem Stuhl hing eine Rüstung der Stadtwache bereit. Das war schon mal gut. Jetzt musste er das Fahrtenbuch der Murietta finden. Es würde schwierig sein, wenn es in einem Schrank, einer Truhe oder Schublade wäre, denn er konnte physisch mit nichts interagieren, doch er hatte Glück, das Fahrtenbuch lag geradewegs auf dem Schreibtisch des Hauptmanns mit einem großen Zettel darauf auf dem stand: „Schnellstmöglich prüfen, Verdacht auf Piraterie!“
    Zufrieden kehrte die Seele des Helden in seinen Körper zurück und er merkte wie ihn jemand ins Gesicht schrie: „He du! Bist du von Sinnen?“
    Der Held sah auf und sah dem Hauptmann der Stadtwache geradewegs ins wütende Schnurrbartgesicht.
    „Du schon wieder? Was ist dein Problem?“ fragte der Held kalt.
    „Du sahst gerade noch völlig weggetreten aus. Bekifft? Drogen sind hier Verboten, damit du es weißt. Soll ich dich mal durchsuchen?“
    „Nein“, antwortete der Held knapp auf diese Frage. „Ich hab nur geschlafen, das ist doch nicht verboten, oder?“
    „Mitten am Tag?“ fragte der Hauptmann skeptisch und seine beiden Begleiter von der Stadtwache grinsten breit.
    „Er hat die Schlafkrankheit“, stand Skip seinem Entertruppführer bei.
    „Damit macht man keine Scherze“, rügte der Hauptmann jetzt Skip.
    „Nun bin ich ja wach, war‘s das jetzt?“ fragte der Held brummig.
    „Ich behalte euch im Auge. Obwohl ich euch heute das erste Mal gesehen habe, habt ihr schon viel Ärger gemacht. Könnt ja sein, ihr übertreibt es jetzt auch noch mit der Trinkerei und fangt dann eine Schlägerei an.“
    „Und?“ fragte der Held.
    Die anderen Piraten lachten laut auf, weil die Abgebrühtheit in der Stimme des Helden sie belustigte. Beim Hauptmann führte das aber nur dazu, dass er jetzt wirklich alarmiert und wütend aussah.
    „Prügeleien sind selbstverständlich strengstens verboten!“
    „Warum das denn?“ wollte der Held verwundert wissen, denn eine gute Prügelei gehörte seinem Empfinden nach einfach zum Leben dazu.
    „Warum?“ fragte der Hauptmann und sein Gesicht ähnelte mehr und mehr einem kurz vor der Explosion stehenden Teekessel. „Weil Körperverletzung strafbar ist. Darum!“
    „Du verstehst wohl gar keinen Spaß, was?“ fragte der Held dreist.
    „Spaß? Spaß nennst du das! Ich hab jetzt keine Zeit mich länger mit euch Rumtreibern zu befassen, aber ich werde euch im Auge behalten und solltet ihr euch auch nur den kleinsten Fehltritt erlauben, dann lernt ihr mich kennen.“
    Mit diesen Worten machte der Hauptmann auf dem Absatz kehrt und ging gemessenen Schrittes zur Baracke der Stadtwache, wo er sicher gleich das Fahrtenbuch der Murietta durchgehen würde. Das hieß, dass der Held jetzt schnell handeln musste.
    „Der geht bestimmt zum Lachen in den Keller“, meinte der Held trocken.
    „Was denn für ein Keller?“ wollte Bones wissen.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Gibt es in Klöstern und Burgen und so. Da wird Zeug aufbewahrt, in den Burgen auch Gefangene.“
    „Und du meinst, da gibt es viel zu lachen?“ fragte Bones verwundert.
    „Vielleicht der Foltermeister, der sich an den Schreien seiner Opfer ergötzt“, scherzte Brandon.
    „Oder die Magier, die zum Lachen in den Keller gehen müssen, weil es sich nicht gehört vor Innos zu lachen“, witzelte jetzt Skip, der den Sinn hinter den Worten des Helden wohl als einziger wirklich verstanden hatte.
    „Das ist einfach nur ein anderer Spruch für, der hat einen Stock im Arsch“, erklärte der Held.
    „Wer hat einen Stock im Arsch?“ hörten sie plötzlich eine piepsige Stimme neben sich.
    Die Piraten blickten sich verwundert um und sahen einen Knirps in abgewetzten Kleidern, höchstens sieben Jahre alt, der jetzt neben ihnen stand und sie mit großen Augen ansah.
    „Wo kommst du denn her?“ fragte der Held verwundert.
    Der Kleine zeigte auf ein Haus neben der Taverne.
    „Ich wohne da oben unterm Dach. Wer hat einen Stock im Arsch?“ ließ der Junge nicht locker.
    Der Held grinste breit, denn in seinem Kopf reifte ein Plan. Er nickte zum Hauptmann der Stadtwache hinüber, der jetzt bei seinen Leuten am Tisch stand und sich mit ihnen beriet.
    „Der dort, der Hauptmann der Wache, der hat einen Stock im Arsch.“
    „Tut das nicht weh?“ fragte der Junge und verzog das Gesicht.
    Er stellte sich das wohl sehr bildlich vor.
    „Ja, besonders beim Sitzen“, antwortete der Held und versuchte möglichst ernst zu bleiben.
    „Und wie kam der Stock da rein?“ fragte der Junge verwundert.
    „Am besten du fragst ihn mal, los lauf!“ sagte der Held ermutigend.
    „Äh….“
    „Ähmm…“
    Die anderen Piraten sahen sprachlos dem Jungen nach, der tatsächlich über das Kopfsteinpflaster zur Baracke lief.
    „Was zum Henker sollte das denn?“ fragte Bill verwundert.
    „Ein spontaner Plan“, erklärte der Held. „Hergehört! Der kommt bestimmt gleich angetrabt und auch die anderen von der Wache werden abgelenkt sein. Die beste Gelegenheit um an unser Zeug zu kommen. Bill, du bist am Geschicktesten. Du schleichst dich in die Baracke, wenn sie abgelenkt sind, nimmst das Fahrtenbuch vom Schreibtisch des Hauptmanns und legst die Rüstung der Stadtwache an. Anschließend gehst du zum Hafenmeister und hältst ihm das Fahrtenbuch unter die Nase, mit der Begründung, dass damit alles in Ordnung sei.“
    „Aber …“
    „Los, mach schon, wir haben nicht viel Zeit!“ drängte der Held, denn in eben diesem Moment lief der Hauptmann tiefrot an und brüllte laut, woraufhin der kleine Junge eingeschüchtert zusammenfuhr und dann mit zitterndem kleinen Finger auf den Helden zeigte.
    Bill stand rasch auf und trollte sich, während die anderen Piraten mit angehaltenem Atem dabei zusahen, wie der Hauptmann der Wache, hochrot im Gesicht in Begleitung von zwei Stadtwachen auf sie zu gestampft kam.
    „Hast du dem Kleinen gesagt, ich hätte einen Stock im Arsch?!“ brüllte er laut und alle im Umkreis von zweihundert Metern sahen erschrocken zu ihm hin.
    „Timothey, was hast du jetzt wieder angestellt? Komm sofort her!“ schimpfte eine pummlige Frau und schwang den Besen, mit dem sie gerade den Hauseingang neben der Taverne kehrte.
    Wahrscheinlich wartete jetzt ein Donnerwetter auf den Jungen, doch der wagte nicht davonzurennen und ging doch lieber folgsam zu seiner Mutter, die ihn eilig ins Haus bugsierte.
    „Er hat das wohl so aufgeschnappt. Wer ahnt denn auch, dass hier Kinder rumlaufen?“ meinte der Held lapidar.
    „Kinder laufen überall rum!“ behauptete der Hauptmann, der die deprimierende Lage in Myrtana nicht kannte. „Und selbst wenn nicht. Das ist schon wieder Beleidigung eines Staatsdieners. Ich dachte, du hättest aus deinem Fehler vorhin gelernt, aber nein, schon wieder hast du dich eindeutig im Ton vergriffen! Zweihundert Goldmünzen, oder zwanzig Tage in einer Zelle, wenn du kein Gold mehr hast!“
    „He, ich hab doch nur die Wahrheit gesagt“, versuchte der Held die Diskussion noch ein Weilchen am Laufen zu halten.
    Die beiden Wachen drüben bei der Baracke waren aufgestanden und etwas nähergekommen, um sich diesen saftigen Streit nicht entgehen zu lassen. Die perfekte Gelegenheit für Bill, der so ungesehen in die Baracke schlüpfen konnte. Ihn bemerkte niemand, denn alle Augen waren auf das Wortgefecht vor der Taverne gerichtet.
    „Wie bitte? Die Wahrheit?!“ brüllte der Hauptmann der Wache und sein Schnurrbart zitterte vor Entrüstung.
    „Na du meintest doch vorhin Prügeln sei Verboten. Und … was war es noch gleich?“ fragte der Held scheinbar arglos seine Kumpane.
    „Drogen“, half ihm Brandon.
    „Und schlafen“, sagte Skip mit breitem Grinsen.
    „Prügeln ist verboten. Drogen sind verboten. Schlafen ist erlaubt, es sei denn die schlafende Person behindert jemanden. Bei Einbruch der Dunkelheit sollte sich außerdem jeder in seinem Zuhause befinden und lasst euch gesagt sein, wer bei so verwerflichen Taten wie Diebstahl, Plünderung oder sogar so abscheulichen Taten wie Mord und Vergewaltigung aufgegriffen wird, bezahlt dies entweder mit dem Leben oder muss lebenslang in den Arbeitslagern schuften. Damit seid ihr gewarnt! Und jetzt bezahl die Strafe! Zweihundert Goldstücke, sofort! Oder ich sperre euch alle ein! Ich bin ein geduldiger Mensch, aber was zu viel ist, ist zu viel.“
    Der Held sah hinter dem Hauptmann der Wache wie Bill als Stadtwache verkleidet aus der Baracke trat.
    „Ist ja gut, reg dich doch nicht so auf, in deinem Alter ist das nicht gut“, spottete der Held.
    „Wie bitte? In meinem Alter?!“ knurrte der Hauptmann der Wache.
    „Hier zweihundert Goldmünzen und versuch in Zukunft ein bisschen lockerer zu werden“, riet ihm der Held und drückte ihm zwei prall gefüllte Goldbeutel in die Hände.
    Die Piraten lachten und gingen, während der Hauptmann der Wache, der nun abwechselnd auf die Beutel in seinen Händen und die Piraten schaute, noch überlegte, ob er vielleicht doch härtere Maßnahmen ergreifen sollte.
    „Komm, lass die. Die sind den Ärger nicht wert“, meinte dann aber einer seiner Leute und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.

    Bill und der Held wurden von ihren Kameraden gefeiert.
    „Haha, wie der geguckt hat, als wenn seine Augen gleich vor Wut aus dem Kopf hüpfen würden“, lachte Brandon und Bones sagte: „Und wie Bill ihnen das Fahrtenbuch unter der Nase weggeschnappt hat. Herrlich. Ein weiterer Beweis für Bills Künste.“
    „Ich hab es sogar als unbedenklich abgestempelt“, sagte Bill keck, der von einem Ohr zum anderen grinste.
    Sie trennten sich. Während Bill zur Hafenmeisterei ging, kehrten die anderen Piraten zur Murietta zurück, um dort auf Bills Rückkehr zu warten. Als sie Käpt’n Greg aufgeregt von ihrem Coup erzählten war der ausnahmsweise mal zufrieden.
    „Wenn dat ma goot geiht. Wi schullen gau weg hier.“
    „Keine Angst Käpt’n Bill regelt das schon“, sagte Bones hoffnungsvoll.
    Tatsächlich kam Bill bald zurück. Er hatte sich wohl in einer unbeobachteten Ecke umgezogen, denn er trug nun wieder seine Piratenkluft.
    „Alles klar. Hier das Fahrtenbuch. Der Hafenmeister war zwar überrascht, aber er lässt uns losfahren.“
    „Sehr goot mien Jung, denn ma los“, sagte Greg zufrieden.
    „Los? Wieso denn los? Ich dachte wir bleiben die Nacht hier?“ hörten sie eine angeschlagene Stimme lallen.
    Es war Manuel, der gerade erst aufs Schiff geschlingert kam.
    „Du Supkopp, wo hest dien Broder tolaten?“
    „Äh… hä?“ fragte Manuel, der nicht viel verstanden hatte.
    „Wo ist Miguel?“ fragte jetzt der Held und in seiner Stimme lag Dringlichkeit.
    „Der ist noch im Puff. Heißt „die scharfe Nixe“, liegt da drüben in einer Gasse“, versuchte Manuel möglichst verständlich zu lallen, da er offenbar den Ernst der Lage erkannt hatte.
    „Pah! Hitt he Pick hatt. Den laten wi even licht trügg“, sagte der Piratenkapitän ungerührt.
    „Ja, den brauchen wir nicht“, stimmte Henry zu.
    „Reicht ja wenn Manuel die Drecksarbeit macht“, stimmte Bones zu.
    Manuel hatte wohl doch noch verstanden worum es ging und kam auf den Helden zugetorkelt.
    „Bitte, lass ihn nicht zurück. Bitte hol ihn. Bitte, bitte“, jammerte Manuel.
    „Greg, gib mir zehn Minuten“, sagte der Held, der einsah, dass Manuel zu überhaupt gar nichts mehr zu gebrauchen war, wenn er jetzt auch noch ohne seinen Bruder auf der Murietta festsaß.
    „Goot, du büst sien Entertruppführer un daher verantwortlich för em. Hol den Slumpensleef, aver maak hen, oder wi föhren ahn di!“
    Der Held beeilte sich von Bord zu kommen, denn so wie er Greg einschätzte, würde der seine Drohung wahr werden lassen ohne ihn und Miguel zu fahren. So spät im Jahr wurde es schnell dunkel und so war die kleine Seitengasse bereits in Zwielicht getaucht, als er „die scharfe Nixe“ erreichte.
    Als er eintrat schlug ihm eine Wolke von verschiedenen Gerüchen entgegen. Es roch nach verschiedenen Körperflüssigkeiten und unterschiedlichen penetranten künstlichen Duftstoffen, welche die anderen Gerüche möglichst überdecken sollten, aber kräftig in der Nase stachen. Am Eingang saß eine aufgebretzelte aufgeschwemmte Frau, die ihre besten Jahre längst hinter sich hatte in einem abgewetzten alten braunen Sessel, der hinter einem altersschwachen wackligen Tisch stand. Der Held erkannte sie als Puffmutter und fragte daher: "Ich suche einen... Seemann, der sich gerade die Zeit hier vertreibt."
    Er ließ einen Beutel Gold springen, um sie möglichst schnell zum Reden zu bringen.
    "Herzchen, da musst du schon etwas genauer sein. Hier sind gerade fast ein Dutzend Seemänner im Haus."
    "Er stinkt wie eine vermoderte mit Reisschnaps vollgesüffte Filzeinlegesohle."
    "Ach der. Zimmer Sieben, aber klopf vorher an, um das Mädchen nicht zu erschrecken."
    Sie erschreckte sich trotzdem, denn der Held stand unter Zeitdruck und öffnete gleich nach dem Klopfen die Tür. Immerhin waren sie dabei sich gerade wieder anzuziehen. Das erleichterte dem Helden seine Aufgabe.
    „Komm mit, sonst fährt das Schiff ohne uns!“
    „Waa..?“ stieß Miguel noch aus, doch der Held hatte ihn schon gepackt und aus dem Zimmer gezerrt.
    Polternd verließen sie das Bordell. Es war erstaunlich schwer den Sturzbesoffenen Miguel durch die mittlerweile völlig dunkle Gasse zu bugsieren. Der Held verfluchte sich, dass er überhaupt nachgegeben hatte. Er hätte ihn doch einfach hier zurücklassen können. Warum hatte er es nicht einfach getan? Jetzt musste er sich hier mit ihm herumschlagen. Doch der Held nahm sich fest vor, dass Miguel ihm damit gehörig was schuldig war.
    "Ach du lieber Mond, du bist im Monat einmal voll, ich bins alle Tage“, sang Miguel völlig schief und torkelte an der Seite des Helden herum.
    Der Held ging nun ein paar Schritte vor und schmulte um die nächste Ecke, um zu sehen, ob die Luft rein war. War sie nicht. Ein Ritter in stahlgrauer und zwei Stadtwachen in rotgrauen Rüstungen patrouillierten durch die abendliche Straße und sie kamen genau auf sie zu. Wie er vorhin vom Hauptmann der Hafenwache erfahren hatte, gab es hier eine Sperrstunde und es würde bestimmt nicht gut ankommen, wenn er hier mit einem Säufer durch die Straßen ging, der so betrunken war, dass ihm sicher schnell mal rausrutschen könnte, dass sie eigentlich Piraten waren. Schnell sah sich der Held um und entdeckte einen schmalen Durchgang zwischen zwei Backsteinhäusern einige Meter entfernt. Leider war es schwerer als gedacht Miguel in diese Richtung zu bugsieren. Er schliff ihn mehr, als dass der Betrunkene eigenständig ging. Der Held nahm sich fest vor ihn für die Scherereien, die er ihm hier aufhalste zu verprügeln, sobald er wieder nüchtern war.
    „Geh da rein! Wir müssen warten bis die Patrouille durch ist“, knurrte der Held und schuppste Miguel grob vorwärts in den dunklen Durchgang, ohne sehen zu können was sich darin befand.
    „Hä?“ machte Miguel müde und schlug dann auf dem Boden auf.
    Der Held horchte, doch offenbar blieb er einfach liegen. Vielleicht war er sogar eingeschlafen. Als er sich gerade selbst verstecken wollte, hörte er wie die lauter werdenden Schritte die Patrouille ankündigten. Einen Moment später traten auch schon ein streng schauender Ritter und zwei miesepetrig dreinblickende Stadtwachen um die Ecke.
    „He, warte mal!“ sprach der Ritter auch gleich nachdem er die einsame Gestalt gesehen hatte.
    „Ja?“ fragte der Held und blieb folgsam stehen.
    Er könnte wegrennen, doch dann müsste er Miguel hier liegen lassen und später noch mal zurückkommen. Er wollte sich schnell herausreden und den Säufer dann zurück aufs Schiff bringen. Er war in Eile.
    „Um diese Zeit solltest du nicht herumstreunen. Es ist Sperrstunde.“
    „Oh…“, sagte der Held und tat betroffen. „Gut, dass du mir das sagst. Ich bin noch neu hier und wusste das nicht. Gut, ich geh dann mal, damit ich schnell nach Hause komme.“
    Er wollte an der Patrouille vorbeigehen, doch der Ritter hielt ihn auf.
    „Warte! Zeig mir doch mal deine Genehmigung für diese Waffe.“
    Der Ritter wies auf das Rapier des Helden.
    „Was für eine Genehmigung?“ wollte der Held wissen und zog die Stirn kraus, weil er sich fragte, ob das schon wieder eins dieser seltsamen Gesetze von Stahlstern war.
    Ein Lächeln der Genugtuung breitete sich im Gesicht des Ritters aus, als er sagte: „Wer in diesem Land eine Waffe trägt, muss eine Genehmigung vorweisen. In dieser Genehmigung steht, woher er diese Waffe hat und warum er berechtigt ist sie zu tragen. Zum Beispiel ist man berechtigt, wenn man im Dienst des Militärs steht. Natürlich wird jedes Jahr geprüft, ob die Berechtigung noch gilt.“
    „Du willst mich verarschen“, sagte der Held frei heraus und sofort verfinsterte sich das Gesicht des Ritters.
    Den beiden von der Stadtwache klappte vor Unglauben der Kiefer auf. Offenbar hatten sie noch nie gehört wie jemand so mit ihrem Vorgesetzten sprach.
    „Ich verbitte mir einen solchen Ton, du hast einen heiligen Streiter Innos vor dir. Also, darf ich davon ausgehen, dass du keine Waffengenehmigung für dieses Rapier bei dir hast?“ fragte der Ritter wichtigtuerisch.
    Der Held vermied zu sagen, dass er überhaupt keine Genehmigung für die unzähligen Waffen, die er herumtrug, bei sich hatte. Das wäre natürlich ein Schnitt ins eigene Fleisch, aber nur für einen kurzen Moment hätte er gerne das dumme Gesicht des Ritters gesehen, wenn er es sagte.
    „Ausweißpapiere!“ forderte der Ritter nun, da sein Gegenüber nicht antwortete, doch auch damit wusste der Held nichts anzufangen.
    Ratlos kratzte er sich am Hinterkopf und sah auf die Hände des Ritters, weil er nicht wusste was er meinte.
    „Ich weiß nicht was du von mir willst, irgendwelche Papiere habe ich nicht“, gab der Held schließlich zu.
    Der Ritter verdrehte die Augen.
    „Kommst du aus Myrtana, oder was?“
    Wieder dieser Spruch. Der Held dachte sich, dass man das hier wohl einfach so sagte, wenn jemand im übertragenen Sinne vom Mond kam, doch diesmal antwortete er nicht, denn er wollte vorsichtiger mit den Äußerungen über Myrtana sein, damit nicht irgendwann doch jemand auf die Idee kam es anzugreifen, jetzt wo die Orks weg waren.
    „Name?“ fragte der Ritter.
    „Na wie du heißt weiß ich nicht“, spottete der Held, dem das hier allmählich zu blöd wurde.
    Da waren sie wohl schon zwei, denn der Ritter sah mittlerweile äußerst genervt aus.
    „Nicht meinen, deinen!“
    „Hab keinen“, sagte der Held kurz angebunden.
    Der Ritter brummte und sog gestresst die Luft ein, weil er wohl versuchte nicht auszurasten.
    „Du willst mir also erzählen, du hast keinen Namen?“
    „Genau.“
    „Das kannst du bei jemand anderem versuchen. Solche Mätzchen lass ich mit mir nicht machen. Wenn du mir nicht mal sagen willst, wie du heißt, kommst du jetzt mit zur Burg und wir nehmen dich mal ganz genau unter die Lupe.“
    „Aber ich hab wirklich keinen Namen“, beteuerte der Held. „Seh ich etwa so aus, als ob ich Lüge?“
    Prüfend musterte der Ritter ihn und sagte dann: „Du siehst wie ein Unruhestifter aus und deswegen kommst du jetzt mit.“
    Der Held überlegte kurz. Eigentlich hätte er jetzt einfach sein Rapier gezogen und diese Meinungsverschiedenheit ausgefochten, doch er hatte noch Gregs Ermahnung im Ohr nicht noch mehr Ärger in Stahlstern zu machen. Vielleicht könnte er sich auf der Burg noch irgendwie herausreden, ganz ohne Blutvergießen.
    „Komm jetzt, du Namenloser!“ sagte der Ritter hart und streckte fordernd den Arm aus.
    Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, grummelte der Held nur und fügte sich.

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    Der hohe Rat von Vengard

    Es war nun schon Cords zweite Ratssitzung, doch Saturas fand, dass er immer noch fehl am Platz wirkte. Cord war ein Kämpfer. Darin war er gut, doch es war mehr als offensichtlich, dass er überhaupt keine Ahnung davon hatte sich Gedanken um die Welt, in der er lebte zu machen und daraus Problemlösungsstrategien abzuleiten. Doch den Wassermagieren würde das in die Hände spielen. Wenn Sie ihn leicht in die von ihnen gewünschte Richtung stupsten und Cord so in Ihrem Sinne sprach, dann könnte seine Stimme im Rat das Zünglein an der Waage sein. Saturas wollte daher versuchen ihn zu beeinflussen. Natürlich durfte Cord das nicht merken. Er sollte glauben, dass er ihm lediglich helfen wollte. Immerhin war Cord im Ring des Wassers und daher wäre es nicht ungewöhnlich, wenn Saturas ihm seine Unterstützung anbot.
    „Damit sich möglichst viele Menschen in Myrtana an der Wahl beteiligen, sollten diejenigen, die sich besonders große Chancen Herrscher werden zu können ausrechnen, auch besonders anstrengen und versuchen andere von ihren Zielen zu überzeugen“, sagte Lord Hagen gerade.
    „Aber dann werden die Bürger in ihrer Meinung doch beeinflusst“, gab Altus zu bedenken.
    „Aber so bleiben sie über die Ziele des möglichen Königs nicht im Unklaren“, entgegnete Lord Hagen.
    „Ja“, stimmte ihm Lord Garond zu. „Wäre doch ungerecht, wenn die Bürger jemanden wählen, weil sie denken, der wäre der richtige König, doch dann tut er etwas, dass sie nicht für möglich gehalten hätten, etwas, dass sie gar nicht wollten. Dann kämen sie sich doch hintergangen vor.“
    „Möglich“, musste Altus zugeben und wurde nachdenklich.
    „Ein Wahlkampf sozusagen? Gute Idee“, lobte Lee und in seinen aufblitzenden Augen war zu sehen, das ihm just in diesem Moment selbst einige gute Pläne im Kopf herumschwirrten.
    „So lange dabei nicht mit unlauteren Methoden gearbeitet wird, soll es mir recht sein“, meinte Saturas. „Aber was machen wir mit Varant? Der Handel ist so wichtig wie nie. Die Menschen in Myrtana überleben diesen Winter nicht, wenn wir keine guten Handelsbeziehungen aufbauen, doch die Assassinen sind als Handelspartner völlig ungeeignet.“
    „Sollen wir also lieber mit den Nomaden handeln?“ fragte Lee und konnte einen leichten Spott nicht unterdrücken. „Was haben die denn außer ein paar Bananen von den Oasen anzubieten?“
    Die Augen der Wassermagier verengten sich. Ihre Mienen sagten deutlich aus, dass Lee sich jetzt sehr gut überlegen sollte, was er als nächstes sagte. Doch er sagte gar nichts mehr, so dass sich die Stimmung weiter abkühlte.
    Altus merkte die Anspannung im Raum sofort und versuchte die Lage zu deeskalieren: „Also in diesen Zeiten ist selbst jede einzelne Banane wichtig, findet ihr nicht auch? Wir sollten also einen Handel mit den Nomaden nicht ausschließen.“
    „Nein, sollten wir nicht“, sagte Lee etwas brummig. „Aber die Assassinen sind es, die sich aufs Handeln verstehen.“
    „Wir wissen doch gar nicht, ob die überhaupt selbst noch Lebensmittel haben“, warf Pyrokar ein. „Was bringt es uns also mit ihnen zu handeln, wenn es nichts von Interesse zum Handeln gibt? In besseren Zeiten wären sicher auch einige Luxusgüter für die Bürger von Myrtana interessant, doch heutzutage dreht sich doch alles ausschließlich ums Essen.“
    „Wir sollten jemanden losschicken, der herausfindet wie die Lage bei den Assassinen derzeit ist“, schlug Lord Hagen vor.
    „Und wen sollen wir schicken?“ fragte Merdarion lauernd. „Wir Wassermagier werden sofort angegriffen. Die Assassinen werden auch nicht erfreut sein Paladine, oder Feuermagier zu sehen.“
    „Wir könnten einen schlagkräftigen Trupp aus Söldnern und ehemaligen Rebellen schicken. Was meinst du, Cord?“ wollte Lee wissen.
    Cord, der immer nur von einem zum anderen gesehen hatte und bisher noch gar nichts gesagt hatte, wirkte aufgeschreckt und nervös, weil er ganz offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, jetzt nach seiner Expertise gefragt zu werden, die er gar nicht hatte.
    „Ich … äh… weiß nicht so recht“, gab er zu und erntete dafür von den beiden Paladinen ungläubige und genervte Blicke.
    „Wir könnten es ja mal versuchen“, sagte Cord schließlich.
    „Schön. Jarvis soll ein halbes Dutzend kampferprobter Leute zusammensuchen und dann in Bakaresh nachsehen wie die Dinge stehen. Wenn die Assassinen noch genug Lebensmittel zum Handeln haben, sollen sie ihnen gleich reichlich abkaufen. Jarvis soll nachher zu mir kommen und ich werde ihm tausend Goldstücke geben.“
    „Moment, Moment!“ wollte Lord Hagen dieses Vorhaben gleich stoppen. „Du willst einem Haufen ungehobelter und unzuverlässiger Söldner einfach so Gold mitgeben?“
    „Wir reden hier von meinen Männern!“ hielt Lee dagegen und warf Lord Hagen einen stahlharten Blick zu.
    „Ja eben!“ kam es vom obersten Paladin zurück, der diesen Blick nun erwiderte.
    Diesmal kühlte die Stimmung nicht ab, sondern begann hochzukochen. Es war mucksmäuschenstill. Jeder am Tisch wartete ab, ob sich die Lage wieder beruhigen würde, oder die beiden sich letztendlich zu einem Duell herausfordern würden.
    „Jarvis ist mir treu ergeben und weiß, dass er sich nicht einfach mit dem Gold davonmachen sollte“, sagte Lee mit harter Stimme.
    „Schön“, kam es rau von Lord Hagen zurück. „Aber wenn doch, ist es deine Schuld und wenn ich das so anmerken darf, weitere Fehler kannst du dir während deiner Herrschaft nicht leisten.“
    Wieder Stille. Doch eine Stille, von der deutlich zu merken war, dass sich die Lage wieder entspannte. Bei den Wassermagiern entspannen sich ganz leise Unterhaltungen, bis Saturas schließlich die Stimme erhob: „Wir Wassermagier werden die Söldner aber nicht begleiten. Nicht nur, dass wir möglichst schnell wieder in Varant sein wollen, wir halten es auch für keine gute Idee, wenn die Assassinen die Söldner mit uns zusammen sehen. Sie haben größere Chancen, dass die Mission erfolgreich ist, wenn sie alleine gehen.“
    „Stimme zu“, sagte Lee knapp. „Gut, wäre das dann erstmal alles, oder gibt es noch weitere Anmerkungen?“
    Wieder Stille.
    „Nein? Dann erkläre ich diese Ratssitzung für beendet.“

    Draußen auf dem Innenhof der Burg ging Saturas gleich zu Cord und begrüßte ihn freundlich.
    „Es läuft gut für dich Cord. Erst wirst du zum Hauptmann der Wache ernannt und dann gehst du auch noch als Gorns Stellvertreter in den Rat.“
    Cord lächelte etwas gequält. Saturas sah ihm gleich an, dass ihm etwas auf dem Herzen lag und er wohl nicht lange damit hinterm Berg halten würde und richtig: „Ja, es läuft wirklich gut … nur... Ich weiß gar nicht was ich da machen soll. Ich kenn mich mit so Ratsdingen nicht gut aus. Sonst hat immer Lee gesagt was wir machen sollen. Mir fehlt das Hintergrundwissen, verstehst du? Wenn im Rat was besprochen wird, dann verstehe ich oft gar nicht worum es überhaupt geht, oder was die eine oder andere Entscheidung macht. Mir ist das einfach alles zu hoch.“
    Saturas sah Cord mitleidig an.
    „Wir Wassermagier werden dir selbstverständlich dabei helfen, deinen neuen Weg erfolgreich zu beschreiten. Du hast so viel für den Ring des Wassers getan, nun revangieren wir uns. Was möchtest du denn wissen?“
    „Na zum Beispiel das mit den Assassinen. Sind das jetzt unsere Feinde, oder was? Lee meinte, wir brauchen die zum Handeln, aber wenn’s doch unsere Feinde sind … und wem gehört Varant jetzt eigentlich? Wer hat das Sagen? Zuben ist doch tot, oder?“
    „Ja, das ist wirklich kompliziert. Ich werde es dir erklären“, begann Saturas gewichtig. „Durch Zubens Tod herrscht jetzt ein Machtvakuum in Varant.“
    „Machtva … Wer … wer ist das?“ fragte Cord verwundert.
    Saturas musste sich anstrengen, um keine Miene zu verziehen. Vom Trainieren und Kämpfen verstand Cord wirklich eine Menge, aber sonst war er wohl wirklich nicht die gebildete Person, die sich ein Bürger Myrtanas für den Rat wünschte.
    „Es gibt keinen Herrscher, verstehst du. Anarchie.“
    Cords Stirn furchte sich, aber er sagte: „Ach so.“
    „Die Assassinen haben sich in Varant breitgemacht, aber eigentlich gehört das Land den Nomanden“, meinte Saturas und versuchte es mit möglichst einfachen Worten zu erklären. „Deswegen gibt es ständig Streit. Das ist schlecht für Varant und somit auch für uns, weil die Instabilität uns negativ beeinflusst. Wir brauchen eigentlich einen Dreierbund bestehend aus Myrtana, Nordmar und Varant, so wie es vor dem zweiten Orkkrieg war, aber mit den Assassinen wird das nicht mehr möglich sein. Nordmar ist uns ganz gut gewogen. Wenn Myrtana erst mal wieder auf die Füße kommt, wird es sicher kein Problem, aber die Assassinen sind keine guten Bündnisgenossen, denn sie haben uns verraten. Wir brauchen sie jetzt zum Handeln, aber langfristig müssen wir sie uns vom Hals schaffen. Man kann ihnen nicht trauen. Wir könnten Jahrelang mit ihnen verbündet sein und dann auf einmal würden sie uns ganz plötzlich hintergehen. Außerdem versklaven sie Menschen. Du weißt doch noch wie es war ein Gefangener zu sein.“
    Cord nickte.
    „Dabei blieben dir selbst in der Barriere viele Freiheiten. Die Sklaven können nie selbst entscheiden was sie tun. Viele Sklaven müssen ihr Leben unter menschenunwürdigen Bedingungen fristen. Du hast davon auf Khorinis nicht viel mitbekommen, aber sprich mal mit ein paar Leuten hier in Vengard, die früher Sklaven bei den Orks waren, die werden dir genau sagen können wie fürchterlich das war und dabei wurden sie vergleichsweise schnell wieder befreit. Die Sklaven in Varant müssen oft ihr ganzes Leben in Sklaverei verbringen. Die Orks sind hart, aber meist fair. Sie schlagen ihre Sklaven nicht ohne Grund. Jedenfalls die meisten. Bei den Assassinen gibt es aber immer mal wieder Männer, die ihre Sklaven quälen, einfach aus Spaß und manche Schwarzmagier nutzen sie sogar für schreckliche blutige Rituale, um Beliar zu huldigen.“
    „Hört sich fürchterlich an“, gab Cord zu.
    „Das ist es auch. Sowas sollten wir doch nicht unterstützen, oder?“
    Cord schüttelte entschieden den Kopf.
    „Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Sag Jarvis, dass er und seine Männer auf der Hut sein sollen! Den Assassinen ist nicht zu trauen. Du kannst jederzeit zu uns Wassermagiern kommen, wenn du über ein Thema reden möchtest“, sagte Saturas freundlich.
    „Danke Saturas“, sagte Cord aufrichtig.
    Der oberste Wassermagier verabschiedete sich und sah in einigem Abstand dabei zu wie Cord zu Jarvis ging und ihn über seine neue Mission informierte. Sie redeten kurz miteinander und Jarvis machte eine Geste, die wohl aussagen sollte: Warum ausgerechnet ich?
    Doch Cord gab ihm einen groben Stoß vor die Brust, der wohl ausdrücken sollte, dass es eben ein Befehl von Lee war und er sich nicht so haben sollte. Dann ging Jarvis in die Burg, wohl um sich das Gold von Lee abzuholen, dass sie für diese Reise brauchten. Saturas lächelte und ging zufrieden in die Bibliothek. Auch Vatras war dort. Sie wechselten kurz ein paar Worte und widmeten sich dann ihren Studien. Sie schmiedeten Pläne für die Zukunft Varants. Jeder wusste, dass die Assassinen brutal und rücksichtslos waren und es daher rechtens war gegen sie zu kämpfen. Doch die Wassermagier wussten, dass Gold ein mächtiges Lockmittel sein konnte. Sie mussten also dafür sorgen, dass sich ihre Verbündeten nicht vom Gold blenden lassen würden und ihnen im Kampf gegen die Assassinen beistehen würden, weil es das richtige war. Das Ziel der Wassermagier war es zunächst alle Sklaven in Varant zu befreien und dann immer weiter den Assassinen zu schaden, bis sie irgendwann ihre Städte aufgeben und wegziehen würden, so dass Varant wieder ganz den Nomaden gehören würde.
    „Lord Hagen wäre sicher einfacher zu überzeugen, sollte er eine Führungsrolle einnehmen“, meinte Saturas.
    „Aber glaubst du wirklich, dass er das Zeug zu einem König hat?“ fragte Vatras zweifelnd.
    „Nein“, antwortete Saturas. „Lee würde sicher auch wieder die Assassinen angreifen. Immerhin war er in der Vergangenheit ein guter Heerführer, doch es ist fraglich, ob er selbst in die Schlacht ziehen wird, wenn er König ist.“
    „Ich denke, das würde er durchaus tun, doch ich sehe, dass er als Herrscher überfordert ist“, gab Vatras zur Antwort.
    Saturas nickte nur. Es bedurfte keiner weiteren Worte.
    Nach einigen anstrengenden Stunden verließen Vatras und Saturas die Bibliothek und stellten sich in den Innenhof der Burg. Es tat gut sich den frischen Wind um die Nase wehen zu lassen und in den kalten blauen Himmel zu schauen. Allerdings wurde ihre Aufmerksamkeit bald auf ein anderes Schauspiel gezogen. Cord und einige Wachen schlugen sich um den letzten Fisch.
    „Meiner!“, „MEINER!“, „Ich hab ihn zuerst gesehen!“, „Aber ich habe ihn jetzt!“, „Und wenn du mein Schwert nicht zwischen deinen Gräten spüren willst, dann gibst du ihn besser mir!“
    „Immer gibt es Ärger“, sagte Saturas schlecht gelaunt.
    „Sie sind wie Kinder, denen wir den rechten Weg zeigen müssen“, meinte Vatras geduldig.
    „Ja, kleingeistige, ungehobelte, gemeingefährliche Plagen sind das“, gab Saturas genervt zurück.
    „Trotzdem braucht Myrtana diese Männer, wer sollte es sonst wieder aufbauen?“ fragte Vatras.
    Saturas sagte nichts, brummte nur zustimmend.
    „Aber ob Lee es schafft, sie dazu zu bringen es wieder aufzubauen bezweifle ich“, sagte Vatras weiter und sah Cord dabei zu, wie er Steve gerade den schon sehr ramponierten Fisch aus den verkrampften Fingern stibitzte, doch übersah, wie Mason ihm von hinten mit einer Holzlatte eins überzog. Das ließ Cord natürlich nicht auf sich sitzen und keilte kräftig nach allen Seiten aus.
    „Er hat sich mit dieser Aufgabe übernommen. Im Neuen Lager und auf Onars Hof mag er ein guter Anführer gewesen sein, doch es fehlen ihm die zündenden Ideen und ich merke wie die Stimmung langsam kippt. Die Paladine werden sich wohl nicht mehr lange von ihm befehlen lassen“, sagte Saturas.
    „Ja, du hast Recht“, stimmte Vatras ihm traurig zu und musste nun etwas lauter werden, weil das Gebrüll der kämpfenden Männer noch an Intensität zunahm. „Ich weiß, du hörst es nicht gern, aber ich wünschte der Befreier wäre hier. Er würde bestimmt einen Weg finden, um diese Hungersnot zu beenden.“
    „Oder er würde alles nur noch schlimmer machen. Wenn die da Kinder sind, dann ist er der größte Quälgeist auf dem Spielplatz“, sagte Saturas grollend und zeigte auf die Männer, die sich immer noch um den nun zerfledderten Fisch stritten.
    Er war immer noch nicht gut auf den Helden zu sprechen.
    „Ich denke, du tust ihm unrecht. Ich habe ihn als fähigen und kooperativen Mann in Khorinis kennen gelernt. Immer war er bereit den Menschen zu helfen und sich dafür einzusetzen Unrecht aufzuklären. Er hat einen Waffenhändlerring für mich aufgedeckt und die verschwundenen Menschen aus Ravens Mine befreit. Bedenke doch nur wie viel Leid er verhindert hat.“
    „Das bedenke ich wohl, aber ich muss auch daran denken wie viel Schaden er angerichtet hat. Wer weiß wo er im Moment ist und was er gerade macht.“
    „Ich habe für unser verlorenes Schaf zu Adanos gebetet und hoffe, dass er ihn beobachtet und ihn zum rechten Pfad zurückbringt. Bestimmt wird er sich nun zum Besseren entwickeln, da wir ihn von der finsteren Macht der Klaue Beliars befreit haben.“
    „Das können wir nur schwer hoffen“, antwortete Saturas und sah dabei zu, wie sich jeder der Männer im Hof alle rohen Fischreste in den Mund stopfte, die er kriegen konnte.

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